Ein Tagwerk Leben
Erinnerungen einer Magd
Fast ein ganzes Jahrhundert hat Dora Prinz erlebt.
Ihr Fazit: "Schöner hätte es nicht sein können, das Leben." Als junges Mädchen verdingt sie sich als Magd. Schwere Arbeit und Willkür der Bauern prägen ihren...
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Produktinformationen zu „Ein Tagwerk Leben “
Fast ein ganzes Jahrhundert hat Dora Prinz erlebt.
Ihr Fazit: "Schöner hätte es nicht sein können, das Leben." Als junges Mädchen verdingt sie sich als Magd. Schwere Arbeit und Willkür der Bauern prägen ihren Alltag. Doch Dora lässt sich nicht brechen.
Klappentext zu „Ein Tagwerk Leben “
Was alles in ein Menschenleben passt: fast ein ganzes Jahrhundert hat Dora Prinz erlebt, von der Weimarer Republik bis heute. Als junges Mädchen verdingt sie sich als Magd. Schwere Arbeit und die Willkür der Bauern prägen ihren Tag. Dora erträgt viel, aber sie lässt sich nicht brechen dafür ist sie zu stolz.Eine Geschichte von der Weisheit einer alten Frau, die trotz allem sagt: Schöner hätte es nicht sein können, das Leben.
Lese-Probe zu „Ein Tagwerk Leben “
Ein Tagwerk Leben – Erinnerungen an eine Magd von Dora PrinzFeiner, kalter Regen setzte ein, als wir den Futscher-Hof erreichten. Am Wegrand stand eine mächtige Linde, erste Knospen sprossen an den Zweigen. Hinter einer Scheune mit schiefem Dach, als wollte es sich verstecken, lag das Wohnhaus, grau und etwas schäbig. Im Schutz einer Hecke hatte jemand einen kleinen Garten angelegt, Hühner liefen umher und ein schwarzbrauner Spitz sprang hinter einem Holzstapel hervor. Zögernd hielten die Mutter und ich auf eine Tür zu.
»Geht’s vorn rein!« Ein Weibsbild warf das Stalltor hinter sich zu und stapfte davon, ohne uns weiter zu beachten. Ihre Füße steckten in Holzpantinen, die ihr viel zu groß waren.
Die Mama und ich schauten uns an. Dann liefen wir ums Haus herum. Die Bäuerin mit ihrem Baby im Arm öffnete, als wir an die vordere Tür klopften. »Grüß Gott«, sagte die Mama.
»Grüß Gott«, sagte ich.
»Kommt’s herein«, sagte die Bäuerin. Sie war ein schönes Weib, schmal, das blonde Haar zu einem Knoten gebunden. Ihre Augen leuchteten grün wie das Wasser in einem Weiher im Wald. Das Baby war so runzlig und rotbackig wie das von der Nachbarin daheim.
»Du bist also die Dora.«
Ich nickte. Das Baby rülpste.
»Man hat uns schon ausgerichtet, dass du kommst. Der Ullrich, der Bauer, ist draußen. Ich geh ihn holen.« Sie deutete auf eine Tür. »Geht’s ruhig in die Stube und wartet dort.«
Unsere Schuhe waren voller Dreck, drum zogen wir sie aus und ließen sie im Hausgang stehen. Auf Socken betraten wir die Stube. Sie war groß, größer als daheim. Der Ofen brannte und es war sehr warm. Der Ofen hatte einen weiß gekalkten Sockel und darüber grüne Kacheln mit hübschen Verzierungen. Auf der
... mehr
Ofenbank lagen weiche Kissen, auf der Ofenstange hing ein Leintuch. Es gab ein Kanapee, ein Spinnrad und einen großen Tisch mit gedrechselten Beinen, eine Eckbank, mehrere Stühle. Im Herrgottswinkel stand die Jungfrau Maria unter einem Kreuz, zu ihren Füßen eine Kerze und ein Kranz aus getrockneten Schneeglöckchen.
»Du musst nicht fort, wenn du nicht willst«, flüsterte die Mama und suchte meinen Blick.
»Aber ich tät Geld verdienen, wenn ich hier schaff«, flüsterte ich.
Im Hausgang polterten Schritte. Im nächsten Moment blies ein kalter Wind zur Tür herein. »Grüß Gott!« »Grüß Gott«, antworteten die Mama und ich wie aus einem Mund.
Der Bauer war ein kräftiger Mann mit knochigem Gesicht, spitzem Kinn und dicken wilden Locken. Er wirkte riesig, als er nur ein paar Schritte entfernt von mir stehen blieb und auf mich herabschaute. »Bist ja noch ein Mädle «, sagte er und maß mich mit einem Blick, so wie ein Viehhändler ein Kalb betrachtet.
Ich straffte die Schultern. »Aber ich kann schaffen.« Er hob sein Kinn und schnaubte: »Wie groß bist?«
Mit fester Stimme sagte ich: »Einen Meter vierzig.«
»Das ist nicht groß.« Er schnaubte wieder. An seiner Weste hing eine Uhrkette, in seinen Mundwinkeln klebten Krümel. Seine dicken Locken waren voller Staub und er roch nach Feuer. Er pulte in seinem Ohr, fuhr sich durchs Haar, musterte mich. Mir war, als würden Stunden vergehen. Dann schlug er in die Hände und reichte mir seine riesige, rissige Pranke. »Aber die Hebamme sagt, du bist ein gutes Mädle.«
»Ich hab daheim müssen melken, mähen und misten.
Ich kann Holz hacken, dreschen und Mehl machen. Ich kann kochen, buttern, nähen, stopfen, einwecken. Ich hab …« Ich machte eine Pause und schaute dem Futscher-Bauern mitten ins Gesicht. »Ich hab sogar schon allein einer Kuh ihr Kalb geholt.«
»Soso.« Er rieb sein Kinn. »Und wie alt bist, Mädle?«
»Sechzehn.«
»Und wie viele Kinder seid’s daheim?«
»Vier.«
»Da muss die Älteste beizeiten fort.«
Ich sagte nicht, dass ich Geld verdienen wollte. Ich sagte gar nichts. Stand nur still dort und wartete ab, was geschah.
»Warum gehst nicht zu Verwandten?«, fragte der Bauer.
»Das ist selten gut, lieber zu Fremden«, gab ich zurück. »Gut.« Der Bauer zog die Uhr aus seiner Westentasche, klappte sie auf und wieder zu. »Kriegst zehn Reichsmark im Monat.«
Ich nickte.
»Dafür musst ordentlich schaffen!«
Wieder nickte ich.
Bald darauf fuhr die Mutter heim. Es war der 11. April 1936.
Als ich später am Nachmittag in die Küche kam, stand eine Kasserolle auf dem Herd, an ihren Rändern klebte eingetrocknete Milch. Auf dem Boden lagen Reisigreste und kalte Asche. Ich band die Bänder meiner Schürze fester, klaubte das Reisig zusammen, sammelte ein paar schmutzige Kellen, Schöpfer und Rührlöffel ein, füllte Wasser aus einem Topf in die Kasserolle und scheuerte, bis die Ränder glänzten.
Im Kamin neben dem Herd rumpelte es.
Ich nahm einen Besen, der an einem Schrank lehnte, und fegte die Asche zusammen. Ordentlich reihte ich die Töpfe auf, hängte die Schöpfkellen an die Stange über dem Herd, legte den Schürhaken neben die Luke.
Auf einem gemauerten Sims standen drei graue Tonkrüge, ein blauer Krug mit Most und ein Butterfass. Ich öffnete die Schranktür; drinnen waren Teller, Schüsseln, Becher und Tassen gestapelt. Die Bäuerin besaß einiges Geschirr.
Im Kamin polterte es.
In der Schublade unterm Herd fand ich Feuerholz, doch es war kein Reisig zum Schüren da. Ich lief hinaus in den Hausgang. Unter der Treppe lagen sauber aufgestapelt Holzscheite, daneben gebundenes Reisig. Ich nahm ein Bündel.
»Die ist ja schon ganz daheim«, sagte eine Stimme. Ich fuhr zusammen. In der Stubentür stand die Bäu erin mit ihrem Baby im Arm, dahinter drängte sich ein kräftiges Weibsbild in einer geblümten Schürze. »Ich hab Feuer machen wollen«, sagte ich, es klang fast wie eine Entschuldigung.
»Ist schon recht«, sagte die Bäuerin. Das Baby greinte leise.
»Aber das Feuer muss warten«, rief das Weibsbild in der geblümten Schürze, lauter, als es nötig war. »Der Kaminkehrer ist gekommen!« Die Bäuerin trat beiseite und das Weib drängelte sich vor wie ein neugieriges Mädle.
Sie war größer als ich und kräftig, ihr Haar leuchtete wie reifer Weizen.
»Das ist die Cecilia, eine Schwester vom Bauern«, sagte die Bäuerin, schaukelte das Baby und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Cecilia kicherte. Ich stand dort, das Reisigbündel in den Händen, und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Komm mit.« Die Bäuerin schob mich in die Küche.
»Besser, du bist rührig, als wenn ich dir alles sagen muss.«
Im Kamin krachte und kratzte es. Ich legte das Reisig in die Schublade unterm Herd und wischte mir die Hände an der Schürze ab. »Kannst kochen? «, fragte die Bäuerin.
Ich nickte.
»Was kannst kochen?«
»Kartoffelsuppe, Erbsenbrei und Krautnudle.«
»Da musst du aber noch manches lernen!« Die Cecilia stand im Türrahmen, beide Hände in die Hüften gestützt. Die geblümte Schürze spannte über ihrer Brust. Sie gab ein gurgelndes Geräusch von sich; ich war sicher, dass es nicht das Baby war.
»Lass gut sein, Cecilia. Die Dora ist grad den ersten Tag hier.«
»Maultaschen kann ich auch.« Ich straffte die Schultern.
»Und Biskuit-Torte!« Entschlossen hielt ich Cecilias Blick stand. Sie lachte, es klang ein wenig dümmlich. Draußen im Hausgang polterten Schritte. Die Cecilia schlug die Augen zum Himmel. Das Baby begann zu weinen.
»Ssscht …«, machte die Bäuerin und strich dem Kind über den Kopf.
»Grüß Gott!« Ein Mannsbild in schwarzen Hosen und einer schwarzen Jacke, die ein breiter Gürtel zusammenhielt, betrat die Küche. Über seiner Schulter hing ein Seil mit einer schweren Eisenkugel am einen und einer Bürste mit festen, staubschwarzen Borsten am anderen Ende. Er sah sich um, schloss die Tür hinter sich und ging hinüber zum Schornstein. Mit jedem Schritt hinterließ er einen schwarzen Fußabdruck auf den Holzdielen, und die Cecilia rollte die Augen. Aus einer Schlaufe an seinem Gürtel zog der Kaminkehrer einen Haken und klopfte damit gegen die Tür am unteren Ende des Kamins. Das Baby schrie. Cecilia versuchte, den Buben zu trösten, doch es klang, als würde sie ihn ausschimpfen, ihre Stimme war laut und er schrie noch lauter. Der Kaminkehrer hockte sich nieder und öffnete die Luke. Im selben Moment stürmte ein Bub zur Tür herein. »Meister …«
Eine Rußwolke fuhr aus dem offenen Kamin.
»Herrschaftszeiten!« Der Kaminkehrer sprang auf, hustete und wischte sich die Augen. Die Bäuerin breitete einen Schürzenzipfel über den Kopf des Babys und lief hinaus, die Cecilia hinterher, schimpfend und hustend.
»Mei… Meister …«, stammelte der Lehrbub, der ebenfalls schwarze Hosen und eine Jacke mit einem breiten Gürtel trug und wie angewurzelt stehen blieb. »Ich … ich wollt … ich wollt nur …« Sein Gesicht war dunkel, nur das Weiß seiner Pupillen leuchtete. Er war höchstens ein, zwei Jahre älter als ich.
»Was willst!? Dir ein paar saftige Ohrfeigen fangen?«
»Nein, Meister … ich mein … ohh, Meister …«
»Verschwind!« Der Kaminkehrer wischte sich den Ruß aus dem Gesicht und je mehr er wischte, desto schwärzer wurde es. Auch ich hustete. Meine Augen brannten und tränten und ich sah, wie in der ganzen Küche feiner schwarzer Staub herniederregnete und sich auf Töpfe, Krüge, Bänke, Dielen legte. Nachdem der Kamin geputzt war und der Kaminkehrer und sein Lehrbub wieder fort waren, machte ich Feuer und setzte einen Kessel Wasser auf. Mit heißem Wasser, Seife und einem Lumpen schrubbte ich den Herd und den Sims, die Krüge und die Kasserollen. Ich nahm alle Teller und Schüsseln und Becher aus dem Schrank und spülte sie und putzte jedes Fach, bevor ich das Geschirr zurückstellte.
Zum Schluss warf ich den Lumpen ins Feuer und scheuerte den Boden mit einer Bürste. Draußen dämmerte es. Mein Gesicht spiegelte sich in einer Fensterscheibe. Das Weiß meiner Pupillen leuchtete. Ich sah aus wie die Kaminkehrer, schwarz vom Scheitel bis zu den Füßen.
Im Stall nahm die Bäuerin mich beiseite. »Melken kann ich, wir haben daheim sechs Kühe.«
»Trotzdem werd ich schauen, ob du es recht machst.«
Sie reichte mir einen Eimer. Ein Kälbchen blickte neugierig auf. »Bist ein liebes Mockele«, sagte ich und strich ihm über die Stirn. Das Kalb hob den Kopf und leckte meine Hand. Die Kuh sah aufmerksam zu. Ich klopfte ihr auf die Flanke, streichelte ihren faltigen Hals und tat auch ihr schön, damit sie keine Angst um ihr Junges hatte. Dann hockte ich mich ins Stroh. Mit dem Schürzenzipfel wischte ich Stroh vom Euter, fuhr mit den Daumen über die Zitzen und schon floss die Milch. Zügig wechselten meine Hände zwischen den Zitzen hin und her, strichen auf und ab und drückten, bis das Euter leer war, molken gründlich noch den letzten Rest aus. Das Kalb leckte mit seiner rauhen Zunge über meinen Arm. Die Bäuerin nickte und reichte mir einen Melkschemel.
Gemeinsam molken wir zwölf Kühe. Die Cecilia warf Futter vom Heuboden, ein anderes Weib, das ihr sehr ähnlich sah, fütterte das Vieh, der Bauer mistete. Die Kühe kauten, zermalmten das Futter zwischen ihren Zähnen und ab und zu hob eine den Schwanz und ein kräftiger Strahl ergoss sich ins Stroh.
»Kommst mit?«, fragte der Bauer, als er die Milchkannen auf den Karren lud. »Milch fortbringen zur Käserei?«
»Freilich.«
Er trieb den Gaul an, ich lief hinterher. Auf dem unebenen Weg den Hügel hinauf schaukelten die Kannen, und ich gab acht, dass keine umfi el. Der Himmel hing voller Wolken. Wind rauschte durchs Gras, und am Wegrand blühten Palmkätzchen, die kleinen Blüten glänzten silbern. »Das war eine rechte Freud in der Küche, gell?«
Der Bauer verzog sein knochiges Gesicht zu einem Grinsen. »Dein Einstand!« Er lachte und sein spitzes Kinn sah noch spitzer aus.
»Ist schon recht«, antwortete ich. Der Karren holperte durch Senken und Mulden, über Steine und Äste. Der Bauer schnalzte und trieb den Gaul an, doch das Ross war müde. Ich lehnte mich gegen die Rückwand und schob.
»Schaffst du’s?«
»Freilich!«
Leichter, kalter Regen setzte ein. Ich klappte den Kragen meiner Jacke hoch, stemmte mich gegen den Karren und jedes Mal, wenn der Gaul nachließ, schob ich die Milchkannen den Hügel hinauf. Der Bauer zog ein Taschentuch hervor, wischte sich über die Stirn und schneuzte sich. Sein Blick maß mich, doch bevor er etwas sagen konnte, rief ich: »Ist schon recht!«
Der Gaul schnaubte. Ich schwitzte. In der Käserei goss der Käser die Milch in einen Kessel. Seine weiße Gummischürze reichte bis zum Boden, darunter trug er blaue Hosen und ein graues Hemd, die Ärmel hatte er bis über beide Ellbogen aufgekrempelt. Er wartete, bis der Messbalken an der Milchwaage die Menge anzeigte, dann zog er einen Bleistift hinterm Ohr hervor, nahm aus einem Setzkasten an der Wand das Kontoheft des Bauern und trug die Zahlen ein. Der Senn füllte die Milch in den Milchkühler. Im Hintergrund glänzten die kupfernen Käsekessel.
Auf dem Heimweg spannte der Bauer aus und führte den Gaul am Geschirr, während ich den Karren mit den leeren Milchkannen den Hügel hinabzog. Der Weg erschien viel kürzer. »Wie weit ist es vom Hof zur Käserei?« »Einen Kilometer.« Der Bauer runzelte die Stirn. »Warum, machst schlapp?«
»Bestimmt nicht. Daheim ist der Weg doppelt so weit.«
Allerdings führte er erst auf den letzten zweihundert Metern bergan, doch das sagte ich nicht. Während der Bauer den Gaul ausschirrte, wusch ich die Milchkannen aus. »Und?«, fragte der Bauer, als wir ins Haus gingen. »Willst bleiben?«
»Freilich.«
Copyright © 2009 by Droemer Verlag
»Du musst nicht fort, wenn du nicht willst«, flüsterte die Mama und suchte meinen Blick.
»Aber ich tät Geld verdienen, wenn ich hier schaff«, flüsterte ich.
Im Hausgang polterten Schritte. Im nächsten Moment blies ein kalter Wind zur Tür herein. »Grüß Gott!« »Grüß Gott«, antworteten die Mama und ich wie aus einem Mund.
Der Bauer war ein kräftiger Mann mit knochigem Gesicht, spitzem Kinn und dicken wilden Locken. Er wirkte riesig, als er nur ein paar Schritte entfernt von mir stehen blieb und auf mich herabschaute. »Bist ja noch ein Mädle «, sagte er und maß mich mit einem Blick, so wie ein Viehhändler ein Kalb betrachtet.
Ich straffte die Schultern. »Aber ich kann schaffen.« Er hob sein Kinn und schnaubte: »Wie groß bist?«
Mit fester Stimme sagte ich: »Einen Meter vierzig.«
»Das ist nicht groß.« Er schnaubte wieder. An seiner Weste hing eine Uhrkette, in seinen Mundwinkeln klebten Krümel. Seine dicken Locken waren voller Staub und er roch nach Feuer. Er pulte in seinem Ohr, fuhr sich durchs Haar, musterte mich. Mir war, als würden Stunden vergehen. Dann schlug er in die Hände und reichte mir seine riesige, rissige Pranke. »Aber die Hebamme sagt, du bist ein gutes Mädle.«
»Ich hab daheim müssen melken, mähen und misten.
Ich kann Holz hacken, dreschen und Mehl machen. Ich kann kochen, buttern, nähen, stopfen, einwecken. Ich hab …« Ich machte eine Pause und schaute dem Futscher-Bauern mitten ins Gesicht. »Ich hab sogar schon allein einer Kuh ihr Kalb geholt.«
»Soso.« Er rieb sein Kinn. »Und wie alt bist, Mädle?«
»Sechzehn.«
»Und wie viele Kinder seid’s daheim?«
»Vier.«
»Da muss die Älteste beizeiten fort.«
Ich sagte nicht, dass ich Geld verdienen wollte. Ich sagte gar nichts. Stand nur still dort und wartete ab, was geschah.
»Warum gehst nicht zu Verwandten?«, fragte der Bauer.
»Das ist selten gut, lieber zu Fremden«, gab ich zurück. »Gut.« Der Bauer zog die Uhr aus seiner Westentasche, klappte sie auf und wieder zu. »Kriegst zehn Reichsmark im Monat.«
Ich nickte.
»Dafür musst ordentlich schaffen!«
Wieder nickte ich.
Bald darauf fuhr die Mutter heim. Es war der 11. April 1936.
Als ich später am Nachmittag in die Küche kam, stand eine Kasserolle auf dem Herd, an ihren Rändern klebte eingetrocknete Milch. Auf dem Boden lagen Reisigreste und kalte Asche. Ich band die Bänder meiner Schürze fester, klaubte das Reisig zusammen, sammelte ein paar schmutzige Kellen, Schöpfer und Rührlöffel ein, füllte Wasser aus einem Topf in die Kasserolle und scheuerte, bis die Ränder glänzten.
Im Kamin neben dem Herd rumpelte es.
Ich nahm einen Besen, der an einem Schrank lehnte, und fegte die Asche zusammen. Ordentlich reihte ich die Töpfe auf, hängte die Schöpfkellen an die Stange über dem Herd, legte den Schürhaken neben die Luke.
Auf einem gemauerten Sims standen drei graue Tonkrüge, ein blauer Krug mit Most und ein Butterfass. Ich öffnete die Schranktür; drinnen waren Teller, Schüsseln, Becher und Tassen gestapelt. Die Bäuerin besaß einiges Geschirr.
Im Kamin polterte es.
In der Schublade unterm Herd fand ich Feuerholz, doch es war kein Reisig zum Schüren da. Ich lief hinaus in den Hausgang. Unter der Treppe lagen sauber aufgestapelt Holzscheite, daneben gebundenes Reisig. Ich nahm ein Bündel.
»Die ist ja schon ganz daheim«, sagte eine Stimme. Ich fuhr zusammen. In der Stubentür stand die Bäu erin mit ihrem Baby im Arm, dahinter drängte sich ein kräftiges Weibsbild in einer geblümten Schürze. »Ich hab Feuer machen wollen«, sagte ich, es klang fast wie eine Entschuldigung.
»Ist schon recht«, sagte die Bäuerin. Das Baby greinte leise.
»Aber das Feuer muss warten«, rief das Weibsbild in der geblümten Schürze, lauter, als es nötig war. »Der Kaminkehrer ist gekommen!« Die Bäuerin trat beiseite und das Weib drängelte sich vor wie ein neugieriges Mädle.
Sie war größer als ich und kräftig, ihr Haar leuchtete wie reifer Weizen.
»Das ist die Cecilia, eine Schwester vom Bauern«, sagte die Bäuerin, schaukelte das Baby und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Cecilia kicherte. Ich stand dort, das Reisigbündel in den Händen, und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Komm mit.« Die Bäuerin schob mich in die Küche.
»Besser, du bist rührig, als wenn ich dir alles sagen muss.«
Im Kamin krachte und kratzte es. Ich legte das Reisig in die Schublade unterm Herd und wischte mir die Hände an der Schürze ab. »Kannst kochen? «, fragte die Bäuerin.
Ich nickte.
»Was kannst kochen?«
»Kartoffelsuppe, Erbsenbrei und Krautnudle.«
»Da musst du aber noch manches lernen!« Die Cecilia stand im Türrahmen, beide Hände in die Hüften gestützt. Die geblümte Schürze spannte über ihrer Brust. Sie gab ein gurgelndes Geräusch von sich; ich war sicher, dass es nicht das Baby war.
»Lass gut sein, Cecilia. Die Dora ist grad den ersten Tag hier.«
»Maultaschen kann ich auch.« Ich straffte die Schultern.
»Und Biskuit-Torte!« Entschlossen hielt ich Cecilias Blick stand. Sie lachte, es klang ein wenig dümmlich. Draußen im Hausgang polterten Schritte. Die Cecilia schlug die Augen zum Himmel. Das Baby begann zu weinen.
»Ssscht …«, machte die Bäuerin und strich dem Kind über den Kopf.
»Grüß Gott!« Ein Mannsbild in schwarzen Hosen und einer schwarzen Jacke, die ein breiter Gürtel zusammenhielt, betrat die Küche. Über seiner Schulter hing ein Seil mit einer schweren Eisenkugel am einen und einer Bürste mit festen, staubschwarzen Borsten am anderen Ende. Er sah sich um, schloss die Tür hinter sich und ging hinüber zum Schornstein. Mit jedem Schritt hinterließ er einen schwarzen Fußabdruck auf den Holzdielen, und die Cecilia rollte die Augen. Aus einer Schlaufe an seinem Gürtel zog der Kaminkehrer einen Haken und klopfte damit gegen die Tür am unteren Ende des Kamins. Das Baby schrie. Cecilia versuchte, den Buben zu trösten, doch es klang, als würde sie ihn ausschimpfen, ihre Stimme war laut und er schrie noch lauter. Der Kaminkehrer hockte sich nieder und öffnete die Luke. Im selben Moment stürmte ein Bub zur Tür herein. »Meister …«
Eine Rußwolke fuhr aus dem offenen Kamin.
»Herrschaftszeiten!« Der Kaminkehrer sprang auf, hustete und wischte sich die Augen. Die Bäuerin breitete einen Schürzenzipfel über den Kopf des Babys und lief hinaus, die Cecilia hinterher, schimpfend und hustend.
»Mei… Meister …«, stammelte der Lehrbub, der ebenfalls schwarze Hosen und eine Jacke mit einem breiten Gürtel trug und wie angewurzelt stehen blieb. »Ich … ich wollt … ich wollt nur …« Sein Gesicht war dunkel, nur das Weiß seiner Pupillen leuchtete. Er war höchstens ein, zwei Jahre älter als ich.
»Was willst!? Dir ein paar saftige Ohrfeigen fangen?«
»Nein, Meister … ich mein … ohh, Meister …«
»Verschwind!« Der Kaminkehrer wischte sich den Ruß aus dem Gesicht und je mehr er wischte, desto schwärzer wurde es. Auch ich hustete. Meine Augen brannten und tränten und ich sah, wie in der ganzen Küche feiner schwarzer Staub herniederregnete und sich auf Töpfe, Krüge, Bänke, Dielen legte. Nachdem der Kamin geputzt war und der Kaminkehrer und sein Lehrbub wieder fort waren, machte ich Feuer und setzte einen Kessel Wasser auf. Mit heißem Wasser, Seife und einem Lumpen schrubbte ich den Herd und den Sims, die Krüge und die Kasserollen. Ich nahm alle Teller und Schüsseln und Becher aus dem Schrank und spülte sie und putzte jedes Fach, bevor ich das Geschirr zurückstellte.
Zum Schluss warf ich den Lumpen ins Feuer und scheuerte den Boden mit einer Bürste. Draußen dämmerte es. Mein Gesicht spiegelte sich in einer Fensterscheibe. Das Weiß meiner Pupillen leuchtete. Ich sah aus wie die Kaminkehrer, schwarz vom Scheitel bis zu den Füßen.
Im Stall nahm die Bäuerin mich beiseite. »Melken kann ich, wir haben daheim sechs Kühe.«
»Trotzdem werd ich schauen, ob du es recht machst.«
Sie reichte mir einen Eimer. Ein Kälbchen blickte neugierig auf. »Bist ein liebes Mockele«, sagte ich und strich ihm über die Stirn. Das Kalb hob den Kopf und leckte meine Hand. Die Kuh sah aufmerksam zu. Ich klopfte ihr auf die Flanke, streichelte ihren faltigen Hals und tat auch ihr schön, damit sie keine Angst um ihr Junges hatte. Dann hockte ich mich ins Stroh. Mit dem Schürzenzipfel wischte ich Stroh vom Euter, fuhr mit den Daumen über die Zitzen und schon floss die Milch. Zügig wechselten meine Hände zwischen den Zitzen hin und her, strichen auf und ab und drückten, bis das Euter leer war, molken gründlich noch den letzten Rest aus. Das Kalb leckte mit seiner rauhen Zunge über meinen Arm. Die Bäuerin nickte und reichte mir einen Melkschemel.
Gemeinsam molken wir zwölf Kühe. Die Cecilia warf Futter vom Heuboden, ein anderes Weib, das ihr sehr ähnlich sah, fütterte das Vieh, der Bauer mistete. Die Kühe kauten, zermalmten das Futter zwischen ihren Zähnen und ab und zu hob eine den Schwanz und ein kräftiger Strahl ergoss sich ins Stroh.
»Kommst mit?«, fragte der Bauer, als er die Milchkannen auf den Karren lud. »Milch fortbringen zur Käserei?«
»Freilich.«
Er trieb den Gaul an, ich lief hinterher. Auf dem unebenen Weg den Hügel hinauf schaukelten die Kannen, und ich gab acht, dass keine umfi el. Der Himmel hing voller Wolken. Wind rauschte durchs Gras, und am Wegrand blühten Palmkätzchen, die kleinen Blüten glänzten silbern. »Das war eine rechte Freud in der Küche, gell?«
Der Bauer verzog sein knochiges Gesicht zu einem Grinsen. »Dein Einstand!« Er lachte und sein spitzes Kinn sah noch spitzer aus.
»Ist schon recht«, antwortete ich. Der Karren holperte durch Senken und Mulden, über Steine und Äste. Der Bauer schnalzte und trieb den Gaul an, doch das Ross war müde. Ich lehnte mich gegen die Rückwand und schob.
»Schaffst du’s?«
»Freilich!«
Leichter, kalter Regen setzte ein. Ich klappte den Kragen meiner Jacke hoch, stemmte mich gegen den Karren und jedes Mal, wenn der Gaul nachließ, schob ich die Milchkannen den Hügel hinauf. Der Bauer zog ein Taschentuch hervor, wischte sich über die Stirn und schneuzte sich. Sein Blick maß mich, doch bevor er etwas sagen konnte, rief ich: »Ist schon recht!«
Der Gaul schnaubte. Ich schwitzte. In der Käserei goss der Käser die Milch in einen Kessel. Seine weiße Gummischürze reichte bis zum Boden, darunter trug er blaue Hosen und ein graues Hemd, die Ärmel hatte er bis über beide Ellbogen aufgekrempelt. Er wartete, bis der Messbalken an der Milchwaage die Menge anzeigte, dann zog er einen Bleistift hinterm Ohr hervor, nahm aus einem Setzkasten an der Wand das Kontoheft des Bauern und trug die Zahlen ein. Der Senn füllte die Milch in den Milchkühler. Im Hintergrund glänzten die kupfernen Käsekessel.
Auf dem Heimweg spannte der Bauer aus und führte den Gaul am Geschirr, während ich den Karren mit den leeren Milchkannen den Hügel hinabzog. Der Weg erschien viel kürzer. »Wie weit ist es vom Hof zur Käserei?« »Einen Kilometer.« Der Bauer runzelte die Stirn. »Warum, machst schlapp?«
»Bestimmt nicht. Daheim ist der Weg doppelt so weit.«
Allerdings führte er erst auf den letzten zweihundert Metern bergan, doch das sagte ich nicht. Während der Bauer den Gaul ausschirrte, wusch ich die Milchkannen aus. »Und?«, fragte der Bauer, als wir ins Haus gingen. »Willst bleiben?«
»Freilich.«
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Autoren-Porträt von Dora Prinz
Sabine Eichhorst arbeitet für die ARD und schreibt Bücher. Sie wurde mit dem Civis Medienpreis der ARD ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dora Prinz
- 2009, 282 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 15 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarbeit: Eichhorst, Sabine
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426274183
- ISBN-13: 9783426274187
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