Einsteins Annus mirabilis
Fünf Schriften, die die Welt der Physik revolutionierten herausgegeben von John Stachel
LESEPROBE
Einsteins Dissertation zur Bestimmung der Moleküldimensionen
Etwa einJahr nach Abschluss seines Studiums an der Eidgenössischen Hochschule (ETH)reichte Einstein 1901 bei der Universität Zürich eine Dissertation ein, zog siejedoch Anfang 1902 zurück. Drei Jahre später promovierte er mit einer Arbeit, in der er dieMethoden der klassischen Hydrodynamik mit denen der Diffusionstheorie zu einemneuen Verfahren zur Bestimmung von Molekülgrößen und der Avogadro'schen Zahlverknüpfte, das er auf gelöste Zuckermoleküle anwandte. Einstein stellte dieDissertation am 30. April 1905 fertig und legte sie am 20. Juli bei der Universität Zürich vor.Am 19. August,bald nach der Annahme der Arbeit, ging bei den Annalen derPhysik eine leichtgeänderte Fassung ein.
Um 1905 kannten die Physiker mehrereVerfahren zur experimentellen Bestimmung von Moleküldimensionen. Seit langem schonversuchten sie, Obergrenzen für die Größe der mikroskopischen Bestandteile derMaterie abzuschätzen, aber erst als in der zweiten Hälfte des neunzehntenJahrhunderts die kinetische Gastheorie aufgestellt war, fanden sie die erstenzuverlässigen Verfahren zur Bestimmung von Molekülgrößen. Bei dem Problem der Moleküldimensionenergaben sich neue Ansätze aus der Untersuchung so unterschiedlicher Phänomenewie der Berührungselektrizität in Metallen, der Streuung von Licht und derStrahlung Schwarzer Körper. Die meisten der um 1900 bekannten Methoden führten zu mehroder weniger übereinstimmenden Werten für die Größe von Molekülen und für dieAvogadro'sche Zahl.
ObwohlEinstein behauptete, die in seiner Dissertation beschriebene Methode sei dieerste, die Flüssigkeitsphänomene zur Bestimmung von Moleküldimensionenverwende, spielte das Verhalten von Flüssigkeiten doch bei mehreren älteren Verfahreneine Rolle. So war beispielsweise der Vergleich von Dichten bei flüssigen undgasförmigen Zuständen ein wichtiger Teil des von Loschmidt auf der Grundlageder kinetischen Gastheorie entwickelten Verfahrens, und die von Thomas Youngbereits 1816 entwickelte Methode bezog sich sogar ausschließlich auf diePhysik von Flüssigkeiten. Youngs Untersuchung von Oberflächenspannungen inFlüssigkeiten ermöglichte eine Abschätzung der Reichweite molekularer Kräfteund Kapillarphänomene und wurde später auf mehrfache Weise zur Bestimmung vonMolekülgrößen genutzt.
Damals stand jedoch keine der kinetischen Gastheorie vergleichbarekinetische Theorie der Flüssigkeiten zur Verfügung, und die Ergebnisse derMessungen von Molekülvolumina allein aufgrund der Eigenschaften von Flüssigkeitenwaren nicht sehr genau. Einsteins Verfahren aber führte zu ähnlich genauen Wertenwie die kinetische Gastheorie. Während auf der Kapillarität gründende Verfahrendie Existenz molekularer Kräfte voraussetzen, ging Einstein von derGrundannahme aus, dass sich die Wirkung der als starre Kugeln behandeltengelösten Moleküle mit Hilfe der Viskosität des Lösungsmittels in einerverdünnten Lösung im Rahmen der klassischen Hydrodynamik berechnen lässt.
EinsteinsMethode eignet sich gut zur Bestimmung der Größe von gelösten Molekülen, diegroß sind im Verhältnis zu denen der Lösung. Im Jahr 1905 veröffentlichteWilliam Sutherland eine neue Methode zur Bestimmung der Massen großer Moleküle,die mit Einsteins Verfahren wichtige Elemente gemeinsam hat. Beide Methodenverwenden die von Nernst auf der Grundlage der van't Hoff'schen Analogiezwischen Flüssigkeiten und Gasen entwickelte molekulare Diffusionstheorie unddie Stokes'sche Formel für die hydrodynamische Reibung.
Sutherlandinteressierte sich für die Massen großer Moleküle, weil sie bei der chemischenAnalyse von Stoffen wie Albuminen eine Rolle spielen. Für Einstein standen beider Entwicklung eines neuen Verfahrens für die Bestimmung von Moleküldimensionenmehrere andere Probleme mit unterschiedlichem Grad der Allgemeinheit imVordergrund. Ein ungelöstes aktuelles Problem der Theorie der Lösungen war, obsich die Moleküle des Lösungsmittels an die Moleküle oder Ionen des gelöstenStoffes binden; Einsteins Dissertation trug zur Lösung dieses Problems bei. Ineinem Brief an Jean Perrin vom November 1909 erinnerte er sich: « Ich habeseinerzeit zur Bestimmung des Volumens des in Wasser aufgelösten Zuckersdeswegen die Viskosität der Lösung benutzt, weil ich so das Volumen eventuellangelagerter Wassermoleküle mit zu berücksichtigen hoffte.» Die Ergebnisse, dieer in seiner Dissertation herleitete, zeigen, dass es zu solcher Anlagerungkommt.
Über diesespezielle Frage hinaus erstreckten sich Einsteins Bemühungen auf allgemeinereProbleme der Grundlagen der Theorie der Strahlung und der Existenz von Atomen.Er betont weiter oben in demselben Brief: « Eine präzise Bestimmung der Größeder Moleküle scheint mir deshalb von höchster Wichtigkeit, weil durch einesolche die Strahlungsformel von Planck schärfer geprüft werden kann als durchStrahlungsmessungen.»
DieDissertation brachte Einstein auch den ersten großen Erfolg bei seinem Bemühenum weitere Belege für die Atomhypothese; dieses Bemühen gipfelte in seinerErklärung der Brown'schen Bewegung. Ende 1905 hatte er drei voneinanderunabhängige Verfahren zur Bestimmung von Moleküldimensionen entwickelt, und inden folgenden Jahren fand er einige mehr, wobei die in seiner Dissertationangegebenen am engsten mit seinen früheren Untersuchungen physikalischer Phänomenein Flüssigkeiten verwandt sind. (...)
© 2001 byRowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung:Anita Ehlers
- Autor: JOHN STACHEL (HG.)
- 2001, 217 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,6 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Hrsg. v. John Stachel
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499609347
- ISBN-13: 9783499609343
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