Eisnacht
Zum letzten Mal wirft Lilly Martin einen Blick auf die Hütte in den verschneiten Bergen von North Carolina. Dutch war bereits nach Cleary zurückgekehrt, wo er als Polizeichef die Suche nach einem verschwundenen Mädchen leitet. Es gab keinerlei...
Zum letzten Mal wirft Lilly Martin einen Blick auf die Hütte in den verschneiten Bergen von North Carolina. Dutch war bereits nach Cleary zurückgekehrt, wo er als Polizeichef die Suche nach einem verschwundenen Mädchen leitet. Es gab keinerlei Anhaltspunkte - außer einem blauen Band an der Stelle, an der man das Mädchen zum letzten Mal gesehen hatte.
Lilly ist mehr als bereit, ihr Leben mit ihrem hitzköpfigen Ex-Mann hinter sich zu lassen. Jetzt will sie nur noch dem aufziehenden Eissturm zuvorkommen und den spiegelglatten Weg nach Atlanta sicher hinter sich bringen. Da - ein Schatten, der unvermittelt aus dem Wald auftaucht, ein Schlag gegen das Auto. Das ist das Letzte, woran sich Lilly erinnert, bevor ihr Wagen gegen einen Baum kracht. Der aufziehende Blizzard lässt Lilly und dem verletzten Wanderer Ben Tierney keine andere Möglichkeit, als in der Berghütte Schutz zu suchen. Die Spannung zwischen ihnen ist greifbar - war es doch Tierney, der das Eis zwischen ihnen in einem heißen Flirt im letzten Sommer zum Schmelzen gebracht hatte. Doch jeder hütet misstrauisch seine Geheimnisse. Wie kristallene Nadelstiche kriecht die Angst ihren Rücken herab, als Lilly ein blaues Band findet. Schwebt sie in höchster Gefahr? In Sekunden muss sie entscheiden, ob sie ihrem Verstand - oder ihrem Instinkt folgen will.
Eisnacht vonSandra Brown
LESEPROBE
Das Grabwar nur ein Provisorium.
Dervorhergesagte Sturm sollte alle Rekorde brechen.
Das Grabfür Millicent Gunn - achtzehn Jahre, kurzes, braunesHaar, graziler Körperbau, ein Meter fünfundsechzig, vor einer Woche vermisstgemeldet - war kaum mehr als eine flache Kuhle, die man dem unnachgiebigenErdboden abgerungen hatte. Es war gerade so lang, dass das Mädchenhineinpasste. Das Problem mit der mangelnden Tiefe könnte man im Frühlingbeheben, sobald das Erdreich zu tauen begann. Falls die Aasfresser den Leichnamnicht schon vorher beseitigt hatten.
Ben Tierney lenkte den Blick von dem frischen Grab auf dieanderen daneben. Vier insgesamt. Windbruch und Totholzboten eine natürliche Tarnung, und doch veränderte jedes davon auf ganz eigeneWeise die zerklüftete Topografie; man musste nur wissen, worauf man zu achtenhatte. Über eines war ein toter Baum gestürzt, unter dem es nur für jemandenmit geschultem Blick zu erkennen war.
Fürjemanden wie Tierney.
Er warfeinen letzten Blick in das leere, flache Grab, hob dann die Schaufel zu seinenFüßen auf und trat einen Schritt zurück. Dabei bemerkte er die dunklenAbdrücke, die seine Stiefel in der weißen Decke aus Hagelkörnern hinterließen.Das war nicht weiter schlimm. Wenn die Meteorologen Recht behielten, wären dieStiefelspuren bald von tiefem Schnee oder Eisregen bedeckt. Und wenn der Bodenwieder taute, würden die Abdrücke im Schlamm versinken.
Jedenfallshielt er nicht an, um sie zu verwischen. Er musste ins Tal hinunter. Sofort.
Den Wagenhatte er ein paar hundert Meter vom Gipfel und dem provisorischen Friedhofentfernt auf der Straße abgestellt. Folglich ging es zwar bergab, doch ermusste sich mühsam durch den dichten Wald schlagen. Das dichte Unterholz verhinderte,dass der Boden schlüpfrig wurde, aber das Terrain war uneben und gefährlich,vor allem weil ihm der Hagel ins Gesicht prasselte und ihm die Sicht nahm.Obwohl er es eilig hatte, war er gezwungen, jeden Schritt mit Bedacht zusetzen, um einen Fehltritt zu vermeiden.
DerWetterbericht hatte diesen Sturm seit Tagen vorhergesagt. Es handelte sich umein Zusammentreffen mehrerer Wetterfronten, die zusammengenommen das Potenzialhatten, einen der schlimmsten Schneestürme in der jüngeren Geschichte zu bilden.Der Bevölkerung im mutmaßlich betroffenen Gebiet wurde geraten,Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, sich mit Proviant einzudecken und alleunnötigen Reisen zu unterlassen. Nur ein Irrer hätte sich heute auf den Berggewagt. Oder jemand, der etwas zu erledigen hatte, was keinen Aufschub duldete.
Wie Tierney.
Der kalteNieselregen, der am frühen Nachmittag eingesetzt hatte, war inzwischen in einenmit Hagel vermischten Eisregen übergegangen. Die Körner brannten wie Schrot aufseinen Wangen, während er sich durchs Dickicht schlug. Er zog die Schulternhoch und klappte den Mantelkragen nach oben, damit er die Ohren bedeckte, dievor Kälte schon taub waren.
DieWindgeschwindigkeit hatte merklich zugenommen. Die von wütenden Böen geprügeltenBäume schlugen die nackten Äste gegeneinander wie Trommelstöcke. Der Windzerrte die Nadeln von den Nadelbäumen und peitschte sie durch die Luft.
Eine bliebwie ein Dartpfeil in seiner Wange stecken.
Fünfunddreißig Stundenkilometer aus nordwestlicher Richtung, dachteer mit jenem Teil seines Gehirns, der automatisch den Zustand seiner Umgebungregistrierte. Er wusste solche Dinge - Windgeschwindigkeit, Zeit, Temperatur,Richtung - instinktiv, als hätte er in seinem Körper eine Wetterstation, eineUhr, ein Thermometer und ein GPS, die sein Unterbewusstsein unablässig mitsachdienlichen Informationen fütterten.
Es wareine angeborene Gabe, die er zur Kunst verfeinert hatte, indem er sich als Erwachsenerviel draußen aufgehalten hatte. Er musste diese ständig wechselnden Umweltdatennicht bewusst abrufen, trotzdem verließ er sich oft auf seine Fähigkeit, imNotfall sofort darauf zurückgreifen zu können.
Jetzt zumBeispiel verließ er sich darauf, denn es wäre ungut, auf dem Gipfel des Cleary Peak erwischt zu werden -dem zweithöchsten Berg in North Carolina nach dem Mount Mitchell -, während ersich mit einer Schaufel in der Hand im Laufschritt von vier alten Gräbern undeinem frisch ausgehobenen entfernte.
Dieörtliche Polizei war nicht gerade berühmt für ihre hartnäckigen Ermittlungenund ihre phänomenale Aufklärungsquote. Im Gegenteil, das örtliche PoliceDepartment war ein Witz. Der Chief war ein Großstadtdetective auf dem absteigenden Ast, den man ausseinem früheren Department rausgeworfen hatte.
Chief Dutch Burton führte eineRiege unfähiger Kleinstadtpolizisten - Dorfdeppen in geschniegelten Uniformenund mit funkelnden Polizeimarken -, die schon fast überfordert gewesen waren,den Sprayer zu fangen, der die Müllcontainer hinter der Texaco-Tankstellemit Obszönitäten besprüht hatte.
Jetztkonzentrierten sie sich auf die fünf ungeklärten Vermisstenfälle. Trotz ihrerBeschränktheit waren die Gesetzeshüter von Cleary zudem Schluss gelangt, dass es höchstwahrscheinlich doch kein Zufall war, wenn ineiner kleinen Gemeinde innerhalb von zweieinhalb Jahren insgesamt fünf Frauenverschwanden.
In einerGroßstadt wäre diese Statistik von anderen, grausigeren überschattet worden.Aber hier, in dieser bergigen, dünn besiedelten Gegend schlugen die Wogen hoch,wenn fünf Frauen verschwanden.
Außerdemherrschte allgemein die Auffassung, dass die vermissten Frauen einem Verbrechenzum Opfer gefallen waren, weshalb sich die Behörden darauf konzentrierten,menschliche Überreste und nicht die Frauen selbst zu finden. Es würdejedenfalls Verdacht erregen, wenn jemand mit einer Schaufel durch den Waldspazierte.
So wie Tierney. (...)
©Verlagsgruppe Random House
Übersetzung:Christoph Göhler
Nein, faul ist Sandra Brown nun wahrlich nicht, und auch über mangelnden Erfolg kann sie nicht klagen: Gut 70 Romane hat sie verfasst, und seit 1990 schafften alle ihre Bücher den Sprung in die Bestsellerlisten. Insgesamt über 70 Millionen Exemplare ihrer Bücher fanden bisher den Weg zu ihren Lesern, darunter Übersetzungen in insgesamt 33 Sprachen.
Sandra Brown ist bekennende Texanerin: Sie wurde in Waco geboren, wuchs in Fort Worth auf und studierte Anglistik an der Texas Christian University. Bevor sie 1981 mit dem Schreiben begann, hatte sie als Model und beim Fernsehen gearbeitet, wo sie Wettervorhersagen ebenso charmant zu präsentieren wusste wie die Sendung „PM Magazine“. Heute lebt sie zusammen mit ihrem Mann Michael Brown in Arlington im Bundesstaat – genau – Texas.
Ob Liebesgeschichte oder Thriller: Man darf auf weitere Bücher der Star-Autorin gespannt sein – vorausgesetzt, sie widersteht auch weiterhin tapfer allen Lockungen des Müßiggangs. Doch wer wollte daran zweifeln?
- Autor: Sandra Brown
- 2008, 2, 511 Seiten, Maße: 15 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Christoph Göhler
- Übersetzer: Christoph Göhler
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764502223
- ISBN-13: 9783764502225
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