Erbarmungslos
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Erbarmungslos von G. M. Ford
LESEPROBE
Blutzoll
Gott allein mochte wissen, wo ereinen Anzug mit orangefarbenem
Karomuster aufgetrieben hatte. Wahrscheinlichin
irgendeinem Retro-Ladenoben am Broadway. Das Jackett
zwei Nummern zu klein, die Schulternstanden hoch wie
Epauletten. Die Hose war 15Zentimeter zu kurz, als rechne
er mit Hochwasser. BreiteHosenaufschläge derbe Lederschuhe
keine Socken
Sein Anwalt MyronMendenhal dagegen war geradezu
der Inbegriff der Eleganz. Schickeranthrazitgrauer Dreiteiler.
Ein Ring am kleinen Finger mit einemDiamanten, so groß
wie das Ritz. Zog aus reinerGewohnheit andauernd seine
Manschetten herunter und sorgte somit viel Geschmack dafür,
dass die RolexDouble Diamond stets zu sehen war.
Mendenhal hatte seinen Standpunkt bereitsdargelegt.
Zwei- oder dreimal sogar. Im Namenseines Mandanten verklagte
er sowohl die Stadt Seattle als auchden Bundesstaat
Washington. WiderrechtlicheStrafverfolgung. Drei Millionen
Schadenersatz. Zehn MillionenSchmerzensgeld. Von
jeder der beklagten Parteien.Zivilrechtsklagen würden folgen.
Der einzige Grund, weshalb er immernoch redete, war,
um zu verhindern, dass sein Mandantes tat. Als der Blödmann
das letzte Mal den Mund aufgemachthatte, hatte es
einen Riesenaufruhr gegeben. EinMann in der vordersten
Reihe hatte die Fassung verloren undhatte versucht, über
den Tisch hinwegzuklettern und aufsie loszugehen. Er hatte
es zur Hälfte durch den Wald ausMikrofonen geschafft, ehe
eine Polizistin ihn am Gürtelgepackt und zu Boden gerissen
hatte.Vier Polizeibeamte waren nötig gewesen,um ihn aus
dem Raum zu bugsieren, und es hattezehn Minuten gedauert,
bis die Elektronik wiederfunktionierte. Der Widerhall der
gequälten Schreie des Mannes ließnoch immer die Vorhänge
beben, und ein Geruch nachverschossenen Hormonen hing
wie Pulverdampf in der Luft. KeinZweifel, Myron Mendenhal
war bereit, so lange weiterzuquasseln,wie es notwendig
war.
»Wie entschädigt man einen Mann fürdrei Jahre seines
Lebens?«, fragte er. »Gibt es einenBetrag, der das Herz eines
Menschen wiederherstellen kann, derjahrelang mit dem
Schreckgespenst seines unmittelbarbevorstehenden Todes
gelebt hat? Der auf dem Tisch desTodes gelegen hat? Ich glaube
nicht. Können wir -«
Der Mandant beugte sich zu denMikrofonen vor. »Wenn
nich er oder ich, dann isses eben wer anders, klar?«
»Bitte?«, fragte jemand aus derReihe der an der Wand stehenden
Reporter.
Mendenhal hielt den Arm vor die am nächstenstehenden
Mikrofone und flüsterte seinemMandanten etwas zu. Zuerst
flehend. Dann heftig. Das Publikumhielt kollektiv den Atem
an, als Himesden Arm ausstreckte und die Hand über Mendenhals
Mund und Nase legte. Während sichder Anwalt noch
mit hervorquellenden Augen hinterseiner quadratmetergroßen
Pranke wand, verzog der Mandantseine gummiartigen
Lippen und rutschte mit seinem Stuhlnäher an das an Buchstabensuppe
gemahnende Mikrofondickicht heran.
»Hab gesagt, irgendwer wird dadraußen immer irgendwelche
Scheißzicken kaltmachen. Weiber un noch mehr
Weiber wer nins Gras beißen, überall, bis ihr alle bis zum
verdammten Arsch in toten Bräutensteckt.«
Sieben verschiedene Kameras hieltenden Anfang dessen
fest, was als Nächstes geschah. DerMann in der vordersten
Reihe erhob sich langsam. Er fuhrsich mit beiden Händen
übers Gesicht, als wische erSpinnweben fort. Drehte Mendenhal
und seinem Mandanten den Rücken zu.Beugte sich
herab und schien der Frau, die nebenihm saß, etwas ins Ohr
zu flüstern. Inzwischen eilte dashalbe Dutzend extra angeheuerter
Sicherheitsleute, die im Festsaaldes Hotels stationiert
waren, schon auf ihn zu, doch es warzu spät.
Als sich der Mann wiederaufrichtete, hielt er einen 45er
Colt Automatik aus dem ZweitenWeltkrieg in beiden Händen.
Mit Tränen in den Augen schaute erdurch den voll besetzten
Saal und stieß eine einzige Silbehervor. Und dann
drehte er sich zur Stirnseite desRaumes um, hob die Waffe
und begann abzudrücken.
Wenn man sich die NBC-Aufnahmenansieht, kann man
sehen, wie der Mandant vierVolltreffer in die Brust abbekommt.
Jedes Mal lässt der Einschlag seinenStuhl nach hinten
kippen, so dass die vorderen Beineabheben; dann krachen
sie unter seinem Gewicht wieder aufden Boden. Wenn
man das Band in Zeitlupe ablaufenlässt, sieht man die Kugel
einschlagen und durch dengrellorangefarbenen Stoff seines
Anzugs fetzen. Man kann zusehen, wiedie zweite Kugel höher
trifft, ein Stück der Schulterwegreißt und die eine Seite
von MendenhalsGesicht unter Hochdruck mit Blut und
Knochensplittern bespritzt. Jetztsollte man das Band anhalten,
gleich nachdem der dritte Treffersich in den Anzug
beult, und ein paar Einzelbilderweiterschalten. Und dann,
genau da, anscheinend ganzplötzlich, verfärbt sich das Orange
zu Rot, und der Mandant kipptlangsam von seinem Stuhl,
während jenes seltsame,geheimnisvolle Lächeln noch immer
auf seinen Lippen verharrt.
Mittlerweile herrscht im Festsaalabsolute Panik. Als sich
der Mann mit der Waffe zum Publikumumdreht, filmt nur
der abgebrühte NBC-Kameramannweiter. Alle anderen gehen
in Deckung. Der Rest der Aufnahmenwirkt wie aus The
BlairWitch Project.
Leute, die dort gewesen sind - undweiß Gott, die halbe
Stadt behauptet, damals dabeigewesen zu sein -, sagen,
alle Luft sei schlagartig aus demRaum verschwunden und
habe trockene, zerkratzte Lungenzurückgelassen, in jenem
schrecklichen, schweigenden Moment,als der Mann sich die
Waffe in den Mund steckte undabdrückte.
© Verlagsgruppe Random House
Übersetzung: Marie-Luise Bezzenberger
- Autor: G. M. Ford
- 2005, 380 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Marie-Luise Bezzenberger
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442458463
- ISBN-13: 9783442458462
(Booklist)
""Erbarmungslos" ist ein Volltreffer - so spannend wie eine tickende Zeitbombe, außerordentlich atmosphärisch, brillant geschrieben, glaubhafte Charaktere und ein unverwechselbarer Protagonist. Dieser Roman ist ein Muss."
(Harlan Coben)
"G.M. Ford ist einer meiner Lieblingsautoren. Und mit diesem Roman hat er sich an die Spitze des Thriller-Genres geschrieben - besser geht es nicht."
(Dennis Lehane)
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
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