Erklär mir deine Welt
Erklär mir die Welt von Brigitte Lämmle und Frank Haase
LESEPROBE
Vorwort
Für viele Fernsehmacherist sie eine »Unsendung«, wie es lie-
bevoll provozierend der Schweizer Fernsehjournalist Kurt
Aeschbacher in seiner DRS- Late-Talksendung des Schweizer
Fernsehens formulierte;für einige kritische Beobachter und
Fachkollegen gelten dieGespräche, die jede Woche Samstag-
nacht (SWR, 23.20-0.50 Uhr) geführt werden, schlichtwegals
»Untherapie« und werdenals Provokation begriffen.
Besser ließe sich derSolitär »Lämmle live« nicht kennzeich-
nen: eine untherapeutische Unsendung, die aus einerzweifachen
Verneinung herausWertschätzung erfährt, weil sie sich gängigen
TV-Formaten undinstitutionalisierten Räumen und Ritualen
psychotherapeutischerProblemlösestrategien entzieht.
Die Resonanz auf dieSendereihe ist beeindruckend; die
>Fan-Gemeinde<groß. Immerhin erreicht »Lämmle live« bun-
desweit ca. eine halbe Million Fernsehzuschauer, ohne dass
in diesenGfK-Zuschauerzahlen die Schweiz und Österreich
berücksichtigt sind. Dasdoppelte Un- weckt zudem bei Print-
wie Fernsehjournalistenein lebhaftes Interesse an der Person
»Lämmle«, was sich seitJahren in zahlreichen Anfragen wider-
spiegelt. Allen gemeinsamist das Interesse, dem Phänomen
»Lämmle« auf die Spur zukommen, das gerne wie folgt befragt
wird: Wie schafft sie es,innerhalb kürzester Zeit zum Kern des
Problems zu kommen? Wiegelingt es ihr, bei vielen Menschen ei-
nen Umschwung herbeizuführen?
Vielfach meint man, desRätsels Lösung gründe in einer fast schon
magisch zu nennendenIntuition, in einem bewunderungswürdigen
Einfühlungsvermögen odersogar in einer wie auch immer gearteten
Begabung, Problemeerkennen und lösen zu können. Bei all diesen
Deutungs- undErklärungsversuchen wird schlichtweg übersehen, dass
nicht persönliche Eigenheiten,sondern die Gespräche selbst der
Schlüssel sind, um zujenem vordringen zu können, was Brigitte Lämmle
als öffentliche Persondarzustellen bereit ist.
Jüngstes Beispiel findetsich im Artikel »Die Weichmacherin«
von Tanja Kokoska, Frankfurter Rundschau vom 19. 3. 2002), in
dem der Leiter desPsychologischen Forums Offenbach, Werner Gross,
mit folgenden Wortenzitiert wird:
»Diese Intuition vonBrigitte Lämmle, die kann man nicht lernen«,
sagt Werner Gross, Leiter des Psychologischen Forums Offenbach.
»Das ist eine Begabung,so wie jemand eine Geige in die Hand nimmt
und darauf spielt, alshätte er sein Leben lang nichts anderes getan«.
Natürlich, ergänzt Gross, könne man sich fragen, ob die Welt eine
solche Sendung »überhauptbraucht«. Aber: »Wenn man es schon macht,
dann so« - trotz aller»narzisstischer Dimension«, die er »Lämmle live«
durchaus zuspricht. Denn»zentrale Figur«, so Gross, sei nicht der
Anrufer, sondern derZuschauer, und das Ziel der Sendung eine möglichst
deutlicheVerallgemeinerung der jeweiligen Problematik, damit auch
der auf der eigenen Couchlümmelnde Pantoffelheld »was davon hat
« - von der sexuellenEinöde, der Essstörung, der Depression von
Kerstin oder Karsten, wieauch immer die Anrufer heißen.
Brigitte Lämmleappelliert an die Fantasie, in der alles möglich ist
- Aussöhnen, Verzeihen,Loslassen und zuweilen sogar ein neues Leben.«
Es ist spaßig, wie WernerGross intuitionistischargumentiert und
dabei seine eigeneIntuition übersieht. Auch Geigen-Virtuosen, wie
etwa Anne-Sophie Mutteroder Gidon Kremer, werden nicht im zarten Kindesalter
ihre Geige in die Handgenommen und aus dem Stand Beethovens Violinkonzert
gespielt haben. Der Wertvon Bildern und Vergleichen setzt auch deren Verständnis
voraus.
Wie sagte der KomponistRobert Schumann so schön: »Das Talent arbeitet,
aber das Genie schafft.« Das gilt auch für Psychologen und für
professionelleTherapeuten im Besonderen, denen Begabung bei der
therapeutischen Arbeit nahezu nichts hilft.
Bemerkenswerterweise,weil kennzeichnend für die heutige Medienlandschaft
wie auch mancherorts fürdie Fachwelt, geht das doppelte Un- aus
dem konsequentenÜbersehen des Wesentlichen hervor: den Gesprächen*.
© Hoffmann & CampeVerlag
Interview mit Brigitte Lämmle
Mal ehrlich, hätten Sie sich während ihres Studiums träumenlassen, einmal die bekannteste und erfolgreichste Fernseh-PsychologinDeutschlands zu werden?
Während des Studiums hatte ich andereDinge zu tun als zu träumen: z.B. Erwachsenwerden, erste große Liebe,Diskutieren.
Wie kamen Sie eigentlich zum Fernsehen?
Meine Freundin bekam ein Kind, Ichbesuchte sie, traf dort auf eine Printmedienfrau, schrieb einen Artikel, einRedakteur des legendären SWF 3 griff dieses Thema auf, hatte zunächst eineeinstündige, zuletzt eine dreistündige Radiosendung "SWF 3 - Kennwort",die dann auch parallel im Fernsehen lief. Daraus wurde dann ab 1996 "Lämmlelive".
Was reizt Sie - im Gegensatz zu Ihrer Arbeit in der eigenen Praxis- an der psychologischen Beratung via TV?
Es macht mir ungeheueren Spaß, vielenMenschen zu begegnen. Zugleich aber lasse ich mir bei meiner Arbeit über dieSchultern schauen, so dass das therapeutischen Arbeiten - auch meinerBerufskollegen - auf diesem Weg transparenter wird.
Wer Ihre Sendung kennt, ist fasziniert, wie schnell Sie zum Kerndes Problems vordringen. Wie gelingt Ihnen das?
Zuhören, zuhören, zuhören. Fragen.Zuhören...
Wie gehen Sie mit Kritik um? Was sagen Sie denen, die Ihre Arbeit alseine Art "Schnell-Schuss-Psychologie" bezeichnen?
Angenommen, es gäbe eine solche Kritik,dann würde ich es wie Thomas Gottschalk halten: Anwürfe lese ich nicht.Konstruktive Kritik aber als permanentes Transparentwerden meiner Arbeit holeich mir ständig durch kollegiale Supervision und aus Gesprächen mit Kollegen.
DieFragen stellte Roland Große Holtforth, literaturtest.de.
- Autoren: Brigitte Lämmle , Frank Haase
- 2004, 220 Seiten, Maße: 12,3 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404605411
- ISBN-13: 9783404605415
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