Ernstfall Menschenrechte
Gelten die Menschenrechte in den Religionen?
Dieses Aufsehen erregende Sachbuch befragt Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Wie im Brennspiegel wird deren Verhältnis zu den Menschenrechten deutlich, wenn es um die Würde...
Dieses Aufsehen erregende Sachbuch befragt Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Wie im Brennspiegel wird deren Verhältnis zu den Menschenrechten deutlich, wenn es um die Würde...
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Produktinformationen zu „Ernstfall Menschenrechte “
Gelten die Menschenrechte in den Religionen?
Dieses Aufsehen erregende Sachbuch befragt Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Wie im Brennspiegel wird deren Verhältnis zu den Menschenrechten deutlich, wenn es um die Würde und die Rechte der Frauen geht. Fazit: Es gibt großen Nachholbedarf in allen Religionen, wenn es um die Wahrung von Menschen- und Frauenrechten geht.
Menschenrechte in Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus
Frauenrechte in den Weltreligionen
Dieses Aufsehen erregende Sachbuch befragt Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Wie im Brennspiegel wird deren Verhältnis zu den Menschenrechten deutlich, wenn es um die Würde und die Rechte der Frauen geht. Fazit: Es gibt großen Nachholbedarf in allen Religionen, wenn es um die Wahrung von Menschen- und Frauenrechten geht.
Menschenrechte in Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus
Frauenrechte in den Weltreligionen
Klappentext zu „Ernstfall Menschenrechte “
Gelten die Menschenrechte in den Religionen? / Dieses Aufsehen erregende Sachbuch befragt Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Wie im Brennspiegel wird deren Verhältnis zu den Menschenrechten deutlich, wenn es um die Würde und die Rechte der Frauen geht. Fazit: Es gibt großen Nachholbedarf in allen Religionen, wenn es um die Wahrung von Menschen- und Frauenrechten geht. /
Gelten die Menschenrechte in den Religionen?Dieses Aufsehen erregende Sachbuch befragt Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Wie im Brennspiegel wird deren Verhältnis zu den Menschenrechten deutlich, wenn es um die Würde und die Rechte der Frauen geht. Fazit: Es gibt großen Nachholbedarf in allen Religionen, wenn es um die Wahrung von Menschen- und Frauenrechten geht.
Lese-Probe zu „Ernstfall Menschenrechte “
Religionen und Menschenrechte von Katharina Ceming Aufriss des Vorhabens
Die Verabschiedung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen im Jahr 1948 kann mit Sicherheit als eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit betrachtet werden, da sich Länder unterschiedlichster Couleur auf eine ethische Grundlage im Umgang der Menschen miteinander einigten. Vieles von dem, was vor gut sechzig Jahren von den meisten Staaten der Welt unterzeichnet wurde, hat bis heute allerdings nur auf dem Papier seine Gültigkeit. In den letzten beiden Jahrzehnten trat zur absichtlichen Ignorierung von Menschenrechtsvereinbarungen durch staatliche Instanzen noch eine gezielte Kritik an diesen hinzu. Ein wesentliches Argument, wenn es um die Ablehnung der Menschenrechtsidee geht, ist die Behauptung, dass diese nicht mit den eigenen kulturellen und religiösen Traditionen zu vereinbaren sei, da es sich bei der Allgemeinen Menschenrechtserklärung um ein westliches und modernes Konzept handle.
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Wo die Ablehnung der Menschenrechtsidee in ihrem Gesamt oder in einzelnen Punkten durch einen Rückgriff auf die Religion geschieht und diese als Abwehrmechanismus universeller Menschenrechte fungiert, ist es notwendig zu klären, ob die jeweilige Religion nicht aus ideologischen Gründen zur Verhinderung der Durchsetzung von Menschenrechten instrumentalisiert wird. Denn Menschenrechte »sind immer auch Stachel im Fleisch einer Kultur, welcher die eigenen Traditionen und Gewohnheiten angenehm geworden sind«1. Entscheidend ist also die Frage, ob die behauptete Nicht-Kompatibilität von Menschenrechten mit der eigenen Kultur und Religion tatsächlich in bestimmten Lehrgehalten gründet oder ob es sich bei den als unveränderbar postulierten religiösen Werten, die mit den Menschenrechten im Konflikt stehen, nur um kulturelle Normen handelt, die religiös legitimiert werden.
Zur Klärung dieser Fragen ist es notwendig, als Erstes das Menschen- und Weltbild der Religionen, wie es in den jeweils heiligen Schriften formuliert wird, zu beleuchten. Da religiöse Lehren jedoch immer auch durch die Tradition interpretiert wurden, gilt es ferner, deren Auslegungen, Darstellungen und Weiterentwicklungen zu untersuchen. Wo es zu Konflikten zwischen religiösen Normen und Menschenrechten in den traditionellen Systemen kommt , ist es wichtig, alternative Auslegungsformen religiöser Grundanschauungen zu Wort kommen zu lassen, die eine Versöhnung der jeweiligen Religion mit den Menschenrechtsgedanken ermöglichen.
Ein besonderer Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf den sogenannten Menschenrechten der ersten Generation , d.h. den klassischen Freiheits- und Abwehrrechten, da diese auf den Schutz der Würde des Menschen abzielen. Weil diese Rechte oftmals ›Männerrechte‹ waren und sind, ist ferner zu untersuchen, in welcher Weise Religionen Menschenrechte auch als Frauen- recht e verstehen bzw. welche Argumentationen vorgebracht wurden und werden, um Frauen diese Rechte vorzuenthalten. Die Stellung der Frau und ihrer Rechte in den religiösen Systemen kann als ein Gradmesser der Verwirklichung von Menschenrechten in den jeweiligen Religionen gelten. Wo Frauen unter Bezugnahme auf religiöse Normen, Werte, Traditionen fundamentale Rechte, sei es im religiösen oder gesellschaftlichen Bereich, vorenthalten werden, die Männern selbstverständlich zustehen, kann nicht von einer echten Akzeptanz und Verwirklichung der Menschenrechte als universellen Rechten gesprochen werden. Dass die Verletzung fundamentaler Menschenrechte von Frauen bis heute oftmals nicht als Menschenrechtsverletzung wahrgenommen wird2, hängt damit zusammen, dass sie sich in der Regel nicht im staatlichen, sondern im familiären und privaten Bereich ereignet, wozu eben auch ein großer Teil der religiösen Sphäre zählt.
A. Geschichte der Menschenrechte
1. Geistesgeschichtliche Grundlagen der Menschenrechtsidee
Zwei Aspekte der philosophisch-theologischen sowie juristischen Tradition des Abendlandes hatten entscheidenden Anteil an der Entwicklung universeller Menschenrechtskataloge: die Idee der Gleichheit aller Menschen aufgrund der menschlichen Natur, die entweder in seiner Schöpfung durch Gott oder in seiner Vernunfthaftigkeit grundgelegt gesehen wurde, und die Vorstellung von einem ewigen Naturrecht , das unabhängig von menschlichem,
d.h. gesatztem Recht ist. »Das Naturrecht versucht, die Menschenrechte aus dem Wesen des Menschen heraus zu begründen. Dem Menschen werden als solchem, aufgrund der Tatsache, daß er ein Mensch ist, aufgrund seiner Natur, bestimmte unveräußerliche Rechte zugesprochen. Diese Rechte haben vorstaatlichen Charakter, ihre Begründung muß demnach unabhängig vom positiven Recht und jeglicher bereits existierender Gesellschaft erfolgen.«1 Beide Aspekte waren aufs Engste miteinander verbunden. Aufgrund seines Menschseins wurden dem Menschen bestimmte Rechte zugesprochen, die nicht von einem Staat oder Herrscher verliehen wurden. Auch wenn diese Gedanken herrschaftspolitisch mehr als 2500 Jahre bis zu ihrer Realisierung benötigten, so waren sie im Abendland in der griechischen Antike bei verschiedenen Philosophen schon vorgedacht worden. 1.1 Die Würde des Menschen Die Idee der Gleichheit aller Menschen, die meist mit dem Konzept einer jedem Menschen innewohnenden Würde verknüpft war, äußerte sich im Abendland philosophisch betrachtet zum ersten Mal in gehäufter Form in der kynischen und stoischen Philosophie . Die stoische Ethik mit ihrer Betonung der Menschenliebe beeinflusste u.a. das entstehende Christentum , welches seinerseits den Gedanken der menschlichen Würde mit der biblischen Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen verband.
Der Gedanke eines universal gültigen Gesetzes, das durch kein menschlich verfasstes Gesetz aufhebbar ist, trat in der abendländischen Tradition durch den griechischen Tragödiendichter Sophokles ins öffentliche Bewusstsein. Von da an etablierte sich dieser Gedanke in der folgenden Zeit in immer mehr philosophischen Traditionen. Beide Aspekte, der Gedanke der Gleichheit aller Menschen und die Vorstellung eines durch keine menschliche Autorität aufhebbaren Naturgesetzes , sowie deren Bearbeitung und Weiterentwicklung durch die unterschiedlichsten theologischen und philosophischen Traditionen, bildeten letztlich den Grund und Boden für die konkrete Formulierung von unveräußerlichen, menschlichen Rechten, wie sie in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 niedergelegt sind. Für die Entwicklung der Menschenrechtsidee gilt daher: »Kein historischer Vorgang und kein ideengeschichtlicher Denkansatz können die Entstehung und den Durchbruch der Menschenrechtsidee ausschließlich für sich okkupieren und die alleinige Urheberschaft beanspruchen.« Dies gilt letztlich auch für die europäische Geistesgeschichte selbst, die die Menschenrechtsvorstellungen zwar kodifizierte, keinesfalls aber als Urheber ihrer einzelnen Gehalte gelten kann.
1.1.1 Die Notwendigkeit der Unbedingtheit der menschlichen Würde Die Idee der Menschenrechte gründet in der Vorstellung der Unverletzbarkeit der menschlichen Würde . Traditionell wurde diese Würde als eine jedem Menschen innewohnende Wesenheit gesehen. »Der Mensch hat einen Eigenwert, der seine Würde ausmacht. Dieser Wert ist angeboren in dem Sinn, daß er jedem Lebewesen, das als Mensch auf die Welt kommt, als von seinem Menschsein unabtrennbare Qualität zu eigen ist, die zu seinem Wesen gehört und nicht durch besondere Fähigkeiten oder Leistungen erworben ist [...].« Demnach kann niemand und nichts die menschliche Würde aufheben. Würde kommt jedem Menschen ausschließlich qua seines Menschseins zu, unabhängig von seiner Hautfarbe, seiner ethnischen Abstammung, seiner Religion, seinem Geschlecht, seinen Überzeugungen und Handlungen. Keinem Menschen kann jemals diese Würde abgesprochen werden; auch dem nicht, der sie anderen raubt. Selbst Massenmörder und Kriegstreiber verlieren sie nicht, was nicht bedeutet, dass sie für ihre Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden können, doch darf die Strafe nicht ihre Würde tangieren.
Die Unverfügbarkeit der Würde gilt aber auch für Menschen, die zeitweise oder dauerhaft nicht über die Fähigkeit verfügen, die gemeinhin den Menschen vom Tier unterscheidet: das Selbstbewusstsein. Denn jegliche Bindung der menschlichen Würde an die aktuelle Fähigkeit, sich seiner selbst bewusst zu sein, wirft im Falle ihres zeitweisen oder dauerhaften Verlustes wieder die Frage nach der Unverfügbarkeit der menschlichen Person auf. Macht nur die aktuelle Fähigkeit des Selbstbewusstseins den Menschen zum Menschen, dann wäre weder ein Koma-Patient noch ein Demenzkranker, ein schwer geistig Behinderter, ein im Rausch Befindlicher oder im extremen Fall ein schlafender Mensch ein Mensch.
Die Überzeugung, dass die Würde der Person nicht im Aktual-, sondern im Potenzialzustand des Menschseins wurzelt, wurde und wird jedoch immer wieder in Zweifel gezogen. Wie problematisch eine Ethikbegründung ist, die beim Aktualzustand ansetzt, zeigt das Beispiel des prominentesten Bestreiters einer absolut unverlierbaren menschlichen Würde, Peter Singer. Der australische Philosoph stimmt zwar mit der Tradition darin überein, Lebewesen in drei Kategorien einzuteilen: unbewusste, bewusste und selbstbewusste. Zur untersten gehören die nicht-bewussten Lebewesen (Pflanzen, niedere Tiere), zur mittleren solche mit Bewusstsein (höhere Tiere), zur obersten die mit Selbstbewusstsein. Aber trotz dieser Differenzierung akzeptiert Singer Selbstbewusstsein nicht als Kriterium einer größeren Werthaftigkeit des Lebens.
Was Singer zudem von der Tradition unterscheidet, ist die Tatsache, dass er Wesen nur entsprechend ihres Aktualzustandes in eine dieser Kategorien einteilt. Konkret bedeutet dies, dass ein Mensch, wenn er z.B. durch eine angeborene kognitive Behinderung oder durch eine krankheitsbedingte Veränderung nicht mehr über die Fähigkeit des Selbstbewusstseins verfügt, nicht zur obersten Kategorie gehört. Der Mensch ist nicht Person, weil er zur Gattung Mensch gehört, sondern weil er aktuell über ein Selbstbewusstsein verfügt. Wo dies nicht der Fall ist, gehört der Mensch nur zur biologischen Gattung ›homo sapiens‹, die streng unterschieden wird von der mit Selbstbewusstsein ausgestatteten Kategorie ›Person‹. Personsein ist unabdingbar mit der Fähigkeit des Selbstbewusstseins verbunden, nicht aber mit der Zugehörigkeit zur Gattung ›homo sapiens‹. Tiere, die über ein Selbstbewusstsein verfügen, wie z.B. Schimpansen, sind dementsprechend auch Personen.
Gemäß dieser Definition, wonach nicht die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch das ›Personsein‹ des Menschen ausmacht, sondern nur sein aktueller und faktischer Zustand, gelten Koma-Patienten, Demenzkranke etc. nicht als Personen. Letztlich steht nach Singers Ansicht jedes gesunde Säugetier über einem schwer hirngeschädigten Menschen: »Menschenaffen, kleinere Affen, Hunde, Katzen und selbst Mäuse und Ratten sind intelligenter, haben ein stärkeres Bewußtsein von dem, was mit ihnen geschieht, und sind schmerzempfindlicher usw. als viele schwer hirngeschädigte Menschen, die in Krankenhäusern und anderen Institutionen nur gerade noch überleben. Es scheint keine moralisch relevanten Eigenschaften zu geben, die solche Menschen besäßen, während nichtmenschliche Lebewesen sie entbehrten.«
Aus der Tatsache, dass diese Menschen aktuell nicht über bestimmte moralische Fähigkeiten verfügen, die normalerweise eine Person über eine Nicht-Person erhebt, folgert Singer, dass diese Menschen also auch nicht über weiter reichende Rechte als Tiere verfügen. Doch wie verhält es sich mit schlafenden, narkotisierten oder im Rauschzustand befindlichen Menschen? Auch sie verfügen aktuell kaum über Selbstbewusstsein. Darf man sie zu medizinischen Zwecken gebrauchen oder sie sogar töten? Singer kann diese Möglichkeiten nur mit präferenzutilitaristischen Argumenten abweisen, die allerdings auf tönernen Füßen stehen.
Singers Vorwurf, dass es eine anthropozentrische Gattungsarroganz sei, den Menschen nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gattung ›Mensch‹ über andere Lebewesen zu stellen, trifft so jedoch nicht zu, da der Mensch eben nicht nur ein Natur-, sondern auch ein Geistwesen ist, selbst dann, wenn er aktuell diese Fähigkeit nicht besitzt. Zwischen einem Menschen und einem Tier besteht eben nicht nur ein gradueller Unterschied, weil der Mensch höher entwickelt ist, sondern ein wesenhafter, der in der Fähigkeit des Menschen zur Selbsttranszendierung liegt. Aufgrund seines biologistischen Welt- und Menschenbildes erkennt Singer jedoch keinen wesenhaften Unterschied zwischen Tieren und Menschen an. Der Mensch ist für ihn nur eine höher entwickelte Spezies im Naturreich. Damit entzieht Singer allerdings seiner Ethik jegliche Begründungsmöglichkeit, da die Natur keine Ethik benötigt. Auch wenn Singer s Anliegen, die Stellung der Tiere zu heben, und seine Kritik am Umgang mit Tieren mehr als berechtigt ist, gibt es keinen zwingenden Grund, die Würde des Menschen nur an dessen aktuelle Fähigkeit des Selbstbewusstseins zu koppeln.
Dass der Respekt vor dem Leben von Tieren nicht auf Kosten der Würde des Menschen gehen muss, zeigt z.B. die buddhistische Ethik, die nicht nur Tiere, sondern sogar Pflanzen als schützenswert betrachtet. Zwar hat kein Wesen im Kosmos eine so herausragende Stellung wie der Mensch, weil nur er aufgrund seiner ethisch-vernunfthaften Fähigkeiten zur Erlösung gelangen kann, aber dennoch hat er kein Recht, sich über andere Wesen zu erheben und diese zu schädigen, da alles Existierende in einem Beziehungsgefl echt steht. So heißt es im Sutta-NipÁta: »Kein atmendes Wesen soll er töten oder töten lassen | Und billige es nicht, wenn andere töten. | Er lasse von Gewalt bei allen Lebewesen, | Bei starken und bei schwachen in der Welt.« Und zwar deshalb, weil alle Wesen an ihrem Selbst bzw. an ihrem Leben hängen.
Kein Wesen liebt das Leid, deshalb soll man keinem Wesen Leiden zufügen, unabhängig davon, ob es sich um ein Tier oder einen Menschen handelt. Die Fähigkeit, Schmerz und Leid zu empfinden, ist Grund genug, ein Wesen nicht vorsätzlich zu schädigen, auch wenn Buddha keinen Zweifel daran lässt, dass der Mensch über dem Tier steht.
Der Einsicht in die Notwendigkeit des Postulats der generellen Unverletzbarkeit der menschlichen Würde in jeder Lebenssituation und ihres Schutzes durch die Menschenrechte ging ein langer Kampf voraus, der bis heute noch nicht beendet ist. Ohne die Akzeptanz einer allen Menschen innewohnenden Würde, die allerdings nicht mit der Annahme eines Seelenkerns verbunden sein muss, sind Menschenrechte als individuelle Freiheitsrechte , die jedem Menschen zu jeder Zeit an jedem Ort zustehen, kaum begründbar. Eine sinnvolle Begründung kann letztlich nur auf einer naturrechtlichen Argumentation beruhen, denn weder Empirie noch religiöse Systeme, die auf Glaubenssätzen basieren, können hierfür eine letzte Fundierung bieten.
Religiöse Systeme können keine allgemeinverbindliche Begründung leisten, weil ihre Anschauungen, so sie nicht auf einem vernunfthaft-einsichtigen Fundament ruhen, Glaubenssache sind. Wer ein bestimmtes Glaubenssystem nicht akzeptiert, wird kaum von der Gültigkeit von dessen Normen zu überzeugen sein. So ist zwar die Verbindung von Menschenwürde und Gottesebenbildlichkeit des Menschen in der jüdisch-christlichen Tradition innerhalb dieses religiösen Kontextes durchaus möglich, sie kann aber keine universelle Begründungsnorm für alle darstellen, denn dies würde voraussetzen, dass jeder Mensch von dem diesem System zugrunde liegenden anthropologischen Konzept überzeugt ist, was jedoch nicht der Fall ist. »Das christliche Menschenrechtsverständnis sollte in der Tat in den weltweiten Diskurs um Menschenrechte eingebracht werden. Es darf sich jedoch nicht anheischig machen, die Basis eines universal verbindlichen Menschenrechtskatalogs zu bilden. Ein ›christlicher‹ Katalog von Menschenrechten hat Bedeutung für die Frage nach Sinn und Gestalt eines Grundrechtsteils in Kirchenverfassungen, er kann jedoch aus mehreren Gründen nicht die Basis einer für alle Menschen verbindlichen Menschenrechtserklärung abgeben. Denn eine solche Erklärung darf (1) schon von ihrer Intention her nicht auf partikularen Überzeugungen aufbauen [...] Sie hat [...] (2) den Drang nach rechtlicher Implementierung in sich. Ein juristisch relevanter Text muß jedoch begründungsoffen formuliert sein. (3) Aus spezifisch christlicher Sicht verschärfen sich diese Argumente noch. Denn gerade der oben genannte Respekt vor den anderen Menschen verbietet, die eigenen Überzeugungen auch für andere verbindlich zu machen.«
Die Empirie kann ebenso wenig wie religiöse Systeme eine echte Begründung bieten, weil ethische Normen eine transempirische Basis benötigen, so sie nicht in die Unverbindlichkeit und Beliebigkeit abrutschen wollen. Empirische und faktische Tatbestände sagen eben noch lange nichts über den Wert einer Sache aus. Hier wird vom Sein auf das Sollen geschlossen. Es gilt die Normativität des Faktischen. Man könnte fast von einem empiristischen Fehlschluss sprechen. Weil etwas in einer Gruppe, Gesellschaft, Kultur so praktiziert wird, deshalb soll es auch sein. »Überzeugungen, die kulturell überliefert und dem Einzelnen im Laufe seiner Sozialisation als bewährte Grundwahrheiten sozialen Lebens in bestem Glauben der Erziehenden zur Orientierung in der Gesellschaft mitgegeben werden, sind voll von Werturteilen, die scheinbar naturgegebene, jedoch oftmals sozial oder historisch bedingte Lebensumstände und Konventionen umschreiben.« Umgekehrt formuliert, artikuliert sich dieser Fehlschluss im Kontext der Menschenrechtsdebatte dahingehend, dass er den universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte bestreitet, mit der Begründung, dass sie weltweit nicht eingehalten werden. Deren faktische Missachtung und Verletzung wird zum Argument gegen das ›Sein-Sollen‹ ihrer Existenz.
Thomas Göller spricht in diesem Kontext von der Notwendigkeit einer »subjekttheoretischen Wende« zur Begründung der menschlichen Würde , die »kulturphilosophisch relevant und interkulturell tragfähig ist«. Diese meint nichts anderes, als anzuerkennen, dass der Mensch die letzte Geltungskompetenz aller seiner Aussagen ist. Der alte ›homo-mensura-Satz‹ in neuem Gewande. Und das sollte niemanden trotz der jahrtausendealten Polemik gegen diesen Satz abschrecken, denn Protagoras sprach mit ihm eine sehr fundamentale Wahrheit aus: Wir haben kein anderes Kriterium zu Bewertung von Wahr und Falsch als das menschliche Denken. Dieses kann nämlich, bedingt durch seine Reflexionsfähigkeit, über das rein Bedingte auf das Unbedingte hin reflektieren. Kultur, Gesellschaft etc., die den Menschen prägen und bestimmen, sind ohne den Menschen als diese prägende und bestimmende Größe eben selbst nicht denkbar. »Das Subjekt ist die für das eine wie für das andere zugrunde liegende und verbindliche Instanz. [...] Genau durch diese Geltungskompetenz sowie durch die damit implizierte Geltungsverantwortung ist, epistemologisch gesehen, die Würde des Menschen bestimmt; sie konstituiert seine Dignität als Subjekt.« Da sich diese Geltungskompetenz in verschiedenen Lebensvollzügen, aber auch in verschiedenen Kulturen manifestiert, manifestiert sich menschliche Würde wiederum in den verschiedenen Kulturen. Dem widerspricht nicht die Tatsache, dass es »individuelle bzw. faktische und kulturelle Besonderheiten gibt, die der kulturellschöpferischen Potenz eines Einzelnen und der kulturellen Gestaltung eines Kollektivs [...] manchmal enge Grenzen setzen«. Der hier vorgelegte Begriff der menschlichen Würde versteht sich expressis verbis als normativer und nicht als empirisch-deskriptiver.
1.1.2 Der Gedanke der Menschenwürde in der abendländischen Tradition Wenn man nach einer Begründung für die Annahme einer dem Menschen innewohnenden Würde sucht, so wird man in der Antike zwei Antwortkonzepte antreffen: das der orientalisch-jüdisch-christlichen Tradition und das der griechisch-paganen, welches wiederum auf das orientalisch-jüdischchristliche einwirkte. Im ersten sah man die Würde des Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit begründet, im pagan-hellenistischen in seiner Logoshaftigkeit und im Naturrecht . Dass sich Gottesebenbildlichkeit und Logoshaftigkeit ergänzen, zeigte nicht nur die jüdische Theologie eines Philon von Alexandrien und die der christlichen Kirchenväter, dies demonstrierten schon die alten griechischen Philosophen, die Gott als reine Vernunft bzw. als reinen Geist (Nous /Logos ) bestimmten, an dem der Mensch durch seinen Logos oder Nous Anteil hat.
So betonte bereits Platon die Unsterblichkeit und gewissermaßen die Würde der Seele aufgrund ihrer Schöpfung durch den Demiurgen selbst. Wenn Platon dennoch nicht alle Menschen als gleichwertig betrachtet, dann hängt dies mit seiner Seelenlehre zusammen, der gemäß jeder Mensch aus drei Seelenteilen besteht, wobei er aber immer nur einem seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet und dementsprechend lebt. Wer nur dem triebhaften Teil der Seele folgt, lebt eigentlich wie ein Tier und nicht wie ein Mensch. Durch seine Lebensform bestimmt der Mensch sein Schicksal, d.h. sein nächstes Leben, selbst. Niemand wird zu einem vernunftlosen, triebhaften Leben gezwungen oder ist dazu vorherbestimmt. »Die Tugend ist herrenlos, von welcher, je nachdem jeglicher sie ehrt oder geringschätzt, er auch mehr oder minder haben wird. Die Schuld ist des Wählenden; Gott ist schuldlos. « Ein wahrhaft gutes Leben wählt nur der, der sich der Philosophie zuwendet, denn nur er bemüht sich um die Erkenntnis des Unsterblichen, Unvergänglichen, Wahren und Schönen. Zum Tagelöhner wird z.B. der, der zu schwach ist, den edlen Seelenteilen zu folgen. Sein Wesen ist daher von niederer Natur als das des Philosophen. Damit war aus griechischer Sicht die Sklaverei zu rechtfertigen.
Sklaverei war für Platon wie für Aristoteles - wie aber auch für die gesamte orientalische Kultur - etwas Selbstverständliches. Aristoteles begründet die Sklaverei damit, dass es Menschen gebe, die von Natur aus zum Sklavendasein bestimmt seien. Gegen diese Ansicht erhob sich aus den Reihen des Kynismus und der Stoa heftiger Protest. So heißt es bei dem römischen Stoiker Seneca : »Dieselben Anfänge haben alle und denselben Ursprung; niemand ist vornehmer als der andere, außer wenn er eine aufrechtere und zum guten Handeln fähigere Anlage besitzt. [...] Alleiniger Erzeuger aller ist die Welt; auf sie wird der erste Ursprung eines jeden, ob über glänzende oder über unansehnliche Stufen, zurückgeführt.« Kynismus und Stoa hatten wie Platonismus und Aristotelismus ihre Wurzeln in der sokratischen Philosophie, doch zogen sie aus der sokratischen Lehre gänzlich andere Schlüsse, was das gesellschaftliche Leben anbelangte. Nicht mehr die Polis, sondern der Kosmos war der Ort ihres Daseins. So antwortete der berühmte kynische Philosoph Diogenes von Sinope dann auch auf die Frage, wo er herkäme, er sei ein Weltbürger, ein Kosmopolit.
Diese kosmische Dimension bestimmte die Ethik der Kyniker und Stoiker, die nicht nur die Sklaverei ablehnten, sondern den bei Platon bereits geäußerten Gedanken des Naturrechts aufgriffen und ausarbeiteten. Für die Stoa war der Urgrund der Welt das Urpneuma, das sie auch als Gott oder Logos bezeichneten. Dieses Pneuma ist allerdings nicht geistiger, sondern quasi materieller Natur. Weil die gesamte Natur von diesem durchdrungen und gestaltet wird, ist folglich alles mit allem irgendwie verbunden. Alles Seiende hat gemäß seiner Entwicklungsstufe auf unterschiedliche Weise an diesem Pneuma Anteil. »Die höchste nur endzweckhafte Stufe des Seins ist dort erreicht, wo das Pneuma zum Logos sich verdichtet.« Dies ist im Menschen der Fall. Der Mensch partizipiert daher, weil seine Seele wesenhaft vernünftig ist - der oberste Teil der Seele, das Hegemonikon , ist reiner Logos -, an der ewigen Weltseele, dem ewigen Logos . Die Forderung der Stoiker, naturgemäß zu leben, bedeutete nichts anderes, als entsprechend dieser Vernunft zu leben.
Aufgrund der Teilhabe aller Menschen an der Weltseele haben auch alle Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte. Aus dieser ursprünglichen Gleichheit aller Menschen leiteten die Stoiker das Gebot der universalen Menschenliebe ab, die zu einer der stoischen Grundtugenden wurde und von der christlichen Tradition fortgesetzt wurde. Die Würde des Menschen wurde von der Stoa durch die Teilhabe aller an der kosmischen Vernunftseele begründet.
Über die praktischen Konsequenzen der Lehre von der allgemeinen Menschenliebe in der Stoa gehen die Meinungen jedoch auseinander. Es lassen sich innerhalb der römischen Rechtstraditionen durchaus gewisse Einflussgrößen der stoischen Lehren erkennen. Die Differenzierung zwischen individualstaatlichem und universalem Völkerrecht war ein Resultat der stoischen Naturrechtslehre . So vertrat der römische Jurist Gaius in seinen ›Institutiones‹ die Ansicht, dass es neben dem bürgerlichen Recht, das bei allen Völkern verschieden sei, ein gemeinsames Recht aller Menschen (ius gentium ) gebe, weil es von der natürlichen Vernunft gesetzt sei und deswegen auch von allen verstanden und erkannt werden könne. Auch wurden im Römischen Reich im Lauf der Jahrhunderte einige Gesetze erlassen, welche die Stellung der Sklaven und Frauen etwas verbesserten. Doch insgesamt betrachtet, war die praktische Umsetzung des Naturrechtsgedankens eher unbedeutend.
Ein entscheidender Schritt hin zur Postulierung allgemein verbindlicher Rechte eines jeden Menschen in dieser Welt geschah erst durch den Humanismus und die Aufklärung . Zwar gab es bereits im ausgehenden Mittelalter immer wieder Ansätze, welche die Gleichheit aller Menschen betonten und damit das streng hierarchische Herrschaftsgefüge des Mittelalters negierten, doch bildeten diese eine absolute Außenseiterposition. Unter diese Kategorie fallen der im 13. Jh. in Frankreich verfasste ›Roman de la Rose‹, der die natürliche Gleichheit aller Menschen betont, oder der ›Sachsenspiegel‹, der gegen die Leibeigenschaft argumentiert. Das mittelalterliche Menschenbild, das die Theologie vertrat, war noch zu sehr durch die Erbsündenlehre geprägt und verdunkelt, sodass eine positive Würdigung des Menschen und die Zuschreibung unveräußerlicher Rechte für jeden in diesem irdischen Dasein nicht zur Debatte standen. Der Sündenfall des Menschen wurde zur Rechtfertigung des hierarchischen Gesellschaftssystems ebenso herangezogen wie zur Rechtfertigung der Sklaverei . Freiheit und Gleichheit waren keine politisch- sozialen, sondern ausschließlich metaphysische Kategorien, die erst im Jenseits Gültigkeit haben sollten.
Copyright © 2010 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Wo die Ablehnung der Menschenrechtsidee in ihrem Gesamt oder in einzelnen Punkten durch einen Rückgriff auf die Religion geschieht und diese als Abwehrmechanismus universeller Menschenrechte fungiert, ist es notwendig zu klären, ob die jeweilige Religion nicht aus ideologischen Gründen zur Verhinderung der Durchsetzung von Menschenrechten instrumentalisiert wird. Denn Menschenrechte »sind immer auch Stachel im Fleisch einer Kultur, welcher die eigenen Traditionen und Gewohnheiten angenehm geworden sind«1. Entscheidend ist also die Frage, ob die behauptete Nicht-Kompatibilität von Menschenrechten mit der eigenen Kultur und Religion tatsächlich in bestimmten Lehrgehalten gründet oder ob es sich bei den als unveränderbar postulierten religiösen Werten, die mit den Menschenrechten im Konflikt stehen, nur um kulturelle Normen handelt, die religiös legitimiert werden.
Zur Klärung dieser Fragen ist es notwendig, als Erstes das Menschen- und Weltbild der Religionen, wie es in den jeweils heiligen Schriften formuliert wird, zu beleuchten. Da religiöse Lehren jedoch immer auch durch die Tradition interpretiert wurden, gilt es ferner, deren Auslegungen, Darstellungen und Weiterentwicklungen zu untersuchen. Wo es zu Konflikten zwischen religiösen Normen und Menschenrechten in den traditionellen Systemen kommt , ist es wichtig, alternative Auslegungsformen religiöser Grundanschauungen zu Wort kommen zu lassen, die eine Versöhnung der jeweiligen Religion mit den Menschenrechtsgedanken ermöglichen.
Ein besonderer Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf den sogenannten Menschenrechten der ersten Generation , d.h. den klassischen Freiheits- und Abwehrrechten, da diese auf den Schutz der Würde des Menschen abzielen. Weil diese Rechte oftmals ›Männerrechte‹ waren und sind, ist ferner zu untersuchen, in welcher Weise Religionen Menschenrechte auch als Frauen- recht e verstehen bzw. welche Argumentationen vorgebracht wurden und werden, um Frauen diese Rechte vorzuenthalten. Die Stellung der Frau und ihrer Rechte in den religiösen Systemen kann als ein Gradmesser der Verwirklichung von Menschenrechten in den jeweiligen Religionen gelten. Wo Frauen unter Bezugnahme auf religiöse Normen, Werte, Traditionen fundamentale Rechte, sei es im religiösen oder gesellschaftlichen Bereich, vorenthalten werden, die Männern selbstverständlich zustehen, kann nicht von einer echten Akzeptanz und Verwirklichung der Menschenrechte als universellen Rechten gesprochen werden. Dass die Verletzung fundamentaler Menschenrechte von Frauen bis heute oftmals nicht als Menschenrechtsverletzung wahrgenommen wird2, hängt damit zusammen, dass sie sich in der Regel nicht im staatlichen, sondern im familiären und privaten Bereich ereignet, wozu eben auch ein großer Teil der religiösen Sphäre zählt.
A. Geschichte der Menschenrechte
1. Geistesgeschichtliche Grundlagen der Menschenrechtsidee
Zwei Aspekte der philosophisch-theologischen sowie juristischen Tradition des Abendlandes hatten entscheidenden Anteil an der Entwicklung universeller Menschenrechtskataloge: die Idee der Gleichheit aller Menschen aufgrund der menschlichen Natur, die entweder in seiner Schöpfung durch Gott oder in seiner Vernunfthaftigkeit grundgelegt gesehen wurde, und die Vorstellung von einem ewigen Naturrecht , das unabhängig von menschlichem,
d.h. gesatztem Recht ist. »Das Naturrecht versucht, die Menschenrechte aus dem Wesen des Menschen heraus zu begründen. Dem Menschen werden als solchem, aufgrund der Tatsache, daß er ein Mensch ist, aufgrund seiner Natur, bestimmte unveräußerliche Rechte zugesprochen. Diese Rechte haben vorstaatlichen Charakter, ihre Begründung muß demnach unabhängig vom positiven Recht und jeglicher bereits existierender Gesellschaft erfolgen.«1 Beide Aspekte waren aufs Engste miteinander verbunden. Aufgrund seines Menschseins wurden dem Menschen bestimmte Rechte zugesprochen, die nicht von einem Staat oder Herrscher verliehen wurden. Auch wenn diese Gedanken herrschaftspolitisch mehr als 2500 Jahre bis zu ihrer Realisierung benötigten, so waren sie im Abendland in der griechischen Antike bei verschiedenen Philosophen schon vorgedacht worden. 1.1 Die Würde des Menschen Die Idee der Gleichheit aller Menschen, die meist mit dem Konzept einer jedem Menschen innewohnenden Würde verknüpft war, äußerte sich im Abendland philosophisch betrachtet zum ersten Mal in gehäufter Form in der kynischen und stoischen Philosophie . Die stoische Ethik mit ihrer Betonung der Menschenliebe beeinflusste u.a. das entstehende Christentum , welches seinerseits den Gedanken der menschlichen Würde mit der biblischen Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen verband.
Der Gedanke eines universal gültigen Gesetzes, das durch kein menschlich verfasstes Gesetz aufhebbar ist, trat in der abendländischen Tradition durch den griechischen Tragödiendichter Sophokles ins öffentliche Bewusstsein. Von da an etablierte sich dieser Gedanke in der folgenden Zeit in immer mehr philosophischen Traditionen. Beide Aspekte, der Gedanke der Gleichheit aller Menschen und die Vorstellung eines durch keine menschliche Autorität aufhebbaren Naturgesetzes , sowie deren Bearbeitung und Weiterentwicklung durch die unterschiedlichsten theologischen und philosophischen Traditionen, bildeten letztlich den Grund und Boden für die konkrete Formulierung von unveräußerlichen, menschlichen Rechten, wie sie in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 niedergelegt sind. Für die Entwicklung der Menschenrechtsidee gilt daher: »Kein historischer Vorgang und kein ideengeschichtlicher Denkansatz können die Entstehung und den Durchbruch der Menschenrechtsidee ausschließlich für sich okkupieren und die alleinige Urheberschaft beanspruchen.« Dies gilt letztlich auch für die europäische Geistesgeschichte selbst, die die Menschenrechtsvorstellungen zwar kodifizierte, keinesfalls aber als Urheber ihrer einzelnen Gehalte gelten kann.
1.1.1 Die Notwendigkeit der Unbedingtheit der menschlichen Würde Die Idee der Menschenrechte gründet in der Vorstellung der Unverletzbarkeit der menschlichen Würde . Traditionell wurde diese Würde als eine jedem Menschen innewohnende Wesenheit gesehen. »Der Mensch hat einen Eigenwert, der seine Würde ausmacht. Dieser Wert ist angeboren in dem Sinn, daß er jedem Lebewesen, das als Mensch auf die Welt kommt, als von seinem Menschsein unabtrennbare Qualität zu eigen ist, die zu seinem Wesen gehört und nicht durch besondere Fähigkeiten oder Leistungen erworben ist [...].« Demnach kann niemand und nichts die menschliche Würde aufheben. Würde kommt jedem Menschen ausschließlich qua seines Menschseins zu, unabhängig von seiner Hautfarbe, seiner ethnischen Abstammung, seiner Religion, seinem Geschlecht, seinen Überzeugungen und Handlungen. Keinem Menschen kann jemals diese Würde abgesprochen werden; auch dem nicht, der sie anderen raubt. Selbst Massenmörder und Kriegstreiber verlieren sie nicht, was nicht bedeutet, dass sie für ihre Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden können, doch darf die Strafe nicht ihre Würde tangieren.
Die Unverfügbarkeit der Würde gilt aber auch für Menschen, die zeitweise oder dauerhaft nicht über die Fähigkeit verfügen, die gemeinhin den Menschen vom Tier unterscheidet: das Selbstbewusstsein. Denn jegliche Bindung der menschlichen Würde an die aktuelle Fähigkeit, sich seiner selbst bewusst zu sein, wirft im Falle ihres zeitweisen oder dauerhaften Verlustes wieder die Frage nach der Unverfügbarkeit der menschlichen Person auf. Macht nur die aktuelle Fähigkeit des Selbstbewusstseins den Menschen zum Menschen, dann wäre weder ein Koma-Patient noch ein Demenzkranker, ein schwer geistig Behinderter, ein im Rausch Befindlicher oder im extremen Fall ein schlafender Mensch ein Mensch.
Die Überzeugung, dass die Würde der Person nicht im Aktual-, sondern im Potenzialzustand des Menschseins wurzelt, wurde und wird jedoch immer wieder in Zweifel gezogen. Wie problematisch eine Ethikbegründung ist, die beim Aktualzustand ansetzt, zeigt das Beispiel des prominentesten Bestreiters einer absolut unverlierbaren menschlichen Würde, Peter Singer. Der australische Philosoph stimmt zwar mit der Tradition darin überein, Lebewesen in drei Kategorien einzuteilen: unbewusste, bewusste und selbstbewusste. Zur untersten gehören die nicht-bewussten Lebewesen (Pflanzen, niedere Tiere), zur mittleren solche mit Bewusstsein (höhere Tiere), zur obersten die mit Selbstbewusstsein. Aber trotz dieser Differenzierung akzeptiert Singer Selbstbewusstsein nicht als Kriterium einer größeren Werthaftigkeit des Lebens.
Was Singer zudem von der Tradition unterscheidet, ist die Tatsache, dass er Wesen nur entsprechend ihres Aktualzustandes in eine dieser Kategorien einteilt. Konkret bedeutet dies, dass ein Mensch, wenn er z.B. durch eine angeborene kognitive Behinderung oder durch eine krankheitsbedingte Veränderung nicht mehr über die Fähigkeit des Selbstbewusstseins verfügt, nicht zur obersten Kategorie gehört. Der Mensch ist nicht Person, weil er zur Gattung Mensch gehört, sondern weil er aktuell über ein Selbstbewusstsein verfügt. Wo dies nicht der Fall ist, gehört der Mensch nur zur biologischen Gattung ›homo sapiens‹, die streng unterschieden wird von der mit Selbstbewusstsein ausgestatteten Kategorie ›Person‹. Personsein ist unabdingbar mit der Fähigkeit des Selbstbewusstseins verbunden, nicht aber mit der Zugehörigkeit zur Gattung ›homo sapiens‹. Tiere, die über ein Selbstbewusstsein verfügen, wie z.B. Schimpansen, sind dementsprechend auch Personen.
Gemäß dieser Definition, wonach nicht die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch das ›Personsein‹ des Menschen ausmacht, sondern nur sein aktueller und faktischer Zustand, gelten Koma-Patienten, Demenzkranke etc. nicht als Personen. Letztlich steht nach Singers Ansicht jedes gesunde Säugetier über einem schwer hirngeschädigten Menschen: »Menschenaffen, kleinere Affen, Hunde, Katzen und selbst Mäuse und Ratten sind intelligenter, haben ein stärkeres Bewußtsein von dem, was mit ihnen geschieht, und sind schmerzempfindlicher usw. als viele schwer hirngeschädigte Menschen, die in Krankenhäusern und anderen Institutionen nur gerade noch überleben. Es scheint keine moralisch relevanten Eigenschaften zu geben, die solche Menschen besäßen, während nichtmenschliche Lebewesen sie entbehrten.«
Aus der Tatsache, dass diese Menschen aktuell nicht über bestimmte moralische Fähigkeiten verfügen, die normalerweise eine Person über eine Nicht-Person erhebt, folgert Singer, dass diese Menschen also auch nicht über weiter reichende Rechte als Tiere verfügen. Doch wie verhält es sich mit schlafenden, narkotisierten oder im Rauschzustand befindlichen Menschen? Auch sie verfügen aktuell kaum über Selbstbewusstsein. Darf man sie zu medizinischen Zwecken gebrauchen oder sie sogar töten? Singer kann diese Möglichkeiten nur mit präferenzutilitaristischen Argumenten abweisen, die allerdings auf tönernen Füßen stehen.
Singers Vorwurf, dass es eine anthropozentrische Gattungsarroganz sei, den Menschen nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gattung ›Mensch‹ über andere Lebewesen zu stellen, trifft so jedoch nicht zu, da der Mensch eben nicht nur ein Natur-, sondern auch ein Geistwesen ist, selbst dann, wenn er aktuell diese Fähigkeit nicht besitzt. Zwischen einem Menschen und einem Tier besteht eben nicht nur ein gradueller Unterschied, weil der Mensch höher entwickelt ist, sondern ein wesenhafter, der in der Fähigkeit des Menschen zur Selbsttranszendierung liegt. Aufgrund seines biologistischen Welt- und Menschenbildes erkennt Singer jedoch keinen wesenhaften Unterschied zwischen Tieren und Menschen an. Der Mensch ist für ihn nur eine höher entwickelte Spezies im Naturreich. Damit entzieht Singer allerdings seiner Ethik jegliche Begründungsmöglichkeit, da die Natur keine Ethik benötigt. Auch wenn Singer s Anliegen, die Stellung der Tiere zu heben, und seine Kritik am Umgang mit Tieren mehr als berechtigt ist, gibt es keinen zwingenden Grund, die Würde des Menschen nur an dessen aktuelle Fähigkeit des Selbstbewusstseins zu koppeln.
Dass der Respekt vor dem Leben von Tieren nicht auf Kosten der Würde des Menschen gehen muss, zeigt z.B. die buddhistische Ethik, die nicht nur Tiere, sondern sogar Pflanzen als schützenswert betrachtet. Zwar hat kein Wesen im Kosmos eine so herausragende Stellung wie der Mensch, weil nur er aufgrund seiner ethisch-vernunfthaften Fähigkeiten zur Erlösung gelangen kann, aber dennoch hat er kein Recht, sich über andere Wesen zu erheben und diese zu schädigen, da alles Existierende in einem Beziehungsgefl echt steht. So heißt es im Sutta-NipÁta: »Kein atmendes Wesen soll er töten oder töten lassen | Und billige es nicht, wenn andere töten. | Er lasse von Gewalt bei allen Lebewesen, | Bei starken und bei schwachen in der Welt.« Und zwar deshalb, weil alle Wesen an ihrem Selbst bzw. an ihrem Leben hängen.
Kein Wesen liebt das Leid, deshalb soll man keinem Wesen Leiden zufügen, unabhängig davon, ob es sich um ein Tier oder einen Menschen handelt. Die Fähigkeit, Schmerz und Leid zu empfinden, ist Grund genug, ein Wesen nicht vorsätzlich zu schädigen, auch wenn Buddha keinen Zweifel daran lässt, dass der Mensch über dem Tier steht.
Der Einsicht in die Notwendigkeit des Postulats der generellen Unverletzbarkeit der menschlichen Würde in jeder Lebenssituation und ihres Schutzes durch die Menschenrechte ging ein langer Kampf voraus, der bis heute noch nicht beendet ist. Ohne die Akzeptanz einer allen Menschen innewohnenden Würde, die allerdings nicht mit der Annahme eines Seelenkerns verbunden sein muss, sind Menschenrechte als individuelle Freiheitsrechte , die jedem Menschen zu jeder Zeit an jedem Ort zustehen, kaum begründbar. Eine sinnvolle Begründung kann letztlich nur auf einer naturrechtlichen Argumentation beruhen, denn weder Empirie noch religiöse Systeme, die auf Glaubenssätzen basieren, können hierfür eine letzte Fundierung bieten.
Religiöse Systeme können keine allgemeinverbindliche Begründung leisten, weil ihre Anschauungen, so sie nicht auf einem vernunfthaft-einsichtigen Fundament ruhen, Glaubenssache sind. Wer ein bestimmtes Glaubenssystem nicht akzeptiert, wird kaum von der Gültigkeit von dessen Normen zu überzeugen sein. So ist zwar die Verbindung von Menschenwürde und Gottesebenbildlichkeit des Menschen in der jüdisch-christlichen Tradition innerhalb dieses religiösen Kontextes durchaus möglich, sie kann aber keine universelle Begründungsnorm für alle darstellen, denn dies würde voraussetzen, dass jeder Mensch von dem diesem System zugrunde liegenden anthropologischen Konzept überzeugt ist, was jedoch nicht der Fall ist. »Das christliche Menschenrechtsverständnis sollte in der Tat in den weltweiten Diskurs um Menschenrechte eingebracht werden. Es darf sich jedoch nicht anheischig machen, die Basis eines universal verbindlichen Menschenrechtskatalogs zu bilden. Ein ›christlicher‹ Katalog von Menschenrechten hat Bedeutung für die Frage nach Sinn und Gestalt eines Grundrechtsteils in Kirchenverfassungen, er kann jedoch aus mehreren Gründen nicht die Basis einer für alle Menschen verbindlichen Menschenrechtserklärung abgeben. Denn eine solche Erklärung darf (1) schon von ihrer Intention her nicht auf partikularen Überzeugungen aufbauen [...] Sie hat [...] (2) den Drang nach rechtlicher Implementierung in sich. Ein juristisch relevanter Text muß jedoch begründungsoffen formuliert sein. (3) Aus spezifisch christlicher Sicht verschärfen sich diese Argumente noch. Denn gerade der oben genannte Respekt vor den anderen Menschen verbietet, die eigenen Überzeugungen auch für andere verbindlich zu machen.«
Die Empirie kann ebenso wenig wie religiöse Systeme eine echte Begründung bieten, weil ethische Normen eine transempirische Basis benötigen, so sie nicht in die Unverbindlichkeit und Beliebigkeit abrutschen wollen. Empirische und faktische Tatbestände sagen eben noch lange nichts über den Wert einer Sache aus. Hier wird vom Sein auf das Sollen geschlossen. Es gilt die Normativität des Faktischen. Man könnte fast von einem empiristischen Fehlschluss sprechen. Weil etwas in einer Gruppe, Gesellschaft, Kultur so praktiziert wird, deshalb soll es auch sein. »Überzeugungen, die kulturell überliefert und dem Einzelnen im Laufe seiner Sozialisation als bewährte Grundwahrheiten sozialen Lebens in bestem Glauben der Erziehenden zur Orientierung in der Gesellschaft mitgegeben werden, sind voll von Werturteilen, die scheinbar naturgegebene, jedoch oftmals sozial oder historisch bedingte Lebensumstände und Konventionen umschreiben.« Umgekehrt formuliert, artikuliert sich dieser Fehlschluss im Kontext der Menschenrechtsdebatte dahingehend, dass er den universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte bestreitet, mit der Begründung, dass sie weltweit nicht eingehalten werden. Deren faktische Missachtung und Verletzung wird zum Argument gegen das ›Sein-Sollen‹ ihrer Existenz.
Thomas Göller spricht in diesem Kontext von der Notwendigkeit einer »subjekttheoretischen Wende« zur Begründung der menschlichen Würde , die »kulturphilosophisch relevant und interkulturell tragfähig ist«. Diese meint nichts anderes, als anzuerkennen, dass der Mensch die letzte Geltungskompetenz aller seiner Aussagen ist. Der alte ›homo-mensura-Satz‹ in neuem Gewande. Und das sollte niemanden trotz der jahrtausendealten Polemik gegen diesen Satz abschrecken, denn Protagoras sprach mit ihm eine sehr fundamentale Wahrheit aus: Wir haben kein anderes Kriterium zu Bewertung von Wahr und Falsch als das menschliche Denken. Dieses kann nämlich, bedingt durch seine Reflexionsfähigkeit, über das rein Bedingte auf das Unbedingte hin reflektieren. Kultur, Gesellschaft etc., die den Menschen prägen und bestimmen, sind ohne den Menschen als diese prägende und bestimmende Größe eben selbst nicht denkbar. »Das Subjekt ist die für das eine wie für das andere zugrunde liegende und verbindliche Instanz. [...] Genau durch diese Geltungskompetenz sowie durch die damit implizierte Geltungsverantwortung ist, epistemologisch gesehen, die Würde des Menschen bestimmt; sie konstituiert seine Dignität als Subjekt.« Da sich diese Geltungskompetenz in verschiedenen Lebensvollzügen, aber auch in verschiedenen Kulturen manifestiert, manifestiert sich menschliche Würde wiederum in den verschiedenen Kulturen. Dem widerspricht nicht die Tatsache, dass es »individuelle bzw. faktische und kulturelle Besonderheiten gibt, die der kulturellschöpferischen Potenz eines Einzelnen und der kulturellen Gestaltung eines Kollektivs [...] manchmal enge Grenzen setzen«. Der hier vorgelegte Begriff der menschlichen Würde versteht sich expressis verbis als normativer und nicht als empirisch-deskriptiver.
1.1.2 Der Gedanke der Menschenwürde in der abendländischen Tradition Wenn man nach einer Begründung für die Annahme einer dem Menschen innewohnenden Würde sucht, so wird man in der Antike zwei Antwortkonzepte antreffen: das der orientalisch-jüdisch-christlichen Tradition und das der griechisch-paganen, welches wiederum auf das orientalisch-jüdischchristliche einwirkte. Im ersten sah man die Würde des Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit begründet, im pagan-hellenistischen in seiner Logoshaftigkeit und im Naturrecht . Dass sich Gottesebenbildlichkeit und Logoshaftigkeit ergänzen, zeigte nicht nur die jüdische Theologie eines Philon von Alexandrien und die der christlichen Kirchenväter, dies demonstrierten schon die alten griechischen Philosophen, die Gott als reine Vernunft bzw. als reinen Geist (Nous /Logos ) bestimmten, an dem der Mensch durch seinen Logos oder Nous Anteil hat.
So betonte bereits Platon die Unsterblichkeit und gewissermaßen die Würde der Seele aufgrund ihrer Schöpfung durch den Demiurgen selbst. Wenn Platon dennoch nicht alle Menschen als gleichwertig betrachtet, dann hängt dies mit seiner Seelenlehre zusammen, der gemäß jeder Mensch aus drei Seelenteilen besteht, wobei er aber immer nur einem seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet und dementsprechend lebt. Wer nur dem triebhaften Teil der Seele folgt, lebt eigentlich wie ein Tier und nicht wie ein Mensch. Durch seine Lebensform bestimmt der Mensch sein Schicksal, d.h. sein nächstes Leben, selbst. Niemand wird zu einem vernunftlosen, triebhaften Leben gezwungen oder ist dazu vorherbestimmt. »Die Tugend ist herrenlos, von welcher, je nachdem jeglicher sie ehrt oder geringschätzt, er auch mehr oder minder haben wird. Die Schuld ist des Wählenden; Gott ist schuldlos. « Ein wahrhaft gutes Leben wählt nur der, der sich der Philosophie zuwendet, denn nur er bemüht sich um die Erkenntnis des Unsterblichen, Unvergänglichen, Wahren und Schönen. Zum Tagelöhner wird z.B. der, der zu schwach ist, den edlen Seelenteilen zu folgen. Sein Wesen ist daher von niederer Natur als das des Philosophen. Damit war aus griechischer Sicht die Sklaverei zu rechtfertigen.
Sklaverei war für Platon wie für Aristoteles - wie aber auch für die gesamte orientalische Kultur - etwas Selbstverständliches. Aristoteles begründet die Sklaverei damit, dass es Menschen gebe, die von Natur aus zum Sklavendasein bestimmt seien. Gegen diese Ansicht erhob sich aus den Reihen des Kynismus und der Stoa heftiger Protest. So heißt es bei dem römischen Stoiker Seneca : »Dieselben Anfänge haben alle und denselben Ursprung; niemand ist vornehmer als der andere, außer wenn er eine aufrechtere und zum guten Handeln fähigere Anlage besitzt. [...] Alleiniger Erzeuger aller ist die Welt; auf sie wird der erste Ursprung eines jeden, ob über glänzende oder über unansehnliche Stufen, zurückgeführt.« Kynismus und Stoa hatten wie Platonismus und Aristotelismus ihre Wurzeln in der sokratischen Philosophie, doch zogen sie aus der sokratischen Lehre gänzlich andere Schlüsse, was das gesellschaftliche Leben anbelangte. Nicht mehr die Polis, sondern der Kosmos war der Ort ihres Daseins. So antwortete der berühmte kynische Philosoph Diogenes von Sinope dann auch auf die Frage, wo er herkäme, er sei ein Weltbürger, ein Kosmopolit.
Diese kosmische Dimension bestimmte die Ethik der Kyniker und Stoiker, die nicht nur die Sklaverei ablehnten, sondern den bei Platon bereits geäußerten Gedanken des Naturrechts aufgriffen und ausarbeiteten. Für die Stoa war der Urgrund der Welt das Urpneuma, das sie auch als Gott oder Logos bezeichneten. Dieses Pneuma ist allerdings nicht geistiger, sondern quasi materieller Natur. Weil die gesamte Natur von diesem durchdrungen und gestaltet wird, ist folglich alles mit allem irgendwie verbunden. Alles Seiende hat gemäß seiner Entwicklungsstufe auf unterschiedliche Weise an diesem Pneuma Anteil. »Die höchste nur endzweckhafte Stufe des Seins ist dort erreicht, wo das Pneuma zum Logos sich verdichtet.« Dies ist im Menschen der Fall. Der Mensch partizipiert daher, weil seine Seele wesenhaft vernünftig ist - der oberste Teil der Seele, das Hegemonikon , ist reiner Logos -, an der ewigen Weltseele, dem ewigen Logos . Die Forderung der Stoiker, naturgemäß zu leben, bedeutete nichts anderes, als entsprechend dieser Vernunft zu leben.
Aufgrund der Teilhabe aller Menschen an der Weltseele haben auch alle Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte. Aus dieser ursprünglichen Gleichheit aller Menschen leiteten die Stoiker das Gebot der universalen Menschenliebe ab, die zu einer der stoischen Grundtugenden wurde und von der christlichen Tradition fortgesetzt wurde. Die Würde des Menschen wurde von der Stoa durch die Teilhabe aller an der kosmischen Vernunftseele begründet.
Über die praktischen Konsequenzen der Lehre von der allgemeinen Menschenliebe in der Stoa gehen die Meinungen jedoch auseinander. Es lassen sich innerhalb der römischen Rechtstraditionen durchaus gewisse Einflussgrößen der stoischen Lehren erkennen. Die Differenzierung zwischen individualstaatlichem und universalem Völkerrecht war ein Resultat der stoischen Naturrechtslehre . So vertrat der römische Jurist Gaius in seinen ›Institutiones‹ die Ansicht, dass es neben dem bürgerlichen Recht, das bei allen Völkern verschieden sei, ein gemeinsames Recht aller Menschen (ius gentium ) gebe, weil es von der natürlichen Vernunft gesetzt sei und deswegen auch von allen verstanden und erkannt werden könne. Auch wurden im Römischen Reich im Lauf der Jahrhunderte einige Gesetze erlassen, welche die Stellung der Sklaven und Frauen etwas verbesserten. Doch insgesamt betrachtet, war die praktische Umsetzung des Naturrechtsgedankens eher unbedeutend.
Ein entscheidender Schritt hin zur Postulierung allgemein verbindlicher Rechte eines jeden Menschen in dieser Welt geschah erst durch den Humanismus und die Aufklärung . Zwar gab es bereits im ausgehenden Mittelalter immer wieder Ansätze, welche die Gleichheit aller Menschen betonten und damit das streng hierarchische Herrschaftsgefüge des Mittelalters negierten, doch bildeten diese eine absolute Außenseiterposition. Unter diese Kategorie fallen der im 13. Jh. in Frankreich verfasste ›Roman de la Rose‹, der die natürliche Gleichheit aller Menschen betont, oder der ›Sachsenspiegel‹, der gegen die Leibeigenschaft argumentiert. Das mittelalterliche Menschenbild, das die Theologie vertrat, war noch zu sehr durch die Erbsündenlehre geprägt und verdunkelt, sodass eine positive Würdigung des Menschen und die Zuschreibung unveräußerlicher Rechte für jeden in diesem irdischen Dasein nicht zur Debatte standen. Der Sündenfall des Menschen wurde zur Rechtfertigung des hierarchischen Gesellschaftssystems ebenso herangezogen wie zur Rechtfertigung der Sklaverei . Freiheit und Gleichheit waren keine politisch- sozialen, sondern ausschließlich metaphysische Kategorien, die erst im Jenseits Gültigkeit haben sollten.
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Autoren-Porträt von Katharina Ceming
Katharina Ceming ist Privatdozentin für Systematische Theologie am Katholisch-Theologischen Semianr der Universität Augsburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Katharina Ceming
- 2010, 512 Seiten, Maße: 15,4 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kösel
- ISBN-10: 3466368227
- ISBN-13: 9783466368228
Rezension zu „Ernstfall Menschenrechte “
"Die kenntnisreichen und gut lesbaren Entfaltungen machen das Werk zu einer hervorragenden Informationsquelle. So erfährt der Leser nicht nur etwas über die vielfältigen Wurzeln der Menschenrechte, sondern wird auf diesem Wege auch hinreichend mit den religiösen Lehren und Praktiken vertraut gemacht."
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