Feuerrote Nächte
Bis vor Kurzem war Sara Shaw eine glückliche Braut. Ein charmanter Verlobter, ein altehrwürdiges Haus in Virginia, die Blumen bestellt. Doch drei Wochen vor der geplanten Traumhochzeit verschwindet Greg, der Bräutigam, spurlos. Und zwei...
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Produktinformationen zu „Feuerrote Nächte “
Bis vor Kurzem war Sara Shaw eine glückliche Braut. Ein charmanter Verlobter, ein altehrwürdiges Haus in Virginia, die Blumen bestellt. Doch drei Wochen vor der geplanten Traumhochzeit verschwindet Greg, der Bräutigam, spurlos. Und zwei Tage später taucht ein Fremder bei Sara auf – Mike, der Bruder ihrer besten Freundin Tess, der angeblich nur für ein paar Tage bei ihr wohnen will. Was Sara nicht weiß: Mike ist Polizist. Er ist auf der Suche nach einer gefährlichen Verbrecherin. Und diese Frau ist Gregs Mutter. Während die beiden sich gemeinsam auf die Suche machen, treten noch einige weitere Familiengeheimnisse ans Licht. Und Sara und Mike kommen sich näher, als sie eigentlich geplant hatten.
"Endlich eine neue Deveraux!"
Publishers Weekly
Lese-Probe zu „Feuerrote Nächte “
Feuerrote Nächte von Jude Deveraux1
Fort Lauderdale
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»Ich glaube, wir haben sie aufgespürt«, sagte Captain Erickson. Seine Stimme klang angespannt, und das zeigte, dass er sich bemühte, nicht allzu sehr zu triumphieren.
Sie saßen an einem Picknicktisch im Hugh Taylor Birch State Park in Fort Lauderdale, unmittelbar an der A1A. Es war an einem Septembervormittag, und allmählich wurde es in Südflorida ein wenig kühler. In etwa vier Wochen würde das Wetter herrlich sein.
»Ich vermute, du meinst Mitzi«, antwortete Mike Newland, denn erst gestern hatte ihm der Captain eine dicke Akte über diese Familie gegeben. Mizelli Vandlo war eine Frau, nach der mehrere Polizeiabteilungen, einschließlich des Betrugsdezernats von Fort Lauderdale, aber auch der Secret Service - wegen Finanzkriminalität - und das FBI - wegen Gewaltdelikten - seit Jahren fahndeten. Soweit bekannt, war das einzige Foto von ihr im Jahr 1973 aufgenommen worden, als sie sechzehn war und im Begriff stand, einen einundfünfzig Jahre alten Mann zu heiraten. Selbst damals war sie keine Schönheit gewesen, und ihr Gesicht war aufgrund der langen Nase und der schmalen Lippen markant und unverwechselbar.
Als der Captain nicht antwortete, wusste Mike, dass eine gewaltige Aufgabe auf ihn zukam, und er bemühte sich, seine Wut nicht überkochen zu lassen. Er hatte gerade einen Undercover- Auftrag abgeschlossen, der ihn drei Jahre beschäftigt hatte, und eine Zeit lang war sogar ein Preis auf seinen Kopf ausgesetzt gewesen.
Mike hatte zwar nie am Fall Vandlo gearbeitet, aber er hatte vor ein paar Jahren gehört, dass mehrere Mitglieder der Familie Vandlo verhaftet worden waren, und zwar alle am gleichen Tag, allerdings in verschiedenen Städten. Doch Mitzi, ihr Sohn Stefan und ein paar andere Familienangehörige - von denen sie viele Fotos vorliegen hatten - waren irgendwie gewarnt worden und entkommen. Bis vor Kurzem hatte niemand gewusst, wohin sie sich aus dem Staub gemacht hatten.
Mike goss aus einer Thermoskanne grünen Tee in eine Tasse und bot sie dem Captain an.
»Nein, danke«, sagte der und schüttelte den Kopf. »Ich bleibe dabei.« Er hob eine Dose mit einer Flüssigkeit hoch, die zahlreiche Zusatzstoffe und Koffein enthielt.
»Und, wo steckt sie?«, fragte Mike, und seine Stimme war noch rauer als gewöhnlich. Häufig musste er Fragen nach seiner Reibeisenstimme beantworten, und seine Standard-Halbwahrheit lautete, sie sei auf einen Unfall in seiner Kindheit zurückzuführen. Manchmal schmückte er es sogar aus und erfand Geschichten über Dreiräder oder Autounfälle, wonach ihm gerade der Sinn stand. Doch ungeachtet der Geschichten - Mikes Stimme war genauso einschüchternd wie sein Körper, sobald er in Aktion war.
»Hast du je gehört von ...?« Während der Captain einen Zettel aus seiner Hemdtasche fischte, wusste Mike, dass er sich noch über etwas anderes freute als nur über die Tatsache, dass man Mitzi aufgespürt hatte. Schließlich hatten sie inzwischen bereits mindestens zum sechsten Mal gehört, dass sie entdeckt worden war. »Ah, da ist er.« Der Captain überflog das Blatt. »Mal sehen, ob ich den Namen dieses Ortes überhaupt richtig aussprechen kann.«
»Die Tschechoslowakei gibt es nicht mehr«, stellte Mike trocken fest. »Nein, diese Stadt ist in den USA. Irgendwo im Norden.« »Jacksonville liegt ›im Norden‹.« »Ich hab's«, sagte der Captain. »Eddy soundso. Eddy ... Lean.«
»Eddy Lean ist ein Personenname, keine Stadt.«
»Vielleicht spreche ich es falsch aus. Sag es schneller.«
Mikes Kiefermuskel zuckte. Ihm missfiel das Spiel, das der Captain da im Sinn hatte. »Eddylean. Nie davon gehört. Also wo ... ?« Mike verstummte und holte Luft. »Ed-uh-lean«, sagte er mit so leiser Stimme, dass der Captain ihn kaum hören konnte. »Edilean.«
»Genau.« Der Captain steckte den Zettel wieder in die Tasche. »Hast du schon mal davon gehört?«
Mikes Hände begannen so stark zu zittern, dass er nicht nach seiner Tasse greifen konnte. Er zwang sich, die Ruhe zu bewahren, und bemühte sich, das Gesicht zu entspannen, um sich seine Panik nicht anmerken zu lassen. Er hatte nur einem Menschen von Edilean erzählt, und das war schon vor langer Zeit gewesen. Wenn dieser Mann involviert war, dann bedeutete dies Gefahr. »Ich bin mir sicher, ihr habt herausgefunden, dass meine Schwester dort wohnt«, sagte Mike leise.
Das Lächeln auf dem Gesicht des Captains verschwand. Er hatte Mike necken wollen, aber ihm missfiel es, bei einem der Männer unter seinem Kommando so heftige Gemütsregungen zu sehen. »Das wurde mir berichtet, aber dieser Fall hat überhaupt nichts mit ihr zu tun. Und bevor du danach fragst, nur ich und der Generalbundesstaatsanwalt wissen, dass sie dort lebt.«
Mike bemühte sich, seinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Er war schon viele Male in Situationen gewesen, in denen er den Leuten vorspielen musste, jemand zu sein, der er gar nicht war, deshalb hatte er gelernt, ruhig zu bleiben, koste es, was es wolle. Doch damals hatte jeweils sein eigenes Leben auf dem Spiel gestanden. Wenn sich im kleinen Edilean in Virginia etwas abspielte, dann war das Leben des einzigen Menschen, der ihm etwas bedeutete, nämlich seine Schwester Tess, in Gefahr.
»Mike!«, sagte der Captain laut, dann senkte er die Stimme. »Komm wieder runter. Keiner weiß etwas über dich, deinen Heimatort oder deine Schwester, sie ist absolut in Sicherheit.« Er zögerte. »Verstehe ich das richtig, dass ihr beide euch nahesteht?«
Mike zuckte nur einmal mit der Achsel. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, so wenig wie nur immer möglich von sich preiszugeben.
»Okay, dann sag mir eben nichts. Aber du kennst den Ort, richtig?«
»War noch nie in meinem Leben dort.« Mike zwang sich zu einem Grinsen. Er war wieder ganz er selbst und freute sich, das Stirnrunzeln im Gesicht des Captains zu sehen. Mike gefiel es, wenn er die Lage unter Kontrolle hatte. »Willst du mir sagen, worum es hier geht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich im kleinen Edilean irgendetwas Schlimmes ereignet hat.« Nicht seit 1941, dachte er, während ihm jede Menge Bilder durch den Kopf schossen - und keines davon war schön. Obwohl es der Wahrheit entsprach, dass er nie persönlich in Edilean gewesen war, so hatten die Stadt und ihre Bewohner doch seine Kindheit bestimmt. Als er an jenen Tag und an seine wütende, hasserfüllte Großmutter zurückdachte, konnte er es sich nicht verkneifen, die Hand an seine Kehle zu legen.
»Nichts ist passiert, jedenfalls noch nicht«, antwortete der Captain, »aber wir wissen, dass Stefan sich dort aufhält.«
»In Edilean? Was will er denn dort?«
»Das wissen wir nicht, aber er steht im Begriff, irgendein Mädchen aus dem Ort zu heiraten.« Der Captain nahm einen Schluck von seiner Cola. »Armes Ding. Sie ist in einer ländlichen Kleinstadt aufgewachsen, dann kommt Stefan mit seinem Großstadtglamour daher und erobert ihr Herz im Sturm. Sie hatte gar keine Chance.«
Mike neigte den Kopf, um sein Schmunzeln zu verbergen. Der Captain stammte aus Südflorida, wo es an jeder Ecke Geschäfte gab. Er bemitleidete jeden, der jemals hatte Schnee schippen müssen. »Sie heißt Susie. Oder jedenfalls beginnt ihr Name mit S.« Er griff nach einem Aktenordner, der neben ihm auf der Bank lag. »Sie heißt Sara ...«
»Shaw«, ergänzte Mike. »Sie will Greg Anders heiraten. Verstehe ich richtig, dass Greg Anders in Wahrheit Mitzis Sohn Stefan ist ?«
»Für jemanden, der noch nie in diesem Ort war, weißt du aber eine Menge darüber.« Der Captain verstummte, um Mike Zeit zu lassen, sich zu erklären, aber er sagte nichts. »Ja, er ist Stefan, und wir haben Grund zur Vermutung, dass auch Mitzi in dieser Stadt wohnt.«
»Und niemand achtet auf eine Frau mittleren Alters.«
»Genau.« Der Captain schob den Ordner über den Tisch zu Mike hinüber. »Wir wissen nicht, was da los ist, und warum sich zwei Schwerverbrecher dort aufhalten, deshalb müssen wir das herausfinden. Da du Verbindungen zu diesem Ort hast, bist du der Glückspilz.«
»Und dabei habe ich mich nie für ein Glückskind gehalten.« Als Mike den Ordner aufschlug, sah er, dass die erste Seite von der Polizeistation aus Decatur, Illinois, stammte. Er sah den Captain fragend an.
»Da geht es nur darum, wie Stefan aufgespürt wurde. Ein Polizist hat mit seiner Frau Urlaub in Richmond, Virginia, gemacht und Stefan und das Mädchen in einem Kleidergeschäft gesehen. Der Polizist hat herausgefunden, wo sie wohnen. Und was dich anbelangt, ein Typ, mit dem du vor langer Zeit zusammengearbeitet hast, wusste über Edilean und deine Schwester Bescheid.« Als Mike die Stirn runzelte, konnte sich der Captain ein Grinsen nicht verkneifen. Mikes Geheimniskrämerei - beziehungsweise »Privatsphäre«, wie er es nannte - konnte einen in den Wahnsinn treiben. Jeder vom Betrugsdezernat ging mit dem Captain auf ein paar Bier aus, und danach wusste er, wer von seiner Frau verlassen worden war, wer sich mit einem jungen Ding vergnügte, das auf Cops stand, und wer Probleme mit einem Fall hatte. Nur Mike bildete eine Ausnahme. Er redete zwar so viel wie die anderen Jungs über seine Trainingseinheiten, seine Ernährung, ja selbst über sein Auto. Es hatte den Anschein, als würde er eine Menge von sich preisgeben, doch am nächsten Tag wurde dem Captain dann klar, dass er von Mike absolut nichts Persönliches in Erfahrung gebracht hatte.
Als der stellvertretende Generalstaatsanwalt des südlichen Districts von Florida angerufen und erklärt hatte, sie glaubten, einer der meistgesuchtesten Verbrecher der Vereinigten Staaten halte sich möglicherweise in Edilean, Virginia, auf, und Mike Newlands Schwester lebe dort, da hatte der Captain sich an seinem Kaffee beinahe verschluckt. Er hätte viel Geld darauf gewettet, dass Mike überhaupt keine Verwandten hatte. Genau genommen war sich der Captain nicht einmal sicher, ob Mike je außerhalb seiner Fälle eine Freundin gehabt hatte. Er hatte jedenfalls noch nie eine Frau zu den Veranstaltungen der Abteilung mitgebracht, und soweit der Captain wusste, hatte Mike noch nie einen der Kollegen in sein Apartment eingeladen - das er zwei Mal im Jahr wechselte. Andererseits war Mike der beste Undercover-Agent, den sie je gehabt hatten. Nach jedem Auftrag musste er abtauchen, bis alle Leute, die er entlarvt hatte, hinter Schloss und Riegel saßen.
Mike klappte den Ordner zu. »Wann muss ich hin, und was soll ich tun?«
»Wir wollen sie retten.«
»Mitzi?«, fragte Mike ehrlich entsetzt. »Damit sie vor Gericht gebracht werden kann?«
»Nein, nicht sie. Das Mädchen. Wir wollen natürlich, dass du Mitzi fi ndest, aber wir wollen auch, dass du diese Sara Shaw rettest. Sobald die Vandlos von ihr bekommen haben, was sie haben wollen, wird niemand sie je wiedersehen.« Er hielt inne. »Mike ?«
Mike blickte den Captain an.
»Falls deine Schwester tatsächlich dort ist und du enttarnt wirst ...«
»Keine Sorge«, antwortete Mike. »Zurzeit ist Tess auf ihren Flitterwochen in Europa. Ich sage ihr, dass sie ihren frisch Angetrauten aus der Stadt fernhalten soll, bis die Sache auf die eine oder andere Weise gelöst ist.«
Der Captain schlug einen anderen Ordner auf und zog ein zwanzig Mal fünfundzwanzig Zentimeter großes Foto einer Frau mit dunklen Haaren und Augen hervor. Sie war atemberaubend schön. Sie stand an einer Straßenecke an einer Ampel und wartete auf Grün, und ein leichter Wind hatte ihr die Kleider an ihren Körper geweht. Sie hatte eine Figur, die jedem Mann den Atem verschlug. »Sieht deine Schwester tatsächlich so aus?«
Mike warf lediglich einen flüchtigen Blick auf das Foto. »Nur, wenn es ihr wirklich schlecht geht.«
Der Captain blinzelte ein paar Mal. »Okay.« Er legte ein Bild von Sara Shaw auf den Tisch. Die junge Frau hatte ein ovales Gesicht und blonde Haare, und sie trug ein weißes Kleid, das sie genauso süß aussehen ließ wie Mikes Schwester ... na ja, verführerisch wirkte. »Sie ist gar nicht der Typ, den Vandlo sonst bevorzugt.«
Mike griff nach dem Foto und studierte es. Er war sich nicht sicher, ob er dem Captain sagen sollte, dass er über Sara Shaw eine ganze Menge wusste. Sie war eine der beiden besten Freundinnen seiner Schwester, was viel heißen wollte, weil Tess mit ihrer scharfen Zunge bei vielen Leuten nicht gut ankam. Doch Sara hatte schon bei ihrer ersten Begegnung mit Tess den Menschen hinter den bissigen Bemerkungen und dem außergewöhnlichen Erscheinungsbild erkannt.
»Kennst du sie?«
»Ich bin Miss Shaw nie begegnet, aber ich habe einiges über sie gehört.« Er legte das Foto auf den Tisch. »Keiner hat also eine Ahnung, was die Vandlos in Edilean suchen?«
»Es sind viele Nachforschungen sowohl aus der Ferne als auch vor Ort angestellt worden, aber jeder, der es versucht hat, hat eine Niete gezogen. Worum es auch immer geht, Miss Shaw scheint im Mittelpunkt des Ganzen zu stehen. Ist sie reich, ohne dass irgendjemand etwas davon weiß? Erbt sie womöglich Millionen?«
»Nicht, dass ich wüsste. Sie hat gerade ein Geschäft eröffnet mit ...« Seine Schwester hielt ihn stets über den Klatsch und Tratsch in Edilean auf dem Laufenden, aber es war gar nicht einfach, sich das alles zu merken. »Mit ihrem Verlobten, Greg Anders. Tess hasst den Mann, sie sagt, er behandelt jeden verächtlich, der bei ihm nichts kauft. Aber Tess macht für Sara die ganze Buchhaltung und hat sichergestellt, dass Sara nicht für seine Schulden bürgt.«
»Klingt ganz nach Vandlo.« Der Captain zögerte. »Deine Schwester kümmert sich also um die Finanzen anderer Leute?« Sein Tonfall verriet, dass er nicht glauben konnte, dass eine Frau, die wie Tess aussah, tatsächlich Grips haben konnte.
Mike hatte nicht die Absicht, darauf zu antworten. Er wusste, wie sehr der Captain sich für sein Privatleben interessierte, und er hatte nicht vor, irgendetwas preiszugeben. »Du willst also, dass ich diese Verbrecher dingfest mache, aber ich soll darüber hinaus die hübsche Miss Shaw von Stefan Vandlo loseisen ? Besteht mein Auftrag in Verfolgung und Beobachtung? Oder soll ich mehr tun?«
»Du musst tun, was immer nötig ist, um ihr Leben zu retten. Wir glauben, Stefan bringt Sara um, sobald er bekommen hat, was er von ihr haben will - und was er sich am meisten zu wünschen scheint, ist die Hochzeit mit ihr.«
»Mein Gefühl sagt mir, dass Sara Zugang zu den Häusern vieler Wohlhabender haben muss, da die Kleider, die sie in dem Geschäft verkaufen, teuer sind. Vielleicht wollen die Vandlos sehen, was da zu holen ist.«
»Das haben wir zunächst auch gedacht, aber Vandlo hat als ihr Freund bereits Zugang zu diesen Häusern, und es sind keine Diebstähle gemeldet worden. Es muss um etwas Größeres gehen, aber keiner hat eine Ahnung, worum es sich handelt.« Der Captain klopfte auf den Ordner. »Nachdem du das gelesen hast, wirst du sehen, dass es bei deren Masche um viel mehr geht, als nur darum, ein paar Halsketten zu stehlen.« Er senkte die Stimme. »Wir glauben, Stefan hat sich nach neunzehnjähriger Ehe von seiner Frau nur deshalb scheiden lassen, damit seine Hochzeit mit Miss Shaw rechtskräftig ist - was bedeutet, dass er ihren ganzen Besitz erbt, wenn sie bei einem vermeintlichen Unfall ums Leben kommt.« Er sah Mike erwartungsvoll an. »Hast du wirklich keine Ahnung, was mit Miss Shaw in Verbindung steht, das so wertvoll ist, dass zwei der schlimmsten Betrüger der Welt sich darauf so gründlich vorbereitet haben?«
»Überhaupt keine«, antwortete Mike ehrlich. »Die McDowells sind reich, und Luke Connor wohnt dort, aber ...«
»Der Autor der Thomas-Canon-Bücher? Ich habe alle gelesen! Hey ! Vielleicht könntest du mir ein Exemplar mit Autogramm besorgen.«
»Klar. Ich werde mich als Tourist ausgeben, der sich verlaufen hat.«
Der Captain wurde wieder ernst. »Zu weit hergeholt. Du wirst deine Verbindungen zu deiner Schwester und zu dieser Stadt nutzen müssen - eben alles, was du herausfinden kannst, um diesem Mädchen nahe genug zu kommen und ihm die Hochzeit mit Stefan ausreden zu können. Wir wollen unbedingt verhindern, dass er ihren Besitz erben kann. Und du musst das sofort tun, weil die Hochzeit schon in drei Wochen stattfindet.«
Mike blickte ihn fassungslos an. »Was soll ich machen? Sie verführen?«
»Niemand würde dich damit beauftragen, wenn wir nicht überzeugt wären, dass du das schaffst. Und außerdem meine ich mich zu erinnern, dass du bei mehreren Frauen Erfolg gehabt hast. Da war doch dieses Mädchen in Lake Worth. Wie hieß die noch mal?«
»Tracy, die hat zehn oder zwanzig Jahre Knast bekommen. Hier handelt es sich aber um ein braves Mädchen. Wie soll ich mit ihm umgehen?«
»Ich weiß nicht. Behandle sie wie eine Dame. Koche für sie. Zieh den Stuhl für sie zurück. Mädchen wie die stehen auf Gentlemen. Ich bin mir sicher, dass Vandlo so bei ihr gelandet ist. Und bevor du danach fragst, nein, du darfst sie nicht entführen und du darfst Stefan nicht erschießen. Diese junge Frau, Sara Shaw, muss an Ort und Stelle bleiben, damit sie dir helfen kann, herauszufinden, was die beiden haben wollen.« Der Captain grinste hinterhältig. »Wir haben es so arrangiert, dass Stefan die ganze Zeit bis zur Hochzeit fort ist. Wir haben ihm ein paar Familienprobleme geliefert, die er nicht ignorieren kann.«
»Und das wären ?«
»Auch wenn er sich von seiner Frau hat scheiden lassen, wissen wir, dass er noch immer an ihr hängt, deshalb haben wir sie wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen - was ganz einfach war. Sie trinkt jede Menge Alkohol, seit Stefan sie verlassen hat, deshalb haben wir sie einfach eines Abends herausgepickt, und jetzt droht ihr eine Gefängnisstrafe. Wir haben sie in den frühen Morgenstunden bei ihm anrufen lassen, und er ist, wie wir gehofft hatten, sofort angerückt. Falls er Schwierigkeiten macht, buchten wir ihn ein, bis er sich wieder beruhigt.« Der Captain schmunzelte. »Ich frage mich, wie er seiner Verlobten wohl erklärt hat, dass er zu seiner Ex davonrennt.«
Mike schraubte seine Thermoskanne zu und überlegte, wie er diese Mission wohl erfüllen konnte. »Ich bezweifle, dass ein Lügner wie Vandlo ihr von seiner Ex erzählt hat.«
»Irgendwann wirst du Miss Shaw die Wahrheit sagen müssen, und das sollte ein Punkt zu deinen Gunsten sein. Was immer du tust, du musst es schnell tun«, sagte der Captain. »Und du darfst nie vergessen, dass diese junge Frau die vierte wäre, die verschwindet, nachdem sie sich mit Stefan Vandlo eingelassen hat. Er hat jedes Mal einen Decknamen benutzt und diesen Mädchen alles genommen, was sie hatten. Dann sind sie ›verschwunden‹, und der Freund, Vandlo, war unauffindbar.«
»Ja, das habe ich gelesen«, erklärte Mike. »Und wenn es nicht ein paar vage Berichte von Augenzeugen gegeben hätte, wüssten wir nicht einmal, wer das war.«
»Genau, weil Stefan nichts zurückgelassen hat, nicht einmal einen Fingerabdruck. Und du kennst die Regel: kein Beweis, keine Verurteilung. Ich persönlich würde den Mann gern umgehend verhaften, aber die da oben wollen eine Undercover- Operation, damit wir die Mutter kriegen. Wenn wir ihr den Sohn nehmen, fängt sie einfach an, ihre Nichten und Neffen einzusetzen. Sie ist der Kopf der Bande, deshalb müssen wir sie aus dem Verkehr ziehen. Ein für alle Mal.«
Mike warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich muss nur schnell bei meiner Wohnung vorbeifahren und ein paar Sachen holen, dann kann ich los ...«
»Hm, Mike«, sagte der Captain mit entschuldigendem Tonfall, »es sieht so aus, als hättest du in den letzten paar Stunden die Lokalnachrichten nicht gesehen. Da ist noch etwas, was du wissen musst.«
»Was ist passiert?«
Der Captain nahm die letzten Dokumente von der Bank und reichte sie ihm. »Das tut mir wirklich leid.«
Als Mike den Ordner aufschlug, sah er den Computerausdruck einer Nachrichtenmeldung. WOHNUNG AUSGEBRANNT, lautete die Schlagzeile. LAUT BEHÖRDEN WAREN ZIGARETTEN DIE BRANDURSACHE.
Als Mike das Foto sah, bekam er einen Wutanfall. Es handelte sich um seinen sechsstöckigen Wohnblock, und in der Ecke der vierten Etage - aus seinem Apartment - loderten Flammen.
Er legte die Blätter zu den anderen zurück, dann blickte er zum Captain auf. »Wer war das?«
»Die vom FBI sagen, es muss ein ... lass mich nachschauen. Ich will niemanden falsch zitieren.« Seine Stimme klang sarkastisch, als er ein Blatt umdrehte. »›Ein zufälliger Unfall‹ gewesen sein, so nennen sie das. Was für ein Glück für die.« Der Blick des Captains verriet Mitgefühl. »Das tut mir leid, Mike, aber sie wollen, dass du sauber dort ankommst. Deine Geschichte lautet, dass deine Wohnung ausgebrannt ist, deshalb hast du beschlossen, eine dringend benötigte Auszeit vom Polizeidienst zu nehmen. Es klingt vernünftig, dass du in der Wohnung deiner Schwester unterschlüpfst, da sie ja gerade leer steht. Es ist angeblich reiner Zufall, dass ihre Wohnung sich im gleichen Gebäude befindet wie die von Miss Shaw. Wir - die - wollen, dass du so wenig lügst wie möglich. Oh, ja, das hätte ich beinahe vergessen.« Er fasste in seine Tasche, zog einen neuen BlackBerry heraus und reichte ihn Mike. »Stefan hat Taschendiebstahl sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, deshalb wird er dir, wenn du ihm begegnest, das Handy entwenden. Wir wollen nicht, dass er irgendwelche Nummern entdeckt, die dich auffliegen lassen würden. Du nimmst, während du in Edilean bist, ausschließlich über deine Schwester Kontakt zu uns auf. Meinst du, sie ist damit einverstanden?«
»Bestimmt«, antwortete Mike, und er schwor sich erneut, Tess zu raten, dass sie fortbleiben sollte. Der Fall musste wirklich ernst sein, wenn sie seine Wohnung abfackelten. Er würde das keiner Menschenseele erzählen, aber Tess hatte ihm seit Jahren immer wieder Gebäck ihrer Freundin Sara Shaw geschickt, und Mike war der Meinung, dass es jemand, der so gut backen konnte, verdient hatte, gerettet zu werden.
Da Mike schwieg, sagte der Captain. »Tut mir leid um deine Sachen.« Alle wussten, dass Mike sehr großen Wert auf gute Kleidung legte. »Was hast du verloren?«
»Nichts Wichtiges. Tess bewahrt alles, was mir etwas bedeutet, in einem Lagerabteil in ...«, er zögerte, »... in Edilean auf.« »Ich rate dir, das Lager nicht aufzusuchen.« Der Captain wollte die Stimmung aufheitern. »Noch mal, das mit der Wohnung tut mir wirklich leid. Ich wollte mich als Freiwilliger melden, um nach deinem Goldfisch zu sehen.«
Mike schnaubte und stand auf. Er hatte keinen Goldfisch, keinen Hund, ja nicht einmal ein richtiges Zuhause. Seit er mit siebzehn das Haus seiner Großeltern verlassen hatte, hatte er in möblierten Mietwohnungen gelebt.
Mike blickte zur Straße hinüber, die sich durch den Park schlängelte. Er würde eine Laufrunde drehen - die brauchte er -, dann losfahren. »Ich fahre in zwei Stunden«, sagte er. »Dann müsste ich gegen zehn in Edilean sein - das heißt, wenn ich hin und wieder die Sirene einschalte.«
Der Captain lächelte. »Ich wusste, dass du den Fall übernimmst.« »Möchtest du mit mir laufen gehen ?«
Der Captain verzog das Gesicht. »Diese Tortur überlasse ich dir. Mike ?«
»Ja ?«
»Sei vorsichtig, ja ? Stefan hat noch so etwas wie ein Gewissen - zumindest Angst vor Vergeltungsmaßnahmen -, aber seine Mutter ...«
»Ja, ich weiß. Könntest du für mich noch mehr Informationen über Mutter und Sohn zusammenstellen?«
»Wie wäre es, wenn du sofort zu meinem Auto hinüberjoggen würdest, dann gebe ich dir drei Schachteln Material?«
Mike lachte, was selten vorkam und dazu führte, dass der Captain ihm einen fragenden Blick zuwarf.
»Du hast etwas im Sinn, stimmt's?«
»Ich habe gerade überlegt, wie ich mich Miss Shaw vorstelle, und mir ist eine Geschichte von einem uralten Tunnel eingefallen, die mir meine Schwester einmal erzählt hat. Er führt zufällig direkt zum Fußboden des Schlafzimmers meiner Schwester. Ich brauche also nichts weiter zu tun, als dafür zu sorgen, dass Miss Shaw vorübergehend dort einzieht.«
Der Captain wartete ab, doch Mike gab keine weiteren Einzelheiten preis. »Du hast nur drei Wochen. Glaubst du, du kannst in dieser Zeit Miss Shaw einem Großstadtcharmeur wie Stefan abspenstig machen?«
Mike stieß einen Seufzer aus. »Normalerweise würde ich sagen Ja, aber jetzt ...« Er zuckte mit den Achseln. »Nach meinen Erfahrungen besteht die einzige Möglichkeit, eine Frau zu kriegen, darin, herauszufinden, was sie haben will, und es ihr zu schenken. Allerdings habe ich keinen Schimmer, was eine Frau wie Sara Shaw sich wünschen könnte.« Er sah den Captain an. »Also, wo sind diese Schachteln mit dem Infomaterial? Ich muss weg von hier.« Mike folgte ihm zum Auto.
Übersetzung: Teresia Überhör
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2013 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
»Ich glaube, wir haben sie aufgespürt«, sagte Captain Erickson. Seine Stimme klang angespannt, und das zeigte, dass er sich bemühte, nicht allzu sehr zu triumphieren.
Sie saßen an einem Picknicktisch im Hugh Taylor Birch State Park in Fort Lauderdale, unmittelbar an der A1A. Es war an einem Septembervormittag, und allmählich wurde es in Südflorida ein wenig kühler. In etwa vier Wochen würde das Wetter herrlich sein.
»Ich vermute, du meinst Mitzi«, antwortete Mike Newland, denn erst gestern hatte ihm der Captain eine dicke Akte über diese Familie gegeben. Mizelli Vandlo war eine Frau, nach der mehrere Polizeiabteilungen, einschließlich des Betrugsdezernats von Fort Lauderdale, aber auch der Secret Service - wegen Finanzkriminalität - und das FBI - wegen Gewaltdelikten - seit Jahren fahndeten. Soweit bekannt, war das einzige Foto von ihr im Jahr 1973 aufgenommen worden, als sie sechzehn war und im Begriff stand, einen einundfünfzig Jahre alten Mann zu heiraten. Selbst damals war sie keine Schönheit gewesen, und ihr Gesicht war aufgrund der langen Nase und der schmalen Lippen markant und unverwechselbar.
Als der Captain nicht antwortete, wusste Mike, dass eine gewaltige Aufgabe auf ihn zukam, und er bemühte sich, seine Wut nicht überkochen zu lassen. Er hatte gerade einen Undercover- Auftrag abgeschlossen, der ihn drei Jahre beschäftigt hatte, und eine Zeit lang war sogar ein Preis auf seinen Kopf ausgesetzt gewesen.
Mike hatte zwar nie am Fall Vandlo gearbeitet, aber er hatte vor ein paar Jahren gehört, dass mehrere Mitglieder der Familie Vandlo verhaftet worden waren, und zwar alle am gleichen Tag, allerdings in verschiedenen Städten. Doch Mitzi, ihr Sohn Stefan und ein paar andere Familienangehörige - von denen sie viele Fotos vorliegen hatten - waren irgendwie gewarnt worden und entkommen. Bis vor Kurzem hatte niemand gewusst, wohin sie sich aus dem Staub gemacht hatten.
Mike goss aus einer Thermoskanne grünen Tee in eine Tasse und bot sie dem Captain an.
»Nein, danke«, sagte der und schüttelte den Kopf. »Ich bleibe dabei.« Er hob eine Dose mit einer Flüssigkeit hoch, die zahlreiche Zusatzstoffe und Koffein enthielt.
»Und, wo steckt sie?«, fragte Mike, und seine Stimme war noch rauer als gewöhnlich. Häufig musste er Fragen nach seiner Reibeisenstimme beantworten, und seine Standard-Halbwahrheit lautete, sie sei auf einen Unfall in seiner Kindheit zurückzuführen. Manchmal schmückte er es sogar aus und erfand Geschichten über Dreiräder oder Autounfälle, wonach ihm gerade der Sinn stand. Doch ungeachtet der Geschichten - Mikes Stimme war genauso einschüchternd wie sein Körper, sobald er in Aktion war.
»Hast du je gehört von ...?« Während der Captain einen Zettel aus seiner Hemdtasche fischte, wusste Mike, dass er sich noch über etwas anderes freute als nur über die Tatsache, dass man Mitzi aufgespürt hatte. Schließlich hatten sie inzwischen bereits mindestens zum sechsten Mal gehört, dass sie entdeckt worden war. »Ah, da ist er.« Der Captain überflog das Blatt. »Mal sehen, ob ich den Namen dieses Ortes überhaupt richtig aussprechen kann.«
»Die Tschechoslowakei gibt es nicht mehr«, stellte Mike trocken fest. »Nein, diese Stadt ist in den USA. Irgendwo im Norden.« »Jacksonville liegt ›im Norden‹.« »Ich hab's«, sagte der Captain. »Eddy soundso. Eddy ... Lean.«
»Eddy Lean ist ein Personenname, keine Stadt.«
»Vielleicht spreche ich es falsch aus. Sag es schneller.«
Mikes Kiefermuskel zuckte. Ihm missfiel das Spiel, das der Captain da im Sinn hatte. »Eddylean. Nie davon gehört. Also wo ... ?« Mike verstummte und holte Luft. »Ed-uh-lean«, sagte er mit so leiser Stimme, dass der Captain ihn kaum hören konnte. »Edilean.«
»Genau.« Der Captain steckte den Zettel wieder in die Tasche. »Hast du schon mal davon gehört?«
Mikes Hände begannen so stark zu zittern, dass er nicht nach seiner Tasse greifen konnte. Er zwang sich, die Ruhe zu bewahren, und bemühte sich, das Gesicht zu entspannen, um sich seine Panik nicht anmerken zu lassen. Er hatte nur einem Menschen von Edilean erzählt, und das war schon vor langer Zeit gewesen. Wenn dieser Mann involviert war, dann bedeutete dies Gefahr. »Ich bin mir sicher, ihr habt herausgefunden, dass meine Schwester dort wohnt«, sagte Mike leise.
Das Lächeln auf dem Gesicht des Captains verschwand. Er hatte Mike necken wollen, aber ihm missfiel es, bei einem der Männer unter seinem Kommando so heftige Gemütsregungen zu sehen. »Das wurde mir berichtet, aber dieser Fall hat überhaupt nichts mit ihr zu tun. Und bevor du danach fragst, nur ich und der Generalbundesstaatsanwalt wissen, dass sie dort lebt.«
Mike bemühte sich, seinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Er war schon viele Male in Situationen gewesen, in denen er den Leuten vorspielen musste, jemand zu sein, der er gar nicht war, deshalb hatte er gelernt, ruhig zu bleiben, koste es, was es wolle. Doch damals hatte jeweils sein eigenes Leben auf dem Spiel gestanden. Wenn sich im kleinen Edilean in Virginia etwas abspielte, dann war das Leben des einzigen Menschen, der ihm etwas bedeutete, nämlich seine Schwester Tess, in Gefahr.
»Mike!«, sagte der Captain laut, dann senkte er die Stimme. »Komm wieder runter. Keiner weiß etwas über dich, deinen Heimatort oder deine Schwester, sie ist absolut in Sicherheit.« Er zögerte. »Verstehe ich das richtig, dass ihr beide euch nahesteht?«
Mike zuckte nur einmal mit der Achsel. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, so wenig wie nur immer möglich von sich preiszugeben.
»Okay, dann sag mir eben nichts. Aber du kennst den Ort, richtig?«
»War noch nie in meinem Leben dort.« Mike zwang sich zu einem Grinsen. Er war wieder ganz er selbst und freute sich, das Stirnrunzeln im Gesicht des Captains zu sehen. Mike gefiel es, wenn er die Lage unter Kontrolle hatte. »Willst du mir sagen, worum es hier geht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich im kleinen Edilean irgendetwas Schlimmes ereignet hat.« Nicht seit 1941, dachte er, während ihm jede Menge Bilder durch den Kopf schossen - und keines davon war schön. Obwohl es der Wahrheit entsprach, dass er nie persönlich in Edilean gewesen war, so hatten die Stadt und ihre Bewohner doch seine Kindheit bestimmt. Als er an jenen Tag und an seine wütende, hasserfüllte Großmutter zurückdachte, konnte er es sich nicht verkneifen, die Hand an seine Kehle zu legen.
»Nichts ist passiert, jedenfalls noch nicht«, antwortete der Captain, »aber wir wissen, dass Stefan sich dort aufhält.«
»In Edilean? Was will er denn dort?«
»Das wissen wir nicht, aber er steht im Begriff, irgendein Mädchen aus dem Ort zu heiraten.« Der Captain nahm einen Schluck von seiner Cola. »Armes Ding. Sie ist in einer ländlichen Kleinstadt aufgewachsen, dann kommt Stefan mit seinem Großstadtglamour daher und erobert ihr Herz im Sturm. Sie hatte gar keine Chance.«
Mike neigte den Kopf, um sein Schmunzeln zu verbergen. Der Captain stammte aus Südflorida, wo es an jeder Ecke Geschäfte gab. Er bemitleidete jeden, der jemals hatte Schnee schippen müssen. »Sie heißt Susie. Oder jedenfalls beginnt ihr Name mit S.« Er griff nach einem Aktenordner, der neben ihm auf der Bank lag. »Sie heißt Sara ...«
»Shaw«, ergänzte Mike. »Sie will Greg Anders heiraten. Verstehe ich richtig, dass Greg Anders in Wahrheit Mitzis Sohn Stefan ist ?«
»Für jemanden, der noch nie in diesem Ort war, weißt du aber eine Menge darüber.« Der Captain verstummte, um Mike Zeit zu lassen, sich zu erklären, aber er sagte nichts. »Ja, er ist Stefan, und wir haben Grund zur Vermutung, dass auch Mitzi in dieser Stadt wohnt.«
»Und niemand achtet auf eine Frau mittleren Alters.«
»Genau.« Der Captain schob den Ordner über den Tisch zu Mike hinüber. »Wir wissen nicht, was da los ist, und warum sich zwei Schwerverbrecher dort aufhalten, deshalb müssen wir das herausfinden. Da du Verbindungen zu diesem Ort hast, bist du der Glückspilz.«
»Und dabei habe ich mich nie für ein Glückskind gehalten.« Als Mike den Ordner aufschlug, sah er, dass die erste Seite von der Polizeistation aus Decatur, Illinois, stammte. Er sah den Captain fragend an.
»Da geht es nur darum, wie Stefan aufgespürt wurde. Ein Polizist hat mit seiner Frau Urlaub in Richmond, Virginia, gemacht und Stefan und das Mädchen in einem Kleidergeschäft gesehen. Der Polizist hat herausgefunden, wo sie wohnen. Und was dich anbelangt, ein Typ, mit dem du vor langer Zeit zusammengearbeitet hast, wusste über Edilean und deine Schwester Bescheid.« Als Mike die Stirn runzelte, konnte sich der Captain ein Grinsen nicht verkneifen. Mikes Geheimniskrämerei - beziehungsweise »Privatsphäre«, wie er es nannte - konnte einen in den Wahnsinn treiben. Jeder vom Betrugsdezernat ging mit dem Captain auf ein paar Bier aus, und danach wusste er, wer von seiner Frau verlassen worden war, wer sich mit einem jungen Ding vergnügte, das auf Cops stand, und wer Probleme mit einem Fall hatte. Nur Mike bildete eine Ausnahme. Er redete zwar so viel wie die anderen Jungs über seine Trainingseinheiten, seine Ernährung, ja selbst über sein Auto. Es hatte den Anschein, als würde er eine Menge von sich preisgeben, doch am nächsten Tag wurde dem Captain dann klar, dass er von Mike absolut nichts Persönliches in Erfahrung gebracht hatte.
Als der stellvertretende Generalstaatsanwalt des südlichen Districts von Florida angerufen und erklärt hatte, sie glaubten, einer der meistgesuchtesten Verbrecher der Vereinigten Staaten halte sich möglicherweise in Edilean, Virginia, auf, und Mike Newlands Schwester lebe dort, da hatte der Captain sich an seinem Kaffee beinahe verschluckt. Er hätte viel Geld darauf gewettet, dass Mike überhaupt keine Verwandten hatte. Genau genommen war sich der Captain nicht einmal sicher, ob Mike je außerhalb seiner Fälle eine Freundin gehabt hatte. Er hatte jedenfalls noch nie eine Frau zu den Veranstaltungen der Abteilung mitgebracht, und soweit der Captain wusste, hatte Mike noch nie einen der Kollegen in sein Apartment eingeladen - das er zwei Mal im Jahr wechselte. Andererseits war Mike der beste Undercover-Agent, den sie je gehabt hatten. Nach jedem Auftrag musste er abtauchen, bis alle Leute, die er entlarvt hatte, hinter Schloss und Riegel saßen.
Mike klappte den Ordner zu. »Wann muss ich hin, und was soll ich tun?«
»Wir wollen sie retten.«
»Mitzi?«, fragte Mike ehrlich entsetzt. »Damit sie vor Gericht gebracht werden kann?«
»Nein, nicht sie. Das Mädchen. Wir wollen natürlich, dass du Mitzi fi ndest, aber wir wollen auch, dass du diese Sara Shaw rettest. Sobald die Vandlos von ihr bekommen haben, was sie haben wollen, wird niemand sie je wiedersehen.« Er hielt inne. »Mike ?«
Mike blickte den Captain an.
»Falls deine Schwester tatsächlich dort ist und du enttarnt wirst ...«
»Keine Sorge«, antwortete Mike. »Zurzeit ist Tess auf ihren Flitterwochen in Europa. Ich sage ihr, dass sie ihren frisch Angetrauten aus der Stadt fernhalten soll, bis die Sache auf die eine oder andere Weise gelöst ist.«
Der Captain schlug einen anderen Ordner auf und zog ein zwanzig Mal fünfundzwanzig Zentimeter großes Foto einer Frau mit dunklen Haaren und Augen hervor. Sie war atemberaubend schön. Sie stand an einer Straßenecke an einer Ampel und wartete auf Grün, und ein leichter Wind hatte ihr die Kleider an ihren Körper geweht. Sie hatte eine Figur, die jedem Mann den Atem verschlug. »Sieht deine Schwester tatsächlich so aus?«
Mike warf lediglich einen flüchtigen Blick auf das Foto. »Nur, wenn es ihr wirklich schlecht geht.«
Der Captain blinzelte ein paar Mal. »Okay.« Er legte ein Bild von Sara Shaw auf den Tisch. Die junge Frau hatte ein ovales Gesicht und blonde Haare, und sie trug ein weißes Kleid, das sie genauso süß aussehen ließ wie Mikes Schwester ... na ja, verführerisch wirkte. »Sie ist gar nicht der Typ, den Vandlo sonst bevorzugt.«
Mike griff nach dem Foto und studierte es. Er war sich nicht sicher, ob er dem Captain sagen sollte, dass er über Sara Shaw eine ganze Menge wusste. Sie war eine der beiden besten Freundinnen seiner Schwester, was viel heißen wollte, weil Tess mit ihrer scharfen Zunge bei vielen Leuten nicht gut ankam. Doch Sara hatte schon bei ihrer ersten Begegnung mit Tess den Menschen hinter den bissigen Bemerkungen und dem außergewöhnlichen Erscheinungsbild erkannt.
»Kennst du sie?«
»Ich bin Miss Shaw nie begegnet, aber ich habe einiges über sie gehört.« Er legte das Foto auf den Tisch. »Keiner hat also eine Ahnung, was die Vandlos in Edilean suchen?«
»Es sind viele Nachforschungen sowohl aus der Ferne als auch vor Ort angestellt worden, aber jeder, der es versucht hat, hat eine Niete gezogen. Worum es auch immer geht, Miss Shaw scheint im Mittelpunkt des Ganzen zu stehen. Ist sie reich, ohne dass irgendjemand etwas davon weiß? Erbt sie womöglich Millionen?«
»Nicht, dass ich wüsste. Sie hat gerade ein Geschäft eröffnet mit ...« Seine Schwester hielt ihn stets über den Klatsch und Tratsch in Edilean auf dem Laufenden, aber es war gar nicht einfach, sich das alles zu merken. »Mit ihrem Verlobten, Greg Anders. Tess hasst den Mann, sie sagt, er behandelt jeden verächtlich, der bei ihm nichts kauft. Aber Tess macht für Sara die ganze Buchhaltung und hat sichergestellt, dass Sara nicht für seine Schulden bürgt.«
»Klingt ganz nach Vandlo.« Der Captain zögerte. »Deine Schwester kümmert sich also um die Finanzen anderer Leute?« Sein Tonfall verriet, dass er nicht glauben konnte, dass eine Frau, die wie Tess aussah, tatsächlich Grips haben konnte.
Mike hatte nicht die Absicht, darauf zu antworten. Er wusste, wie sehr der Captain sich für sein Privatleben interessierte, und er hatte nicht vor, irgendetwas preiszugeben. »Du willst also, dass ich diese Verbrecher dingfest mache, aber ich soll darüber hinaus die hübsche Miss Shaw von Stefan Vandlo loseisen ? Besteht mein Auftrag in Verfolgung und Beobachtung? Oder soll ich mehr tun?«
»Du musst tun, was immer nötig ist, um ihr Leben zu retten. Wir glauben, Stefan bringt Sara um, sobald er bekommen hat, was er von ihr haben will - und was er sich am meisten zu wünschen scheint, ist die Hochzeit mit ihr.«
»Mein Gefühl sagt mir, dass Sara Zugang zu den Häusern vieler Wohlhabender haben muss, da die Kleider, die sie in dem Geschäft verkaufen, teuer sind. Vielleicht wollen die Vandlos sehen, was da zu holen ist.«
»Das haben wir zunächst auch gedacht, aber Vandlo hat als ihr Freund bereits Zugang zu diesen Häusern, und es sind keine Diebstähle gemeldet worden. Es muss um etwas Größeres gehen, aber keiner hat eine Ahnung, worum es sich handelt.« Der Captain klopfte auf den Ordner. »Nachdem du das gelesen hast, wirst du sehen, dass es bei deren Masche um viel mehr geht, als nur darum, ein paar Halsketten zu stehlen.« Er senkte die Stimme. »Wir glauben, Stefan hat sich nach neunzehnjähriger Ehe von seiner Frau nur deshalb scheiden lassen, damit seine Hochzeit mit Miss Shaw rechtskräftig ist - was bedeutet, dass er ihren ganzen Besitz erbt, wenn sie bei einem vermeintlichen Unfall ums Leben kommt.« Er sah Mike erwartungsvoll an. »Hast du wirklich keine Ahnung, was mit Miss Shaw in Verbindung steht, das so wertvoll ist, dass zwei der schlimmsten Betrüger der Welt sich darauf so gründlich vorbereitet haben?«
»Überhaupt keine«, antwortete Mike ehrlich. »Die McDowells sind reich, und Luke Connor wohnt dort, aber ...«
»Der Autor der Thomas-Canon-Bücher? Ich habe alle gelesen! Hey ! Vielleicht könntest du mir ein Exemplar mit Autogramm besorgen.«
»Klar. Ich werde mich als Tourist ausgeben, der sich verlaufen hat.«
Der Captain wurde wieder ernst. »Zu weit hergeholt. Du wirst deine Verbindungen zu deiner Schwester und zu dieser Stadt nutzen müssen - eben alles, was du herausfinden kannst, um diesem Mädchen nahe genug zu kommen und ihm die Hochzeit mit Stefan ausreden zu können. Wir wollen unbedingt verhindern, dass er ihren Besitz erben kann. Und du musst das sofort tun, weil die Hochzeit schon in drei Wochen stattfindet.«
Mike blickte ihn fassungslos an. »Was soll ich machen? Sie verführen?«
»Niemand würde dich damit beauftragen, wenn wir nicht überzeugt wären, dass du das schaffst. Und außerdem meine ich mich zu erinnern, dass du bei mehreren Frauen Erfolg gehabt hast. Da war doch dieses Mädchen in Lake Worth. Wie hieß die noch mal?«
»Tracy, die hat zehn oder zwanzig Jahre Knast bekommen. Hier handelt es sich aber um ein braves Mädchen. Wie soll ich mit ihm umgehen?«
»Ich weiß nicht. Behandle sie wie eine Dame. Koche für sie. Zieh den Stuhl für sie zurück. Mädchen wie die stehen auf Gentlemen. Ich bin mir sicher, dass Vandlo so bei ihr gelandet ist. Und bevor du danach fragst, nein, du darfst sie nicht entführen und du darfst Stefan nicht erschießen. Diese junge Frau, Sara Shaw, muss an Ort und Stelle bleiben, damit sie dir helfen kann, herauszufinden, was die beiden haben wollen.« Der Captain grinste hinterhältig. »Wir haben es so arrangiert, dass Stefan die ganze Zeit bis zur Hochzeit fort ist. Wir haben ihm ein paar Familienprobleme geliefert, die er nicht ignorieren kann.«
»Und das wären ?«
»Auch wenn er sich von seiner Frau hat scheiden lassen, wissen wir, dass er noch immer an ihr hängt, deshalb haben wir sie wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen - was ganz einfach war. Sie trinkt jede Menge Alkohol, seit Stefan sie verlassen hat, deshalb haben wir sie einfach eines Abends herausgepickt, und jetzt droht ihr eine Gefängnisstrafe. Wir haben sie in den frühen Morgenstunden bei ihm anrufen lassen, und er ist, wie wir gehofft hatten, sofort angerückt. Falls er Schwierigkeiten macht, buchten wir ihn ein, bis er sich wieder beruhigt.« Der Captain schmunzelte. »Ich frage mich, wie er seiner Verlobten wohl erklärt hat, dass er zu seiner Ex davonrennt.«
Mike schraubte seine Thermoskanne zu und überlegte, wie er diese Mission wohl erfüllen konnte. »Ich bezweifle, dass ein Lügner wie Vandlo ihr von seiner Ex erzählt hat.«
»Irgendwann wirst du Miss Shaw die Wahrheit sagen müssen, und das sollte ein Punkt zu deinen Gunsten sein. Was immer du tust, du musst es schnell tun«, sagte der Captain. »Und du darfst nie vergessen, dass diese junge Frau die vierte wäre, die verschwindet, nachdem sie sich mit Stefan Vandlo eingelassen hat. Er hat jedes Mal einen Decknamen benutzt und diesen Mädchen alles genommen, was sie hatten. Dann sind sie ›verschwunden‹, und der Freund, Vandlo, war unauffindbar.«
»Ja, das habe ich gelesen«, erklärte Mike. »Und wenn es nicht ein paar vage Berichte von Augenzeugen gegeben hätte, wüssten wir nicht einmal, wer das war.«
»Genau, weil Stefan nichts zurückgelassen hat, nicht einmal einen Fingerabdruck. Und du kennst die Regel: kein Beweis, keine Verurteilung. Ich persönlich würde den Mann gern umgehend verhaften, aber die da oben wollen eine Undercover- Operation, damit wir die Mutter kriegen. Wenn wir ihr den Sohn nehmen, fängt sie einfach an, ihre Nichten und Neffen einzusetzen. Sie ist der Kopf der Bande, deshalb müssen wir sie aus dem Verkehr ziehen. Ein für alle Mal.«
Mike warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich muss nur schnell bei meiner Wohnung vorbeifahren und ein paar Sachen holen, dann kann ich los ...«
»Hm, Mike«, sagte der Captain mit entschuldigendem Tonfall, »es sieht so aus, als hättest du in den letzten paar Stunden die Lokalnachrichten nicht gesehen. Da ist noch etwas, was du wissen musst.«
»Was ist passiert?«
Der Captain nahm die letzten Dokumente von der Bank und reichte sie ihm. »Das tut mir wirklich leid.«
Als Mike den Ordner aufschlug, sah er den Computerausdruck einer Nachrichtenmeldung. WOHNUNG AUSGEBRANNT, lautete die Schlagzeile. LAUT BEHÖRDEN WAREN ZIGARETTEN DIE BRANDURSACHE.
Als Mike das Foto sah, bekam er einen Wutanfall. Es handelte sich um seinen sechsstöckigen Wohnblock, und in der Ecke der vierten Etage - aus seinem Apartment - loderten Flammen.
Er legte die Blätter zu den anderen zurück, dann blickte er zum Captain auf. »Wer war das?«
»Die vom FBI sagen, es muss ein ... lass mich nachschauen. Ich will niemanden falsch zitieren.« Seine Stimme klang sarkastisch, als er ein Blatt umdrehte. »›Ein zufälliger Unfall‹ gewesen sein, so nennen sie das. Was für ein Glück für die.« Der Blick des Captains verriet Mitgefühl. »Das tut mir leid, Mike, aber sie wollen, dass du sauber dort ankommst. Deine Geschichte lautet, dass deine Wohnung ausgebrannt ist, deshalb hast du beschlossen, eine dringend benötigte Auszeit vom Polizeidienst zu nehmen. Es klingt vernünftig, dass du in der Wohnung deiner Schwester unterschlüpfst, da sie ja gerade leer steht. Es ist angeblich reiner Zufall, dass ihre Wohnung sich im gleichen Gebäude befindet wie die von Miss Shaw. Wir - die - wollen, dass du so wenig lügst wie möglich. Oh, ja, das hätte ich beinahe vergessen.« Er fasste in seine Tasche, zog einen neuen BlackBerry heraus und reichte ihn Mike. »Stefan hat Taschendiebstahl sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, deshalb wird er dir, wenn du ihm begegnest, das Handy entwenden. Wir wollen nicht, dass er irgendwelche Nummern entdeckt, die dich auffliegen lassen würden. Du nimmst, während du in Edilean bist, ausschließlich über deine Schwester Kontakt zu uns auf. Meinst du, sie ist damit einverstanden?«
»Bestimmt«, antwortete Mike, und er schwor sich erneut, Tess zu raten, dass sie fortbleiben sollte. Der Fall musste wirklich ernst sein, wenn sie seine Wohnung abfackelten. Er würde das keiner Menschenseele erzählen, aber Tess hatte ihm seit Jahren immer wieder Gebäck ihrer Freundin Sara Shaw geschickt, und Mike war der Meinung, dass es jemand, der so gut backen konnte, verdient hatte, gerettet zu werden.
Da Mike schwieg, sagte der Captain. »Tut mir leid um deine Sachen.« Alle wussten, dass Mike sehr großen Wert auf gute Kleidung legte. »Was hast du verloren?«
»Nichts Wichtiges. Tess bewahrt alles, was mir etwas bedeutet, in einem Lagerabteil in ...«, er zögerte, »... in Edilean auf.« »Ich rate dir, das Lager nicht aufzusuchen.« Der Captain wollte die Stimmung aufheitern. »Noch mal, das mit der Wohnung tut mir wirklich leid. Ich wollte mich als Freiwilliger melden, um nach deinem Goldfisch zu sehen.«
Mike schnaubte und stand auf. Er hatte keinen Goldfisch, keinen Hund, ja nicht einmal ein richtiges Zuhause. Seit er mit siebzehn das Haus seiner Großeltern verlassen hatte, hatte er in möblierten Mietwohnungen gelebt.
Mike blickte zur Straße hinüber, die sich durch den Park schlängelte. Er würde eine Laufrunde drehen - die brauchte er -, dann losfahren. »Ich fahre in zwei Stunden«, sagte er. »Dann müsste ich gegen zehn in Edilean sein - das heißt, wenn ich hin und wieder die Sirene einschalte.«
Der Captain lächelte. »Ich wusste, dass du den Fall übernimmst.« »Möchtest du mit mir laufen gehen ?«
Der Captain verzog das Gesicht. »Diese Tortur überlasse ich dir. Mike ?«
»Ja ?«
»Sei vorsichtig, ja ? Stefan hat noch so etwas wie ein Gewissen - zumindest Angst vor Vergeltungsmaßnahmen -, aber seine Mutter ...«
»Ja, ich weiß. Könntest du für mich noch mehr Informationen über Mutter und Sohn zusammenstellen?«
»Wie wäre es, wenn du sofort zu meinem Auto hinüberjoggen würdest, dann gebe ich dir drei Schachteln Material?«
Mike lachte, was selten vorkam und dazu führte, dass der Captain ihm einen fragenden Blick zuwarf.
»Du hast etwas im Sinn, stimmt's?«
»Ich habe gerade überlegt, wie ich mich Miss Shaw vorstelle, und mir ist eine Geschichte von einem uralten Tunnel eingefallen, die mir meine Schwester einmal erzählt hat. Er führt zufällig direkt zum Fußboden des Schlafzimmers meiner Schwester. Ich brauche also nichts weiter zu tun, als dafür zu sorgen, dass Miss Shaw vorübergehend dort einzieht.«
Der Captain wartete ab, doch Mike gab keine weiteren Einzelheiten preis. »Du hast nur drei Wochen. Glaubst du, du kannst in dieser Zeit Miss Shaw einem Großstadtcharmeur wie Stefan abspenstig machen?«
Mike stieß einen Seufzer aus. »Normalerweise würde ich sagen Ja, aber jetzt ...« Er zuckte mit den Achseln. »Nach meinen Erfahrungen besteht die einzige Möglichkeit, eine Frau zu kriegen, darin, herauszufinden, was sie haben will, und es ihr zu schenken. Allerdings habe ich keinen Schimmer, was eine Frau wie Sara Shaw sich wünschen könnte.« Er sah den Captain an. »Also, wo sind diese Schachteln mit dem Infomaterial? Ich muss weg von hier.« Mike folgte ihm zum Auto.
Übersetzung: Teresia Überhör
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2013 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Jude Deveraux
Jude Deveraux ist Autorin von 38 New-York-Times-Bestsellern. Bis jetzt wurden mehr als 60 Millionen Exemplare ihrer Bücher weltweit verkauft. Sie lebt in North Carolina.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jude Deveraux
- 2013, 1, 400 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863654773
- ISBN-13: 9783863654771
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