Filou - Ein Kater sucht das Glück
Filou hat es nicht leicht: Der kleine rote Kater ist ein Waisenkind und lebt auf der Straße. Sein täglich Brot muss er sich im südfranzösischen Beaulieu hart erkämpfen. Und dann ist da auch noch die listige Katze...
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Produktinformationen zu „Filou - Ein Kater sucht das Glück “
Filou hat es nicht leicht: Der kleine rote Kater ist ein Waisenkind und lebt auf der Straße. Sein täglich Brot muss er sich im südfranzösischen Beaulieu hart erkämpfen. Und dann ist da auch noch die listige Katze Lucrezia, die ihn gnadenlos ausbeutet. Als Filou das Mädchen Marla kennenlernt, glaubt er, im Paradies zu sein. Doch die listige Lucrezia vertreibt ihn auch hier wieder. Ziel- und haltlos streift er umher bis er die schöne Josephine und ihre beiden Kleinen trifft. Und endlich erfährt Filou, was Glück wirklich ist.
"Die Geschichte ist so anrührend und charmant geschrieben, dass man den kleinen Frechdachs sofort ins Herz schließt. Ein absolutes Muss für Katzenfreunde"
LITERATURMARKT.INFO
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Lese-Probe zu „Filou - Ein Kater sucht das Glück “
Filou - Ein Kater sucht das Glück von Sophie Winter 1
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Filou war der größte und prächtigste, der angesehenste Kater von Beaulieu. Er war ein Kater im Glück. Kurz vor Morgengrauen erwachte er aus einem erfrischenden Schläfchen, reckte und streckte sich, polierte sich mit der angefeuchteten Pfote die Ohren und sprang hinaus auf die Straße. Er konnte sie nicht warten lassen, die Menschen da draußen in seinem Sprengel, er war ihr Glücksbringer, ihr Talisman, sie brauchten ihn.
Im Bewusstsein seiner Mission bauschte er die erhobene Rute, deren Spitze er einen eleganten kleinen Dreh gegeben hatte, und spazierte die Ruelle des Camisards hoch. Die Mauern der Häuser rechts und links der engen Gasse verströmten feuchte Kälte und den Geruch aller Tiere, die in den letzten Tagen hier entlanggezogen waren. Filou überprüfte die Duftmarke, die er neben eine Haustür gesetzt hatte, vor der zwei alte Blechtöpfe standen, in denen Fleißige Lieschen blühten. »Mein Revier!«, sagte der Duft stark und deutlich.
Zufrieden trabte er weiter, sprang von Haustür zu Haustür, tatzte nach einer nachtstarren Biene, stolzierte provozierend langsam am Zaun vorbei, hinter dem ein schwarzer Dobermann tobte, und entkam nur mit äußerster Geistesgegenwart und Schnellkraft dem Schwall kalten Wischwassers, der sich aus einer der Türen auf die Straße ergoss. Mit elegant auf zehn nach drei gesenktem Schweif trabte er am Platz vor dem Kriegerdenkmal vorbei, auf dem die alten Männer sonntags Petanque spielten. Einmal hatte er versucht mitzuspielen, da war er noch jung und naiv gewesen. Was war das für ein Geschrei und Gekeife gewesen, als er die kleinste der Kugeln zwischen die Pfoten nahm und über das Spielfeld dribbelte! Keiner schien sich über seine Meisterschaft zu freuen, alle scheuchten ihn weg. Wie konnte man nur so engstirnig sein.
Endlich erreichte er die Grande Rue. Groß war die Grande Rue nicht, obwohl sie so hieß, aber sie war groß genug für Autos, und die waren gefährlich. Es war nicht gut, ihnen in die Quere zu kommen, nein, ganz und gar nicht. Er blickte erst nach links und dann nach rechts und huschte hinter einem schwankenden Fahrradfahrer über die Straße. Am Bottich mit dem Oleander, der vor dem Friseurladen stand, überraschte ihn eine verführerische Duftnote, der er sich mit Hingabe widmete. Mensch? Hund? Katze? Kind? Bevor er zur Feinanalyse übergehen konnte, schlich sich ein noch betörenderer Geruch vor seine Nase, der ihn daran erinnerte, dass er zu tun hatte. Das aufreizende Duftbouquet lockte und rief, und Filou fi el in einen leichten Trab, bis er vor der Bäckerei angelangt war. Durch die geöffnete Tür sah er Madame aus dem Backzimmer eilen, im Arm ein dickes Bündel feiner Ficelles, extradünner, goldbrauner Weißbrotstangen. Madame war von der Hitze ganz rot im Gesicht, aus ihrem Haarknoten hatte sich eine Haarsträhne gelöst und kräuselte sich auf der weißen Bluse. Filou spürte ein verräterisches Zucken in seiner rechten Pfote. Wie gerne wäre er ihr auf den Arm gesprungen und hätte mit diesen verführerischen Locken gespielt!
»Aber da ist er ja, mein Liebling!«, rief Madame, legte die Ficelles in einen der großen Körbe hinter dem Verkaufstisch, griff in das Körbchen mit den Croissants und eilte zur Tür. »Komm, mein schöner roter Kater, komm her zu mir«, lockte sie, ging in die Knie und hielt ihm ein Stückchen entgegen. Filou versuchte, sich würdig zu nähern, aber seine Schnurrbarthaare zitterten schon vor freudiger Erwartung. Dennoch zwang er sich dazu, ihr das Stück Croissant ganz besonders zart aus der Hand zu nehmen und es nicht allzu gierig zu verschlingen.
Dann sah er hoch. Das war doch noch nicht alles? Natürlich nicht, das Beste kam wie jedes Mal zuletzt. Madame wusste, wie man sich beliebt macht. Sie begann hinter seinen Ohren, walkte sein Nackenfell und strich dann sanft das Rückgrat hinunter bis zur Schwanzwurzel, wo ihre Hand eine Weile provozierend knetend verharrte, um dann aufs Neue zu beginnen: von oben nach unten, immer fein mit dem Strich. Filou schnurrte und wand sich vor Vergnügen. Dies war ein Morgenritual, das er besonders schätzte.
»Marie-Lou? Was ist! Wo bist du?«
Oh, diese Stimme. Diese hässliche, laute, störende Stimme. Filou senkte die Rute, machte sich schlank und duckte sich unter der streichelnden Hand weg. Er hasste diese Stimme. Madame mochte sie offenbar auch nicht.
»Ist ja gut!«, murmelte sie und richtete sich auf. »Ich komm ja schon!«
Filou schoss wie ein Pfeil davon.
»Was hast du immer mit dem roten Vieh? Das ist doch verfloht und verlaust!«, hörte er die laute unfreundliche Stimme rufen. »Dies ist eine Bäckerei! Könntest du bitte auf Hygiene achten?« Hygiene? War das so was wie das stinkende Spray, mit dem Madame im Sommer die Himbeersahnetörtchen einnebelte, woraufhin alle Fliegen, die sie gierig umkreist hatten, tot herabfielen? Filou atmete tief durch. Zugegeben, nicht jeder liebte es, wenn er morgens zu Besuch kam. Doch es gab viele Plätze, wo die Menschen ihn freudig willkommen hießen. Nur er selbst fand nicht alle Menschen und Plätze gleich angenehm. Vor Brunos Bar etwa hielt man sich als empfindsames Wesen besser nicht lange auf. Filou beschleunigte sein Tempo. Vom Laternenmast her roch es nach den Körperflüssigkeiten von Männern, die Pastis, Weißbrot und kräftig mit Knoblauch gewürzte Speisen schätzen. Im Rinnstein krümelte die Hinterlassenschaft von Yapper vor sich hin, dem hässlichen Dackel der Zwillinge, der immer mit einem Püppchen aus rosa Strick im Maul durch die Gegend lief. Und aus der offenen Tür von Brunos Bar quoll der Gestank von Zigaretten und Rotwein. Filou wechselte vom Trab in den Galopp, fetzte an einem nach Maschinenöl riechenden alten Damenfahrrad vorbei und bog in die Rue des Fleurs ein.
Hier war die Pforte zum Paradies: links der Metzger, rechts der kleine Supermarkt und dazwischen das Maison de la Presse und das Café. Und dort, direkt vorm Café, ging jeden Tag die Sonne auf. Sie hieß Isabelle.
Nun, die wirkliche Sonne war noch damit beschäftigt, den Himmel sanft zu röten, bevor sie sich über den Roche du Diable wälzte, den Felsen, der über Beaulieu thronte. Aber für Filou war Isabo die aufgehende Sonne, das Mädchen, das jeden Morgen, bevor die Gäste kamen, die Tische und Stühle vorm Café putzte. Als sie ihn sah, ging sie in die Hocke.
»Filoufiloufiloufilou!«
Filou stellte den Schweif auf und zeichnete mit der Schwanzspitze eine Arabeske in die warme Luft. Dann lief er auf sie zu. Sein Engel mit den dunklen Zöpfen lachte ihm entgegen, hob ihn hoch, vergrub die Nase in seinem Fell und flüsterte Kosenamen. »Du Schöner! Du braver Kerl! Du mein Liebster!« Filou brummte vor Vergnügen, als sie ihn auf den Rücken drehte und seinen Bauch kraulte. Das kitzelte! Aber es war wunderbar.
Endlich setzte sie ihn ab. Er schüttelte sich, brachte seinen glänzenden rostroten Pelz mit ein paar kräftigen Zungenstrichen wieder in Form und trabte davon. Jetzt fühlte er sich erfrischt und entspannt, bereit für den Höhepunkt seiner morgendlichen Patrouille. Aufrecht und kühn ging er ihm entgegen.
Seine Truppen waren bereits aufmarschiert. In Reih und Glied standen sie vor dem Metzgerladen, Minou und Mimi und die anderen. Filou stellte den Schweif wie eine Standarte auf und bauschte ihn, sodass er fast so breit war wie er selbst. Nur an der Spitze drehte er ihn leicht ein, ein Zeichen der Bescheidenheit.
Denn er hatte ja ganz zweifellos den schönsten, den größten, den prächtigsten Schwanz von ganz Beaulieu. Er sah mit Genugtuung, dass sie ihm alle fast demütig den Vorrang ließen. Mit Würde nahm er seine Position vor der Tür ein und leckte sich das Maul. Gleich würde sie sich öffnen. Gleich würde Monsieur Boudin heraustreten, die Delegation begrüßen und ihnen allen seinen Segen erteilen. Filou hörte ein tiefes Knurren. Er drehte sich ein wenig zur Seite und suchte unauffällig nach dem Missetäter.
Garibaldi, einer der vier großen schwarzen Kater, der in einem legendären Kampf mit einem Wiesel ein Auge eingebüßt hatte, duckte sich, legte die Ohren an und zeigte die Zähne. Das imponiert mir gar nicht, dachte Filou und plusterte sich auf, um noch ein wenig größer zu wirken. Doch dann begann ein zweiter Kater zu knurren und mit dem Schwanz zu peitschen. Filou spürte Bewegung um sich herum, fühlte die Unruhe wachsen. Da hieß es, Autorität zeigen.
Er stellte sich auf, mit dem Hinterteil zur Tür der Metzgerei, Schweif und Fell auf Maximum gesträubt. »Hat hier jemand was zu sagen?«, begann er. »Wenn nicht, dann ...«
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Alle Katzen sprangen auf und rückten näher. Und in diesem Moment passierte das Malheur - er wusste selbst nicht, wie es dazu kam, es war, als ob ihm sein gesträubter Schwanz den Befehl dazu gegeben hätte: Ihm entwich ein feiner Nebel von Körperflüssigkeit, den sein Schweif fächelnd verteilte. Und zwar auf die Hosenbeine des Metzgers.
2
Der Metzger brüllte ...
»Wach auf, du Penner!«
... schrie und keifte ...
»Wird's bald, du Faulfell!«
... tobte und fluchte ...
»Jetzt reicht's mir aber, du Versager!« ... sodass Filou vor Schreck vom Fass fi el, seinem Schlafplatz
im Keller des Abrisshauses in der Rue Basse, wo er mit seiner Pflegemutter Lucrezia hauste. Die starrte ihn mit gesträubtem Nackenfell und zusammengekniffenen Augen an. »Es wird bald dunkel! Du glaubst wohl, du könntest den ganzen Tag verpennen?«
Filou wusste nicht, wie ihm geschah. Eben war er noch der Liebling Beaulieus gewesen und nun ...
»Das könnte dir so passen!« Sie gab ihm eins hinter die Ohren. »Ich habe Hunger!«
»Natürlich«, murmelte er schlaftrunken. »Sicher. Gleich.«
»Sofort!« Diesmal traf sie seine Nase. Filou schrie erschrocken auf. »Und gib nicht immer Widerworte!« Mit gesträubtem Pelz sauste er zum Kellerfenster, sprang aufs Fenstersims und hinunter auf die Straße, wo er beinahe vor der Schnauze von Yapper, dem Dackel, gelandet wäre. Der glotzte ihn an, als ob er ernsthaft überlegte, sein rosa Strickpüppchen fallen zu lassen, um dies Geschenk des Himmels besser um den Block jagen zu können. Aber Filou war schon auf und davon.
Er der Liebling von Beaulieu? Nur im Traum. Und selbst der hatte als Albtraum geendet. In der tristen Wirklichkeit verteilte der Bäcker Fußtritte und der Metzger Flüche, wenn sich eine der Katzen vor dem Geschäft blicken ließ. Und Isabelle war schön und schüchtern und würde sich niemals trauen, während der Arbeitszeit einen roten Streuner zu kraulen.
Obwohl der Frühling bereits begonnen hatte, war das Wetter an diesem Tag genauso trübe wie Filous Stimmung. Er schlich am Kriegerdenkmal vorbei und wünschte sich, er könnte sich im umzäunten Gärtchen zu Füßen des Monuments unter den Lavendel verkriechen und weiterschlafen. Schlafen und träumen. Am liebsten Träume, die gut ausgingen.
Traurig trabte er die Rue des Fleurs hoch zum Markt. Dort räumte man bereits zusammen. Der Fischstand war schon von sämtlichen Katzen der Umgebung umlagert, die einander eifersüchtig belauerten. Jeder wollte der Erste sein, wenn Monsieur die Reste verteilte. Minou, die große Weiße mit den blauen Augen, die behauptete, eine Heilige aus Birma zu sein - na, höchstens zu einem Achtundachtzigstel, wie Lucrezia zu spotten pflegte. Mimi, schwarz mit weißen Söckchen, auf die sie so stolz war, dass sie auf den Zehenspitzen ging. Mignon mit dem verfilzten grauen Fell - das seien Dreadlocks und total angesagt, behauptete sie. Und die vier schwarzen Riesen, die alle anderen zu terrorisieren pflegten.
Monsieur war berühmt für seine Freigebigkeit. Immer verteilte er den übrig gebliebenen Fisch am Ende des Markttags, wenn die Kunden gegangen waren und er seinen Verkaufsstand gereinigt hatte, weshalb mittwochs Katzen aus der ganzen Umgebung angepirscht kamen. »Ach, da ist er ja, unser Kleiner, der schönste Kater weit und breit«, zischte Mignon, als Filou versuchte, sich nonchalant neben sie einzureihen. Er neigte unterwürfig den Kopf zur Seite und bot ihr an, ihr das Gesicht zu lecken. Dafür kassierte er die erste Ohrfeige.
»Unser süüüüßes Kätzchen«, schnurrte Minou grinsend, während sie an ihm vorbeitänzelte. Dann zog sie ihm die Krallen über die Flanke. Und so ging das weiter, wo auch immer er Anschluss suchte.
»Bild dir bloß nichts ein, Freundchen.« Mimi, die offenbar kaum noch ausging, seit sie schwanger war, sonst wären ihre Krallen nicht so furchterregend lang. »Dich braucht niemand, verstehst du.«
Ausgerechnet Mimi, die eine räudige Straßenkatze gewesen war, bevor ein paar Touristen sie aufgelesen und ihr bei der Auberge Fleuri eine Lebensstelle als Mauserin organisiert hatten! Seitdem hatte sie das Mausen natürlich nicht mehr nötig. Und wozu waren die vier schwarzen Kampfkater gut, die den ganzen Tag durch den Ort stolzierten, um hier ein Häppchen abzugreifen und dort ein Schwätzchen zu halten und sich mit ihren Heldentaten zu brüsten? Magnifico, Diabolo, Maurice und Garibaldi: »Groß, schwarz, stark - mehr Kater braucht es nicht«, pflegten die vier Brüder zu sagen. »Also mach dich schlank, Kleiner.«
»Hier! Komm, mein Schöner!« - der Monsieur. »Ja, du! Mit dem feinen roten Fell und den grünen Augen!« Er hielt einen Fisch in der Hand, eine ganze silbrig glänzende Sardine, die er aufreizend hin und her baumeln ließ. Filou versuchte kopflos, nach vorne zu stürmen. »Er meint mich! Lasst mich durch!«
Magnifico knallte ihm eine. Mimi biss ihn ins Ohr. Diabolo trat ihm auf den Schwanz. Minou zog ihm die Krallen durchs Gesicht. Mignon fauchte ihn an. Trotzdem kämpfte er sich vor, ließ sich von Monsieur den Kopf tätscheln, stellte sich wie ein ganz besonders lieber kleiner Kater auf die Hinterpfoten und tatzte nach der Sardine, bis Monsieur sie ihm endlich überließ. Doch als er mit stolz erhobenem Haupt davontraben wollte, rempelte Garibaldi ihn an. Maurice boxte ihm in die Seite. Diabolo stellte ihm ein Bein. Und dann fi el die ganze Meute über ihn her. Von der Sardine blieb nur ihr Duft zurück.
Geschlagen und mit knurrendem Magen hinkte Filou davon. Im Abfall hinter dem Käsestand erwischte er gerade noch ein paar harte Rinden. Müde trottete er nach Hause, um sich die wohlverdienten Prügel von Lucrezia abzuholen. Er hatte es wieder nicht geschafft zu tun, was man von ihm erwarten durfte.
»Wie siehst du denn aus?« Lucrezia lag auf ihrer Kohlenkiste, hatte das rechte Auge einen Spalt weit geöffnet und musterte ihn. »Wo hast du dich wieder herumgetrieben? Mitgebracht hast du mir auch nichts«, brummte sie. »Dabei bin ich wie eine Mutter zu dir.« Sie gähnte und öffnete das andere Auge. »Gibt es denn keine Dankbarkeit mehr heutzutage? «
Filou wartete mit gesenktem Kopf auf eine weitere ihrer Tiraden, aber sie hatte ihm bereits den Rücken zugedreht, streckte sich, zupfte den Sack, auf dem sie lag, zurecht, rollte sich zusammen und war wieder eingeschlafen. Erleichtert schleppte er sich zu seinem Platz auf dem Weinfass und sprang mit letzter Kraft hinauf. Fast wäre er auf der anderen Seite gleich wieder heruntergerutscht. Er ließ sich auf die rechte Flanke fallen, die am wenigsten schmerzte, und begann, behutsam sein verschmutztes und verklebtes Fell zu bearbeiten.
Was glaubst denn du, wie ich wieder aussehe?, hätte er am liebsten zurückgeknurrt. Wie immer! Wie immer nach einem Markttag, auf dem ich etwa fünfhundertunddreiundsechzigmal geohrfeigt, dreihundertundneunundvierzigmal gebissen, zweihundertundzwölfmal gekratzt und mindestens tausendfach verjagt wurde - so, wie sich das anfühlt, dachte er und fuhr mit der Zunge vorsichtig über die Stelle, an der Minou ihn erwischt hatte.
Warum sorgte Luc nicht auch mal selbst für sich? Fürs Anschnauzen hatte sie sich noch nie zu alt oder zu schwach gefühlt. Und auch für ein paar Ohrfeigen war sie biegsam genug, obwohl sie es doch in den Gelenken hatte. Und im Rücken. Und an der Hüfte. Er stöhnte leise, als er sich mit der Pfote über Kopf und Ohren fuhr. Ihn schmerzte es heute überall. Wenigstens hatte Lucrezia ihm nicht auch noch eine verpasst - ein unverhofftes Glück im Unglück. Man musste auch für kleine Lichtblicke dankbar sein. Filou seufzte, rollte sich zusammen, legte die linke Pfote über beide Augen und lauschte seinem knurrenden Magen. Morgen war auch noch ein Tag.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2010 by Page & Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München
Filou war der größte und prächtigste, der angesehenste Kater von Beaulieu. Er war ein Kater im Glück. Kurz vor Morgengrauen erwachte er aus einem erfrischenden Schläfchen, reckte und streckte sich, polierte sich mit der angefeuchteten Pfote die Ohren und sprang hinaus auf die Straße. Er konnte sie nicht warten lassen, die Menschen da draußen in seinem Sprengel, er war ihr Glücksbringer, ihr Talisman, sie brauchten ihn.
Im Bewusstsein seiner Mission bauschte er die erhobene Rute, deren Spitze er einen eleganten kleinen Dreh gegeben hatte, und spazierte die Ruelle des Camisards hoch. Die Mauern der Häuser rechts und links der engen Gasse verströmten feuchte Kälte und den Geruch aller Tiere, die in den letzten Tagen hier entlanggezogen waren. Filou überprüfte die Duftmarke, die er neben eine Haustür gesetzt hatte, vor der zwei alte Blechtöpfe standen, in denen Fleißige Lieschen blühten. »Mein Revier!«, sagte der Duft stark und deutlich.
Zufrieden trabte er weiter, sprang von Haustür zu Haustür, tatzte nach einer nachtstarren Biene, stolzierte provozierend langsam am Zaun vorbei, hinter dem ein schwarzer Dobermann tobte, und entkam nur mit äußerster Geistesgegenwart und Schnellkraft dem Schwall kalten Wischwassers, der sich aus einer der Türen auf die Straße ergoss. Mit elegant auf zehn nach drei gesenktem Schweif trabte er am Platz vor dem Kriegerdenkmal vorbei, auf dem die alten Männer sonntags Petanque spielten. Einmal hatte er versucht mitzuspielen, da war er noch jung und naiv gewesen. Was war das für ein Geschrei und Gekeife gewesen, als er die kleinste der Kugeln zwischen die Pfoten nahm und über das Spielfeld dribbelte! Keiner schien sich über seine Meisterschaft zu freuen, alle scheuchten ihn weg. Wie konnte man nur so engstirnig sein.
Endlich erreichte er die Grande Rue. Groß war die Grande Rue nicht, obwohl sie so hieß, aber sie war groß genug für Autos, und die waren gefährlich. Es war nicht gut, ihnen in die Quere zu kommen, nein, ganz und gar nicht. Er blickte erst nach links und dann nach rechts und huschte hinter einem schwankenden Fahrradfahrer über die Straße. Am Bottich mit dem Oleander, der vor dem Friseurladen stand, überraschte ihn eine verführerische Duftnote, der er sich mit Hingabe widmete. Mensch? Hund? Katze? Kind? Bevor er zur Feinanalyse übergehen konnte, schlich sich ein noch betörenderer Geruch vor seine Nase, der ihn daran erinnerte, dass er zu tun hatte. Das aufreizende Duftbouquet lockte und rief, und Filou fi el in einen leichten Trab, bis er vor der Bäckerei angelangt war. Durch die geöffnete Tür sah er Madame aus dem Backzimmer eilen, im Arm ein dickes Bündel feiner Ficelles, extradünner, goldbrauner Weißbrotstangen. Madame war von der Hitze ganz rot im Gesicht, aus ihrem Haarknoten hatte sich eine Haarsträhne gelöst und kräuselte sich auf der weißen Bluse. Filou spürte ein verräterisches Zucken in seiner rechten Pfote. Wie gerne wäre er ihr auf den Arm gesprungen und hätte mit diesen verführerischen Locken gespielt!
»Aber da ist er ja, mein Liebling!«, rief Madame, legte die Ficelles in einen der großen Körbe hinter dem Verkaufstisch, griff in das Körbchen mit den Croissants und eilte zur Tür. »Komm, mein schöner roter Kater, komm her zu mir«, lockte sie, ging in die Knie und hielt ihm ein Stückchen entgegen. Filou versuchte, sich würdig zu nähern, aber seine Schnurrbarthaare zitterten schon vor freudiger Erwartung. Dennoch zwang er sich dazu, ihr das Stück Croissant ganz besonders zart aus der Hand zu nehmen und es nicht allzu gierig zu verschlingen.
Dann sah er hoch. Das war doch noch nicht alles? Natürlich nicht, das Beste kam wie jedes Mal zuletzt. Madame wusste, wie man sich beliebt macht. Sie begann hinter seinen Ohren, walkte sein Nackenfell und strich dann sanft das Rückgrat hinunter bis zur Schwanzwurzel, wo ihre Hand eine Weile provozierend knetend verharrte, um dann aufs Neue zu beginnen: von oben nach unten, immer fein mit dem Strich. Filou schnurrte und wand sich vor Vergnügen. Dies war ein Morgenritual, das er besonders schätzte.
»Marie-Lou? Was ist! Wo bist du?«
Oh, diese Stimme. Diese hässliche, laute, störende Stimme. Filou senkte die Rute, machte sich schlank und duckte sich unter der streichelnden Hand weg. Er hasste diese Stimme. Madame mochte sie offenbar auch nicht.
»Ist ja gut!«, murmelte sie und richtete sich auf. »Ich komm ja schon!«
Filou schoss wie ein Pfeil davon.
»Was hast du immer mit dem roten Vieh? Das ist doch verfloht und verlaust!«, hörte er die laute unfreundliche Stimme rufen. »Dies ist eine Bäckerei! Könntest du bitte auf Hygiene achten?« Hygiene? War das so was wie das stinkende Spray, mit dem Madame im Sommer die Himbeersahnetörtchen einnebelte, woraufhin alle Fliegen, die sie gierig umkreist hatten, tot herabfielen? Filou atmete tief durch. Zugegeben, nicht jeder liebte es, wenn er morgens zu Besuch kam. Doch es gab viele Plätze, wo die Menschen ihn freudig willkommen hießen. Nur er selbst fand nicht alle Menschen und Plätze gleich angenehm. Vor Brunos Bar etwa hielt man sich als empfindsames Wesen besser nicht lange auf. Filou beschleunigte sein Tempo. Vom Laternenmast her roch es nach den Körperflüssigkeiten von Männern, die Pastis, Weißbrot und kräftig mit Knoblauch gewürzte Speisen schätzen. Im Rinnstein krümelte die Hinterlassenschaft von Yapper vor sich hin, dem hässlichen Dackel der Zwillinge, der immer mit einem Püppchen aus rosa Strick im Maul durch die Gegend lief. Und aus der offenen Tür von Brunos Bar quoll der Gestank von Zigaretten und Rotwein. Filou wechselte vom Trab in den Galopp, fetzte an einem nach Maschinenöl riechenden alten Damenfahrrad vorbei und bog in die Rue des Fleurs ein.
Hier war die Pforte zum Paradies: links der Metzger, rechts der kleine Supermarkt und dazwischen das Maison de la Presse und das Café. Und dort, direkt vorm Café, ging jeden Tag die Sonne auf. Sie hieß Isabelle.
Nun, die wirkliche Sonne war noch damit beschäftigt, den Himmel sanft zu röten, bevor sie sich über den Roche du Diable wälzte, den Felsen, der über Beaulieu thronte. Aber für Filou war Isabo die aufgehende Sonne, das Mädchen, das jeden Morgen, bevor die Gäste kamen, die Tische und Stühle vorm Café putzte. Als sie ihn sah, ging sie in die Hocke.
»Filoufiloufiloufilou!«
Filou stellte den Schweif auf und zeichnete mit der Schwanzspitze eine Arabeske in die warme Luft. Dann lief er auf sie zu. Sein Engel mit den dunklen Zöpfen lachte ihm entgegen, hob ihn hoch, vergrub die Nase in seinem Fell und flüsterte Kosenamen. »Du Schöner! Du braver Kerl! Du mein Liebster!« Filou brummte vor Vergnügen, als sie ihn auf den Rücken drehte und seinen Bauch kraulte. Das kitzelte! Aber es war wunderbar.
Endlich setzte sie ihn ab. Er schüttelte sich, brachte seinen glänzenden rostroten Pelz mit ein paar kräftigen Zungenstrichen wieder in Form und trabte davon. Jetzt fühlte er sich erfrischt und entspannt, bereit für den Höhepunkt seiner morgendlichen Patrouille. Aufrecht und kühn ging er ihm entgegen.
Seine Truppen waren bereits aufmarschiert. In Reih und Glied standen sie vor dem Metzgerladen, Minou und Mimi und die anderen. Filou stellte den Schweif wie eine Standarte auf und bauschte ihn, sodass er fast so breit war wie er selbst. Nur an der Spitze drehte er ihn leicht ein, ein Zeichen der Bescheidenheit.
Denn er hatte ja ganz zweifellos den schönsten, den größten, den prächtigsten Schwanz von ganz Beaulieu. Er sah mit Genugtuung, dass sie ihm alle fast demütig den Vorrang ließen. Mit Würde nahm er seine Position vor der Tür ein und leckte sich das Maul. Gleich würde sie sich öffnen. Gleich würde Monsieur Boudin heraustreten, die Delegation begrüßen und ihnen allen seinen Segen erteilen. Filou hörte ein tiefes Knurren. Er drehte sich ein wenig zur Seite und suchte unauffällig nach dem Missetäter.
Garibaldi, einer der vier großen schwarzen Kater, der in einem legendären Kampf mit einem Wiesel ein Auge eingebüßt hatte, duckte sich, legte die Ohren an und zeigte die Zähne. Das imponiert mir gar nicht, dachte Filou und plusterte sich auf, um noch ein wenig größer zu wirken. Doch dann begann ein zweiter Kater zu knurren und mit dem Schwanz zu peitschen. Filou spürte Bewegung um sich herum, fühlte die Unruhe wachsen. Da hieß es, Autorität zeigen.
Er stellte sich auf, mit dem Hinterteil zur Tür der Metzgerei, Schweif und Fell auf Maximum gesträubt. »Hat hier jemand was zu sagen?«, begann er. »Wenn nicht, dann ...«
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Alle Katzen sprangen auf und rückten näher. Und in diesem Moment passierte das Malheur - er wusste selbst nicht, wie es dazu kam, es war, als ob ihm sein gesträubter Schwanz den Befehl dazu gegeben hätte: Ihm entwich ein feiner Nebel von Körperflüssigkeit, den sein Schweif fächelnd verteilte. Und zwar auf die Hosenbeine des Metzgers.
2
Der Metzger brüllte ...
»Wach auf, du Penner!«
... schrie und keifte ...
»Wird's bald, du Faulfell!«
... tobte und fluchte ...
»Jetzt reicht's mir aber, du Versager!« ... sodass Filou vor Schreck vom Fass fi el, seinem Schlafplatz
im Keller des Abrisshauses in der Rue Basse, wo er mit seiner Pflegemutter Lucrezia hauste. Die starrte ihn mit gesträubtem Nackenfell und zusammengekniffenen Augen an. »Es wird bald dunkel! Du glaubst wohl, du könntest den ganzen Tag verpennen?«
Filou wusste nicht, wie ihm geschah. Eben war er noch der Liebling Beaulieus gewesen und nun ...
»Das könnte dir so passen!« Sie gab ihm eins hinter die Ohren. »Ich habe Hunger!«
»Natürlich«, murmelte er schlaftrunken. »Sicher. Gleich.«
»Sofort!« Diesmal traf sie seine Nase. Filou schrie erschrocken auf. »Und gib nicht immer Widerworte!« Mit gesträubtem Pelz sauste er zum Kellerfenster, sprang aufs Fenstersims und hinunter auf die Straße, wo er beinahe vor der Schnauze von Yapper, dem Dackel, gelandet wäre. Der glotzte ihn an, als ob er ernsthaft überlegte, sein rosa Strickpüppchen fallen zu lassen, um dies Geschenk des Himmels besser um den Block jagen zu können. Aber Filou war schon auf und davon.
Er der Liebling von Beaulieu? Nur im Traum. Und selbst der hatte als Albtraum geendet. In der tristen Wirklichkeit verteilte der Bäcker Fußtritte und der Metzger Flüche, wenn sich eine der Katzen vor dem Geschäft blicken ließ. Und Isabelle war schön und schüchtern und würde sich niemals trauen, während der Arbeitszeit einen roten Streuner zu kraulen.
Obwohl der Frühling bereits begonnen hatte, war das Wetter an diesem Tag genauso trübe wie Filous Stimmung. Er schlich am Kriegerdenkmal vorbei und wünschte sich, er könnte sich im umzäunten Gärtchen zu Füßen des Monuments unter den Lavendel verkriechen und weiterschlafen. Schlafen und träumen. Am liebsten Träume, die gut ausgingen.
Traurig trabte er die Rue des Fleurs hoch zum Markt. Dort räumte man bereits zusammen. Der Fischstand war schon von sämtlichen Katzen der Umgebung umlagert, die einander eifersüchtig belauerten. Jeder wollte der Erste sein, wenn Monsieur die Reste verteilte. Minou, die große Weiße mit den blauen Augen, die behauptete, eine Heilige aus Birma zu sein - na, höchstens zu einem Achtundachtzigstel, wie Lucrezia zu spotten pflegte. Mimi, schwarz mit weißen Söckchen, auf die sie so stolz war, dass sie auf den Zehenspitzen ging. Mignon mit dem verfilzten grauen Fell - das seien Dreadlocks und total angesagt, behauptete sie. Und die vier schwarzen Riesen, die alle anderen zu terrorisieren pflegten.
Monsieur war berühmt für seine Freigebigkeit. Immer verteilte er den übrig gebliebenen Fisch am Ende des Markttags, wenn die Kunden gegangen waren und er seinen Verkaufsstand gereinigt hatte, weshalb mittwochs Katzen aus der ganzen Umgebung angepirscht kamen. »Ach, da ist er ja, unser Kleiner, der schönste Kater weit und breit«, zischte Mignon, als Filou versuchte, sich nonchalant neben sie einzureihen. Er neigte unterwürfig den Kopf zur Seite und bot ihr an, ihr das Gesicht zu lecken. Dafür kassierte er die erste Ohrfeige.
»Unser süüüüßes Kätzchen«, schnurrte Minou grinsend, während sie an ihm vorbeitänzelte. Dann zog sie ihm die Krallen über die Flanke. Und so ging das weiter, wo auch immer er Anschluss suchte.
»Bild dir bloß nichts ein, Freundchen.« Mimi, die offenbar kaum noch ausging, seit sie schwanger war, sonst wären ihre Krallen nicht so furchterregend lang. »Dich braucht niemand, verstehst du.«
Ausgerechnet Mimi, die eine räudige Straßenkatze gewesen war, bevor ein paar Touristen sie aufgelesen und ihr bei der Auberge Fleuri eine Lebensstelle als Mauserin organisiert hatten! Seitdem hatte sie das Mausen natürlich nicht mehr nötig. Und wozu waren die vier schwarzen Kampfkater gut, die den ganzen Tag durch den Ort stolzierten, um hier ein Häppchen abzugreifen und dort ein Schwätzchen zu halten und sich mit ihren Heldentaten zu brüsten? Magnifico, Diabolo, Maurice und Garibaldi: »Groß, schwarz, stark - mehr Kater braucht es nicht«, pflegten die vier Brüder zu sagen. »Also mach dich schlank, Kleiner.«
»Hier! Komm, mein Schöner!« - der Monsieur. »Ja, du! Mit dem feinen roten Fell und den grünen Augen!« Er hielt einen Fisch in der Hand, eine ganze silbrig glänzende Sardine, die er aufreizend hin und her baumeln ließ. Filou versuchte kopflos, nach vorne zu stürmen. »Er meint mich! Lasst mich durch!«
Magnifico knallte ihm eine. Mimi biss ihn ins Ohr. Diabolo trat ihm auf den Schwanz. Minou zog ihm die Krallen durchs Gesicht. Mignon fauchte ihn an. Trotzdem kämpfte er sich vor, ließ sich von Monsieur den Kopf tätscheln, stellte sich wie ein ganz besonders lieber kleiner Kater auf die Hinterpfoten und tatzte nach der Sardine, bis Monsieur sie ihm endlich überließ. Doch als er mit stolz erhobenem Haupt davontraben wollte, rempelte Garibaldi ihn an. Maurice boxte ihm in die Seite. Diabolo stellte ihm ein Bein. Und dann fi el die ganze Meute über ihn her. Von der Sardine blieb nur ihr Duft zurück.
Geschlagen und mit knurrendem Magen hinkte Filou davon. Im Abfall hinter dem Käsestand erwischte er gerade noch ein paar harte Rinden. Müde trottete er nach Hause, um sich die wohlverdienten Prügel von Lucrezia abzuholen. Er hatte es wieder nicht geschafft zu tun, was man von ihm erwarten durfte.
»Wie siehst du denn aus?« Lucrezia lag auf ihrer Kohlenkiste, hatte das rechte Auge einen Spalt weit geöffnet und musterte ihn. »Wo hast du dich wieder herumgetrieben? Mitgebracht hast du mir auch nichts«, brummte sie. »Dabei bin ich wie eine Mutter zu dir.« Sie gähnte und öffnete das andere Auge. »Gibt es denn keine Dankbarkeit mehr heutzutage? «
Filou wartete mit gesenktem Kopf auf eine weitere ihrer Tiraden, aber sie hatte ihm bereits den Rücken zugedreht, streckte sich, zupfte den Sack, auf dem sie lag, zurecht, rollte sich zusammen und war wieder eingeschlafen. Erleichtert schleppte er sich zu seinem Platz auf dem Weinfass und sprang mit letzter Kraft hinauf. Fast wäre er auf der anderen Seite gleich wieder heruntergerutscht. Er ließ sich auf die rechte Flanke fallen, die am wenigsten schmerzte, und begann, behutsam sein verschmutztes und verklebtes Fell zu bearbeiten.
Was glaubst denn du, wie ich wieder aussehe?, hätte er am liebsten zurückgeknurrt. Wie immer! Wie immer nach einem Markttag, auf dem ich etwa fünfhundertunddreiundsechzigmal geohrfeigt, dreihundertundneunundvierzigmal gebissen, zweihundertundzwölfmal gekratzt und mindestens tausendfach verjagt wurde - so, wie sich das anfühlt, dachte er und fuhr mit der Zunge vorsichtig über die Stelle, an der Minou ihn erwischt hatte.
Warum sorgte Luc nicht auch mal selbst für sich? Fürs Anschnauzen hatte sie sich noch nie zu alt oder zu schwach gefühlt. Und auch für ein paar Ohrfeigen war sie biegsam genug, obwohl sie es doch in den Gelenken hatte. Und im Rücken. Und an der Hüfte. Er stöhnte leise, als er sich mit der Pfote über Kopf und Ohren fuhr. Ihn schmerzte es heute überall. Wenigstens hatte Lucrezia ihm nicht auch noch eine verpasst - ein unverhofftes Glück im Unglück. Man musste auch für kleine Lichtblicke dankbar sein. Filou seufzte, rollte sich zusammen, legte die linke Pfote über beide Augen und lauschte seinem knurrenden Magen. Morgen war auch noch ein Tag.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2010 by Page & Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München
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Bibliographische Angaben
- Autor: Sophie Winter
- 192 Seiten, Maße: 13,1 x 19,1 cm, Flex. Einband
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868009248
- ISBN-13: 9783868009248
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