Frauen, die den Bauch einziehen
Auf der Suche nach Mr. Right flaniert Annalena tapfer durch die Innenstadt,...
Auf der Suche nach Mr. Right flaniert Annalena tapfer durch die Innenstadt, plantscht in Wellnesspools und plaudert sich durch Cocktailpartys - aber zunächst ist alles vergeblich.
Frauen, die den Bauch einziehen von Marlene Faro
LESEPROBE
I. Basilikum
Das Baby quengelt an meinerSchulter, aber nur ganz leise. Ich drücke meine Nase in seinen warmen,speckigen, kleinen Nacken. Hmmmm, wie süß Laura duftet ... Die Morgensonnescheint bereits durch das dreiteilige Sprossenfenster über der Spüle, es wirdwohl wieder ein heißer Frühsommertag. Rainer, mein Mann, der aussieht wie derjunge Heiner Lauterbach, als er noch Haare auf dem Kopf hatte, kommt in unsereWohnküche. Er ist ganz in Gedanken versunken, heute ist ein wichtiger Tag fürihn. Rainer ist Anwalt, eine Ökoladenkette hat ihn mit ihrer Vertretungbeauftragt, an diesem Vormittag soll eine entscheidende Gesetzesvorlage über Bioeier verabschiedet werden. Rainer nestelt unbeholfen ander Krawatte, die ich ihm vorige Woche von einem Einkaufsbummel mitgebrachthabe, normalerweise trägt er einen Pullover über dunkelblauen Jeans. Endlichblickt er auf, ein Lächeln breitet sich über seinem kantigen und doch soliebenswerten Gesicht aus - und er nimmt uns in die Arme, das Baby und mich.Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und seufze ganz leise vor Glück, alsein Scheppern ertönt. Laura hebt ihr Köpfchen, aber das Scheppern will nichtaufhören, ich mache einen Schritt nach vorne ...
... und erwache. Halb sieben, duliebe Scheiße, Montagmorgen um halb sieben, draußen ist es grau und wolkenverhangen, jedenfalls verirrt sich kein einzigerSonnenstrahl in mein Schlafzimmer, wie das doch in den Werbespots für Müsli undDeospray immer der Fall ist. Ich setze mich im Bett auf und lasse meineverspannten Schultern kreisen.
Schon seit Wochen verfolgt michdieser dämliche Traum, er lässt mein Alltagsdasein noch viel trostlosererscheinen, als es sowieso schon ist. Frau von 34 Jahren, schulterlangesrotbraunes Haar (Henna aus dem Tunesienurlaub!), leidlich sportlich, mäßigehrgeizig, träumt seit neuestem heftig von Reihenhäuschen, zwei bis dreiKindern sowie nettem Mann ohne lebensgefährliche Schrullen. Wo bist DU? Bittemelde dich! Antwort mit Bild erwünscht.
Ich seufze, diesmal wirklich undlaut und von keinem neuerlichen Weckerscheppern unterbrochen. Statt in einemReihenhäuschen mit Kräutergarten lebe ich in einer Zweizimmerwohnung am Randvon Peekenburg, einer Kleinstadt mitten in der Heide,wo es doch angeblich so romantisch zugeht, zumindest in den Schwarz-Weiß-Filmenaus den fünfziger Jahren, die am Samstagnachmittag im Fernsehen laufen. Statteiner Familie füttere ich Kinki, meinen Chinchilla,statt des jungen Heiner Lauterbach verfolgt mich bloß Alfred Kühnlein mit mehr oder weniger heimlichen Blicken. Alfred Kühnlein ist der Leiter der Stadtbibliothek von Peekenburg, in der ich für die Abteilung "Frau undGesundheit" zuständig bin. Er sieht aus wie Stefan Raab mit sechzig. Sex mitAlfred Kühnlein, meinem Chef, stelle ich mir ungefährso erotisch wie ein Darmröntgen vor.
Auf dem Weg zur Arbeit kaufe ichnoch rasch vier Stücke Butterstreuselkuchen für die lieben Kolleginnen, meinegute Tat für den heutigen Tag, dann stapfe ich die Stufen zur Stadtbibliothekhoch, die sich im gleichen Betonklotz wie unser Rathaus befindet.
Als ich aus dem Aufzug trete,empfängt mich sofort der Duft von frisch gebrühtem Kaffee, dankbar lächle ichWilma an. Wilma ist die Ressortleiterin für "Literatur", sozusagen, jahrelanghat sie die Empfehlungen des "Literarischen Quartetts" brav befolgt und denneuesten hoch gelobten Schmöker bestellt. Seitdem sich Marcel Reich-Ranicki undFrau Löffler verkracht haben und das "Literarische Quartett" nur mehr einewehmütige Erinnerung ist wie "Forellenhof" oder "Alf", hängt Wilma ein kleinwenig in der Luft. Sie hält sich jetzt an den Klatsch aus der "Bunten", derneueste Roman von Martin Walser prangt stets im Regal.
"Hallo, Annalena", sagt Wilma, "dusiehst aber ganz schön müde aus, ehrlich."
Vor irgendwelchen anderen Tussiswürde ich jetzt lässig eine heiße Liebesnacht andeuten und meine Schultern einwenig straffen, aber vor Wilma kann man sich schon mal hängen lassen.
Außerdem tut es ihr nur gut, wennsie merkt, dass auch unsereins so seine Probleme mit sich herumschleppt.Wilma ist vom Schicksal - oder besser gesagt von den elterlichen Genen - einwenig stiefmütterlich behandelt worden. Offenbar war das Geld für eineZahnspange nicht vorhanden, sodass sich Wilmas Oberlippe über schiefhervorstehende Vorderzähne stülpt. Außerdem spannt ihr Acrylpullover über einemSpeckring rund um die Hüften, für den sie ganz entschieden selbstverantwortlich ist. Aber Wilma scheint zu Hause keinen Spiegel zu besitzen, siewirkt immer so ausgeglichen und fröhlich, also, ich an ihrer Stelle wäre ziemlichbedrückt.
"Ach, geht so", höre ich michseufzen. "Ist die Walze schon da?"
"Walze" ist der Spitzname fürunseren Chef, den grässlichen Alfred Kühnlein, dersich doch allen Ernstes erdreistet, mir bei Besprechungen ständig auf den Busenzu glotzen. Wahrscheinlich würde sich Wilma ja auf der Stelle ihren erbsgrünen Acrylpullover vom Leib reißen, wenn ihr der Chefhöchstpersönlich schöne Augen machte, aber unsereins hateben noch gewisse Ansprüche.
Wilma gießt Kaffee in dieHenkelbecher mit Namenszug - ein Weihnachtsgeschenk von ihr an die liebenKollegen - und angelt sich ein Stück Butterstreusel, ich begnüge mich mitschwarzem Kaffee ohne Zucker, schließlich hat man eine Taille zu verteidigen.
"Nöö, nochnicht", bröselt Wilma mit vollem Mund. "Du weißt doch, am Montag hat er immerHexenschuss vom Joggen am Wochenende. Was hast du so gemacht, auch ein bisschenSport getrieben?"
Tja, ich gerate ins Grübeln.
Am Samstagvormittag zum Supermarktgelatscht und zu den paar Bauernständen, die zwischen unseren schlammgelbenNeubauten für einen Hauch von Country-Life-Stimmungsorgen. Drei Kräutertöpfchen erstanden, Oregano,Basilikum und Rosmarin. Alles nach Hause geschleppt. Fernsehen geglotzt, Chipsaus der Familienpackung gefuttert, mit aufgeblähtem Bauch dreißig Situps absolviert. Die Beine enthaart und die Zehennägel carmenrot lackiert. Der Sonntag ist ähnlich verlaufen. AmNachmittag wollte ich mich wenigstens auf einen Cappuccino in unser einzigesCafé im Viertel setzen, aber dann bin ich doch lieber mit hoch erhobenem Kopfdaran vorbeigeschlendert. Wer gibt schon gerne zu, dass er alleine ist, dasgeht nicht einmal die Kellner was an.
"Ooch",sage ich zu Wilma, die sich die letzten Krümel von den Lippen leckt. "Ich warbei Freunden eingeladen, da ist es ziemlich spät geworden, ich bin ganz schönverkatert aufgewacht. Und gestern habe ich dann eine Radtour gemacht,anschließend war ich noch auf einen Frizzante indiesem neuen Bistro an der Glockenstraße, also die Nudeln sind echt lecker da."
Wilma nickt beeindruckt. Wie gut,dass ich immer den neuesten "Stadtboten" lese, der alle vierzehn Tage an meinerTürklinke baumelt und sämtliche Lokaleröffnungen detailliert beschreibt,zusammen mit den Sonderangeboten vom Supermarkt um die Ecke für Bier imSechserpack und Erdnüsse im praktischen 10.000-Kalorien-Eimerchen.
"Toll, wozu du dich immer aufraffst,Leni! Ich bin bloß so mit Bodo rumgehangen, Fernsehenund Lasagne vom Pizzaservice, na, du weißt schon."
Ich nicke ebenfalls, mit wissendemBlick. Dumme Pute. Das Getue mit Bodo könnte sie sich und mir ersparen. Werweiß, ob dieser Bodo überhaupt existiert, bei Wilmas Vorderzähnen muss dochjeder noch so waghalsige Typ vor Lippenkontakt einfach zurückschrecken. Aberbitte, wenn sie mir ihr allwöchentliches Märchen aufbinden will, warum nicht?Sie soll nur nicht glauben, dass ich darauf hereinfalle.
Dann begebe ich mich samtHenkelbecher an meinen Schreibtisch. Er ist vielleicht nicht ganz das, was mansich unter dem Arbeitsplatz einer Stadtbibliotheksressortleiterin für "Frau undGesundheit" vorstellen würde. Ein Tisch mit Kunststoffplatte aus den frühenachtziger Jahren, der in eine Nische zwischen die Regale von "Frau undGesundheit" und "Kind-Erziehung-Ernährung" geklemmtist, zum Glück lässt sich rechts von mir ein Klappfenster öffnen. WilmasRessortleiterinnenschreibtisch "Literatur" hingegen befindet sich in derschummrigen Ecke gleich neben den Toiletten, die nur von einer uringelben Metalllampe mit Schwenkarm beleuchtet wird.
Ich setze meinen Henkelbecher mitdem Kaffeerest zwischen rutschenden Papierstapeln ab und angle nach demWochenkalender, der von einem Plastikdöschen für Büroklammern und einemschrumpeligen Kaktus mit "For you"-Sticker umrahmtwird. Gähnende Leere. Habe ich denn wirklich gar nichts vor? Nichts zu erledigen?Keine Seminare und keine Besprechungen? In den amerikanischen Vorabendserienstöhnen die Heldinnen doch immer vor lauter Stress, auch wenn sie nur in einerPommesbude aushelfen. Am Freitag beginnt der Sommerschlussverkauf, aber das magich nicht in meinen Wochenkalender eintragen, der so nackt und bloß auf meinemSchreibtisch herumsteht, für neugierige Blicke stets einsehbar. Kühnlein hat natürlich alle Termine in seinem Computereingetragen und ein Passwort besitzt er auch, leider haben wir es bisher nochnicht herausfinden können. "Wichser" habe ich vorgeschlagen, aber das war keinErfolg. Wilma hat es mit "Handke" probiert, das ist nämlich der Lieblingsautorunseres Chefs, logo, aber auch der Langeweiler aus Österreich hat sich alsNiete erwiesen. Ich starre auf meinen leeren Wochenkalender, dann trage ich imMittwoch-Feld sorgfältig "Gucci-Outlet" ein. SollWilma doch erbsgrün vor Neid werden, wenn sie dasheimlich liest.
Langsam wird es rundum geschäftig,es ist fünf vor neun, um neun Uhr öffnet unsere Stadtbibliothek ihre Pforten,oder besser gesagt ihre Doppelglastür. Olli kommt geschäftig über den Ganggewuselt, unser einziger schwuler männlicher Kollege. Angeblich sind ja schwuleMänner der Frauen bester Freund, aber mir ist diese Behauptung immer ein Rätselgewesen. Warum soll ich mich ausgerechnet mit einem Mann befreunden, demwahrscheinlich kotzübel wird bei dem Gedanken, seine Gurke in eine Frau steckenzu müssen? Und vom angeblich exquisiten Geschmack der schwulen Männer ist anOlli auch nicht das Geringste zu bemerken. Olli hüllt sich konsequent inPullover mit neckischen Aufschriften wie "Sweetheart"oder "Champion", deren Polyesteranteil deutlich zu erschnuppern ist. Wir nickenaneinander vorbei, dann beuge ich mich wieder über meinen Terminplaner, man istschließlich eine viel beschäftigte Karrierefrau. Ich will gerade den letztenSchluck kalten Kaffee nehmen (der ja bekanntlich schöner macht), als mich eineDuftwolke aus diversen Zitrusfrüchten streift. Antonella, meine zweitbeste Freundin,steht neben mir und blickt mich ziemlich vorwurfsvoll an.
"Wie geht s,wie war das Wochenende? Meines war eine einzige Katastrophe! Warum hast du michnicht angerufen, ich habe mir mindestens eineinhalb Kilo angefuttert vor lauterLangeweile."
Antonella rollt die Augen und blästdie Wangen auf, es tut ihrer Schönheit keinen Abbruch. Meine zweitbesteFreundin hält sich uneinsichtig für hässlich, dabei hat sie die tollsten grünfunkelnden Augen und den tollsten Busen von ganz Peekenburg.Leider versteckt sie ihre Vorzüge hinter Nickelbrille und Holzfällerhemden, dieihr das Aussehen einer schwangeren Biobäuerin verleihen. Und die Peekenburger Männer sind natürlich zu blind und zu blöde,um zu merken, welches Juwel tagtäglich an ihnen vorüberradelt.
"Ich habe schon wieder von HeinerLauterbach geträumt", sage ich zu Antonella, dem einzigen Lebewesen in diesemKerker, dem man solche Dinge anvertrauen kann. Antonella ist gebührendschockiert.
"Annalena, das ist doch nicht deinErnst? Was hast du alles gegessen am Wochenende?" Und sie befühlt meine Stirnwie eine Mutter, deren Kind mit roten Pusteln von der Schule nach Hausegekommen ist.
"Chips mit Zwiebelgeschmack",antworte ich wahrheitsgetreu, "zwei Familienpackungen. Außerdem ein Baguettemit Kräuterbutter, drei Diätjoghurt mit Pfirsichgeschmack und einen altenOsterhasen von Milka."
Antonella sieht mich jetzt ehrlichbesorgt an.
"Und warum hast du nicht angerufen,bitte schön? Wir hätten ins Kino gehen können oder in diese Ausstellung überMode aus den dreißiger Jahren. Das hätte dich bestimmt aufgeheitert." Ichblicke an Antonella vorbei und beginne eine Kette aus Büroklammern zu basteln.Barbara Becker fädelt doch jetzt auch Muscheln auf. Ethnoschmuckist der Renner, vielleicht könnte ich meine Modelle ja ebenfalls an New YorkerEdelboutiquen verkaufen, als "Annalena-Design from Peekenburg, Germany". Außerdem möchte ich Antonella nichtantworten, wenigstens nicht ehrlich, dazu mag ich sie zu gerne. Die Wahrheitist nämlich: Kino und Ausstellungen können mir gestohlen bleiben, überhauptalle ach so lustigen Unternehmungen mit ach so lustigen Freundinnen. Ich willein Reihenhäuschen und zwei Kinder und einen Mann, basta. Wenn schon nicht inder Realität, dann wenigstens im Traum, und beim Träumen möchte ich bitte nichtgestört werden.
Antonella blickt auf meinstörrisches Gesicht, schüttelt den Kopf und will gerade zu einem ihreraufmunternden Monologe ansetzen, da werde ich von Frau Südbaum-Bechsteingerettet. Unsere Bibliothek ist also bereits geöffnet, die ersten Besucherschlendern die Regale entlang. Die Südbaum-Bechsteinist normalerweise meine gefürchtetste Kundin,mindestens einmal die Woche sucht sie mich heim und nervt mich jedes Mal mitdem gleichen Lamento. Seitdem Rosamunde Pilcher lieber ihre Tantiemen genießt,statt jedes Jahr einen Wälzer über Liebesleid in England und Schottland zuproduzieren, befindet sich die Südbaum-Bechstein aufEntzug wie ein Drogenjunkie vom Hauptbahnhof. Ich habe versucht, sie auf AmelieFried umzupolen, aber die Südbaum-Bechstein brauchteinfach ihre Dosis Cornwall. Vor wenigen Wochen ist mir dann ein Geniestreichgeglückt, und ich habe so etwas wie einen Funken Interesse für ein neues Themabei ihr wecken können.
"Hormone!", habe ich bedeutungsvollgeflüstert und mich dabei vertraulich nach vorne gebeugt. "Hormone können wahreWunder bewirken, ich hätte da den allerneuesten Ratgeber, bereits auf Platzsieben der Bestsellerliste, es gibt schon jede Menge Vormerkungen dafür, aberich habe ihn extra für Sie reserviert."
Die Südbaum-Bechsteinist damit abgezogen, obwohl: Meiner Meinung nach ist es bei ihr sowieso zuspät, für eine Hormonkur und für alles andere. Der Mann ist weg, und im letztenJahr hat sie mindestens zwanzig Kilo zugenommen, die Südbaum-Bechsteinkann sich eigentlich nur mehr vor den Zug werfen wie Anna Karenina. Aber derHormontrick hat funktioniert, ich versorge sie seither regelmäßig mitaufbauender Literatur zum Thema "alterslose Schönheit". Iris Berben haben meine Damen in den besten Jahren verschlungen,ihr Buch "Älter werde ich später" ist schon ganz abgegriffen, wir werden einneues Exemplar bestellen müssen.
Antonella verlässt achselzuckend undein wenig gekränkt meinen Ressortleiterinnenschreibtisch, die Südbaum-Bechstein steht vor mir wie eine Rückfallstäterinvor dem Richter, klein und zusammengesunken, was bei ihrem Übergewicht schonwieder eine Leistung ist.
"Haben Sie vielleicht irgendetwasErbauliches?", fleht sie mich an. "Das Wochenende war fürchterlich. Nur Sex undGewalt im Fernsehen und dieses schreckliche Formel-1-Rennen. Mir ist so was vondie Decke auf den Kopf gefallen."
Du lieber Himmel! Was haben alldiese erwachsenen Menschen bloß für Probleme mit ihrer Wochenendgestaltung? Ichhingegen ... ich sehe die Südbaum-Bechstein an und seufze:"Haben Sie schon einmal Madame Bovary gelesen?"
So vergeht der Vormittag. Wilmablättert in Verlagsprospekten, Olli macht sich wichtig. Unser Chef hat sichkrankgemeldet, angeblich hat er eine Zerrung, ich möchte gar nicht wissen, wo.Die Frage nach seinem Stellvertreter ist in unserem kleinen Team bislang nichtgeklärt worden, wozu auch. Aber Olli hält sich offenbar aus biologischenGründen für auserkoren, Männer regieren eben die Welt.
Ich schlendere zu Antonella hinüber,die in leitender Funktion das Ressort "Kind-Erziehung-Ernährung"betreut. Sie unterhält sich gerade intensiv mit einer jungen Mutter, die ihrBaby in einem bunt gewebten Tuch auf dem Rücken trägt. Vielen Dank! Mutterglückmacht mir heute Migräne, ich höre dann meine biologische Uhr ticken wie einenZeitzünder, der sich nicht mehr entschärfen lässt. Also schlendere ich weiter,unentschlossen und missmutig. Heute ist nicht mein Tag. Höchstwahrscheinlichist Peekenburg auch nicht die richtige Stadt fürmich. Ob ich mich überhaupt auf dem richtigen Kontinent befinde? Erst kürzlichist eine Reportage über Argentinien im Fernsehen gelaufen, das Land soll ja ingroßen wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, aber die Männer scheinenentschieden attraktiver als unsere Heideschnösel zu sein. Ich könnte auf einereiche Hazienda heiraten und mich neben meinem eigenen Nachwuchs, Manolito undIsabel, um die Kinder der armen Gauchos kümmern. Ich würde ...
"Hey, Annalena, aufwachen!"
Olli hat mich ziemlich unsanftangerempelt, er ist so um die Ecke geschossen, dass ich mir jetzt meinenEllbogen reiben muss. Aber eine Entschuldigung kommt Polyester-Ollinatürlich gar nicht erst in den Sinn, stattdessen blafft er mich auch noch an.
"Hast du nichts zu tun? Ich weißnicht, wo mir der Kopf steht. Wenn Kühnlein nicht daist, dann bleibt alles an mir hängen."
Ich mustere Olli von oben herab,obwohl wir ziemlich gleich groß sind. Alles, was meiner Meinung nach an ihmhängen geblieben ist, sind fettige Krümel von einem Fischbrötchen, die sich inseinem rattenfarbenen Polyesterpullover verhakt haben.
"Dann will ich nicht weiter stören",hauche ich süffisant und ziehe mich in meine Nische zurück. "Gucci-Outlet" am Mittwoch erinnert mich der Wochenkalender.Also, mein Leben ist doch wirklich interessant.
(Seite 7-19)
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Interview mit Marlene Faro
Annalena, die HauptfigurIhres Romans sucht händeringend ihren Traummann. Was macht die Partnersucheheute so schwer?
Dasswir alle so viele Bilder im Hinterkopf mit uns herumschleppen. Jede Margarinewird mit einem glücklichen Paar beworben, wir stellen immer mehr Ansprüche anden perfekten Partner. Alles scheint machbar, die Gesundheit, die Schönheit,die Karriere. Warum nicht auch die große Liebe? Und dann wachen wir auf in der Realitätstatt in einer Meg-Ryan-Tom-Hanks-Schnulze, und das ist ganz schön hart.
Annalena ist Mitte 30.Reicht allein dieses Alter, um als schwer vermittelbar zu gelten?
Heutzutagegelten doch schon 25-jährige Models als uralt, unsere Gesellschaft hat sich dain eine groteske Sackgasse hineinmanövriert. Aber das Pendel wird wieder zurückschwingen,da bin ich mir ganz sicher. Männer werden sich irgendwann an Silikonbusen undCollagenlippen satt gesehen haben, und die viel bespöttelten inneren Werte werdenwieder im Kurs steigen.
Haben Sie schon daran gedacht,einen Ratgeber für Single-Frauen zu schreiben?
Nein.Als Journalistin habe ich zu viele dicke Diätexpertinnen und zu vieleunglückliche Lebensberaterinnen kennen gelernt.
Glauben Sie, dass auchMänner Ihre Bücher lesen?
Dasweiß ich sogar. Über meine "Proseccofrauen" haben mir Frauen immergesagt, dass sie die so witzig fanden. Und Männer haben gemeint, dass das einganz schön trauriges Buch ist. Da bin ich ziemlich ins Grübeln gekommen - sindMänner etwa doch sensibler als ich dachte...? Dann hat mir gerade eine 12.Klasse aus NRW ihre Fragen zur "Frau des Weinhändlers" gesandt. Dielesen mein Buch, weil es ihrem Deutschprofessor so gut gefallen hat. Über solcheine Rückmeldung freut man sich sehr, Schreiben ist ja ein einsamer Job...
Sie sind promovierte Historikerin.Können wir mit einem Roman von Ihnen rechnen, der in der Vergangenheit spielt?
Mitdieser Frage treffen Sie ins Schwarze. Das Projekt eines historischen Romanskollert schon seit geraumer Zeit in meinem Hinterkopf herum, aber so ein Buchbraucht viel Arbeit, damit alles stimmt. Makaber wie wir Wiener so sind, geheich derzeit viel auf dem Zentralfriedhof spazieren und schaue mir dieGrabsteine an - auf der Suche nach altmodischen Namen. Den meiner Heldin habeich schon
gefunden.
Die Fragen stellte MathiasVoigt, literaturtest.de.
- Autor: Marlene Faro
- 2004, 237 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404151461
- ISBN-13: 9783404151462
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