Fyksens Tankstelle
Roman
Diese witzige und originelle Geschichte über einen jungen Tankstellenbesitzer wurde in Norwegen zum Kultroman: ein Männerverstehbuch für alle, die endlich wissen wollen, warum manche Männer mehr Zeit unter ihrem Auto verbringen als mit ihrer Freundin.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Fyksens Tankstelle “
Diese witzige und originelle Geschichte über einen jungen Tankstellenbesitzer wurde in Norwegen zum Kultroman: ein Männerverstehbuch für alle, die endlich wissen wollen, warum manche Männer mehr Zeit unter ihrem Auto verbringen als mit ihrer Freundin.
Klappentext zu „Fyksens Tankstelle “
"Du hast keine Kunden, du hast einen Fanclub", sagte Rudi über die Tankstelle seines Freundes Erik Fyksen. Klar, es gibt weder ein Bistro noch eine gigantische Waschanlage wie bei der Konkurrenz, und das Sechziger-Jahre-Design, in dem Eriks Freundin die alte Tankstelle stilecht renoviert hat, bevor sie ihn verließ, ist auch nicht jedermanns Sache. Dafür weiß Erik alles über die Autos, die er liebevoll repariert, und kann für das ungewöhnlichste Modell Ersatzteile besorgen. Nur dumm, daß die Landstraße begradigt werden soll und bald nicht mehr an seiner Tankstelle vorbeiführen wird. Erik will sich nicht kampflos ergeben, doch seine Pläne werden von seinem alten Rivalen Harald durchkreuzt. Der hatte ihm schon damals seine erste große Liebe ausgespannt, die schweigsame Tora mit den blauschwarzen Haaren, die Erik einfach nicht vergessen kann.
Lese-Probe zu „Fyksens Tankstelle “
Es gibt nur einen Ort, wohin du gehen kannst, wenn du von der Tochter des Schrotthändlers betrogen worden bist.Zurück zum Schrottplatz.
Zu den Autowracks, den auf null gestellten Tachometern, den Motoren mit Rostfraß in den Zylindern.
Zur Schrottpresse.
Erik schob die Flasche zurück in die Innentasche, als eine Windböe die Tüte packte, in der die Bierflaschen gewesen waren. Die Samstagnacht lag violett und warm über dem Autofriedhof. Der straff gespannte Maschendraht zitterte unter seinen Fußsohlen, als er zu klettern begann. Er zog den Ärmel seiner Jeansjacke lang, hielt mit der Faust den Stacheldraht fest, schwang sich hinüber und ließ sich auf die andere Seite fallen.
Atem und Herzschlag meldeten sich wieder, als er vor einem ausgebrannten Traktor und einem Lieferwagen mit Frontschaden stand. Der Schrottplatz lag im Dunkeln, nur eine einzige Laterne brannte am Ende des Geländes. Ihr gelber Lichtkegel fiel auf einen roten Buick. Erik suchte sich zuerst mit den Augen einen Korridor zwischen dem matten Schimmer der Autodächer und begann ihn entlangzugehen.
Hier lagerten bestimmt mehr als tausend Autos; Werner Grundtvig ließ sie lange stehen, ehe er sie ausschlachtete und in die Presse steckte. Einige waren schon uralt, Erik hatte sie im Sommer entdeckt, sie berührt und ihren rauen, fast knotigen Lack unter den Fingern gespürt. Er ging an einem 74er Mercedes vorbei, der auf dem Bauch lag, ohne Räder. Ich weiß, warum der hier steht, dachte er, Tür an Tür mit einem Capri ohne Hinterachse und einem BMW mit festgefressenem Radlager. Manche Leute verloren einfach irgendwann das Interesse an ihren Autos. Andere suchten sich größere, stärkere, die mehr hermachten und mit denen sie sich besser sehen lassen konnten.
Er schlug mit den Fäusten auf das Dach des Buicks, riss die Scheibenwischer ab.
Tora.
Tora Grundtvig, Tora mit den Hermelinaugen und den blauschwarzen Haaren. Tora mit dem lose hängenden Levi's-Schild an ihrem Jeanshintern. Tora, die
... mehr
ihm zu verstehen gegeben hatte, dass es schon in Ordnung war, wenn er sich um sie bemühte.
Erik setzte sich in den Buick. Trocken und bequem, wie er es noch vom Anfang der Woche in Erinnerung hatte. Schon bald war die Flasche leer. Dann stieg er wieder aus und bahnte sich einen Weg durch das dichte, hochgewachsene Gebüsch am Ende des Schrottplatzes, vorbei an entstellten Kleinwagen und verbeulten Ölfässern. Er spürte die Nässe des Grases durch seine Sohlen dringen, hinauf bis zu den Hosenbeinen seiner Jeans.
Ein Drahtseil schlug gegen einen Wellblechschuppen. Weit entfernt hörte er das Flattern einer Persenning.
Auf drei Fiats lag ein alter Cadillac.
Er musste einmal weiß gewesen sein, doch jetzt war der Lack fleckig und an einigen Stellen begann er abzublättern, wie die Farbe an einer verwahrlosten Kirche. An den Türen klebte der Staub der Straße, aufgeweicht vom Regen, eingebrannt von der Sonne, erneut aufgeweicht und abermals eingebrannt.
Erik verstand nicht, was dieser Wagen hier sollte. Es brachte doch niemand einen Cadillac aus den frühen Fünfzigern auf den Schrottplatz! Und ganz sicher würde der dann nicht einfach auf drei Fiats abgelegt werden. So etwas brachte nicht einmal Grundtvig fertig, obwohl das ganze Dorf wusste, dass der Schrotthändler verrückt war und ziemlich sicher nicht die richtigen Medikamente bekam.
Außerdem stand der Wagen einfach am falschen Platz.
Gleich am ersten Tag seines Ferienjobs hatte ihm Werner gezeigt, wie die Autos der Nationalität nach geordnet werden mussten. Links vorm Zaun das französische Viertel: Renault, Peugeot, Citroën. In der Mitte des Platzes das deutsche Eck. Schweden lag am oberen Zaun, dort standen beinahe fünfzig Volvos und Saabs Seite an Seite; Japaner und Russen kamen ganz hinten ins Moor. Seltene Kleinwagen und landwirtschaftliche Geräte unten an den Zaun. Englische und amerikanische Modelle direkt neben die Moelv-Baracke, in der er sein Büro hatte.
Ein Cadillac sollte also auf keinen Fall hier vergammeln, zwischen Fiats, verbeulten Heckschiebesammlern und Busmotoren. Aber vielleicht war der psychische Schaden der Schrottplatzsippe ja doch schlimmer, als er angenommen hatte. Vielleicht litt ja auch Tora an dem gleichen Leiden? Vielleicht lag die Antwort dort oben, vier Meter über dem Boden, in der Silhouette, die vor dem Hang emporragte und durch deren Fenster der violette Abendhimmel schien.
Der unterste Fiat stand bis zur Mitte der Bremsscheiben im Matsch. Erik stellte den Fuß auf den Türgriff und stemmte sich hoch, schnitt sich an Glasscherben und aufgebogenem Blech, rutschte ab, stürzte zu Boden und versuchte es erneut, bis der Matsch von seiner Hose tropfte.
Am dritten Fiat kam er einfach nicht vorbei. Mit den Schuhen im Fenster und den Fingern in der Regenrinne, starrte er von unten auf die Diagonalreifen des Cadillacs. Schwarze Erde rieselte aus dem Radkasten und machte ihn blind, sodass er wieder nach unten springen musste.
Er rieb sich den Dreck aus den Augen und überlegte, ob er es über die Stoßstangen versuchen sollte. Die Autos begannen mit einem satten Knirschen zu schwingen. Da bekam er den Kühler des Cadillacs zu packen, da, er spürte das Ablassventil unter der Hand. Auspuffanlage und Dachbleche knackten, als er sich nach oben schwang, die rechte Hand auf das Wappenschild auf der Motorhaube legte und auf dem schwankenden Koloss das Gleichgewicht zu halten versuchte. Doch seine Füße verloren den Halt, er rutschte ab und spürte, wie seine linke Hand an dem abstehenden Blech der Stoßstange aufgerissen wurde. Seine Stirn schlug beim Fallen dreimal auf und sein Kiefer knallte gegen einen Stein, als er auf den Boden klatschte. Ein Wagenheber löste sich aus einer Karosserie und landete mit einem dumpfen Laut neben seinem Ohr.
Über ihm knackte und schwankte der Wagenstapel. Warmes Blut tropfte aus der Schnittwunde in seiner linken Hand. In der rechten Handfläche erkannte er den Abdruck eines spiegelverkehrten Cadillac-Emblems.
Erik hob den Wagenheber auf, warf ihn beim Klettern durch ein Seitenfenster, stützte sich auf einem Skiträger ab und zog sich hoch, während der Wagenstapel immer stärker schwankte. Aber jetzt war er oben, beim Cadillac, setzte seinen Körper als Gegengewicht ein, um die Autos zur Ruhe zu bringen, öffnete die Tür und kroch hinein.
Das Interieur war spartanischer, als er erwartet hatte. Ein großes, weißes Lenkrad, ein gediegenes Radio mit glänzenden Knöpfen, sonst nichts. Die Sitze waren trocken und faltig. Er schloss die Tür. Das Coupé war kalt und scharfer, verbrannter Gestank drang in seine Nase, der ihn an den Geruch in den Lampenschirmen zu Hause erinnerte, wenn er die Glühbirnen wechselte.
Von hier aus konnte er den ganzen Schrottplatz überblicken, all die Wracks, die wie tote Mistkäfer unter ihm lagen. Und dahinter erkannte er die Felder, den Fluss Sokna, das Zentrum von Annor.
Einen Moment lang dachte er gar nichts.
Dann nahm er im Halbdunkel etwas Silbernes wahr. Der Schlüssel steckte. Vielleicht war das einer der Wagen, von denen ihm Grundtvig erzählt hatte. Fahrbereit, aber trotzdem auf dem Autofriedhof, weil es Leute gab, die es nicht ertrugen, dass jemand anders ihren Wagen bekam, auch wenn sie ihn selbst nicht mehr haben wollten.
So könnte auch Tora denken; irgendwie in umgekehrter Weise, es musste schon krankhaft sein, dass sie die Menschen derart links liegen ließ. Nur: Warum hatte sie sich dann heute Abend ausgerechnet diesem Typ an den Hals geworfen? Harald Jøtul, diesem Aufschneider und Meister Oberkorrekt? Der sich nie betrank und sich so gern als Hüter der Ordnung aufspielte, wenn andere zusahen?
Erik musste unweigerlich an das Henning-Kvitnes-Konzert in der Sporthalle vor ein paar Monaten denken, als er durch die geöffnete Tür nur ein Stückchen der Trommel mit der Aufschrift "Young Lords" sah, ehe ihm ein kräftiger Arm den Weg versperrte. "Du bist betrunken", hatte Jøtul gesagt. "Raus auf den Schulhof. Oder soll ich nachhelfen?"
Betrunken? Erik hatte einen Sixpack intus gehabt, eben weil er seine Lieblingsband richtig hören wollte. Andere waren derart dicht, dass sie schon nach einer Viertelstunde kotzen würden, und wurden trotzdem reingelassen. Aber Jøtul, dieser Idiot, hatte sich gegen Erik entschieden, sodass er draußen bleiben und von dort das Dröhnen der Bässe hören musste, als sie drinnen "Big Burden" anstimmten.
Erik streichelte mit dem Zeigefinger über das Lenkrad des Cadillacs und berührte den Zündschlüssel. Vor ein paar Tagen hatte er dort unten im Buick gesessen und gedacht, mit Tora würde alles wieder in Ordnung kommen. Jetzt gab ihm der Anblick dieses Wagens das Gefühl, ein kleiner Bruder zu sein, schüchtern und schwach, jemand, mit dem man nicht wirklich zu tun haben wollte. Er, der Erik, der er sein könnte, saß hier oben, in einem Cadillac. Jetzt würde alles größer werden. Ab jetzt würde er sich um Mädchen bemühen, die wirklich wollten, er würde das Moped frisieren, in Erwachsenenfilme gehen und Musik finden, die etwas bedeutete.
Erik drehte den Zündschlüssel ein klein wenig nach rechts, er hörte die Lautsprecher rauschen. Die Batterie war in Ordnung! Über Langwelle empfing er einen ausländischen Sender. Sie redeten unverständliches Zeug. Er drehte noch ein Stückchen weiter. Die Zündlampe und die Ölanzeige leuchteten rot auf. Es begann in seinen Unterarmen zu pochen. Das lag an der Nacht, an den Warnlampen, die im Dunkeln des Autofriedhofs leuchteten.
Das Lenkrad ließ sich jetzt, da die Räder vorn und hinten frei in der Luft hingen, mit einem gewissen Widerstand drehen. Es sollte ungefährlich sein, die Zündung zu betätigen. Erik hatte bisher nichts anderes gefahren als heimlich ausgeliehene Kleinwagen und damit verängstigte Spritztouren unternommen, mit Kumpels auf abgelegenen Höfen, doch durch das Amcar-Magazin wusste er, dass er die Lenkradschaltung eines Cadillacs auf PARK stellen musste. Erik drehte den Zündschlüssel in die letzte Position. Benzin, Luft, Funken. Der startet, dachte er. Mein Gott, der Motor kommt.
Der Motor hustete sich sauber, und das tiefe Rumoren des Achtzylinders ließ den Wagen vibrieren.
Einige Warnlampen meldeten sich in Eriks Kopf, doch zu diffus und schwach, um durch den Übermut zu dringen, der hinter den Schläfen pulsierte. Plötzlich war ein harter Knall im Wagen zu hören, als wäre dieser von einem großen Stein getroffen worden. Der Cadillac riss sich los, die Aussicht verschwand und der Mond raste zu Boden.
Erik sah die Fußmatte in sein Gesicht fliegen und dann wurde ihm wie in Zeitlupe bewusst, dass sich der Cadillac plötzlich eingekuppelt und die Kardanwelle sich am Skiträger des Autos darunter verhakt haben musste. Und wenn ich jetzt lande, dachte er, befinden sich nur ein paar Millimeter Stahl zwischen meinem Kopf und dem Boden.
Doch nachdem es schwarz geworden war, wurde es auch wieder hell. Er hatte einen steifen Nacken, die Gummimatte auf dem Gesicht und sein linker Fuß klemmte unter dem Lenkrad fest, aber er konnte atmen, sich bewegen und schließlich auch denken.
Erik bekam seinen Fuß los, kroch auf dem Deckenbezug herum, fand schließlich den Schalter für den Fensterheber und sah ein paar Klumpen Erde ins Wageninnere rollen, als die Fenster aufgingen. Der Lehmboden lag dunkel und nass vor seinen Augen, die Morgensonne malte einen Regenbogen in eine Pfütze Öl auf einem Schrottplatz, der auf dem Kopf stand.
Erst lange nachdem er nach draußen gekrochen war, kapierte er, dass der Motor noch immer lief. Die Hinterräder drehten sich, Kühlflüssigkeit sickerte aus der Motorhaube. Schnell beugte er sich nach drinnen, tastete nach dem Schlüssel, drehte ihn in die falsche Richtung und hörte den Starter aufheulen, drehte in die entgegengesetzte Richtung, und der Motor verstummte.
Die Sonne schien ihm in den Nacken. Blut tropfte von seiner Handfläche. Erik musste sich übergeben, riss ein Stück Deckenverkleidung heraus und wischte sich damit den Mund ab. Dann packte er noch einmal zu, zerrte ein Stück Stoff aus dem Wagen, wickelte es um seine blutende Hand und spürte, wie er nüchtern wurde. Er ging ums Auto herum, fuhr mit der Hand über den rauen Unterboden und roch die Abgase.
Der Kofferraum hatte sich bei dem Sturz geöffnet. Eine schwarze Lederrolle lag auf dem Boden. Sie war schwer. Etwas Hartes lag wie Rippen unter dem Leder. Der Spannriemen trug einen eingestanzten Firmennamen: BELLEROPHON.
Ein altes Werkzeugset. Eine lange Reihe Schraubenschlüssel, jeder in einer eigenen Tasche, mit leichten Kerben, schwarz glänzend. Alter Plunder. Wertlos.
Das Cadillac-Emblem hatte sich in den Schmutz seiner rechten Hand gezeichnet. Einen Moment lang glaubte er, es leuchtete auf, bekäme Farbe. Er spuckte auf seine Handfläche, rieb sie an der Hose ab, doch der Abdruck wollte nicht ganz verschwinden.
Das Tor des Schrottplatzes stand offen. Seine Jeans war getrocknet, nur ganz unten am Saum waren die Hosenbeine noch nass, zwei schwere, schwarze Ringe, die gegen seine Knöchel schlugen, als er rannte.
Die Reue plagte ihn den ganzen Sonntag, quälte ihn auch am Montag von morgens bis abends, bis er am Dienstag schier zu platzen drohte. Grundtvig bestehlen und auch noch einen Cadillac schrotten. Es gibt sicher Probleme, wenn ich Tora dort treffe, aber die ganze Zeit mit einem schlechten Gewissen herumzulaufen, ist noch schlimmer, dachte er, spannte das Werkzeugset auf dem Gepäckträger fest, trat den Kickstarter seines Mopeds nach unten und fuhr zum Schrottplatz.
Grundtvig stand über den Motorraum eines Volvo Duett gebeugt. Er musste das Moped gehört haben, denn er richtete sich auf, als Erik die Maschine abstellte, und stand da, wie Erik ihn an jedem Tag dieses Sommers gesehen hatte: Mit den weißen Haaren unter dem Sixpence und dem braunen Overall, der am Bauch schwarz imprägniert war von all den ölverschmierten Getrieben, die er herumgetragen hatte.
Noch bevor Erik etwas wegen des Cadillacs sagen konnte, fragte Grundtvig: "Warst du in diesem Jahr schon mal in Lillehammer?"
Er hat seine Nervenmedizin noch nicht genommen, dachte Erik. Alles deutete darauf hin: das Zittern, das weiche, einfältige Altherrengesicht, das sich immer im falschen Augenblick zeigte - für Erik alles bekannte Merkmale eines verwirrten, kranken Mannes.
"Die neuen Fenster im Krankenhaus", sagte Grundtvig. "Die so schwarz glänzen. Ich kenne ihr Geheimnis. Das sind ganz besondere Sonnenbrems-Paneele. Mit einer Lizenz aus den USA produziert."
"Du meinst Solarzellen-Paneele", sagte Erik und streckte seinen Hals. Unten am Zaun standen die drei Fiats. Der Cadillac war verschwunden.
"Nee, nee, Bremspaneele", erwiderte Grundtvig. "Wegen der Beschichtung. Das Licht wird gebremst, wenn es auf einen Spiegel trifft, und kehrt wieder um. Das ist wie mit der Relativitätstheorie. Mit genug von diesen Paneelen können die Alliierten die Zeit auf der Welt verlangsamen, wenn sie alle diese Fenster auf ein Signal der Nato hin gleichzeitig schließen."
"Dieses Werkzeugset", begann Erik. "Ich habe es in einem weißen Cadillac gefunden, der hier rumstand."
"Cadillac?", sagte Grundtvig in einem Tonfall, der Antwort und Frage gleichermaßen beinhaltete. "Ich habe hier keinen Cadillac."
"Ich hab ihn doch gesehen", sagte Erik und legte die Lederrolle auf das Dach des Duetts. "Ich glaub, das war ein 52er."
"Nun, das hier ist ein Schrottplatz. Es kommt schon mal vor, dass Autos verschwinden", sagte Grundtvig. Er entrollte das Futteral, schob sich zwei Ringschlüssel auf die kleinen Finger und schlug sie gegeneinander.
"Was für ein Klang, wenn die so geschmiedet werden. Verdammt guter Werkzeugstahl. Und in Zollmaß! Mit denen kannst du alles reparieren, was sich zu reparieren lohnt - Amerikaner oder Engländer. Sieh her. Schwarz eloxiert, nicht verchromt. Sieht einfacher aus, blättert aber nie ab. Das ist das Werkzeug eines wirklichen Fachmanns. Hält ewig. Und das meine ich wörtlich."
Schließlich spürte Erik, dass seine Kraft reichen würde. "Tora?", fragte er. "Ist sie da?"
"Sie wollte nach Norden", sagte Grundtvig. "Zu ihrer Mutter."
"Für den Rest der Sommerferien?", fragte Erik.
"Für immer", antwortete Grundtvig. "Verdammt endgültig, oder? Hast du dich da geschnitten?"
"Ein Unfall mit dem Moped", log Erik und spürte, dass er nach Hause wollte, ihm war zum Heulen.
"Mach den Verband ab", sagte Grundtvig.
"Warum?"
"Mach den Verband ab. So. Ja, ganz ab. Mein Gott. Du wirst eine Narbe über deine Lebenslinie bekommen. Der Cadillac hat dir ein Geschenk gemacht."
"Ich will keine Geschenke", sagte Erik und wickelte die Bandage wieder um seine Hand.
"Das Werkzeugset des Mechanikers, der drüben im Jenseits die große Tankstelle betreibt." Grundtvigs Schweißgeruch kam näher. "Hör mir zu, Erik. Verlier das nie, um der Heiligen Jungfrau Maria willen. Dort, wo diese Sachen geschmiedet worden sind, ist es heiß, verdammt heiß. Du hast die nur geliehen, geliehen für die Reparatur deines Lebens."
Erik schrak zurück. "Nimm es. Ich will es nicht."
"Alte Autos vergehen nie", sagte Grundtvig. "Sie verblassen, das schon, mehr und mehr, mit jedem Jahr, das vergeht. Aber denk an das Wasser. Wie dreckig es auch ist, der Dampf ist sauber. Rost wartet nur auf die Flamme eines Schweißgerätes. Der Stahl auf den Stahl des Werkzeugs. Nur, wenn ein Auto in die Presse kommt und eingeschmolzen wird, dann ist es vorbei. Aber auch ein Sargnagel vergisst nie, dass er mal ein Cadillac war."
Grundtvig gab ihm die Lederrolle. Sie fühlte sich doppelt so schwer an wie zuvor.
"Du verstehst", sagte Grundtvig, "der weiße Cadillac fährt die Toten über den Pass ins Jenseits."
"Hör mal, Werner, ich wollte nicht ..."
"Das ist genau wie bei den Samen. Sie sehen vor ihrem Tod ein weißes Rentier."
"Bist du da gewesen?", fragte Erik. "Ich meine, auf der anderen Seite?"
"Ich? Nein, ich bin doch hier. Aber es kommt vor, dass ich da hinübersehen kann, wenn ich ein Auto in die Presse sinken lasse und ins Jenseits schicke. Es ist eine lange, schwarze Landstraße mit Schneezeichen an den Seiten, und weit hinten kann man das Licht einer Tankstelle sehen."
Grundtvig beugte sich wieder über den Motor. "Manchmal fühlt man sich schon einsam, wenn man einen Schrottplatz betreibt", sagte er. "Hier zu stehen und das Tor zu bewachen. Aber ich bin mir sicher, dass die Autos es gut haben, wenn sie in die Presse kommen. Denn auf der anderen Seite kümmert sich der große Mechaniker um sie."
"Gott?", fragte Erik.
"Nein, der hat selbst genug zu tun. Der große Mechaniker repariert die Autos. Aber sie reden miteinander, wenn es nötig ist."
"Es gibt also Autos im Jenseits?"
"Aber sicher. Sonst könnte man das doch nicht Paradies nennen!"
Erik setzte sich in den Buick. Trocken und bequem, wie er es noch vom Anfang der Woche in Erinnerung hatte. Schon bald war die Flasche leer. Dann stieg er wieder aus und bahnte sich einen Weg durch das dichte, hochgewachsene Gebüsch am Ende des Schrottplatzes, vorbei an entstellten Kleinwagen und verbeulten Ölfässern. Er spürte die Nässe des Grases durch seine Sohlen dringen, hinauf bis zu den Hosenbeinen seiner Jeans.
Ein Drahtseil schlug gegen einen Wellblechschuppen. Weit entfernt hörte er das Flattern einer Persenning.
Auf drei Fiats lag ein alter Cadillac.
Er musste einmal weiß gewesen sein, doch jetzt war der Lack fleckig und an einigen Stellen begann er abzublättern, wie die Farbe an einer verwahrlosten Kirche. An den Türen klebte der Staub der Straße, aufgeweicht vom Regen, eingebrannt von der Sonne, erneut aufgeweicht und abermals eingebrannt.
Erik verstand nicht, was dieser Wagen hier sollte. Es brachte doch niemand einen Cadillac aus den frühen Fünfzigern auf den Schrottplatz! Und ganz sicher würde der dann nicht einfach auf drei Fiats abgelegt werden. So etwas brachte nicht einmal Grundtvig fertig, obwohl das ganze Dorf wusste, dass der Schrotthändler verrückt war und ziemlich sicher nicht die richtigen Medikamente bekam.
Außerdem stand der Wagen einfach am falschen Platz.
Gleich am ersten Tag seines Ferienjobs hatte ihm Werner gezeigt, wie die Autos der Nationalität nach geordnet werden mussten. Links vorm Zaun das französische Viertel: Renault, Peugeot, Citroën. In der Mitte des Platzes das deutsche Eck. Schweden lag am oberen Zaun, dort standen beinahe fünfzig Volvos und Saabs Seite an Seite; Japaner und Russen kamen ganz hinten ins Moor. Seltene Kleinwagen und landwirtschaftliche Geräte unten an den Zaun. Englische und amerikanische Modelle direkt neben die Moelv-Baracke, in der er sein Büro hatte.
Ein Cadillac sollte also auf keinen Fall hier vergammeln, zwischen Fiats, verbeulten Heckschiebesammlern und Busmotoren. Aber vielleicht war der psychische Schaden der Schrottplatzsippe ja doch schlimmer, als er angenommen hatte. Vielleicht litt ja auch Tora an dem gleichen Leiden? Vielleicht lag die Antwort dort oben, vier Meter über dem Boden, in der Silhouette, die vor dem Hang emporragte und durch deren Fenster der violette Abendhimmel schien.
Der unterste Fiat stand bis zur Mitte der Bremsscheiben im Matsch. Erik stellte den Fuß auf den Türgriff und stemmte sich hoch, schnitt sich an Glasscherben und aufgebogenem Blech, rutschte ab, stürzte zu Boden und versuchte es erneut, bis der Matsch von seiner Hose tropfte.
Am dritten Fiat kam er einfach nicht vorbei. Mit den Schuhen im Fenster und den Fingern in der Regenrinne, starrte er von unten auf die Diagonalreifen des Cadillacs. Schwarze Erde rieselte aus dem Radkasten und machte ihn blind, sodass er wieder nach unten springen musste.
Er rieb sich den Dreck aus den Augen und überlegte, ob er es über die Stoßstangen versuchen sollte. Die Autos begannen mit einem satten Knirschen zu schwingen. Da bekam er den Kühler des Cadillacs zu packen, da, er spürte das Ablassventil unter der Hand. Auspuffanlage und Dachbleche knackten, als er sich nach oben schwang, die rechte Hand auf das Wappenschild auf der Motorhaube legte und auf dem schwankenden Koloss das Gleichgewicht zu halten versuchte. Doch seine Füße verloren den Halt, er rutschte ab und spürte, wie seine linke Hand an dem abstehenden Blech der Stoßstange aufgerissen wurde. Seine Stirn schlug beim Fallen dreimal auf und sein Kiefer knallte gegen einen Stein, als er auf den Boden klatschte. Ein Wagenheber löste sich aus einer Karosserie und landete mit einem dumpfen Laut neben seinem Ohr.
Über ihm knackte und schwankte der Wagenstapel. Warmes Blut tropfte aus der Schnittwunde in seiner linken Hand. In der rechten Handfläche erkannte er den Abdruck eines spiegelverkehrten Cadillac-Emblems.
Erik hob den Wagenheber auf, warf ihn beim Klettern durch ein Seitenfenster, stützte sich auf einem Skiträger ab und zog sich hoch, während der Wagenstapel immer stärker schwankte. Aber jetzt war er oben, beim Cadillac, setzte seinen Körper als Gegengewicht ein, um die Autos zur Ruhe zu bringen, öffnete die Tür und kroch hinein.
Das Interieur war spartanischer, als er erwartet hatte. Ein großes, weißes Lenkrad, ein gediegenes Radio mit glänzenden Knöpfen, sonst nichts. Die Sitze waren trocken und faltig. Er schloss die Tür. Das Coupé war kalt und scharfer, verbrannter Gestank drang in seine Nase, der ihn an den Geruch in den Lampenschirmen zu Hause erinnerte, wenn er die Glühbirnen wechselte.
Von hier aus konnte er den ganzen Schrottplatz überblicken, all die Wracks, die wie tote Mistkäfer unter ihm lagen. Und dahinter erkannte er die Felder, den Fluss Sokna, das Zentrum von Annor.
Einen Moment lang dachte er gar nichts.
Dann nahm er im Halbdunkel etwas Silbernes wahr. Der Schlüssel steckte. Vielleicht war das einer der Wagen, von denen ihm Grundtvig erzählt hatte. Fahrbereit, aber trotzdem auf dem Autofriedhof, weil es Leute gab, die es nicht ertrugen, dass jemand anders ihren Wagen bekam, auch wenn sie ihn selbst nicht mehr haben wollten.
So könnte auch Tora denken; irgendwie in umgekehrter Weise, es musste schon krankhaft sein, dass sie die Menschen derart links liegen ließ. Nur: Warum hatte sie sich dann heute Abend ausgerechnet diesem Typ an den Hals geworfen? Harald Jøtul, diesem Aufschneider und Meister Oberkorrekt? Der sich nie betrank und sich so gern als Hüter der Ordnung aufspielte, wenn andere zusahen?
Erik musste unweigerlich an das Henning-Kvitnes-Konzert in der Sporthalle vor ein paar Monaten denken, als er durch die geöffnete Tür nur ein Stückchen der Trommel mit der Aufschrift "Young Lords" sah, ehe ihm ein kräftiger Arm den Weg versperrte. "Du bist betrunken", hatte Jøtul gesagt. "Raus auf den Schulhof. Oder soll ich nachhelfen?"
Betrunken? Erik hatte einen Sixpack intus gehabt, eben weil er seine Lieblingsband richtig hören wollte. Andere waren derart dicht, dass sie schon nach einer Viertelstunde kotzen würden, und wurden trotzdem reingelassen. Aber Jøtul, dieser Idiot, hatte sich gegen Erik entschieden, sodass er draußen bleiben und von dort das Dröhnen der Bässe hören musste, als sie drinnen "Big Burden" anstimmten.
Erik streichelte mit dem Zeigefinger über das Lenkrad des Cadillacs und berührte den Zündschlüssel. Vor ein paar Tagen hatte er dort unten im Buick gesessen und gedacht, mit Tora würde alles wieder in Ordnung kommen. Jetzt gab ihm der Anblick dieses Wagens das Gefühl, ein kleiner Bruder zu sein, schüchtern und schwach, jemand, mit dem man nicht wirklich zu tun haben wollte. Er, der Erik, der er sein könnte, saß hier oben, in einem Cadillac. Jetzt würde alles größer werden. Ab jetzt würde er sich um Mädchen bemühen, die wirklich wollten, er würde das Moped frisieren, in Erwachsenenfilme gehen und Musik finden, die etwas bedeutete.
Erik drehte den Zündschlüssel ein klein wenig nach rechts, er hörte die Lautsprecher rauschen. Die Batterie war in Ordnung! Über Langwelle empfing er einen ausländischen Sender. Sie redeten unverständliches Zeug. Er drehte noch ein Stückchen weiter. Die Zündlampe und die Ölanzeige leuchteten rot auf. Es begann in seinen Unterarmen zu pochen. Das lag an der Nacht, an den Warnlampen, die im Dunkeln des Autofriedhofs leuchteten.
Das Lenkrad ließ sich jetzt, da die Räder vorn und hinten frei in der Luft hingen, mit einem gewissen Widerstand drehen. Es sollte ungefährlich sein, die Zündung zu betätigen. Erik hatte bisher nichts anderes gefahren als heimlich ausgeliehene Kleinwagen und damit verängstigte Spritztouren unternommen, mit Kumpels auf abgelegenen Höfen, doch durch das Amcar-Magazin wusste er, dass er die Lenkradschaltung eines Cadillacs auf PARK stellen musste. Erik drehte den Zündschlüssel in die letzte Position. Benzin, Luft, Funken. Der startet, dachte er. Mein Gott, der Motor kommt.
Der Motor hustete sich sauber, und das tiefe Rumoren des Achtzylinders ließ den Wagen vibrieren.
Einige Warnlampen meldeten sich in Eriks Kopf, doch zu diffus und schwach, um durch den Übermut zu dringen, der hinter den Schläfen pulsierte. Plötzlich war ein harter Knall im Wagen zu hören, als wäre dieser von einem großen Stein getroffen worden. Der Cadillac riss sich los, die Aussicht verschwand und der Mond raste zu Boden.
Erik sah die Fußmatte in sein Gesicht fliegen und dann wurde ihm wie in Zeitlupe bewusst, dass sich der Cadillac plötzlich eingekuppelt und die Kardanwelle sich am Skiträger des Autos darunter verhakt haben musste. Und wenn ich jetzt lande, dachte er, befinden sich nur ein paar Millimeter Stahl zwischen meinem Kopf und dem Boden.
Doch nachdem es schwarz geworden war, wurde es auch wieder hell. Er hatte einen steifen Nacken, die Gummimatte auf dem Gesicht und sein linker Fuß klemmte unter dem Lenkrad fest, aber er konnte atmen, sich bewegen und schließlich auch denken.
Erik bekam seinen Fuß los, kroch auf dem Deckenbezug herum, fand schließlich den Schalter für den Fensterheber und sah ein paar Klumpen Erde ins Wageninnere rollen, als die Fenster aufgingen. Der Lehmboden lag dunkel und nass vor seinen Augen, die Morgensonne malte einen Regenbogen in eine Pfütze Öl auf einem Schrottplatz, der auf dem Kopf stand.
Erst lange nachdem er nach draußen gekrochen war, kapierte er, dass der Motor noch immer lief. Die Hinterräder drehten sich, Kühlflüssigkeit sickerte aus der Motorhaube. Schnell beugte er sich nach drinnen, tastete nach dem Schlüssel, drehte ihn in die falsche Richtung und hörte den Starter aufheulen, drehte in die entgegengesetzte Richtung, und der Motor verstummte.
Die Sonne schien ihm in den Nacken. Blut tropfte von seiner Handfläche. Erik musste sich übergeben, riss ein Stück Deckenverkleidung heraus und wischte sich damit den Mund ab. Dann packte er noch einmal zu, zerrte ein Stück Stoff aus dem Wagen, wickelte es um seine blutende Hand und spürte, wie er nüchtern wurde. Er ging ums Auto herum, fuhr mit der Hand über den rauen Unterboden und roch die Abgase.
Der Kofferraum hatte sich bei dem Sturz geöffnet. Eine schwarze Lederrolle lag auf dem Boden. Sie war schwer. Etwas Hartes lag wie Rippen unter dem Leder. Der Spannriemen trug einen eingestanzten Firmennamen: BELLEROPHON.
Ein altes Werkzeugset. Eine lange Reihe Schraubenschlüssel, jeder in einer eigenen Tasche, mit leichten Kerben, schwarz glänzend. Alter Plunder. Wertlos.
Das Cadillac-Emblem hatte sich in den Schmutz seiner rechten Hand gezeichnet. Einen Moment lang glaubte er, es leuchtete auf, bekäme Farbe. Er spuckte auf seine Handfläche, rieb sie an der Hose ab, doch der Abdruck wollte nicht ganz verschwinden.
Das Tor des Schrottplatzes stand offen. Seine Jeans war getrocknet, nur ganz unten am Saum waren die Hosenbeine noch nass, zwei schwere, schwarze Ringe, die gegen seine Knöchel schlugen, als er rannte.
Die Reue plagte ihn den ganzen Sonntag, quälte ihn auch am Montag von morgens bis abends, bis er am Dienstag schier zu platzen drohte. Grundtvig bestehlen und auch noch einen Cadillac schrotten. Es gibt sicher Probleme, wenn ich Tora dort treffe, aber die ganze Zeit mit einem schlechten Gewissen herumzulaufen, ist noch schlimmer, dachte er, spannte das Werkzeugset auf dem Gepäckträger fest, trat den Kickstarter seines Mopeds nach unten und fuhr zum Schrottplatz.
Grundtvig stand über den Motorraum eines Volvo Duett gebeugt. Er musste das Moped gehört haben, denn er richtete sich auf, als Erik die Maschine abstellte, und stand da, wie Erik ihn an jedem Tag dieses Sommers gesehen hatte: Mit den weißen Haaren unter dem Sixpence und dem braunen Overall, der am Bauch schwarz imprägniert war von all den ölverschmierten Getrieben, die er herumgetragen hatte.
Noch bevor Erik etwas wegen des Cadillacs sagen konnte, fragte Grundtvig: "Warst du in diesem Jahr schon mal in Lillehammer?"
Er hat seine Nervenmedizin noch nicht genommen, dachte Erik. Alles deutete darauf hin: das Zittern, das weiche, einfältige Altherrengesicht, das sich immer im falschen Augenblick zeigte - für Erik alles bekannte Merkmale eines verwirrten, kranken Mannes.
"Die neuen Fenster im Krankenhaus", sagte Grundtvig. "Die so schwarz glänzen. Ich kenne ihr Geheimnis. Das sind ganz besondere Sonnenbrems-Paneele. Mit einer Lizenz aus den USA produziert."
"Du meinst Solarzellen-Paneele", sagte Erik und streckte seinen Hals. Unten am Zaun standen die drei Fiats. Der Cadillac war verschwunden.
"Nee, nee, Bremspaneele", erwiderte Grundtvig. "Wegen der Beschichtung. Das Licht wird gebremst, wenn es auf einen Spiegel trifft, und kehrt wieder um. Das ist wie mit der Relativitätstheorie. Mit genug von diesen Paneelen können die Alliierten die Zeit auf der Welt verlangsamen, wenn sie alle diese Fenster auf ein Signal der Nato hin gleichzeitig schließen."
"Dieses Werkzeugset", begann Erik. "Ich habe es in einem weißen Cadillac gefunden, der hier rumstand."
"Cadillac?", sagte Grundtvig in einem Tonfall, der Antwort und Frage gleichermaßen beinhaltete. "Ich habe hier keinen Cadillac."
"Ich hab ihn doch gesehen", sagte Erik und legte die Lederrolle auf das Dach des Duetts. "Ich glaub, das war ein 52er."
"Nun, das hier ist ein Schrottplatz. Es kommt schon mal vor, dass Autos verschwinden", sagte Grundtvig. Er entrollte das Futteral, schob sich zwei Ringschlüssel auf die kleinen Finger und schlug sie gegeneinander.
"Was für ein Klang, wenn die so geschmiedet werden. Verdammt guter Werkzeugstahl. Und in Zollmaß! Mit denen kannst du alles reparieren, was sich zu reparieren lohnt - Amerikaner oder Engländer. Sieh her. Schwarz eloxiert, nicht verchromt. Sieht einfacher aus, blättert aber nie ab. Das ist das Werkzeug eines wirklichen Fachmanns. Hält ewig. Und das meine ich wörtlich."
Schließlich spürte Erik, dass seine Kraft reichen würde. "Tora?", fragte er. "Ist sie da?"
"Sie wollte nach Norden", sagte Grundtvig. "Zu ihrer Mutter."
"Für den Rest der Sommerferien?", fragte Erik.
"Für immer", antwortete Grundtvig. "Verdammt endgültig, oder? Hast du dich da geschnitten?"
"Ein Unfall mit dem Moped", log Erik und spürte, dass er nach Hause wollte, ihm war zum Heulen.
"Mach den Verband ab", sagte Grundtvig.
"Warum?"
"Mach den Verband ab. So. Ja, ganz ab. Mein Gott. Du wirst eine Narbe über deine Lebenslinie bekommen. Der Cadillac hat dir ein Geschenk gemacht."
"Ich will keine Geschenke", sagte Erik und wickelte die Bandage wieder um seine Hand.
"Das Werkzeugset des Mechanikers, der drüben im Jenseits die große Tankstelle betreibt." Grundtvigs Schweißgeruch kam näher. "Hör mir zu, Erik. Verlier das nie, um der Heiligen Jungfrau Maria willen. Dort, wo diese Sachen geschmiedet worden sind, ist es heiß, verdammt heiß. Du hast die nur geliehen, geliehen für die Reparatur deines Lebens."
Erik schrak zurück. "Nimm es. Ich will es nicht."
"Alte Autos vergehen nie", sagte Grundtvig. "Sie verblassen, das schon, mehr und mehr, mit jedem Jahr, das vergeht. Aber denk an das Wasser. Wie dreckig es auch ist, der Dampf ist sauber. Rost wartet nur auf die Flamme eines Schweißgerätes. Der Stahl auf den Stahl des Werkzeugs. Nur, wenn ein Auto in die Presse kommt und eingeschmolzen wird, dann ist es vorbei. Aber auch ein Sargnagel vergisst nie, dass er mal ein Cadillac war."
Grundtvig gab ihm die Lederrolle. Sie fühlte sich doppelt so schwer an wie zuvor.
"Du verstehst", sagte Grundtvig, "der weiße Cadillac fährt die Toten über den Pass ins Jenseits."
"Hör mal, Werner, ich wollte nicht ..."
"Das ist genau wie bei den Samen. Sie sehen vor ihrem Tod ein weißes Rentier."
"Bist du da gewesen?", fragte Erik. "Ich meine, auf der anderen Seite?"
"Ich? Nein, ich bin doch hier. Aber es kommt vor, dass ich da hinübersehen kann, wenn ich ein Auto in die Presse sinken lasse und ins Jenseits schicke. Es ist eine lange, schwarze Landstraße mit Schneezeichen an den Seiten, und weit hinten kann man das Licht einer Tankstelle sehen."
Grundtvig beugte sich wieder über den Motor. "Manchmal fühlt man sich schon einsam, wenn man einen Schrottplatz betreibt", sagte er. "Hier zu stehen und das Tor zu bewachen. Aber ich bin mir sicher, dass die Autos es gut haben, wenn sie in die Presse kommen. Denn auf der anderen Seite kümmert sich der große Mechaniker um sie."
"Gott?", fragte Erik.
"Nein, der hat selbst genug zu tun. Der große Mechaniker repariert die Autos. Aber sie reden miteinander, wenn es nötig ist."
"Es gibt also Autos im Jenseits?"
"Aber sicher. Sonst könnte man das doch nicht Paradies nennen!"
... weniger
Autoren-Porträt von Lars Mytting
Lars Mytting, geboren 1968, war jahrelang als Journalist tätig, arbeitet heute als Verlagslektor und ist autodidaktischer Jaguar-Mechaniker. Er lebt mit seiner Frau, seinen Zwillingstöchtern und drei Autos in einem Vorort von Oslo.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lars Mytting
- 2007, 279 Seiten, Maße: 13,6 x 21,3 cm, Leinen, Deutsch
- Aus d. Norweg. v. Günther Frauenlob
- Übersetzer: Günther Frauenlob
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492050344
- ISBN-13: 9783492050340
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