Gefährliche Mission
Auf den ersten Blick ist der 50-jährige Kriminalhauptkommissar Richard Böttcher ein Beamter, der seinen Dienst nach Vorschrift verrichtet und jede freie Minute mit seinen Kindern verbringt. Tatsächlich aber ist er der erfolgreichste Terroristenfahnder Deutschlands, vielleicht sogar Europas. Ein Mann für heikle Missionen. Auf Kommando schlüpft er in eine andere Identität, die ihm über die Jahre zur zweiten Haut geworden ist. Seine Legende ist lückenlos, seine Undercover-Operationen sind gefährlich und abenteuerlich.Dem Buchautor und Journalisten Oliver Schröm hat Böttcher exklusiv seine Geschichte erzählt, ihm Einblick gewährt in die geheime Welt der Fahnder, Agenten und des internationalen Terrorismus.
Noch nie zuvor ist es jemandem gelungen, so nah an den Terror-Fahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) zu kommen. Dem preisgekrönten Journalisten Oliver Schröm, offenbart der Mann für gefährliche Missionen Hintergründe und Abläufe bislang streng geheim gehaltener Anti-Terror-Operationen. Ein Paradestück des investigativen Journalismus.
GefährlicheMission von Oliver Schröm
LESEPROBE
Nikosia, Zypern, 7. Dezember 1989
Als er das kalte Metall an seiner Schläfe spürt, weißRichard Böttcher, dass es ein Fehler war, so einfach in das Haus zu gehen. Erhätte damit rechnen müssen, dass hinter der Tür ein Leibwächter postiert ist.Aber jetzt ist es zu spät. Böttcher fühlt, wie sein Puls schneller geht. Erwagt nicht, sich zu bewegen.
Es dauert einige Sekunden, bis sich seine Augen an das Lichtin dem dunklen Flur gewöhnen. Als sich sein Blick klärt, erkennt er aus denAugenwinkeln, was ihn bedroht. Adrenalin schießt ihm ins Blut. Aus derDunkelheit ragt der Gewehrlauf eines Sturmgewehrs sowjetischer Bauart, einerKalaschnikow. Sein Herz rast.
Böttcher nimmt die Person nicht wahr, die ihm die Mündungdes Gewehrs ins Fleisch bohrt. Er schielt nur auf die Hand. Der Zeigefingerliegt am Abzug der Kalaschnikow. Böttcher wagt es immer noch nicht, sich zurühren. Die Sekunden scheinen sich bis zur Unendlichkeit auszudehnen. Er fühltnichts außer seinem Herzschlag. Der Finger am Abzug krümmt sich mehr und mehr.
Plötzlich hört er Schritte. Böttcher löst seinen Blick,dreht seinen Kopf leicht zur Seite und schaut seinem Gegenüber ins Gesicht.Wie durch ein Vergrößerungsglas erkennt er jede Pore in dem scharfgeschnittenen Antlitz eines jungen Arabers, der ihn mit aufgerissenen Augenanstarrt. Böttcher kämpft gegen die Panik an, der Bursche könnte die Nervenverlieren.
Die Schritte kommen näher. Die Augen seines Gegenübers huschenhin und her. Abwechselnd schaut der junge Araber zu Böttcher, dann wieder inRichtung der Schritte, die nun verstummen. Vorsichtig dreht auch Böttcherseinen Kopf. Nur wenige Meter von ihm entfernt steht ein Mann. Böttcher mustertihn mit geübtem Blick. Der Mann trägt Anzugshose und Hemd. Er sieht aus, alswollte er gerade das Haus verlassen und sich nur noch schnell ein Jackettüberziehen. Der Mann hebt seine rechte Hand. Eine Geste, die dem Araberbefiehlt, nicht gleich zu schießen, wie Böttcher erleichtert registriert.Böttcher kennt den Mann, der ihm drei Meter entfernt gegenübersteht. Er ist einberüchtigter, palästinensischer Terrorist. Sein Name: Abu Walid al Iraki.Seinetwegen ist er hier.
Böttcher ist verblüfft. Abu Walid hat sich kaum verändert,seit sie sich das letzte Mal gesehen haben. Noch immer hängt ihm eine Locketief in die Stirn seines markanten Gesichts, und das Menjou-Bärtchen siehtimmer noch aus wie angeklebt. Lediglich die grau melierten Kopf- und Barthaareverraten, dass seit ihrem letzten Zusammentreffen zehn Jahre vergangen sind.
Die Augen von Abu Walid fixieren Böttcher. Er sagt keinWort. Böttcher hält dem Blick stand. Aber das Schweigen zerrt an seinenNerven. Er sieht Abu Walid an, dass er sich zu erinnern versucht, woher siesich kennen. Böttcher kämpft gegen den Gedanken an, dass Abu Walid falscheSchlüsse ziehen könnte. Wenn Abu Walid seine Hand herunternimmt, wäre dies seinTodesurteil.
Böttcher weiß nur zu gut, dass Abu Walid es gewohnt ist, Todesurteilezu fällen. Nach unbestätigten Geheimdienstberichten saß Abu Walid mit amTisch, als eine Runde palästinensischer Terroristen im Sommer vergangenenJahres im libyschen Tripolis beschloss, einen tödlichen Irrtum zu rächen. DerUS-Kreuzer »Vincennes« hatte kurz zuvor, im Juli 1988, versehentlich eineniranischen Airbus über dem Persischen Golf abgeschossen. Bei einemVergeltungsanschlag sollten nun möglichst viele US-Amerikaner ums Lebenkommen.
Einen Monat nach dem Treffen explodierte über dem schottischenLockerbie eine Passagiermaschine der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm. DieBoeing stürzte mitten in das schottische Städtchen und hinterließ eine tiefeSchneise der Verwüstung. 270 Menschen starben. Wer wirklich hinter diesem Anschlagsteckte, ist unklar. Neben dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi werdenauch iranische Mullahs als mögliche Auftraggeber genannt. Angeblich haben sieden Attentätern zehn Millionen Dollar Belohnung versprochen.
Mittlerweile beschäftigt der Terroranschlag auch deutsche Ermittlungsbehörden.Der Koffer mit der Bombe wurde vermutlich am Frankfurter Flughafen aufgegeben.Jedenfalls startete PanAm-Flug 103 immer in Frankfurt und flog dann über Londonnach New York. Aber Böttcher ist nicht hierher gekommen, um sich mit Abu Walidüber den Anschlag von Lockerbie zu unterhalten.
Im Augenblick hat Böttcher den Eindruck, dass sich Abu Walidmit ihm nicht einmal über das Wetter unterhalten würde. Wortlos starrt ihn derPalästinenser an. Böttcher kennt den Blick von früher. Unter den tief hängendeLidern verengen sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Ganz offensichtlichdurchforstet er noch immer sein Gedächtnis, in welchem Zusammenhang sie sichschon einmal begegnet sind. Fieberhaft überlegt Böttcher, wie er die Situationentspannen kann. Er muss Abu Walid irgendwie auf die Sprünge helfen.
»Erinnerst du dich?«, sagt er mit gespielter Herzlichkeit, alswürde er einen verloren geglaubten Freund wiedersehen.
Keine Reaktion.
Böttcher holt tief Luft. Sein Herz rast weiter. Misstrauischstarrt ihn Abu Walid an. Die Spannung im Raum steigert sich ins Unermessliche.Der Lauf der Kalaschnikow drückt ihm noch immer ins Fleisch. Nun kommt esdarauf an. Wenn Abu Walid nicht sofort reagiert, ist es vorbei, denkt Böttcher.In diesem Moment heben sich die Mundwinkel von Abu Walid zu einem kaummerklichen Lächeln.
Böttcher atmet auf.
Abu Walid sagt etwas auf Arabisch. Der Leibwächter lässt dieKalaschnikow sinken, ohne jedoch den Finger vom Abzug zu nehmen.
»Was willst du?«, wendet sich Abu Walid auf Englisch an Böttcher.Sein Gesicht hat nun einen leicht amüsierten Ausdruck.
Böttcher zögert einen Moment, bevor er antwortet. »Reden«, sagter und sieht ihn direkt an.
Mit einem Kopfnicken gibt ihm Abu Walid zu verstehen, dass erhören will, was Böttcher mitzuteilen hat.
Böttcher hat einen ganz trockenen Mund. Schweißperlen rinnenihm den Rücken hinunter. Er schluckt, bevor er zu seiner eigenen Überraschungmit fester Stimme sagt: »Da draußen im Auto sitzt ein Freund von mir, der sichgerne mit dir einmal unterhalten will.«
Ein kurzes Schweigen tritt ein. »Worüber?«, entgegnet Abu Walid,ohne den Blick von Böttcher abzuwenden.
Böttcher ist nun etwas ruhiger. Sein Puls verlangsamt sichallmählich. Als er antwortet, spricht Böttcher ruhig und nachdrücklich. »Ichnehme mal an, es geht darum, einen inoffiziellen Kontakt zur PLO-Führung aufzubauen,sozusagen einen direkten Draht zu Arafat. Und da sie wissen, dass wir beideuns kennen, baten sie mich, den Kontakt herzustellen.«
Abu Walid lässt sich einen Moment Zeit, als würde er das Fürund Wider abwägen. Böttcher weiß, dass dieses Zögern nur Theater ist. Einsolches Angebot kann Abu Walid nicht eigenmächtig ausschlagen. Zumindest musser Rücksprache halten. Vielleicht sogar mit PLO-Führer Jassir Arafatpersönlich.
»Okay«, sagt Abu Walid. »Wir melden uns.« Böttcher nickt. Vorerstgibt es nichts mehr zu bereden.
Der Leibwächter weicht keinen Millimeter zurück, als Böttcheran ihm vorbei zum Ausgang geht. Beim Hinausgehen spürt Böttcher diefeindseligen Blicke des Leibwächters, der den rechten Zeigefinger noch immernicht vom Abzug gelöst hat. Sein Puls nimmt wieder Fahrt auf.
(...)
© S. Fischer Verlag GmbH
- Autor: Oliver Schröm
- 2005, 1, 319 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502150168
- ISBN-13: 9783502150169
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