Globale Epidemien - Lokale Antworten
Eine Ethnographie der Heilpflanze Artemisia annua in Tansania
Malaria ist eine der weltweit häufigsten Erkrankungen - jährlich sterben über zwei Millionen Menschen an dieser Epidemie. Vor dem Hintergrund globaler Machtkonstellationen untersucht Caroline Meier zu Biesen die Einführung der chinesischen Heilpflanze...
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Malaria ist eine der weltweit häufigsten Erkrankungen - jährlich sterben über zwei Millionen Menschen an dieser Epidemie. Vor dem Hintergrund globaler Machtkonstellationen untersucht Caroline Meier zu Biesen die Einführung der chinesischen Heilpflanze Artemisia annua in Tansania, die als vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Malariatherapien angesehen wird. Im Fokus der Untersuchung steht die Wandlung von der Heilpflanze in ein Arzneimittel, dessen Produktion und Distribution den Gesetzen des Weltmarkts unterliegt. Dabei zeigt sich, wie globale Marktmechanismen und Machthegemonien das Potenzial von Artemisia annua für die Betroffenen schwächen und bestehende Abhängigkeiten vom staatlichen Gesundheitswesen vertiefen können.
Klappentext zu „Globale Epidemien - Lokale Antworten “
Malaria ist eine der weltweit häufigsten Erkrankungen - jährlich sterben über zwei Millionen Menschen an dieser Epidemie. Vor dem Hintergrund globaler Machtkonstellationen untersucht Caroline Meier zu Biesen die Einführung der chinesischen Heilpflanze Artemisia annua in Tansania, die als vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Malariatherapien angesehen wird. Im Fokus der Untersuchung steht die Wandlung von der Heilpflanze in ein Arzneimittel, dessen Produktion und Distribution den Gesetzen des Weltmarkts unterliegt. Dabei zeigt sich, wie globale Marktmechanismen und Machthegemonien das Potenzial von Artemisia annua für die Betroffenen schwächen und bestehende Abhängigkeiten vom staatlichen Gesundheitswesen vertiefen können.
Lese-Probe zu „Globale Epidemien - Lokale Antworten “
1. Einleitung: Die Medizinalpflanze Artemisia annua als Objekt lokal-globaler PraxisArtemisia (Artemisia annua) is a seemingly simple, though versatile, medicinal plant suddenly at the heart of international attention. It was long a traditional remedy for a variety of ills. But by virtue of the ex-traordinary qualities of a purified extract, Artemisinin, it is now a key player in global efforts to help control malaria, particularly in Africa where it is a particular scourge. In doing so, it is following in the leg-endary footsteps of quinine, also a plant derivate [...], and has become at least for the present - one of the most important medicinal plants in the world. (Dalrymple 2008: 57)
Am 27.8.2009 erscheint in der überregionalen deutschen Wochenzeitung Die Zeit ein Artikel mit dem Titel "Kräuter-Export: Wie deutsche Natur-heilkundler den Kampf gegen Malaria behindern." In diesem Artikel wird über die Entwicklung neuer - auf Substanzen der chinesischen Pflanze Artemisia annua basierender - Antimalaria-Medikamente berichtet, welche als Hoffnungsträger im weltweiten Kampf gegen Malaria gehandelt wer-den. Das Potenzial dieses Hoffnungsträgers werde dem Autor des Artikels, Harro Albrecht, zufolge nun aber durch die Aktivitäten naturheilkundlich orientierter Organisationen gewissermaßen untergraben. Indem diese eine falsche Form der Applikation propagierten - namentlich die "traditionelle" Form des Konsums von Artemisia als Tee - würden sie (mittel- und) langfristig der Entwicklung von Resistenzen gegen den Hauptwirkstoffbestandteil der Pflanze (genannt "Artemisinin") Vorschub leisten. Auch bereits vereinzelt aufgetretene Arzneimittel-Resistenzen seien somit vermeidbare Folgen eines falschen Gebrauchs von Artemisia annua, der auf verantwortungslose Weise von besagten Aktivisten weltweit etabliert und befördert worden ist. Würden Patienten - wie auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen - ausschließlich mit dem aus Artemisia gewonnenen sekundären
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Pflanzenstoff Artemisinin in Form eines fixen Kombinationspräparats (Artemisinin-based Combination-Therapy, ACT) behandelt, könnten Resistenzbildungen vermieden und auch zukünftig weitestgehend ausgeschlossen werden. Artemisia wäre in dieser Form die nachhaltige und von der Weltgemeinschaft ersehnte "Wunderwaffe" (magic bullet , silver bullet drug) gegen Malaria.
Mit dieser Sichtweise vertritt der Verfasser des Artikels die etablierte Annahme, dass ein weltweiter Durchbruch in der Bekämpfung von Malaria - neben prophylaktischen Maßnahmen wie Insektizid-behandelten Moskitonetzen, Ausrottungskampagnen mit Pestiziden, Impfungen oder Vektorkontrollen - einzig durch den kontrollierten Einsatz von synthetisierten Artemisinin-Wirkstoffen erreicht werden kann. Diese Richtlinien nicht zu befolgen, bedeutet dem Autor zufolge, den Kampf gegen Malaria zu behindern. Die Kritik an der (inkorrekten) Handhabung des "Wundermittels Artemisia" richtet sich vornehmlich an die Aktivitäten der international agierenden Nichtregierungsorganisation (NGO) "Aktion Natürliche Medizin" (= anamed). Im Artikel als "Zentrum der Subversion" bezeichnet, wird diese Organisation bezichtigt, von der globalen Gemeinschaft initiierte Kampagnen zur Malaria-Behandlung zu sabotieren. Explizit - und als "Menschenexperiment" verurteilt - wird der Ansatz von anamed kritisiert, an Malaria erkrankte Patienten mit einem aus der Artemisia-Pflanze gewonnenen Tee therapeutisch zu behandeln. Diese in der Tradition chinesischer Heilkunde verankerte Handhabung der Pflanze legitimiert sich als "natürlich", "authentisch" bzw. "ursprünglich" gegenüber der als "westlich" und "modern" konzeptualisierten Biomedizin und ihrem Ansatz, das chinesische Remedium in synthetischer Form einzusetzen. Die internationale Hilfsorganisation sieht den Artemisia-Tee als eine kostengünstige und alter-native Behandlungsform für die lokale Bevölkerung der Länder an, die am stärksten von Malaria betroffen sind, und die über keinen ausreichenden Zugang zu effektiven Antimalaria-Medikamenten verfügen.
Ein anderer Artikel, überschrieben mit der bildkräftigen Schlagzeile "Ein Malaria-Tee lässt Emotionen hochkochen", erscheint im Oktober 2010 in der Zeitschrift Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft. Der Ver-fasser des Beitrags, Marcus Mockler, betont (zwar), man wolle keinesfalls zu einem "Kreuzzug" gegen alternative Behandlungsmethoden aufrufen, doch müsse die Besorgnis zum Ausdruck gebracht werden, dass die Fach-welt eine Tee-Therapie mit Artemisia für wenig wirksam, im Grunde sogar für gefährlich halte. Mockler spekuliert, dass "auch ohne" Artemisia-Tee der Kampf gegen Malaria in den vergangenen fünf Jahren Fortschritte gemacht hätte. Jedenfalls lägen über die Wirksamkeit des Tees keine seriösen Studien vor, sodass dem Autor diese Schlussfolgerung angemessen scheint. Eine verbreitete Einschätzung (beispielsweise unter Tropenmedizinern) referierend, weist Mockler darauf hin, dass die Schwierigkeit einer genauen Dosierung des Wirkstoffs Artemisinin bei der Tee-Applikation dazu führe, dass Krankheitserreger im Laufe einer solchen Therapie nicht vollständig abgetötet würden. Die hier geäußerte Kritik an der Applikation des Artemisia-Tees kulminiert in dem Verweis, dass langfristig dadurch die Resistenzentwicklung befördert und folglich nicht nur der Tee, sondern auch die Artemisinin-basierten Kombinationspräparate wirkungslos würde(n).
Auffällig - und insbesondere für den Zeit-Artikel zutreffend - ist, dass neben der ausführlichen Kritik an der Organisation anamed und ihrer na-turheilkundlichen Praxis offensichtlich kein Raum war, die Proliferation der aus Artemisia gewonnenen Pharmaka in ähnlich investigativer Weise zu untersuchen und kritisch zu hinterfragen. Dieses Ungleichgewicht in der Darstellung und Argumentation wurde von zahlreichen Lesern bemerkt und in kritischen Leserbriefen zum Ausdruck gebracht. So wurde etwa das Bemühen der Gruppe anamed, sich den (ausschließlich) profitorientierten Praktiken der pharmazeutischen Industrie bei der Entwicklung von Antimalaria-Medikamenten zu entziehen, eingehend gewürdigt. Tenor der indignierten Schreiben ist, dass einseitige Profitinteressen im Zusammenhang mit der Entwicklung und Vermarktung von Medikamenten häufig - und möglicherweise auch im Fall von Artemisia annua - einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leisten würden, den Kampf gegen Malaria zu behindern. Mit Verweis auf (durchaus) existierende - das heißt pharmakologisch und pharmakokinetisch basierte - Studien, die eine Wirksamkeit des Tees "be-legen", sowie Hinweise auf Erfahrungsberichte von Patienten in betroffe-nen Regionen, die eine Malaria-Infektion mit dem Tee erfolgreich behan-delt haben, legen die Leserbriefe nahe, dass die Recherchen zu dem Artikel fundierter hätten ausfallen müssen. Wie in diesen stark verkürzt wiedergegebenen Debatten aufgezeigt, wird über die Formen der Anwendung der Heilpflanze Artemisia annua (als Tee oder Pharmakon) sehr kontrovers diskutiert. Die hier angeführten Artikel greifen beispielhaft Konfliktfelder auf, die in diesem Buch untersucht worden sind.
Heilpflanzen im 21. Jahrhundert: Artemisia annua im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit
In zahlreichen Publikationen wird vor allem in jüngster Zeit mit Schlag-worten wie "ein Kraut wirkt Wunder" oder "gegen Malaria ist ein Kraut gewachsen" auf die chinesische Heilpflanze Artemisia annua L. hingewiesen (vgl. Schwarz 2000; Bökemeier 2006). Hinter der populären Ingredienz für aktuelle Malaria-Behandlungen verbirgt sich die auch als Einjähriger Beifuß, Sweet wormwood, Sweet sagewort oder Annual wormwood bekannte Pflanzenart der Gattung Artemisia aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Das seit über 2.000 Jahren genutzte Heilungspotenzial von Artemisia annua ist im Kontext der traditionellen chinesischen Pharmakopöe dokumentiert worden. In China als blau-grünes, duftendes Kraut (Chinesisch: qing hao) bekannt, wurde die Pflanze (unter anderem) gegen fieberartige Erkrankungen und Malaria eingesetzt (Guo Qiao u.a. 1994; Valecha/Tripathi 1997; Hsu 2010b). Die aus der chinesischen materia medica hervorgegangenen Erkenntnisse haben inzwischen auch in zahlreichen anderen Ländern Eingang in die gesundheitliche Versorgung gefunden. Die (Wieder-)Entdeckung der Beifuß-Pflanze aus den Bergen Südchinas wird - ähnlich wie die des Penizillins - als epochal bezeichnet (vgl. Mazier u.a. 2004: 271; Bökemeier 2006).
Historisch belegbare Hinweise zur Artemisia-Pflanze sind zum einen für alternative Behandlungsformen von großer Bedeutung: Dokumentationen aus der chinesischen Pharmakopöe haben einen entscheidenden Einfluss auf Gesundheitsmaßnahmen genommen, die Artemisia als Antimalaria-Behandlung in Tee-Form propagieren (vgl. Ogwang u.a. 2012). Zum anderen ist das überlieferte - und historischen Quellen zuzuordnende - Wissen über die Pflanze systematisch analysiert worden. Dies stellte wiederum die Voraussetzung für die Identifizierung des bedeutsamen Pflanzeninhaltsstoffs Artemisinin im Jahr 1972, die Ableitung von partialsynthetischen Derivaten, ihren Einsatz als globale Handelsware (commodity) und eine pharmakologische Weiterverarbeitung zum Antimalaria-Medikament dar (vgl. Willcox u.a. 2004a; Ploypradith 2004; Hsu 2006a). Die Isolierung der Artemisinin-Derivate und die Entwicklung semisynthetischer Medikamente (als Monotherapien) haben weltweit die Therapiemöglichkeiten für Malaria erweitert (vgl. Bosman/Mendis 2007). Der Herausforderung folgend, die Wirksamkeit dieser magic bullet nicht zu gefährden (vgl. Spelman 2009: 45; Maude u.a. 2010: 12), werden die aus Artemisia-Substanzgruppen bestehenden Präparate mit einem weiteren chemischen Grundstoff kombiniert und als Artemisinin-basierte Kombinationstherapie vertrieben (White 2004; Arrow u.a. 2004; Namdeo u.a. 2006). Das durch den Schweizer Pharma-konzern Novartis produzierte Kombinationspräparat Coartem® ist das prominenteste dieser Mittel. Es wurde infolge einer Validierung durch die WHO als die weltweit effizienteste Malaria-Therapie deklariert (Luyken 2011: 39; Dalrymple 2008: 13; 2012).
Mit dieser Sichtweise vertritt der Verfasser des Artikels die etablierte Annahme, dass ein weltweiter Durchbruch in der Bekämpfung von Malaria - neben prophylaktischen Maßnahmen wie Insektizid-behandelten Moskitonetzen, Ausrottungskampagnen mit Pestiziden, Impfungen oder Vektorkontrollen - einzig durch den kontrollierten Einsatz von synthetisierten Artemisinin-Wirkstoffen erreicht werden kann. Diese Richtlinien nicht zu befolgen, bedeutet dem Autor zufolge, den Kampf gegen Malaria zu behindern. Die Kritik an der (inkorrekten) Handhabung des "Wundermittels Artemisia" richtet sich vornehmlich an die Aktivitäten der international agierenden Nichtregierungsorganisation (NGO) "Aktion Natürliche Medizin" (= anamed). Im Artikel als "Zentrum der Subversion" bezeichnet, wird diese Organisation bezichtigt, von der globalen Gemeinschaft initiierte Kampagnen zur Malaria-Behandlung zu sabotieren. Explizit - und als "Menschenexperiment" verurteilt - wird der Ansatz von anamed kritisiert, an Malaria erkrankte Patienten mit einem aus der Artemisia-Pflanze gewonnenen Tee therapeutisch zu behandeln. Diese in der Tradition chinesischer Heilkunde verankerte Handhabung der Pflanze legitimiert sich als "natürlich", "authentisch" bzw. "ursprünglich" gegenüber der als "westlich" und "modern" konzeptualisierten Biomedizin und ihrem Ansatz, das chinesische Remedium in synthetischer Form einzusetzen. Die internationale Hilfsorganisation sieht den Artemisia-Tee als eine kostengünstige und alter-native Behandlungsform für die lokale Bevölkerung der Länder an, die am stärksten von Malaria betroffen sind, und die über keinen ausreichenden Zugang zu effektiven Antimalaria-Medikamenten verfügen.
Ein anderer Artikel, überschrieben mit der bildkräftigen Schlagzeile "Ein Malaria-Tee lässt Emotionen hochkochen", erscheint im Oktober 2010 in der Zeitschrift Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft. Der Ver-fasser des Beitrags, Marcus Mockler, betont (zwar), man wolle keinesfalls zu einem "Kreuzzug" gegen alternative Behandlungsmethoden aufrufen, doch müsse die Besorgnis zum Ausdruck gebracht werden, dass die Fach-welt eine Tee-Therapie mit Artemisia für wenig wirksam, im Grunde sogar für gefährlich halte. Mockler spekuliert, dass "auch ohne" Artemisia-Tee der Kampf gegen Malaria in den vergangenen fünf Jahren Fortschritte gemacht hätte. Jedenfalls lägen über die Wirksamkeit des Tees keine seriösen Studien vor, sodass dem Autor diese Schlussfolgerung angemessen scheint. Eine verbreitete Einschätzung (beispielsweise unter Tropenmedizinern) referierend, weist Mockler darauf hin, dass die Schwierigkeit einer genauen Dosierung des Wirkstoffs Artemisinin bei der Tee-Applikation dazu führe, dass Krankheitserreger im Laufe einer solchen Therapie nicht vollständig abgetötet würden. Die hier geäußerte Kritik an der Applikation des Artemisia-Tees kulminiert in dem Verweis, dass langfristig dadurch die Resistenzentwicklung befördert und folglich nicht nur der Tee, sondern auch die Artemisinin-basierten Kombinationspräparate wirkungslos würde(n).
Auffällig - und insbesondere für den Zeit-Artikel zutreffend - ist, dass neben der ausführlichen Kritik an der Organisation anamed und ihrer na-turheilkundlichen Praxis offensichtlich kein Raum war, die Proliferation der aus Artemisia gewonnenen Pharmaka in ähnlich investigativer Weise zu untersuchen und kritisch zu hinterfragen. Dieses Ungleichgewicht in der Darstellung und Argumentation wurde von zahlreichen Lesern bemerkt und in kritischen Leserbriefen zum Ausdruck gebracht. So wurde etwa das Bemühen der Gruppe anamed, sich den (ausschließlich) profitorientierten Praktiken der pharmazeutischen Industrie bei der Entwicklung von Antimalaria-Medikamenten zu entziehen, eingehend gewürdigt. Tenor der indignierten Schreiben ist, dass einseitige Profitinteressen im Zusammenhang mit der Entwicklung und Vermarktung von Medikamenten häufig - und möglicherweise auch im Fall von Artemisia annua - einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leisten würden, den Kampf gegen Malaria zu behindern. Mit Verweis auf (durchaus) existierende - das heißt pharmakologisch und pharmakokinetisch basierte - Studien, die eine Wirksamkeit des Tees "be-legen", sowie Hinweise auf Erfahrungsberichte von Patienten in betroffe-nen Regionen, die eine Malaria-Infektion mit dem Tee erfolgreich behan-delt haben, legen die Leserbriefe nahe, dass die Recherchen zu dem Artikel fundierter hätten ausfallen müssen. Wie in diesen stark verkürzt wiedergegebenen Debatten aufgezeigt, wird über die Formen der Anwendung der Heilpflanze Artemisia annua (als Tee oder Pharmakon) sehr kontrovers diskutiert. Die hier angeführten Artikel greifen beispielhaft Konfliktfelder auf, die in diesem Buch untersucht worden sind.
Heilpflanzen im 21. Jahrhundert: Artemisia annua im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit
In zahlreichen Publikationen wird vor allem in jüngster Zeit mit Schlag-worten wie "ein Kraut wirkt Wunder" oder "gegen Malaria ist ein Kraut gewachsen" auf die chinesische Heilpflanze Artemisia annua L. hingewiesen (vgl. Schwarz 2000; Bökemeier 2006). Hinter der populären Ingredienz für aktuelle Malaria-Behandlungen verbirgt sich die auch als Einjähriger Beifuß, Sweet wormwood, Sweet sagewort oder Annual wormwood bekannte Pflanzenart der Gattung Artemisia aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Das seit über 2.000 Jahren genutzte Heilungspotenzial von Artemisia annua ist im Kontext der traditionellen chinesischen Pharmakopöe dokumentiert worden. In China als blau-grünes, duftendes Kraut (Chinesisch: qing hao) bekannt, wurde die Pflanze (unter anderem) gegen fieberartige Erkrankungen und Malaria eingesetzt (Guo Qiao u.a. 1994; Valecha/Tripathi 1997; Hsu 2010b). Die aus der chinesischen materia medica hervorgegangenen Erkenntnisse haben inzwischen auch in zahlreichen anderen Ländern Eingang in die gesundheitliche Versorgung gefunden. Die (Wieder-)Entdeckung der Beifuß-Pflanze aus den Bergen Südchinas wird - ähnlich wie die des Penizillins - als epochal bezeichnet (vgl. Mazier u.a. 2004: 271; Bökemeier 2006).
Historisch belegbare Hinweise zur Artemisia-Pflanze sind zum einen für alternative Behandlungsformen von großer Bedeutung: Dokumentationen aus der chinesischen Pharmakopöe haben einen entscheidenden Einfluss auf Gesundheitsmaßnahmen genommen, die Artemisia als Antimalaria-Behandlung in Tee-Form propagieren (vgl. Ogwang u.a. 2012). Zum anderen ist das überlieferte - und historischen Quellen zuzuordnende - Wissen über die Pflanze systematisch analysiert worden. Dies stellte wiederum die Voraussetzung für die Identifizierung des bedeutsamen Pflanzeninhaltsstoffs Artemisinin im Jahr 1972, die Ableitung von partialsynthetischen Derivaten, ihren Einsatz als globale Handelsware (commodity) und eine pharmakologische Weiterverarbeitung zum Antimalaria-Medikament dar (vgl. Willcox u.a. 2004a; Ploypradith 2004; Hsu 2006a). Die Isolierung der Artemisinin-Derivate und die Entwicklung semisynthetischer Medikamente (als Monotherapien) haben weltweit die Therapiemöglichkeiten für Malaria erweitert (vgl. Bosman/Mendis 2007). Der Herausforderung folgend, die Wirksamkeit dieser magic bullet nicht zu gefährden (vgl. Spelman 2009: 45; Maude u.a. 2010: 12), werden die aus Artemisia-Substanzgruppen bestehenden Präparate mit einem weiteren chemischen Grundstoff kombiniert und als Artemisinin-basierte Kombinationstherapie vertrieben (White 2004; Arrow u.a. 2004; Namdeo u.a. 2006). Das durch den Schweizer Pharma-konzern Novartis produzierte Kombinationspräparat Coartem® ist das prominenteste dieser Mittel. Es wurde infolge einer Validierung durch die WHO als die weltweit effizienteste Malaria-Therapie deklariert (Luyken 2011: 39; Dalrymple 2008: 13; 2012).
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Inhaltsverzeichnis zu „Globale Epidemien - Lokale Antworten “
Inhalt1 Einleitung: Die Medizinalpflanze Artemisia annua als Objekt lokal-globaler Praxis 9Heilpflanzen im 21. Jahrhundert: Artemisia annua im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit 12Medizin und Gesundheit global: Die Fragestellung 20Aufbau des Buches 322 To follow a thing: Methodologische Implikationen der Untersuchung einer Heilpflanze 36Theoretische Überlegungen zur multilokalen Forschungspraxis 37Der Feldforschungsprozess: Durchführung einer Multi-Sited Ethnography 44Ethische Aspekte und Selbstreflexion 623 Ein Antimalaria-Mittel im Eigenanbau: Lokale Innovationsprozesse 72Die Einführung von Artemisia annua durch die Organisation anamed 72Fragen der Klassifikation: Artemisia annua - natürliche oder traditionelle Medizin? 89Annahmen zum Wirkungspotenzial: heilt Artemisia annua? 99Mikroökonomische Aspekte von Artemisia annua - ein Wirkstoff zum Selbstkostenpreis? 106Verbreitung und Austausch von Wissen über Artemisia annua 111 4 Malaria: Therapien auf der Basis lokal produzierbarer Pflanzen 147Indigene Konzepte, Klassifikationen, Behandlungsmethoden und ihre Relevanz für die Malaria-Therapie 154Formen und Prozesse einer Aneignung von Artemisia annua durch traditionelle Heiler 157Zwischen Tradition, globalem Markt und (verordneter) Modernisierung: Veränderungs- und Persistenzprozesse in der traditionellen Heilkunde Tansanias 169Die indigene Antimalaria-Pflanze Artemisia afra 181 5 HIV/AIDS: Selbstmedikation als Selbstermächtigung202Die Selbsthilfegruppe Kaza Roho 214"Leben mit Hoffnung": Mitgliedschaft bei Kaza Roho 220Selbstbestimmung und innovative Gesundheitspraxis am Beispiel der Selbstmedikation mit Artemisia annua 231Zum Verhältnis von antiretroviralen Medikamenten und Artemisia annua 2406 Von der Pflanze zum Pharmakon: Artemisia annua im Spannungsfeld von lokaler Aneignung und globaler Kommerzialisierung 270Der pharmazeutische Nexus: Ethnologische Perspektiven zur Erforschung von Medikamenten 270(Wieder-)Entdeckung einer chinesischen Fieberheilpflanze: Die
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Validierung von Artemisia annua und Artemisinin 278Warenzirkulation: Artemisinin-basierte Pharmaka in Tansania 288Produktion für den globalen Markt: Artemisia annua als Rohstoff im lokalen Anbau 306Pillen oder Tee? Wirksamkeitsdiskurse Artemisinin-basierter Therapien 323Tunaogopa dawa hii - "Wir haben Angst vor dieser Medizin": Patienten und die Willkür internationaler Validierungspraxis 332Kulturspezifische Effizienzannahmen zu Antimalaria-Medikamenten 3487 Schluss: Globale Wirksamkeitsvorstellungen und lokale Handlungsstrategien 361Epidemien, Macht und Heilwissen 363Ausblick: Alternative Behandlungsformen und ihr Potenzial für die internationale Gesundheitspolitik 370Abkürzungsverzeichnis 373Literatur 375Dank 431
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Autoren-Porträt von Caroline Meier zu Biesen
Caroline Meier zu Biesen, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie an der FU Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Caroline Meier zu Biesen
- 2013, 433 Seiten, 14 Abbildungen, Maße: 14,1 x 21,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593399628
- ISBN-13: 9783593399621
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