Gute-Nacht-Geschichten für Frauen, die nicht einschlafen wollen
Vierzehn ErfolgsautorInnen erzählen von Männern und Frauen, von ihren Sehnsüchten, Abenteuern und Liebschaften. Große Namen wie Gaby Hauptmann, Sybille Schrödter, Karen-Susan Fessel und Antonio Skármeta garantieren höchst vergnügliche Lesestunden, nicht nur kurz vor dem Einschlafen!
Vierzehn ErfolgsautorInnen erzählen von Männern und Frauen, von ihren Sehnsüchten, Abenteuern und Liebschaften. Große Namen wie Gaby Hauptmann, Sybille Schrödter, Karen-Susan Fessel und Antonio Skármeta garantieren höchst vergnügliche Lesestunden, nicht nur kurz vor dem Einschlafen!
Gute-Nacht-Geschichtenfür Frauen, die nicht einschlafen wollen herausgegeben von Michaela Kenklies
LESEPROBE
EDITH EINHART
Wachbleiben in Wien
»Was machenwir Silvester?«
»Wir guckenKarl Moiks Silvester-Stadl, trinken Sekt statt Prosecco, gießen Blei und gehenum halb eins ins Bett.«
Das wartypisch Nina. Statt zu jammern, daß ihr vor zwei Wochen Richard mit einerArbeitskollegin durchgebrannt war und es ihr traurigster Jahreswechsel seitfünf Jahren werden würde, machte sie einen Witz. Sie blätterte in einem Katalogfür Busreisen. »Wir fahren für zweihundert Mark nach Wien!« sagte sie und griffzum Telefonhörer.
Drei Tagespäter saßen wir im Fünf-Sterne-Reisebus mit drei Pärchen, sieben aufgekratztenzwanzigjährigen Teenagern, einer Alleinreisenden und einer kaputtenBustoilette. Etwa alle Stunde hielten wir deshalb an.
Vor Ninaund mir saß eines der Pärchen. Ich taufte die beiden Blondie und Gitte. Erhatte blondierte Haare, sah aber damit erst recht wie Mitte Vierzig aus. Sieerinnerte mich an die Sängerin Gitte. Erinnern Sie sich? »Freu dich bloß nichtzu früh!«.
Wir warennoch nicht einmal in Oberösterreich, geschweige denn in Niederösterreich, alsBlondie und Gitte schon ihre Jause auspackten. Gitte holte auch zwei Stofftierchenaus dem Rucksack, einen Wolf und ein Reh.
Zeichenihrer Liebe, dachte ich.
»Wahrscheinlichist Wien ihre Romantikreise zum fünfzehnjährigen Beziehungsjubiläum«,flüsterte ich.
Blondie zogein Sofakissen mit Rüschen aus seinem Rucksack und kippte seinen Sitz so weitwie möglich nach hinten. Jetzt hatte Nina überhaupt keinen Platz mehr. IhreBeine sind etwa so lang wie die von Nadja Auermann.
»Mensch,das ist aber eng!« sagte ich.
Nina stießmich in die Seite. »Sscht! Es geht schon.«
»Aber warumdenn?« fuhr ich auf. »Hier ist kein Platz, um die Rückenlehne nach hinten zukippen!«
Blondiedrehte sich um und strahlte Nina unschuldig an. »Geht's ?«
»Ja, ja«,antwortete Nina, wie immer freundlich, dabei hatten ihre Knie überhaupt keinenPlatz. Kein Wunder, daß ihr Ex-Freund zu diesem egoistischen Biest übergelaufenwar. Nina war einfach zu sanft. Zu lieb. Alle Chauvis flogen auf sie.
Ich sagte:» Gar nichts geht, das sehen Sie doch !«
Blondie sahmich böse an, murmelte »0 Entschuldigung!« und stellte seinen Sitz wiederetwas weiter nach vorn. Etwa drei Millimeter. Er drehte sich wieder zu Nina um.»So besser?«
Er lächeltesanft, fand Nina. Scheinheilig, fand ich.
Wir kamennachmittags in Wien an. Noch acht Stunden bis Mitternacht. Ich wollte in denStephansdom, Nina in die Kärntnerstraße. Shoppen. Aber die Geschäfte hattenschon zu. Also gaben wir die letzten Schillinge für die Katakomben unter derKathedrale aus und besichtigten die Kupferdosen, in denen die Habsburger ihreEingeweide aufbewahrten. In den Grabkammern trafen wir Blondie und Gittewieder. Weit waren auch sie nicht gekommen, aus Angst, den Bus zu verpassen.Blondie fotografierte mit Hingabe die Hüftknochen, Gerippe und Totenschädel.»Wenn seine Männlichkeit so bedeutend ist wie sein Objektiv, alle Achtung«,murmelte ich. Er schoß mindestens zwanzig Fotos von den Wiener Skeletten, undein Foto von Gitte. Sie lächelte verliebt.
Als wir denDom verließen, sah Blondie durch mich hindurch. Ich war jetzt Luft für ihn.Natürlich. Welcher Mann möchte schon zurechtgewiesen werden, wenn er auf Eroberungsfeldzuggeht. Sitz hinterklappen. Lehne erobern. Beine im Hundertachtzig-Grad-Winkelgrätschen.
Als wirwieder in den Bus stiegen, plauderte Nina mit Blondie. Wollte wieder gutmachen,daß ich so böse zu Blondie gewesen war. Der Ärmste. Hatte es sich doch nur einbißchen bequem machen wollen. Schließlich war er wie wir um fünf Uhr frühaufgestanden.
Blondielächelte verzückt und sah Nina tief in die Augen. Gittes Gesichtszüge vereistenwie Glühwein, der in einer kalten Neujahrsnacht verschüttet worden war.
Noch siebenStunden bis Mitternacht.
Wir fuhrenins Hotel am Flughafen, und wenigstens waren wir nicht auf der gleichen Etage.Ich hatte keine Lust, Blondie noch einmal zu begegnen. Die anderen packten raschaus und fuhren nach Wien zurück, um die Hofburg und Schönbrunn und was weiß ichnoch alles zu besichtigen. Möglichst viel sehen für zweihundert Mark. BisMitternacht waren sie bestimmt vollkommen erschöpft.
Nina undich legten uns eine Stunde in die Badewanne und dann ins Bett. Wir sahen aus demFenster den startenden Jets zu, tranken Champagner und spielten Flugzeugorakel.»Das nächste Flugzeug, das wir sehen, wird unser nächster Trip«, schlug ichvor. Eine Maschine der »Alitalia« hob ab und wir stießen an.
»Italien ! Rom!«»Neapel!«
»Milano! Shoppen in der Via Montenapoleone!« »Was ist das?«
»AA.«
»American Airlines ! New York ! Florida ! SanFrancisco. Oder Australian Airlines? Sydney! Melbourne! Outback! Ayers Rock !«
»Nö. Graz.Innsbruck. Linz. Austrian Airlines.« »Ach so.« Nina ließ sich wieder in dieKissen fallen. Noch drei Stunden bis Mitternacht. Wir machten uns ausgehfertig.Nina packte ihr Abendkleid aus.
»Du willstim Pradafummel durch Wien laufen, bei minus fünfzehn Grad?«
»Warumnicht? Ich habe doch eine Pelzstola dabei! « »Pelz?«
»KeineSorge. Es ist falscher Pelz.«
Nina saheinfach klasse aus. Wie Marlene Dietrich zu ihrer besten Zeit. Mondän. Und einwenig morbid.
»Und wasmachen wir jetzt?« (...)
© 2002 Piper Verlag GmbH, München
- Autor: MICHAELA KENKLIES (HRSG.)
- 2005, 239 Seiten, Maße: 11,5 x 16 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Hrsg. v. Michaela Kenklies
- Herausgegeben: Michaela Kenklies
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492243843
- ISBN-13: 9783492243841
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