Haus, Friedens, Bruch
Gnadenlos, messerscharf, bitterböse!"Alle Welt schreibt einen Krimi. Sogenannte literarische Krimis, versteht sich. Aber ich werde keinen Krimi schreiben. Ich habe nun wirklich andere Probleme." Aus der Sicht einer Schriftstellerin erzählt Margit...
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Produktinformationen zu „Haus, Friedens, Bruch “
Gnadenlos, messerscharf, bitterböse!
"Alle Welt schreibt einen Krimi. Sogenannte literarische Krimis, versteht sich. Aber ich werde keinen Krimi schreiben. Ich habe nun wirklich andere Probleme." Aus der Sicht einer Schriftstellerin erzählt Margit Schreiner vom ganz normalen Chaos des unerbittlichen Alltags und von den kleinen und großen Problemen, die jeden gnadenlos in Beschlag nehmen. Ob es um die chronische Schreibblockade geht, den pubertierenden Teenager im Haus oder um die wieder einmal nicht funktionierenden Haushaltsgeräte. Unverblümt rechnet sie mit allem ab und spricht uns allen damit tief aus der Seele-...
Klappentext zu „Haus, Friedens, Bruch “
Gnadenlos, messerscharf, bitterböse!"Alle Welt schreibt einen Krimi. Sogenannte literarische Krimis, versteht sich. Aber ich werde keinen Krimi schreiben. Ich habe nun wirklich andere Probleme." Aus der Sicht einer Schriftstellerin erzählt Margit Schreiner vom ganz normalen Chaos des unerbittlichen Alltags und von den kleinen und großen Problemen, die jeden gnadenlos in Beschlag nehmen. Ob es um die chronische Schreibblockade geht, den pubertierenden Teenager im Haus oder um die wieder einmal nicht funktionierenden Haushaltsgeräte. Unverblümt rechnet sie mit allem ab und spricht uns allen damit tief aus der Seele.
"Margit Schreiner schreibt so 'haargenau', so präzise und anschaulich in der Vergegenwärtigung der vielen Zumutungen und wenigen Glücksmomenten des Lebens, vor allem aber der Grotesken, in die es uns verstrickt, dass reine Poesie daraus wird." -- Spiegel Special
"Wie kaum jemand beherrscht Margit Schreiner die Kunst, das Schwere mit dem Leichten zu verquicken, es mit einem Dreh ins Sarkastische zu schärfen und zugleich zu entschärfen. Margit Schreiner ist eine radikale Autorin, nicht in der Form, aber im Inhalt. Sie operiert mit Rasanz und schneidender Ehrlichkeit, sie bohrt in Wunden, bis es weh tut." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Eine schonungslose Abrechnung mit dem Schreiben, den (sic!) Schriftsteller und lapidaren Rest (= das Leben)." -- Buchkultur
"Wie kaum jemand beherrscht Margit Schreiner die Kunst, das Schwere mit dem Leichten zu verquicken, es mit einem Dreh ins Sarkastische zu schärfen und zugleich zu entschärfen. Margit Schreiner ist eine radikale Autorin, nicht in der Form, aber im Inhalt. Sie operiert mit Rasanz und schneidender Ehrlichkeit, sie bohrt in Wunden, bis es weh tut." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Eine schonungslose Abrechnung mit dem Schreiben, den (sic!) Schriftsteller und lapidaren Rest (= das Leben)." -- Buchkultur
Lese-Probe zu „Haus, Friedens, Bruch “
An einem Mittwoch ist er geliefert worden. Bruno war wieder einmal nicht zu Hause. Schröder II und Haslinger haben ihn gebracht. Er muss sehr schwer gewesen sein. Die Kerle, die ihn brachten, sind ja kräftig. Und es dauert bis in den letzten Stock. Aber selbst Schröder II und Haslinger waren verschwitzt, als sie im vierten Stock bei mir angekommen waren. Ich schätze, er wiegt hundertfünfzig Kilo. Mindestens! Und wir haben keinen Lift. (Schröder II ist eigentlich ein Spitzname, den ihm der Haslinger gegeben hat. Weil der angeblich dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler so ähnlich sieht. Er heißt eigentlich Maximilian Schuster, und ich finde, er sieht viel besser aus als der ehemalige Bundeskanzler.) Ich kochte für alle Kaffee. Kuchen hatte ich noch vom Vortag. Schröder ii trank drei Tassen von meinem starken italienischen Espresso. Hasi (so nennt Schröder II den Haslinger aus Rache für seinen Spitznamen) trank keinen Kaffee, wegen seines Bluthochdrucks. Stattdessen aß er den ganzen Kuchen auf. Obwohl er garantiert nicht nur einen zu hohen Blutdruck, sondern auch einen zu hohen Cholesterinspiegel hat. Sie erzählten mir dann, dass sie vor Jahren nach einer Wette einen ihrer Freunde, einen Schwergewichtsboxer, von der Boxhalle in Ebelsberg bis nach Kleinmünchen getragen hätten. Im Triumph. Aber der Boxer sei immer noch leichter gewesen als mein Cumulus.Es kommt jetzt natürlich darauf an, dass ich ihn gut bei uns integriere. Ich meine, die Wohnung hat nur eine begrenzte Zimmeranzahl. Und ich will ihn nicht bei meiner Tochter oben unterbringen. Allein wegen des Lärms in der Nacht. Die Zimmerwände im ersten Stock sind alle dünn und dementsprechend lärmdurchlässig. Julia sagt, wenn sich im Gästezimmer jemand im Bett umdreht, wacht sie schon auf. Darum schlafe ich ein Stockwerk tiefer, in der Abstellkammer. Es hilft nichts, er muss bei mir unten bleiben.
In der Nacht kommt er in Wellen, die werden höher und höher, schließlich krallt er sich fest in meinem Magen, bis
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der sich umstülpt. Dieser Schmerz ist zum Erbrechen, zum Sich-Krümmen, zum Heulen. Ich habe schon begonnen, mit mir selbst zu reden. Ich habe zu mir gesagt: Hör auf zu heulen, davon wird es auch nicht besser. Pass lieber tagsüber auf, was du zu dir nimmst und was nicht, sage ich nachts zu mir. Du darfst keinesfalls nach fünf Uhr abends essen. Du darfst auch keine Süßigkeiten naschen, sage ich zu mir selbst, das verträgst du nicht. Wer so viele Süßigkeiten isst wie du, ist selber schuld. Du solltest auch keine Essigwürste essen oder Schmalzbrote. Und keinesfalls Fertigprodukte. Reiß dich zusammen, sage ich zu mir, denn du weißt, dass du den Schmerz hinnehmen musst, wenn er kommt. So wie alles andere im Leben auch, das du nicht ändern kannst. Die Wahlen in Österreich, den Absatz deiner Bücher, das Schicksal deiner Tochter, die Grippe. Du weißt, dass du nicht allmächtig bist und die Welt nicht so erschaffen kannst, wie es dir passt. Du weißt, dass es Dinge gibt, die du nicht beeinflussen kannst. Du bist nicht Gott, sage ich in jenen Nächten zu mir. Aber dann schnürt es mir weiter die Kehle und den Magen zu. Ich kann nichts dagegen tun. Wenn die Angst kommt, alles könnte mir entgleiten, oder mein Kind könnte unglücklich werden oder krank, oder ich könnte krank werden und der kranke Körper die Oberhand bekommen über mein Leben und mich aus der Bahn werfen, dann bin ich ein entmachteter Gott. Wenn ich krank bin, verdiene ich kein Geld. Allein bei dem Gedanken überfällt mich die Panik. Sie kommt in vielen Gestalten. Sie kommt als Schlaflosigkeit und sie kommt als Schweißausbruch. Manchmal kommt sie als Albtraum. Dann wieder als Hustenanfall, als Atemnot, als Zittern am ganzen Leib. Sie kommt als Blutleere und Blutfülle, als Brennen im Hals und manchmal am ganzen Körper. Sie kommt als Zucken in den Beinen, als Brechreiz, als Durchfall, als Starre. Ich sage zu mir: Der Schweißausbruch geht vorbei, du musst dich nur wieder beruhigen, der Albtraum ist nur ein Traum. Ich huste und sage mir, der Husten hört auf, du hast bloß einen Infekt, ich sage mir, die Atemnot ist nur Hysterie, du hast ja gar kein Asthma. Das Zucken in den Beinen kommt von der Schlaflosigkeit und der Brechreiz vom späten Essen. Auch die Albträume können daher kommen, sage ich zu mir, und der Durchfall. In die Starre verfällst du, sage ich mir, weil du dich hilflos fühlst, und du bist auch hilflos, weil du nicht mitten in der Nacht aufstehen und alles ändern kannst. Du wirst eben älter. So wie alle anderen auch. Du kannst die Zeit nicht aufhalten, sage ich mir. Das musst du aushalten. Aber ich halte es nicht aus. Manchmal springe ich aus dem Bett, schweißgebadet, und dusche. Danach ziehe ich mich um und lege mich wieder hin. Oder ich springe aus dem Bett und laufe schweißgebadet, wie ich bin, auf die Terrasse hinaus. Der kühle Nachtwind trocknet den Schweiß, und meine Haut wird kalt wie die einer Echse. Ich setze mich auf die Terrasse und rauche eine Zigarette. Oder ich trinke ein Glas Wasser, oder ich beginne mitten in der Nacht zu lesen. Das Problem ist nur, dass mich in diesem Zustand nichts interessiert. Ich verstehe die Sätze nicht. Sogar die einzelnen Wörter sind mir ganz fremd. Ich verstehe sie nicht: "Tisch", "Holz", "Bein" - alles entgleitet mir.
Nein, es hilft nichts, er muss bei mir unten bleiben. Jederzeit zu meiner Verfügung. Aber so ein Koloss kann dir natürlich andererseits die ganze Wohnung versauen. Frankenstein ist nichts dagegen. Ästhetisch gesehen. Meine Tochter hat gleich gesagt, als sie damals in Kitzbühel bei einem Filmprojekt mitgespielt hatte, hätten sie auch so einen gehabt in der Luxusvilla. Echt krass hässlich, hat sie gesagt. Aber auch echt nützlich. Er hätte für Entspannung gesorgt. Schließlich habe ich in der Wohnung eine eigene Ecke für ihn geschaffen. Hauptsache, er hält mich fit. Immerhin muss ich Tag für Tag gegen dreihundertdreißigtausend Neuerscheinungen pro Jahr anschreiben. Auch wenn die Biografie eines x-beliebigen Ex-Bundeskanzlers die Buch-Charts anführt, der Internetkonsum die Zeitungslektüre und womöglich bald auch die Buchlektüre überholen wird, der Film zum Buch im Kinoranking und nun auch das Buch zum Film im Buchranking ungebrochen an der Spitze bleiben und Juroren und Rezensenten und Moderatoren und so weiter Autorinnen und Autoren werden. Da kannst du gar nicht fit genug sein.
Der Esstisch war übrigens auch schon so eine Sache. In der Ausstellungshalle bei Ikea hatte er nicht so gewaltig ausgesehen wie dann in meinem Zimmer, das an und für sich ziemlich groß ist: dreißig Quadratmeter und eine Raumhöhe bis zu vier Metern. (Ich bin in eine Dachwohnung gezogen.) Jedenfalls, als wir, meine damalige Freundin Amelie und ich, im Zuge meines Umzugs den Esstisch und die acht Sessel von acht Uhr abends bis zwei Uhr früh zusammengebaut hatten und die ganze Esstisch-Sitzgruppe dann so dastand und meine Freundin und ich bereits ein halbes Dutzend Biere während des Montierens getrunken hatten und dann schon ein bisschen lädiert auf dem Parkettboden saßen - sonst war ja noch nichts in dem Wohnzimmer - und als Amelie dann sagte: Eigentlich ganz schön groß für nur zwei Personen, da haben wir so was von einem Lachkrampf erlitten. Ich schwöre, wir haben uns auf dem Boden gewälzt vor Lachen. Aber im Nachhinein muss ich sagen: Der Tisch hat sich voll ausgezahlt. Seit ich ihn habe, lade ich gerne sechs oder acht Personen auf einmal zum Essen ein. Was natürlich andersherum wieder viel Arbeit macht und vom Schreiben ablenkt. Dann habe ich noch eine Bretz-Couch aufgestellt. Marke Gaudi. Ursprünglich wollte ich ja Monsterchen. Aber Julia war strikt dagegen. Gaudi war dann um einiges teurer als der Ikea- Tisch, aber auch die hat sich voll ausgezahlt. Nicht nur ästhetisch. Sie ist feuerrot und hat eine goldene Feder als Fußstütze. Julia war von Anfang an für die goldene Löwenpranke, die es auch dazu gegeben hätte, und ich muss sagen, ich habe inzwischen schon manchmal bereut, dass ich sie nicht genommen habe. Wäre noch eine Spur eleganter gewesen. So ein teures Sofa hat natürlich eine ganz andere Qualität als die billigen Sofas, die ich sonst immer hatte. Da setzt du dich darauf und versinkst im Irgendwo. Wenn du dann allerdings wieder hochwillst, musst du mit den Armen rudern, um den Schwung aufzubringen. Und dazu bin ich einfach zu alt. Außerdem hast du dann eine Kuhle im Sofa, genau in der Größe deines Hinterns. Das ist doch peinlich auf Dauer. Kaputt gehen die billigen Sofas auch sofort, besonders bei uns, weil wir zwei Katzen haben, die sich gerne ihre Krallen überall schärfen, nur nicht an ihrem Kratzbaum. Vor allem die kleine Katze, die erst dreizehn Wochen alt und praktisch unerziehbar ist. Auf meinem Bretz-Sofa versinke ich überhaupt nicht, und die Katzenkrallen konnten ihm auch bis jetzt noch nichts anhaben. Es ist einfach solide gebaut, und der Stoffbezug kommt angeblich aus der Weltraumforschung. Gepflegt muss es natürlich werden. Aber das versteht sich von selbst. Dann habe ich in dem großen Zimmer am anderen Ende noch meinen neuen Büroschreibtisch stehen, an dem ich gerade sitze und schreibe. Marke Effektiv. War auch nicht leicht aufzubauen. Zwei Beine sind übrig geblieben. Zuerst haben wir gedacht, dass die von Ikea zwei Beine zu viel geliefert haben, aber später, als schon der Computer, das Telefon, der Anrufbeantworter, das Faxgerät und der Drucker auf dem Schreibtisch standen, hat Amelie entdeckt, dass doch noch Platz für zwei Beine gewesen wäre. Da wollten wir natürlich nicht wieder alles abbauen und neu aufbauen. Aber seither habe ich immer ein bisschen Angst, dass der Schreibtisch zusammenbricht. Den Esstisch für acht Personen und den Cumulus sehe ich nicht vom Schreibtisch aus. Da ist die Mauer davor, die meine Terrasse seitlich begrenzt. Vom Schreibtisch sehe ich nur die Bretz-Couch und die Treppe in den ersten Stock, die gegenüberliegende Wand mit den Holzbalken und natürlich die Terrasse und den Himmel. Ich kann die vorüberziehenden Wolken beobachten. Und im Sommer die Mauersegler, die aus Afrika kommen und unsere Wohnblöcke mit ihren Balkonen und Terrassen für Felsen und Felsnischen an einer gewaltigen Küste halten, über die ein weiter Himmel blau leuchtet und manchmal Wolken ziehen, die es am Meer gar nicht gibt. Ideale Schreibvoraussetzungen, dachte ich damals, als ich in diese Wohnung einzog. (Und denke ich auch heute noch.) Aber dann: nichts. Nicht gar nichts, aber nicht viel. Doch letztlich eine Art Schreibhemmung, würde ich sagen. Habe ich mir lange nicht eingestanden, schließlich lebe ich vom Schreiben. Und nicht nur ich, auch Julia, die im zweiten Stock zwei Zimmer bewohnt. Wie gesagt: Dachwohnung. Dazu muss sie aber immer durch mein Zimmer, genauer: an meinem Schreibtisch vorbei zur Treppe. Das heißt: aufs Klo gehen, essen gehen, trinken gehen, Wohnung betreten und Wohnung verlassen, alles immer an meinem Schreibtisch vorbei. Ebenso natürlich ihre Freunde.
Der Vorbesitzer hat den ersten Stock ausgebaut, alles mit Holz. Sieht ein bisschen aus wie eine Saunalandschaft. Aber Julia hat es gleich gefallen. Sie hat jetzt ein kleines Schlafzimmer und ein kleines Arbeitszimmer. Getrennt. Jugendliche lieben so etwas. Dann gibt es oben noch das kleine Gästezimmer. Ich selbst schlafe, wie gesagt, in der Abstellkammer. Im Architektenplan unserer Wohnung steht: nicht begehbarer Spitzboden! Und tatsächlich handelt es sich um einen niedrigen Raum mit sehr schrägen Wänden, den man nicht aufrecht begehen kann. Eine Art Campingzelt. Der Spitzboden wurde von meinen Vorgängern als Abstellkammer benutzt. Schade eigentlich, dachte ich sofort, als ich ihn sah. Amelie dachte das auch. Und Julia auch. Ein hübscher, etwa achtzig Zentimeter erhöht liegender Raum in Zeltform mit einem kleinen Fenster, gleich neben der Eingangstür. Entzückend. Ich habe ihn mit Teppichen ausgestattet. Nur: Ich muss jetzt mehr oder weniger ins Bett kriechen. Früher musste ich noch hochrobben. Ich habe mir dann vom Haslinger eine kleine Holztreppe bauen lassen. Türe habe ich leider auch keine. Bruno hat einen Lamellenvorhang angebracht, Ärzte haben so Vorhänge, man sieht sie auch überall in Banken und Sparkassen. Ziemlich praktisch und sieht auch gut aus, nur kann ich leider keine Tür schließen. Wenn meine Tochter nachts aufs Klo geht und das Licht anmacht, wache ich auf. (Das Klo liegt genau gegenüber vom Spitzboden.) Noch unangenehmer ist es, wenn die Freunde meiner Tochter nachts aufs Klo gehen und das Licht anmachen. Ich liege ja praktisch im Vorhaus. Und für die Katzen ist so ein Lamellenvorhang selbstverständlich kein Hindernis. Auch wenn die Lamellen blickdicht geschlossen sind. Die Katzen gehen einfach durch. Sie wollen beide in mein Bett. Der alte Kater wird dann regelmäßig wütend, weil er nämlich acht Jahre lang allein in meinem Bett geschlafen hat. Höchstens dass noch Bruno in meinem Bett geschlafen hat, aber das hat den Kater letztlich nicht so gestört wie die junge Katze, weswegen er jetzt die halbe Nacht faucht und knurrt. Wenn den Katzen nachts langweilig ist, spielen sie auch gerne mit den feinen Perlenschnüren, mit denen die einzelnen Lamellen verbunden sind. Besonders die Kleine spielt gerne damit. Sie hängt sich in die Lamellen und schwingt hin und her. Der Kater steht daneben und faucht. Vielleicht ist es ja deshalb zu dieser chronischen Schlaflosigkeit gekommen. Die Folge davon ist, dass dann die Nerven tagsüber mehr oder weniger blank liegen. Aber gerade deswegen setze ich jetzt alle meine Hoffnungen auf den Cumulus. Mit seiner Hilfe werde ich mich so entspannen, dass ich in der Nacht durchschlafen kann. Die Rückenschmerzen wird er ebenfalls bekämpfen. Ich muss nur Geduld ha- 17 - ben. So etwas funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen.
In einer jener schrecklichen Nächte steht meine Mutter an meinem Bett, urplötzlich. Sie sieht mich vorwurfsvoll an. Du hasst mich, sagt sie, du hasst mich ohne Grund. Du wirfst mir vor, Rückenschmerzen zu haben und Kopfschmerzen und Stirnhöhleneiterungen und Nasenbluten, aber ich leide doch. Du leidest nur darunter, dass ich leide. Du wirfst mir vor, dass ich nur dich im Auge habe und sonst nichts im Leben. Sagst du. Aber es ist doch meine Sache, ob ich nur dich im Auge habe oder auch anderes oder gar nichts oder alles. Es ist ausschließlich meine Sache. Du wirfst mir vor, dass ich schlecht koche. Na und? Ich komme aus einer Familie und aus einer Zeit, in der man die Saucen mit Mehl verlängert hat. Und meine Spargeltoasts mit Spiegelei haben dir immer geschmeckt. Und die Malakofftorte auch. Du bist sogar oft in der Nacht aufgestanden und hast dir ein Stück Malakofftorte aus der Speisekammer geholt. Ich habe darauf geachtet, dass du genug frisches Obst und Gemüse und Salat bekommst. Wenn du krank warst, habe ich dir Wadenwickel aus essigsaurer Tonerde gemacht und Zwiebelumschläge um die Brust. Ich kann doch nichts dafür, dass du mich angesteckt hast und ich nachher selbst krank geworden bin. Mir hat jedenfalls dann keiner Wadenwickel und Brustumschläge gemacht. Und wenn ich einen Ischiasanfall hatte und ins Krankenhaus musste, dann habe ich das bestimmt nicht getan, um dich allein zu lassen. Du wirfst mir ja sogar vor, dass ich deinen Vater nicht geliebt habe. Was geht dich das an? Habe ich mich je eingemischt und dir vorgeworfen, welchen deiner Freunde du liebst und welchen nicht? Ich weiß nicht, warum du mich so sehr hasst. Ich habe deinen Puppen Kleider genäht und Jacken und Häubchen gestrickt, ich habe für die Puppenküche, die dein Vater im Keller gebastelt hat, die Vorhänge genäht und die kleinen Teppiche gewebt, ich habe mit dir Mensch ärgere dich nicht gespielt, wenn du krank warst, oder Fang den Hut, ich habe mit dir Wünsch dir was im Fernsehen angeschaut, und zu Weihnachten sind wir in das Weihnachtsmärchen gegangen. Wir haben zusammen Kekse gebacken und Gesichtscremes aus Joghurt und Zitrone angerührt. Ich habe dir mit der Brennschere Locken gedreht. Später habe ich dein erstes Ballkleid genäht. Aber du wirfst mir sogar vor, dass du bei der Anprobe damals so lange still stehen musstest. Und die Sorgfalt wirfst du mir auch vor, mit der ich jede Naht zuerst mit Heftfaden vorgenäht habe. Dir konnte nie etwas schnell genug gehen. Aber ich war eben nicht mehr jung und schnell genug. Ich habe auch nicht die Bildung deines Vaters gehabt, und die Schulbildung, die wir dir angedeihen haben lassen, habe ich nie genossen. Ich war in der Volksschule, und nachher habe ich in einer Klosterschule für Frauenberufe kochen mit Mehlsaucen und Topflappen stricken gelernt. Dass ich dann später eine Kurzausbildung als Krankenschwester machen durfte, ist an dem Mangel an Krankenschwestern gelegen, der herrschte, bei all den Verletzten und Kranken, die der Krieg mit sich gebracht hat. Und die geschlossene Abteilung der Psychiatrie habe ich mir nicht ausgesucht. Ich war sehr jung damals. Wie, glaubst du, kann man es verkraften als junges Mädchen mit kaum einer Ausbildung als Krankenschwester in der Psychiatrie, wo die Kranken in Sälen liegen und heulen und schreien, und wo du nachts nur zu zweit an die Betten treten darfst, weil sie dich allein vielleicht angreifen und verletzen, wenn nicht, indem du lachst über die Psychosen der Patienten. Über die Frau, die sich für den Papst hält und die du nur mit "Eminenz" anreden darfst, weil sie sonst handgreiflich wird, oder die andere, die den ganzen Tag Kinderlieder singt und die du nur waschen darfst, wenn du mit ihr alle Strophen von "Hänschen klein" singst. Machst du einen Fehler, spuckt sie dich an. Da wirst du doch selbst verrückt, wenn du nicht lachst. Nachher dann, als die Psychiatrie geschlossen wurde, habe ich nicht gefragt, warum. Wozu auch? Was hätte es genützt? Aber ich erinnere mich bis heute an jeden einzelnen von ihnen und will mir nicht vorstellen, wie sie erstickt sind im Gas. Ich will es nicht. Vielleicht habe ich darum so viele Kreuzworträtsel aufgelöst und nicht, weil ich zu faul zu allem war, wie du immer angenommen hast. Ja, ich weiß, dass du das geglaubt hast, wenn dein Vater im Nebenzimmer Bruckner gehört oder Thomas Mann gelesen hat, und ich habe wieder nur meine Kreuzworträtsel aufgelöst. Wenigstens hatte dein Vater keine Hochschulbildung. Einmal hat mich ein Arzt heiraten wollen, ein sehr netter Mann war das, aber ich habe ihn nicht genommen wegen des großen Bildungsunterschiedes. So etwas kann nicht gut gehen. Nach der Psychiatrie habe ich dann Schuhe verkauft. Beim Kreuzworträtselauflösen war ich frei.
Meine Küche war ursprünglich auch so ein Problemfall. Ich habe sie ziemlich verdreckt übernommen. Meine Freundin und ich haben damals tagelang ge- 21 - putzt. Das Backrohr haben wir nicht geschafft. Sobald ich es eingeschaltet habe, hat sich Rauch entwickelt, der dann seitlich aus dem Backrohr gekrochen ist und gestunken hat. Der Kühlschrank hatte nur ein winziges Kühlfach, und außerdem hat die Tür nicht geschlossen. Geschirrspüler gab es keinen in der alten Küche. Ich habe dann eine neue Küche bestellt. Damals habe ich gedacht, wenn die neue Küche erst einmal da ist, wird alles besser werden, aber ein Geschirrspüler allein verändert noch kein Leben. Sicher, es ist eine gewisse Erleichterung, wenn man nicht mehr abwaschen muss, aber auch in so einen Geschirrspüler muss das Geschirr sorgfältig eingeordnet werden, vorher natürlich abgespült. Wenn du den Geschirrspüler falsch einräumst, stocken die Spülprogramme, und du kannst noch einmal von vorne anfangen. Abgesehen davon, dass er wirklich verschmutztes Geschirr sowieso nicht schafft, ebenso keine Töpfe und Pfannen. Also letztlich keine umwälzende Arbeitserleichterung. Auch der Vorratsschiebeschrank hat mich nicht wirklich gerettet. Obwohl ich heute noch jedes Mal ganz begeistert bin, wenn ich die zweieinhalb Meter hohe Türe herausziehe und dann von zwei Seiten her meine Lebensmittel aus sechs Drahtregalen entnehmen kann, ohne sozusagen blind in den unergründlichen Tiefen einer Lade zu wühlen wie vorher. Nichts im Leben ist natürlich perfekt. Auch nicht der Schiebeschrank. Die Öl- und Essigflaschen sowie die Tomatendosen sind zu schwer für die Drahtgestelle, sodass sie immer schräg nach unten rutschen. Auch die Lösung mit den Ecktüren und dem Rundgestell, auf dem nun meine Töpfe und Pfannen an mir vorbeiflitzen, wenn ich sie aufziehe (und manchmal die kleine Katze, die diese Drehtüren liebt), ist eine wesentliche Verbesserung zu der Situation vorher. Bücken muss ich mich aber trotzdem. Und der Rücken tut mir seit ein paar Jahren nun einmal ständig weh.
Nun könnte man sagen, was erzählt uns die andauernd vom Haushalt? Von der Wohnung? Aber das Wichtigste im Leben ist keineswegs, was man arbeitet, wie erfolgreich man ist oder eben nicht, wie man seine Freizeit verbringt und so weiter, sondern das Wichtigste ist, wie man wohnt, wie und wo man aufs Klo geht, wo man die Wäsche wäscht. Alles andere ist nur scheinbar wichtig. Sie können arbeiten, was Sie wollen, so erfolgreich wie möglich, Sie können sich in Ihrer Freizeit ununterbrochen in Wellnessanlagen aufhalten oder auf dem Sportplatz und unglücklich sein.
Nein, es hilft nichts, er muss bei mir unten bleiben. Jederzeit zu meiner Verfügung. Aber so ein Koloss kann dir natürlich andererseits die ganze Wohnung versauen. Frankenstein ist nichts dagegen. Ästhetisch gesehen. Meine Tochter hat gleich gesagt, als sie damals in Kitzbühel bei einem Filmprojekt mitgespielt hatte, hätten sie auch so einen gehabt in der Luxusvilla. Echt krass hässlich, hat sie gesagt. Aber auch echt nützlich. Er hätte für Entspannung gesorgt. Schließlich habe ich in der Wohnung eine eigene Ecke für ihn geschaffen. Hauptsache, er hält mich fit. Immerhin muss ich Tag für Tag gegen dreihundertdreißigtausend Neuerscheinungen pro Jahr anschreiben. Auch wenn die Biografie eines x-beliebigen Ex-Bundeskanzlers die Buch-Charts anführt, der Internetkonsum die Zeitungslektüre und womöglich bald auch die Buchlektüre überholen wird, der Film zum Buch im Kinoranking und nun auch das Buch zum Film im Buchranking ungebrochen an der Spitze bleiben und Juroren und Rezensenten und Moderatoren und so weiter Autorinnen und Autoren werden. Da kannst du gar nicht fit genug sein.
Der Esstisch war übrigens auch schon so eine Sache. In der Ausstellungshalle bei Ikea hatte er nicht so gewaltig ausgesehen wie dann in meinem Zimmer, das an und für sich ziemlich groß ist: dreißig Quadratmeter und eine Raumhöhe bis zu vier Metern. (Ich bin in eine Dachwohnung gezogen.) Jedenfalls, als wir, meine damalige Freundin Amelie und ich, im Zuge meines Umzugs den Esstisch und die acht Sessel von acht Uhr abends bis zwei Uhr früh zusammengebaut hatten und die ganze Esstisch-Sitzgruppe dann so dastand und meine Freundin und ich bereits ein halbes Dutzend Biere während des Montierens getrunken hatten und dann schon ein bisschen lädiert auf dem Parkettboden saßen - sonst war ja noch nichts in dem Wohnzimmer - und als Amelie dann sagte: Eigentlich ganz schön groß für nur zwei Personen, da haben wir so was von einem Lachkrampf erlitten. Ich schwöre, wir haben uns auf dem Boden gewälzt vor Lachen. Aber im Nachhinein muss ich sagen: Der Tisch hat sich voll ausgezahlt. Seit ich ihn habe, lade ich gerne sechs oder acht Personen auf einmal zum Essen ein. Was natürlich andersherum wieder viel Arbeit macht und vom Schreiben ablenkt. Dann habe ich noch eine Bretz-Couch aufgestellt. Marke Gaudi. Ursprünglich wollte ich ja Monsterchen. Aber Julia war strikt dagegen. Gaudi war dann um einiges teurer als der Ikea- Tisch, aber auch die hat sich voll ausgezahlt. Nicht nur ästhetisch. Sie ist feuerrot und hat eine goldene Feder als Fußstütze. Julia war von Anfang an für die goldene Löwenpranke, die es auch dazu gegeben hätte, und ich muss sagen, ich habe inzwischen schon manchmal bereut, dass ich sie nicht genommen habe. Wäre noch eine Spur eleganter gewesen. So ein teures Sofa hat natürlich eine ganz andere Qualität als die billigen Sofas, die ich sonst immer hatte. Da setzt du dich darauf und versinkst im Irgendwo. Wenn du dann allerdings wieder hochwillst, musst du mit den Armen rudern, um den Schwung aufzubringen. Und dazu bin ich einfach zu alt. Außerdem hast du dann eine Kuhle im Sofa, genau in der Größe deines Hinterns. Das ist doch peinlich auf Dauer. Kaputt gehen die billigen Sofas auch sofort, besonders bei uns, weil wir zwei Katzen haben, die sich gerne ihre Krallen überall schärfen, nur nicht an ihrem Kratzbaum. Vor allem die kleine Katze, die erst dreizehn Wochen alt und praktisch unerziehbar ist. Auf meinem Bretz-Sofa versinke ich überhaupt nicht, und die Katzenkrallen konnten ihm auch bis jetzt noch nichts anhaben. Es ist einfach solide gebaut, und der Stoffbezug kommt angeblich aus der Weltraumforschung. Gepflegt muss es natürlich werden. Aber das versteht sich von selbst. Dann habe ich in dem großen Zimmer am anderen Ende noch meinen neuen Büroschreibtisch stehen, an dem ich gerade sitze und schreibe. Marke Effektiv. War auch nicht leicht aufzubauen. Zwei Beine sind übrig geblieben. Zuerst haben wir gedacht, dass die von Ikea zwei Beine zu viel geliefert haben, aber später, als schon der Computer, das Telefon, der Anrufbeantworter, das Faxgerät und der Drucker auf dem Schreibtisch standen, hat Amelie entdeckt, dass doch noch Platz für zwei Beine gewesen wäre. Da wollten wir natürlich nicht wieder alles abbauen und neu aufbauen. Aber seither habe ich immer ein bisschen Angst, dass der Schreibtisch zusammenbricht. Den Esstisch für acht Personen und den Cumulus sehe ich nicht vom Schreibtisch aus. Da ist die Mauer davor, die meine Terrasse seitlich begrenzt. Vom Schreibtisch sehe ich nur die Bretz-Couch und die Treppe in den ersten Stock, die gegenüberliegende Wand mit den Holzbalken und natürlich die Terrasse und den Himmel. Ich kann die vorüberziehenden Wolken beobachten. Und im Sommer die Mauersegler, die aus Afrika kommen und unsere Wohnblöcke mit ihren Balkonen und Terrassen für Felsen und Felsnischen an einer gewaltigen Küste halten, über die ein weiter Himmel blau leuchtet und manchmal Wolken ziehen, die es am Meer gar nicht gibt. Ideale Schreibvoraussetzungen, dachte ich damals, als ich in diese Wohnung einzog. (Und denke ich auch heute noch.) Aber dann: nichts. Nicht gar nichts, aber nicht viel. Doch letztlich eine Art Schreibhemmung, würde ich sagen. Habe ich mir lange nicht eingestanden, schließlich lebe ich vom Schreiben. Und nicht nur ich, auch Julia, die im zweiten Stock zwei Zimmer bewohnt. Wie gesagt: Dachwohnung. Dazu muss sie aber immer durch mein Zimmer, genauer: an meinem Schreibtisch vorbei zur Treppe. Das heißt: aufs Klo gehen, essen gehen, trinken gehen, Wohnung betreten und Wohnung verlassen, alles immer an meinem Schreibtisch vorbei. Ebenso natürlich ihre Freunde.
Der Vorbesitzer hat den ersten Stock ausgebaut, alles mit Holz. Sieht ein bisschen aus wie eine Saunalandschaft. Aber Julia hat es gleich gefallen. Sie hat jetzt ein kleines Schlafzimmer und ein kleines Arbeitszimmer. Getrennt. Jugendliche lieben so etwas. Dann gibt es oben noch das kleine Gästezimmer. Ich selbst schlafe, wie gesagt, in der Abstellkammer. Im Architektenplan unserer Wohnung steht: nicht begehbarer Spitzboden! Und tatsächlich handelt es sich um einen niedrigen Raum mit sehr schrägen Wänden, den man nicht aufrecht begehen kann. Eine Art Campingzelt. Der Spitzboden wurde von meinen Vorgängern als Abstellkammer benutzt. Schade eigentlich, dachte ich sofort, als ich ihn sah. Amelie dachte das auch. Und Julia auch. Ein hübscher, etwa achtzig Zentimeter erhöht liegender Raum in Zeltform mit einem kleinen Fenster, gleich neben der Eingangstür. Entzückend. Ich habe ihn mit Teppichen ausgestattet. Nur: Ich muss jetzt mehr oder weniger ins Bett kriechen. Früher musste ich noch hochrobben. Ich habe mir dann vom Haslinger eine kleine Holztreppe bauen lassen. Türe habe ich leider auch keine. Bruno hat einen Lamellenvorhang angebracht, Ärzte haben so Vorhänge, man sieht sie auch überall in Banken und Sparkassen. Ziemlich praktisch und sieht auch gut aus, nur kann ich leider keine Tür schließen. Wenn meine Tochter nachts aufs Klo geht und das Licht anmacht, wache ich auf. (Das Klo liegt genau gegenüber vom Spitzboden.) Noch unangenehmer ist es, wenn die Freunde meiner Tochter nachts aufs Klo gehen und das Licht anmachen. Ich liege ja praktisch im Vorhaus. Und für die Katzen ist so ein Lamellenvorhang selbstverständlich kein Hindernis. Auch wenn die Lamellen blickdicht geschlossen sind. Die Katzen gehen einfach durch. Sie wollen beide in mein Bett. Der alte Kater wird dann regelmäßig wütend, weil er nämlich acht Jahre lang allein in meinem Bett geschlafen hat. Höchstens dass noch Bruno in meinem Bett geschlafen hat, aber das hat den Kater letztlich nicht so gestört wie die junge Katze, weswegen er jetzt die halbe Nacht faucht und knurrt. Wenn den Katzen nachts langweilig ist, spielen sie auch gerne mit den feinen Perlenschnüren, mit denen die einzelnen Lamellen verbunden sind. Besonders die Kleine spielt gerne damit. Sie hängt sich in die Lamellen und schwingt hin und her. Der Kater steht daneben und faucht. Vielleicht ist es ja deshalb zu dieser chronischen Schlaflosigkeit gekommen. Die Folge davon ist, dass dann die Nerven tagsüber mehr oder weniger blank liegen. Aber gerade deswegen setze ich jetzt alle meine Hoffnungen auf den Cumulus. Mit seiner Hilfe werde ich mich so entspannen, dass ich in der Nacht durchschlafen kann. Die Rückenschmerzen wird er ebenfalls bekämpfen. Ich muss nur Geduld ha- 17 - ben. So etwas funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen.
In einer jener schrecklichen Nächte steht meine Mutter an meinem Bett, urplötzlich. Sie sieht mich vorwurfsvoll an. Du hasst mich, sagt sie, du hasst mich ohne Grund. Du wirfst mir vor, Rückenschmerzen zu haben und Kopfschmerzen und Stirnhöhleneiterungen und Nasenbluten, aber ich leide doch. Du leidest nur darunter, dass ich leide. Du wirfst mir vor, dass ich nur dich im Auge habe und sonst nichts im Leben. Sagst du. Aber es ist doch meine Sache, ob ich nur dich im Auge habe oder auch anderes oder gar nichts oder alles. Es ist ausschließlich meine Sache. Du wirfst mir vor, dass ich schlecht koche. Na und? Ich komme aus einer Familie und aus einer Zeit, in der man die Saucen mit Mehl verlängert hat. Und meine Spargeltoasts mit Spiegelei haben dir immer geschmeckt. Und die Malakofftorte auch. Du bist sogar oft in der Nacht aufgestanden und hast dir ein Stück Malakofftorte aus der Speisekammer geholt. Ich habe darauf geachtet, dass du genug frisches Obst und Gemüse und Salat bekommst. Wenn du krank warst, habe ich dir Wadenwickel aus essigsaurer Tonerde gemacht und Zwiebelumschläge um die Brust. Ich kann doch nichts dafür, dass du mich angesteckt hast und ich nachher selbst krank geworden bin. Mir hat jedenfalls dann keiner Wadenwickel und Brustumschläge gemacht. Und wenn ich einen Ischiasanfall hatte und ins Krankenhaus musste, dann habe ich das bestimmt nicht getan, um dich allein zu lassen. Du wirfst mir ja sogar vor, dass ich deinen Vater nicht geliebt habe. Was geht dich das an? Habe ich mich je eingemischt und dir vorgeworfen, welchen deiner Freunde du liebst und welchen nicht? Ich weiß nicht, warum du mich so sehr hasst. Ich habe deinen Puppen Kleider genäht und Jacken und Häubchen gestrickt, ich habe für die Puppenküche, die dein Vater im Keller gebastelt hat, die Vorhänge genäht und die kleinen Teppiche gewebt, ich habe mit dir Mensch ärgere dich nicht gespielt, wenn du krank warst, oder Fang den Hut, ich habe mit dir Wünsch dir was im Fernsehen angeschaut, und zu Weihnachten sind wir in das Weihnachtsmärchen gegangen. Wir haben zusammen Kekse gebacken und Gesichtscremes aus Joghurt und Zitrone angerührt. Ich habe dir mit der Brennschere Locken gedreht. Später habe ich dein erstes Ballkleid genäht. Aber du wirfst mir sogar vor, dass du bei der Anprobe damals so lange still stehen musstest. Und die Sorgfalt wirfst du mir auch vor, mit der ich jede Naht zuerst mit Heftfaden vorgenäht habe. Dir konnte nie etwas schnell genug gehen. Aber ich war eben nicht mehr jung und schnell genug. Ich habe auch nicht die Bildung deines Vaters gehabt, und die Schulbildung, die wir dir angedeihen haben lassen, habe ich nie genossen. Ich war in der Volksschule, und nachher habe ich in einer Klosterschule für Frauenberufe kochen mit Mehlsaucen und Topflappen stricken gelernt. Dass ich dann später eine Kurzausbildung als Krankenschwester machen durfte, ist an dem Mangel an Krankenschwestern gelegen, der herrschte, bei all den Verletzten und Kranken, die der Krieg mit sich gebracht hat. Und die geschlossene Abteilung der Psychiatrie habe ich mir nicht ausgesucht. Ich war sehr jung damals. Wie, glaubst du, kann man es verkraften als junges Mädchen mit kaum einer Ausbildung als Krankenschwester in der Psychiatrie, wo die Kranken in Sälen liegen und heulen und schreien, und wo du nachts nur zu zweit an die Betten treten darfst, weil sie dich allein vielleicht angreifen und verletzen, wenn nicht, indem du lachst über die Psychosen der Patienten. Über die Frau, die sich für den Papst hält und die du nur mit "Eminenz" anreden darfst, weil sie sonst handgreiflich wird, oder die andere, die den ganzen Tag Kinderlieder singt und die du nur waschen darfst, wenn du mit ihr alle Strophen von "Hänschen klein" singst. Machst du einen Fehler, spuckt sie dich an. Da wirst du doch selbst verrückt, wenn du nicht lachst. Nachher dann, als die Psychiatrie geschlossen wurde, habe ich nicht gefragt, warum. Wozu auch? Was hätte es genützt? Aber ich erinnere mich bis heute an jeden einzelnen von ihnen und will mir nicht vorstellen, wie sie erstickt sind im Gas. Ich will es nicht. Vielleicht habe ich darum so viele Kreuzworträtsel aufgelöst und nicht, weil ich zu faul zu allem war, wie du immer angenommen hast. Ja, ich weiß, dass du das geglaubt hast, wenn dein Vater im Nebenzimmer Bruckner gehört oder Thomas Mann gelesen hat, und ich habe wieder nur meine Kreuzworträtsel aufgelöst. Wenigstens hatte dein Vater keine Hochschulbildung. Einmal hat mich ein Arzt heiraten wollen, ein sehr netter Mann war das, aber ich habe ihn nicht genommen wegen des großen Bildungsunterschiedes. So etwas kann nicht gut gehen. Nach der Psychiatrie habe ich dann Schuhe verkauft. Beim Kreuzworträtselauflösen war ich frei.
Meine Küche war ursprünglich auch so ein Problemfall. Ich habe sie ziemlich verdreckt übernommen. Meine Freundin und ich haben damals tagelang ge- 21 - putzt. Das Backrohr haben wir nicht geschafft. Sobald ich es eingeschaltet habe, hat sich Rauch entwickelt, der dann seitlich aus dem Backrohr gekrochen ist und gestunken hat. Der Kühlschrank hatte nur ein winziges Kühlfach, und außerdem hat die Tür nicht geschlossen. Geschirrspüler gab es keinen in der alten Küche. Ich habe dann eine neue Küche bestellt. Damals habe ich gedacht, wenn die neue Küche erst einmal da ist, wird alles besser werden, aber ein Geschirrspüler allein verändert noch kein Leben. Sicher, es ist eine gewisse Erleichterung, wenn man nicht mehr abwaschen muss, aber auch in so einen Geschirrspüler muss das Geschirr sorgfältig eingeordnet werden, vorher natürlich abgespült. Wenn du den Geschirrspüler falsch einräumst, stocken die Spülprogramme, und du kannst noch einmal von vorne anfangen. Abgesehen davon, dass er wirklich verschmutztes Geschirr sowieso nicht schafft, ebenso keine Töpfe und Pfannen. Also letztlich keine umwälzende Arbeitserleichterung. Auch der Vorratsschiebeschrank hat mich nicht wirklich gerettet. Obwohl ich heute noch jedes Mal ganz begeistert bin, wenn ich die zweieinhalb Meter hohe Türe herausziehe und dann von zwei Seiten her meine Lebensmittel aus sechs Drahtregalen entnehmen kann, ohne sozusagen blind in den unergründlichen Tiefen einer Lade zu wühlen wie vorher. Nichts im Leben ist natürlich perfekt. Auch nicht der Schiebeschrank. Die Öl- und Essigflaschen sowie die Tomatendosen sind zu schwer für die Drahtgestelle, sodass sie immer schräg nach unten rutschen. Auch die Lösung mit den Ecktüren und dem Rundgestell, auf dem nun meine Töpfe und Pfannen an mir vorbeiflitzen, wenn ich sie aufziehe (und manchmal die kleine Katze, die diese Drehtüren liebt), ist eine wesentliche Verbesserung zu der Situation vorher. Bücken muss ich mich aber trotzdem. Und der Rücken tut mir seit ein paar Jahren nun einmal ständig weh.
Nun könnte man sagen, was erzählt uns die andauernd vom Haushalt? Von der Wohnung? Aber das Wichtigste im Leben ist keineswegs, was man arbeitet, wie erfolgreich man ist oder eben nicht, wie man seine Freizeit verbringt und so weiter, sondern das Wichtigste ist, wie man wohnt, wie und wo man aufs Klo geht, wo man die Wäsche wäscht. Alles andere ist nur scheinbar wichtig. Sie können arbeiten, was Sie wollen, so erfolgreich wie möglich, Sie können sich in Ihrer Freizeit ununterbrochen in Wellnessanlagen aufhalten oder auf dem Sportplatz und unglücklich sein.
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Autoren-Porträt von Margit Schreiner
Margit Schreiner, geboren 1953 in Linz, studierte Germanistik und Psychologie in Salzburg und ging 1977 für drei Jahre nach Japan. Als freie Schriftstellerin lebte sie danach zunächst in Salzburg und Paris, später in Berlin und Italien heute wieder in Linz. Für ihr bisheriges Werk wurde sie u. a. mit dem Theodor-Körner-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur 2009.
Bibliographische Angaben
- Autor: Margit Schreiner
- 2009, 256 Seiten, Maße: 11,8 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442469805
- ISBN-13: 9783442469802
Rezension zu „Haus, Friedens, Bruch “
"Eine schonungslose Abrechnung mit dem Schreiben, den (sic!) Schriftsteller und lapidaren Rest (= das Leben)."
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