Heilen verboten, töten erlaubt
Organisierte Kriminalität im Gesundheitswesen: Nach gründlicher Recherche schrieb Blüchel ein schonungsloses Porträt des deutschen Gesundheitssystems. Er deckt darin schockiernde Vorgänge auf: - menschenverachtende Arzneimittel-Experimente der...
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Produktinformationen zu „Heilen verboten, töten erlaubt “
Organisierte Kriminalität im Gesundheitswesen: Nach gründlicher Recherche schrieb Blüchel ein schonungsloses Porträt des deutschen Gesundheitssystems. Er deckt darin schockiernde Vorgänge auf: - menschenverachtende Arzneimittel-Experimente der Pharmakonzerne - Schmiergeldaffären und Massenbetrügereien, die das Beitragsgefüge der Krankenkassen erschüttern - medizintechnisches Wettrüsten, das zu Millionen überflüssiger Untersuchungen und Eingriffe führt - u.a.m.
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Begrabene IllusionenVom Mekka der Medizin zum Schlusslicht
Sie lebten in Maßlosigkeit und Übertreibung - bis zur Selbstvernichtung: die Kwakiutl-Indianer im wilden Nordwesten Amerikas. Ihr höchstes Gesellschaftsideal bestand darin, mehr zu gelten, mehr zu besitzen und mehr zu verschleudern als andere. Um dieses Ziel zu erreichen, war ihnen nahezu jedes Mittel recht. Sie praktizierten einen hemmungslosen Konkurrenzkampf mit ihren Stammesgenossen. Als Krönung ihres Handelns galt der Erfolg. Um die eigene Stellung zu festigen, diffamierten sie bedenkenlos ihre Mitmenschen. Weniger ambitionierte Stammesangehörige wurden von ihnen als verrückt angesehen. Sie ließen sie zwar ungeschoren, wiesen ihnen jedoch eine besondere soziale Rolle zu - die der Dorftrottel. Widersacher indessen, die sich ebenfalls um einen begehrten Rang in der Stammeshierarchie bemühten, wurden, wo immer möglich, für alle Zeiten aus dem Weg geräumt. Erlitten die Karrieristen bei der Umsetzung ihrer Pläne selbst eine Niederlage, verloren sie gar ihr Gesicht und waren dem Gespött ihres Clans preisgegeben, so machten sie auch mit sich selbst kurzen Prozess und überantworteten sich eigenhändig den ewigen Jagdgründen Manitus.
Die Heilkunde der Kwakiutl-Indianer war ein geschickt ausgetüftelter, vorsätzlicher Betrug. Sie glaubten nicht wie andere Naturvölker an mystische, geheimnisvolle Mächte, sondern bezogen ihre Kraft vielmehr aus raffinierten Zaubertricks, genialen Finten und Manipulationen der besonderen Art. Die Kwakiutl-Schamanen beschwindelten ihre Patienten bewusst und in voller Absicht. Die Ausübung ihrer hinterhältigen Kunst nahm sie derart in Anspruch, dass sie darüber den Kontakt mit dem Übersinnlichen vernachlässigten, dem sie aber gleichwohl ihren enormen Einfluss verdankten. Sie bildeten Spione heran, welche die Kranken aushorchen mussten, um sich dank dieser erschlichenen Informationen mit dem Nimbus halbgöttlicher Allwissenheit schmücken zu können. Sie manipulierten mit
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Taschenspielertricks und beschworen böse Geister, an die sie selber nicht glaubten.
Wenn ein Schamane als Betrüger und Scharlatan entlarvt wurde, erging es ihm übel. Er wurde seiner Stellung enthoben und in Schimpf und Schande davongejagt. War er jedoch gerissen genug und vermochte sein Kurpfuschertum geschickt zu verbergen, so hatte er gute Aussichten, einen hohen sozialen Status und ein beträchtliches Vermögen zu erlangen. Schamanismus ist etwas, so erzählen Kwakiutl-Indianer noch heute in der Erinnerung an längst vergangene Zeiten mit einer gewissen Wehmut, "was den Erwerb von Besitztümern leicht macht".
Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass die Situation der Kranken von einer solchen Medizin nicht angemessen berücksichtigt werden konnte. Die Genesung war zwar durchaus erwünscht - im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Dobu auf Neuguinea, bei denen das Krankmachen mehr zählt als das Heilen. Aber auch in der Kwakiutl-Medizin war eine Gesundung des Patienten keineswegs Hauptanliegen, sondern insbesondere Triumph des Schamanen, und der Kranke offensichtlich nichts anderes als das armselige Opfer ehrgeiziger Medizinmänner und ihrer betrügerischen Machenschaften. Nur wenn der Patient Glück hatte, stimmten die Interessen des Schamanen mit seinen eigenen überein. Doch meistens hatte er das Nachsehen; denn das Erfolgsgeheimnis des Kwakiutl-Medizinmanns bestand nicht darin, eine Heilung zu versuchen, sondern sie lediglich überzeugend vorzutäuschen. Damit war der "ewige Patient" geboren.
Zugegeben, dieser kurze Abstecher in die Indianerzeit des 19. Jahrhunderts klingt reichlich überzogen, wenn nicht völlig absurd. Er soll jedoch lediglich als kleine Kostprobe dessen dienen, was heute, 150 Jahre nach der Ära des Wilden Westens, in unserem eigenen Kulturkreis normaler Alltag ist, was sich derzeit in durchaus ähnlicher, viel unglaublicherer Weise tausendfach in unseren Kliniken und ärztlichen Praxen abspielt - und Thema dieses Buches ist.
Medizin zur Wahrnehmung des "sozialen Sonnenscheins" wie bei den nordamerikanischen Zuni-Indianern, Krankmachen als Mittel zur Macht wie bei den Dobu auf Neuguinea, oder Pseudoheilung zur Erlangung von Reichtum und Ansehen wie bei den Kwakiutl - die deutschen Ärzte haben von allem reichlich in ihr eigenes Repertoire übernommen und fahren offensichtlich gut damit. Da Medizin keine exakte Wissenschaft ist, eher eine Herumtesterei auf Kosten des Patienten, erachtet es der Berufsstand als oberstes Gebot, sich zumindest den Anschein einer seriösen Wissenschaft zu geben. Bei diesem vergeblichen Bemühen kommt es im besten Fall zu tragikomischen, im schlimmsten Fall zu dramatischen Auswüchsen und Woche für Woche zu tausenden unnützen Todesfällen.
Erfolgreich ausgeübte Heilkunde ist vermutlich eine Kunst. Die Schulmedizin allerdings beherrscht noch nicht einmal die Kunst, Menschen gesund zu erhalten; sie kann, wenn der Arzt ein begnadeter Heilkünstler ist, bestenfalls Krankheiten heilen. Da die erdrückende Mehrheit der Ärzte von diesem Status meilenweit entfernt zu sein scheint, reicht es häufig genug auch dazu nicht. Tatsächlich sind die meisten Ärzte wissenschaftlich nicht gebildeter als ihre Schneider oder, wenn man es lieber umgekehrt ausdrücken will, ihre Schneider sind nicht weniger wissenschaftlich als sie. George Bernard Shaw, der den Ärzten in seiner weltberühmten Tragödie "Der Arzt am Scheideweg" jegliches Recht auf objektive Wissenschaftlichkeit verweigert und sich über die Leichtgläubigkeit der Patienten mokiert, behauptet: "Jeder Laie, der genügend Interesse an der Wissenschaft hat, um eine wissenschaftliche Zeitung zu lesen und die Literatur der wissenschaftlichen Bewegungen zu verfolgen, weiß davon mehr als jene Ärzte (wahrscheinlich die große Mehrzahl), die sich nicht dafür interessieren und nur praktizieren, um ihr tägliches Brot zu verdienen." Oft genug, so der irische Nobelpreisträger, ziehe der Arzt aus seiner klinischen Erfahrung entsetzliche Schlüsse, da er von der wissenschaftlichen Methode keine Ahnung hat. Und Shaw fährt fort: "Ich habe niemals irgendeinen Unterschied zwischen der Wissenschaft des Kräutlers [des Naturheilkundigen - der Verfasser] und der des geprüften registrierten Arztes zu entdecken vermocht."
Lässt die vermeintlich wissenschaftliche Medizin, wie viele Kritiker befürchten, die Menschlichkeit in den vielfältigen Beziehungen zwischen Arzt und Patient zur billigen Lachnummer verkommen? Oder ist sie, wie die wenigen Befürworter erhoffen, eher ein Hoffnungsschimmer, indem sie die als "Kunst" verbrämte Ohnmacht des Unwissens in die Macht des Wissens von Prophylaxe, Diagnostik und Therapie aller Krankheiten verwandelt? Wahr ist, dass kranke Menschen besonderer menschlicher Zuwendung und Fürsorge bedürfen und dass es Menschen, nicht medizinische Hightechspezialisten sind, die in der unüberschaubaren Mannigfaltigkeit menschlicher Mühsal Muster von therapeutischem Wert erkennen können, die kein wissenschaftliches Experiment und kein chromblitzender Roboter zu liefern vermag.
Wahr ist aber auch, dass kranke Menschen von medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen profitieren könnten, wenn die entsprechende Kompetenz vorhanden wäre. Ich habe im Herbst vergangenen Jahres bei 17 Münchener Ärzten eine Probe aufs Exempel gemacht. Das Krankheitsbild war immer dasselbe: Rückenschmerzen. Seit Jahrzehnten plagen mich von Zeit zu Zeit meine ziemlich ausgeleierten Bandscheiben, also eine Bagatelle. Das Ergebnis nach 14 Tagen war allerdings einigermaßen verblüffend: Ich hatte eine stolze Sammlung von 17 Rezepten mit 17 verschiedenen Medikamenten - litt ich auch, ohne es zu wissen, an 17 verschiedenen Krankheiten? Weitere Details meiner zugegeben höchst laienhaften, wenn auch recht kostspieligen Qualitätsstudie will ich mir an dieser Stelle ersparen; aber die Erlebnisse mit 17 wackeren Medizinern aus Bayerns schöner Metropole haben mich doch ins Grübeln gebracht.
Bei der Suche nach der Ursache von Krankheiten, aber eben auch bei der Suche nach der wirksamsten Therapie - selbst wenn, wie in meinem geschilderten Fall, die Diagnose gewissermaßen vorgegeben war - stoßen vermutlich nicht nur normale Großstadtärzte, sondern auch preisgekrönte Medizinpäpste und andere ausgewiesene Koryphäen an die Grenze heutiger Erkenntnismöglichkeiten. Was mich mal interessieren würde: Zehn frisch approbierte Jungärzte und ebenso viele frisch examinierte Heilpraktiker werden - schön der Reihe nach, versteht sich - mit zehn Patienten konfrontiert, deren Diagnosen vorher einwandfrei festgestellt wurden. Wie in etwa könnten die Resultate dieses harmlosen Wettbewerbs Ärzte kontra Heilpraktiker aussehen?
Wie wenig die Ärzte von ihrer eigenen Kunst halten, wird immer dann deutlich, wenn sie selbst krank werden. Das Deutsche Ärzteblatt, Pflichtlektüre für die 370 000 deutschen Ärzte, hat erst vor kurzem eine breite Diskussion über die Problematik des "kranken Arztes"7 angestoßen, indem es konstatierte, dass der kranke Arzt als Patient "ein ebenso armer Teufel ist wie jedermann". Da er auch "von den Kollegen nur en passant aufgeklärt wird, er aber ebensolche - wenn auch spezifisch anders gewichtete - Ängste hat wie jeder andere, befindet sich der kranke Arzt oft in einem emotionalen Vakuum, das ihn zu ersticken droht".
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum noch, dass Mediziner, die vor etwa 150 Jahren aus dem mittelalterlichen Schatten des Naturheilers und Handwerkers heraustraten, um smarte Schmalspur-Techniker zu werden, jeglichen Verdacht auf unredliches Handeln entrüstet von sich weisen und unter der selbstgeschneiderten Toga des Experten auch leiseste Zweifel hinsichtlich ihrer fachlichen Qualitäten immer wieder vehement in Abrede stellen. Der eigentliche Niedergang speziell der deutschen Medizin begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Deutschland ein weltweit einzigartiges Mekka der Medizin. Ärztliche Koryphäen aus allen Teilen der Erde gaben sich in Berlin, Göttingen und anderen Klinik-Hochburgen ein regelmäßiges Stelldichein, um die seinerzeit rasanten Fortschritte in der Heilkunst gegenseitig auszutauschen und zu diskutieren.
Nach 1945 hatten sich Renommee und Ansehen der deutschen Medizin in ihr Gegenteil verkehrt. Von dem katastrophalen Aderlass, der sich vor allem auf dem Gebiet der medizinischen Spitzenforschung innerhalb eines einzigen Jahrzehnts vollzogen hatte, konnte sich das deutsche Gesundheitswesen bis heute nicht mehr erholen. Die medizinische Elite der Weimarer Republik - rund 9500 Ärzte und Wissenschaftler - hatte zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten entweder das falsche Parteibuch oder gehörte unglücklicherweise einer in jener Zeit abgrundtief verhassten Religionsgemeinschaft an. Jetzt war die Zeit einer zweiten, qualitativ nachgeordneten Ärztegarnitur gekommen. Mit dem Segen der politischen Nomenklatura, die sich dankbar jener von rechts orientierten Ärztegruppen seit langem ausgeheckten rassehygienischen Säuberungskonzepte bediente, gelang es den damaligen Ärzteführern, sich auf ebenso heimtückische wie verbrecherische Art und Weise der unliebsamen Konkurrenz jüdischer und sozialdemokratischer Ärztekollegen zu entledigen.
Jetzt allerdings, beim Wiederaufbau nach dem Ende der Nazi-Diktatur, hatten Ärzteschaft und chemisch-pharmazeutische Industrie ein Problem: Die Besten waren beseitigt, was übrig geblieben war, konnte - von den berühmten Ausnahmen abgesehen - selbst bei wohlwollender Einstufung nur als zweite oder dritte Wahl gelten. Da der Ruf der deutschen Medizin zumindest für lange Zeit dahingegangen schien, sann die neue Führungsclique - in der Regel Mitglieder bewährter Seilschaften aus dem "Dritten Reich" - auf rasche Abhilfe. Es gelang vor allem den ärztlichen Standesorganisationen, innerhalb weniger Jahre ein Imperium zu errichten, das nachweislich, wie wir noch sehen werden, für die desolaten Verhältnisse im heutigen Gesundheitswesen verantwortlich ist. Durch Erpressung der politischen Führung Nachkriegsdeutschlands, durch Betrug und Korruption in ärztlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts, durch verlogene und dilettantische Konzepte in der ärztlichen Ausbildung, durch überregionale Fälschungskartelle im wissenschaftlich-industriellen Komplex sowie mittels erschwindelter Honorarsysteme zum Nachteil der Versichertengemeinschaft - um zunächst nur die wichtigsten Verfehlungen dieser profitgierigen, nach mittelalterlichen Zunftregeln organisierten Medizinerclique zu benennen, gelang es den zu Zeiten Hitlers eingesetzten Ärztekammern und kassenärztlichen Vereinigungen, ein offensichtliches Bollwerk - gewissermaßen einen Staat im Staate - zu errichten. Nicht unähnlich der Cosa Nostra und vergleichbarer krimineller Organisationen werden in diesen Einrichtungen die Weichen für Geldströme gestellt, die ein Mehrfaches jenes 320-Milliarden-Euro-Budgets ausmachen, das unter der Regie des Bundesgesundheits- und Sozialministeriums im derzeitigen Haushaltsjahr zur Verfügung steht.
Der Mangel an dringend benötigten Spitzenforschern aus dem Ausland, das beschämende Ausbildungsniveau junger Ärzte, permanente Fälschungs- und Abrechnungsskandale, die zunehmende Gefährdung von Patienten durch pfuschende Nieten im weißen Kittel, die erbärmliche Bilanz der klinischen Forschung, der miserable Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten sowie die offenbar kaum zu stoppende Kostenexplosion im völlig maroden Gesundheitswesen - alle diese seit Jahrzehnten zu beobachtenden Katastrophen im deutschen Medizinbetrieb haben ihre Ursachen in einem antidemokratischen "Unrechtssystem", wie es unlängst zutreffend von der altehrwürdigen Fachpublikation Münchner Medizinische Wochenschrift beschrieben wurde, das im Zentrum unserer Gesellschaft wie ein Riesentumor alle lebenswichtigen Funktionen des Staates zu überwuchern droht.Vermeintliche "Durchbrüche" deutscher Ärzte und Wissenschaftler, wie sie allenthalben in Massenmedien gefeiert werden, erweisen sich bei näherem Hinsehen als peinliches Schmierentheater, mit dem die staunende Öffentlichkeit zumeist aus Gründen der Akquirierung neuer Forschungsgelder beeindruckt werden soll. In der übrigen Welt der Wissenschaft lässt sich mittlerweile kaum noch jemand von neuen Forschungsergebnissen made in Germany beeindrucken - im Gegenteil: Führende internationale Fachzeitschriften, wie etwa Nature aus Großbritannien und Science aus den Vereinigten Staaten, tragen sich neuerdings mit dem für uns höchst beschämenden Gedanken, deutschen Wissenschaftlern aus medizinischen Forschungsbereichen künftig nicht mehr als Forum ihrer nicht selten gefälschten Interpretationen und Schlussfolgerungen zu dienen.
Wenn ein Schamane als Betrüger und Scharlatan entlarvt wurde, erging es ihm übel. Er wurde seiner Stellung enthoben und in Schimpf und Schande davongejagt. War er jedoch gerissen genug und vermochte sein Kurpfuschertum geschickt zu verbergen, so hatte er gute Aussichten, einen hohen sozialen Status und ein beträchtliches Vermögen zu erlangen. Schamanismus ist etwas, so erzählen Kwakiutl-Indianer noch heute in der Erinnerung an längst vergangene Zeiten mit einer gewissen Wehmut, "was den Erwerb von Besitztümern leicht macht".
Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass die Situation der Kranken von einer solchen Medizin nicht angemessen berücksichtigt werden konnte. Die Genesung war zwar durchaus erwünscht - im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Dobu auf Neuguinea, bei denen das Krankmachen mehr zählt als das Heilen. Aber auch in der Kwakiutl-Medizin war eine Gesundung des Patienten keineswegs Hauptanliegen, sondern insbesondere Triumph des Schamanen, und der Kranke offensichtlich nichts anderes als das armselige Opfer ehrgeiziger Medizinmänner und ihrer betrügerischen Machenschaften. Nur wenn der Patient Glück hatte, stimmten die Interessen des Schamanen mit seinen eigenen überein. Doch meistens hatte er das Nachsehen; denn das Erfolgsgeheimnis des Kwakiutl-Medizinmanns bestand nicht darin, eine Heilung zu versuchen, sondern sie lediglich überzeugend vorzutäuschen. Damit war der "ewige Patient" geboren.
Zugegeben, dieser kurze Abstecher in die Indianerzeit des 19. Jahrhunderts klingt reichlich überzogen, wenn nicht völlig absurd. Er soll jedoch lediglich als kleine Kostprobe dessen dienen, was heute, 150 Jahre nach der Ära des Wilden Westens, in unserem eigenen Kulturkreis normaler Alltag ist, was sich derzeit in durchaus ähnlicher, viel unglaublicherer Weise tausendfach in unseren Kliniken und ärztlichen Praxen abspielt - und Thema dieses Buches ist.
Medizin zur Wahrnehmung des "sozialen Sonnenscheins" wie bei den nordamerikanischen Zuni-Indianern, Krankmachen als Mittel zur Macht wie bei den Dobu auf Neuguinea, oder Pseudoheilung zur Erlangung von Reichtum und Ansehen wie bei den Kwakiutl - die deutschen Ärzte haben von allem reichlich in ihr eigenes Repertoire übernommen und fahren offensichtlich gut damit. Da Medizin keine exakte Wissenschaft ist, eher eine Herumtesterei auf Kosten des Patienten, erachtet es der Berufsstand als oberstes Gebot, sich zumindest den Anschein einer seriösen Wissenschaft zu geben. Bei diesem vergeblichen Bemühen kommt es im besten Fall zu tragikomischen, im schlimmsten Fall zu dramatischen Auswüchsen und Woche für Woche zu tausenden unnützen Todesfällen.
Erfolgreich ausgeübte Heilkunde ist vermutlich eine Kunst. Die Schulmedizin allerdings beherrscht noch nicht einmal die Kunst, Menschen gesund zu erhalten; sie kann, wenn der Arzt ein begnadeter Heilkünstler ist, bestenfalls Krankheiten heilen. Da die erdrückende Mehrheit der Ärzte von diesem Status meilenweit entfernt zu sein scheint, reicht es häufig genug auch dazu nicht. Tatsächlich sind die meisten Ärzte wissenschaftlich nicht gebildeter als ihre Schneider oder, wenn man es lieber umgekehrt ausdrücken will, ihre Schneider sind nicht weniger wissenschaftlich als sie. George Bernard Shaw, der den Ärzten in seiner weltberühmten Tragödie "Der Arzt am Scheideweg" jegliches Recht auf objektive Wissenschaftlichkeit verweigert und sich über die Leichtgläubigkeit der Patienten mokiert, behauptet: "Jeder Laie, der genügend Interesse an der Wissenschaft hat, um eine wissenschaftliche Zeitung zu lesen und die Literatur der wissenschaftlichen Bewegungen zu verfolgen, weiß davon mehr als jene Ärzte (wahrscheinlich die große Mehrzahl), die sich nicht dafür interessieren und nur praktizieren, um ihr tägliches Brot zu verdienen." Oft genug, so der irische Nobelpreisträger, ziehe der Arzt aus seiner klinischen Erfahrung entsetzliche Schlüsse, da er von der wissenschaftlichen Methode keine Ahnung hat. Und Shaw fährt fort: "Ich habe niemals irgendeinen Unterschied zwischen der Wissenschaft des Kräutlers [des Naturheilkundigen - der Verfasser] und der des geprüften registrierten Arztes zu entdecken vermocht."
Lässt die vermeintlich wissenschaftliche Medizin, wie viele Kritiker befürchten, die Menschlichkeit in den vielfältigen Beziehungen zwischen Arzt und Patient zur billigen Lachnummer verkommen? Oder ist sie, wie die wenigen Befürworter erhoffen, eher ein Hoffnungsschimmer, indem sie die als "Kunst" verbrämte Ohnmacht des Unwissens in die Macht des Wissens von Prophylaxe, Diagnostik und Therapie aller Krankheiten verwandelt? Wahr ist, dass kranke Menschen besonderer menschlicher Zuwendung und Fürsorge bedürfen und dass es Menschen, nicht medizinische Hightechspezialisten sind, die in der unüberschaubaren Mannigfaltigkeit menschlicher Mühsal Muster von therapeutischem Wert erkennen können, die kein wissenschaftliches Experiment und kein chromblitzender Roboter zu liefern vermag.
Wahr ist aber auch, dass kranke Menschen von medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen profitieren könnten, wenn die entsprechende Kompetenz vorhanden wäre. Ich habe im Herbst vergangenen Jahres bei 17 Münchener Ärzten eine Probe aufs Exempel gemacht. Das Krankheitsbild war immer dasselbe: Rückenschmerzen. Seit Jahrzehnten plagen mich von Zeit zu Zeit meine ziemlich ausgeleierten Bandscheiben, also eine Bagatelle. Das Ergebnis nach 14 Tagen war allerdings einigermaßen verblüffend: Ich hatte eine stolze Sammlung von 17 Rezepten mit 17 verschiedenen Medikamenten - litt ich auch, ohne es zu wissen, an 17 verschiedenen Krankheiten? Weitere Details meiner zugegeben höchst laienhaften, wenn auch recht kostspieligen Qualitätsstudie will ich mir an dieser Stelle ersparen; aber die Erlebnisse mit 17 wackeren Medizinern aus Bayerns schöner Metropole haben mich doch ins Grübeln gebracht.
Bei der Suche nach der Ursache von Krankheiten, aber eben auch bei der Suche nach der wirksamsten Therapie - selbst wenn, wie in meinem geschilderten Fall, die Diagnose gewissermaßen vorgegeben war - stoßen vermutlich nicht nur normale Großstadtärzte, sondern auch preisgekrönte Medizinpäpste und andere ausgewiesene Koryphäen an die Grenze heutiger Erkenntnismöglichkeiten. Was mich mal interessieren würde: Zehn frisch approbierte Jungärzte und ebenso viele frisch examinierte Heilpraktiker werden - schön der Reihe nach, versteht sich - mit zehn Patienten konfrontiert, deren Diagnosen vorher einwandfrei festgestellt wurden. Wie in etwa könnten die Resultate dieses harmlosen Wettbewerbs Ärzte kontra Heilpraktiker aussehen?
Wie wenig die Ärzte von ihrer eigenen Kunst halten, wird immer dann deutlich, wenn sie selbst krank werden. Das Deutsche Ärzteblatt, Pflichtlektüre für die 370 000 deutschen Ärzte, hat erst vor kurzem eine breite Diskussion über die Problematik des "kranken Arztes"7 angestoßen, indem es konstatierte, dass der kranke Arzt als Patient "ein ebenso armer Teufel ist wie jedermann". Da er auch "von den Kollegen nur en passant aufgeklärt wird, er aber ebensolche - wenn auch spezifisch anders gewichtete - Ängste hat wie jeder andere, befindet sich der kranke Arzt oft in einem emotionalen Vakuum, das ihn zu ersticken droht".
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum noch, dass Mediziner, die vor etwa 150 Jahren aus dem mittelalterlichen Schatten des Naturheilers und Handwerkers heraustraten, um smarte Schmalspur-Techniker zu werden, jeglichen Verdacht auf unredliches Handeln entrüstet von sich weisen und unter der selbstgeschneiderten Toga des Experten auch leiseste Zweifel hinsichtlich ihrer fachlichen Qualitäten immer wieder vehement in Abrede stellen. Der eigentliche Niedergang speziell der deutschen Medizin begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Deutschland ein weltweit einzigartiges Mekka der Medizin. Ärztliche Koryphäen aus allen Teilen der Erde gaben sich in Berlin, Göttingen und anderen Klinik-Hochburgen ein regelmäßiges Stelldichein, um die seinerzeit rasanten Fortschritte in der Heilkunst gegenseitig auszutauschen und zu diskutieren.
Nach 1945 hatten sich Renommee und Ansehen der deutschen Medizin in ihr Gegenteil verkehrt. Von dem katastrophalen Aderlass, der sich vor allem auf dem Gebiet der medizinischen Spitzenforschung innerhalb eines einzigen Jahrzehnts vollzogen hatte, konnte sich das deutsche Gesundheitswesen bis heute nicht mehr erholen. Die medizinische Elite der Weimarer Republik - rund 9500 Ärzte und Wissenschaftler - hatte zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten entweder das falsche Parteibuch oder gehörte unglücklicherweise einer in jener Zeit abgrundtief verhassten Religionsgemeinschaft an. Jetzt war die Zeit einer zweiten, qualitativ nachgeordneten Ärztegarnitur gekommen. Mit dem Segen der politischen Nomenklatura, die sich dankbar jener von rechts orientierten Ärztegruppen seit langem ausgeheckten rassehygienischen Säuberungskonzepte bediente, gelang es den damaligen Ärzteführern, sich auf ebenso heimtückische wie verbrecherische Art und Weise der unliebsamen Konkurrenz jüdischer und sozialdemokratischer Ärztekollegen zu entledigen.
Jetzt allerdings, beim Wiederaufbau nach dem Ende der Nazi-Diktatur, hatten Ärzteschaft und chemisch-pharmazeutische Industrie ein Problem: Die Besten waren beseitigt, was übrig geblieben war, konnte - von den berühmten Ausnahmen abgesehen - selbst bei wohlwollender Einstufung nur als zweite oder dritte Wahl gelten. Da der Ruf der deutschen Medizin zumindest für lange Zeit dahingegangen schien, sann die neue Führungsclique - in der Regel Mitglieder bewährter Seilschaften aus dem "Dritten Reich" - auf rasche Abhilfe. Es gelang vor allem den ärztlichen Standesorganisationen, innerhalb weniger Jahre ein Imperium zu errichten, das nachweislich, wie wir noch sehen werden, für die desolaten Verhältnisse im heutigen Gesundheitswesen verantwortlich ist. Durch Erpressung der politischen Führung Nachkriegsdeutschlands, durch Betrug und Korruption in ärztlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts, durch verlogene und dilettantische Konzepte in der ärztlichen Ausbildung, durch überregionale Fälschungskartelle im wissenschaftlich-industriellen Komplex sowie mittels erschwindelter Honorarsysteme zum Nachteil der Versichertengemeinschaft - um zunächst nur die wichtigsten Verfehlungen dieser profitgierigen, nach mittelalterlichen Zunftregeln organisierten Medizinerclique zu benennen, gelang es den zu Zeiten Hitlers eingesetzten Ärztekammern und kassenärztlichen Vereinigungen, ein offensichtliches Bollwerk - gewissermaßen einen Staat im Staate - zu errichten. Nicht unähnlich der Cosa Nostra und vergleichbarer krimineller Organisationen werden in diesen Einrichtungen die Weichen für Geldströme gestellt, die ein Mehrfaches jenes 320-Milliarden-Euro-Budgets ausmachen, das unter der Regie des Bundesgesundheits- und Sozialministeriums im derzeitigen Haushaltsjahr zur Verfügung steht.
Der Mangel an dringend benötigten Spitzenforschern aus dem Ausland, das beschämende Ausbildungsniveau junger Ärzte, permanente Fälschungs- und Abrechnungsskandale, die zunehmende Gefährdung von Patienten durch pfuschende Nieten im weißen Kittel, die erbärmliche Bilanz der klinischen Forschung, der miserable Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten sowie die offenbar kaum zu stoppende Kostenexplosion im völlig maroden Gesundheitswesen - alle diese seit Jahrzehnten zu beobachtenden Katastrophen im deutschen Medizinbetrieb haben ihre Ursachen in einem antidemokratischen "Unrechtssystem", wie es unlängst zutreffend von der altehrwürdigen Fachpublikation Münchner Medizinische Wochenschrift beschrieben wurde, das im Zentrum unserer Gesellschaft wie ein Riesentumor alle lebenswichtigen Funktionen des Staates zu überwuchern droht.Vermeintliche "Durchbrüche" deutscher Ärzte und Wissenschaftler, wie sie allenthalben in Massenmedien gefeiert werden, erweisen sich bei näherem Hinsehen als peinliches Schmierentheater, mit dem die staunende Öffentlichkeit zumeist aus Gründen der Akquirierung neuer Forschungsgelder beeindruckt werden soll. In der übrigen Welt der Wissenschaft lässt sich mittlerweile kaum noch jemand von neuen Forschungsergebnissen made in Germany beeindrucken - im Gegenteil: Führende internationale Fachzeitschriften, wie etwa Nature aus Großbritannien und Science aus den Vereinigten Staaten, tragen sich neuerdings mit dem für uns höchst beschämenden Gedanken, deutschen Wissenschaftlern aus medizinischen Forschungsbereichen künftig nicht mehr als Forum ihrer nicht selten gefälschten Interpretationen und Schlussfolgerungen zu dienen.
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Autoren-Porträt von Kurt G. Blüchel
Autoren-Porträtvon Kurt G. Blüchel
Kurt G. Blüchel, Jahrgang 1934, ist seit fast vierJahrzehnten ein intimer Kenner des Medizinbetriebs. Fünfzehn Jahre lang war erals Medizinjournalist in Pharmaindustrie, Ärzteverbänden und anderen Bereichendes Gesundheitswesens tätig. Er hat zahlreiche populärwissenschaftlicheSachbücher herausgegeben sowie mehrere gesellschaftskritische Werke verfasst,u.a. »Die weißen Magier«, »Gesundheit ist lernbar« und »Das Medizin-Syndikat«.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kurt G. Blüchel
- 2003, 415 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570007030
- ISBN-13: 9783570007037
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