Heißester Sommer
Etwas ist zu Ende: eine Frauenfreundschaft, eine alte Liebe, eine Kindheit in der Vorstadt, eine Reise ans Meer, ein ganzes Leben. Etwas hat sich verschoben, unmerklich, und alles geht weiter und nichts bleibt wie es war.
Zsuzsa Bánk erzählt von Menschen, die eines Tages einfach die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen. Von Larry, dem koksenden Dreizentnermann, der Gedichte schreibt. Von Lydia, die der Wind mitnimmt. Von Lisa, die für einen Nachmittag in das winzige italienische Bergdorf zurückkehrt, das ihre Mutter einst verließ, mitten im heißesten Sommer.
Zsuzsa Bánk erzählt von Menschen, die eines Tages einfach die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen. Von Larry, dem koksenden Dreizentnermann, der Gedichte schreibt. Von Lydia, die der Wind mitnimmt. Von Lisa, die für einen Nachmittag in das winzige italienische Bergdorf zurückkehrt, das ihre Mutter einst verließ, mitten im heißesten Sommer.
LESEPROBE Letzter Sonntag
Jetzt stehtsie da, vielleicht anderthalb Meter vor Anna, als hätte sie Angst, näher zukommen. Die anderen sind zur Seite getreten, bilden einen Halbkreis. Sie ahnen,daß sie nicht stören dürfen, wenden sich ab, zögernd, gehen ein, zwei Schritte,schauen in ihre Taschen, ihre Hefte, auf ihre Uhren. Nach Annas Vortrag hat siein der Menge gestanden und gewartet, bis die anderen ihre Fragen gestellt, mitAnna gesprochen haben, hat ihnen über die Schultern geschaut, auf Annas Tisch,auf das Papier, die Stifte. Anna ist es seltsam vorgekommen, aber sie hat sichnichts dabei gedacht, sich nicht gefragt, wer sie sein könnte, weil es vielegibt, die das tun: stehenbleiben, wenn andere schon da stehen.
Sie fragtAnna: Bist du - ?, und sagt Annas Namen, als ob Anna eine andere sein könnte,wo doch hier jeder weiß, wer sie ist, schon weil es auf den Plakaten auf dem Gang,an der Tür und am Podium steht. Später sagt sie, gleich habe sie gewußt, daßsie es ist, Anna, sie hätte nicht fragen müssen. Im Radio habe sie das Gesprächmit ihr gehört, am Morgen, in einem dieser neuen Magazine, als sie ihrenersten Tee getrunken habe, erklärt sie, fast, als müsse sie sich entschuldigen,dafür, daß sie hier steht und Anna anspricht. Aufgesprungen sei sie, um dasRadio lauter zu drehen, die anderen seien sofort still gewesen, um zuzuhören,und dann sei sie durch die Stadt gefahren, habe auf ihre Uni, ihre Kurseverzichtet, ihre Eltern seien einverstanden gewesen, sei durch diese Hallegelaufen, durch diese große Halle, um jetzt, hier,
vor Anna zustehen. Sie fragt, also, bist du?, und sagt Annas Namen, ihren ganzen Namen,mit einer Stimme, die wenig sicher, die fast ängstlich klingt, und Anna denkt,was fällt ihr ein, was erlaubt sie sich, sie weiß doch, daß ich es bin, jederhier weiß es, und sie sagt, ja, die bin ich, in einem Ton, der zu verstehengibt, daß sie nicht
Márti istes, die jetzt ihren Namen sagt, den Anna schon weiß: Márti. Anna kennt ihreEltern. Sie kennt sie gut, besonders ihre Mutter, und sie fragt, obwohl esunnötig ist, dann bist du die Tochter von - ? Márti nickt, schnell, eifrig, alshabe Anna sie endlich erlöst, endlich befreit, mit dem Namen ihrer Mutter, denAnna jetzt noch einmal sagt, Zsóka, langsam, als wollte sie jeden einzelnen Buchstabenklingen lassen, Zs-ó-k-a, um dann Mártis Namen zu sagen, mit einemüberdeutlichen: Du bist also, als müßte sie sich dem Gedanken, daß sie es ist,für die Anna sie von Anfang an gehalten hat, doch erst annähern. Anna liegtdieser Satz auf den Lippen, vom Zeitvergehen, vom Großwerden, aber sie sagtihn nicht.
Sie geheneinen kleinen, bleibenden Schritt aufeinander zu, oder nur Anna geht ihn, undMárti bleibt stehen. Sie umarmen sich, ungeschickt und kurz, als wüßten beide nicht,wie man sich umarmt, in solchen Momenten. Márti kämpft mit den Tränen,entschuldigt sich dafür, sucht nach einem Taschentuch, in das sie sich schneuzenkann, und Anna sagt schnell, was ihr als erstes in den Sinn kommt, vielleicht,um Mártis Suchen etwas entgegenzusetzen. Sie sagt, wir haben uns lange nicht gesehen,ich glaube, als du acht warst, warst du mit deinen Eltern bei uns, kann dassein? Ich weiß noch, wie
du warst,als Mädchen, ich weiß es noch genau, auch daß du den Tee nicht hattest trinkenwollen, wegen seiner Farbe. Márti schaut ungläubig, vielleicht, weil Anna sichan Dinge erinnert, die andere sofort vergessen, und über die sie redet, alsseien sie entscheidend. Anna fragt, wie alt bist du, und Márti antwortet, genauzwischen einundzwanzig und zweiundzwanzig, in einem Ton, der Anna etwasentgegenhalten soll, fast auftrumpfend, als sei das die beste Antwort, die manauf Annas Frage geben kann.
Sie stehenein bißchen verloren. Anna sagt, ich habe keine Zeit, du siehst ja, dreht sichum und deutet in die Menge, mit einer Geste, die ihr nicht gefällt, weil sie zugroß geraten ist. Márti erwidert, ja, ich sehe es, bleibt aber trotzdem stehen,rührt sich nicht, als sei das kein Grund, nicht für sie, als habe sie dasRecht, das unbedingte, bei Anna, mit Anna zu sein. Sie verabreden sich für dennächsten Tag. Anna schlägt vor, sie solle ihre Eltern mitbringen, die anderenauch, am besten die ganze große Familie, und Márti sagt, das werde ich, wiederin diesem Ton, lauter, forscher, als habe sie gesiegt, einen Kampf für sichentschieden. Sie umarmen sich noch einmal, zum Abschied, etwas länger, etwasfester, ihnen gelingt ein Lachen, und Anna sagt, wie zur Belohnung, schön, daßdu gekommen bist, es ist schön, dich zu sehen.
© S. FischerVerlag
- Autor: Zsuzsa Bánk
- 2005, 1. Auflage., 160 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100052218
- ISBN-13: 9783100052216
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