Ich habe mich gewarnt
Doch nur wenige kennen die andere Seite von Hugo Egon Balder. Seine Mutter und sein älterer Bruder überlebten das KZ Theresienstadt, und sein Vater, ein Textilhändler, ging nach dem Krieg ein großes Wagnis ein - er gab Berlins erste von den Alliierten genehmigte Zeitung heraus. Der legendäre Quizmaster Hans Rosenthal gehörte zu den engsten Freunden der Familie.
Ich habe mich gewarnt von Hugo Egon Balder
LESEPROBE
»Lach über die Dinge, dann hältst du sie aus«
Ich habebegriffen. Leider zu spät. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, immer meinemersten Impuls zu folgen. Wer das tut, liegt meistens richtig. Einmal habe iches nicht getan - und es bitter bereut.
Tut mirleid, Gerda!
Gerda istmeine Mutter. Sie starb am 23. April 1997 im Alter von 86 Jahren. Es war einMittwoch. Ich hätte sie noch einmal in den Arm nehmen, ihr die Hände halten,ihr einen Kuß geben können vor ihrer letzten Reise. Hätte ich mal ... Aber washab ich gemacht? Auf RTL das Spiel Manchester gegen Dortmund geguckt,Champions League. Lars Ricken schoß den Ruhrpott ins Halbfinale gegen JuventusTurin.
Das war einrelaxter Ausklang eines stressigen Tages, der mit einem Flug von Köln nachParis begonnen hatte. Zusammen mit meinem Freund und Produktionspartner Jacky Drekslerschaute ich mir dort eine Aufzeichnung der Musikshow »Taratata« an. Die Großender Musikbranche gaben sich die Klinke in die Hand, plauderten ein bißchen,sangen live und verschwanden wieder. Alles wirkte sympathisch unaufgeregt.
An jenemTag war Julio Iglesias zu Gast. Wir erzählten ihm, daß wir uns »Taratata« auchin Deutschland vorstellen könnten, und er versprach, dann auch zu uns zukommen. Es war die Zeit, als deutsche Fernsehschaffende sich noch die Mühe machten,Formate im Ausland zu klauen ...
Mit Jacky,den ich noch als Gesamtkunstwerk der deutschen TV-Unterhaltung würdigen werdeund den einige fast ehrfurchtsvoll als »Die Legende« bezeichnen, hatte ichzusammen 150 Folgen von »RTL Samstag Nacht« produziert.
Auf demRückflug waren wir irgendwie aufgekratzt. Jacky fragte mich, ob ich schon malwas mit einer Stewardeß hatte. »Nee«, sagte ich. »Du?« Jacky schüttelte nur denKopf, aber die Tatsache, daß er auf den Rand der FAZ die drei Begriffe »Mittagessen- Abendessen - Stewardessen« aufschrieb, machte mich stutzig.
Vom KölnerFlughafen aus rief ich gleich in der Senioren-Residenz Kursana an, um michnach dem Zustand meiner Mutter zu erkundigen. Sie hatte in den vergangenenWochen körperlich stark abgebaut und war sicherheitshalber auf die Pflegestationverlegt worden.
»Sie müssen sich keine Sorgen machen, Herr Balder«, sagte diediensthabende Schwester zu mir. »Ihrer Mutter geht es den Umständenentsprechend gut. Sie schläft schon, und wenn Sie morgen früh kommen, wird siesich freuen, Sie wiederzusehen.«
Da war icherleichtert. Mir war eine Entscheidung abgenommen. Ich war auch schon etwasmüde. Und dann lockte noch das Fußballspiel.
Am nächstenMorgen klingelte mein Telefon. Die SeniorenResidenz. Meine Mutter sei amspäten Abend verstorben. Herzliches Beileid.
Ich habeden Anruf eigentlich nur zur Kenntnis genommen und zeigte kaum Emotionen.Später hat mir mal ein Psychologe erklärt, daß viele gar nicht in der Lagesind, die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen auf Anhieb zu begreifen. DasGehirn geht erst einmal auf Abwehr - und mancher neigt zu eigenwilligenReaktionen, die auf andere sehr befremdlich wirken.
Ein Freunderzählte mir, daß seine Mutter, als sie vom Tod ihres Mannes erfuhr, inheiterem Tonfall zu ihm sagte: »Jetzt haben wir uns doch gerade so einen großenKühlschrank gekauft - und jetzt bin ich ganz allein, ist das nicht komisch?« DasNebensächliche rückt plötzlich in den Vordergrund. Verdrängung.
Ich habe andiesem Morgen eine ganze Schachtel Marlboro gefrühstückt, mir das Ricken-Tornoch einmal angeguckt und einen Blick in die »Bildzeitung« vom Vortag geworfen:Gaby Bauer wird Nachfolgerin von Sabine Christiansen als Moderatorin der»Tagesthemen« - Kanzler Kohl wirft SPD-Chef Lafontaine vor, die Steuerreformder Regierung zu blockieren - Linda de Mol hat einen Jungen zur Welt gebracht.Er heißt Julian. Dann bin ich mit meinem Auto durch eine Waschanlage gefahren.Gerdas Tod hatte mich noch nicht erreicht.
AmNachmittag rief ich meine beiden Brüder Peter und Harry in Berlin an. Man hattesie schon informiert. Sie waren sehr gefaßt, und wir verständigten uns darauf,daß wir Gerda in Rösrath bei Köln beisetzen lassen wollten, wo sie sich in denletzten Jahren ja sehr glücklich und behütet gefühlt hat. 1993 hatten meinedamalige Frau Natascha und ich sie von Berlin in unsere Nähe geholt.
(...)
© Rütten & Loening Berlin GmbH 2004
Interview mit Hugo Egon Balder
20 Jahre nach seinem Erfolg mit "Tutti Frutti" steht der TV-Entertainer Hugo Egon Balder inder Comedyshow "Genial daneben" wieder vor denFernsehkameras. Als Produzent von Formaten wie "SamstagNacht" zog er viele Jahre hinter den Kameras die Strippen. In seinerBiographie "Ich habe mich gewarnt" präsentiert der Berufs-Humorist jetzt auch eineandere Seite: Er schildert die Erlebnisse seiner jüdischen Familie während derNazi-Diktatur. Wir haben persönlich mit ihm gesprochen.
Seit Dieter Bohlen gibt es einenrichtigen Biographien-Boom. Warum haben Sie jetzt Ihre Biographie geschrieben?
Da müssenSie den Verlag fragen, keine Ahnung. Ich wollte keine schreiben. Bernd Philipp,ein langjähriger Freund von mir, hat mich angesprochen auf einen Artikel übermich in der Zeit, der etwas anders warals die normalen Artikel. Der Typ da hat mich einfach andere Sachen gefragt.Nach meinem Elternhaus usw. Und da hat Bernd Philipp mich gefragt: Das war dochalles sehr interessant, was da stand, können wir das nicht mal ausweiten undaufschreiben? Ne, das will ich nicht, hab ich gesagt. Aber dann haben sich dieVerlage bei mir gemeldet. Und sehr gebohrt. Und dann hab ich gedacht, na gut,ich versuch das mal, aber ich mach das anders. Ich will nicht in die gleicheSchiene kommen wie ich weiß nicht wie sie alle heißen. Leute denunzieren usw.Ich hab das begriffen als Chance, den Leuten, die mich nur als Titten-Hugo kennen, wenn sie es denn wollen, zu zeigen,dass ich außer diesem Programm noch anderes gemacht habe.
Ja, ichfinde jeder sollte ein Buch schreiben. Es ist erstaunlich, welche Zusammenhängeman erkennt und plötzlich merkt, ah, daran liegt das. Das ist toll. Ich willnicht sagen, dass ich ein völlig anderer Mensch bin, aber das hat mich ziemlichgeprägt. Ich bin auf einmal viel, viel ruhiger und gelassener. Das ist wieTherapie.
Sie sind von Beruf Humorist, aberman hat den Eindruck, dass Sie privat ein sehr ernster Mensch sind - Stimmtdas?
DasSchlimme ist bei mir, dass sogar meine engste Umgebung, meine Frau, nichtmitkriegt, wenn ich etwas habe. Weil ich es nicht zeige. Ich behalte es fürmich und versuche selber damit klarzukommen, ohne irgendjemand damit zubehelligen. Früher war es so, dass Leute, wenn ich mal reinkamund nicht sofort was gemacht habe, worüber alle lachen konnten, gefragt haben,ob mit mir irgendwas sei. Man ist es gewohnt von mir, dass ich immerirgendeinen lockeren Spruch draufhabe. Ich mach das auch gern, aber ich habezwei Seiten.
In welche Seite von Ihnen hat sichIhre Frau verliebt? In die öffentliche oder in die private?
In dieöffentliche. Meine Frau weiß immer noch nicht genau wie ich wirklich bin.Natürlich weiß sie mehr als alle anderen. Aber sie ist immer noch nicht bis zumKern vorgedrungen. Wird sie auch nie können.
Ist Komik ein Handwerk, das manerlernen kann?
Ne, Humorverständnismuss man in sich haben, das kann man nicht lernen. Das Talent hat man und kannes dann im Laufe der Jahre verfeinern. Ich habe lange überlegt, woran liegtdas, dass es momentan so boomt bei mir. Das muss doch nenGrund haben. Ich glaube es liegt am Alter. Ich habe genügend Erfahrung, umSachen anzugehen, ich bin einfach ruhiger. Außerdem habe ich gelernt, vomTheater noch, mich hauptsächlich mit jungen Leuten zu umgeben. Von denen kannman sehr viel lernen. Man darf nicht den Fehler machen zu glauben, dass manalles besser weiß.
Sie haben eine klassischeSchauspielausbildung und haben viele Jahre als Staatsschauspieler gearbeitet.Was haben Sie dabei gelernt?
Üben, üben,üben, Disziplin, was Pünktlichkeit angeht usw. Dass ich damals mit 23 gleichans renommierte Schiller-Theater kam, hat mir sehr gut getan. Ich sage mal ganzblöd, man lernt dort so etwas wie Demut vor dem Job. Man kommt da hin und merktsofort, man ist ganz klein. Und dann versucht man dahin zu kommen, wo dieanderen sind. Man hört zu, beobachtet und lernt. Das Wichtigste, was ich dagelernt habe, ist: immer üben.
Bei Ihrer aktuellen Comedy-Show"Genial daneben" wird angeblich überhaupt nicht geübt. Dort passiert allesspontan.
Das istauch etwas völlig anderes. Die Jungs und Mädels da haben schon vorher geübt. Diekönnen das alle, die sind alle bühnenerfahren. Die machen Tourneen ohne Ende,die treten vor zig tausend Leuten auf. Die wissen wie man ne Pause setzt undwann man, was antworten muss. Eine Pointe kann man ja nur dann bedienen, wenndas, was man sagt, noch besser ist. Sonst sollte man lieber den Mund halten.Anders hätte ich die Sendung auch gar nicht gemacht. Alle haben mich gefragt,wie soll das denn gehen? Ich stelle einfach nur Fragen. Und was sagen dieComedians dann? Das weiß ich doch nicht, hab ich geantwortet. Mittlerweile istes so, dass die Comedians mich anrufen und fragen: Wann kann ich wieder kommen?
Haben Sie Hella von Sinnen mit insTeam geholt?
Ja, aufeiner Autofahrt habe ich ihr gesagt, dass ich gerne möchte, dass sie mitmachtund sie hat gemeint: Ich kann das nicht. Ich hab gesagt, lass es uns probieren.Und dann war sie bei der Pilotsendung dabei und seither gehört sie dazu! Hellaund Bernhard Hoecker wollte ich immerdabei haben. Hoecker okay, aber Hella, hieß es dann.Aber die Zuschauerumfragen haben es bewiesen: Ich hatte mal wieder recht! Allewollten Hella. Manchmal muss ich mich richtig gegen die Leute durchsetzen und sagen:Red keinen Stuss, du kannst das! Umgekehrt nehme ich niemanden in die Sendungmit rein, bei dem ich Angst habe, dass er sich blamiert. Nicht, weil ich dieLeute nicht mag. Viele sind gut auf der Bühne, aber da nehmich sie nicht rein, weil ich genau weiß, dass sie abstinken.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach,dass "Genial daneben" so ein erfolgreiches Format ist?
Uns istgelungen, was alle machen wollen: Familienfernsehen. Überlegen Sie mal, was siemachen müssen, damit der 13-Jährige am Samstagabend genauso vor der Glotzesitzt wie die 80-jährige Oma. Auf der einen Seite bräuchten sie Xavier Naidoo und auf der anderen Helmut Lotti. Das geht ja nicht.Bei uns gucken Jung und Alt zu. Weil man sieht, die haben Spaß dran.
Sie hatten vor kurzem eineBlinddarm-Notoperation - War Ihnen bewusst wie nah Sie dem Tod waren?
Nein, dadenkt man nicht dran. Man will einfach nur, dass das Ding gemacht wird. Undjetzt ist alles vorbei, nichts mehr zu sehen. Auch fast keine Narbe, wollen Siemal sehn? (hebt seinen Pullover an) Das war so ein guter Arzt, der hat das innicht mal einer Stunde gemacht.
Die Fragen stellteNicole Brunner / lorenzspringer medien
- Autor: Hugo Egon Balder
- 2004, 271 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Mit Bernd Philipp
- Verlag: RÜTTEN & LOENING
- ISBN-10: 3352006504
- ISBN-13: 9783352006500
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