Ich war einmal abends...

Henrike Wilson, geb. 1961 in Köln, studierte dort und in den USA Grafikdesign und Malerei. Heute lebt und arbeitet sie als freie Illustratorin in Berlin. Ihre Bilderbücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Kinderbuchmacher wollen immer innovativ sein. "Innovation" ist sowieso das Wort Nummer 1 in allen bildungstheoretischen Zusammenhängen. Dabei wird, wie wir wissen, oft ziemlicher Unsinn eingeführt. Als ob es nicht schon immer kluge Leute gegeben hätte, die wussten, wie Kinder die Welt und das Leben am besten kennenlernen, und die danach mit Kindern gelebt und gearbeitet haben. Aber das bedeutet nicht, dass es nicht manchmal kluge, neue Ideen gibt, wie man Kindern begegnen kann. Dieses kleine schöne Buch ist ein hervorragender Beleg dafür. Der Clou dafür heißt: "Endlosbuch". Früher hätte man vom Kreislauf des Geschehens gesprochen, aber gut, dieser Begriff beinhaltet etwas, was alle Erwachsenen zur Kenntnis nehmen sollten: Je kleiner das Kind, umso mehr weiß es das Vertraute zu schätzen. Es will nicht jeden Tag ein neues Buch, nein, im Gegenteil: Es will ein und dasselbe Buch immer wieder lesen, so lange, bis es wirklich ausgelesen ist. Dieses Endlosbuch hat aber kein Ende; es geht immer weiter, weil es immer wieder von vorne beginnt - und genau das ist herrlich: "Noch einmal!", "Weiter!", rufen die Kinder, denn es muss immer weitergehen, so lange, bis das Kind wirklich begriffen hat, dass niemand sich fürchten muss, weil alle Helden dieser Geschichte die Erfahrung machen dürfen, dass es nur darauf ankommt, wie man mit seinen Freunden und Feinden umgeht. Der Fuchs wird dem Hasen nichts tun, weil dieser eine schöne Geschichte zu erzählen hat, und auch das Eichhörnchen wird von der Eule nicht gefressen, denn auch die Eule will erzählen. Was für ein Gedanke: Kultur statt Nahrungskette. Mögen die Erwachsenen einwenden, dass man aber trotzdem essen muss, um satt zu werden. Das ist richtig, aber: Man kann auch Karotten essen! Gabriele Hoffmann (Leanders Leseladen, Heidelberg)