Ich war Freimaurer
Burkhardt Gorissen, früher als "Großredner" Propagandachef der deutschen Freimaurer, ermöglicht faszinierende Blicke hinter die Kulissen des weltweit organisierten Männerbundes. Unter anderem zeigt der Insider auf, was hinter der...
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Produktinformationen zu „Ich war Freimaurer “
Burkhardt Gorissen, früher als "Großredner" Propagandachef der deutschen Freimaurer, ermöglicht faszinierende Blicke hinter die Kulissen des weltweit organisierten Männerbundes. Unter anderem zeigt der Insider auf, was hinter der Humanität der Freimaurerei steckt.
Lese-Probe zu „Ich war Freimaurer “
Ich war Freimaurer von Burkhardt GorissenVorwort
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Bücher über Freimaurerei sind nichts ungewöhnliches, davon gibt es etliche, die in Bibliotheken verstauben. Entweder handelt es sich um Jubelarien (von Freimaurern selbst), freundliche wissenschaftliche Betrachtungen (von der Freimaurerei unterstützt) oder sogenannte Verräterbücher und Verschwörungstheorien. Letztere sind besonders beliebt, weil sie sich wie Reality-Krimis lesen. Der Autor bewegt sich damit auf sicherem Terrain. Er erreicht einen schon im voraus festgelegten Fankreis und kann im Reich des Spekulativen Luftschlösser bauen. Die Freimaurer halten nur halbherzig dagegen. Seit Jahrhunderten leben sie gut von Geheimniskrämerei und öffentlicher Spekulation. Bücher wie „Illuminati" oder „Sakrileg" sorgen für Publicity, und die wiederum bringt neue Mitglieder. Ihre Hochzeit hat die Freimaurerei längst hinter sich, die Mitgliederzahl ist stark rückläufig, die Logen sind überaltert. Der Altersdurchschnitt liegt im Mittel bei 62 Jahren, die Freimaurer schönen ihrerseits diese Zahl. Inzwischen unternimmt man viel, um die „diskrete Gesellschaft" populärer zu machen. Öffentliche Groß-Veranstaltungen wie der „Kulturpreis der Deutschen Freimaurer" sollen dazu beitragen. An ihrem Status ändert das wenig. Das dunkle Geheimnis dieser Bruderschaft bleibt. Einerseits steht sie da, als geschichtliche Größe, andererseits als Club, über dessen Existenz viele erstaunt sind. Das Urteil über die Freimaurerei fällt entsprechend zweischneidig aus: Weltverschwörer oder Biedermänner? Wer die deutschen Logen und Großlogen von innen kennt, wird zu Recht daran zweifeln, dass ein Verein, in dem wohlmeinendes Kleinbürgertum und die Jagd nach Posten, Anerkennung und Orden vorrangig sind, die Geschicke der Welt lenkt. Wir sprechen hier, um keinen Irrtum aufkommen zu lassen, von der Freimaurerei, die für jedermann zugänglich ist. Diese wäre ja nur dann geheim, wenn sie weder im Telefonbuch zu finden wäre, noch in Internet-Auftritten bunte Bildchen von ihren Tempeln präsentierte oder öffentliche Informationsabende veranstaltete. Wie könnte eine wirklich einflussreiche Persönlichkeit in einer solchen Gesellschaft ohne Wissen der Öffentlichkeit tätig sein?
Freimaurer kokettieren gern mit ihrer obskuren Vergangenheit und bezeichnen sich als „Gesellschaft, die ein Geheimnis hat", oder reden von der „Verschwörung zum Guten". Gern genommen wird auch die Bezeichnung „Kinder der Aufklärung". Gemeint ist damit der hochtrabende Anspruch, den Menschen „von der Last der Vorurteile" zu befreien, wie es in einem Ritualtext heißt. Doch die Misere der Gegenwart bestand nicht immer. Untersucht man die historische Bedeutung dieser Gruppierung, muss von einer einflussreichen Gesellschaft gesprochen werden. Freimaurer wie Washington, Voltaire, Rousseau, Danton, Robespierre, Friedrich der Große, Goethe, Mozart, Rathenau, Stresemann und andere Größen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur gehörten zu den einflussreichsten Figuren ihrer Zeit. Die Liste der Prominenten ist lang und liest sich wie ein „Who's who" der Weltgeschichte. In Freimaurerkreisen ist man in einer Zeit des Mangels stolz auf diese Tradition. Nach wie vor fühlt man sich als Elite, obwohl selbst Promis der B- und C-Kategorie in den eigenen Reihen seltener sind als weiße Raben. Ob und inwieweit früher in Logen große Politik gemacht wurde, lässt sich im nachhinein nicht zweifelsfrei feststellen. Dennoch ist wahrscheinlich, dass beispielsweise die freimaurerischen Väter der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung nach ihren Tempelarbeiten kaum über das Wetter oder die Goldlitzen an ihren Ordensbändern gesprochen haben. Ebenso darf man davon ausgehen, dass sich die Mächtigen dieser Welt immer in Einflusszirkeln getroffen haben und treffen, zu denen Normalbürger keinen Zutritt finden. Ein solcher Zirkel ist dann wirklich eine völlig geheime Gesellschaft. Die Verschwörungsakrobaten aller Länder und Zungen könnten sich in alle Himmelsrichtungen verrenken, ohne nur einen Hauch davon mitzubekommen. Nein, es lässt sich nicht von der Hand weisen, die Freimaurerei der früheren Jahrhunderte besaß den Charme und Charakter einer wirklichen Geheimgesellschaft. Beides haben die Logen, die landläufig nahezu alle als eingetragene Vereine fungieren, längst eingebüßt. Sie sind nicht einmal der Soufflierkasten des großen Welttheaters. Natürlich machen sie sich schön und verbreiten ihr Humanitätsvokabular in Zeitungsannoncen oder lassen sich in Wissenschaftsmagazinen als „diskrete Gesellschaft" abfeiern. Geheimniskrämerei macht interessant. Und ist nicht doch ein Körnchen Wahrheit daran? Stimmt es nicht, dass der italienische Freimaurerbund den Papst stürzen wollte? Dass die Freimaurerei Säkularisierung und Laizismus will und relativistische Forderungen durchsetzt? Dass die italienische Geheimloge P2 nicht nur freimaurerische Rituale, sondern auch ihre verbrecherischen Geschäfte - bis hin zum Mord - durchgeführt hat? Es stimmt. Auch wenn jeder Freimaurer bei diesen Fragen ins Schlingern gerät und mit absurden Erklärungen aufwartet wie: Loge und Freimaurer seien keine geschützte Begriffe. Die Freimaurerei hält sich heilig. Interessant bleibt, weshalb diese Bruderschaft heute im Niemandsland der Geschichte vor sich hindümpelt. Ich meine, das ist leicht zu erklären: Der „Geist der Macht" hat sich aus der Freimaurerei zurückgezogen. Übrig blieb eine Larve, jene sichtbare, heute für jedermann zugängliche Maçonnerie. Verschwörungstheoretiker würden sagen: perfekte Tarnung. Vielleicht.
Der Außenstehende besitzt nichts anderes als seine Kenntnisse von niedergeschriebenen Berichten und Zitate von Zitaten von Zitaten. Fassen lässt sich nur, was einem selbst wiederfährt. Nur wer selbst als Suchender mit verbundenen Augen in den Tempel geführt oder aus dem Sarg erhoben worden ist, weiß, wie das ist. Nur wer selbst beim Eintritt in den 30. Grad die Säulen-Pforte umgekippt hat, um, wie es im Ritualtext heißt, symbolisch zu erfahren, dass jede Form der Religion und Philosophie zusammenbrechen wird, weiß, wie das ist. Erst, wer im 32. Grad sieht, wie die Bilder von Zarathustra, Buddha, Sokrates, Mohammed und Jesus beliebig nebeneinandergestellt werden, spürt etwas von der freimaurerischen Diktatur des Relativismus. Sagen lässt sich nur, was man mit eigenen Augen gesehen, am eigenen Leib erfahren und getan hat, als man in dieser Welt war. Das alles lag auf meinem Weg, das alles habe ich beschrieben. Mein Hauptaugenmerk galt meiner Bekehrung zu Jesus Christus. Freimaurerei spielt nur insoweit eine Rolle, als ich als Großredner der größten deutschen Großloge, der „Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland", diese Freimaurerei in Reden, Referaten und Artikeln präsentiert und repräsentiert habe und als Hochgradfreimaurer in jene vermeintlich geheimnisumwitterte Welt eingetaucht bin, die sich bei näherer Betrachtung als Banalitätenkabinett und Jahrmarkt der Eitelkeiten entlarvte. Dass die meisten meiner ehemaligen Brüder meinen Schritt zu Gott hin kaum nachvollziehen können, habe ich anhand der Reaktionen gemerkt, die nach meinem Austritt erfolgten. „Willst du jetzt Weihwasser trinken?" „Willst du dich kastrieren lassen?" „Kirche ist Mittelalter." Diese Aussagen gab es. In der Mehrzahl waren sie nicht. Es gab viele Anrufe, E-Mails und Briefe, Rückholaktionen, freundliche Überredungsversuche, ernste Mahnungen. Ein anonymer Anruf hat mich kurzzeitig etwas stutzig gemacht: „Den Verrat liebt man, aber nicht den Verräter. Du weißt, was mit Verrätern passiert?" Wir werden später noch auf den Freimaurerischen Eid zu sprechen kommen, in dem der Aufgenommene gelobt, sich eher die Kehle durchzuschneiden, als Verrat zu üben. Für einige Freimaurer, deren Denken bedauerlicherweise in recht überschaubaren Bahnen verläuft, wird alles zum Verrat, was nicht nach Propagandschaft klingt. Ins Schwanken bringen konnte mich das alles nicht. Dieses Buch ist kein Verräter-, sondern ein Bekenntnisbuch. Insofern hoffe ich, dass nicht nur viele meiner ehemaligen Brüder meinen Weg zu Jesus Christus akzeptieren, sondern ihm folgen. Was für mich galt, gilt auch für andere: Das wahre Licht wird erst sichtbar durch tiefe Gotteserfahrung. Das ist, was ich jedem wünsche, der sich auf einem Irrweg befindet.
Insofern ist dieses Buch eine intensive Auseinandersetzung mit der Freimaurerei, wie sie von seiten der Brüder immer gefordert wird. Eine Auseinandersetzung kann man allerdings nur dann führen, wenn alle Parteien offen sind und nicht unter Maßgabe unsinniger Arkana Geheimnistuerei betreiben. Damit, dass Außenstehende mehr über die Freimaurerei sagen dürften als die Freimaurer selbst, kokettieren verschiedene Großmeister seit Jahren. Warum sagt man es nicht selbst? Vielleicht, weil man von den Verschwörungstheorien profitiert? Dabei wäre es für einen Enthüllungsjournalisten furchtbar einfach, sich Zugang zu einem Freimaurereitempel zu beschaffen. Wie, zeigt das Kapitel „Der Do-it-yourself-Freimaurer".
Ganz sicher ist die Freimaurerei längst nicht so wichtig, wie sie sich selber nimmt. Als Hans Küng 2007 beim Kölner Großlogentreffen den Kulturpreis der Deutschen Freimaurer verliehen bekam, bequemte sich gerade mal die dritte Garde der Lokalpolitik zur Preisverleihung. Landes- oder gar Bundespolitiker hielten sich weit entfernt von der Hinterhofbühne der Freimaurerei. Die Presse war nur spärlich vertreten, das Fernsehen überhaupt nicht. Ähnlich verhält es sich bei allen freimaurerischen Kulturveranstaltungen, Ausstellungen, Rezitations- oder Liederabenden. Jede Vernissage einer Vorstadtsparkasse stößt auf breitere Resonanz. Dennoch hält sie viel von sich: „Als diesseitsorientierte Freundschaftsbünde mit primär ethischer Zielsetzung sind Logen und Großloge keine Religionsgemeinschaften und bieten folglich auch keinen Ersatz für Religion an." Phrasendrusch dieser Art findet man zuhauf auf der offiziellen Website der Großloge der „Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland". Er wird von unzähligen Freimaurermündern unhinterfragt wiedergekäut. Nicht unwichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Freimaurerei entgegen ihrer landläufig bekannten Propaganda sehr wohl religiöse Wurzeln hat und durchaus Dogmen kennt.
Abgesehen davon, dass die Freimaurerei sich wie ein Chamäleon ins Schaufenster der Weltgeschichte stellt, wirken ihre Selbstdarsteller mitunter grotesk. So sieht der Großmeister der Vereinten Großlogen auf der Homepage aus wie ein Büßer, dem die Aura verrutscht ist. Seine grinsende Gestalt ist umhüllt von gleißendem Licht. Ein schlecht nachgeahmtes Heiligenbild. Bruder Tucholsky hätte für derartig offen zur Schau getragenen Biedersinn nicht einmal ein Spottgedicht übrig gehabt.
Wenn der Satz stimmt, dass viele Wege nach Rom führen, führte meiner über die Freimaurerei. Damit verbunden etliche Irrwege. Vielleicht kann dieses Buch Entscheidungshilfe zur Selbstfindung sein, nach der viele Menschen heute suchen. Der Mystiker Angelus Silesius drückt das in einem knappen Vers so aus: „Mensch, werde wesentlich, denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht." Diese göttliche Sentenz beschäftigt mich, seit ich sie mit 14 in einem Lesebuch las. Jahrzehnte später hörte ich sie im Meisterritual. Die geheime Bruderschaft, die in all ihren Irrtümern, Nachbildungen und Verballhornungen auch diesen Spruch für sich ausbeutet, führt leider nicht zu höherer Erkenntnis. Der Suchende erlebt nichts außer bitteren Enttäuschungen. Immer wieder betritt er einen leeren Raum - begleitet von geheimen Meistern, die zwar keine Gold-, dafür aber Sprüchemacher sind. Schwer wiegt hingegen Lessings Spruch: „Freimaurerei war immer". Doch den Weg zum persönlichen Heil bietet dieser Club der toten Dichter nicht. Eine Umkehr, die Freimaurer mit Verweis auf „ihren" Johannes den Täufer gerne anführen, ist undenkbar. Metanoia im christlichen Sinn meint auch etwas anderes: den Aufbruch zu einem radikalen und totalen Bewusstseinswandel. Davon möchte ich berichten.
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes habe ich die Namen abgeändert, bis auf diejenigen, die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Verschweigen will ich nicht, dass die Trennung von der Freimaurerei sowie das Schreiben dieses Buches zähes Ringen erforderte und die Kraft des Gebets. Deshalb will ich an dieser Stelle besonders all jenen danken, die für mich gebetet haben.
Teil 1
Die Suche
Osternacht 2008
Ostersamstag, und es schneit. In diesen Tagen Mitte März lässt die Kälte keine Hoffnung auf Frühling aufkommen. Vierzig Tage und vierzig Nächte im Klammergriff eines nicht nachlassenden Winters, als hätte jemand die Tür zu einem Eisschrank aufgemacht, aus dem die ganze Kälte der Welt hereinströmt. Zum Glück hat sich der Wind gelegt. Der Schnee trudelt in dicken Flocken zu Boden. Innerhalb weniger Stunden sind Straßen und Autos eingeschneit. Weil mir die Osternachtsfeier in meiner Heimatgemeinde St. Cornelius zeitlich nicht auskommt, will ich nach Viersen zu St. Remigius. Ich laufe dem Bus davon und nehme ein Taxi, in der Hoffnung, es mogelt sich schneller durch den stockenden Verkehr. Eine Kette roter Bremslichter zieht sich stadtauswärts, ein leuchtender Bogen in der Dunkelheit. Auf der Gegenseite stehen die Scheinwerfer meilenweit dicht an dicht. Als ich ins Taxi steige, fiepst mein Handy, eine SMS: „Brauchen dich nächste Woche als Redner. Ruf zurück. Dringend!" Ich drücke die Nachricht weg und schalte das Handy aus. In den nächsten Stunden soll es mich nicht mehr stören. Hinter der Kreuzung fließt der Verkehr wieder. Der Taxifahrer beschleunigt. Auf der freien Strecke peitschen Windböen Schnee gegen die Windschutzscheibe. Der Fahrer schimpft auf den städtischen Streudienst. Jeder Wintereinbruch stellt die Logistik einer Stadtverwaltung auf eine harte Probe. Am Niederrhein ganz besonders. Trotz Minusgrade, Schnee in diesen Mengen fällt hier nur selten. Vortrag, nächste Woche, denke ich. Kein Problem, mehr als genug Texte sind abgespeichert: „Die Zukunft der Freimaurerei", „Die Philosophie der Freimaurer", „Esoterik und Ritualistik der Freimaurerei". In fast zwei Jahren als Großredner sammelt sich einiges an. Oft genug bin ich durch Deutschland gereist, um Vorträge zu halten. Freimaurerische Festivitäten, Öffentlichkeitsabende, Tempelweihen. Der Fahrer fragt, ob ich am Vorplatz aussteigen will. Ich zahle ihn aus und lasse mir eine Quittung ausstellen. Das Osterfeuer hinter der Kirche brennt, lässt den Schneeteppich ringsum schmelzen, auf den in immer dichterem Treiben neue Flocken fallen. An meiner Brille tropfen sie ab. Ich schlage den Kragen hoch und gleite über das Kopfsteinpflaster. Drei Messdiener stehen an der Pforte, als warteten sie darauf, die letzten Gottesdienstbesucher einzuweisen. Die Kirche ist dunkel, abgesehen von der elektrischen Notbeleuchtung. Schrein und Kruzifix sind verhüllt. Sitzende Menschen, kaum ein Laut, von draußen nur kurz das Aufheulen eines Motors. Ganz kurz. Ich spüre, dass sich die Stille der Kirche wie ein schützender Mantel um mich legt, und knie mich hin, der Stille zugeneigt, bereit, in ihr zu versinken. Meine Augen tasten den Raum ab. Die Marienfigur mit Jesuskind. Der heilige Antonius. Der Altar in St. Remigius steht ungewöhnlich weit vorn, eine Insel, die Gläubige und Gott verbindet. Hinter den Kirchenfenstern flackert das Osterfeuer auf. Der Heilige Geist kommt mit Feuerzungen, denke ich. In diesem Moment schießen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf. Alle drehen sich um das Licht. In schwierigen Situationen habe ich mir immer vorgestellt, von Licht umhüllt zu sein. Als ich in dieser Osternacht die Augen schließe, um der Stille zu folgen, spüre ich ein tiefes Verlangen, das Licht zu sehen, das wirkliche. Blendwerk kenne ich zur Genüge. Vor elf Jahren, bei meiner Aufnahme in eine Loge, sagte der Meister vom Stuhl mit erhobener Stimme: „Gebt dem Suchenden das Licht". Schon seit einiger Zeit spüre ich den Riss in meiner Seele, wenn ich an diesen Augenblick denke. Jeder kennt das, man sucht einen Weg, denkt, das sei der richtige, bis man irgendwann erkennt, er führt in eine Sackgasse. Wer gesteht sich schon gerne einen Irrtum ein? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Verbleib in der Sackgasse oder Neuorientierung. Zwischen der Aufnahme und dieser Osternacht liegen elf Jahre des Entdekkens und Erschreckens. Es ist die Macht des Zweifelns, die ein Hin- und Hergerissensein bewirkt. Klarheit, ich meine die echte, reine Klarheit, leuchtet erst dann aus dem Dunkel hervor, wenn man sich selbst auf sie zubewegt. Als die Glocke ertönt, stehen die Gläubigen auf. Der Priester, der hinter dem Kreuz geht, singt: „Lumen Christi". Wir antworten: „Deo gratias". Ich knie noch immer als einziger. Weshalb? Ich weiß nicht. „Lumen Christi". Aufstehen kann ich nicht, alles in mir spannt sich, wühlt mich innerlich auf. Aber Aufwühlen ist nicht mehr die Kategorie, mit der sich meine Gefühle beschreiben lassen. Das Licht! Ein anderer Priester trägt die leuchtende Osterkerze. „Deo gratias. " Was zwischen dieser Osternacht und meinem Austritt aus der Freimaurerei liegt, ist der kommende Frühling. Aufbruch in ein neues Leben.
Erste Schritte
Angefangen hatte alles ganz anders. Es war die Zeit der Neuorientierung. Noch war der Sozialismus nicht ganz gescheitert, doch sein Scheitern abzusehen. Die Neue Weltordnung stand nun auf der Liste der heiklen Vorhaben des Westens. Wer genau hinsah, erkannte schon damals die Zeichen: Der Materialismus würde weder in Form des dialektischen Marxismus noch des Turbo-Kapitalismus überleben. Einen gab es, der es öffentlich aussprach, Papst Johannes Paul II. Diese Stimme ging in meiner alltäglichen Betriebsamkeit unter. Ihr Echo vernahm ich erst anderthalb Jahrzehnte später. Meine ersten Features und Hörspiele wurden gesendet, in Kiel ging mein Stück „Vorabend Wieder" über die Bühne. Die Tatsache, dass ich gegen die Neo-Nazis schrieb, brachte mit sich, dass ich Drohanrufe und -briefe erhielt. Als an meinem Auto eines Morgens alle Reifen zerstochen waren, blieb nichts außer dem Schrecken. Die polizeilichen Ermittlungen verliefen im Sande. So wie mein Gedanke, auszuwandern. Ein Suchender blieb ich. Wollte ich zuvor keinem über 30 trauen, galt es nun, sich in der Welt neu einzurichten. Der Begriff „spirituelle Heimat" beschreibt meine damalige Sehnsucht. Kirche? Mein Gott, ein alter Hut. New-Age? Spökenkiekerei. Weshalb ich das Telefonbuch aufschlug und nach einer Loge in der näheren Umgebung suchte, lässt sich für mich nicht mehr genau bestimmen. Neugierde trieb mich, die Suche nach etwas Besonderem vielleicht. Natürlich hatte ich von der Freimaurerei gehört. Diffuses, Dunkles, wie die meisten. Interesse und Skepsis waren geweckt. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein leiernder Anrufbeantworter, auf dem eine kaum vernehmliche Altherrenstimme krächzte: „Hinterlassen Sie Ihre Telefonnummer. Wir rufen zurück." Ich hinterließ Name und Nummer. Drei Wochen später, ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet, meldete sich ein Herr Rusch und stellte sich als Sekretär der Mönchengladbacher Loge „Vorwärts" vor. Er teilte mir das Datum einer öffentlichen Logenveranstaltung mit und fragte nach meiner Adresse, um mir eine schriftliche Einladung zukommen zu lassen. Auch wenn sie ausblieb, am Montag, den 12. Oktober 1992, betrat ich erstmalig das Logenhaus hinter der Fachhochschule. Ein freundlicher Herr, exakt gescheitelt und in elegantem Zweireiher, öffnete. Ich stellte mich vor, er bat mich herein. Acht ältere Herren saßen an Einzeltischen verstreut in rauchgeschwängerter Kaffeehaus-Atmosphäre. Meinem Eindruck nach war ich der einzige Fremde. Um das Gastrecht voll auszuschöpfen, nickte ich zur Begrüßung, ohne eine nennenswerte Reaktion zu registrieren. Acht Augenpaare verfolgten kritisch meinen Weg zum letzten Tisch. An der gegenüberliegenden Wand ein Bildnis Friedrichs des Großen in Freimaurerbekleidung, dem ich aus sicherer Entfernung ins Auge sah. Die Stimmung wirkte auf mich nicht angsteinflößend, schon gar nicht geheimnisvoll. Nach einer Weile kam Bewegung ins Spiel. Zwei Herren traten vor das Bild des Preußenkönigs. Der Mann im eleganten Zweireiher stellte sich und den Referenten vor, der nun seinerseits, von einer gewissen Nervosität getrieben, ein Manuskript aus seinem Jackett fingerte und ohne Umschweife mit seinem Vortrag begann. Man begriff, es ging, wie angekündigt, um Mozarts „Zauberflöte". Der rote Faden verlor sich ein wenig im Gewusel der vielen Zitate. Hängen blieb die tiefschürfende Erkenntnis, dass Mozart ein großartiger Komponist gewesen sein muss und Freimaurer obendrein. Die erwünschte Diskussion kam nicht zustande, was den Referenten dazu veranlasste, einige Zitate aus seinem Vortrag zu wiederholen, wodurch er wiederholt bestätigte, dass Mozart ein großartiger Komponist und Freimaurer gewesen sein muss. Nachdem der Referent mit lobenden Worten, einer Flasche Wein (ein edles Tröpfchen, wie der Herr im eleganten Zweireiher süffisant versicherte) und einem Rosenbukett für „deine liebe Gattin, unsere Schwester Erika" verabschiedet worden war, gab der Maître de plaisir mit Blick auf mich einem Bruder ein verstohlenes Zeichen. Kurz darauf setzte sich der unauffällig Angesprochene zu mir: ein untersetzter Mann mittleren Alters mit Buchhaltergesicht und taubenblauem Blazer, zu dem die rote Krawatte mit den Freimaureremblemen Winkelmaß und Zirkel nicht recht passen wollte. Er nannte seinen Namen und sagte mit bedeutungsschwerer Stimme, man würde sich jeden Interessenten sehr genau ansehen. Ohne Umschweife kam er auf das Wesentliche und wollte wissen, was meine Frau über die Freimaurerei denkt. Ich sagte, ich sei nicht verheiratet, worauf er unvermittelt ein Statement zum Thema Familie abgab. Wenigstens kam keine peinliche Pause auf. Ein vertiefendes Gespräch aber auch nicht. Nach einer Weile erkundigte sich mein Gesprächspartner nach meiner beruflichen Tätigkeit. Die Antwort „Autor" schien ihn skeptisch zu stimmen, er bezifferte die Höhe des Jahresbeitrags, der Aufnahmegebühr und der Kosten für einen schwarzen Anzug, den man als Freimaurer zur Tempelarbeit zwingend tragen müsse. Zum Abschied versicherten wir uns der gegenseitigen Hochachtung, und ich fand allein den Weg zur Tür. Einladungen bekam ich nun jeden Monat, doch erst vier Jahre später betrat ich wieder ein Logenhaus. Diesmal in einer anderen Stadt - und in der Hoffnung, das Gespräch möge nicht wieder in Höflichkeitsfloskeln enden.
Inzwischen hatte ich einiges gelesen und kannte ein paar Unterschiede: Als „blaue Maurerei" bezeichnet man eine traditionelle Freimaurerloge, deren Mitglieder die bekannten Grade des Lehrlings, Gesellen und Meisters durchlaufen. Die „rote Maurerei", der „Alte und Angenommene Schottische Ritus" ist die weltweit verbreitetste „Hochgradorganisation" der Freimaurerei.
Ich hatte mir bei einem Englandaufenthalt „Morals and Dogma" (erschienen 1872) besorgt. Geschrieben hat es Albert Pike, einer der geistigen Urväter des „Schottischen Ritus". Eine deutsche Ausgabe gibt es bis heute nicht. Pike schrieb deutlich: „Das Freimaurertum, wie all die Religionen, all die Mysterien, wie die Hermetik und wie die Alchemie, verbirgt seine Geheimnisse vor allen außer vor den Eingeweihten und Weisen, den Auserwählten, und benutzt falsche Erklärungen und falsche Interpretationen seiner Symbole, um jene irrezuführen, die es verdient haben, nur irregeführt zu werden; um die Wahrheit zu verbergen, die Licht genannt wird und um (die Unwürdigen) davon wegzuführen." Man kann darin ein klares Bekenntnis zur Elite sehen. Man kann es auch als Statement für einen Geheimorden verstehen. Jedenfalls gefiel mir diese Deutlichkeit besser als die intellektuelle Bettelsuppe, die Autoren à la Charles von Bokor anrührten: „Zwischen der Kirche und der Freimaurerei, diesen beiden Bannerträgern der Nächstenliebe, deren Wege eigentlich hätten parallel verlaufen müssen, bestand mehr als zwei Jahrhunderte lang eine fast unüberbrückbare Kluft".
Das Kölner Logenhaus lag in der Nähe des Stadtgartens. An frühen Sommerabenden sah man viele Jogger dort, auch etliche adrett gekleidete Frauen und Männer, Eiswaffeln in der Hand oder „Financial Times" unterm Arm. Viele Versicherungen und Anwaltspraxen hatten ihre Niederlassungen in dieser Gegend. Wie in allen alten Wohnanlagen auch hier das typische Manko: kein Parkplatz weit und breit. Für mich kein Problem, ich war mit der U-16 vom Bahnhof zur Ulrepforte gefahren. Später stellte ich fest, die Lage der Logenhäuser ist sehr verschieden. Normalerweise liegen sie in Wohngegenden der Mittelschicht und sind meistens für Logenzwecke umgebaut. Man erkennt sie leicht, denn eine Tafel am Eingang, nicht selten mit Winkelmaß und Zirkel verziert, weist unzweideutig darauf hin, dass hier eine Freimaurerloge ihr Quartier hat.
Wir saßen im Keller des Hauses an U-förmig zusammengestellten Tischen. Auch hier war ich einziger Interessent. Die Atmosphäre wirkte ungleich entkrampfter als in Mönchen- gladbach. Der Referent stellte sich als Redner der Loge vor: Peter Zeugner leitete ein Architekturbüro. Thema seines Vortrags: „Sind die freimaurerischen Symbole zeitgemäß?" Sein Vortrag war kurz und provozierte Fragen. Als Fremder zum erstenmal in dieser Runde, hielt ich mich naturgemäß zurück. Herr Zeugner brach clever das Eis, indem er mich fragte: „Was meinen Sie, lassen sich in Zeiten, in denen wir über Datenautobahnen surfen, noch Symbole wie Winkelmaß und Zirkel verwenden?" Plötzlich fand ich mich mitten im Gespräch. Nach dem offiziellen Ende saßen Herr Zeugner, der Meister vom Stuhl und ich noch lange zusammen. Zwischen Herrn Zeugner und mir entspann sich ein Dialog, dem der Meister vom Stuhl lächelnd folgte, in seiner zurückgenommenen Haltung verharrend, wie ein Supervisor beim Management-Training - oder besser, wie einer jener Buddhas, die vor ostasiatischen Reisebüros oder China-Restaurants stehen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Bücher über Freimaurerei sind nichts ungewöhnliches, davon gibt es etliche, die in Bibliotheken verstauben. Entweder handelt es sich um Jubelarien (von Freimaurern selbst), freundliche wissenschaftliche Betrachtungen (von der Freimaurerei unterstützt) oder sogenannte Verräterbücher und Verschwörungstheorien. Letztere sind besonders beliebt, weil sie sich wie Reality-Krimis lesen. Der Autor bewegt sich damit auf sicherem Terrain. Er erreicht einen schon im voraus festgelegten Fankreis und kann im Reich des Spekulativen Luftschlösser bauen. Die Freimaurer halten nur halbherzig dagegen. Seit Jahrhunderten leben sie gut von Geheimniskrämerei und öffentlicher Spekulation. Bücher wie „Illuminati" oder „Sakrileg" sorgen für Publicity, und die wiederum bringt neue Mitglieder. Ihre Hochzeit hat die Freimaurerei längst hinter sich, die Mitgliederzahl ist stark rückläufig, die Logen sind überaltert. Der Altersdurchschnitt liegt im Mittel bei 62 Jahren, die Freimaurer schönen ihrerseits diese Zahl. Inzwischen unternimmt man viel, um die „diskrete Gesellschaft" populärer zu machen. Öffentliche Groß-Veranstaltungen wie der „Kulturpreis der Deutschen Freimaurer" sollen dazu beitragen. An ihrem Status ändert das wenig. Das dunkle Geheimnis dieser Bruderschaft bleibt. Einerseits steht sie da, als geschichtliche Größe, andererseits als Club, über dessen Existenz viele erstaunt sind. Das Urteil über die Freimaurerei fällt entsprechend zweischneidig aus: Weltverschwörer oder Biedermänner? Wer die deutschen Logen und Großlogen von innen kennt, wird zu Recht daran zweifeln, dass ein Verein, in dem wohlmeinendes Kleinbürgertum und die Jagd nach Posten, Anerkennung und Orden vorrangig sind, die Geschicke der Welt lenkt. Wir sprechen hier, um keinen Irrtum aufkommen zu lassen, von der Freimaurerei, die für jedermann zugänglich ist. Diese wäre ja nur dann geheim, wenn sie weder im Telefonbuch zu finden wäre, noch in Internet-Auftritten bunte Bildchen von ihren Tempeln präsentierte oder öffentliche Informationsabende veranstaltete. Wie könnte eine wirklich einflussreiche Persönlichkeit in einer solchen Gesellschaft ohne Wissen der Öffentlichkeit tätig sein?
Freimaurer kokettieren gern mit ihrer obskuren Vergangenheit und bezeichnen sich als „Gesellschaft, die ein Geheimnis hat", oder reden von der „Verschwörung zum Guten". Gern genommen wird auch die Bezeichnung „Kinder der Aufklärung". Gemeint ist damit der hochtrabende Anspruch, den Menschen „von der Last der Vorurteile" zu befreien, wie es in einem Ritualtext heißt. Doch die Misere der Gegenwart bestand nicht immer. Untersucht man die historische Bedeutung dieser Gruppierung, muss von einer einflussreichen Gesellschaft gesprochen werden. Freimaurer wie Washington, Voltaire, Rousseau, Danton, Robespierre, Friedrich der Große, Goethe, Mozart, Rathenau, Stresemann und andere Größen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur gehörten zu den einflussreichsten Figuren ihrer Zeit. Die Liste der Prominenten ist lang und liest sich wie ein „Who's who" der Weltgeschichte. In Freimaurerkreisen ist man in einer Zeit des Mangels stolz auf diese Tradition. Nach wie vor fühlt man sich als Elite, obwohl selbst Promis der B- und C-Kategorie in den eigenen Reihen seltener sind als weiße Raben. Ob und inwieweit früher in Logen große Politik gemacht wurde, lässt sich im nachhinein nicht zweifelsfrei feststellen. Dennoch ist wahrscheinlich, dass beispielsweise die freimaurerischen Väter der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung nach ihren Tempelarbeiten kaum über das Wetter oder die Goldlitzen an ihren Ordensbändern gesprochen haben. Ebenso darf man davon ausgehen, dass sich die Mächtigen dieser Welt immer in Einflusszirkeln getroffen haben und treffen, zu denen Normalbürger keinen Zutritt finden. Ein solcher Zirkel ist dann wirklich eine völlig geheime Gesellschaft. Die Verschwörungsakrobaten aller Länder und Zungen könnten sich in alle Himmelsrichtungen verrenken, ohne nur einen Hauch davon mitzubekommen. Nein, es lässt sich nicht von der Hand weisen, die Freimaurerei der früheren Jahrhunderte besaß den Charme und Charakter einer wirklichen Geheimgesellschaft. Beides haben die Logen, die landläufig nahezu alle als eingetragene Vereine fungieren, längst eingebüßt. Sie sind nicht einmal der Soufflierkasten des großen Welttheaters. Natürlich machen sie sich schön und verbreiten ihr Humanitätsvokabular in Zeitungsannoncen oder lassen sich in Wissenschaftsmagazinen als „diskrete Gesellschaft" abfeiern. Geheimniskrämerei macht interessant. Und ist nicht doch ein Körnchen Wahrheit daran? Stimmt es nicht, dass der italienische Freimaurerbund den Papst stürzen wollte? Dass die Freimaurerei Säkularisierung und Laizismus will und relativistische Forderungen durchsetzt? Dass die italienische Geheimloge P2 nicht nur freimaurerische Rituale, sondern auch ihre verbrecherischen Geschäfte - bis hin zum Mord - durchgeführt hat? Es stimmt. Auch wenn jeder Freimaurer bei diesen Fragen ins Schlingern gerät und mit absurden Erklärungen aufwartet wie: Loge und Freimaurer seien keine geschützte Begriffe. Die Freimaurerei hält sich heilig. Interessant bleibt, weshalb diese Bruderschaft heute im Niemandsland der Geschichte vor sich hindümpelt. Ich meine, das ist leicht zu erklären: Der „Geist der Macht" hat sich aus der Freimaurerei zurückgezogen. Übrig blieb eine Larve, jene sichtbare, heute für jedermann zugängliche Maçonnerie. Verschwörungstheoretiker würden sagen: perfekte Tarnung. Vielleicht.
Der Außenstehende besitzt nichts anderes als seine Kenntnisse von niedergeschriebenen Berichten und Zitate von Zitaten von Zitaten. Fassen lässt sich nur, was einem selbst wiederfährt. Nur wer selbst als Suchender mit verbundenen Augen in den Tempel geführt oder aus dem Sarg erhoben worden ist, weiß, wie das ist. Nur wer selbst beim Eintritt in den 30. Grad die Säulen-Pforte umgekippt hat, um, wie es im Ritualtext heißt, symbolisch zu erfahren, dass jede Form der Religion und Philosophie zusammenbrechen wird, weiß, wie das ist. Erst, wer im 32. Grad sieht, wie die Bilder von Zarathustra, Buddha, Sokrates, Mohammed und Jesus beliebig nebeneinandergestellt werden, spürt etwas von der freimaurerischen Diktatur des Relativismus. Sagen lässt sich nur, was man mit eigenen Augen gesehen, am eigenen Leib erfahren und getan hat, als man in dieser Welt war. Das alles lag auf meinem Weg, das alles habe ich beschrieben. Mein Hauptaugenmerk galt meiner Bekehrung zu Jesus Christus. Freimaurerei spielt nur insoweit eine Rolle, als ich als Großredner der größten deutschen Großloge, der „Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland", diese Freimaurerei in Reden, Referaten und Artikeln präsentiert und repräsentiert habe und als Hochgradfreimaurer in jene vermeintlich geheimnisumwitterte Welt eingetaucht bin, die sich bei näherer Betrachtung als Banalitätenkabinett und Jahrmarkt der Eitelkeiten entlarvte. Dass die meisten meiner ehemaligen Brüder meinen Schritt zu Gott hin kaum nachvollziehen können, habe ich anhand der Reaktionen gemerkt, die nach meinem Austritt erfolgten. „Willst du jetzt Weihwasser trinken?" „Willst du dich kastrieren lassen?" „Kirche ist Mittelalter." Diese Aussagen gab es. In der Mehrzahl waren sie nicht. Es gab viele Anrufe, E-Mails und Briefe, Rückholaktionen, freundliche Überredungsversuche, ernste Mahnungen. Ein anonymer Anruf hat mich kurzzeitig etwas stutzig gemacht: „Den Verrat liebt man, aber nicht den Verräter. Du weißt, was mit Verrätern passiert?" Wir werden später noch auf den Freimaurerischen Eid zu sprechen kommen, in dem der Aufgenommene gelobt, sich eher die Kehle durchzuschneiden, als Verrat zu üben. Für einige Freimaurer, deren Denken bedauerlicherweise in recht überschaubaren Bahnen verläuft, wird alles zum Verrat, was nicht nach Propagandschaft klingt. Ins Schwanken bringen konnte mich das alles nicht. Dieses Buch ist kein Verräter-, sondern ein Bekenntnisbuch. Insofern hoffe ich, dass nicht nur viele meiner ehemaligen Brüder meinen Weg zu Jesus Christus akzeptieren, sondern ihm folgen. Was für mich galt, gilt auch für andere: Das wahre Licht wird erst sichtbar durch tiefe Gotteserfahrung. Das ist, was ich jedem wünsche, der sich auf einem Irrweg befindet.
Insofern ist dieses Buch eine intensive Auseinandersetzung mit der Freimaurerei, wie sie von seiten der Brüder immer gefordert wird. Eine Auseinandersetzung kann man allerdings nur dann führen, wenn alle Parteien offen sind und nicht unter Maßgabe unsinniger Arkana Geheimnistuerei betreiben. Damit, dass Außenstehende mehr über die Freimaurerei sagen dürften als die Freimaurer selbst, kokettieren verschiedene Großmeister seit Jahren. Warum sagt man es nicht selbst? Vielleicht, weil man von den Verschwörungstheorien profitiert? Dabei wäre es für einen Enthüllungsjournalisten furchtbar einfach, sich Zugang zu einem Freimaurereitempel zu beschaffen. Wie, zeigt das Kapitel „Der Do-it-yourself-Freimaurer".
Ganz sicher ist die Freimaurerei längst nicht so wichtig, wie sie sich selber nimmt. Als Hans Küng 2007 beim Kölner Großlogentreffen den Kulturpreis der Deutschen Freimaurer verliehen bekam, bequemte sich gerade mal die dritte Garde der Lokalpolitik zur Preisverleihung. Landes- oder gar Bundespolitiker hielten sich weit entfernt von der Hinterhofbühne der Freimaurerei. Die Presse war nur spärlich vertreten, das Fernsehen überhaupt nicht. Ähnlich verhält es sich bei allen freimaurerischen Kulturveranstaltungen, Ausstellungen, Rezitations- oder Liederabenden. Jede Vernissage einer Vorstadtsparkasse stößt auf breitere Resonanz. Dennoch hält sie viel von sich: „Als diesseitsorientierte Freundschaftsbünde mit primär ethischer Zielsetzung sind Logen und Großloge keine Religionsgemeinschaften und bieten folglich auch keinen Ersatz für Religion an." Phrasendrusch dieser Art findet man zuhauf auf der offiziellen Website der Großloge der „Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland". Er wird von unzähligen Freimaurermündern unhinterfragt wiedergekäut. Nicht unwichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Freimaurerei entgegen ihrer landläufig bekannten Propaganda sehr wohl religiöse Wurzeln hat und durchaus Dogmen kennt.
Abgesehen davon, dass die Freimaurerei sich wie ein Chamäleon ins Schaufenster der Weltgeschichte stellt, wirken ihre Selbstdarsteller mitunter grotesk. So sieht der Großmeister der Vereinten Großlogen auf der Homepage aus wie ein Büßer, dem die Aura verrutscht ist. Seine grinsende Gestalt ist umhüllt von gleißendem Licht. Ein schlecht nachgeahmtes Heiligenbild. Bruder Tucholsky hätte für derartig offen zur Schau getragenen Biedersinn nicht einmal ein Spottgedicht übrig gehabt.
Wenn der Satz stimmt, dass viele Wege nach Rom führen, führte meiner über die Freimaurerei. Damit verbunden etliche Irrwege. Vielleicht kann dieses Buch Entscheidungshilfe zur Selbstfindung sein, nach der viele Menschen heute suchen. Der Mystiker Angelus Silesius drückt das in einem knappen Vers so aus: „Mensch, werde wesentlich, denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht." Diese göttliche Sentenz beschäftigt mich, seit ich sie mit 14 in einem Lesebuch las. Jahrzehnte später hörte ich sie im Meisterritual. Die geheime Bruderschaft, die in all ihren Irrtümern, Nachbildungen und Verballhornungen auch diesen Spruch für sich ausbeutet, führt leider nicht zu höherer Erkenntnis. Der Suchende erlebt nichts außer bitteren Enttäuschungen. Immer wieder betritt er einen leeren Raum - begleitet von geheimen Meistern, die zwar keine Gold-, dafür aber Sprüchemacher sind. Schwer wiegt hingegen Lessings Spruch: „Freimaurerei war immer". Doch den Weg zum persönlichen Heil bietet dieser Club der toten Dichter nicht. Eine Umkehr, die Freimaurer mit Verweis auf „ihren" Johannes den Täufer gerne anführen, ist undenkbar. Metanoia im christlichen Sinn meint auch etwas anderes: den Aufbruch zu einem radikalen und totalen Bewusstseinswandel. Davon möchte ich berichten.
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes habe ich die Namen abgeändert, bis auf diejenigen, die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Verschweigen will ich nicht, dass die Trennung von der Freimaurerei sowie das Schreiben dieses Buches zähes Ringen erforderte und die Kraft des Gebets. Deshalb will ich an dieser Stelle besonders all jenen danken, die für mich gebetet haben.
Teil 1
Die Suche
Osternacht 2008
Ostersamstag, und es schneit. In diesen Tagen Mitte März lässt die Kälte keine Hoffnung auf Frühling aufkommen. Vierzig Tage und vierzig Nächte im Klammergriff eines nicht nachlassenden Winters, als hätte jemand die Tür zu einem Eisschrank aufgemacht, aus dem die ganze Kälte der Welt hereinströmt. Zum Glück hat sich der Wind gelegt. Der Schnee trudelt in dicken Flocken zu Boden. Innerhalb weniger Stunden sind Straßen und Autos eingeschneit. Weil mir die Osternachtsfeier in meiner Heimatgemeinde St. Cornelius zeitlich nicht auskommt, will ich nach Viersen zu St. Remigius. Ich laufe dem Bus davon und nehme ein Taxi, in der Hoffnung, es mogelt sich schneller durch den stockenden Verkehr. Eine Kette roter Bremslichter zieht sich stadtauswärts, ein leuchtender Bogen in der Dunkelheit. Auf der Gegenseite stehen die Scheinwerfer meilenweit dicht an dicht. Als ich ins Taxi steige, fiepst mein Handy, eine SMS: „Brauchen dich nächste Woche als Redner. Ruf zurück. Dringend!" Ich drücke die Nachricht weg und schalte das Handy aus. In den nächsten Stunden soll es mich nicht mehr stören. Hinter der Kreuzung fließt der Verkehr wieder. Der Taxifahrer beschleunigt. Auf der freien Strecke peitschen Windböen Schnee gegen die Windschutzscheibe. Der Fahrer schimpft auf den städtischen Streudienst. Jeder Wintereinbruch stellt die Logistik einer Stadtverwaltung auf eine harte Probe. Am Niederrhein ganz besonders. Trotz Minusgrade, Schnee in diesen Mengen fällt hier nur selten. Vortrag, nächste Woche, denke ich. Kein Problem, mehr als genug Texte sind abgespeichert: „Die Zukunft der Freimaurerei", „Die Philosophie der Freimaurer", „Esoterik und Ritualistik der Freimaurerei". In fast zwei Jahren als Großredner sammelt sich einiges an. Oft genug bin ich durch Deutschland gereist, um Vorträge zu halten. Freimaurerische Festivitäten, Öffentlichkeitsabende, Tempelweihen. Der Fahrer fragt, ob ich am Vorplatz aussteigen will. Ich zahle ihn aus und lasse mir eine Quittung ausstellen. Das Osterfeuer hinter der Kirche brennt, lässt den Schneeteppich ringsum schmelzen, auf den in immer dichterem Treiben neue Flocken fallen. An meiner Brille tropfen sie ab. Ich schlage den Kragen hoch und gleite über das Kopfsteinpflaster. Drei Messdiener stehen an der Pforte, als warteten sie darauf, die letzten Gottesdienstbesucher einzuweisen. Die Kirche ist dunkel, abgesehen von der elektrischen Notbeleuchtung. Schrein und Kruzifix sind verhüllt. Sitzende Menschen, kaum ein Laut, von draußen nur kurz das Aufheulen eines Motors. Ganz kurz. Ich spüre, dass sich die Stille der Kirche wie ein schützender Mantel um mich legt, und knie mich hin, der Stille zugeneigt, bereit, in ihr zu versinken. Meine Augen tasten den Raum ab. Die Marienfigur mit Jesuskind. Der heilige Antonius. Der Altar in St. Remigius steht ungewöhnlich weit vorn, eine Insel, die Gläubige und Gott verbindet. Hinter den Kirchenfenstern flackert das Osterfeuer auf. Der Heilige Geist kommt mit Feuerzungen, denke ich. In diesem Moment schießen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf. Alle drehen sich um das Licht. In schwierigen Situationen habe ich mir immer vorgestellt, von Licht umhüllt zu sein. Als ich in dieser Osternacht die Augen schließe, um der Stille zu folgen, spüre ich ein tiefes Verlangen, das Licht zu sehen, das wirkliche. Blendwerk kenne ich zur Genüge. Vor elf Jahren, bei meiner Aufnahme in eine Loge, sagte der Meister vom Stuhl mit erhobener Stimme: „Gebt dem Suchenden das Licht". Schon seit einiger Zeit spüre ich den Riss in meiner Seele, wenn ich an diesen Augenblick denke. Jeder kennt das, man sucht einen Weg, denkt, das sei der richtige, bis man irgendwann erkennt, er führt in eine Sackgasse. Wer gesteht sich schon gerne einen Irrtum ein? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Verbleib in der Sackgasse oder Neuorientierung. Zwischen der Aufnahme und dieser Osternacht liegen elf Jahre des Entdekkens und Erschreckens. Es ist die Macht des Zweifelns, die ein Hin- und Hergerissensein bewirkt. Klarheit, ich meine die echte, reine Klarheit, leuchtet erst dann aus dem Dunkel hervor, wenn man sich selbst auf sie zubewegt. Als die Glocke ertönt, stehen die Gläubigen auf. Der Priester, der hinter dem Kreuz geht, singt: „Lumen Christi". Wir antworten: „Deo gratias". Ich knie noch immer als einziger. Weshalb? Ich weiß nicht. „Lumen Christi". Aufstehen kann ich nicht, alles in mir spannt sich, wühlt mich innerlich auf. Aber Aufwühlen ist nicht mehr die Kategorie, mit der sich meine Gefühle beschreiben lassen. Das Licht! Ein anderer Priester trägt die leuchtende Osterkerze. „Deo gratias. " Was zwischen dieser Osternacht und meinem Austritt aus der Freimaurerei liegt, ist der kommende Frühling. Aufbruch in ein neues Leben.
Erste Schritte
Angefangen hatte alles ganz anders. Es war die Zeit der Neuorientierung. Noch war der Sozialismus nicht ganz gescheitert, doch sein Scheitern abzusehen. Die Neue Weltordnung stand nun auf der Liste der heiklen Vorhaben des Westens. Wer genau hinsah, erkannte schon damals die Zeichen: Der Materialismus würde weder in Form des dialektischen Marxismus noch des Turbo-Kapitalismus überleben. Einen gab es, der es öffentlich aussprach, Papst Johannes Paul II. Diese Stimme ging in meiner alltäglichen Betriebsamkeit unter. Ihr Echo vernahm ich erst anderthalb Jahrzehnte später. Meine ersten Features und Hörspiele wurden gesendet, in Kiel ging mein Stück „Vorabend Wieder" über die Bühne. Die Tatsache, dass ich gegen die Neo-Nazis schrieb, brachte mit sich, dass ich Drohanrufe und -briefe erhielt. Als an meinem Auto eines Morgens alle Reifen zerstochen waren, blieb nichts außer dem Schrecken. Die polizeilichen Ermittlungen verliefen im Sande. So wie mein Gedanke, auszuwandern. Ein Suchender blieb ich. Wollte ich zuvor keinem über 30 trauen, galt es nun, sich in der Welt neu einzurichten. Der Begriff „spirituelle Heimat" beschreibt meine damalige Sehnsucht. Kirche? Mein Gott, ein alter Hut. New-Age? Spökenkiekerei. Weshalb ich das Telefonbuch aufschlug und nach einer Loge in der näheren Umgebung suchte, lässt sich für mich nicht mehr genau bestimmen. Neugierde trieb mich, die Suche nach etwas Besonderem vielleicht. Natürlich hatte ich von der Freimaurerei gehört. Diffuses, Dunkles, wie die meisten. Interesse und Skepsis waren geweckt. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein leiernder Anrufbeantworter, auf dem eine kaum vernehmliche Altherrenstimme krächzte: „Hinterlassen Sie Ihre Telefonnummer. Wir rufen zurück." Ich hinterließ Name und Nummer. Drei Wochen später, ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet, meldete sich ein Herr Rusch und stellte sich als Sekretär der Mönchengladbacher Loge „Vorwärts" vor. Er teilte mir das Datum einer öffentlichen Logenveranstaltung mit und fragte nach meiner Adresse, um mir eine schriftliche Einladung zukommen zu lassen. Auch wenn sie ausblieb, am Montag, den 12. Oktober 1992, betrat ich erstmalig das Logenhaus hinter der Fachhochschule. Ein freundlicher Herr, exakt gescheitelt und in elegantem Zweireiher, öffnete. Ich stellte mich vor, er bat mich herein. Acht ältere Herren saßen an Einzeltischen verstreut in rauchgeschwängerter Kaffeehaus-Atmosphäre. Meinem Eindruck nach war ich der einzige Fremde. Um das Gastrecht voll auszuschöpfen, nickte ich zur Begrüßung, ohne eine nennenswerte Reaktion zu registrieren. Acht Augenpaare verfolgten kritisch meinen Weg zum letzten Tisch. An der gegenüberliegenden Wand ein Bildnis Friedrichs des Großen in Freimaurerbekleidung, dem ich aus sicherer Entfernung ins Auge sah. Die Stimmung wirkte auf mich nicht angsteinflößend, schon gar nicht geheimnisvoll. Nach einer Weile kam Bewegung ins Spiel. Zwei Herren traten vor das Bild des Preußenkönigs. Der Mann im eleganten Zweireiher stellte sich und den Referenten vor, der nun seinerseits, von einer gewissen Nervosität getrieben, ein Manuskript aus seinem Jackett fingerte und ohne Umschweife mit seinem Vortrag begann. Man begriff, es ging, wie angekündigt, um Mozarts „Zauberflöte". Der rote Faden verlor sich ein wenig im Gewusel der vielen Zitate. Hängen blieb die tiefschürfende Erkenntnis, dass Mozart ein großartiger Komponist gewesen sein muss und Freimaurer obendrein. Die erwünschte Diskussion kam nicht zustande, was den Referenten dazu veranlasste, einige Zitate aus seinem Vortrag zu wiederholen, wodurch er wiederholt bestätigte, dass Mozart ein großartiger Komponist und Freimaurer gewesen sein muss. Nachdem der Referent mit lobenden Worten, einer Flasche Wein (ein edles Tröpfchen, wie der Herr im eleganten Zweireiher süffisant versicherte) und einem Rosenbukett für „deine liebe Gattin, unsere Schwester Erika" verabschiedet worden war, gab der Maître de plaisir mit Blick auf mich einem Bruder ein verstohlenes Zeichen. Kurz darauf setzte sich der unauffällig Angesprochene zu mir: ein untersetzter Mann mittleren Alters mit Buchhaltergesicht und taubenblauem Blazer, zu dem die rote Krawatte mit den Freimaureremblemen Winkelmaß und Zirkel nicht recht passen wollte. Er nannte seinen Namen und sagte mit bedeutungsschwerer Stimme, man würde sich jeden Interessenten sehr genau ansehen. Ohne Umschweife kam er auf das Wesentliche und wollte wissen, was meine Frau über die Freimaurerei denkt. Ich sagte, ich sei nicht verheiratet, worauf er unvermittelt ein Statement zum Thema Familie abgab. Wenigstens kam keine peinliche Pause auf. Ein vertiefendes Gespräch aber auch nicht. Nach einer Weile erkundigte sich mein Gesprächspartner nach meiner beruflichen Tätigkeit. Die Antwort „Autor" schien ihn skeptisch zu stimmen, er bezifferte die Höhe des Jahresbeitrags, der Aufnahmegebühr und der Kosten für einen schwarzen Anzug, den man als Freimaurer zur Tempelarbeit zwingend tragen müsse. Zum Abschied versicherten wir uns der gegenseitigen Hochachtung, und ich fand allein den Weg zur Tür. Einladungen bekam ich nun jeden Monat, doch erst vier Jahre später betrat ich wieder ein Logenhaus. Diesmal in einer anderen Stadt - und in der Hoffnung, das Gespräch möge nicht wieder in Höflichkeitsfloskeln enden.
Inzwischen hatte ich einiges gelesen und kannte ein paar Unterschiede: Als „blaue Maurerei" bezeichnet man eine traditionelle Freimaurerloge, deren Mitglieder die bekannten Grade des Lehrlings, Gesellen und Meisters durchlaufen. Die „rote Maurerei", der „Alte und Angenommene Schottische Ritus" ist die weltweit verbreitetste „Hochgradorganisation" der Freimaurerei.
Ich hatte mir bei einem Englandaufenthalt „Morals and Dogma" (erschienen 1872) besorgt. Geschrieben hat es Albert Pike, einer der geistigen Urväter des „Schottischen Ritus". Eine deutsche Ausgabe gibt es bis heute nicht. Pike schrieb deutlich: „Das Freimaurertum, wie all die Religionen, all die Mysterien, wie die Hermetik und wie die Alchemie, verbirgt seine Geheimnisse vor allen außer vor den Eingeweihten und Weisen, den Auserwählten, und benutzt falsche Erklärungen und falsche Interpretationen seiner Symbole, um jene irrezuführen, die es verdient haben, nur irregeführt zu werden; um die Wahrheit zu verbergen, die Licht genannt wird und um (die Unwürdigen) davon wegzuführen." Man kann darin ein klares Bekenntnis zur Elite sehen. Man kann es auch als Statement für einen Geheimorden verstehen. Jedenfalls gefiel mir diese Deutlichkeit besser als die intellektuelle Bettelsuppe, die Autoren à la Charles von Bokor anrührten: „Zwischen der Kirche und der Freimaurerei, diesen beiden Bannerträgern der Nächstenliebe, deren Wege eigentlich hätten parallel verlaufen müssen, bestand mehr als zwei Jahrhunderte lang eine fast unüberbrückbare Kluft".
Das Kölner Logenhaus lag in der Nähe des Stadtgartens. An frühen Sommerabenden sah man viele Jogger dort, auch etliche adrett gekleidete Frauen und Männer, Eiswaffeln in der Hand oder „Financial Times" unterm Arm. Viele Versicherungen und Anwaltspraxen hatten ihre Niederlassungen in dieser Gegend. Wie in allen alten Wohnanlagen auch hier das typische Manko: kein Parkplatz weit und breit. Für mich kein Problem, ich war mit der U-16 vom Bahnhof zur Ulrepforte gefahren. Später stellte ich fest, die Lage der Logenhäuser ist sehr verschieden. Normalerweise liegen sie in Wohngegenden der Mittelschicht und sind meistens für Logenzwecke umgebaut. Man erkennt sie leicht, denn eine Tafel am Eingang, nicht selten mit Winkelmaß und Zirkel verziert, weist unzweideutig darauf hin, dass hier eine Freimaurerloge ihr Quartier hat.
Wir saßen im Keller des Hauses an U-förmig zusammengestellten Tischen. Auch hier war ich einziger Interessent. Die Atmosphäre wirkte ungleich entkrampfter als in Mönchen- gladbach. Der Referent stellte sich als Redner der Loge vor: Peter Zeugner leitete ein Architekturbüro. Thema seines Vortrags: „Sind die freimaurerischen Symbole zeitgemäß?" Sein Vortrag war kurz und provozierte Fragen. Als Fremder zum erstenmal in dieser Runde, hielt ich mich naturgemäß zurück. Herr Zeugner brach clever das Eis, indem er mich fragte: „Was meinen Sie, lassen sich in Zeiten, in denen wir über Datenautobahnen surfen, noch Symbole wie Winkelmaß und Zirkel verwenden?" Plötzlich fand ich mich mitten im Gespräch. Nach dem offiziellen Ende saßen Herr Zeugner, der Meister vom Stuhl und ich noch lange zusammen. Zwischen Herrn Zeugner und mir entspann sich ein Dialog, dem der Meister vom Stuhl lächelnd folgte, in seiner zurückgenommenen Haltung verharrend, wie ein Supervisor beim Management-Training - oder besser, wie einer jener Buddhas, die vor ostasiatischen Reisebüros oder China-Restaurants stehen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Burkhardt Gorissen
- 304 Seiten, Maße: 14,1 x 21,9 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828944949
- ISBN-13: 9783828944947
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