Ich war zwölf
...und konnte mich nicht wehren
Lange Zeit schweigt Nathalie, aus Verwirrung, Scham und Angst. Eines Tages jedoch fasst sie Mut und beginnt zu sprechen.
Nathalie ist zwölf: ein ganz normales Mädchen, das stolz ist, wenn ihr Vater sie lobt und "meine Beste"...
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Produktinformationen zu „Ich war zwölf “
Lange Zeit schweigt Nathalie, aus Verwirrung, Scham und Angst. Eines Tages jedoch fasst sie Mut und beginnt zu sprechen.
Nathalie ist zwölf: ein ganz normales Mädchen, das stolz ist, wenn ihr Vater sie lobt und "meine Beste" nennt. Doch eines kann sie nicht verstehen: dass ihr Vater nachts zu ihr kommt, wenn alle anderen schon schlafen, und sie bedrängt, Dinge mit ihm zu tun, die man doch nicht tun darf.
Lese-Probe zu „Ich war zwölf “
Ich war zwölf ... und konnte mich nicht wehren von Nathalie SchweighofferVORWORT DES HERAUSGEBERS
Nachdem sie einen Prozess gegen ihren Vater angestrengt hatte, erklärte sich Nathalie im März 1989 damit ein-
verstanden, in der von Francois de Closets moderierten Fernsehsendung Méditations über ihren Fall zu berichten. Die Sendung ermutigte sie zu dem Entschluss, ihre Geschichte aufzuschreiben.
Von ihrem Willen und der Eindringlichkeit ihrer Aussagen beeindruckt, rief Francois de Closets mich an, um mir von Nathalie zu erzählen.
Ich habe sie dann getroffen, und sie teilte mir ihre Absicht mit. Da ich fürchtete, dieser Bericht würde sie unaufhörlich an ihre kaum erträglichen Erlebnisse erinnern, wollte ich sie zunächst von ihrem Vorhaben abbringen. Doch Nathalies Entschiedenheit überzeugte mich bald: Ihre Qualen wären nicht umsonst gewesen, wenn ihr Dokument heute vergewaltigten Mädchen - und sei es nur einem einzigen - helfen kann, das Schweigen zu brechen. Daher rührt ihr Entschluss, uns zu berichten, was für ein Leben sie fünf Jahre lang geführt hat.
Ihre Geschichte ist in ihrer Härte, ihrer zuweilen schier unerträglichen Grausamkeit exemplarisch - notwendig.
Dass ich sie heute an die Öffentlichkeit bringe, erfüllt mich mit Stolz.
Bernard Fixot
1. KAPITEL
... mehr
Was geschieht mit mir? Er steht da in seinem braunen Bademantel, vor meinem Bett, mit merkwürdigem Ge-
sichtsausdruck, einem harten kalten Blick, als hätte ich etwas Schlimmes getan. Ich habe heute nichts Schlimmes getan. Warum habe ich Angst? Ich weiche an die Wand zurück, drücke mich dagegen, ich ziehe das Betttuch über mich. Ich müsste davonlaufen, verschwinden, aber hinter mir ist die Wand und vor mir mein Vater. Warum sitzt er zu dieser Stunde auf meinem Bett? Da stimmt doch etwas nicht.
Er streichelt mein Haar, und ich fühle mich bedroht, als bekäme ich gleich eine Ohrfeige.
»Papa, was willst du? Hör auf, lass mich.«
Er beginnt von Franck zu sprechen. Ich begreife nicht.
Er will wissen, was Franck mit mir macht, ob er mich küsst, wohin er seine Hand legt. Er will, dass ich ihm alles über Franck sage. Eine Menge langer, dahingemurmelter Sätze, immer weiter spricht er von Franck. Was soll ich ihm sagen? Was hat er sich in den Kopf gesetzt? Ich bin zwölfeinhalb, ich habe nichts mit Franck gemacht. Er irrt sich, er will Dinge wissen, die nicht vorgefallen sind. Was will er denn von mir hören? Mich macht das sprachlos. Nie zuvor hat er das getan. Eine fürchterliche Leere ist in meinem Kopf. Unmöglich, eine Zeit lang auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Noch immer stellt er Fragen. Fast möchte man meinen, er will, dass ich lüge, dass ich ihm Geschichten erzähle. Ich darf nicht schockiert aussehen. Ich muss das kleine Mädchen spielen, das die Worte, die er ausspricht, die Gebärden, die er sich ausdenkt, normal findet.
»Das ist nicht wahr, Papa. Ich mag Franck gern, er ist mein Freund. Aber warum fragst du mich das?
Ja, Franck ist mein Liebster. Wir halten uns an den Händen, das ist alles.«
Ich weiß, dass sich die Liebespaare im Fernsehen umarmen. Aber Franck und ich tun das nicht. Wir halten nur Händchen. Ich kann keinen Jungen umarmen, ich bin zu klein. An so etwas habe ich mit Franck noch nicht einmal gedacht. Wovon wir beide sprechen? Weiß ich doch nicht. Was wir machen, wenn wir allein sind? Och, wir reden halt. Und dann schauen wir uns in die Augen, aber das werd' ich ihm nicht sagen. Wir schauen uns an, als wären wir Kinder von einer anderen Welt. Es ist wunderschön, mit seiner Hand in meiner.
Das geht meinen Vater nichts an. Immer weiter streichelt er mein Haar, was er macht, ist nicht normal. Ich spür das genau. Mir ist zu heiß, ich fürchte mich zu sehr, ich möchte, dass er weggeht und mich schlafen lässt. Meine Augen brennen. Ich verstehe nicht, warum er mich mitten in der Nacht weckt, um mit mir zu plaudern. Er sagt, dass es Dinge gibt, die ich wissen muss, weil ich älter werde. Was für Dinge?
Ich bitte ihn freundlich, sich schlafen zu legen, weil ich müde bin. Er sieht enttäuscht aus. Aber er geht weg, wobei er seinen braunen Bademantel zurechtrückt. Nie ist er ohne diesen Bademantel. Das ist wie eine Uniform am Abend. Ich weiß nicht, was er im Sinn hatte, aber ich kann nicht mehr schlafen. Mein Vater ist komisch, er führt ein Nachtleben, er schuftet die ganze Zeit, er denkt an nichts anderes. Die Arbeit, immer die Arbeit. Wenn er bedeutungsvoll von seiner Arbeit spricht, hat man den Eindruck, dass er von etwas Großartigem redet. Und ich bin überzeugt, dass die Arbeit herrlich ist, wie er sagt. Es gibt nichts Besseres auf der Welt! Manchmal sehe ich ihn an seinem Schreibtisch sitzen, wie er Rechnungen an seine Kunden schreibt. Er ist schön, unbezwinglich. Und ich bin nichts daneben. Trotzdem ist er stolz auf mich. Weil ich gut in der Schule bin, ich bin immer die erste, immer fröhlich, immer freundlich, immer alles! Damit er stolz auf mich ist. Er hat mir eine mechanische Schreibmaschine gekauft, er hat mir Buchführung beigebracht, mir erklärt, wofür man sie braucht, und alles Übrige. Nachdem er am Abend seine Reparaturwerkstatt für Radios geschlossen hat, lehrt er mich die Berechnung der Mehrwertsteuer. Ich hab schon alles verstanden. Ich will ihm helfen. Denn mein Vater ist ehrgeizig, er rackert sich für seine Familie ab, er sagt, er will für seine Kinder all das, was er nicht gehabt hat. Ich habe beschlossen, dass ich ihm dabei helfen werde. Ich werde genauso ehrgeizig sein wie er, genauso groß wie er. Sein Motto ist: Man muss jung anfangen. Ich habe erstaunlich schnell begonnen. Jetzt arbeite ich drei Stunden pro Woche, und ich bin ungeheuer versiert. Ich bin kein einfaches kleines Mädchen mehr, ich bin seine kleine Sekretärin, seine rechte Hand, seine Buchhalterin. Ich hab das gern, weil es mich älter macht, ich habe den Eindruck, wichtig zu sein, wie eine Erwachsene. Wenn meine Mutter nur nicht dazwischenfunkte, wäre alles bestens. Sie sagt, es werde bei Schulbeginn schwierig werden. Was kümmert mich der Schulbeginn! Der ist in zwei Monaten. In zwei Monaten werde ich unentbehrlich sein und abends arbeiten wie er. Er hat nicht genug Geld, um einen Buchhalter zu bezahlen, damit wäre der Gewinn futsch. Ich werde ihm helfen, Gewinn zu machen. Das ist gut.
Ich kann nicht wieder einschlafen wegen dieser Geschichte mit Franck. Und wie er mir die Haare gestreichelt hat. Gewöhnlich sind Zärtlichkeiten bei ihm eher selten. Ich bitte ihn auch nie darum. Ich warte darauf, dass er mich fragt. Ich weiß nicht warum. Trotzdem bewundere ich, liebe ich meinen Vater. Ich habe es Franck gesagt. Manchmal hört man, Mädchen seien in ihren Vater verliebt, aber ich nicht. Ich finde ihn toll. Ich habe Respekt vor ihm, ich will werden wie er.
Mit Franck ist es anders, er ist meine erste Liebe, wie es heißt, aber wir haben vor allem eine Vorliebe: Tennis. Wir spielen immer zusammen, und Papa ist oft da, um uns zuzusehen. Also, was glaubt er eigentlich? Warum fragt er mich, ob Franck besondere Dinge mit mir macht?
Ich muss schlafen und vergessen. Aber ich kann nicht. Diese besonderen Dinge sind wohl schmutzig. Er denkt, ich mache schmutzige Dinge mit Franck. Wie soll ich ihn überzeugen, dass er sich irrt? Ich werde ihm doch nicht sagen, dass Franck seine Hand irgendwohin legt, eben da ..., wo er sagt, dass er sie hinlegt. Auf die Brust und überall.
Ich bin aufgeregt. Nervös. Ich muss geschlafen haben, ohne es zu merken, und habe den Tag genauso verbracht wie eine Schlafwandlerin, habe Dinge getan, die man in den Ferien tut. Aber jetzt ist es wieder Nacht. Und ich habe Schiss. Ich fühle, dass er wieder kommen wird. Es ist neun Uhr abends, ich ängstige mich zu Tode. Ich schaue zum Himmel und will mit ihm sprechen. Denn ich spreche oft mit dem Himmel, er ist ein Freund, ein richtiger. Der einzige Freund, mit dem ich stundenlang reden kann, ohne dass er mir widerspricht. Das ist wichtig für ein kleines Mädchen. Wenn ich eine gute Note haben will, bitte ich ihn darum, und er macht mir eine Freude, indem er sie mir gewährt.
Aber diesmal spüre ich, dass es nicht klappen wird. Als wenn ich den Himmel um etwas bäte, das er mir nicht geben kann. Was ich will, hängt nicht vom Himmel ab. Es hängt von meinem Vater ab. Er darf nicht wiederkommen, er muss mich in Ruhe lassen. Ich verzichte liebend gern darauf, dass er mir wieder das Haar streichelt und über diese schmutzigen Dinge mit Franck spricht. Ich will nicht. Ich sage es meinem Plüschtier, aber ich glaube, das wird nichts nützen.
Er hat mich wieder geweckt, mein Vater. Er setzt sich auf mein Bett. Diesmal habe ich wirklich Angst vor seinem Gesichtsausdruck. Er hat böse Augen und zieht am Betttuch. Ich frage ihn, was er in meinem Zimmer macht, und er spricht wieder von Franck. Er ist besessen davon. Wieder streichelt er mein Haar, dann mein Gesicht, er will wissen, wo Franck mich streichelt.
Lieber Gott, Mama, habe ich Angst. Er macht Dinge, die er sonst nie macht. Er umarmt mich, küsst mich auf den Hals, legt seine Hände auf meine Arme, dann auf meinen Bauch. Das ist nicht normal, ich kann das nicht zulassen. Ich winde mich, ich weiche an die Wand zurück, ich krieche ans andere Bettende, aber er gibt nicht auf. Ich weiß, dass ich kein Recht habe, nein zu sagen. Er hasst das. Er will, dass man gehorcht, ihm Respekt zollt, sonst ist man ein Stück Dreck. Ich gehorche immer, weil ich glaube, es ist wichtig, auf das zu hören, was er sagt. Aber hier kann ich es nicht. Ich will, dass er verschwindet. Mein Gott, mach, dass er verschwindet, dass er aufhört, mich überall so zu begrapschen.
»Lass das, Papa, ich will nicht! Du siehst doch, dass ich nicht will! Ich will, dass du mich in Ruhe lässt.«
Er hört nicht oder tut so, als hörte er nicht. Ich hab genug von diesem Zirkus. Er versucht ständig, weiterzugehen, will meine Brust anfassen, ich hab fast noch keine, sie ist noch kaum entwickelt. Ich trage noch nicht einmal einen Büstenhalter. Nächstes Jahr, wenn ich in die fünfte Klasse komme, wird Mama mir sicher einen kaufen. Jetzt soll er aber wirklich verschwinden!
»Papa, hau bitte ab!«
Ihm fällt nicht einmal meine Ausdrucksweise auf. Gewöhnlich sage ich nicht »hau ab« zu meinem Vater, aber nun spreche ich nicht mit meinem Vater, auch wenn ich ihn Papa nenne, ich spreche zu jemand anderem, zu einem Kerl, der kommt, um mich zu befingern, wenn ich abends im Bett bin, der mich deswegen aufweckt.
»Mir reicht's, Papa, hau ab!«
Endlich. Ich habe so gedrängt, dass er sich in seinem braunen Bademantel fortgemacht hat. Ich bin gerettet. Aber wie lange? Wird er mich jeden Abend so aufsuchen? Werde ich diesen Kerl ertragen müssen? Dieser Mann da ist nicht mehr mein Vater. Ich begreife nichts mehr. Mir ist ganz wirr im Kopf, ich weiß nicht, was er will. Er will etwas, aber was? Ich bin sein kleines Mädchen, was kann ich tun? Ich kann ihm nicht viel geben. Meine Mutter schläft, sie ist müde. Sie ist anders als er, sie schläft nachts. Er nie. Er führt auch nachts ein Leben, aber ein anderes. Was ist geschehen? Was habe ich getan, dass es nicht mehr wie früher ist? Was fällt ihm ein, mich zu wecken, um sich angeblich mit mir zu unterhalten? Und er will sich nicht nur unterhalten. Anfangs hab ich das geglaubt. Jetzt nicht mehr. Er kommt heimlich. Er wartet, bis alle schlafen. Das ist nicht weiter schwierig, schließlich muss man zeitig schlafengehen. Verboten, nach acht Uhr abends fern zu sehen. Verboten, auf der Straße zu spielen, außer sonntags. Verboten, Schimpfworte zu benutzen, verboten, ins Kino zu gehen. Disziplin. Nur das hat er im Kopf, Disziplin und Arbeit. Gehorsam. Respekt. Für sie ist mein Vater ein Mann, der in Ordnung ist, fleißig, ein »Arbeitstier«, wie er von sich sagt, er will der Herr sein, und er duldet keine Widerrede.
Als ich zehn war, hat mir meine Großmutter Dinge erzählt, die mich an ihm zweifeln ließen. Aber ich wusste, dass sie ihn nicht mochte. Ich erinnere mich gut daran, ich aß Trauben, ich verbrachte die Ferien mit meiner Schwester in Belgien, und Großmama hat angefangen, mir Geschichten über die Heirat meiner Eltern zu erzählen. Bevor er meine Mutter kennen lernte, war er mit einem Mädchen befreundet, in das er wahnsinnig verliebt war; eines Tages hatten sie einen Streit, und es war aus. Danach hat er meine Mutter geheiratet. Das erste Jahr ging alles gut. Und dann hat er dieses Mädchen wieder getroffen, und Großmama sagt, dass er von dieser Schlampe nie losgekommen ist. Er hat meine Mutter betrogen, sie wollte sich scheiden lassen, doch er nicht. Sie waren erst seit zwei Jahren verheiratet, und ich war da.
Ich muss über all das nachdenken, was mir Großmama in diesem Sommer erzählt hat. Ich war damals zehn, und ich gebe zu, dass es ein bisschen an mir vorbeigerauscht ist. Aber jetzt verstehe ich. Etwas Unnormales hat sich da abgespielt, mein Vater wollte mit beiden Frauen weiterleben. Nur hat sich meine Mutter geweigert. Sie wollte sich scheiden lassen und mich behalten. Das ist das gute Recht einer Mutter. Doch er wollte nichts verlieren. Weder seine Frau noch seine Geliebte, noch seine Tochter. Schon damals war er also ein Schuft.
Mein Vater ist ein Schuft. Großmama hat es mir gesagt, und ich begriff nicht wirklich, was das bedeutete: Mein Vater - ein Schuft. Weil er mein Vater war. Ich dachte, Großmama sagte das, weil sie ihn nicht mochte. Jetzt sage ich es selbst. Ich liege da, ganz in mein Bett vergraben, denn sicherlich wird er heute Abend wieder kommen. Der Schuft wird wieder kommen. Ganz gleich, ob ich mich schlafend stelle. Er kommt jetzt jeden Abend. Ihm ist es schnuppe, ob ich Angst habe. Er hört nichts von dem, was ich sage. Sobald ich ihm ausweiche, wird er augenblicklich ärgerlich. Ich habe kein Recht, die Türe mit dem Schlüssel zu verschließen oder woanders zu schlafen. Da ist kein Woanders. Es gibt das Zimmer der Eltern, wo meine Mutter schläft, das meiner Schwester und meines kleinen Bruders, in dem die beiden ruhig schlafen. Ich nicht. Kein Woanders, kein Himmel, der mir antwortet.
Jetzt verstehe ich also, was Großmama erzählte. Von Tisch und Bett getrennt und jeden zweiten Sonntag Besuche bei Papa. Er hatte eine Bar übernommen, und dieses Mädchen arbeitete mit ihm zusammen. Ich kann kaum zwei Jahre alt gewesen sein, und am ersten Sonntag ging alles gut. Punkt sechs Uhr abends hat er mich zu Großmama zurückgebracht. Aber am zweiten Sonntag - der große Krach. Er wollte mich nicht wieder abliefern. Alle waren in Aufregung, meine Mutter hat die Polizei verständigt, niemand wusste, wo er mit mir steckte. Am nächsten Tag besuchte er meine Mutter. Ich soll im Auto geweint haben, wo er mich sicherheitshalber eingeschlossen hatte. Erst jetzt verstehe ich all das, was Großmama mir erzählt hat. Er hat sie glatt erpresst, indem er sagte, er würde sich umbringen, wenn meine Mutter ihn nicht in die neue Stadt begleiten würde, in der er arbeiten wollte. Sie hat nachgegeben. Großmama sagte zu mir: »Was sollte sie tun, er hielt dich gefangen, sagte, er würde sich umbringen ... Außerdem hat er sie vor der ganzen Familie geschlagen. Dieser Feigling!«
Und ich hab geglaubt, dass sie dummes Zeug redete. Dass sie etwas dazudichtete, weil sie ihn nicht ausstehen konnte.
Ein Schuft, ein Filou und ein Feigling. Als ich aus den Ferien zurückkam, habe ich von meinem Vater Erklärungen gefordert für die Geschichte mit diesem Mädchen, in das er verliebt war, und für die Scheidung. Ich wollte, dass er mir selbst erzählte, was passiert war. Mama hatte nie darüber gesprochen. Und ich hatte ihm nichts vorzuwerfen, er war immer nett, er schlug mich nie. Seinen Erklärungen entnahm ich, dass er in seiner Jugend Dummheiten gemacht hatte, aber dass damit jetzt Schluss war. Alles in Ordnung.
Jetzt weiß ich, dass es nicht stimmt. Ich bin zwölfeinhalb, und ich bin älter geworden, wie er sagt, und ich nenne ihn Schuft, Filou, Dreckskerl, Feigling.
Weil er mir auf Schritt und Tritt folgt. Jeden Abend. Und da sitze ich in meinem Bett und bete zum Himmel, es möge aufhören. Aber der Himmel hat mich sicher nicht gehört. Gott ist zu beschäftigt, um mich zu bemerken.
Am schwierigsten ist herauszufinden, wie ich ihm sagen soll, dass ich's satt habe. Ich wag es nicht. Ich frage mich die ganze Zeit, was ich tun soll. Muss ich diese Situation hinnehmen, weil es mein Vater ist, oder ihm sagen, dass ich nicht mehr will? Wirklich und wahrhaftig. Dass er aufhören soll, das jeden Abend zu machen? Mich macht das krank, ich habe einen Kloß im Hals, wenn ich nur daran denke. Angst. Den ganzen Tag spukt das in meinem Kopf herum, wenn ich die alltäglichen Dinge tue, wenn ich mit Franck Tennis spiele, wenn ich auf meiner Maschine tippe, wenn ich auf meinem elektronischen Klavier spiele. Wenn ich den Tisch decke, wenn ich Mama beim Abwasch helfe. Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf, ich weiß, die Nacht wird kommen, und er wird diese verdammte Tür öffnen. Wie lange bin ich schon nicht mehr dieselbe? Wochen schon. Die Zeit vergeht in einem Nebel ständiger Angst. Meine Tage sind nicht so wie früher, ich lebe nicht mehr wie vorher, ich bin irgendwohin verschwunden, wohin weiß ich nicht.
Mein Zimmer ist nicht mehr mein Zimmer, meine eigene kleine Ecke, meine Welt, wo ich träumte, wo ich mir fantastische Geschichten ausdachte. Er hat alles kaputt gemacht, alles beschmutzt. Ich fühle mich nicht wie zu Hause, es ist irgendein kaltes Zimmer mit einem Bett und einer Tür. Und er öffnet die Tür, er geht auf das Bett zu und beschmutzt mich. Ich traue mich nicht einmal mehr, mich auszuziehen. Wenn ich nur in meinen Jeans und meinem T-Shirt unter die Decke kriechen könnte, wenn ich mich ins Bettlaken einnähen könnte, damit er mich nicht anrührt. Wenn ich anstelle der verdammten Tür eine Mauer aus Beton errichten könnte. Ich weiß mir keinen Rat. Ich bin schmutzig, er ist schmutzig. Das Schlimmste ist, dass ich ihm das nicht sagen kann. Mir gelingt es einfach nicht. Er kann mit seiner Tochter anstellen, was er will, seinem kleinen Liebling, wie er sagt. Wenn ich mich wehre oder wenn ich schreie ... gesetzt den Fall, ich würde schreien ... Er wird mich schlagen. Er hat meine Mutter geschlagen, als sie ihn nicht begleiten wollte. Er wird auch mich schlagen. Das sehe ich seinen Augen an. Ich habe kein Recht zu verraten, was er macht. Ich weiß nicht, wo es geschrieben steht, aber irgendwo steht es geschrieben. Außerdem habe ich Angst. Sicher bin ich Schuld. Wie kommt es, dass ich nicht mehr sein Spätzchen, sein kleiner Schatz bin, den man nicht anrührt. Was habe ich Böses getan? Ist es wegen Franck? Weil ich einen Liebsten habe?
Es stimmt, ich bin jetzt groß. In meinem Kopf hat sich etwas geändert. Da drin bin ich ganz allein. Ich habe andere Gedanken als die anderen. Nicht wie früher. Angstgedanken. Ich habe das Gefühl, ich könnte nie mehr mit jemandem sprechen.
Vielleicht wird mich mein großer Freund, der liebe Gott, heute Abend erhören. Es ist eine schöne Nacht. Es ist warm, und ich sehe mich auf einem Meer von Sternen segeln. Ich sehe aus dem Fenster und schaue die Nacht an. Er wird mir diese Nacht nicht vermiesen. Und auch keine andere. Schluss. Aus. Ich werde dafür sorgen, dass alles wieder seinen geregelten Gang geht, wie er sagt. Ich will mein früheres Leben wieder finden. So sauber, wie es früher war.
Er kommt herein, er ist da. Es ist mein Vater und in meinem Körper und meinem Kopf ist nichts als Angst. Ich zittere innerlich. Einmal mehr hat er mich überrumpelt. Ich wollte wach sein, damit er nicht zum Bett kommt, und jetzt steht er davor. Ich bin auf diesem Bett festgenagelt. Er legt sich neben mich, er streichelt mein Haar, er beginnt immer so, mit den Haaren. Danach lässt er seine Hand hinuntergleiten, als würde er es gar nicht bemerken, und ich muss so tun, als würde ich es auch nicht bemerken. Aber diesmal geht er weiter. Ich habe mein langes Nachthemd angezogen, das bis zu den Füßen reicht, um mich zu schützen. Aber er fummelt darunter herum, versucht, meinen Schlüpfer zu entfernen. Ich habe ihn absichtlich angelassen, und er will ihn mir ausziehen. Das darf er nicht. Wenn er das macht, könnte ich ihn nie mehr lieben. Ich muss den Mut aufbringen und etwas tun, um ihn daran zu hindern. Ich stehe blitzartig auf und flitze ans andere Ende des Zimmers. Geschafft, ich bin seinen Händen entronnen.
»Was machst du?«
»Ich will nicht.«
»Komm her.«
Er hat böse Augen. Es wird ihn zornig machen, aber sei's drum, ich wusste es, ich werde ihm sagen:
»Ich will nicht, dass du solche Sachen machst. Das ekelt mich an.«
Nie zuvor hat sich sein Gesichtsausdruck so schnell verändert. Selbst die Farbe seiner Augen. Er packt mich heftig am Arm, öffnet die Tür und zieht mich in den Flur bis zum Badezimmer. Das Haus ist totenstill, alle schlafen, und er presst meinen Arm ganz fest, damit ich keinen Lärm mache, er sieht so aufgeregt aus, dass ich nicht begreife, was los ist. Ich glaubte, er würde aufhören, wenn ich sage »nein, ich will nicht, das ekelt mich an«. Er hat mich nie zu Dingen gezwungen, die ich nicht wollte. Wenn ich bei Tisch etwas nicht essen will und sage »mag ich nicht«, muss ich's auch nicht. Aber ich habe kein Recht, ihm etwas zu verweigern. Für ihn ist »nein« wie eine Beleidigung. Nur die Erwachsenen dürfen nein sagen. Und ich bin eben in die Welt der Erwachsenen eingetreten, ich habe zum ersten Mal »nein« gesagt. Und es geht nicht. »Nein« ist verboten. Er schnauzt mich mit heiserer Stimme im Badezimmer an, ohne meinen Arm loszulassen.
»Das verstehe ich nicht. Wenn ich in den anderen Nächten zu dir gekommen bin, hast du da etwa gesagt, du liebst mich nicht? Machst du dich vielleicht über mich lustig? Weißt du, wie man Frauen nennt, die sich so benehmen? Schlampen! Hörst du? Das sind Schlampen!«
Er bringt es fertig zu schreien, ohne zu schreien, sein Mund ist so nah an meinem Ohr, dass die Beleidigungen in meinem Schädel widerhallen. Ich möchte weinen, aber ich muss mich zuerst verteidigen. Meine Stimme zittert.
»Papa, das stimmt nicht. jedes Mal, wenn du gekommen bist, hab ich dir gesagt, dass ich nicht will. Du hast mir nicht zugehört. Bitte, lass mich los. Bitte, lass mich in Ruhe.«
Das macht ihn noch zorniger. Mein Arm tut weh, meine Hand ist ganz rot - so hat er mich gepackt, als er mich schüttelte. Ich gerate in eine unvorstellbare Panik. Noch höre ich seine Beleidigungen, unverständliche Sätze, aufgeschnappte Worte. Noch einmal sagt er, dass ich eine Schlampe bin, dass ich meinen Vater nicht liebe. Alle kleinen Mädchen müssen ihren Vater lieben, und ich führe mich wie eine Schlampe auf, die ihren Vater nicht liebt ...
Heißt das, seinen Papa lieben? So habe ich das nicht aufgefasst. Zuerst habe ich ihn geliebt, ich liebe ihn immer noch, meinen Papa. Gerade weil ich ihn lieben will, wehre ich mich gegen die schmutzigen Dinge, die er mit mir machen will. Zum Beispiel meinen Schlüpfer ausziehen. Ein Papa tut so was nicht mit seiner Tochter. Das weiß ich. Das ist nicht normal. Aber er sagt, dass ich ihn so lieben muss. Mir kommen die Tränen, ganz schnell, und ich habe nur eine Hand, um sie abzuwischen, damit ich keinen Schleier vor den Augen habe.
Er hat mich losgelassen. Mit einer - immer derselben - Geste rückt er seinen braunen Bademantel zurecht und geht hinaus. Ich bleibe allein. Allein. Ich bin allein im Badezimmer. Was geschieht jetzt? Hat er mich bestraft? Hat er mich hier eingeschlossen? Ich muss verstehen, warum er so zornig ist. Verstehen, verstehen, ich kann's nicht. Immer noch habe ich panische Angst. Es ist schlimmer als an dem Tag, wo ich ins Wasser gefallen bin, ins Meer, ich schluckte Wasser und war am Ersticken. Ich erinnere mich an diese panische Angst, ich glaubte, dass es das Allerschlimmste sei, wenn man ganz allein kämpfen muss. Heute Abend, im Badezimmer, ist es noch schlimmer. Ich kann nicht mehr. Ich bin allein, ganz allein.
Er ist zurückgekommen. Keine Zeit, meine Tränen hinunterzuschlucken und mich zu besinnen. Erneut beginnt er mit heiserer Stimme zu schreien, es ist entsetzlich. Er will fortgehen, wegen mir wird er fortgehen. Er wird sich ganz schnell ankleiden und seine Koffer packen, um mir mein Leben nicht mehr zu vermiesen. Wenn »Mademoiselle« Launen hat, wenn sie ihren Vater nicht mehr liebt, also gut, dann geht er eben! Alle werden wissen, dass er wegen mir gegangen ist, ich bin Schuld, es ist mein Fehler.
»Wegen dir, verstehst du das? Ich gehe fort, und du bist Schuld!«
Aber was soll ich machen? Ich will nicht, dass er das Haus verlässt, ich will nur, dass er mich nicht mehr anfasst. Dass er mich nicht mehr mitten in der Nacht aufweckt, um mit mir diese Dinge zu machen ...
Übersetzung: Pia Westhoff
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Was geschieht mit mir? Er steht da in seinem braunen Bademantel, vor meinem Bett, mit merkwürdigem Ge-
sichtsausdruck, einem harten kalten Blick, als hätte ich etwas Schlimmes getan. Ich habe heute nichts Schlimmes getan. Warum habe ich Angst? Ich weiche an die Wand zurück, drücke mich dagegen, ich ziehe das Betttuch über mich. Ich müsste davonlaufen, verschwinden, aber hinter mir ist die Wand und vor mir mein Vater. Warum sitzt er zu dieser Stunde auf meinem Bett? Da stimmt doch etwas nicht.
Er streichelt mein Haar, und ich fühle mich bedroht, als bekäme ich gleich eine Ohrfeige.
»Papa, was willst du? Hör auf, lass mich.«
Er beginnt von Franck zu sprechen. Ich begreife nicht.
Er will wissen, was Franck mit mir macht, ob er mich küsst, wohin er seine Hand legt. Er will, dass ich ihm alles über Franck sage. Eine Menge langer, dahingemurmelter Sätze, immer weiter spricht er von Franck. Was soll ich ihm sagen? Was hat er sich in den Kopf gesetzt? Ich bin zwölfeinhalb, ich habe nichts mit Franck gemacht. Er irrt sich, er will Dinge wissen, die nicht vorgefallen sind. Was will er denn von mir hören? Mich macht das sprachlos. Nie zuvor hat er das getan. Eine fürchterliche Leere ist in meinem Kopf. Unmöglich, eine Zeit lang auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Noch immer stellt er Fragen. Fast möchte man meinen, er will, dass ich lüge, dass ich ihm Geschichten erzähle. Ich darf nicht schockiert aussehen. Ich muss das kleine Mädchen spielen, das die Worte, die er ausspricht, die Gebärden, die er sich ausdenkt, normal findet.
»Das ist nicht wahr, Papa. Ich mag Franck gern, er ist mein Freund. Aber warum fragst du mich das?
Ja, Franck ist mein Liebster. Wir halten uns an den Händen, das ist alles.«
Ich weiß, dass sich die Liebespaare im Fernsehen umarmen. Aber Franck und ich tun das nicht. Wir halten nur Händchen. Ich kann keinen Jungen umarmen, ich bin zu klein. An so etwas habe ich mit Franck noch nicht einmal gedacht. Wovon wir beide sprechen? Weiß ich doch nicht. Was wir machen, wenn wir allein sind? Och, wir reden halt. Und dann schauen wir uns in die Augen, aber das werd' ich ihm nicht sagen. Wir schauen uns an, als wären wir Kinder von einer anderen Welt. Es ist wunderschön, mit seiner Hand in meiner.
Das geht meinen Vater nichts an. Immer weiter streichelt er mein Haar, was er macht, ist nicht normal. Ich spür das genau. Mir ist zu heiß, ich fürchte mich zu sehr, ich möchte, dass er weggeht und mich schlafen lässt. Meine Augen brennen. Ich verstehe nicht, warum er mich mitten in der Nacht weckt, um mit mir zu plaudern. Er sagt, dass es Dinge gibt, die ich wissen muss, weil ich älter werde. Was für Dinge?
Ich bitte ihn freundlich, sich schlafen zu legen, weil ich müde bin. Er sieht enttäuscht aus. Aber er geht weg, wobei er seinen braunen Bademantel zurechtrückt. Nie ist er ohne diesen Bademantel. Das ist wie eine Uniform am Abend. Ich weiß nicht, was er im Sinn hatte, aber ich kann nicht mehr schlafen. Mein Vater ist komisch, er führt ein Nachtleben, er schuftet die ganze Zeit, er denkt an nichts anderes. Die Arbeit, immer die Arbeit. Wenn er bedeutungsvoll von seiner Arbeit spricht, hat man den Eindruck, dass er von etwas Großartigem redet. Und ich bin überzeugt, dass die Arbeit herrlich ist, wie er sagt. Es gibt nichts Besseres auf der Welt! Manchmal sehe ich ihn an seinem Schreibtisch sitzen, wie er Rechnungen an seine Kunden schreibt. Er ist schön, unbezwinglich. Und ich bin nichts daneben. Trotzdem ist er stolz auf mich. Weil ich gut in der Schule bin, ich bin immer die erste, immer fröhlich, immer freundlich, immer alles! Damit er stolz auf mich ist. Er hat mir eine mechanische Schreibmaschine gekauft, er hat mir Buchführung beigebracht, mir erklärt, wofür man sie braucht, und alles Übrige. Nachdem er am Abend seine Reparaturwerkstatt für Radios geschlossen hat, lehrt er mich die Berechnung der Mehrwertsteuer. Ich hab schon alles verstanden. Ich will ihm helfen. Denn mein Vater ist ehrgeizig, er rackert sich für seine Familie ab, er sagt, er will für seine Kinder all das, was er nicht gehabt hat. Ich habe beschlossen, dass ich ihm dabei helfen werde. Ich werde genauso ehrgeizig sein wie er, genauso groß wie er. Sein Motto ist: Man muss jung anfangen. Ich habe erstaunlich schnell begonnen. Jetzt arbeite ich drei Stunden pro Woche, und ich bin ungeheuer versiert. Ich bin kein einfaches kleines Mädchen mehr, ich bin seine kleine Sekretärin, seine rechte Hand, seine Buchhalterin. Ich hab das gern, weil es mich älter macht, ich habe den Eindruck, wichtig zu sein, wie eine Erwachsene. Wenn meine Mutter nur nicht dazwischenfunkte, wäre alles bestens. Sie sagt, es werde bei Schulbeginn schwierig werden. Was kümmert mich der Schulbeginn! Der ist in zwei Monaten. In zwei Monaten werde ich unentbehrlich sein und abends arbeiten wie er. Er hat nicht genug Geld, um einen Buchhalter zu bezahlen, damit wäre der Gewinn futsch. Ich werde ihm helfen, Gewinn zu machen. Das ist gut.
Ich kann nicht wieder einschlafen wegen dieser Geschichte mit Franck. Und wie er mir die Haare gestreichelt hat. Gewöhnlich sind Zärtlichkeiten bei ihm eher selten. Ich bitte ihn auch nie darum. Ich warte darauf, dass er mich fragt. Ich weiß nicht warum. Trotzdem bewundere ich, liebe ich meinen Vater. Ich habe es Franck gesagt. Manchmal hört man, Mädchen seien in ihren Vater verliebt, aber ich nicht. Ich finde ihn toll. Ich habe Respekt vor ihm, ich will werden wie er.
Mit Franck ist es anders, er ist meine erste Liebe, wie es heißt, aber wir haben vor allem eine Vorliebe: Tennis. Wir spielen immer zusammen, und Papa ist oft da, um uns zuzusehen. Also, was glaubt er eigentlich? Warum fragt er mich, ob Franck besondere Dinge mit mir macht?
Ich muss schlafen und vergessen. Aber ich kann nicht. Diese besonderen Dinge sind wohl schmutzig. Er denkt, ich mache schmutzige Dinge mit Franck. Wie soll ich ihn überzeugen, dass er sich irrt? Ich werde ihm doch nicht sagen, dass Franck seine Hand irgendwohin legt, eben da ..., wo er sagt, dass er sie hinlegt. Auf die Brust und überall.
Ich bin aufgeregt. Nervös. Ich muss geschlafen haben, ohne es zu merken, und habe den Tag genauso verbracht wie eine Schlafwandlerin, habe Dinge getan, die man in den Ferien tut. Aber jetzt ist es wieder Nacht. Und ich habe Schiss. Ich fühle, dass er wieder kommen wird. Es ist neun Uhr abends, ich ängstige mich zu Tode. Ich schaue zum Himmel und will mit ihm sprechen. Denn ich spreche oft mit dem Himmel, er ist ein Freund, ein richtiger. Der einzige Freund, mit dem ich stundenlang reden kann, ohne dass er mir widerspricht. Das ist wichtig für ein kleines Mädchen. Wenn ich eine gute Note haben will, bitte ich ihn darum, und er macht mir eine Freude, indem er sie mir gewährt.
Aber diesmal spüre ich, dass es nicht klappen wird. Als wenn ich den Himmel um etwas bäte, das er mir nicht geben kann. Was ich will, hängt nicht vom Himmel ab. Es hängt von meinem Vater ab. Er darf nicht wiederkommen, er muss mich in Ruhe lassen. Ich verzichte liebend gern darauf, dass er mir wieder das Haar streichelt und über diese schmutzigen Dinge mit Franck spricht. Ich will nicht. Ich sage es meinem Plüschtier, aber ich glaube, das wird nichts nützen.
Er hat mich wieder geweckt, mein Vater. Er setzt sich auf mein Bett. Diesmal habe ich wirklich Angst vor seinem Gesichtsausdruck. Er hat böse Augen und zieht am Betttuch. Ich frage ihn, was er in meinem Zimmer macht, und er spricht wieder von Franck. Er ist besessen davon. Wieder streichelt er mein Haar, dann mein Gesicht, er will wissen, wo Franck mich streichelt.
Lieber Gott, Mama, habe ich Angst. Er macht Dinge, die er sonst nie macht. Er umarmt mich, küsst mich auf den Hals, legt seine Hände auf meine Arme, dann auf meinen Bauch. Das ist nicht normal, ich kann das nicht zulassen. Ich winde mich, ich weiche an die Wand zurück, ich krieche ans andere Bettende, aber er gibt nicht auf. Ich weiß, dass ich kein Recht habe, nein zu sagen. Er hasst das. Er will, dass man gehorcht, ihm Respekt zollt, sonst ist man ein Stück Dreck. Ich gehorche immer, weil ich glaube, es ist wichtig, auf das zu hören, was er sagt. Aber hier kann ich es nicht. Ich will, dass er verschwindet. Mein Gott, mach, dass er verschwindet, dass er aufhört, mich überall so zu begrapschen.
»Lass das, Papa, ich will nicht! Du siehst doch, dass ich nicht will! Ich will, dass du mich in Ruhe lässt.«
Er hört nicht oder tut so, als hörte er nicht. Ich hab genug von diesem Zirkus. Er versucht ständig, weiterzugehen, will meine Brust anfassen, ich hab fast noch keine, sie ist noch kaum entwickelt. Ich trage noch nicht einmal einen Büstenhalter. Nächstes Jahr, wenn ich in die fünfte Klasse komme, wird Mama mir sicher einen kaufen. Jetzt soll er aber wirklich verschwinden!
»Papa, hau bitte ab!«
Ihm fällt nicht einmal meine Ausdrucksweise auf. Gewöhnlich sage ich nicht »hau ab« zu meinem Vater, aber nun spreche ich nicht mit meinem Vater, auch wenn ich ihn Papa nenne, ich spreche zu jemand anderem, zu einem Kerl, der kommt, um mich zu befingern, wenn ich abends im Bett bin, der mich deswegen aufweckt.
»Mir reicht's, Papa, hau ab!«
Endlich. Ich habe so gedrängt, dass er sich in seinem braunen Bademantel fortgemacht hat. Ich bin gerettet. Aber wie lange? Wird er mich jeden Abend so aufsuchen? Werde ich diesen Kerl ertragen müssen? Dieser Mann da ist nicht mehr mein Vater. Ich begreife nichts mehr. Mir ist ganz wirr im Kopf, ich weiß nicht, was er will. Er will etwas, aber was? Ich bin sein kleines Mädchen, was kann ich tun? Ich kann ihm nicht viel geben. Meine Mutter schläft, sie ist müde. Sie ist anders als er, sie schläft nachts. Er nie. Er führt auch nachts ein Leben, aber ein anderes. Was ist geschehen? Was habe ich getan, dass es nicht mehr wie früher ist? Was fällt ihm ein, mich zu wecken, um sich angeblich mit mir zu unterhalten? Und er will sich nicht nur unterhalten. Anfangs hab ich das geglaubt. Jetzt nicht mehr. Er kommt heimlich. Er wartet, bis alle schlafen. Das ist nicht weiter schwierig, schließlich muss man zeitig schlafengehen. Verboten, nach acht Uhr abends fern zu sehen. Verboten, auf der Straße zu spielen, außer sonntags. Verboten, Schimpfworte zu benutzen, verboten, ins Kino zu gehen. Disziplin. Nur das hat er im Kopf, Disziplin und Arbeit. Gehorsam. Respekt. Für sie ist mein Vater ein Mann, der in Ordnung ist, fleißig, ein »Arbeitstier«, wie er von sich sagt, er will der Herr sein, und er duldet keine Widerrede.
Als ich zehn war, hat mir meine Großmutter Dinge erzählt, die mich an ihm zweifeln ließen. Aber ich wusste, dass sie ihn nicht mochte. Ich erinnere mich gut daran, ich aß Trauben, ich verbrachte die Ferien mit meiner Schwester in Belgien, und Großmama hat angefangen, mir Geschichten über die Heirat meiner Eltern zu erzählen. Bevor er meine Mutter kennen lernte, war er mit einem Mädchen befreundet, in das er wahnsinnig verliebt war; eines Tages hatten sie einen Streit, und es war aus. Danach hat er meine Mutter geheiratet. Das erste Jahr ging alles gut. Und dann hat er dieses Mädchen wieder getroffen, und Großmama sagt, dass er von dieser Schlampe nie losgekommen ist. Er hat meine Mutter betrogen, sie wollte sich scheiden lassen, doch er nicht. Sie waren erst seit zwei Jahren verheiratet, und ich war da.
Ich muss über all das nachdenken, was mir Großmama in diesem Sommer erzählt hat. Ich war damals zehn, und ich gebe zu, dass es ein bisschen an mir vorbeigerauscht ist. Aber jetzt verstehe ich. Etwas Unnormales hat sich da abgespielt, mein Vater wollte mit beiden Frauen weiterleben. Nur hat sich meine Mutter geweigert. Sie wollte sich scheiden lassen und mich behalten. Das ist das gute Recht einer Mutter. Doch er wollte nichts verlieren. Weder seine Frau noch seine Geliebte, noch seine Tochter. Schon damals war er also ein Schuft.
Mein Vater ist ein Schuft. Großmama hat es mir gesagt, und ich begriff nicht wirklich, was das bedeutete: Mein Vater - ein Schuft. Weil er mein Vater war. Ich dachte, Großmama sagte das, weil sie ihn nicht mochte. Jetzt sage ich es selbst. Ich liege da, ganz in mein Bett vergraben, denn sicherlich wird er heute Abend wieder kommen. Der Schuft wird wieder kommen. Ganz gleich, ob ich mich schlafend stelle. Er kommt jetzt jeden Abend. Ihm ist es schnuppe, ob ich Angst habe. Er hört nichts von dem, was ich sage. Sobald ich ihm ausweiche, wird er augenblicklich ärgerlich. Ich habe kein Recht, die Türe mit dem Schlüssel zu verschließen oder woanders zu schlafen. Da ist kein Woanders. Es gibt das Zimmer der Eltern, wo meine Mutter schläft, das meiner Schwester und meines kleinen Bruders, in dem die beiden ruhig schlafen. Ich nicht. Kein Woanders, kein Himmel, der mir antwortet.
Jetzt verstehe ich also, was Großmama erzählte. Von Tisch und Bett getrennt und jeden zweiten Sonntag Besuche bei Papa. Er hatte eine Bar übernommen, und dieses Mädchen arbeitete mit ihm zusammen. Ich kann kaum zwei Jahre alt gewesen sein, und am ersten Sonntag ging alles gut. Punkt sechs Uhr abends hat er mich zu Großmama zurückgebracht. Aber am zweiten Sonntag - der große Krach. Er wollte mich nicht wieder abliefern. Alle waren in Aufregung, meine Mutter hat die Polizei verständigt, niemand wusste, wo er mit mir steckte. Am nächsten Tag besuchte er meine Mutter. Ich soll im Auto geweint haben, wo er mich sicherheitshalber eingeschlossen hatte. Erst jetzt verstehe ich all das, was Großmama mir erzählt hat. Er hat sie glatt erpresst, indem er sagte, er würde sich umbringen, wenn meine Mutter ihn nicht in die neue Stadt begleiten würde, in der er arbeiten wollte. Sie hat nachgegeben. Großmama sagte zu mir: »Was sollte sie tun, er hielt dich gefangen, sagte, er würde sich umbringen ... Außerdem hat er sie vor der ganzen Familie geschlagen. Dieser Feigling!«
Und ich hab geglaubt, dass sie dummes Zeug redete. Dass sie etwas dazudichtete, weil sie ihn nicht ausstehen konnte.
Ein Schuft, ein Filou und ein Feigling. Als ich aus den Ferien zurückkam, habe ich von meinem Vater Erklärungen gefordert für die Geschichte mit diesem Mädchen, in das er verliebt war, und für die Scheidung. Ich wollte, dass er mir selbst erzählte, was passiert war. Mama hatte nie darüber gesprochen. Und ich hatte ihm nichts vorzuwerfen, er war immer nett, er schlug mich nie. Seinen Erklärungen entnahm ich, dass er in seiner Jugend Dummheiten gemacht hatte, aber dass damit jetzt Schluss war. Alles in Ordnung.
Jetzt weiß ich, dass es nicht stimmt. Ich bin zwölfeinhalb, und ich bin älter geworden, wie er sagt, und ich nenne ihn Schuft, Filou, Dreckskerl, Feigling.
Weil er mir auf Schritt und Tritt folgt. Jeden Abend. Und da sitze ich in meinem Bett und bete zum Himmel, es möge aufhören. Aber der Himmel hat mich sicher nicht gehört. Gott ist zu beschäftigt, um mich zu bemerken.
Am schwierigsten ist herauszufinden, wie ich ihm sagen soll, dass ich's satt habe. Ich wag es nicht. Ich frage mich die ganze Zeit, was ich tun soll. Muss ich diese Situation hinnehmen, weil es mein Vater ist, oder ihm sagen, dass ich nicht mehr will? Wirklich und wahrhaftig. Dass er aufhören soll, das jeden Abend zu machen? Mich macht das krank, ich habe einen Kloß im Hals, wenn ich nur daran denke. Angst. Den ganzen Tag spukt das in meinem Kopf herum, wenn ich die alltäglichen Dinge tue, wenn ich mit Franck Tennis spiele, wenn ich auf meiner Maschine tippe, wenn ich auf meinem elektronischen Klavier spiele. Wenn ich den Tisch decke, wenn ich Mama beim Abwasch helfe. Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf, ich weiß, die Nacht wird kommen, und er wird diese verdammte Tür öffnen. Wie lange bin ich schon nicht mehr dieselbe? Wochen schon. Die Zeit vergeht in einem Nebel ständiger Angst. Meine Tage sind nicht so wie früher, ich lebe nicht mehr wie vorher, ich bin irgendwohin verschwunden, wohin weiß ich nicht.
Mein Zimmer ist nicht mehr mein Zimmer, meine eigene kleine Ecke, meine Welt, wo ich träumte, wo ich mir fantastische Geschichten ausdachte. Er hat alles kaputt gemacht, alles beschmutzt. Ich fühle mich nicht wie zu Hause, es ist irgendein kaltes Zimmer mit einem Bett und einer Tür. Und er öffnet die Tür, er geht auf das Bett zu und beschmutzt mich. Ich traue mich nicht einmal mehr, mich auszuziehen. Wenn ich nur in meinen Jeans und meinem T-Shirt unter die Decke kriechen könnte, wenn ich mich ins Bettlaken einnähen könnte, damit er mich nicht anrührt. Wenn ich anstelle der verdammten Tür eine Mauer aus Beton errichten könnte. Ich weiß mir keinen Rat. Ich bin schmutzig, er ist schmutzig. Das Schlimmste ist, dass ich ihm das nicht sagen kann. Mir gelingt es einfach nicht. Er kann mit seiner Tochter anstellen, was er will, seinem kleinen Liebling, wie er sagt. Wenn ich mich wehre oder wenn ich schreie ... gesetzt den Fall, ich würde schreien ... Er wird mich schlagen. Er hat meine Mutter geschlagen, als sie ihn nicht begleiten wollte. Er wird auch mich schlagen. Das sehe ich seinen Augen an. Ich habe kein Recht zu verraten, was er macht. Ich weiß nicht, wo es geschrieben steht, aber irgendwo steht es geschrieben. Außerdem habe ich Angst. Sicher bin ich Schuld. Wie kommt es, dass ich nicht mehr sein Spätzchen, sein kleiner Schatz bin, den man nicht anrührt. Was habe ich Böses getan? Ist es wegen Franck? Weil ich einen Liebsten habe?
Es stimmt, ich bin jetzt groß. In meinem Kopf hat sich etwas geändert. Da drin bin ich ganz allein. Ich habe andere Gedanken als die anderen. Nicht wie früher. Angstgedanken. Ich habe das Gefühl, ich könnte nie mehr mit jemandem sprechen.
Vielleicht wird mich mein großer Freund, der liebe Gott, heute Abend erhören. Es ist eine schöne Nacht. Es ist warm, und ich sehe mich auf einem Meer von Sternen segeln. Ich sehe aus dem Fenster und schaue die Nacht an. Er wird mir diese Nacht nicht vermiesen. Und auch keine andere. Schluss. Aus. Ich werde dafür sorgen, dass alles wieder seinen geregelten Gang geht, wie er sagt. Ich will mein früheres Leben wieder finden. So sauber, wie es früher war.
Er kommt herein, er ist da. Es ist mein Vater und in meinem Körper und meinem Kopf ist nichts als Angst. Ich zittere innerlich. Einmal mehr hat er mich überrumpelt. Ich wollte wach sein, damit er nicht zum Bett kommt, und jetzt steht er davor. Ich bin auf diesem Bett festgenagelt. Er legt sich neben mich, er streichelt mein Haar, er beginnt immer so, mit den Haaren. Danach lässt er seine Hand hinuntergleiten, als würde er es gar nicht bemerken, und ich muss so tun, als würde ich es auch nicht bemerken. Aber diesmal geht er weiter. Ich habe mein langes Nachthemd angezogen, das bis zu den Füßen reicht, um mich zu schützen. Aber er fummelt darunter herum, versucht, meinen Schlüpfer zu entfernen. Ich habe ihn absichtlich angelassen, und er will ihn mir ausziehen. Das darf er nicht. Wenn er das macht, könnte ich ihn nie mehr lieben. Ich muss den Mut aufbringen und etwas tun, um ihn daran zu hindern. Ich stehe blitzartig auf und flitze ans andere Ende des Zimmers. Geschafft, ich bin seinen Händen entronnen.
»Was machst du?«
»Ich will nicht.«
»Komm her.«
Er hat böse Augen. Es wird ihn zornig machen, aber sei's drum, ich wusste es, ich werde ihm sagen:
»Ich will nicht, dass du solche Sachen machst. Das ekelt mich an.«
Nie zuvor hat sich sein Gesichtsausdruck so schnell verändert. Selbst die Farbe seiner Augen. Er packt mich heftig am Arm, öffnet die Tür und zieht mich in den Flur bis zum Badezimmer. Das Haus ist totenstill, alle schlafen, und er presst meinen Arm ganz fest, damit ich keinen Lärm mache, er sieht so aufgeregt aus, dass ich nicht begreife, was los ist. Ich glaubte, er würde aufhören, wenn ich sage »nein, ich will nicht, das ekelt mich an«. Er hat mich nie zu Dingen gezwungen, die ich nicht wollte. Wenn ich bei Tisch etwas nicht essen will und sage »mag ich nicht«, muss ich's auch nicht. Aber ich habe kein Recht, ihm etwas zu verweigern. Für ihn ist »nein« wie eine Beleidigung. Nur die Erwachsenen dürfen nein sagen. Und ich bin eben in die Welt der Erwachsenen eingetreten, ich habe zum ersten Mal »nein« gesagt. Und es geht nicht. »Nein« ist verboten. Er schnauzt mich mit heiserer Stimme im Badezimmer an, ohne meinen Arm loszulassen.
»Das verstehe ich nicht. Wenn ich in den anderen Nächten zu dir gekommen bin, hast du da etwa gesagt, du liebst mich nicht? Machst du dich vielleicht über mich lustig? Weißt du, wie man Frauen nennt, die sich so benehmen? Schlampen! Hörst du? Das sind Schlampen!«
Er bringt es fertig zu schreien, ohne zu schreien, sein Mund ist so nah an meinem Ohr, dass die Beleidigungen in meinem Schädel widerhallen. Ich möchte weinen, aber ich muss mich zuerst verteidigen. Meine Stimme zittert.
»Papa, das stimmt nicht. jedes Mal, wenn du gekommen bist, hab ich dir gesagt, dass ich nicht will. Du hast mir nicht zugehört. Bitte, lass mich los. Bitte, lass mich in Ruhe.«
Das macht ihn noch zorniger. Mein Arm tut weh, meine Hand ist ganz rot - so hat er mich gepackt, als er mich schüttelte. Ich gerate in eine unvorstellbare Panik. Noch höre ich seine Beleidigungen, unverständliche Sätze, aufgeschnappte Worte. Noch einmal sagt er, dass ich eine Schlampe bin, dass ich meinen Vater nicht liebe. Alle kleinen Mädchen müssen ihren Vater lieben, und ich führe mich wie eine Schlampe auf, die ihren Vater nicht liebt ...
Heißt das, seinen Papa lieben? So habe ich das nicht aufgefasst. Zuerst habe ich ihn geliebt, ich liebe ihn immer noch, meinen Papa. Gerade weil ich ihn lieben will, wehre ich mich gegen die schmutzigen Dinge, die er mit mir machen will. Zum Beispiel meinen Schlüpfer ausziehen. Ein Papa tut so was nicht mit seiner Tochter. Das weiß ich. Das ist nicht normal. Aber er sagt, dass ich ihn so lieben muss. Mir kommen die Tränen, ganz schnell, und ich habe nur eine Hand, um sie abzuwischen, damit ich keinen Schleier vor den Augen habe.
Er hat mich losgelassen. Mit einer - immer derselben - Geste rückt er seinen braunen Bademantel zurecht und geht hinaus. Ich bleibe allein. Allein. Ich bin allein im Badezimmer. Was geschieht jetzt? Hat er mich bestraft? Hat er mich hier eingeschlossen? Ich muss verstehen, warum er so zornig ist. Verstehen, verstehen, ich kann's nicht. Immer noch habe ich panische Angst. Es ist schlimmer als an dem Tag, wo ich ins Wasser gefallen bin, ins Meer, ich schluckte Wasser und war am Ersticken. Ich erinnere mich an diese panische Angst, ich glaubte, dass es das Allerschlimmste sei, wenn man ganz allein kämpfen muss. Heute Abend, im Badezimmer, ist es noch schlimmer. Ich kann nicht mehr. Ich bin allein, ganz allein.
Er ist zurückgekommen. Keine Zeit, meine Tränen hinunterzuschlucken und mich zu besinnen. Erneut beginnt er mit heiserer Stimme zu schreien, es ist entsetzlich. Er will fortgehen, wegen mir wird er fortgehen. Er wird sich ganz schnell ankleiden und seine Koffer packen, um mir mein Leben nicht mehr zu vermiesen. Wenn »Mademoiselle« Launen hat, wenn sie ihren Vater nicht mehr liebt, also gut, dann geht er eben! Alle werden wissen, dass er wegen mir gegangen ist, ich bin Schuld, es ist mein Fehler.
»Wegen dir, verstehst du das? Ich gehe fort, und du bist Schuld!«
Aber was soll ich machen? Ich will nicht, dass er das Haus verlässt, ich will nur, dass er mich nicht mehr anfasst. Dass er mich nicht mehr mitten in der Nacht aufweckt, um mit mir diese Dinge zu machen ...
Übersetzung: Pia Westhoff
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Nathalie Schweighoffer
- 299 Seiten, Maße: 13,4 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997864
- ISBN-13: 9783828997868
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