Im Frauen-GULag am Eismeer
Vorw. v. Karl-Wilhelm Fricke
Ursula Rumin wurde vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und wegen angeblicher Spionage zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ihre Leidenszeit im Frauenlager ist geprägt von grausamen Demütigungen und schwerster Arbeit in der Kälte. Doch sie überlebt.
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Produktinformationen zu „Im Frauen-GULag am Eismeer “
Ursula Rumin wurde vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und wegen angeblicher Spionage zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ihre Leidenszeit im Frauenlager ist geprägt von grausamen Demütigungen und schwerster Arbeit in der Kälte. Doch sie überlebt.
Klappentext zu „Im Frauen-GULag am Eismeer “
"Während dieser Zeit lernte ich viele Menschen kennen, die ähnliches durchlitten haben wie ich, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und vielen Nationen. Und alle diese Menschen um mich ertrugen ihr Leid nur durch die Hoffnung, eines Tages wieder frei zu sein. Erst in der Gefangenschaft, in der Sklaverei, lernt man den Wert der Freiheit kennen und schätzen." In Ostberlin vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und wegen angeblicher Spionage zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, musste Ursula Rumin den Albtraum Workuta erleben. Ihre Zeit im Frauen-Lager am Eismeer, voller Entbehrungen, Demütigungen und Schwerstarbeit bei unvorstellbaren Minustemperaturen, beschreibt sie erstmals in diesem Bericht.
Lese-Probe zu „Im Frauen-GULag am Eismeer “
Im Frauen-Gulag am Eismeer von Ursula RuminVerhaftung
Es ist ein schöner Herbsttag, der 25. September 1952, die Sonne scheint noch warm, ich habe gute Laune, als ich die kurze Strecke von meiner Wohnung am Hohenzollerndamm zur U-Bahn-Station am Fehrbelliner Platz laufe. Bei dem Gedanken an die Besprechung bei der DEFA, zu der ich aufgefordert wurde, und an den neuen Drehbuchvertrag, den ich bekommen soll, steigt meine Laune noch ein wenig mehr. Mein Verdienst ist zurzeit nicht sehr üppig, ich lebe so ziemlich von der Hand in den Mund, wie man sagt, und muss sehen, wie ich über die Runden komme.
Die DEFA – Deutsche Film AG – ist die einzige Filmgesellschaft in Ostberlin, sie dreht in den Ateliers in Berlin-Babelsberg wieder die ersten Spielfilme. Die Filmstudios in Westberlin, in Tempelhof, sind ziemlich zerbombt und warten noch auf ihre Auferstehung. 1951 gründete ein Privatmann, Arthur Brauner, in Berlin-Spandau eine kleine Filmgesellschaft, die er CCC-Film nannte. Er hatte eine Halle in einer ehemaligen Giftfabrik gemietet, und hier entstanden die ersten, beachtenswerten Filme, die sich mit der jüngsten deutschen Vergangenheit beschäftigten, Filme, die »an die Nieren gingen«.
Als ich den Bahnhof Friedrichstraße in Ostberlin verlasse, kommt ein Mann auf mich zu, spricht mich an, nennt meinen Namen.
Ich bleibe stehen, der Mann spricht weiter: »Wir sollen Sie abholen und zur DEFA bringen, zur Besprechung, die Sie dort haben. Es geht doch um ein neues Film-Projekt, zu dem Sie das Drehbuch schreiben sollen. Bitte, das Auto steht Ihnen zur Verfügung.«
Er weist auf eine schwarze Limousine, die am Bordstein steht. Der Mann scheint Bescheid zu wissen, deshalb schöpfe ich keinen Verdacht und steige in das Auto, dessen Tür mir von einem weiteren Mann aufgehalten wird. Die Jägerstraße, in der sich die
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Verwaltung und die Büros der DEFA befinden, ist nicht weit entfernt, deshalb wundere ich mich, als das Auto sofort ein rasantes Tempo vorlegt. Aber als wir uns in einer an- deren Richtung als der mir bekannten bewegen, kommt mir ein schrecklicher Verdacht!
Meine Mutter hat mich wiederholt ermahnt, vorsichtig zu sein im Um- gang mit den Leuten von der DEFA sowie bei meinen Besuchen im Ost- Sektor der Stadt. Meine verwunderte Frage an meine Begleiter, wohin wir fahren, bleibt unbeantwortet.
Als das Auto nach etwa 20 Minuten Fahrt vor einem großen, eisernen Tor anhält, das sofort von zwei Uniformierten geöffnet wird, fällt bei mir der Groschen: Ich bin in eine Falle gelaufen, auf einen üblen Trick he - reingefallen.
Es ist nicht das Gelände der DEFA, in das das Auto einfährt. Ein langes, dreistöckiges Gebäude liegt vor mir, mit Holzblenden vor den Fenstern – ein Gefängnis! Es ist das Kellergefängnis der Sowjets in Berlin-Karlshorst. Ich bin in den Händen des MGB, des sowjetischen Geheimdienstes, das wird mir schlagartig klar!
In Minuten ändert sich nun mein ganzes Leben. Eine Odyssee beginnt, die mich bis in Russlands Polarregion führen wird, ich höre auf, ein Mensch zu sein, bin nur noch eine Gefangene eines unheimlichen, politischen Apparates.
In einem kleinen Raum schiebt man mir wenig später einen Holzstuhl zu, Männer um mich herum, Soldaten, Gesprächsfetzen, von denen ich nichts verstehe, weil die Männer Russisch sprechen. Mir wird übel.
Ein Uniformierter steht vor mir und fordert in deutscher Sprache: »Ziehen Sie sich aus, geben Sie Schmuck, Mantel, Handtasche, Hüftgürtel und Strümpfe.«
Ich gehorche, was bleibt mir auch anderes übrig. Dann greift er in mein Haar und beginnt, meinen Knoten zu lösen. Seine Hände sind schmutzig, ich weiche zurück. Hastig und mit zitternden Händen ziehe ich die Haarnadeln heraus. Das Haar fällt mir lang auf die Schultern. Der Pos - ten betrachtet mich mit einem abschätzenden Blick und grinst: »Krasiwo – hübsch!«
Ein anderer schiebt mir ein dickes, schwarzes Buch zu, reicht mir einen Federhalter. Ich soll die Ablieferung meines Eigentums bestätigen. Das ist die erste Unterschrift in diesem Hause – viele sollen folgen.
Wenig später führt mich ein junger Soldat über eine Treppe in den Keller hinab. Auf schmutzig-grauen Läufern gehen wir an vielen Türen vorbei, Türen, auf denen Nummern stehen. Einige starke Birnen brennen; Schlüssel klirren; ein Ventilator summt.
Dann schließt sich hinter mir eine Eisentür. Ich bin allein und sehe mich um: Eine kleine Zelle ohne Fenster, eine nackte Glühbirne in einem Drahtkorb über der Tür, eine Holzpritsche von Wand zu Wand, ein Blecheimer in der Ecke, sonst nichts. Soll das für die nächste Zeit mein Zuhause sein?
Ich bin unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, wage kaum zu atmen, denn diese widerlich süßliche Luft macht mir Angst – ist es Gas? Vor meiner Zellentür höre ich ein grässliches Scheppern von Eisen. Angestrengt lausche ich, stelle mir das Schlimmste vor.
Als Kind habe ich mit meinen Eltern die alte Festung Silberberg im Eulengebirge besucht. Da gab es ein Burgverlies, in dem eiserne Folterwerkzeuge ausgestellt waren, an die erinnere ich mich jetzt und bekomme eine Gänsehaut.
Plötzlich wird die Zellentür aufgerissen, ich fahre erschrocken hoch.
Eine Russin in weißem Kittel kommt herein und sagt in hartem Deutsch: »Ziehen Sie sich aus!«
Mit zitternden Händen reiche ich ihr meine Kleidung. Sie nimmt jedes Stück und tastet es sorgfältig ab. Als ich in Slip und BH vor ihr stehe, fühlt sie meinen Körper ab, macht auch vor der Schamgrenze nicht Halt. Widerlich!
Doch sie findet nicht, wonach sie wahrscheinlich sucht: keinen langen Nagel, keine Rasierklinge, mit denen ich Selbstmord verüben könnte. Ehe sie wieder verschwindet, gibt sie mir einen Wink, mich anzuziehen. Die Eisentür schließt sich hinter ihr und ich bleibe verwirrt zurück.
Zusammengekauert sitze ich auf dem Pritschenrand, die Zeit vergeht unendlich langsam. Durch den Türspion beobachtet mich ein Auge. Ich halte mir die Ohren zu, um die Geräusche vor der Tür nicht zu hören, Geräusche, die ich nicht deuten kann.
Ich sitze und warte, starre die Wand an. Kein Radio, keine Zeitung, kein Buch, nur das Dröhnen im Kopf.
Der Hintern tut mir weh, ich weiß schon nicht mehr, wie ich sitzen soll. Und die Hüfte fühlt sich wie wund an, sie schmerzt empfindlich vom harten Liegen auf der Holzpritsche.
Dieses Warten macht mich fast verrückt; meine Gedanken laufen im Kreis: Was kann man mir vorwerfen? Weshalb hat man mich in diese Falle gelockt? Was wissen sie von mir? Fragen, auf die niemand eine Antwort gibt. Meine Arbeit bei der DEFA kann es nicht sein, denn die Filmgesellschaft steht ganz und gar unter sowjetischer Aufsicht. Die Russen entscheiden, welche Filme produziert werden und wer sie schreibt. Aber wenn ich an die letzten Monate zurückdenke, muss ich mir doch ein paar Vorkommnisse durch den Kopf gehen lassen – wie die Arbeit an meinem letzten Drehbuch zu dem Film »Frauenschicksale«, das ich zusammen mit dem DDR-Nationalpreisträger und Regisseur Slatan Dudow schrieb.
Es ist bei der DEFA üblich, dass der Regisseur – und dazu noch so ein prominenter wie Dudow – bei der Drehbuchgestaltung das Sagen hat. Aber da gab es einen weiteren Mitarbeiter, was ungewöhnlich war, einen »politischen Berater«, einen Gerhard B. Der Film war nicht politisch, er handelte von Frauenschicksalen in Ost- und Westberlin. Im August wurde der Film uraufgeführt, und Dudow erhielt dafür den National- preis der DDR.
Dieser politische Berater nun besuchte mich während der Drehbucharbeiten unangemeldet auch in meiner Wohnung in Westberlin, benahm sich ziemlich merkwürdig, durchstreifte meine Wohnung, zog Schubläden auf, blickte in Gefäße, die etwa auf dem Schrank oder im Bücherregal standen. War das schon eine Überprüfung meines Privatlebens gewesen?
Dann die Versuche Dudows, mich in politische Gespräche zu ver- wickeln. Als ich mich darauf nicht einlasse und sage: »Politik interessiert mich nicht«, kontert er: »Wenn Sie sich nicht für Politik interessieren, wird sich die Politik eines Tages für Sie interessieren.« Sollte das bereits eine Warnung sein?
Es waren prophetische Worte! Nicht lange danach sollte ich der Spionage für die Amerikaner beschuldigt werden.
Nach einer Zeit, die mir endlos vorkommt, erscheint ein Posten und fordert mich auf, ihm zu folgen. Barsch sagt er: »Rukinasad!« Ich begreife nicht, was er damit meint. Ungeduldig reißt er mir die Hände auf den Rücken und geht mir voran.
Über eine Treppe gelangen wir in die erste Etage, ans Tageslicht. Vor mir liegt ein langer Gang, es gibt Fenster, ich kann einige Bäume erkennen. Im Weitergehen schlägt der Posten immer wieder mit einem großen Schlüssel gegen sein Koppelschloss. Warum er das tut, erfahre ich erst später.
Auch hier Tür neben Tür, mit Nummern. Eine dieser Türen öffnet der Posten und schiebt mich in einen größeren Raum. Lampen blenden mich, ich kann zuerst nichts erkennen. Dann höre ich eine tiefe Stimme, die mich mit stark russischem Akzent auffordert, näher zu kommen.
Vor einem breiten Schreibtisch setze ich mich auf einen Holzstuhl; mir gegenüber – hinter dem Schreibtisch – sitzt ein sowjetischer Offizier, breite Goldlitzen zieren seine Schulterklappen. Er mustert mich aufmerksam. Dann wendet er sich seinen Papieren zu, die vor ihm ausgebreitet liegen. Die Luft im Raum ist drückend, es riecht nach schwerem, süßlichem Parfüm.
Das alles registriere ich genau, es wirkt so unwahrscheinlich, als wäre es nur Kulisse.
Drei Russen betreten das Zimmer, zwei von ihnen in Offiziersuniform, der dritte in Zivil. Sie mustern mich ungeniert, dabei unterhalten sie sich in ihrer Sprache – über mich, vermute ich. Der Zivilist hat ein pockennarbiges Gesicht, er ist offensichtlich der Dolmetscher, denn nun wendet er sich in gutem Deutsch an mich: »Dieser sowjetische Offizier ist Ihr Untersuchungsrichter.« Dabei macht er eine Kopfbewegung zum Schreibtisch hin. »Er wird Ihre Vernehmungen führen und hofft, dass Sie ihm alles und die ganze Wahrheit sagen werden.«
Einer der Offiziere unterbricht ihn mit einigen russischen Worten, dann fährt der Dolmetscher fort: »Nun sollen Sie uns erzählen von Ihrer verbrecherischen Tätigkeit gegen die Sowjetunion. Für wen haben Sie gearbeitet, sprechen Sie!«
© Herbig Verlag
Meine Mutter hat mich wiederholt ermahnt, vorsichtig zu sein im Um- gang mit den Leuten von der DEFA sowie bei meinen Besuchen im Ost- Sektor der Stadt. Meine verwunderte Frage an meine Begleiter, wohin wir fahren, bleibt unbeantwortet.
Als das Auto nach etwa 20 Minuten Fahrt vor einem großen, eisernen Tor anhält, das sofort von zwei Uniformierten geöffnet wird, fällt bei mir der Groschen: Ich bin in eine Falle gelaufen, auf einen üblen Trick he - reingefallen.
Es ist nicht das Gelände der DEFA, in das das Auto einfährt. Ein langes, dreistöckiges Gebäude liegt vor mir, mit Holzblenden vor den Fenstern – ein Gefängnis! Es ist das Kellergefängnis der Sowjets in Berlin-Karlshorst. Ich bin in den Händen des MGB, des sowjetischen Geheimdienstes, das wird mir schlagartig klar!
In Minuten ändert sich nun mein ganzes Leben. Eine Odyssee beginnt, die mich bis in Russlands Polarregion führen wird, ich höre auf, ein Mensch zu sein, bin nur noch eine Gefangene eines unheimlichen, politischen Apparates.
In einem kleinen Raum schiebt man mir wenig später einen Holzstuhl zu, Männer um mich herum, Soldaten, Gesprächsfetzen, von denen ich nichts verstehe, weil die Männer Russisch sprechen. Mir wird übel.
Ein Uniformierter steht vor mir und fordert in deutscher Sprache: »Ziehen Sie sich aus, geben Sie Schmuck, Mantel, Handtasche, Hüftgürtel und Strümpfe.«
Ich gehorche, was bleibt mir auch anderes übrig. Dann greift er in mein Haar und beginnt, meinen Knoten zu lösen. Seine Hände sind schmutzig, ich weiche zurück. Hastig und mit zitternden Händen ziehe ich die Haarnadeln heraus. Das Haar fällt mir lang auf die Schultern. Der Pos - ten betrachtet mich mit einem abschätzenden Blick und grinst: »Krasiwo – hübsch!«
Ein anderer schiebt mir ein dickes, schwarzes Buch zu, reicht mir einen Federhalter. Ich soll die Ablieferung meines Eigentums bestätigen. Das ist die erste Unterschrift in diesem Hause – viele sollen folgen.
Wenig später führt mich ein junger Soldat über eine Treppe in den Keller hinab. Auf schmutzig-grauen Läufern gehen wir an vielen Türen vorbei, Türen, auf denen Nummern stehen. Einige starke Birnen brennen; Schlüssel klirren; ein Ventilator summt.
Dann schließt sich hinter mir eine Eisentür. Ich bin allein und sehe mich um: Eine kleine Zelle ohne Fenster, eine nackte Glühbirne in einem Drahtkorb über der Tür, eine Holzpritsche von Wand zu Wand, ein Blecheimer in der Ecke, sonst nichts. Soll das für die nächste Zeit mein Zuhause sein?
Ich bin unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, wage kaum zu atmen, denn diese widerlich süßliche Luft macht mir Angst – ist es Gas? Vor meiner Zellentür höre ich ein grässliches Scheppern von Eisen. Angestrengt lausche ich, stelle mir das Schlimmste vor.
Als Kind habe ich mit meinen Eltern die alte Festung Silberberg im Eulengebirge besucht. Da gab es ein Burgverlies, in dem eiserne Folterwerkzeuge ausgestellt waren, an die erinnere ich mich jetzt und bekomme eine Gänsehaut.
Plötzlich wird die Zellentür aufgerissen, ich fahre erschrocken hoch.
Eine Russin in weißem Kittel kommt herein und sagt in hartem Deutsch: »Ziehen Sie sich aus!«
Mit zitternden Händen reiche ich ihr meine Kleidung. Sie nimmt jedes Stück und tastet es sorgfältig ab. Als ich in Slip und BH vor ihr stehe, fühlt sie meinen Körper ab, macht auch vor der Schamgrenze nicht Halt. Widerlich!
Doch sie findet nicht, wonach sie wahrscheinlich sucht: keinen langen Nagel, keine Rasierklinge, mit denen ich Selbstmord verüben könnte. Ehe sie wieder verschwindet, gibt sie mir einen Wink, mich anzuziehen. Die Eisentür schließt sich hinter ihr und ich bleibe verwirrt zurück.
Zusammengekauert sitze ich auf dem Pritschenrand, die Zeit vergeht unendlich langsam. Durch den Türspion beobachtet mich ein Auge. Ich halte mir die Ohren zu, um die Geräusche vor der Tür nicht zu hören, Geräusche, die ich nicht deuten kann.
Ich sitze und warte, starre die Wand an. Kein Radio, keine Zeitung, kein Buch, nur das Dröhnen im Kopf.
Der Hintern tut mir weh, ich weiß schon nicht mehr, wie ich sitzen soll. Und die Hüfte fühlt sich wie wund an, sie schmerzt empfindlich vom harten Liegen auf der Holzpritsche.
Dieses Warten macht mich fast verrückt; meine Gedanken laufen im Kreis: Was kann man mir vorwerfen? Weshalb hat man mich in diese Falle gelockt? Was wissen sie von mir? Fragen, auf die niemand eine Antwort gibt. Meine Arbeit bei der DEFA kann es nicht sein, denn die Filmgesellschaft steht ganz und gar unter sowjetischer Aufsicht. Die Russen entscheiden, welche Filme produziert werden und wer sie schreibt. Aber wenn ich an die letzten Monate zurückdenke, muss ich mir doch ein paar Vorkommnisse durch den Kopf gehen lassen – wie die Arbeit an meinem letzten Drehbuch zu dem Film »Frauenschicksale«, das ich zusammen mit dem DDR-Nationalpreisträger und Regisseur Slatan Dudow schrieb.
Es ist bei der DEFA üblich, dass der Regisseur – und dazu noch so ein prominenter wie Dudow – bei der Drehbuchgestaltung das Sagen hat. Aber da gab es einen weiteren Mitarbeiter, was ungewöhnlich war, einen »politischen Berater«, einen Gerhard B. Der Film war nicht politisch, er handelte von Frauenschicksalen in Ost- und Westberlin. Im August wurde der Film uraufgeführt, und Dudow erhielt dafür den National- preis der DDR.
Dieser politische Berater nun besuchte mich während der Drehbucharbeiten unangemeldet auch in meiner Wohnung in Westberlin, benahm sich ziemlich merkwürdig, durchstreifte meine Wohnung, zog Schubläden auf, blickte in Gefäße, die etwa auf dem Schrank oder im Bücherregal standen. War das schon eine Überprüfung meines Privatlebens gewesen?
Dann die Versuche Dudows, mich in politische Gespräche zu ver- wickeln. Als ich mich darauf nicht einlasse und sage: »Politik interessiert mich nicht«, kontert er: »Wenn Sie sich nicht für Politik interessieren, wird sich die Politik eines Tages für Sie interessieren.« Sollte das bereits eine Warnung sein?
Es waren prophetische Worte! Nicht lange danach sollte ich der Spionage für die Amerikaner beschuldigt werden.
Nach einer Zeit, die mir endlos vorkommt, erscheint ein Posten und fordert mich auf, ihm zu folgen. Barsch sagt er: »Rukinasad!« Ich begreife nicht, was er damit meint. Ungeduldig reißt er mir die Hände auf den Rücken und geht mir voran.
Über eine Treppe gelangen wir in die erste Etage, ans Tageslicht. Vor mir liegt ein langer Gang, es gibt Fenster, ich kann einige Bäume erkennen. Im Weitergehen schlägt der Posten immer wieder mit einem großen Schlüssel gegen sein Koppelschloss. Warum er das tut, erfahre ich erst später.
Auch hier Tür neben Tür, mit Nummern. Eine dieser Türen öffnet der Posten und schiebt mich in einen größeren Raum. Lampen blenden mich, ich kann zuerst nichts erkennen. Dann höre ich eine tiefe Stimme, die mich mit stark russischem Akzent auffordert, näher zu kommen.
Vor einem breiten Schreibtisch setze ich mich auf einen Holzstuhl; mir gegenüber – hinter dem Schreibtisch – sitzt ein sowjetischer Offizier, breite Goldlitzen zieren seine Schulterklappen. Er mustert mich aufmerksam. Dann wendet er sich seinen Papieren zu, die vor ihm ausgebreitet liegen. Die Luft im Raum ist drückend, es riecht nach schwerem, süßlichem Parfüm.
Das alles registriere ich genau, es wirkt so unwahrscheinlich, als wäre es nur Kulisse.
Drei Russen betreten das Zimmer, zwei von ihnen in Offiziersuniform, der dritte in Zivil. Sie mustern mich ungeniert, dabei unterhalten sie sich in ihrer Sprache – über mich, vermute ich. Der Zivilist hat ein pockennarbiges Gesicht, er ist offensichtlich der Dolmetscher, denn nun wendet er sich in gutem Deutsch an mich: »Dieser sowjetische Offizier ist Ihr Untersuchungsrichter.« Dabei macht er eine Kopfbewegung zum Schreibtisch hin. »Er wird Ihre Vernehmungen führen und hofft, dass Sie ihm alles und die ganze Wahrheit sagen werden.«
Einer der Offiziere unterbricht ihn mit einigen russischen Worten, dann fährt der Dolmetscher fort: »Nun sollen Sie uns erzählen von Ihrer verbrecherischen Tätigkeit gegen die Sowjetunion. Für wen haben Sie gearbeitet, sprechen Sie!«
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Autoren-Porträt von Ursula Rumin
Ursula Rumin, geboren 1923, konnte Anfang 1954 dank einer Amnestie nach Berlin zurückkehren. Sie heiratete den Arzt Joseph Scholmer. Seit dem Berliner Mauerbau 1961 lebt sie in Köln, arbeitete beim WDR und bei der Deutschen Welle, wo sie als Redakteurin im Fernsehbereich ein erfolgreiches Frauenprogramm aufbaute. Seit ihrer Pensionierung 1984 hat Ursula Rumin es sich zur Aufgabe gemacht, über ihre Hafterlebnisse zu reden und zu schreiben, darunter ihr Hörspiel "Weinen verboten". Für die TV-Dokumentationen "Workuta - Deutsche in Stalins Lagern" (ARTE, WDR, NDR) und "Eisgang - Deutsche im Gulag" (MDR), die wie ihr Buch "Im Frauengulag am Eismeer" über die Zeit ihrer Gefangenschaft berichten, machte sie 2003 die Reise zurück in eine furchtbare Vergangenheit - nach Workuta. Ursula Rumin wurde für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ursula Rumin
- 2012, 4. Auflage, 336 Seiten, 40 Abbildungen, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Herbig
- ISBN-10: 3776650044
- ISBN-13: 9783776650044
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