Im Krieg und in der Liebe
Pauline und Michael haben diese Kunst nie gemeistert, aus ihrer großen Liebe erwächst ein Unglück, das auch ihre Kinder prägt. Souverän und spannungsreich erzählt Anne Tyler von den tragischen Verwicklungen im Kraftfeld...
Pauline und Michael haben diese Kunst nie gemeistert, aus ihrer großen Liebe erwächst ein Unglück, das auch ihre Kinder prägt. Souverän und spannungsreich erzählt Anne Tyler von den tragischen Verwicklungen im Kraftfeld einer ganz normalen Familie.
Es beginnt an einem Montagnachmittag im Kriegsjahr 1941: Ein Mädchen im roten Mantel betritt den Lebensmittelladen von Michaels Mutter, und um Michael ist es geschehen. Unter den aufmerksamen Blicken der Nachbarschaft werden er und Pauline ein Paar. Doch was als große Liebe anfängt, muss keineswegs als gute Ehe enden - die lebhafte Pauline, die spontan und mit vollem Risiko durch die Welt stürmt, und der ruhige, überlegte Michael, der für den Laden und seine Familie lebt, haben ganz unterschiedliche Wünsche und Träume.
Dennoch heiraten sie, bekommen drei Kinder - und kämpfen unaufhörlich gegeneinander um das, was ihnen jeweils wichtig ist. Ihre Kinder Lindy, George und Karen leiden, jedes auf seine Weise, unter den ständigen Auseinandersetzungen der Eltern, sie ducken sich, schweigen und suchen früh eigene Wege ins Leben.
Am dreißigsten Hochzeitstag endlich entdeckt Michael, dass er und Pauline sich kaum an schöne gemeinsame Stunden erinnern können - und er verlässt diese unglückliche Ehe. Aber kann er auch die Liebe seines Lebens hinter sich lassen?
''Ich finde, das ist ganz große Unterhaltungsliteratur im allerbesten Sinn. Keine einzige Zeile davon ist langweilig.''
Elke Heidenreich
''Variantenreich und gekonnt geschrieben.''
New York Times
Im Kriegund in der Liebe von Anne Tyler
LESEPROBE
Ja, es würde mit Sicherheit schneien. Das erkannte er an derFarbe des Himmels - dem rosa Schimmer unter dem Grau, wie das Rosa aufhandkolorierten Fotografien. Ein scharfer Geruch lag in der Luft. Die wenigenFußgänger eilten vermummt und geduckt vorbei. Jedes Mal, wenn Michael seinenStock auf den Gehweg stieß, klang es metallisch, als ob die Gummispitze desStocks hart gefroren wäre. Er erlebte Paulines Abwesenheit als einen Riss tiefin seinem Inneren. Es würde ihn nicht weiter wundern, wenn er entdeckte, dasser blutete. Als er im Rekrutenlager war, bewahrte er den Schal, den Pauline ihmgestrickt hatte, zusammengefaltet unter seinem Kopfkissen auf. Nachts zog erihn vor, drückte ihn auf sein Gesicht und atmete tief ein. Zuerst hatte er nachPauline gerochen, oder er hatte sich das eingebildet - nach ihrer Mandelmilch, ihremPfefferminzatem, und sogar nach dem Apfelmusaroma in der Küche ihrer Mutter.Aber als er dann später nach Kalifornien verlegt wurde, waren die Gerüchevergangen, geblieben war nur der strenge Geruch von Wolle. Er begann, den Wollgeruch mit Pauline inVerbindung zu bringen. Bald bewirkte jede wollene Armeedecke, die Dienstmützeeines Etagenbettkumpels, die Handschuhe, die irgendein irregeleitetes Damenkränzchenim Juni seiner Einheit schickte - in ihm einen fast angenehmen Schmerz derMelancholie. Er schrieb ihr: Ich werde deinetwegen noch krank und: Ichglaube nicht, dass ich ohne dich leben könnte - Zeilen, die, wie er wusste,äußerst übertrieben klangen, aber jedes Wort war die schmerzliche, absoluteWahrheit. Und Pauline schrieb zurück: Vermisse dich! und: Liebe dich!und: Wünschte, du wärst gestern Abend hier gewesen, waren alle zusammenbeim Bowling. Dann wurden die Abstände zwischen ihren Briefen größer, undselbst ihre wenigen persönlichen und dazu unbefriedigenden Bemerkungenschnurrten fast zu einem Nichts zusammen. Immer öfter erzählte sie von derKantine, in der sie Soldaten Kaffee und Doughnuts servierte. Beschrieb dieSoldaten als Kumpel, sehr netter Kerl aus Nebraska und der rothaarigeJunge namens Dave, ich glaube, dass ich dir von ihm erzählt habe; abertrotzdem konnte er nichts dagegen tun, dass er sich Sorgen machte, wenn sie mitihnen nicht nur zum Bowling ging, sondern auch zum Rollschuhlaufen und zumTanzen. Muss meine patriotische Pflicht erfüllen!, schrieb sie zumTanzen. Wenn ich dafür Jitterbug tanzen muss, dann werde ich Jitterbugtanzen! Er las ihre Briefe mit zusammengekniffenen Augen, bemühte sich,hinter ihre Worte zu kommen. Er schrieb: Du fängst doch hoffentlich nicht an,mich zu vergessen, und sie schrieb: Ich würde dich nie vergessen! Aberich kann nicht abendelang zu Hause sitzen. Ich bin 21 Jahre alt, was erwartestdu? Er fand wirklich, dass zu Hause sitzen ein guter Vorschlag war, behieltaber diese Empfindung für sich. Es war keine Hilfe, dass er die Armee hasste.Das Leben im Freien machte ihn unglücklich, und der Mangel an Privatsphäre verstörteihn, und fast immer hatte er Angst. Er fürchtete sich nicht nur vor dem Kampf,sondern auch vor dem Drill, der ihn darauf vorbereiten sollte: durchstacheliges Gestrüpp kriechen, sich zwischen Stacheldrahtsträngen hindurch zwängen,mit dem Bajonett zustoßen, während zu beiden Sei- ten, viel zu dicht neben ihm, seine Mitrekrutenabscheulich grunzend ebenfalls zustießen. Im Rekrutenlager lautete seingeheimes Stoßgebet, irgendwo sicher in der Heimat stationiert zu werden - beieinem Nachschubbataillon zum Beispiel, das für die Verpflegung sorgen musste.Wäre das nicht sinnvoll für einen Jungen aus dem Lebensmittelhandel? Aber andem, was sie ihm in Kalifornien beibrachten (alles hatte mit Sprengstoffen zutun), merkte er, dass die Armee andere Vorstellungen hatte. Das Spezialtrainingbedeutete einfach nur noch mehr Training; tatsächlich musste er ironischerweiseimmer noch neben der Koje von Private Connor aus Virginia mit dem ewigen Hustenschlafen. Währenddessen tanzte Pauline mit Soldaten, flüsterte ihren FreundinnenGeheimnisse ins Ohr, toupierte sich das Haar vor dem Spiegel. Die Vorstellungvon ihrer gemütlichen, gerüschten Welt erfüllte Michael mit Sehnsucht, obwohlihm manchmal der Gedanke kam, es wäre ihre Schuld, dass er sich freiwillig gemeldethatte. Nun, vielleicht nicht ihre Schuld, aber ihr Einfluss, derEinfluss ihres bewundernden und erwartungsvollen Blicks. Nein, streich das. EinMann muss die Verantwortung für seine Entscheidung übernehmen. Das sagte ersich selbst, und doch wurde sein Hass auf das Militärleben jeden Tag größer,bis er in einem Dauerzustand kaum zu unterdrückenden Zorns lebte. Er hadertemit den Insektenstichen auf dem Truppenübungsplatz, mit dem immer drückenderenGewicht seiner Waffe, wenn er bei der endlosen Rede eines Offiziersstrammstehen musste, und mit dem enervierenden Gehuste und Geräusper vonConnor. Eines Nachts, als Pauline acht Tage verstreichen ließ und dann nur einenunbekümmerten kurzen Zettel schickte, in dem sie von einem Captain auf derDurchreise, mit »kultiviertem« Bostoner Akzent schrieb, sprang Michael aus demBett und schrie: »Hör auf! Hör auf! Hör auf!«, und drückte ein Kissen auf ConnorsGesicht, und hielt es dort mit aller Kraft fest. Drei Männer waren nötig, umihn wegzuziehen. Connor setzte sich auf, blinzelte benommen und ungläubig, undMichael sank auf seine Pritsche zurück und vergrub seinen Kopf in den Händen.
© List Verlag
Übersetzung: Christine Frick-Gerke und Gesine Strempel
- Autor: Anne Tyler
- 2006, 335 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Frick-Gerke, Christine; Strempel, Gesine
- Übersetzer: Christine Frick-Gerke, Gesine Strempel
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548606040
- ISBN-13: 9783548606040
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