Im Land des weiten Himmels
Zwischen den schneebedeckten Gipfeln und malerischen Seen wartet ihr Schicksal
New York 1920: Nach dem Tod ihrer Eltern gibt es für die junge deutsche Auswanderin Hannah in New York keine Zukunft mehr. In der wilden Weite Alaskas will sie sich ein...
New York 1920: Nach dem Tod ihrer Eltern gibt es für die junge deutsche Auswanderin Hannah in New York keine Zukunft mehr. In der wilden Weite Alaskas will sie sich ein...
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Produktinformationen zu „Im Land des weiten Himmels “
Zwischen den schneebedeckten Gipfeln und malerischen Seen wartet ihr Schicksal
New York 1920: Nach dem Tod ihrer Eltern gibt es für die junge deutsche Auswanderin Hannah in New York keine Zukunft mehr. In der wilden Weite Alaskas will sie sich ein neues Leben aufbauen. Auf dem Weg dorthin lernt sie den Buschpiloten Frank kennen und beginnt, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen, doch am Ziel der Reise trennen sich ihre Wege. In dem noch jungen Land erwartet Hannah eine böse Überraschung, aber sie weiß: An diesem Ort wird sich ihr Schicksal erfüllen ...
New York 1920: Nach dem Tod ihrer Eltern gibt es für die junge deutsche Auswanderin Hannah in New York keine Zukunft mehr. In der wilden Weite Alaskas will sie sich ein neues Leben aufbauen. Auf dem Weg dorthin lernt sie den Buschpiloten Frank kennen und beginnt, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen, doch am Ziel der Reise trennen sich ihre Wege. In dem noch jungen Land erwartet Hannah eine böse Überraschung, aber sie weiß: An diesem Ort wird sich ihr Schicksal erfüllen ...
Klappentext zu „Im Land des weiten Himmels “
Zwischen den schneebedeckten Gipfeln und malerischen Seen wartet ihr SchicksalNew York 1920: Nach dem Tod ihrer Eltern gibt es für die junge deutsche Auswanderin Hannah in New York keine Zukunft mehr. In der wilden Weite Alaskas will sie sich ein neues Leben aufbauen. Auf dem Weg dorthin lernt sie den Buschpiloten Frank kennen und beginnt, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen, doch am Ziel der Reise trennen sich ihre Wege. In dem noch jungen Land erwartet Hannah eine böse Überraschung, aber sie weiß: An diesem Ort wird sich ihr Schicksal erfüllen
Lese-Probe zu „Im Land des weiten Himmels “
Im Land des weiten Himmels von Joanna Wolfe1
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»Hannah! Wo bleibst du denn?« Henry Smith, der deutschstämmige Besitzer von »Henry's Café«, stand mit hochrotem Gesicht in der Küche, eine karierte Schürze vor dem respektablen Bauch und mit drei Töpfen gleichzeitig hantierend. Er füllte vier bereitstehende Teller und blickte seine neue Bedienung vorwurfsvoll an. »Das Lokal ist bis auf den letzten Platz besetzt, und du schläfst im Gehen ein.« Er deutete auf die Teller. »Tisch vier, aber heute noch!«
Hannah Stocker griff wortlos nach den Tellern und balancierte sie zu dem Tisch mit den beiden Ehepaaren. Die Eigentümer des Kramerladens gegenüber und ein Fabrikant, der trotz der Prohibition einen stattlichen Bierbauch hatte. Seine Frau trug, obwohl sie alles andere als schöne Beine hatte, eines dieser modischen Kleider, die knapp über dem Knie endeten. »Viermal Rinderbraten mit Kartoffeln und grünen Bohnen«, sagte Hannah, als sie die Teller verteilte. Sie vermied es, die Gäste anzulächeln, obwohl ihr Chef das ausdrücklich verlangte. Sie gab sich lieber sachlich, aus Angst, mit ihrer erschöpften Miene und ihren müden Augen nur ein klägliches Grinsen hinzubekommen, das die Gäste abstoßen würde.
Auf dem Rückweg in die Küche blieb sie in dem schwach beleuchteten Gang hinter der Schwingtür stehen, ließ sich mit dem Rücken gegen die Wand sinken und verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. Sie war hundemüde, hatte seit fünf Wochen kaum ein Auge zugetan und bis zur Erschöpfung gearbeitet, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Das Leben in New York war teuer, auch wenn man abseits der Fifth Avenue wohnte. Tagsüber arbeitete sie in der Nähfabrik, wo ihre Mutter angestellt gewesen war, und abends lief sie sich hier in Henry's Café die Füße wund. Henry Smith hieß eigentlich Heinrich Schmidt, kam aus derselben Gegend in Württemberg wie sie und hatte seinen Namen 1917 während des Großen Krieges geändert, als die deutschen Einwanderer so verhasst gewesen waren, dass man sogar zum Boykott gegen sie aufgerufen hatte.
Die zwei Jobs zehrten an ihren Kräften. Seit ihre Mutter gestorben war, bestand das Leben für Hannah nur noch aus Arbeit, und ihr blieb keine Zeit für dessen angenehme Seiten, an einen netten Mann, an ein Rendezvous bei Kerzenschein, zu dem der Betreffende mit Blumen für sie erschien, war nicht zu denken. Besonders während der ersten Wochen, als sie noch frisch und unverbraucht ausgesehen, ihre blauen Augen noch gestrahlt und ihre honigblonden Haare noch geglänzt hatten, war sie von mehreren Männern angesprochen worden. Wie gut das getan hatte! Mit den meisten wäre sie sowieso nie ausgegangen, aber ein junger Maler, der ihr sogar angeboten hatte, sie auf Leinwand zu verewigen, hatte ihr gefallen. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr fahles Gesicht, als sie an den jungen Mann dachte. Ob er von seinen Bildern und Porträts leben konnte?
»Hannah? Bist du da draußen? Wo bleibst du denn?«
»Ich komme. Bin schon unterwegs.«
Sie stieß sich seufzend von der Wand ab und ging in die Küche. Nervös blinzelte sie in das blendend helle Licht, das von der Decke schien. Es dauerte eine Weile, bis man sich an das elektrische Licht gewöhnt hatte. In der Nähfabrik hatten sie Gaslampen, und zu Hause stand eine Kerosinlampe auf ihrem Tisch.
»Die Rippchen für Tisch zwei, nun mach schon!« Henry Smith wischte sich mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn. »Wenn die Leute kein Bier und keinen Wein mehr trinken dürfen, sollen sie wenigstens ihr Essen bekommen, solange es heiß ist.« Er kehrte zum Herd zurück und rührte im Topf mit dem Bohnengemüse. »Und schlaf unterwegs nicht ein!«
Mühsam bahnte sie sich einen Weg zwischen den eng beieinanderstehenden Tischen hindurch. Die Gäste warteten bereits ungeduldig.
»Na, endlich«, knurrte ein älterer Mann sie an. »Ich dachte schon, ich müsste verhungern. Hoffentlich schmecken die Rippchen. Teuer genug sind sie ja. Für den Preis hab ich vor einigen Jahren noch zwei Portionen bekommen.«
Seine Frau war solche Reaktionen anscheinend gewöhnt. »Machen Sie sich nichts draus, Miss. Seit er kein Bier mehr zum Essen bekommt, ist er immer so schlecht gelaunt.« Sie legte eine Hand auf den Arm ihres Mannes. »Bringen Sie uns noch zwei Gläser von der roten Limonade, Miss. Johannisbeere?«
»Cranberry und Zitrone«, verbesserte Hannah. Sie war mit ihren Gedanken woanders. Seit die Regierung vor ein paar Jahren das Alkoholverbot erlassen hatte, waren die meisten Männer schlechter Laune, und als Bedienung in einem ehemaligen »Beer Garden« musste man sich ständig solche Bemerkungen anhören.
»Zwei Gläser Cranberry mit Zitrone«, wiederholte sie pflichtbewusst.
Auf dem Rückweg zur Küche kam sie an dem großen Wandspiegel vorbei, der über dem Stammtisch angebracht war, eine Erinnerung an die alte Heimat, und sie vermied es wie jeden Abend, einen Blick hineinzuwerfen. Die Schicksalsschläge der letzten Jahre hatten sie viel Kraft gekostet. Sie war schmaler geworden, auch im Gesicht, und ihre Haut hatte einen ungesunden Ton angenommen. Nicht die edle Blässe, die noch vor einigen Jahren modern gewesen war, eher ein ungesundes Grau, wie man es bekam, wenn man sich zu lange in geschlossenen Räumen aufhielt. In der Nähfabrik gab es überhaupt keine Fenster, bloß das flackernde Gaslicht, und die beiden großen Fenster von Henry's Café lagen unter einer dunklen Markise, man sah nie den Himmel, immer nur den Bürgersteig der 86th Street. Wie sehr sehnte Hannah sich nach den weiten Ebenen, die es im fernen Westen und hohen Norden geben sollte, dem endlosen Land abseits der großen Städte, in dem die Natur noch so unverfälscht wie vor der Ankunft der ersten Siedler war.
Ihre Eltern hatten für den gleichen Traum gelebt und immer gehofft, New York eines Tages verlassen und sich irgendwo in der Ferne eine Zukunft aufbauen zu können, doch über Brooklyn waren sie nie hinausgekommen. Das wenige Geld, das sie gespart hatten, war in die Taschen von Wilhelm Behringer geflossen. Hannahs Vater hatte nach wenigen Jahren seine Arbeit am Fließband verloren und wegen seines chronischen Hustens keine neue Anstellung gefunden, man konnte förmlich zusehen, wie er von Tag zu Tag mutloser und verzweifelter wurde, eines Tages war er betrunken vor ein Automobil gelaufen und noch am Unfallort gestorben. Ihre Mutter hatte tapfer versucht, allein für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, doch selbst als Hannah ebenfalls in der Nähfabrik anfing, waren sie mit den Schulden und der Miete nicht nachgekommen. Wilhelm Behringer, ein Unternehmer aus der alten Heimat, verlangte hohe Zinsen und lachte nur, wenn man ihn um eine Senkung der Kosten bat. Allein der Betrag, den er für die Überfahrt und die »Beratung bei der Einreise« verlangt hatte, war eine Unverschämtheit gewesen. Zumal jene »Beratung« aus der Zuweisung einer Wohnung in einem baufälligen Gebäude bestanden hatte, für die er eine ebenso unverschämt hohe Miete verlangte. Hannahs Mutter war vor fünf Wochen gestorben, an Herzschwäche, wie der Arzt diagnostiziert hatte. Aus Kummer und Sorge um die Zukunft, wie Hannah annahm. Sie vermisste ihre Mutter sehr.
Henry Smith empfing sie vor der Pendeltür und zog sie in den Gang hinein. »Was ist heute bloß mit dir los?«, fauchte er sie leise an. »Hast du denn nicht gesehen, wer gerade zur Tür hereingekommen ist? Ron Lieberman, der Brauereibesitzer. Sobald die Regierung das Alkoholverbot aufhebt, ist er der große Mann in Brooklyn und Manhattan. So einer wie der geht nicht unter. Der verdient Tausende von Dollar mit seinem schwarzgebrauten Bier und kann sofort wieder loslegen. Einer wie der diktiert uns die Preise. Wenn er nicht mehr will, gehen wir unter. Also gib ihm Tisch eins, und sei ein bisschen nett zu ihm. Lächle ihn an, und streife ihn mit dem Schenkel, so was mag er.«
»Ich soll was?«, wehrte sie sich viel zu laut, und er legte ihr seine nach Rippchen riechende schwielige Hand auf den Mund. »Ich bin doch keine ...«
»Jetzt geh endlich, aber zackig!«, fiel ihr der Wirt ins Wort und schob sie in Richtung Gang.
Hannah ging in den Gastraum zurück und empfing den dicken Brauereibesitzer mit einem gequälten Lächeln. »Guten Abend, Mr Lieberman«, begrüßte sie ihn so höflich wie möglich. »Wäre Ihnen der Tisch am Fenster recht?«
»Natürlich, Schätzchen«, erwiderte Lieberman - ein aufgedunsener alter Kerl mit Stiernacken und Wurstfingern. »Und bring mir ein Ginger Ale on the rocks, mit viel Eis und Zitrone, damit das furchtbare Zeug wenigstens so aussieht wie ein Whiskey.« Er reichte ihr seinen Mantel und
seinen Zylinder und setzte sich an den Fenstertisch, den Henry Smith an jedem Abend für besonders wichtige Gäste freihielt, »falls sich mal der Bürgermeister in unser Restaurant verirrt«, wie er nur halb im Scherz behauptete.
Hannah brachte den Mantel zur Garderobe und kehrte in die Küche zurück. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. »Ein Ginger Ale on the rocks für Lieberman, mit viel Eis und Zitrone.« Sie wartete, bis ihr Chef eingeschenkt hatte, und ließ eine Zitronenscheibe in das Glas fallen. Sie arbeiteten zu dritt im Restaurant und in der Küche, außer ihr und Smith kam noch eine ältere Russin zum Spülen und Putzen. Sie verstand kein Wort Englisch, arbeitete stumm vor sich hin und war mit den paar Dollar zufrieden, die Henry Smith ihr zahlte. Seinen Barkeeper, einen jungen Deutschen, hatte der Wirt ein Jahr nachdem das Alkoholverbot in Kraft getreten war entlassen müssen.
»Sobald ich etwas Luft habe, ziehe ich mich um und begrüße ihn persönlich«, gab ihr Henry Smith mit auf den Weg. »Sag ihm, dass ich mich sehr über seinen Besuch freue. Und das Ginger Ale geht natürlich aufs Haus.«
Hannah brachte dem Dicken das Ginger Ale. Er trank einen Schluck und schnaufte angewidert. »Furchtbares Zeug! Bring mir einen Kaffee zum Essen, mit viel Milch und Zucker. Ein großes Steak, medium, mit Kartoffeln, ja?«
»Sehr gern, Mr Lieberman.«
Der Brauereibesitzer hielt sie am Unterarm fest und grinste süffisant. »Du darfst mich ruhig ansehen, wenn du mit mir sprichst, Schätzchen, und ein Lächeln würde auch nicht schaden. Du kommst aus Germany, nicht wahr?«
»Das ist lange her, Sir.«
»Aus Württemberg, nicht wahr? Das höre ich an deinem Akzent. Ich habe auch deutsche Eltern, wusstest du das? Das sollten wir feiern, Schätzchen.«
»Ein Steak mit Kartoffeln«, wiederholte sie mechanisch.
Sie löste sich mit sanfter Gewalt von dem Bauereibesitzer und kassierte an zwei Tischen, bevor sie in die Küche ging. Obwohl sie sich hütete, den unangenehmen Gast anzublicken, spürte sie seinen Blick bis zur Pendeltür. »Ein furchtbarer Mensch, dieser Lieberman«, beklagte sie sich, nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatte. »Warum meinen diese Männer immer, sie könnten sich alles erlauben, nur weil sie ein bisschen Geld haben.«
»Ein bisschen? Ein paar Millionen!«
»Ich denke nicht daran, deswegen zu Kreuze zu kriechen.«
»Du wirst das tun, was gut für unser Restaurant ist, oder du kannst dir einen anderen Arbeitgeber suchen!«, erwiderte Henry Smith scharf. »Eine wie dich finde ich jeden Tag, wahrscheinlich sogar für weniger Lohn. Und jetzt bring Lieberman seinen Kaffee. Worauf wartest du noch?«
»Geht der auch aufs Haus?«, fragte sie gereizt.
»Was denkst du denn? Das Ginger Ale, der Kaffee, das Essen, alles, was er bestellt. Lieberman ist ein wichtiger Mann, den muss ich mir warmhalten.«
Auf dem Weg zu Liebermans Fenstertisch vertröstete Hannah einige andere Gäste, die ungeduldig nach ihrer Bestellung oder der Rechnung fragten. Die Miene des Brauereibesitzers hatte sich nicht verändert. Er grinste immer noch und leckte sich genießerisch die Lippen, als er sie kommen sah. Normalerweise machte sie einen großen Bogen um solche Männer. »Ich soll Sie von Mr Smith grüßen«, sagte sie stattdessen. »Ich darf Ihnen mitteilen, dass Sie auch zum Essen herzlich eingeladen sind. Mr Smith wird Sie persönlich willkommen heißen, sobald es ihm die Arbeit in der Küche erlaubt.«
»Ach, was!« Sein Grinsen wurde breiter. »Was brauchen wir beide Mr Smith. Mir reicht es, wenn du nett zu mir bist. Wie heißt du eigentlich, Schätzchen?«
»Hannah«, erwiderte sie. »Und ich bin nicht Ihr Schätzchen!«
»Nun sei doch nicht so widerborstig!« Er berührte ihre Kniekehlen und ließ seine Hand bis zu ihren Schenkeln hochwandern. »Wie wäre es, wenn ich dich nach der Arbeit auf einen Cocktail einlade? Nicht dieses widerwärtige Zeug, dieses Ginger Ale.« Er verzog den Mund. »Einen Martini oder Manhattan.«
»Ich habe leider keine Zeit, Sir.«
»Und wenn ich dich ganz höflich bitte?«
Sie spürte, wie seine Hand weiter nach oben wanderte, unter ihrem Rock, für die anderen Gäste nicht sichtbar, und verlor die Beherrschung. »Fassen Sie mich nicht an!«, fuhr sie den Brauereibesitzer an und schüttete ihm den heißen Kaffee auf die Brust. »Ich bin kein Mädchen, das man mit einem Martini kaufen kann!«
Ron Lieberman schrie auf vor Schmerz und schlug ihr die leere Tasse aus der Hand. »Was fällt dir ein, du Flittchen?«, rief er so laut, dass selbst die Gäste am anderen Ende erschreckt aufblickten. »Das wirst du mir büßen, du Luder!«
»Kein Mann hat das Recht, mich auf diese Weise zu berühren!«
Aus der Küche kam Henry Smith gerannt, mit hochrotem Kopf und das Gesicht vor Entsetzen verzerrt. »Mr Lieberman, um Gottes willen! Hannah ... Wie konnte das passieren? Ich hab dir doch tausendmal gesagt, du ...«
»Das war kein Versehen, Mr Smith!« Ron Lieberman war ebenso rot im Gesicht wie der Wirt. »Das hat sie mit Absicht getan! Das kleine Flittchen wollte mir eins auswischen! Diese Frechheit lasse ich mir nicht gefallen!«
»Er hat mich angetatscht«, erklärte Hannah schluchzend.
»Ich hab ihr einen Klaps gegeben. Ist das vielleicht verboten?«
»Pack deine Sachen!«, sagte Henry Smith zu ihr.
»Wie bitte?« Hannah verstand die Welt nicht mehr. »Er hat die Hand unter meinen Rock geschoben und ...« Ihr wurde erst jetzt klar, dass ihr das ganze Lokal zuhörte und neugierige Blicke auf ihr ruhten. So ein Schauspiel bekam man nicht alle Tage in einem Restaurant geboten. »Sollte ich mir das etwa gefallen lassen? Ich bin kein leichtes Mädchen! Und auch ein Gentleman ...« Sie betonte das Wort abfällig. »... und auch ein Gentleman wie Ron Lieberman kann sich nicht alles erlauben. Er sollte sich entschuldigen.«
Der Brauereibesitzer lachte entgeistert. »Ich soll ... was? Den Teufel werde ich tun! Ich werde Ihnen die Rechnung für die Reinigung schicken und Ihr Restaurant erst wieder betreten, wenn diese ..., diese Person, nicht mehr für Sie arbeitet. Haben Sie mich verstanden, Mr Smith? Mit einem Mann, der seine Angestellten nicht im Griff hat, kann ich nicht zusammenarbeiten. Leben Sie wohl!« Er schob sich hinter dem Tisch hervor, griff sich seinen Mantel und verschwand.
»Ein Missverständnis, meine Damen und Herren«, beeilte sich Henry Smith, den anderen Gästen mitzuteilen. »Ich bitte, die ungewollte Störung zu entschuldigen, und werde mich bei jedem Gast mit einem ...« Er zögerte einen Augenblick. »... bei jedem Gast mit einem kühlen Ginger Ale entschuldigen.«
Die Leute waren es zufrieden und wandten sich wieder ihren Unterhaltungen zu. Nur ein neugieriger Geschäftsmann beobachtete, wie Henry Smith seine Bedienung am Arm packte und durch die Pendeltür in den Gang führte. »Packen Sie die Arme nicht zu hart an, Smith. Sie trifft keine Schuld. Der Lüstling wollte ihr an die Wäsche, das hat doch ein Blinder gesehen.«
»Da hören Sie es! Lieberman hat mich angetatscht!«
»Und selbst wenn ...« Henry Smith holte missmutig Gläser aus dem Schrank und begann Ginger Ale einzufüllen.
»Das harmlose Getatsche hätte dich nicht umgebracht, und mir hätte es dabei geholfen, einen lukrativen Deal mit ihm abzuschließen, sobald sie das Alkoholverbot wieder aufheben.«
»Das dauert bestimmt noch eine Weile«, mutmaßte der Geschäftsmann.
»Ein paar Monate ... höchstens, wenn sich die Opposition weiter so ins Zeug legt. Die Prohibition ist schlecht für das Wachstum, das hat die Regierung doch längst erkannt. Sobald sich einer traut, gegen die fanatischen Kirchenvertreter und Eiferer anzutreten, ist das verfluchte Gesetz vom Tisch.« Er holte einen neuen Kasten mit Ginger Ale aus der Kühlkammer und schenkte weiter ein. Er blickte Hannah vorwurfsvoll an. »Hey, willst du mir nicht helfen?«
»Ich denke, Sie haben mir gekündigt?«
»Das war doch nicht so gemeint!« Er schob ihr eine volle Flasche hin. »Mr Lieberman wird sich schon beruhigen.« Er rang sich zu einem schwachen Lächeln durch, wurde aber gleich wieder ernst. »Die Ginger Ales gehen auf mich. Aber das Geld für die Reinigung ziehe ich dir vom Lohn ab. Ich hoffe nur, dass er uns nicht verklagt.«
»Er ... uns? Er hat mich belästigt!«
»Und er wird das Gegenteil behaupten. Was glaubst du, wem das Gericht glauben wird? Einer armen Bedienung oder einem reichen Unternehmer? Du kannst froh sein,
wenn es bei dem Geld für die Reinigung bleibt.«
© 2012 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
»Hannah! Wo bleibst du denn?« Henry Smith, der deutschstämmige Besitzer von »Henry's Café«, stand mit hochrotem Gesicht in der Küche, eine karierte Schürze vor dem respektablen Bauch und mit drei Töpfen gleichzeitig hantierend. Er füllte vier bereitstehende Teller und blickte seine neue Bedienung vorwurfsvoll an. »Das Lokal ist bis auf den letzten Platz besetzt, und du schläfst im Gehen ein.« Er deutete auf die Teller. »Tisch vier, aber heute noch!«
Hannah Stocker griff wortlos nach den Tellern und balancierte sie zu dem Tisch mit den beiden Ehepaaren. Die Eigentümer des Kramerladens gegenüber und ein Fabrikant, der trotz der Prohibition einen stattlichen Bierbauch hatte. Seine Frau trug, obwohl sie alles andere als schöne Beine hatte, eines dieser modischen Kleider, die knapp über dem Knie endeten. »Viermal Rinderbraten mit Kartoffeln und grünen Bohnen«, sagte Hannah, als sie die Teller verteilte. Sie vermied es, die Gäste anzulächeln, obwohl ihr Chef das ausdrücklich verlangte. Sie gab sich lieber sachlich, aus Angst, mit ihrer erschöpften Miene und ihren müden Augen nur ein klägliches Grinsen hinzubekommen, das die Gäste abstoßen würde.
Auf dem Rückweg in die Küche blieb sie in dem schwach beleuchteten Gang hinter der Schwingtür stehen, ließ sich mit dem Rücken gegen die Wand sinken und verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. Sie war hundemüde, hatte seit fünf Wochen kaum ein Auge zugetan und bis zur Erschöpfung gearbeitet, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Das Leben in New York war teuer, auch wenn man abseits der Fifth Avenue wohnte. Tagsüber arbeitete sie in der Nähfabrik, wo ihre Mutter angestellt gewesen war, und abends lief sie sich hier in Henry's Café die Füße wund. Henry Smith hieß eigentlich Heinrich Schmidt, kam aus derselben Gegend in Württemberg wie sie und hatte seinen Namen 1917 während des Großen Krieges geändert, als die deutschen Einwanderer so verhasst gewesen waren, dass man sogar zum Boykott gegen sie aufgerufen hatte.
Die zwei Jobs zehrten an ihren Kräften. Seit ihre Mutter gestorben war, bestand das Leben für Hannah nur noch aus Arbeit, und ihr blieb keine Zeit für dessen angenehme Seiten, an einen netten Mann, an ein Rendezvous bei Kerzenschein, zu dem der Betreffende mit Blumen für sie erschien, war nicht zu denken. Besonders während der ersten Wochen, als sie noch frisch und unverbraucht ausgesehen, ihre blauen Augen noch gestrahlt und ihre honigblonden Haare noch geglänzt hatten, war sie von mehreren Männern angesprochen worden. Wie gut das getan hatte! Mit den meisten wäre sie sowieso nie ausgegangen, aber ein junger Maler, der ihr sogar angeboten hatte, sie auf Leinwand zu verewigen, hatte ihr gefallen. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr fahles Gesicht, als sie an den jungen Mann dachte. Ob er von seinen Bildern und Porträts leben konnte?
»Hannah? Bist du da draußen? Wo bleibst du denn?«
»Ich komme. Bin schon unterwegs.«
Sie stieß sich seufzend von der Wand ab und ging in die Küche. Nervös blinzelte sie in das blendend helle Licht, das von der Decke schien. Es dauerte eine Weile, bis man sich an das elektrische Licht gewöhnt hatte. In der Nähfabrik hatten sie Gaslampen, und zu Hause stand eine Kerosinlampe auf ihrem Tisch.
»Die Rippchen für Tisch zwei, nun mach schon!« Henry Smith wischte sich mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn. »Wenn die Leute kein Bier und keinen Wein mehr trinken dürfen, sollen sie wenigstens ihr Essen bekommen, solange es heiß ist.« Er kehrte zum Herd zurück und rührte im Topf mit dem Bohnengemüse. »Und schlaf unterwegs nicht ein!«
Mühsam bahnte sie sich einen Weg zwischen den eng beieinanderstehenden Tischen hindurch. Die Gäste warteten bereits ungeduldig.
»Na, endlich«, knurrte ein älterer Mann sie an. »Ich dachte schon, ich müsste verhungern. Hoffentlich schmecken die Rippchen. Teuer genug sind sie ja. Für den Preis hab ich vor einigen Jahren noch zwei Portionen bekommen.«
Seine Frau war solche Reaktionen anscheinend gewöhnt. »Machen Sie sich nichts draus, Miss. Seit er kein Bier mehr zum Essen bekommt, ist er immer so schlecht gelaunt.« Sie legte eine Hand auf den Arm ihres Mannes. »Bringen Sie uns noch zwei Gläser von der roten Limonade, Miss. Johannisbeere?«
»Cranberry und Zitrone«, verbesserte Hannah. Sie war mit ihren Gedanken woanders. Seit die Regierung vor ein paar Jahren das Alkoholverbot erlassen hatte, waren die meisten Männer schlechter Laune, und als Bedienung in einem ehemaligen »Beer Garden« musste man sich ständig solche Bemerkungen anhören.
»Zwei Gläser Cranberry mit Zitrone«, wiederholte sie pflichtbewusst.
Auf dem Rückweg zur Küche kam sie an dem großen Wandspiegel vorbei, der über dem Stammtisch angebracht war, eine Erinnerung an die alte Heimat, und sie vermied es wie jeden Abend, einen Blick hineinzuwerfen. Die Schicksalsschläge der letzten Jahre hatten sie viel Kraft gekostet. Sie war schmaler geworden, auch im Gesicht, und ihre Haut hatte einen ungesunden Ton angenommen. Nicht die edle Blässe, die noch vor einigen Jahren modern gewesen war, eher ein ungesundes Grau, wie man es bekam, wenn man sich zu lange in geschlossenen Räumen aufhielt. In der Nähfabrik gab es überhaupt keine Fenster, bloß das flackernde Gaslicht, und die beiden großen Fenster von Henry's Café lagen unter einer dunklen Markise, man sah nie den Himmel, immer nur den Bürgersteig der 86th Street. Wie sehr sehnte Hannah sich nach den weiten Ebenen, die es im fernen Westen und hohen Norden geben sollte, dem endlosen Land abseits der großen Städte, in dem die Natur noch so unverfälscht wie vor der Ankunft der ersten Siedler war.
Ihre Eltern hatten für den gleichen Traum gelebt und immer gehofft, New York eines Tages verlassen und sich irgendwo in der Ferne eine Zukunft aufbauen zu können, doch über Brooklyn waren sie nie hinausgekommen. Das wenige Geld, das sie gespart hatten, war in die Taschen von Wilhelm Behringer geflossen. Hannahs Vater hatte nach wenigen Jahren seine Arbeit am Fließband verloren und wegen seines chronischen Hustens keine neue Anstellung gefunden, man konnte förmlich zusehen, wie er von Tag zu Tag mutloser und verzweifelter wurde, eines Tages war er betrunken vor ein Automobil gelaufen und noch am Unfallort gestorben. Ihre Mutter hatte tapfer versucht, allein für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, doch selbst als Hannah ebenfalls in der Nähfabrik anfing, waren sie mit den Schulden und der Miete nicht nachgekommen. Wilhelm Behringer, ein Unternehmer aus der alten Heimat, verlangte hohe Zinsen und lachte nur, wenn man ihn um eine Senkung der Kosten bat. Allein der Betrag, den er für die Überfahrt und die »Beratung bei der Einreise« verlangt hatte, war eine Unverschämtheit gewesen. Zumal jene »Beratung« aus der Zuweisung einer Wohnung in einem baufälligen Gebäude bestanden hatte, für die er eine ebenso unverschämt hohe Miete verlangte. Hannahs Mutter war vor fünf Wochen gestorben, an Herzschwäche, wie der Arzt diagnostiziert hatte. Aus Kummer und Sorge um die Zukunft, wie Hannah annahm. Sie vermisste ihre Mutter sehr.
Henry Smith empfing sie vor der Pendeltür und zog sie in den Gang hinein. »Was ist heute bloß mit dir los?«, fauchte er sie leise an. »Hast du denn nicht gesehen, wer gerade zur Tür hereingekommen ist? Ron Lieberman, der Brauereibesitzer. Sobald die Regierung das Alkoholverbot aufhebt, ist er der große Mann in Brooklyn und Manhattan. So einer wie der geht nicht unter. Der verdient Tausende von Dollar mit seinem schwarzgebrauten Bier und kann sofort wieder loslegen. Einer wie der diktiert uns die Preise. Wenn er nicht mehr will, gehen wir unter. Also gib ihm Tisch eins, und sei ein bisschen nett zu ihm. Lächle ihn an, und streife ihn mit dem Schenkel, so was mag er.«
»Ich soll was?«, wehrte sie sich viel zu laut, und er legte ihr seine nach Rippchen riechende schwielige Hand auf den Mund. »Ich bin doch keine ...«
»Jetzt geh endlich, aber zackig!«, fiel ihr der Wirt ins Wort und schob sie in Richtung Gang.
Hannah ging in den Gastraum zurück und empfing den dicken Brauereibesitzer mit einem gequälten Lächeln. »Guten Abend, Mr Lieberman«, begrüßte sie ihn so höflich wie möglich. »Wäre Ihnen der Tisch am Fenster recht?«
»Natürlich, Schätzchen«, erwiderte Lieberman - ein aufgedunsener alter Kerl mit Stiernacken und Wurstfingern. »Und bring mir ein Ginger Ale on the rocks, mit viel Eis und Zitrone, damit das furchtbare Zeug wenigstens so aussieht wie ein Whiskey.« Er reichte ihr seinen Mantel und
seinen Zylinder und setzte sich an den Fenstertisch, den Henry Smith an jedem Abend für besonders wichtige Gäste freihielt, »falls sich mal der Bürgermeister in unser Restaurant verirrt«, wie er nur halb im Scherz behauptete.
Hannah brachte den Mantel zur Garderobe und kehrte in die Küche zurück. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. »Ein Ginger Ale on the rocks für Lieberman, mit viel Eis und Zitrone.« Sie wartete, bis ihr Chef eingeschenkt hatte, und ließ eine Zitronenscheibe in das Glas fallen. Sie arbeiteten zu dritt im Restaurant und in der Küche, außer ihr und Smith kam noch eine ältere Russin zum Spülen und Putzen. Sie verstand kein Wort Englisch, arbeitete stumm vor sich hin und war mit den paar Dollar zufrieden, die Henry Smith ihr zahlte. Seinen Barkeeper, einen jungen Deutschen, hatte der Wirt ein Jahr nachdem das Alkoholverbot in Kraft getreten war entlassen müssen.
»Sobald ich etwas Luft habe, ziehe ich mich um und begrüße ihn persönlich«, gab ihr Henry Smith mit auf den Weg. »Sag ihm, dass ich mich sehr über seinen Besuch freue. Und das Ginger Ale geht natürlich aufs Haus.«
Hannah brachte dem Dicken das Ginger Ale. Er trank einen Schluck und schnaufte angewidert. »Furchtbares Zeug! Bring mir einen Kaffee zum Essen, mit viel Milch und Zucker. Ein großes Steak, medium, mit Kartoffeln, ja?«
»Sehr gern, Mr Lieberman.«
Der Brauereibesitzer hielt sie am Unterarm fest und grinste süffisant. »Du darfst mich ruhig ansehen, wenn du mit mir sprichst, Schätzchen, und ein Lächeln würde auch nicht schaden. Du kommst aus Germany, nicht wahr?«
»Das ist lange her, Sir.«
»Aus Württemberg, nicht wahr? Das höre ich an deinem Akzent. Ich habe auch deutsche Eltern, wusstest du das? Das sollten wir feiern, Schätzchen.«
»Ein Steak mit Kartoffeln«, wiederholte sie mechanisch.
Sie löste sich mit sanfter Gewalt von dem Bauereibesitzer und kassierte an zwei Tischen, bevor sie in die Küche ging. Obwohl sie sich hütete, den unangenehmen Gast anzublicken, spürte sie seinen Blick bis zur Pendeltür. »Ein furchtbarer Mensch, dieser Lieberman«, beklagte sie sich, nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatte. »Warum meinen diese Männer immer, sie könnten sich alles erlauben, nur weil sie ein bisschen Geld haben.«
»Ein bisschen? Ein paar Millionen!«
»Ich denke nicht daran, deswegen zu Kreuze zu kriechen.«
»Du wirst das tun, was gut für unser Restaurant ist, oder du kannst dir einen anderen Arbeitgeber suchen!«, erwiderte Henry Smith scharf. »Eine wie dich finde ich jeden Tag, wahrscheinlich sogar für weniger Lohn. Und jetzt bring Lieberman seinen Kaffee. Worauf wartest du noch?«
»Geht der auch aufs Haus?«, fragte sie gereizt.
»Was denkst du denn? Das Ginger Ale, der Kaffee, das Essen, alles, was er bestellt. Lieberman ist ein wichtiger Mann, den muss ich mir warmhalten.«
Auf dem Weg zu Liebermans Fenstertisch vertröstete Hannah einige andere Gäste, die ungeduldig nach ihrer Bestellung oder der Rechnung fragten. Die Miene des Brauereibesitzers hatte sich nicht verändert. Er grinste immer noch und leckte sich genießerisch die Lippen, als er sie kommen sah. Normalerweise machte sie einen großen Bogen um solche Männer. »Ich soll Sie von Mr Smith grüßen«, sagte sie stattdessen. »Ich darf Ihnen mitteilen, dass Sie auch zum Essen herzlich eingeladen sind. Mr Smith wird Sie persönlich willkommen heißen, sobald es ihm die Arbeit in der Küche erlaubt.«
»Ach, was!« Sein Grinsen wurde breiter. »Was brauchen wir beide Mr Smith. Mir reicht es, wenn du nett zu mir bist. Wie heißt du eigentlich, Schätzchen?«
»Hannah«, erwiderte sie. »Und ich bin nicht Ihr Schätzchen!«
»Nun sei doch nicht so widerborstig!« Er berührte ihre Kniekehlen und ließ seine Hand bis zu ihren Schenkeln hochwandern. »Wie wäre es, wenn ich dich nach der Arbeit auf einen Cocktail einlade? Nicht dieses widerwärtige Zeug, dieses Ginger Ale.« Er verzog den Mund. »Einen Martini oder Manhattan.«
»Ich habe leider keine Zeit, Sir.«
»Und wenn ich dich ganz höflich bitte?«
Sie spürte, wie seine Hand weiter nach oben wanderte, unter ihrem Rock, für die anderen Gäste nicht sichtbar, und verlor die Beherrschung. »Fassen Sie mich nicht an!«, fuhr sie den Brauereibesitzer an und schüttete ihm den heißen Kaffee auf die Brust. »Ich bin kein Mädchen, das man mit einem Martini kaufen kann!«
Ron Lieberman schrie auf vor Schmerz und schlug ihr die leere Tasse aus der Hand. »Was fällt dir ein, du Flittchen?«, rief er so laut, dass selbst die Gäste am anderen Ende erschreckt aufblickten. »Das wirst du mir büßen, du Luder!«
»Kein Mann hat das Recht, mich auf diese Weise zu berühren!«
Aus der Küche kam Henry Smith gerannt, mit hochrotem Kopf und das Gesicht vor Entsetzen verzerrt. »Mr Lieberman, um Gottes willen! Hannah ... Wie konnte das passieren? Ich hab dir doch tausendmal gesagt, du ...«
»Das war kein Versehen, Mr Smith!« Ron Lieberman war ebenso rot im Gesicht wie der Wirt. »Das hat sie mit Absicht getan! Das kleine Flittchen wollte mir eins auswischen! Diese Frechheit lasse ich mir nicht gefallen!«
»Er hat mich angetatscht«, erklärte Hannah schluchzend.
»Ich hab ihr einen Klaps gegeben. Ist das vielleicht verboten?«
»Pack deine Sachen!«, sagte Henry Smith zu ihr.
»Wie bitte?« Hannah verstand die Welt nicht mehr. »Er hat die Hand unter meinen Rock geschoben und ...« Ihr wurde erst jetzt klar, dass ihr das ganze Lokal zuhörte und neugierige Blicke auf ihr ruhten. So ein Schauspiel bekam man nicht alle Tage in einem Restaurant geboten. »Sollte ich mir das etwa gefallen lassen? Ich bin kein leichtes Mädchen! Und auch ein Gentleman ...« Sie betonte das Wort abfällig. »... und auch ein Gentleman wie Ron Lieberman kann sich nicht alles erlauben. Er sollte sich entschuldigen.«
Der Brauereibesitzer lachte entgeistert. »Ich soll ... was? Den Teufel werde ich tun! Ich werde Ihnen die Rechnung für die Reinigung schicken und Ihr Restaurant erst wieder betreten, wenn diese ..., diese Person, nicht mehr für Sie arbeitet. Haben Sie mich verstanden, Mr Smith? Mit einem Mann, der seine Angestellten nicht im Griff hat, kann ich nicht zusammenarbeiten. Leben Sie wohl!« Er schob sich hinter dem Tisch hervor, griff sich seinen Mantel und verschwand.
»Ein Missverständnis, meine Damen und Herren«, beeilte sich Henry Smith, den anderen Gästen mitzuteilen. »Ich bitte, die ungewollte Störung zu entschuldigen, und werde mich bei jedem Gast mit einem ...« Er zögerte einen Augenblick. »... bei jedem Gast mit einem kühlen Ginger Ale entschuldigen.«
Die Leute waren es zufrieden und wandten sich wieder ihren Unterhaltungen zu. Nur ein neugieriger Geschäftsmann beobachtete, wie Henry Smith seine Bedienung am Arm packte und durch die Pendeltür in den Gang führte. »Packen Sie die Arme nicht zu hart an, Smith. Sie trifft keine Schuld. Der Lüstling wollte ihr an die Wäsche, das hat doch ein Blinder gesehen.«
»Da hören Sie es! Lieberman hat mich angetatscht!«
»Und selbst wenn ...« Henry Smith holte missmutig Gläser aus dem Schrank und begann Ginger Ale einzufüllen.
»Das harmlose Getatsche hätte dich nicht umgebracht, und mir hätte es dabei geholfen, einen lukrativen Deal mit ihm abzuschließen, sobald sie das Alkoholverbot wieder aufheben.«
»Das dauert bestimmt noch eine Weile«, mutmaßte der Geschäftsmann.
»Ein paar Monate ... höchstens, wenn sich die Opposition weiter so ins Zeug legt. Die Prohibition ist schlecht für das Wachstum, das hat die Regierung doch längst erkannt. Sobald sich einer traut, gegen die fanatischen Kirchenvertreter und Eiferer anzutreten, ist das verfluchte Gesetz vom Tisch.« Er holte einen neuen Kasten mit Ginger Ale aus der Kühlkammer und schenkte weiter ein. Er blickte Hannah vorwurfsvoll an. »Hey, willst du mir nicht helfen?«
»Ich denke, Sie haben mir gekündigt?«
»Das war doch nicht so gemeint!« Er schob ihr eine volle Flasche hin. »Mr Lieberman wird sich schon beruhigen.« Er rang sich zu einem schwachen Lächeln durch, wurde aber gleich wieder ernst. »Die Ginger Ales gehen auf mich. Aber das Geld für die Reinigung ziehe ich dir vom Lohn ab. Ich hoffe nur, dass er uns nicht verklagt.«
»Er ... uns? Er hat mich belästigt!«
»Und er wird das Gegenteil behaupten. Was glaubst du, wem das Gericht glauben wird? Einer armen Bedienung oder einem reichen Unternehmer? Du kannst froh sein,
wenn es bei dem Geld für die Reinigung bleibt.«
© 2012 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Joanna Wolfe
Joanna Wolfe reiste mit einer Band durch die USA und Europa und schwärmt vom Hohen Norden, solange sie denken kann. Mit Wölfen verbindet sie eine »Seelenverwandtschaft«. Sie verbringt zahlreiche Monate des Jahres in Alaska und Kanada und lebt die restliche Zeit des Jahres in Chicago und Frankfurt am Main. Unter anderen Namen hat sich die weit gereiste Autorin bereits mit Spannungsromanen und gefühlvollen Liebesgeschichten einen Namen gemacht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joanna Wolfe
- 2012, 448 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442378915
- ISBN-13: 9783442378913
- Erscheinungsdatum: 19.11.2012
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