Im schwarzen See
Der Besitzer eines kleinen Fachverlages meldet seine Frau, die Journalistin Anukka Hackman, als vermisst. Bald darauf finden Elchjäger im Waldsee Humaljärvi die Leiche der auf dem Wasser treibenden Frau. Was zunächst für einen Jagdunfall gehalten wird, entpuppt sich bald als Mord - offenbar wurde Anukka mit ihrer eigenen Waffe erschossen. Wie sich herausstellt, arbeitete sie an einer unautorisierten Biographie über einen Formel-1-Piloten. Ihr Manuskript jedoch scheint keine außergewöhnlichen Enthüllungen zu beinhalten - auf den ersten Blick...
Imschwarzen See von Leena Lehtolainen
LESEPROBE
An diesem Morgen hätte ich lieber nicht in den Spiegel geschaut.Unter den Augen lagen dunkle Schatten, meine Haare waren hoffnungslos verfilzt.Beim Frühstück weigerte sich Lida, ihren Brei zu essen, und Taneli beschwertesich, seine Portion sei zu heiß. Er hatte ja Recht: Ich hatte verschlafen unddeshalb keine Zeit gehabt, den Brei abkühlen zu lassen.
Ich packte Schlechtwetterkleidung in die Kindergartentaschen,denn es war wieder einmal Schneeregen angesagt. Iida wollte statt Gummistiefelnunbedingt ihre Winterschuhe anziehen, und um zur morgendlichen Lagebesprechungnicht zu spät zu kommen, gab ich schließlich nach. Noch zwei Tage bis zu AnttisRückkehr! Die Kinder kreischten im Treppenhaus, ich hatte bisher vergeblichversucht, ihnen beizubringen, wie man sich in einem Hochhaus zu benehmen hat.In Gedanken verfluchte ich den Unbekannten, der gerade im Aufzug gerauchthatte. Obwohl die Standheizung schon seit zwei Stunden lief, war dasRückfenster vereist.
Zuerst brachte ich lida in die Vorschulgruppe, dann lieferteich Taneli in der Gruppe der unter Dreijährigen ab. Seine Hausschuhe warenunauffindbar, obwohl ich genau wusste, dass ich sie gestern Nachmittag in seinFach gelegt hatte. Schließlich entdeckte ich sie neben den Schluppen eines anderenKindes.
Im Auto schob ich eine Kassette der Gruppe Rehtorit ein unddrehte voll auf. «Polizisten sind Helden», behauptete die Band, doch ich fühltemich absolut nicht heldenhaft. Wieso hatten mich die zwei Wochen, in denen ichmit den Kindern allein war, an den Rand der Erschöpfung gebracht? Und das, obwohles am Arbeitsplatz ruhig zugegangen war, es lagen fast nur simple Routinefällean. In der vorigen Woche, als Lida erkältet gewesen war, hatte ich sogarunbesorgt zu Hause bleiben und sie pflegen können.
Es waren die durchwachten Nächte, die mich zittrig machten.Denn wenn Antti nicht zu Hause war, fand ich einfach nicht ins Bett. Ich sahmir ein melodramatisches Video nach dem anderen an, hörte über Kopfhörer Musikund trank zu viel Whisky. Wenn ich allein war, rasten meine Gedanken wild durcheinander,sodass mir nichts anderes übrig blieb, als in Phantasiewelten und schräge Harmonienzu entfliehen.
Ich parkte auf meinem persönlichen Stellplatz in der Tiefgaragedes Präsidiums, neben Jyrki Taskinens Saab, der selbst bei diesemSchmuddelwetter vor Sauberkeit glänzte. Mir blieb gerade noch Zeit, den Mantelin mein Dienstzimmer zu bringen und mir einen Kaffee zu holen, bevor ich in denBesprechungsraum ging, wo meine Mitarbeiter bereits auf mich warteten.
Ursula alberte mit Puupponen herum, Puustjärvi döste. Die anderenwaren wach, aber schweigsam. Koivu fehlte. Ich trank einen Schluck Kaffee, dannfing ich an.
«Guten Morgen allerseits. Wo steckt Koivu?»
«Er hat einen Kunden und kommt, sobald er frei ist», wussteAutio zu berichten.
Sämtliche Fälle waren in Bearbeitung, es gab keine Unklarheiten.Wir hatten es nur mit unkomplizierten Voruntersuchungen zu tun, die wir baldan die Staatsanwaltschaft weiterleiten konnten. Vergewaltigungen,Körperverletzungen, eine Messerstecherei, häusliche Gewalt. Das war unsere Welt.
Am Wochenende hatte die Saison der vorweihnachtlichen Betriebsfestebegonnen, worauf die Zahl der Schlägereien und versuchten Vergewaltigungensofort in die Höhe geschnellt war. Von nun an würde es nur schlimmer werden,bis die Welle an den Weihnachtstagen ihren Höhepunkt erreichte.
Die Weihnachtsfeier der gesamten Kripo würde am Freitag ineiner Woche stattfinden, und ich freute mich schon darauf, mit Taskinen zutanzen.
Koivu kam herein, setzte sich und polierte seine Brille.Auch er wirkte nicht gerade taufrisch. Sein drei Monate altes Baby hielt ihnimmer noch nachts wach. Ein paarmal hatte ich ihn mitten am Tag schlafend imRuheraum gefunden.
«War dein Kunde so wichtig?», fragte ich, denn es war üblich,dass alle an der Morgenbesprechung teilnahmen.
«Furchtbar aufgeregt war er jedenfalls. Atro Jääskeläinen heißter, und er macht sich Sorgen um seine Frau, eine gewisse Annukka Hackman, dieseit Montagabend verschwunden ist.»
«Soll er doch froh sein», brummte Lähde, der, wenn man seinenGeschichten Glauben schenken wollte, mit der nörglerischsten undtyrannischsten Frau der Welt verheiratet war.
«Ist er aber nicht. Er kann sie nicht erreichen, ihr Handy istausgeschaltet, Freunde und Verwandte wissen von nichts. Herr Jääskeläinenmöchte, dass wir es mit einer GPS-Ortung versuchen.»
Der Name Annukka Hackman kam mir irgendwie bekannt vor, aberich konnte mich nicht erinnern, woher.
«Ist die Dame eine von der treuen Sorte?», wollte Ursula wissen.
«Das habe ich ihn auch gefragt, aber daraufhin regte er sichnur noch mehr auf. Jedenfalls ist es für beide nicht die erste Ehe.»
(...)
© Kindler Verlag
Übersetzung: Gabriele Schrey-Vasara
- Autor: Leena Lehtolainen
- 2006, 1, 367 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schrey-Vasara, Gabriele
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463404702
- ISBN-13: 9783463404707
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