Im Zweifel für den Angetrauten
Mary ist nahe dran, dank ihres unordentlichen Mannes völlig durchzudrehen. Sie beschließt, eine Liste zu machen. Als sich darauf ein Minuspunkt nach dem anderen ansammelt, muss sie sich fragen: Will sie mit diesem Mann den Rest ihres Lebens verbringen?
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Im Zweifel für den Angetrauten “
Mary ist nahe dran, dank ihres unordentlichen Mannes völlig durchzudrehen. Sie beschließt, eine Liste zu machen. Als sich darauf ein Minuspunkt nach dem anderen ansammelt, muss sie sich fragen: Will sie mit diesem Mann den Rest ihres Lebens verbringen?
Klappentext zu „Im Zweifel für den Angetrauten “
Mary hat den Rand zum Nervenzusammenbruch schon längst überschritten, dafür sorgt ihre Familie jeden Tag aufs Neue. besonders ihr Mann treibt sie in den Wahnsinn, wenn er seine dreckige Wäsche knapp am Wäschekorb vorbei auf den Boden wirft, und einfach alles herumliegen lässt. Hat sie diesen Menschen einmal geliebt? Kurzerhand fertigt sie eine Liste an, in der sie alle Vergehen des Göttergatten vermerkt. Als sich so ein Minuspunkt nach dem anderen ansammelt, muss sie sich fragen: Ist das der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen will?Lese-Probe zu „Im Zweifel für den Angetrauten “
Im Zweifel für den Angetrauten von Christina Hopkinson1
Ein Haufen Zeug
... mehr
Ein einsames Puzzleteil liegt in der Wohnzimmerecke und fordert mich heraus, es zu ignorieren. Wir tragen einen geistigen Stellungskrieg aus. Ich versuche, es niederzustarren, aber natürlich gewinnt dieses verdammte Eckstück aus dem 32-teiligen Puzzle mit dem Motiv »Hund, der ein Flugzeug steuert«.
»Was machst du da?«, fragt Joel, der gerade eine CD aus unserem neuesten DVD-Box-Set einlegt, einer coolen US-amerikanischen Serie mit völlig unverständlichen Dialogen.
Ich durchwühle die Regale, um das Puzzle zu dem Puzzleteil zu finden. »Ich kann nicht fernsehen, solange ich weiß, dass hier irgendwo noch ein verirrtes Puzzleteil ist. Überleg doch mal, wie ärgerlich es wäre, wenn wir das nächste Mal das Puzzle machen, und am Ende fehlt das letzte Stück.«
»Mach dich locker, Mary.«
»Mach dich locker? Wie alt bist du eigentlich? Zwölf? Fährst du jetzt vielleicht auch noch auf Vampire ab, was?«
Er lacht und beschäftigt sich weiter mit der Auswahl einer Folge.
Die Welt teilt sich in Menschen, die fernsehen können, obwohl sie wissen, dass irgendwo ein einsames Puzzleteil auf dem Boden herumliegt, und in die, die das nicht können. Als ich unter dem Sofa nachsehe, ob ich da noch Kollegen von ihm finde, entdecke ich stattdessen etwas anderes: eine Tasse. Ein Blick in ihr Inneres verrät mir, dass sie dort schon seit Wochen liegt. Nun hat die Flut sie endlich nach oben gespült. In der Tasse war wohl mal Kaffee, aber so genau kann man das nicht mehr sagen, da nun schaumiger Schimmel ihre Innenwände hochkriecht wie leicht grünstichiger Cappuccinoschaum. Ich trinke nur teure Soja-Lattes, also stammt das hier von meinem Mann.
»Guck dir das an«, sage ich und halte es ihm unter die Nase.
Er weicht nicht zurück, sondern betrachtet es neugierig. »Sieht aus wie dieses Schaumzeugs, das in schicken Restaurants serviert wird. Findest du nicht auch? Handgeschichtetes Wachtel-Confit an Schaum von Schneckenextrakt oder so.« Er geht näher ran. »Wir sollten es Rufus zeigen. Ihn interessiert sicher, wie sich Schimmelsporen bilden.«
»Bringst du das bitte in die Küche?«
»Woher willst du wissen, dass es von mir ist?«
»Weil das der Becher ist, den du immer benutzt. Er ist nämlich fantastischerweise so groß, dass du jedes Mal ein bisschen was drinlassen kannst, damit jemand was zum Verschütten hat.« Er zuckt nur mit den Schultern und drückt auf Plab. »Und was ist jetzt?« Eins, zwei, drei, zähle ich langsam, wie ich es in einem Artikel über Wutmanagement gelernt habe.
»Später.«
»Wann später?«
Er stellt den Ton lauter, ich seufze schwer und funkele ihn an. Ich knicke zuerst ein, wie immer, und bringe den Becher in die Küche, kippe den Inhalt in die Spüle und quetsche die Schimmelstückchen mit den Fingern durch das Abflusssieb. Der Becher meines Mannes quillt über vor Pilzen, und ich platze fast vor Zorn.
»Joel«, rufe ich, als ich ohne den Becher und ohne jede Hoffnung, meinen Ärger jetzt noch herunterschlucken zu können, zurückkehre. »Ich habe es satt, in diesem Siff zu leben.« Keine Reaktion. »Wenn du einfach mal was wegräumen würdest ...«
Er befindet sich mittlerweile im selben Trancezustand wie unsere Söhne, wenn sie vor dem Fernseher sitzen. Ich rechne beinahe damit, dass er bis auf fünfzehn Zentimeter mit der Nasenspitze an den Bildschirm heranrückt. Noch ein Versuch. Diesmal stampfe ich auf wie Rumpelstilzchen. »Du rührst nie auch nur einen Finger, du bist schlimmer als ein kleines Kind. Wie leicht wäre mein Leben, wenn ich nur mit zwei Jungs zurechtkommen müsste! Du, du ...«, stottere ich auf der Suche nach dem besten Beispiel, um ihm seine völlige Blindheit gegenüber den Unmengen Müll, die ich für ihn wegräume, vorzuführen. »Du siehst überhaupt nicht, was ich alles mache. Und wie wenig du tust.«
»Zum Beispiel?«, fragt er schließlich.
»Keine Ahnung, ich führe darüber keine Liste«, sage ich. »Solltest du vielleicht.«
»Mach ich vielleicht auch bald.«
Eine Liste, denke ich am darauffolgenden Tag, ja, vielleicht sollte ich eine Liste führen. Mit allem, was er zu Hause tut beziehungsweise nicht tut. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich muss ihm klarmachen, dass es so nicht weitergeht. Aber was würde ich dann mit dieser Liste anfangen? Brocke ich mir damit nur noch mehr Arbeit ein, während er weiter Däumchen dreht?
Ich werde von Gabe abgelenkt, der sich mit dem Blick eines Mathematikers, der über die größte Primzahl der Welt nachdenkt, in eine Ecke der Küche zurückgezogen hat.
»Gabe, was machst du da? Warte, nicht, stopp, stopp, stopp, ich hol schnell das Töpfchen. Hier.« Gerade noch rechtzeitig zu dem wichtigsten Ereignis des Tages reiße ich ihm die Hose herunter und platziere ihn mit dem Hintern auf das Töpfchen. »Sehr gut«, rufe ich strahlend, dabei ist es in Wahrheit eher mein Triumph als seiner. »So ein kluger Junge.« Ich drücke ihn, blöderweise, ich hätte ihn lieber vorher gründlich abwischen sollen. »Und kluge Jungen bekommen Aufkleber.«
Ich gehe zu der Tabelle an der Kühlschranktür, die der Welt alle erfolgreichen »Geschäfte« meines Jüngsten mitteilt. Es sind nicht besonders viele. »Da, Fußball oder Dinosaurier?«
Wir hatten hier vier Monate lang mehr Kacke als eine Schweinefarm, aber es scheint langsam besser zu werden. Ich war immer skeptisch in Bezug auf Sternchentabellen, aber die neu eingeführte scheint zu fruchten. Er bekommt für jede erfolgreiche Sitzung auf dem Töpfchen einen Sticker oder ein Sternchen, außerdem für jeden unkomplizierten Aufbruch von zu Hause, wenn wir Rufus zur Schule bringen, und für jedes pünktliche Zubettgehen. Es gibt keine schwarzen Punkte für Fehlverhalten - nicht, weil Gabe ein vollkommener Unschuldsengel wäre, keineswegs, sondern weil wir so feige Eltern sind, dass wir nicht mit unseren Kindern schimpfen können. (Und wenn wir ihnen mal das zähe Fleisch der Kritik vorsetzen, ertränken wir es vorher im Ketchup der Kosenamen: »Ich glaube nicht, dass jeder im Restaurant hören möchte, wie du Furzgeräusche machst, Liebling«, »Süßer, die Mama mag es nicht, wenn du sie schlägst«.)
»Mein Super-Gabe, du bist auf dem besten Weg, dir das Thomas-die-kleine-Lokomotive-de-luxe-Zaubermalset zu verdienen.« Wenn Joel doch auch so leicht zu erziehen wäre.
Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Klar, das könnte ich mit der Liste tun: Ich könnte alles, was mich an ihm ärgert, aufschreiben. Sie wird das eheliche Äquivalent zu einer Sternchentabelle. Nur dass er kein Sternchen für alles bekommt, was er richtig macht, sondern einen schwarzen Punkt für alles, was er falsch macht.
Ich sollte eine Liste aufstellen mit all dem, was mich wütend macht, und eintragen, wie oft er welche Sünde begeht. Jedes zusammengeknüllte und liegen gelassene Taschentuch wird dort eingetragen, jede leere Milchtüte im Kühlschrank, jeder ignorierte Wäschestapel, jedes Mal, wenn ich mit der Hand in die Spüle greifen muss, um die ekligen, vergammelten Brocken herauszufischen, die er scheinbar nie bemerkt. In der Tabelle wird jedes seiner Vergehen der nächsten, sagen wir, sechs Monate festgehalten.
Ich war schon seit Jahren nicht mehr so aufgeregt. Es erinnert mich daran, wie ich mich fühlte, wenn ich bei der Arbeit ein neues Format entwickelte. Das ist brillant, wurde mir plötzlich klar. Ich bin brillant.
Meine Liste wird wunderschön und effizient sein, ein Kunstwerk, für das ich viel Lob bekäme, wenn ich sie wie Gabes Tabelle in der Küche zwischen Party-Einladungen, Schulterminen und Einkaufszetteln aufhängen würde. Aber das werde ich natürlich nicht tun. Joel ist kein Kleinkind mehr, das lernt, aufs Töpfchen zu gehen, sondern achtunddreißig, ein erwachsener Mann, der mehr als zwei Wochen Zeit hat, sich zu bewähren. Und nein, er bekommt auch kein Thomas-die-Lokomotive-Spielzeug.
Wenn meine Liste am Ende beweist, dass er eine Bereicherung für unser Zuhause ist, kann er bleiben. Wenn nicht, dann hat er eben Pech gehabt. Dann müssen wir unsere Ehe noch mal komplett überdenken.
Also, Joel, im Grunde ist es ganz einfach: Alles, was du tun musst, ist, mich nicht wütend zu machen.
Das Problem dabei ist nur - eigentlich bin ich fast immer wütend. Ich bin so dauergereizt, dass ich das Gefühl habe, mein Leben ist eine Geschichte in GROSSBUCHSTABEN.
Ich weiß, ich sollte nicht dauernd genervt sein. Ich sollte in der Lage sein, meine Gefühle zu »managen«, so wie ich Leute oder Etats bei der Arbeit manage. Zorn ist nicht mehr modern oder gar gerecht, wir stürmen keine Barrikaden mehr und sind stolz darauf. Zorn ist schlicht »out«.
Dabei bin ich nicht immer sofort auf hundertachtzig, meine Launen sind fein abgestuft. Sie reichen von leichter Gereiztheit bis hin zur Weißglut, aber Wut ist das umfassende Gefühl, unter dessen Schirm sich diese Abstufungen drängen.
Folgende Dinge regen mich auf: dass manche Frauen angeblich »zu verwöhnt sind, um Wehen durchzustehen«. Ferner Sätze in Büchern wie: »Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel«, »Mein teurer Leser: Ich heiratete ihn«, »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit ...«; außerdem weibliche Babys mit nuttigen Namen wie Lola, Delilah, Jezebel, Lulu oder Scarlett sowie jede Verwendung des Wortes »Mutter« und seiner Spielarten (Single-Mom), außer wenn ein Kind »Mum« zu seiner Mutter sagt; und schließlich Berufsjugendliche und Frauen, die angeblich in Größe 34 passen.
Ich bin genervt, weil ich arbeite, und wäre noch genervter, wenn ich es nicht täte.
Am meisten genervt bin ich allerdings von dir, Joel. Und könnte ich die Essenz aus diesem Ärger destillieren, würde sie aus brackigem Spülwasser bestehen, in dem das Fett von Lammkoteletts treibt. So sieht sie aus, deine völlige Unfähigkeit, mir bei der Hausarbeit zu helfen. Kein bisschen rein, kein ätherisches Öl, eher ein schlieriger Ölteppich, der sich auf meinem Herd und in meinem Herzen ausbreitet.
An meiner Wut bin nicht ich schuld, sondern mein Schicksal. Meine Eltern haben mir immer erzählt, dass ich im Winter der Unzufriedenheit geboren wurde. Das glaubte ich natürlich, und sie vermutlich auch. Ich wuchs mit Geschichten auf, wie meine Eltern sich durch Straßen voller Müll und Gestank zu einem Krankenhaus durchkämpften, in dem der Strom ausgefallen war und die Hebammen streikten. Dann las ich, dass sich der Winter der Unzufriedenheit in Wahrheit erst einige Jahre später ereignet hatte und ich nur in einem ungewöhnlich kalten Winter geboren wurde, und dass es kein Müll war, sondern Schnee, der sich meterhoch auftürmte. Aber es hielt sich hartnäckig der Mythos, dass ich während eines nationalen Wutausbruchs, eines kollektiven Tobsuchtsanfalls, zur Welt kam. »Du bist wie ein Gewerkschaftsführer«, sagten meine Eltern oft zu mir. »Ständig am Jammern.« Jedes Mal, wenn ich sagte: »Das ist nicht fair«, blafften sie mich an: »So ist das Leben.«
Wie viel sonniger wäre mein Gemüt, wenn ich das Licht der Welt im Sommer der Liebe erblickt hätte, witzelte man in meiner Familie.
Zu allem Überfluss nannten mich meine Eltern auch noch Mary. Dabei war ich schon außergewöhnlich früh das Gegenteil einer Maria, sagt meine Mutter. Bereits in ihrem Bauch hätte ich heftig gegen jedes andere Essen als Weißbrot und Wasser gewütet und ihr während der neun Schwangerschaftsmonate eine schlimme Morgen-, Mittags- und Abendübelkeit beschert. Als ich dann auf der Welt war, weigerte ich mich, die günstigste Fläschchenmilch zu trinken. Ich wollte auch nicht auf dem Bauch liegen, wie es in jenen medizinisch unkorrekten Zeiten üblich war, und schrie so lange, bis ich auf den Rücken gedreht wurde. Ich runzelte die Stirn, bis Furchen mein Gesicht überzogen, lächeln konnte ich dagegen bis zum Alter von drei Monaten nicht. Ich kratzte mich so stark, dass ich immer festgezurrte Fäustlinge tragen musste. Mein kolikbedingtes Schreien war nicht auf den frühen Abend beschränkt, sondern dauerte den ganzen Tag und einen Großteil der Nacht. Mein Hintern leuchtete wohl ebenfalls in einem wütenden Rot - mein Windelausschlag war so schlimm, dass ich blutete. (Im Nachhinein ist es offensichtlich, dass ich an extremer Laktoseintoleranz litt - leicht in den Griff zu bekommen, hätte mich eine Mutter gestillt, die bereit gewesen wäre, selbst auf Kuhmilch zu verzichten. Ja, auch das macht mich ein bisschen wütend.)
Diese Tatsachen allein würden genügen, um meinen cholerischen Charakter zu erklären, doch bald wich auch noch der farblose Neugeborenenflaum auf meinem Kopf leuchtend rotem Haar. Kein Kastanienbraun oder Tizianrot, auch nicht einfach nur ein »leichter Rotstich«, sondern knallrot. Eine Haarfarbe, die von wohlmeinenden Menschen auch als »immerhin nicht Karotte« bezeichnet wird und bei der man immer wieder hört: »Na ja, bei einem Mädchen geht es ja« (wobei das gern in Gegenwart meines ähnlich flammend rothaarigen Sohnes gesagt wird). Rote Haare sind - wie große Brüste und straffe Zöpfe - Dinge, die Leute sich künstlich machen lassen, aber ablehnen, wenn sie natürlich auftreten. Man denke nur an die Millionen, die für Henna und sonstige Haarfärbemittel ausgegeben werden - hat man die Farbe jedoch in echt, bekommt man nur zu hören: »Na, wenigstens nicht Karotte.« Und wenn das rothaarige Kind den ersten Tobsuchtsanfall bekommt, den alle über Einjährigen ab und zu mal haben, sagt jeder »Oh, was für ein kleiner Hitzkopf« statt »Sieh mal, der Standard-Tobsuchtsanfall eines Kleinkinds«. Bis heute kann ich nicht die geringste Verstimmung zeigen, ohne dass jemand meine Haare erwähnt. Ich bin ein »quirliger Rotschopf«, wenn man mich mag, und ein »motziger Feuermelder«, wenn nicht.
Sie sehen, es ist wirklich nicht meine Schuld, dass ich so stinkesauer bin. Ich wurde so geboren.
Ich bin fünfunddreißig, wenn auch nicht mehr lange. Fünfunddreißig: das Alter, in dem die Fruchtbarkeit eine Klippe hinunterstürzt, ein Ereignis, das lange Schatten in die Zukunftsplanung jeder Frau Anfang dreißig wirft. Es ist das Alter, in dem wir Frauen dem Thema ausweichen und geheime Pläne schmieden müssen. Fünfunddreißig, die Mitte der Dreißiger, des Jahrzehnts, in dem man sowohl Kinder produzieren als auch seine Karriere vorantreiben muss. Das entscheidende Jahrzehnt, in dem Anwälte Kanzleien gründen, aus Journalisten Herausgeber werden, aus Ärzten Fachärzte und aus Lehrern Schulleiter oder zumindest stellvertretende Schulleiter. Nur eine kleine Dekade, zehn kurze Jahre wie alle anderen. Was für ein Pech, dass diese wichtigen biologischen und beruflichen Aufgaben genau zeitgleich erfüllt sein wollen, was für Frauen schlicht nicht machbar ist. Die gläserne Decke wird so zur Panzerglasscheibe.
Die Dreißiger sind auch die Zeit im Leben, in der am meisten Frauen unter mysteriösen Umständen sterben.
Sylvia Plath, Prinzessin Diana, Marilyn Monroe, Paula Yates, Jill Dando, Anna Nicole Smith. Ein Wunder, dass überhaupt jemand von uns mit dem Leben davonkommt.
Eigentlich war, glaube ich, an Sylvia Plaths Tod überhaupt nichts Geheimnisvolles: Sie wollte sich gar nicht umbringen, sondern hat nur einen Blick in den Ofen geworfen, ob er mal sauber gemacht werden müsste. Der war dann so voller Fettspritzer von den Würstchen, die Ted Hughes sich gebraten hat, bevor er sie wegen einer anderen verließ, dass sie sich entschloss, den Ofen anzustellen und ihren Kopf gleich drinzulassen.
Ich würde mich nie umbringen. Höchstens Joel. Die Liste ist mein Versuch, meine Kinder vor einem Leben ohne Vater und mit einer Mutter, die wegen Mordes an ihm im Knast sitzt, zu bewahren.
Wenigstens ist Weihnachten nun überstanden. Ich habe keine Ahnung, warum es früher geheißen hat, der Erste Weltkrieg sei bestimmt an Weihnachten vorbei, wo doch keine andere Jahreszeit mehr Streit und Hass entfacht. Ein Dutzend Explosionen und Gefechte täglich, das waren die Festtage: weil ich die ganzen Geschenke für deine zahlreichen Patenkinder kaufen muss, weil du Weihnachtskarten für »Blödsinn« hältst, so dass ich sie alle schreiben und auch Rufus mit denen für all seine Klassenkameraden helfen muss. Und dann noch deine Mutter, die mir auf ihrem breiten Hintern sitzend sagt, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass sie ihren Sohn zu einem zupackenden Vater und sagenhaften Koch erzogen hat. »Ja«, fauche ich, »er ist großartig, ich habe wirklich unheimliches Glück mit ihm.«
Keinen Truthahn könnte man so vollstopfen wie unser Haus: mit zerknülltem Geschenkpapier und Spielzeug, das aus winzig kleinen Einzelteilen besteht. Jedes Mal, wenn wieder ein Geschenk aufgerissen wurde, also ungefähr alle drei Sekunden, zuckte ich vor der Herausforderung zusammen, einen Platz für das riesige Plastikmonster zu finden, oder erschauderte angesichts der kleinen, leicht zu verlierenden Teile, die beim Auspacken überall verstreut wurden. Ich versuchte mich darüber zu freuen, dass meine Kinder vor Vergnügen quietschten, aber ich empfand nur Grauen. Jedes Mal, wenn wir mit einem der neuen Spiele spielten, fuhr ich dazwischen: »Verlier diese Spielmarke nicht, Süßer, ohne funktioniert es nicht«, »Nein, du kannst kein Hotel haben, zuerst musst du drei Häuser verkaufen«, »Gabe, ich bringe dich nicht ins Krankenhaus, wenn du daran erstickst.«
Noch drei Wochen bis zu meinem Geburtstag am letzten Januartag. Sehen Sie, was ich meinte, als ich sagte, über mein Leben könne man nicht anders als jammern? Stellen Sie sich vor, Sie hätten genau zu der Zeit Geburtstag, wenn die allgemeine Laune am Tiefpunkt angelangt ist und die Hälfte der Gäste bei Ihrer sogenannten Geburtstagsfeier keinen Alkohol trinkt oder gerade entgiftet.
Zum Geburtstag wünsche ich mir ein Zahn-Bleaching, eine Woche, ohne fremde Hintern abzuwischen, im wörtlichen und im übertragenen Sinne, und ein Interiors-Abo. Bekommen werde ich eine selbstgebastelte Karte, ein Croissant im Bett sowie einen »nicht mit Gold aufzuwiegenden Kuss«. Meine ersten Worte mit sechsunddreißig werden sein: »Krümel das Bett nicht voll.«
In diesen drei Wochen werde ich auf alles achten, was mich an Joel nervt, und es aufschreiben. Dann werde ich eine entsprechende Tabelle einrichten. Nach meinem Geburtstag, von Februar an, beginnt dann die sechsmonatige Testphase, in der ich sein tatsächliches Verhalten mit dem Soll abgleiche, das dem Dokument ebenfalls zu entnehmen ist. Das System wird streng sein und überprüfbar, falls ich es Joel jemals zeigen muss. Möglicherweise verlangt er Beweise. Es sollte so perfekt sein, wie unser Zuhause und unsere Ehe es nicht sind. Und absolut fair, auch wenn das Leben bekanntlich alles andere als fair ist.
Los geht's.
Mein Traum von einem perfekten Samstag: Die Jungs sind solche Langschläfer, dass ich sie um neun wecken muss. Sie schlingen ihren Quinoa-Brei herunter und beschäftigen sich dann mit pädagogisch wertvollen, aber sauberen Kreativspielen. Ein schattenhafter guter Geist steht mit Feuchttüchern für die Hände im Hintergrund bereit und macht sauber. Das ermöglicht mir, mich voll und ganz auf Rufus und Gabe einzulassen, die all meine Vorschläge mit einem Jauchzen begrüßen und nicht sauer werden, wenn ich ihre abstrakten Schmierereien »mehr nach etwas aussehen lasse«. Wir treffen unsere gutaussehenden Freunde mit ihrem gutaussehenden Nachwuchs zu einem fröhlichen Brunch, und danach kümmert sich die entzückende, liebevolle Nanny und Haushälterin um unsere Kinder - aber nur so lange, dass ich meine Freiheit von ihnen genießen kann, sie jedoch nicht zu sehr vermisse. Dann folgt vielleicht eine kleine Shoppingtour, bei der ich mir ein Outfit für die Party am Abend zulege. Ein kurzer Ausflug ins Kino. Danach zum Friseur, um die Haare stylen zu lassen. Eine Stunde zum Fertigmachen - mit Feuchtigkeitscreme, Grundierung, Highlighter und Rouge, drei verschiedenen Lidschatten, Lipliner, Lippenstift und Lipgloss. Die Party - klirrendes Gelächter, Champagner, Cocktails, angeheitert, nicht betrunken. Um Mitternacht wieder zu Hause in dem sicheren Wissen, dass meine reizenden Jungs am Sonntag erst spät aufwachen werden, wenn wir vier zusammen in unserem großen, eigens für uns entworfenen Bett liegen. Nach dem Aufwachen veranstalten wir eine ausgelassene Kissenschlacht mit Kissen, die in Hüllen aus ägyptischer Baumwolle, Fadenzahl 1000, stecken.
Willkommen an einem realen Samstag:
Nachdem wir unser übliches Bettentausch-Spiel gespielt haben, schläft Joel auf dem Boden im Zimmer der Jungs, während Gabe seinen Platz im Ehebett eingenommen hat. Sein winziger Zweijährigen-Körper ist so geschickt ausgebreitet, dass mindestens zwei meiner Gliedmaßen über die Bettkante hängen. Ich sehe auf die Uhr. Oh, schon nach sechs, wenn auch noch nicht lange. Die Straßenlaternen scheinen durch den Spalt zwischen den Vorhängen und zeigen mir mehr von meiner Umgebung, als mir lieb ist.
Unser Schlafzimmer sieht aus wie ein Gap-Laden nach einem Terrorangriff.
...
Übersetzung: Johanna Sophia Wais
Copyright ® der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ein einsames Puzzleteil liegt in der Wohnzimmerecke und fordert mich heraus, es zu ignorieren. Wir tragen einen geistigen Stellungskrieg aus. Ich versuche, es niederzustarren, aber natürlich gewinnt dieses verdammte Eckstück aus dem 32-teiligen Puzzle mit dem Motiv »Hund, der ein Flugzeug steuert«.
»Was machst du da?«, fragt Joel, der gerade eine CD aus unserem neuesten DVD-Box-Set einlegt, einer coolen US-amerikanischen Serie mit völlig unverständlichen Dialogen.
Ich durchwühle die Regale, um das Puzzle zu dem Puzzleteil zu finden. »Ich kann nicht fernsehen, solange ich weiß, dass hier irgendwo noch ein verirrtes Puzzleteil ist. Überleg doch mal, wie ärgerlich es wäre, wenn wir das nächste Mal das Puzzle machen, und am Ende fehlt das letzte Stück.«
»Mach dich locker, Mary.«
»Mach dich locker? Wie alt bist du eigentlich? Zwölf? Fährst du jetzt vielleicht auch noch auf Vampire ab, was?«
Er lacht und beschäftigt sich weiter mit der Auswahl einer Folge.
Die Welt teilt sich in Menschen, die fernsehen können, obwohl sie wissen, dass irgendwo ein einsames Puzzleteil auf dem Boden herumliegt, und in die, die das nicht können. Als ich unter dem Sofa nachsehe, ob ich da noch Kollegen von ihm finde, entdecke ich stattdessen etwas anderes: eine Tasse. Ein Blick in ihr Inneres verrät mir, dass sie dort schon seit Wochen liegt. Nun hat die Flut sie endlich nach oben gespült. In der Tasse war wohl mal Kaffee, aber so genau kann man das nicht mehr sagen, da nun schaumiger Schimmel ihre Innenwände hochkriecht wie leicht grünstichiger Cappuccinoschaum. Ich trinke nur teure Soja-Lattes, also stammt das hier von meinem Mann.
»Guck dir das an«, sage ich und halte es ihm unter die Nase.
Er weicht nicht zurück, sondern betrachtet es neugierig. »Sieht aus wie dieses Schaumzeugs, das in schicken Restaurants serviert wird. Findest du nicht auch? Handgeschichtetes Wachtel-Confit an Schaum von Schneckenextrakt oder so.« Er geht näher ran. »Wir sollten es Rufus zeigen. Ihn interessiert sicher, wie sich Schimmelsporen bilden.«
»Bringst du das bitte in die Küche?«
»Woher willst du wissen, dass es von mir ist?«
»Weil das der Becher ist, den du immer benutzt. Er ist nämlich fantastischerweise so groß, dass du jedes Mal ein bisschen was drinlassen kannst, damit jemand was zum Verschütten hat.« Er zuckt nur mit den Schultern und drückt auf Plab. »Und was ist jetzt?« Eins, zwei, drei, zähle ich langsam, wie ich es in einem Artikel über Wutmanagement gelernt habe.
»Später.«
»Wann später?«
Er stellt den Ton lauter, ich seufze schwer und funkele ihn an. Ich knicke zuerst ein, wie immer, und bringe den Becher in die Küche, kippe den Inhalt in die Spüle und quetsche die Schimmelstückchen mit den Fingern durch das Abflusssieb. Der Becher meines Mannes quillt über vor Pilzen, und ich platze fast vor Zorn.
»Joel«, rufe ich, als ich ohne den Becher und ohne jede Hoffnung, meinen Ärger jetzt noch herunterschlucken zu können, zurückkehre. »Ich habe es satt, in diesem Siff zu leben.« Keine Reaktion. »Wenn du einfach mal was wegräumen würdest ...«
Er befindet sich mittlerweile im selben Trancezustand wie unsere Söhne, wenn sie vor dem Fernseher sitzen. Ich rechne beinahe damit, dass er bis auf fünfzehn Zentimeter mit der Nasenspitze an den Bildschirm heranrückt. Noch ein Versuch. Diesmal stampfe ich auf wie Rumpelstilzchen. »Du rührst nie auch nur einen Finger, du bist schlimmer als ein kleines Kind. Wie leicht wäre mein Leben, wenn ich nur mit zwei Jungs zurechtkommen müsste! Du, du ...«, stottere ich auf der Suche nach dem besten Beispiel, um ihm seine völlige Blindheit gegenüber den Unmengen Müll, die ich für ihn wegräume, vorzuführen. »Du siehst überhaupt nicht, was ich alles mache. Und wie wenig du tust.«
»Zum Beispiel?«, fragt er schließlich.
»Keine Ahnung, ich führe darüber keine Liste«, sage ich. »Solltest du vielleicht.«
»Mach ich vielleicht auch bald.«
Eine Liste, denke ich am darauffolgenden Tag, ja, vielleicht sollte ich eine Liste führen. Mit allem, was er zu Hause tut beziehungsweise nicht tut. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich muss ihm klarmachen, dass es so nicht weitergeht. Aber was würde ich dann mit dieser Liste anfangen? Brocke ich mir damit nur noch mehr Arbeit ein, während er weiter Däumchen dreht?
Ich werde von Gabe abgelenkt, der sich mit dem Blick eines Mathematikers, der über die größte Primzahl der Welt nachdenkt, in eine Ecke der Küche zurückgezogen hat.
»Gabe, was machst du da? Warte, nicht, stopp, stopp, stopp, ich hol schnell das Töpfchen. Hier.« Gerade noch rechtzeitig zu dem wichtigsten Ereignis des Tages reiße ich ihm die Hose herunter und platziere ihn mit dem Hintern auf das Töpfchen. »Sehr gut«, rufe ich strahlend, dabei ist es in Wahrheit eher mein Triumph als seiner. »So ein kluger Junge.« Ich drücke ihn, blöderweise, ich hätte ihn lieber vorher gründlich abwischen sollen. »Und kluge Jungen bekommen Aufkleber.«
Ich gehe zu der Tabelle an der Kühlschranktür, die der Welt alle erfolgreichen »Geschäfte« meines Jüngsten mitteilt. Es sind nicht besonders viele. »Da, Fußball oder Dinosaurier?«
Wir hatten hier vier Monate lang mehr Kacke als eine Schweinefarm, aber es scheint langsam besser zu werden. Ich war immer skeptisch in Bezug auf Sternchentabellen, aber die neu eingeführte scheint zu fruchten. Er bekommt für jede erfolgreiche Sitzung auf dem Töpfchen einen Sticker oder ein Sternchen, außerdem für jeden unkomplizierten Aufbruch von zu Hause, wenn wir Rufus zur Schule bringen, und für jedes pünktliche Zubettgehen. Es gibt keine schwarzen Punkte für Fehlverhalten - nicht, weil Gabe ein vollkommener Unschuldsengel wäre, keineswegs, sondern weil wir so feige Eltern sind, dass wir nicht mit unseren Kindern schimpfen können. (Und wenn wir ihnen mal das zähe Fleisch der Kritik vorsetzen, ertränken wir es vorher im Ketchup der Kosenamen: »Ich glaube nicht, dass jeder im Restaurant hören möchte, wie du Furzgeräusche machst, Liebling«, »Süßer, die Mama mag es nicht, wenn du sie schlägst«.)
»Mein Super-Gabe, du bist auf dem besten Weg, dir das Thomas-die-kleine-Lokomotive-de-luxe-Zaubermalset zu verdienen.« Wenn Joel doch auch so leicht zu erziehen wäre.
Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Klar, das könnte ich mit der Liste tun: Ich könnte alles, was mich an ihm ärgert, aufschreiben. Sie wird das eheliche Äquivalent zu einer Sternchentabelle. Nur dass er kein Sternchen für alles bekommt, was er richtig macht, sondern einen schwarzen Punkt für alles, was er falsch macht.
Ich sollte eine Liste aufstellen mit all dem, was mich wütend macht, und eintragen, wie oft er welche Sünde begeht. Jedes zusammengeknüllte und liegen gelassene Taschentuch wird dort eingetragen, jede leere Milchtüte im Kühlschrank, jeder ignorierte Wäschestapel, jedes Mal, wenn ich mit der Hand in die Spüle greifen muss, um die ekligen, vergammelten Brocken herauszufischen, die er scheinbar nie bemerkt. In der Tabelle wird jedes seiner Vergehen der nächsten, sagen wir, sechs Monate festgehalten.
Ich war schon seit Jahren nicht mehr so aufgeregt. Es erinnert mich daran, wie ich mich fühlte, wenn ich bei der Arbeit ein neues Format entwickelte. Das ist brillant, wurde mir plötzlich klar. Ich bin brillant.
Meine Liste wird wunderschön und effizient sein, ein Kunstwerk, für das ich viel Lob bekäme, wenn ich sie wie Gabes Tabelle in der Küche zwischen Party-Einladungen, Schulterminen und Einkaufszetteln aufhängen würde. Aber das werde ich natürlich nicht tun. Joel ist kein Kleinkind mehr, das lernt, aufs Töpfchen zu gehen, sondern achtunddreißig, ein erwachsener Mann, der mehr als zwei Wochen Zeit hat, sich zu bewähren. Und nein, er bekommt auch kein Thomas-die-Lokomotive-Spielzeug.
Wenn meine Liste am Ende beweist, dass er eine Bereicherung für unser Zuhause ist, kann er bleiben. Wenn nicht, dann hat er eben Pech gehabt. Dann müssen wir unsere Ehe noch mal komplett überdenken.
Also, Joel, im Grunde ist es ganz einfach: Alles, was du tun musst, ist, mich nicht wütend zu machen.
Das Problem dabei ist nur - eigentlich bin ich fast immer wütend. Ich bin so dauergereizt, dass ich das Gefühl habe, mein Leben ist eine Geschichte in GROSSBUCHSTABEN.
Ich weiß, ich sollte nicht dauernd genervt sein. Ich sollte in der Lage sein, meine Gefühle zu »managen«, so wie ich Leute oder Etats bei der Arbeit manage. Zorn ist nicht mehr modern oder gar gerecht, wir stürmen keine Barrikaden mehr und sind stolz darauf. Zorn ist schlicht »out«.
Dabei bin ich nicht immer sofort auf hundertachtzig, meine Launen sind fein abgestuft. Sie reichen von leichter Gereiztheit bis hin zur Weißglut, aber Wut ist das umfassende Gefühl, unter dessen Schirm sich diese Abstufungen drängen.
Folgende Dinge regen mich auf: dass manche Frauen angeblich »zu verwöhnt sind, um Wehen durchzustehen«. Ferner Sätze in Büchern wie: »Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel«, »Mein teurer Leser: Ich heiratete ihn«, »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit ...«; außerdem weibliche Babys mit nuttigen Namen wie Lola, Delilah, Jezebel, Lulu oder Scarlett sowie jede Verwendung des Wortes »Mutter« und seiner Spielarten (Single-Mom), außer wenn ein Kind »Mum« zu seiner Mutter sagt; und schließlich Berufsjugendliche und Frauen, die angeblich in Größe 34 passen.
Ich bin genervt, weil ich arbeite, und wäre noch genervter, wenn ich es nicht täte.
Am meisten genervt bin ich allerdings von dir, Joel. Und könnte ich die Essenz aus diesem Ärger destillieren, würde sie aus brackigem Spülwasser bestehen, in dem das Fett von Lammkoteletts treibt. So sieht sie aus, deine völlige Unfähigkeit, mir bei der Hausarbeit zu helfen. Kein bisschen rein, kein ätherisches Öl, eher ein schlieriger Ölteppich, der sich auf meinem Herd und in meinem Herzen ausbreitet.
An meiner Wut bin nicht ich schuld, sondern mein Schicksal. Meine Eltern haben mir immer erzählt, dass ich im Winter der Unzufriedenheit geboren wurde. Das glaubte ich natürlich, und sie vermutlich auch. Ich wuchs mit Geschichten auf, wie meine Eltern sich durch Straßen voller Müll und Gestank zu einem Krankenhaus durchkämpften, in dem der Strom ausgefallen war und die Hebammen streikten. Dann las ich, dass sich der Winter der Unzufriedenheit in Wahrheit erst einige Jahre später ereignet hatte und ich nur in einem ungewöhnlich kalten Winter geboren wurde, und dass es kein Müll war, sondern Schnee, der sich meterhoch auftürmte. Aber es hielt sich hartnäckig der Mythos, dass ich während eines nationalen Wutausbruchs, eines kollektiven Tobsuchtsanfalls, zur Welt kam. »Du bist wie ein Gewerkschaftsführer«, sagten meine Eltern oft zu mir. »Ständig am Jammern.« Jedes Mal, wenn ich sagte: »Das ist nicht fair«, blafften sie mich an: »So ist das Leben.«
Wie viel sonniger wäre mein Gemüt, wenn ich das Licht der Welt im Sommer der Liebe erblickt hätte, witzelte man in meiner Familie.
Zu allem Überfluss nannten mich meine Eltern auch noch Mary. Dabei war ich schon außergewöhnlich früh das Gegenteil einer Maria, sagt meine Mutter. Bereits in ihrem Bauch hätte ich heftig gegen jedes andere Essen als Weißbrot und Wasser gewütet und ihr während der neun Schwangerschaftsmonate eine schlimme Morgen-, Mittags- und Abendübelkeit beschert. Als ich dann auf der Welt war, weigerte ich mich, die günstigste Fläschchenmilch zu trinken. Ich wollte auch nicht auf dem Bauch liegen, wie es in jenen medizinisch unkorrekten Zeiten üblich war, und schrie so lange, bis ich auf den Rücken gedreht wurde. Ich runzelte die Stirn, bis Furchen mein Gesicht überzogen, lächeln konnte ich dagegen bis zum Alter von drei Monaten nicht. Ich kratzte mich so stark, dass ich immer festgezurrte Fäustlinge tragen musste. Mein kolikbedingtes Schreien war nicht auf den frühen Abend beschränkt, sondern dauerte den ganzen Tag und einen Großteil der Nacht. Mein Hintern leuchtete wohl ebenfalls in einem wütenden Rot - mein Windelausschlag war so schlimm, dass ich blutete. (Im Nachhinein ist es offensichtlich, dass ich an extremer Laktoseintoleranz litt - leicht in den Griff zu bekommen, hätte mich eine Mutter gestillt, die bereit gewesen wäre, selbst auf Kuhmilch zu verzichten. Ja, auch das macht mich ein bisschen wütend.)
Diese Tatsachen allein würden genügen, um meinen cholerischen Charakter zu erklären, doch bald wich auch noch der farblose Neugeborenenflaum auf meinem Kopf leuchtend rotem Haar. Kein Kastanienbraun oder Tizianrot, auch nicht einfach nur ein »leichter Rotstich«, sondern knallrot. Eine Haarfarbe, die von wohlmeinenden Menschen auch als »immerhin nicht Karotte« bezeichnet wird und bei der man immer wieder hört: »Na ja, bei einem Mädchen geht es ja« (wobei das gern in Gegenwart meines ähnlich flammend rothaarigen Sohnes gesagt wird). Rote Haare sind - wie große Brüste und straffe Zöpfe - Dinge, die Leute sich künstlich machen lassen, aber ablehnen, wenn sie natürlich auftreten. Man denke nur an die Millionen, die für Henna und sonstige Haarfärbemittel ausgegeben werden - hat man die Farbe jedoch in echt, bekommt man nur zu hören: »Na, wenigstens nicht Karotte.« Und wenn das rothaarige Kind den ersten Tobsuchtsanfall bekommt, den alle über Einjährigen ab und zu mal haben, sagt jeder »Oh, was für ein kleiner Hitzkopf« statt »Sieh mal, der Standard-Tobsuchtsanfall eines Kleinkinds«. Bis heute kann ich nicht die geringste Verstimmung zeigen, ohne dass jemand meine Haare erwähnt. Ich bin ein »quirliger Rotschopf«, wenn man mich mag, und ein »motziger Feuermelder«, wenn nicht.
Sie sehen, es ist wirklich nicht meine Schuld, dass ich so stinkesauer bin. Ich wurde so geboren.
Ich bin fünfunddreißig, wenn auch nicht mehr lange. Fünfunddreißig: das Alter, in dem die Fruchtbarkeit eine Klippe hinunterstürzt, ein Ereignis, das lange Schatten in die Zukunftsplanung jeder Frau Anfang dreißig wirft. Es ist das Alter, in dem wir Frauen dem Thema ausweichen und geheime Pläne schmieden müssen. Fünfunddreißig, die Mitte der Dreißiger, des Jahrzehnts, in dem man sowohl Kinder produzieren als auch seine Karriere vorantreiben muss. Das entscheidende Jahrzehnt, in dem Anwälte Kanzleien gründen, aus Journalisten Herausgeber werden, aus Ärzten Fachärzte und aus Lehrern Schulleiter oder zumindest stellvertretende Schulleiter. Nur eine kleine Dekade, zehn kurze Jahre wie alle anderen. Was für ein Pech, dass diese wichtigen biologischen und beruflichen Aufgaben genau zeitgleich erfüllt sein wollen, was für Frauen schlicht nicht machbar ist. Die gläserne Decke wird so zur Panzerglasscheibe.
Die Dreißiger sind auch die Zeit im Leben, in der am meisten Frauen unter mysteriösen Umständen sterben.
Sylvia Plath, Prinzessin Diana, Marilyn Monroe, Paula Yates, Jill Dando, Anna Nicole Smith. Ein Wunder, dass überhaupt jemand von uns mit dem Leben davonkommt.
Eigentlich war, glaube ich, an Sylvia Plaths Tod überhaupt nichts Geheimnisvolles: Sie wollte sich gar nicht umbringen, sondern hat nur einen Blick in den Ofen geworfen, ob er mal sauber gemacht werden müsste. Der war dann so voller Fettspritzer von den Würstchen, die Ted Hughes sich gebraten hat, bevor er sie wegen einer anderen verließ, dass sie sich entschloss, den Ofen anzustellen und ihren Kopf gleich drinzulassen.
Ich würde mich nie umbringen. Höchstens Joel. Die Liste ist mein Versuch, meine Kinder vor einem Leben ohne Vater und mit einer Mutter, die wegen Mordes an ihm im Knast sitzt, zu bewahren.
Wenigstens ist Weihnachten nun überstanden. Ich habe keine Ahnung, warum es früher geheißen hat, der Erste Weltkrieg sei bestimmt an Weihnachten vorbei, wo doch keine andere Jahreszeit mehr Streit und Hass entfacht. Ein Dutzend Explosionen und Gefechte täglich, das waren die Festtage: weil ich die ganzen Geschenke für deine zahlreichen Patenkinder kaufen muss, weil du Weihnachtskarten für »Blödsinn« hältst, so dass ich sie alle schreiben und auch Rufus mit denen für all seine Klassenkameraden helfen muss. Und dann noch deine Mutter, die mir auf ihrem breiten Hintern sitzend sagt, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass sie ihren Sohn zu einem zupackenden Vater und sagenhaften Koch erzogen hat. »Ja«, fauche ich, »er ist großartig, ich habe wirklich unheimliches Glück mit ihm.«
Keinen Truthahn könnte man so vollstopfen wie unser Haus: mit zerknülltem Geschenkpapier und Spielzeug, das aus winzig kleinen Einzelteilen besteht. Jedes Mal, wenn wieder ein Geschenk aufgerissen wurde, also ungefähr alle drei Sekunden, zuckte ich vor der Herausforderung zusammen, einen Platz für das riesige Plastikmonster zu finden, oder erschauderte angesichts der kleinen, leicht zu verlierenden Teile, die beim Auspacken überall verstreut wurden. Ich versuchte mich darüber zu freuen, dass meine Kinder vor Vergnügen quietschten, aber ich empfand nur Grauen. Jedes Mal, wenn wir mit einem der neuen Spiele spielten, fuhr ich dazwischen: »Verlier diese Spielmarke nicht, Süßer, ohne funktioniert es nicht«, »Nein, du kannst kein Hotel haben, zuerst musst du drei Häuser verkaufen«, »Gabe, ich bringe dich nicht ins Krankenhaus, wenn du daran erstickst.«
Noch drei Wochen bis zu meinem Geburtstag am letzten Januartag. Sehen Sie, was ich meinte, als ich sagte, über mein Leben könne man nicht anders als jammern? Stellen Sie sich vor, Sie hätten genau zu der Zeit Geburtstag, wenn die allgemeine Laune am Tiefpunkt angelangt ist und die Hälfte der Gäste bei Ihrer sogenannten Geburtstagsfeier keinen Alkohol trinkt oder gerade entgiftet.
Zum Geburtstag wünsche ich mir ein Zahn-Bleaching, eine Woche, ohne fremde Hintern abzuwischen, im wörtlichen und im übertragenen Sinne, und ein Interiors-Abo. Bekommen werde ich eine selbstgebastelte Karte, ein Croissant im Bett sowie einen »nicht mit Gold aufzuwiegenden Kuss«. Meine ersten Worte mit sechsunddreißig werden sein: »Krümel das Bett nicht voll.«
In diesen drei Wochen werde ich auf alles achten, was mich an Joel nervt, und es aufschreiben. Dann werde ich eine entsprechende Tabelle einrichten. Nach meinem Geburtstag, von Februar an, beginnt dann die sechsmonatige Testphase, in der ich sein tatsächliches Verhalten mit dem Soll abgleiche, das dem Dokument ebenfalls zu entnehmen ist. Das System wird streng sein und überprüfbar, falls ich es Joel jemals zeigen muss. Möglicherweise verlangt er Beweise. Es sollte so perfekt sein, wie unser Zuhause und unsere Ehe es nicht sind. Und absolut fair, auch wenn das Leben bekanntlich alles andere als fair ist.
Los geht's.
Mein Traum von einem perfekten Samstag: Die Jungs sind solche Langschläfer, dass ich sie um neun wecken muss. Sie schlingen ihren Quinoa-Brei herunter und beschäftigen sich dann mit pädagogisch wertvollen, aber sauberen Kreativspielen. Ein schattenhafter guter Geist steht mit Feuchttüchern für die Hände im Hintergrund bereit und macht sauber. Das ermöglicht mir, mich voll und ganz auf Rufus und Gabe einzulassen, die all meine Vorschläge mit einem Jauchzen begrüßen und nicht sauer werden, wenn ich ihre abstrakten Schmierereien »mehr nach etwas aussehen lasse«. Wir treffen unsere gutaussehenden Freunde mit ihrem gutaussehenden Nachwuchs zu einem fröhlichen Brunch, und danach kümmert sich die entzückende, liebevolle Nanny und Haushälterin um unsere Kinder - aber nur so lange, dass ich meine Freiheit von ihnen genießen kann, sie jedoch nicht zu sehr vermisse. Dann folgt vielleicht eine kleine Shoppingtour, bei der ich mir ein Outfit für die Party am Abend zulege. Ein kurzer Ausflug ins Kino. Danach zum Friseur, um die Haare stylen zu lassen. Eine Stunde zum Fertigmachen - mit Feuchtigkeitscreme, Grundierung, Highlighter und Rouge, drei verschiedenen Lidschatten, Lipliner, Lippenstift und Lipgloss. Die Party - klirrendes Gelächter, Champagner, Cocktails, angeheitert, nicht betrunken. Um Mitternacht wieder zu Hause in dem sicheren Wissen, dass meine reizenden Jungs am Sonntag erst spät aufwachen werden, wenn wir vier zusammen in unserem großen, eigens für uns entworfenen Bett liegen. Nach dem Aufwachen veranstalten wir eine ausgelassene Kissenschlacht mit Kissen, die in Hüllen aus ägyptischer Baumwolle, Fadenzahl 1000, stecken.
Willkommen an einem realen Samstag:
Nachdem wir unser übliches Bettentausch-Spiel gespielt haben, schläft Joel auf dem Boden im Zimmer der Jungs, während Gabe seinen Platz im Ehebett eingenommen hat. Sein winziger Zweijährigen-Körper ist so geschickt ausgebreitet, dass mindestens zwei meiner Gliedmaßen über die Bettkante hängen. Ich sehe auf die Uhr. Oh, schon nach sechs, wenn auch noch nicht lange. Die Straßenlaternen scheinen durch den Spalt zwischen den Vorhängen und zeigen mir mehr von meiner Umgebung, als mir lieb ist.
Unser Schlafzimmer sieht aus wie ein Gap-Laden nach einem Terrorangriff.
...
Übersetzung: Johanna Sophia Wais
Copyright ® der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Christina Hopkinson
Christina Hopkinson ist Autorin und Journalistin, die unter anderem für Zeitungen und Magazine wie Daily Telegraph, Guardian, Times, Grazia und Red gearbeitet hat. Sie lebt in London mit ihrem Mann und ihren drei Kindern.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christina Hopkinson
- 2012, 411 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Wais, Johanna S.
- Übersetzer: Johanna Wais
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442476186
- ISBN-13: 9783442476183
Rezension zu „Im Zweifel für den Angetrauten “
"Christina Hopkinson schafft Spaß mit Tiefgang und lässt so (Frauen-)Herzen höherschlagen."
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