Jägerin der Dämmerung
Über das Reich der Karpatianer - eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die einen nicht mehr loslässt.
Ivory, Jägerin der Dämmerung, verfolgt die karpatianischen Vampire gnadenlos. Eines Tages...
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Produktinformationen zu „Jägerin der Dämmerung “
Über das Reich der Karpatianer - eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die einen nicht mehr loslässt.
Ivory, Jägerin der Dämmerung, verfolgt die karpatianischen Vampire gnadenlos. Eines Tages findet sie auf dem Weg nach Hause den schwerverletzten Razvan. Er berichtet ihr, dass er für seinen Großvater, den dunklen Magier Xavier, finstere Pläne ausführen muss. Die beiden werden Gefährten, doch sie können ihre Liebe nicht leben. Denn sie haben schwierige Aufgaben zu bewältigen: Sie machen sich gemeinsam daran, die Mächte der Dunkelheit zu besiegen, das Böse zu bekämpfen und der Welt der Karpatianer neue Hoffnung zu bringen.
Lese-Probe zu „Jägerin der Dämmerung “
Jägerin der Dämmerung von Christine Feehan1
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Dichter Nebel verhüllte die Berge und kroch in die Tiefen des Waldes, wo er ein weißes Band zwischen den verschneiten Bäumen spannte. Die weiße Pracht begrub sämtliches Leben im Wald und am Bachufer unter sich und überzog alles mit einer dicken Schicht aus Eiskristallen. Auf Lichtungen und Feldern standen Sträucher, plötzlich erstarrt, wie bizarre Statuen. Der Schnee tauchte die Welt in blau schimmerndes Weiß. Der mit Eiszapfen überzogene Wald und die zu bizarren Formen erstarrte Oberfläche des Baches wirkten, als wären sie nicht von dieser Welt.
Die Nacht war sternenklar und bitterkalt. Das silbrige Licht des Vollmondes ergoss sich über den gefrorenen Boden. Vollkommen lautlos huschten sechs Schatten, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, zwischen den Bäumen hindurch. Selbst ein versierter Fährtenleser hätte anhand der handtellergroßen Abdrücke vermutet, dass lediglich ein einziges Tier hier unterwegs gewesen war.
Obwohl die Wölfe aussahen, als erfreuten sie sich bester Gesundheit, mit stählernen Muskeln, die sich unter den dichten Pelzen abzeichneten, litten die Tiere Hunger und brauchten unbedingt frische Nahrung, um den harten und langen Winter zu überleben. Als das Alphatier unvermittelt stehen blieb und die Nase in den Wind hielt, tat der Rest des Rudels es ihm gleich. Vorsichtig und mit langsamen Bewegungen kroch das Leittier gegen die Witterung vorwärts, während die anderen sich niederlegten, um abzuwarten.
Mitten auf dem Weg, nur wenige Meter von ihm entfernt, lag ein großes, frisches und verführerisch duftendes Stück rohen Fleisches. Wachsam umkreiste er es, wobei er seine Nase benutzte, um eine potentielle Gefahr zu entdecken. Der Speichel lief dem Wolf im Maul zusammen, und sein Magen knurrte. Nichts als das Stück Fleisch witternd, näherte er sich erneut gegen den Wind und angelte vorsichtig nach dem großen, Leben rettenden Stück Fleisch. Dreimal robbte er vor und zurück, aber er konnte keine versteckten Gefahren entdecken. Als er sich ein viertes Mal näherte, schlang sich plötzlich etwas um seinen Nacken.
Panisch machte das Alphatier einen Satz nach hinten, wodurch sich die Schlinge aus Draht immer fester um seinen Hals zog. Je mehr er sich bewegte, desto tiefer schnitt ihm die Falle ins Fell, schnürte ihm die Kehle zu und schnitt sich in seine Haut hinein. Das Rudel begann, ihn zu umkreisen. Als sein Weibchen ihm zu Hilfe kam, legte sich wie aus dem Nichts eine zweite Schlinge um deren Hals, wodurch es fast von den Beinen gerissen wurde.
Einen Augenblick lang breitete sich tiefes Schweigen aus, das lediglich von dem Japsen der beiden gefangenen Wölfe unterbrochen wurde. In unmittelbarer Nähe knackte ein Zweig. Das Rudel stob auseinander, und flirrende Schatten flohen in den Schutz der Bäume. Aus einem Gebüsch betrat eine Frau die kleine Lichtung. Sie trug schwarze Winterstiefel und eine schwarze Hose, die ihr tief auf der Hüfte saß. Besonders auffallend war jedoch die bauchfreie schwarze Weste, die mit drei verschnörkelten glänzenden Silberschnallen geschlossen wurde, in die unzählige winzige Kreuze eingearbeitet waren.
Das dichte schwarzblaue Haar, das ihr bis zur Taille reichte, trug sie zu einem dicken Zopf geflochten. Der lange Kapuzenmantel, der ihr bis zu den Knöcheln ging, sah aus, als sei er aus einem einzigen silbrigen Wolfspelz gefertigt worden. Das Schwert, das an ihrer Hüfte baumelte, war nicht ihre einzige Waffe. In einer Hand hielt sie eine Armbrust, in der anderen blitzte ein scharfer Dolch auf. In einem Köcher, den sie über ihrer Schulter trug, steckten Pfeile, und innen im Wolfspelz¬mantel hingen in Schlingen weitere scharf geschliffene Waffen. In einem tief getragenen Holster steckten eine Pistole und eine Reihe kleine rasiermesserscharfe Pfeilspitzen.
Einen Moment lang hielt sie inne, sondierte die Lage. »Rührt euch nicht!«, zischte sie. In ihre leise Stimme mischten sich Ver¬ärgerung und Autorität.
Die beiden gefangenen Wölfe taten, wie ihnen geheißen, und warteten ab, am ganzen Leib zitternd und mit bebenden Flan¬ken und hängenden Köpfen, um den unsäglichen Druck des festgezurrten Drahtseils so gut es ging zu mindern. Anmutig glitt die Frau über den eisverkrusteten Schnee, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Sichtlich angewidert musterte sie die zahlreichen Drahtfallen.
»Das ist nicht das erste Mal, dass sie das machen«, schimpfte sie. »Habe ich euch die Fallen nicht gezeigt? Aber ihr wart wieder einmal zu gierig, habt euch von der Aussicht auf eine schnelle Mahlzeit blenden lassen. Um euch eine Lektion zu erteilen, müsste ich euch eigentlich dem qualvollen Tod überlas¬sen, den diese Fallen mit sich bringen.« Die Wölfe wie kleine Kinder ausschimpfend, holte sie eine Drahtschere aus ihrem Wolfspelzmantel. Mit wenigen gekonnten Handgriffen befreite sie die beiden Wölfe. Noch während sie ihre Finger in den dich¬ten Pelzen vergrub und die tiefen Wunden abtastete, stimmte sie einen melodischen Heilgesang an. Das gleißend helle Licht, das ihre Hände dabei abstrahlten, flirrte umher und schien durch das Fell der Tiere hindurch.
»Dies dürfte euren Schmerz ein wenig lindern«, sagte sie ver¬söhnlich und kraulte den beiden ausgiebig die Ohren.
Plötzlich stieß das Alphatier einen warnenden Laut aus, und sein Weibchen fletschte die Zähne. Ein Lächeln legte sich auf die Lippen der Frau. »Ich weiß, ich kann ihn riechen. Es ist ja beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, einen Vampir, der seinen fauligen Gestank verbreitet, nicht zu bemerken.«
Sie drehte ihren Kopf und schaute über ihre Schulter auf einen hochgewachsenen, starken Mann, der aus dem knorrigen Stamm einer immergrünen Tanne heraustrat. Der Stamm klaffte weit auseinander und brach beinahe in zwei verkohlte Teile. Nachdem der Baum die abscheuliche Kreatur ausgestoßen hatte, vertrock¬neten die Nadeln an den Zweigen, und als die Äste sich schüttel¬ten, um den Kontakt zu der verdorbenen Kreatur zu unterbre¬chen, regneten Eiszapfen herab wie kleine Speere.
Nachdem sich die Frau mit anmutigen Bewegungen erhoben hatte, wandte sie sich ihrem Feind zu und befahl den Wölfen mit einem verstohlenen Zeichen, sich in den Wald zurückzuziehen. »Wie ich sehe, bist du neuerdings dazu übergegangen, Fallen aufzustellen, um an Nahrung zu gelangen, Cristofor. Bist du so langsam und schlecht geworden, dass es dir nicht einmal mehr gelingt, einen Menschen anzulocken, an dem du deinen Hunger stillen kannst?«
»Jägerin!« Die Stimme des Vampirs klang rostig, so als wür¬den seine Stimmbänder nur selten gebraucht. »Ich wusste, dass du kommen würdest, wenn ich dein Rudel zu mir locke.«
Ihre Augenbraue schoss in die Höhe. »Welch nette Einla¬dung, Cristofor. Ich kann mich noch gut an dich erinnern, an damals, als du ein Jüngling und nett anzusehen warst. Um der alten Zeiten willen habe ich dich in Ruhe gelassen, doch wie es aussieht, sehnst du dich nach der Erlösung durch den Tod. Nun, alter Freund, so soll es denn sein.«
»Es heißt, du könntest nicht getötet werden«, fauchte Cristofor. »Eine Legende, an die alle Vampire glauben. Unsere Anfüh¬rer haben befohlen, dich in Ruhe zu lassen.«
»Eure Anführer? Bist ihnen doch beigetreten und hast dich mit ihnen gegen den Prinz und sein Gefolge verbündet? Weshalb suchst du dann den Tod, wo ihr doch das Ziel verfolgt, jedes Land oder die ganze Welt zu beherrschen?« Sie gluckste. »Das ist ein törichter Wunsch und bringt eine Menge Arbeit mit sich. In der guten alten Zeit war das Leben doch einfacher. Es waren glückliche Tage. Kannst du dich denn nicht mehr daran erinnern?«
Cristofor musterte das makellos schöne Gesicht der Frau. »Es hieß, du wärst ein Flickenwerk, ein Stück Haut an das andere genäht. Und dennoch wirkt dein Gesicht, dein gesamter Körper wie früher auf mich.«
Sie zuckte mit den Achseln und verwies die Bilder aus den dunklen Jahren, die vor ihrem geistigen Auge aufzogen und sie an das erlittene Leid und die Höllenqualen erinnern wollten, zurück an ihren Platz. Damals hatte sich ihr fleischloser Körper geweigert, den Tod zu akzeptieren, tief in der Erde begraben, frei zugänglich für die krabbelnden Insekten, die sich scharenweise im Dreck tummelten. Sie wahrte einen heiteren Gesichtsausdruck und lächelte, während sie innerlich bereit war, von jetzt auf gleich den Kampf aufzunehmen.
»Weshalb verbündest du dich nicht mit uns? Wenn einer einen Grund hat, den Prinzen zu hassen, dann bist du es.«
»Ich soll mich mit denen zusammentun, die mich verraten und verstümmelt haben? Kommt gar nicht in Frage. Ich führe nur dann Krieg, wenn er nicht zu vermeiden ist.« So als könnte sie nichts aus der Ruhe bringen, streckte sie die Finger, die in dünnen Handschuhen steckten. »Du hättest besser daran getan, meine Wölfe in Ruhe zu lassen, Cristofor. Du lässt mir keine andere Wahl.«
»Ich will hinter dein Geheimnis kommen. Wenn du es mir verrätst, verspreche ich, dich am Leben zu lassen.«
Ivory rang sich ein Lächeln ab, das ihre geraden und schneeweißen Zähne zeigte. Ihre Lippen waren rot und voll. Als sie den Kopf zur Seite legte, tastete sie mit den Augen sein Gesicht ab, um zu ergründen, wie gefährlich er wirklich war. »Ich hatte ja keine Ahnung, was für ein Narr aus dir geworden ist, Cristo.« Sie benutzte absichtlich den Kosenamen aus früheren Zeiten, in denen sie oft und gern miteinander gespielt hatten. Damals, als sie Kinder waren. Früher, als ihre Welt noch in Ordnung gewesen war. »Ich jage und töte Vampire, und deine Fallen haben mich angelockt.« Sie unterstrich ihre Worte mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Denkst du allen Ernstes, du könntest mir Angst einjagen?«
Ihr Gegenüber setzte ein Feixen auf. Ein hämisches, boshaftes Lächeln. »Du bist arrogant geworden, Jägerin. Und unvorsichtig. Du hattest nicht den Hauch einer Ahnung, dass die Falle für dich und nicht für deine geliebten Wölfe bestimmt war. Dir wird letzten Endes gar nichts anderes übrigbleiben, als mir zu geben, was ich haben will. Es sei denn, du möchtest noch heute Nacht sterben.«
Statt darauf zu antworten, zuckte Ivory mit ihren schmalen Schultern. Sofort kam Leben in den silbrig schimmernden Umhang, der ihr bis zu den Knöcheln herabrutschte. Einen Lidschlag später hatte er sich aufgelöst, und stattdessen überzogen sechs Tätowierungen von sechs wilden Wölfen ihren Rücken und beide Arme.
»Du lässt mir keine andere Wahl«, raunte sie, den Blick auf seine Augen gerichtet.
Blitzschnell zückte sie das Schwert, machte einen Satz auf ihn zu, stieß sich an einem eisverkrusteten Felsblock ab und schwang sich in die Luft. Gerade, als sie ihre Gestalt in Dunst auflöste, legte sich eine unsichtbare Schlinge um ihren Hals, zog sich zusammen und schnitt ihr unbarmherzig ins Fleisch. Ein sengender Schmerz zuckte durch sie hindurch. Sie fluchte unhörbar, als sie sah, wie ihr Blut in leuchtend roten Tropfen in den Schnee spritzte.
Lachend ging Cristofor in die Hocke, schöpfte eine Hand voll Schnee und leckte genüsslich das reine karpatianische Blut auf. Nicht irgendein karpatianisches Blut, sondern das der Vampirjägerin Ivory Malinov, die einer der ältesten Karpatianerfamilien entstammte. Er folgte den blutigen Spuren und entdeckte sie schließlich einige Fuß entfernt, dicht am Waldrand, wo sie wieder ihre natürliche Gestalt angenommen hatte. Zufrieden stieß er ein Glucksen aus.
Grüßend hob Ivory zwei Finger, berührte das dünne Rinnsal, das ihren Hals herabrann, steckte die Finger in den Mund und leckte das Blut ab. »Zugegeben, damit hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht sollte ich mich bei meinen Wölfen entschuldigen, weil ich sie gescholten habe. Aber Cristo, falls du denkst, dein Verbündeter, der dort drüben im Wald lauert, wird dir zu Hilfe eilen, nachdem du mein Wolfsrudel getötet hast, irrst du dich gewaltig.«
Ohne Vorwarnung machte sie einen Satz nach vorne, griff nach den kleinen Pfeilspitzen an ihrem Gürtel und schleuderte sie in einer fließenden Handbewegung so kraftvoll von sich, dass sie sich tief in den Körper ihres Gegners gruben - in einer schnurgeraden Linie vom Bauch bis zum Hals. Brüllend versuchte der Vampir, seine Gestalt zu wandeln, doch lediglich seine Beine und sein Kopf lösten sich in Wassertröpfchen auf. Wie aus dem Nichts waberte eine dicke Nebelschwade in dem Versuch, ihm zu helfen, aus dem Wald und wickelte sich wie ein blickdichter Schleier um seinen Körper. Nur der Torso mit der langen Wunde, die den Blick auf sein Herz freigab, blieb sichtbar.
Ivory stieß ihr Schwert herab, und mit jedem Quäntchen Kraft, das sie hatte, versenkte sie es genau unterhalb des verdorbenen Herzens in den Körper des Feindes, der es verdient hatte zu sterben. Der Vampir stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Sein ätzendes Blut spritzte aus der Wunde und lief zischend über das Schwert, ehe es auf den Schnee herabregnete. Es war nur der Schutzummantelung zu verdanken, mit der die Vampirjägerin all ihre Waffen überzog, dass sich das Metall nicht auflöste. Zudem hinderte sie den Torso daran, sich auch in Dunst aufzulösen. Wie eine Tänzerin wirbelte die Jägerin um die eigene Achse - das Schwert, das noch immer in seiner Brust steckte, hoch über dem Kopf haltend, sodass sie ein Loch um sein Herz schneiden konnte.
Ivory zog das Schwert heraus und griff mit ihrer Hand in die Wunde. »Jetzt kennst du mein Geheimnis«, flüsterte sie. »Nimm es mit ins Grab.« Mit diesen Worten riss sie ihm das Herz aus der Brust, schleuderte es weit von sich und hob die Arme zum Himmel. Sofort fuhr ein Blitz auf die Erde herab.
Nachdem er das Herz verkohlt hatte, sprang er auf Ivory über, um sie mit seinen Flammen zu reinigen. »Mögest du endlich Frieden finden, Cristofor«, raunte sie, stützte sich auf das Schwert und ließ den Kopf hängen. Aus Trauer um ihren einstigen Jugendfreund schimmerten kurz Tränen in ihren Augen.
So viele waren nicht mehr. Von dem Leben, das sie einst geführt hatte, war nicht mehr viel geblieben. Sie holte tief Atem, sog die kühle Nachtluft ein, ehe sie sich daranmachte, das Schwert und den Schnee von den Blutspuren des Vampirs zu säubern. Nachdem sie alle acht Pfeilspitzen aufgelesen und wieder gut verstaut hatte, erschien der silbrig schimmernde Wolfspelz um ihre Knöchel. Die Tätowierungen fingen an, sich zu bewegen, krochen über ihren Körper, um schließlich wieder das Aussehen eines Mantels anzunehmen. Sie griff nach ihren Waffen und setzte sich die Kapuze auf. Übergangslos löste sie sich auf und vermischte sich mit den weißen Nebelschwaden.
Übersetzung: Nicole Friedrich
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2009 by Christine Feehan
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Dichter Nebel verhüllte die Berge und kroch in die Tiefen des Waldes, wo er ein weißes Band zwischen den verschneiten Bäumen spannte. Die weiße Pracht begrub sämtliches Leben im Wald und am Bachufer unter sich und überzog alles mit einer dicken Schicht aus Eiskristallen. Auf Lichtungen und Feldern standen Sträucher, plötzlich erstarrt, wie bizarre Statuen. Der Schnee tauchte die Welt in blau schimmerndes Weiß. Der mit Eiszapfen überzogene Wald und die zu bizarren Formen erstarrte Oberfläche des Baches wirkten, als wären sie nicht von dieser Welt.
Die Nacht war sternenklar und bitterkalt. Das silbrige Licht des Vollmondes ergoss sich über den gefrorenen Boden. Vollkommen lautlos huschten sechs Schatten, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, zwischen den Bäumen hindurch. Selbst ein versierter Fährtenleser hätte anhand der handtellergroßen Abdrücke vermutet, dass lediglich ein einziges Tier hier unterwegs gewesen war.
Obwohl die Wölfe aussahen, als erfreuten sie sich bester Gesundheit, mit stählernen Muskeln, die sich unter den dichten Pelzen abzeichneten, litten die Tiere Hunger und brauchten unbedingt frische Nahrung, um den harten und langen Winter zu überleben. Als das Alphatier unvermittelt stehen blieb und die Nase in den Wind hielt, tat der Rest des Rudels es ihm gleich. Vorsichtig und mit langsamen Bewegungen kroch das Leittier gegen die Witterung vorwärts, während die anderen sich niederlegten, um abzuwarten.
Mitten auf dem Weg, nur wenige Meter von ihm entfernt, lag ein großes, frisches und verführerisch duftendes Stück rohen Fleisches. Wachsam umkreiste er es, wobei er seine Nase benutzte, um eine potentielle Gefahr zu entdecken. Der Speichel lief dem Wolf im Maul zusammen, und sein Magen knurrte. Nichts als das Stück Fleisch witternd, näherte er sich erneut gegen den Wind und angelte vorsichtig nach dem großen, Leben rettenden Stück Fleisch. Dreimal robbte er vor und zurück, aber er konnte keine versteckten Gefahren entdecken. Als er sich ein viertes Mal näherte, schlang sich plötzlich etwas um seinen Nacken.
Panisch machte das Alphatier einen Satz nach hinten, wodurch sich die Schlinge aus Draht immer fester um seinen Hals zog. Je mehr er sich bewegte, desto tiefer schnitt ihm die Falle ins Fell, schnürte ihm die Kehle zu und schnitt sich in seine Haut hinein. Das Rudel begann, ihn zu umkreisen. Als sein Weibchen ihm zu Hilfe kam, legte sich wie aus dem Nichts eine zweite Schlinge um deren Hals, wodurch es fast von den Beinen gerissen wurde.
Einen Augenblick lang breitete sich tiefes Schweigen aus, das lediglich von dem Japsen der beiden gefangenen Wölfe unterbrochen wurde. In unmittelbarer Nähe knackte ein Zweig. Das Rudel stob auseinander, und flirrende Schatten flohen in den Schutz der Bäume. Aus einem Gebüsch betrat eine Frau die kleine Lichtung. Sie trug schwarze Winterstiefel und eine schwarze Hose, die ihr tief auf der Hüfte saß. Besonders auffallend war jedoch die bauchfreie schwarze Weste, die mit drei verschnörkelten glänzenden Silberschnallen geschlossen wurde, in die unzählige winzige Kreuze eingearbeitet waren.
Das dichte schwarzblaue Haar, das ihr bis zur Taille reichte, trug sie zu einem dicken Zopf geflochten. Der lange Kapuzenmantel, der ihr bis zu den Knöcheln ging, sah aus, als sei er aus einem einzigen silbrigen Wolfspelz gefertigt worden. Das Schwert, das an ihrer Hüfte baumelte, war nicht ihre einzige Waffe. In einer Hand hielt sie eine Armbrust, in der anderen blitzte ein scharfer Dolch auf. In einem Köcher, den sie über ihrer Schulter trug, steckten Pfeile, und innen im Wolfspelz¬mantel hingen in Schlingen weitere scharf geschliffene Waffen. In einem tief getragenen Holster steckten eine Pistole und eine Reihe kleine rasiermesserscharfe Pfeilspitzen.
Einen Moment lang hielt sie inne, sondierte die Lage. »Rührt euch nicht!«, zischte sie. In ihre leise Stimme mischten sich Ver¬ärgerung und Autorität.
Die beiden gefangenen Wölfe taten, wie ihnen geheißen, und warteten ab, am ganzen Leib zitternd und mit bebenden Flan¬ken und hängenden Köpfen, um den unsäglichen Druck des festgezurrten Drahtseils so gut es ging zu mindern. Anmutig glitt die Frau über den eisverkrusteten Schnee, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Sichtlich angewidert musterte sie die zahlreichen Drahtfallen.
»Das ist nicht das erste Mal, dass sie das machen«, schimpfte sie. »Habe ich euch die Fallen nicht gezeigt? Aber ihr wart wieder einmal zu gierig, habt euch von der Aussicht auf eine schnelle Mahlzeit blenden lassen. Um euch eine Lektion zu erteilen, müsste ich euch eigentlich dem qualvollen Tod überlas¬sen, den diese Fallen mit sich bringen.« Die Wölfe wie kleine Kinder ausschimpfend, holte sie eine Drahtschere aus ihrem Wolfspelzmantel. Mit wenigen gekonnten Handgriffen befreite sie die beiden Wölfe. Noch während sie ihre Finger in den dich¬ten Pelzen vergrub und die tiefen Wunden abtastete, stimmte sie einen melodischen Heilgesang an. Das gleißend helle Licht, das ihre Hände dabei abstrahlten, flirrte umher und schien durch das Fell der Tiere hindurch.
»Dies dürfte euren Schmerz ein wenig lindern«, sagte sie ver¬söhnlich und kraulte den beiden ausgiebig die Ohren.
Plötzlich stieß das Alphatier einen warnenden Laut aus, und sein Weibchen fletschte die Zähne. Ein Lächeln legte sich auf die Lippen der Frau. »Ich weiß, ich kann ihn riechen. Es ist ja beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, einen Vampir, der seinen fauligen Gestank verbreitet, nicht zu bemerken.«
Sie drehte ihren Kopf und schaute über ihre Schulter auf einen hochgewachsenen, starken Mann, der aus dem knorrigen Stamm einer immergrünen Tanne heraustrat. Der Stamm klaffte weit auseinander und brach beinahe in zwei verkohlte Teile. Nachdem der Baum die abscheuliche Kreatur ausgestoßen hatte, vertrock¬neten die Nadeln an den Zweigen, und als die Äste sich schüttel¬ten, um den Kontakt zu der verdorbenen Kreatur zu unterbre¬chen, regneten Eiszapfen herab wie kleine Speere.
Nachdem sich die Frau mit anmutigen Bewegungen erhoben hatte, wandte sie sich ihrem Feind zu und befahl den Wölfen mit einem verstohlenen Zeichen, sich in den Wald zurückzuziehen. »Wie ich sehe, bist du neuerdings dazu übergegangen, Fallen aufzustellen, um an Nahrung zu gelangen, Cristofor. Bist du so langsam und schlecht geworden, dass es dir nicht einmal mehr gelingt, einen Menschen anzulocken, an dem du deinen Hunger stillen kannst?«
»Jägerin!« Die Stimme des Vampirs klang rostig, so als wür¬den seine Stimmbänder nur selten gebraucht. »Ich wusste, dass du kommen würdest, wenn ich dein Rudel zu mir locke.«
Ihre Augenbraue schoss in die Höhe. »Welch nette Einla¬dung, Cristofor. Ich kann mich noch gut an dich erinnern, an damals, als du ein Jüngling und nett anzusehen warst. Um der alten Zeiten willen habe ich dich in Ruhe gelassen, doch wie es aussieht, sehnst du dich nach der Erlösung durch den Tod. Nun, alter Freund, so soll es denn sein.«
»Es heißt, du könntest nicht getötet werden«, fauchte Cristofor. »Eine Legende, an die alle Vampire glauben. Unsere Anfüh¬rer haben befohlen, dich in Ruhe zu lassen.«
»Eure Anführer? Bist ihnen doch beigetreten und hast dich mit ihnen gegen den Prinz und sein Gefolge verbündet? Weshalb suchst du dann den Tod, wo ihr doch das Ziel verfolgt, jedes Land oder die ganze Welt zu beherrschen?« Sie gluckste. »Das ist ein törichter Wunsch und bringt eine Menge Arbeit mit sich. In der guten alten Zeit war das Leben doch einfacher. Es waren glückliche Tage. Kannst du dich denn nicht mehr daran erinnern?«
Cristofor musterte das makellos schöne Gesicht der Frau. »Es hieß, du wärst ein Flickenwerk, ein Stück Haut an das andere genäht. Und dennoch wirkt dein Gesicht, dein gesamter Körper wie früher auf mich.«
Sie zuckte mit den Achseln und verwies die Bilder aus den dunklen Jahren, die vor ihrem geistigen Auge aufzogen und sie an das erlittene Leid und die Höllenqualen erinnern wollten, zurück an ihren Platz. Damals hatte sich ihr fleischloser Körper geweigert, den Tod zu akzeptieren, tief in der Erde begraben, frei zugänglich für die krabbelnden Insekten, die sich scharenweise im Dreck tummelten. Sie wahrte einen heiteren Gesichtsausdruck und lächelte, während sie innerlich bereit war, von jetzt auf gleich den Kampf aufzunehmen.
»Weshalb verbündest du dich nicht mit uns? Wenn einer einen Grund hat, den Prinzen zu hassen, dann bist du es.«
»Ich soll mich mit denen zusammentun, die mich verraten und verstümmelt haben? Kommt gar nicht in Frage. Ich führe nur dann Krieg, wenn er nicht zu vermeiden ist.« So als könnte sie nichts aus der Ruhe bringen, streckte sie die Finger, die in dünnen Handschuhen steckten. »Du hättest besser daran getan, meine Wölfe in Ruhe zu lassen, Cristofor. Du lässt mir keine andere Wahl.«
»Ich will hinter dein Geheimnis kommen. Wenn du es mir verrätst, verspreche ich, dich am Leben zu lassen.«
Ivory rang sich ein Lächeln ab, das ihre geraden und schneeweißen Zähne zeigte. Ihre Lippen waren rot und voll. Als sie den Kopf zur Seite legte, tastete sie mit den Augen sein Gesicht ab, um zu ergründen, wie gefährlich er wirklich war. »Ich hatte ja keine Ahnung, was für ein Narr aus dir geworden ist, Cristo.« Sie benutzte absichtlich den Kosenamen aus früheren Zeiten, in denen sie oft und gern miteinander gespielt hatten. Damals, als sie Kinder waren. Früher, als ihre Welt noch in Ordnung gewesen war. »Ich jage und töte Vampire, und deine Fallen haben mich angelockt.« Sie unterstrich ihre Worte mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Denkst du allen Ernstes, du könntest mir Angst einjagen?«
Ihr Gegenüber setzte ein Feixen auf. Ein hämisches, boshaftes Lächeln. »Du bist arrogant geworden, Jägerin. Und unvorsichtig. Du hattest nicht den Hauch einer Ahnung, dass die Falle für dich und nicht für deine geliebten Wölfe bestimmt war. Dir wird letzten Endes gar nichts anderes übrigbleiben, als mir zu geben, was ich haben will. Es sei denn, du möchtest noch heute Nacht sterben.«
Statt darauf zu antworten, zuckte Ivory mit ihren schmalen Schultern. Sofort kam Leben in den silbrig schimmernden Umhang, der ihr bis zu den Knöcheln herabrutschte. Einen Lidschlag später hatte er sich aufgelöst, und stattdessen überzogen sechs Tätowierungen von sechs wilden Wölfen ihren Rücken und beide Arme.
»Du lässt mir keine andere Wahl«, raunte sie, den Blick auf seine Augen gerichtet.
Blitzschnell zückte sie das Schwert, machte einen Satz auf ihn zu, stieß sich an einem eisverkrusteten Felsblock ab und schwang sich in die Luft. Gerade, als sie ihre Gestalt in Dunst auflöste, legte sich eine unsichtbare Schlinge um ihren Hals, zog sich zusammen und schnitt ihr unbarmherzig ins Fleisch. Ein sengender Schmerz zuckte durch sie hindurch. Sie fluchte unhörbar, als sie sah, wie ihr Blut in leuchtend roten Tropfen in den Schnee spritzte.
Lachend ging Cristofor in die Hocke, schöpfte eine Hand voll Schnee und leckte genüsslich das reine karpatianische Blut auf. Nicht irgendein karpatianisches Blut, sondern das der Vampirjägerin Ivory Malinov, die einer der ältesten Karpatianerfamilien entstammte. Er folgte den blutigen Spuren und entdeckte sie schließlich einige Fuß entfernt, dicht am Waldrand, wo sie wieder ihre natürliche Gestalt angenommen hatte. Zufrieden stieß er ein Glucksen aus.
Grüßend hob Ivory zwei Finger, berührte das dünne Rinnsal, das ihren Hals herabrann, steckte die Finger in den Mund und leckte das Blut ab. »Zugegeben, damit hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht sollte ich mich bei meinen Wölfen entschuldigen, weil ich sie gescholten habe. Aber Cristo, falls du denkst, dein Verbündeter, der dort drüben im Wald lauert, wird dir zu Hilfe eilen, nachdem du mein Wolfsrudel getötet hast, irrst du dich gewaltig.«
Ohne Vorwarnung machte sie einen Satz nach vorne, griff nach den kleinen Pfeilspitzen an ihrem Gürtel und schleuderte sie in einer fließenden Handbewegung so kraftvoll von sich, dass sie sich tief in den Körper ihres Gegners gruben - in einer schnurgeraden Linie vom Bauch bis zum Hals. Brüllend versuchte der Vampir, seine Gestalt zu wandeln, doch lediglich seine Beine und sein Kopf lösten sich in Wassertröpfchen auf. Wie aus dem Nichts waberte eine dicke Nebelschwade in dem Versuch, ihm zu helfen, aus dem Wald und wickelte sich wie ein blickdichter Schleier um seinen Körper. Nur der Torso mit der langen Wunde, die den Blick auf sein Herz freigab, blieb sichtbar.
Ivory stieß ihr Schwert herab, und mit jedem Quäntchen Kraft, das sie hatte, versenkte sie es genau unterhalb des verdorbenen Herzens in den Körper des Feindes, der es verdient hatte zu sterben. Der Vampir stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Sein ätzendes Blut spritzte aus der Wunde und lief zischend über das Schwert, ehe es auf den Schnee herabregnete. Es war nur der Schutzummantelung zu verdanken, mit der die Vampirjägerin all ihre Waffen überzog, dass sich das Metall nicht auflöste. Zudem hinderte sie den Torso daran, sich auch in Dunst aufzulösen. Wie eine Tänzerin wirbelte die Jägerin um die eigene Achse - das Schwert, das noch immer in seiner Brust steckte, hoch über dem Kopf haltend, sodass sie ein Loch um sein Herz schneiden konnte.
Ivory zog das Schwert heraus und griff mit ihrer Hand in die Wunde. »Jetzt kennst du mein Geheimnis«, flüsterte sie. »Nimm es mit ins Grab.« Mit diesen Worten riss sie ihm das Herz aus der Brust, schleuderte es weit von sich und hob die Arme zum Himmel. Sofort fuhr ein Blitz auf die Erde herab.
Nachdem er das Herz verkohlt hatte, sprang er auf Ivory über, um sie mit seinen Flammen zu reinigen. »Mögest du endlich Frieden finden, Cristofor«, raunte sie, stützte sich auf das Schwert und ließ den Kopf hängen. Aus Trauer um ihren einstigen Jugendfreund schimmerten kurz Tränen in ihren Augen.
So viele waren nicht mehr. Von dem Leben, das sie einst geführt hatte, war nicht mehr viel geblieben. Sie holte tief Atem, sog die kühle Nachtluft ein, ehe sie sich daranmachte, das Schwert und den Schnee von den Blutspuren des Vampirs zu säubern. Nachdem sie alle acht Pfeilspitzen aufgelesen und wieder gut verstaut hatte, erschien der silbrig schimmernde Wolfspelz um ihre Knöchel. Die Tätowierungen fingen an, sich zu bewegen, krochen über ihren Körper, um schließlich wieder das Aussehen eines Mantels anzunehmen. Sie griff nach ihren Waffen und setzte sich die Kapuze auf. Übergangslos löste sie sich auf und vermischte sich mit den weißen Nebelschwaden.
Übersetzung: Nicole Friedrich
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2009 by Christine Feehan
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Bibliographische Angaben
- Autor: Christine Feehan
- 2010, 1, 509 Seiten, Maße: 14,4 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868005994
- ISBN-13: 9783868005998
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