Jessica - Das Ziel aller Sehnsucht
Band 2
Jessica hat eine Farm in New South Wales aufgebaut. Dann bringen einige Ereignisse ihr Leben aus dem Gleichgewicht. Sie muss sich mit skrupellosen Geschäftemachern ärgern. Und eines Tages steht plötzlich ihre große Liebe Mitchell wieder vor ihr.
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Produktinformationen zu „Jessica - Das Ziel aller Sehnsucht “
Jessica hat eine Farm in New South Wales aufgebaut. Dann bringen einige Ereignisse ihr Leben aus dem Gleichgewicht. Sie muss sich mit skrupellosen Geschäftemachern ärgern. Und eines Tages steht plötzlich ihre große Liebe Mitchell wieder vor ihr.
Lese-Probe zu „Jessica - Das Ziel aller Sehnsucht “
Das Ziel aller Sehnsucht von Ashley Carrington1
Die Laterne, die an der Wand der Schiffskabine hing, brannte
mit kleiner, ruhiger Flamme und warf einen schwachen Schein
auf ihren nackten Körper. Das warme Licht schmeichelte ihrer
zarten Figur, die im weniger vorteilhaften Tageslicht ausgesprochen
zerbrechlich wirkte und ihre von Natur aus kränkliche
Konstitution verriet. Doch hier im Halbdunkel verwandelte der
Laternenschein die Blässe ihrer Haut in einen schwach goldenen,
samtenen Glanz und entlockte ihrem braunen Haar einen
fast kupfernen Schimmer.
Rosetta Forbes hatte die Haarbänder gelöst und wollte gerade
zum Nachtgewand aus aprikosenfarbener Seide greifen, als
sich zwei kräftige Hände von hinten auf ihre nackten, schmalen
Schultern legten.
Wie unter einem Peitschenhieb zuckte sie zusammen, stieß
einen Laut des Erschreckens aus und fuhr herum. Kenneth
stand vor ihr und musterte ihren Körper mit unverhohlenem
Begehren. Sie hatte nicht gehört, dass er die Kabine betreten
hatte. Das ewige Ächzen und Knarren von Sparren und Spanten,
von Masten und Tauwerk machte es schwer, das Geräusch
einer sich öffnenden Kabinentür herauszuhören.
»Was bist du so schreckhaft, Rose?« Kenneth ließ seine Hände
von ihren Schultern über ihren Rücken abwärts gleiten.
Sie versteifte sich. »Du hast nicht angeklopft!«
Ein spöttisches Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. »Seit
wann hat ein Mann anzuklopfen, wenn er die Schlafgemä-
cher seiner ihm angetrauten Frau zu betreten gedenkt? Zudem
scheinst du vergessen zu haben, dass diese bescheidene Kabine
für die Dauer unserer Überfahrt auch mein Quartier ist.«
»Trotzdem brauchst du mich nicht so zu erschrecken!«, hielt
sie ihm vor und versuchte, sich
... mehr
seinen Händen zu entziehen, die
nun immer fordernder über ihren Körper tasteten.
»Lass uns von was anderem reden«, sagte Kenneth mit belegter
Stimme. »Ich habe dich schon lange nicht mehr so gesehen,
Rose. Und fast hätte ich vergessen, wie du dich anfühlst.« Er
versuchte, sie an sich zu ziehen und seinen Mund in die Mulde
ihres Halses zu drücken.
Doch Rosetta stieß ihn zurück. »Rühr mich nicht an!«, zischte
sie, am Rande einer Panik. »Hast du keinen Anstand, mich so
zu bedrängen? Ich verabscheue es, wenn du dich so zügellos
benimmst wie ... wie ein Tier!«
Kenneth atmete heftig. »Du bist meine Frau, verdammt noch
mal!«, stieß er hervor und begann, seinen roten Uniformrock
aufzuknöpfen. »Und ich bin dein Mann! Der Teufel soll mich
holen, wenn ich mir von dir Vorschriften machen lasse, wann
ich zu dir ins Bett steigen darf! Du hast deine ehelichen Pflichten
zu erfüllen. Und wenn du es nicht freiwillig tust, werde ich
dich eben mit Gewalt nehmen!«
»Wage es ja nicht!«, flüsterte Rosetta und wich nicht einen
Schritt vor ihm zurück. Ihre schutzlose Nacktheit vergaß sie
einen Moment lang völlig. Trotzig reckte sie das Kinn mit dem
Grübchen in der Mitte. »Wage es ja nicht, mich gegen meinen
Willen zu berühren, Ken! Ich bringe dich um, das schwöre ich!«
»Du willst mich umbringen? Wie denn? Du bist ja kaum in
der Lage, den Suppenlöffel länger als fünf Minuten in der Hand
zu halten. Dann musst du dich ja schon wieder vor Erschöpfung
in die Kabine zurückziehen!«, höhnte er und lachte verächtlich,
blieb jedoch stehen, wo er war. »Komm, mach dich doch nicht
lächerlich!«
Rosetta schüttelte den Kopf. »Ich mag schwach und kränklich
sein, Ken. Aber ich werde niemals so schwach sein, um dich
nicht dafür bezahlen zu lassen, falls du versuchen solltest, mich
zu vergewaltigen!«, drohte sie.
»Du bist meine Frau!«, donnerte Ken wutentbrannt, senkte
aber sofort wieder seine Stimme, um nicht den Mitreisenden
Stoff für gehässigen Klatsch zu liefern. »Und du hast mir ewige
Liebe, Treue und Gehorsamkeit geschworen, verdammt noch
mal!«
»Ich hatte eine Fehlgeburt, das weißt du genau!«, antwortete
sie ausweichend.
»Das ist ja bei dir nichts Neues!«, stieß er mit bitterem Vorwurf
hervor. Es war schon die dritte Fehlgeburt in zwei Jahren
Ehe. Diesmal hatte sie die Krämpfe schon im vierten Monat
gehabt. Eine Woche nachdem sie aus dem Hafen von Kapstadt
ausgelaufen waren, wo die Andromeda neu verproviantiert
worden war und zwei weitere Passagiere an Bord gekommen
waren, hatte ihr Körper das Baby abgestoßen. Die Totgeburt
war auf See bestattet worden. Rosetta hatte ihm damals tränenreiche
Vorwürfe gemacht, dass er die Reise nach Australien
nicht in Kapstadt bis zur Geburt ihres Kindes unterbrochen
hatte, wie sie es mehrfach von ihm verlangt hatte. Denn die
mehr als sechsmonatige Seereise stellte für ihre sowieso schon
kränkliche Verfassung eine arge Strapaze dar, die dann nicht
ohne schwerwiegende Folgen geblieben war. Doch seine Befehle
hatten ihm keine Wahl gelassen. Sie hatten die Reise fortsetzen
müssen, obwohl auch er es im Nachhinein bedauerte.
Denn nichts wünschte er sich mehr als einen Sohn.
»Außerdem liegt das jetzt schon fast drei Monate zurück«,
fuhr Kenneth Forbes, Lieutenant des New South Wales Corps,
nun mit fast versöhnlichem Tonfall fort. »Du hast dich mittlerweile
von dem tragischen Verlust unseres Kindes recht gut
erholt, wie ich mich jetzt mit meinen eigenen Augen in natura
vergewissern kann.«
»Ich brauche mehr Zeit!«
Er verzog das Gesicht. Verraucht war der Zorn, der in ihm
das Verlangen nach Gewalt geweckt hatte. An seine Stelle war
eine kraftlose Verdrossenheit getreten. Verflüchtigt hatte sich
auch das Begehren, das in ihm bei ihrem Anblick aufgelodert
war.
»Was erwartest du überhaupt von mir? Dass ich dir ein ganzes
Jahr Schonung zubillige? Der Schiffsarzt ...«
»... ist ein alter Trottel!«, fiel Rosetta ihm selbstbewusst ins
Wort. Sie wusste, dass sie in dieser hässlichen Auseinandersetzung
die Oberhand gewonnen hatte. Ihre entschlossene Drohung
hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. »Ich werde dich wissen
lassen, wann ich bereit bin, meine ... ehelichen Pflichten wieder
aufzunehmen.«
Kenneth starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Manchmal habe ich den schrecklichen Verdacht, dass es dir
lieber wäre, ich würde dich überhaupt nicht begehren und niemals
mehr berühren.«
Hitze flutete durch ihr Gesicht. Sie wich seinem stechenden
Blick aus und fuhr schnell in ihr Nachtgewand. »Ich habe dir
nie etwas vorgemacht«, antwortete sie, »und so getan, als ob mir
an dieser Seite unserer Ehe besonders viel läge.«
»Nein, das hast du wahrlich nicht«, sagte er voller Groll.
»Vielleicht hättest du doch besser meine pummelige Schwester
heiraten sollen und nicht mich«, hielt sie ihm gereizt vor.
»Abigail wäre dir sicherlich willenlos wie eine dumme Kuh
überallhin gefolgt und hätte dir ein gesundes Kind nach dem
anderen geboren!«
Kenneth fuhr wieder in seinen Uniformrock. »Ja, dein Verhalten
hat diesen Gedanken in mir auch schon geweckt«, zischte
er und stürmte aus der Kabine. Er brauchte frische Luft, um
sich abzuregen, und stiefelte polternd den Niedergang zum
Achterdeck hoch.
2
Unter Vollzeug und auf Steuerbordbug durch die nur mäßig
bewegte See pflügend, segelte die Andromeda in den Sonnenuntergang.
Der feuerrote Glutball war am westlichen Horizont
schon tief gesunken und schien nun im Meer zu verglühen.
Während das Schiff schon im Dunkel der Nacht lag, loderte
über der Kimm noch ein letzter Streifen feuerroten Lichtes.
Lieutenant Kenneth Forbes stand an der Reling, eine schlanke
Gestalt von siebenundzwanzig Jahren und mehr als attraktivem
Aussehen. Er hatte die vollendeten Gesichtszüge einer klassischen
Marmorbüste. Unter schmalen, schwungvollen Brauen
lagen Augen, die von einem tiefen Braun waren und von langen
Wimpern überschattet wurden, um die ihn schon so manche
Frau beneidet hatte.
Er wusste aus Erfahrung, dass er zu jenen wenigen, von der
Natur reichhaltig bedachten Männern zählte, denen die Frauen
fast ohne Ausnahme zu Füßen lagen und die mit einem einzigen
Lächeln jeglichen weiblichen Widerstand dahinschmelzen
ließen wie Butter in der Sonne.
Genauso war es bei ihm bisher auch der Fall gewesen, seit er
die Macht seines Äußeren und die Unersättlichkeit seines Triebes
erkannt hatte - und das eine skrupellos eingesetzt hatte, um
die Befriedigung des anderen zu erreichen.
Alle waren sie ihm verfallen - ausgenommen Rosetta. Und
gerade sie hatte er, welch eine Ironie des Schicksals!, zur Frau
genommen! Wenn auch auf massiven Druck seiner Eltern, Sir
Wesley und Lady Catherine, hin, die seiner Skandale leid geworden
waren und ihm mit Enterbung gedroht hatten, nachdem
seine Affäre mit der Frau seines Rechtswissenschaftsprofessors
ein mittleres gesellschaftliches Erdbeben in Eton ausgelöst
hatte. Hätten seine Eltern ihn nicht quasi zur Ehe gezwungen,
wäre ihm das Missgeschick mit Rosetta sicherlich nicht passiert,
und er würde immer noch von einer sinnesfreudigen Schönheit
zur anderen flattern wie ein Schmetterling von einer duftenden
Blume zur anderen.
Doch die angedrohten Repressalien konnte er noch nicht
einmal vor sich selbst als Entschuldigung für seinen katastrophalen
Missgriff gelten lassen. Denn wenn sie ihn auch zur Ehe
gezwungen hatten, so hatten sie ihm doch immerhin noch so
viel Freiheit zugestanden, sich aus einer Anzahl möglicher Ehekandidatinnen
die ihm in Charakter und Äußerem gefälligste
auszuwählen.
Und ich musste mich ausgerechnet für Rosetta entscheiden!,
machte er sich im Stillen bittere Vorwürfe. Wie konnte ich nur
so von Blindheit geschlagen sein, dass ich nicht erkannt habe, was
sich hinter ihrem puppenhaften Äußeren verbarg? Wie konnte ich
nur so tölpelhaft sein, eine Frau in mein Ehebett zu nehmen, die
so anschmiegsam wie ein Reibeisen und so leidenschaftlich wie ein
Stück Holz ist! Sie hat recht: Da hätte ich mit ihrer einfältigen
Schwester Abigail sicherlich eine tausendmal bessere Wahl getroffen.
Sie hätte mir nicht zu widersprechen gewagt und mir zweifelsohne
einen kräftigen Sohn geschenkt, statt ständig zu kränkeln und eine
Fehlgeburt nach der anderen zu haben! Ein gefühlskaltes, aufsässiges
Weib. Und das mir! Ausgerechnet mir!
Wütend schlug er mit der flachen Hand auf die Reling, während
der Wachhabende die Seeleute in die Wanten schickte.
Geschmeidig enterten die Männer auf, um die Segel zu reffen.
Zu nahe war die fremde Küste, als dass Captain Browder es
gewagt hätte, auch bei Nacht mit prall geblähten Segeln seinen
Kurs beizubehalten. Nur bei sternenklarer Nacht würde er mit
einem zusätzlichen Mann im Ausguck weiter gen Nordwesten
segeln, statt bis zum Tagesanbruch beizudrehen.
Schritte wurden auf dem Deck hinter ihm laut, dann trat ein
kräftig gebauter Mann in dunklem Wollrock neben ihn an die
Reling und sog die milde Meeresbrise hörbar ein.
Es war Edward Chambers, einer der beiden Passagiere, die in
Kapstadt an Bord gekommen waren. Er war ein großer, breitschultriger
Mann in den Vierzigern mit einem schon ergrauten
Backenbart und einem Gesicht, das wie eine weite flache Landschaft
ohne besondere Merkmale war. Wenn man seinen eigenen
Worten Glauben schenken durfte, was Kenneth tat, war
er in der Sträflingskolonie New South Wales ein erfolgreicher
Geschäftsmann.
»Können Sie Land riechen, Lieutenant?«, begann Chambers
ein Gespräch in der ihm eigenen leutseligen Art. Er schnupperte
wie ein Hund, der eine Witterung aufnimmt. »Ich jedenfalls
kann Land riechen. Zwei Tage noch, mein Wort drauf, und wir
sehen die Einfahrt von Sydney Cove!«
Kenneth bedachte ihn mit einem flüchtigen Seitenblick und
war versucht zu erwidern, dass man nicht unbedingt in der Lage
zu sein brauchte, Land zu riechen, um solch eine Behauptung
aufzustellen. Denn dafür genügte ein kurzes Gespräch mit Cap-
tain Browder, aus dessen Quelle Chambers' Voraussage höchstwahrscheinlich
auch stammte. Doch Edward Chambers hatte
sich bisher als unterhaltsamer Mitreisender erwiesen. Und in
Anbetracht seines möglichen Einflusses in der jungen Kolonie
erschien es ihm höchst unklug, seine freundlich gemeinten
Worte mit einer sarkastischen Erwiderung zu vergelten.
»Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Ihre Vermutung
als zutreffend herausstellen sollte«, antwortete Kenneth
deshalb mit der gebotenen Höflichkeit und war plötzlich recht
froh, einen Gesprächspartner zu haben, der ihn auf andere Gedanken
brachte. »Die Faszination einer Seereise, von der andere
zu berichten wissen, ist mir und ganz bestimmt meiner Frau
verschlossen geblieben.«
Edward Chambers sah ihn mitfühlend an. »Ein zutiefst tragisches
und betrübliches Schicksal, das Sie und Ihre Gemahlin
zu ertragen hatten. Ich hoffe sehr, dass ihre Gesundung auch
weiterhin rasche Fortschritte macht.«
»Danke, ich will nicht klagen«, erwiderte Kenneth ausweichend
und lenkte das Gespräch auf ein ihm angenehmeres
Thema. »Ich kann es noch gar nicht glauben, dass diese grässlich
lange Reise in ein paar Tagen endlich hinter uns liegen soll.
Und ich versuche, mir vorzustellen, was mich dort erwartet.
Sagen Sie, wie sieht die Lage dort unten eigentlich aus?«
»Sie meinen politisch?«
»Ja. Mir ist so einiges zu Ohren gekommen, demnach es gewisse
Reibereien zwischen dem Corps, dem ich angehöre, und
dem Gouverneur geben soll.«
Edward Chambers lachte trocken auf. »Reibereien ist gut gesagt,
Lieutenant. Das ist ein offener Machtkampf, der schon
so lange dauert, wie diese Kolonie existiert - und das sind
jetzt, anno 1807, gut neunzehn Jahre. Doch er ist längst zu-
gunsten Ihrer Offiziere vom New South Wales Corps entschieden,
Lieutenant. Keinem Gouverneur ist es bis heute auch nur
ansatzweise gelungen, die Vormachtstellung des Corps in der
Kolonie ins Wanken zu bringen.«
»Man erzählt sich aber, dass Captain William Bligh, der neue
Gouverneur, vom Kolonialamt nach Sydney geschickt worden
ist, um gerade dies zu erreichen«, wandte Kenneth ein.
Chambers machte eine verächtliche Handbewegung. »Ach,
was! Wissen Sie, wie sie Bligh bei uns nennen? Brotfrucht-Bligh!
Oder auch Bounty-Bligh! Nein, von dem geht keine Gefahr aus.
Der Kerl ist ja noch nicht einmal mit den Meuterern seines
Schiffes damals, der Bounty, fertig geworden!«
»Aber ist er nicht von Lord Nelson höchstpersönlich für seine
Tapferkeit während der Seeschlacht auf der Reede von Kopenhagen
1801 geehrt worden?«, wandte Kenneth ein wenig skeptisch
ein. »Hat ihm das und sein Ruf, ein eisenharter Mann zu
sein, der keine Disziplinlosigkeit duldet, nicht einen starken
Rückhalt verschafft?«
»In London mag der Name Bligh vielleicht noch immer den
Klang eines Volkshelden haben«, räumte Chambers geringschätzig
ein. »Der Pöbel ist so leicht zu blenden. Aber in der
Kolonie, zwölftausend Meilen von England und der Admiralität
entfernt, gelten andere, viel rauere Gesetze, gegen die auch
ein Captain Bligh nicht anstinken kann. Er ist erst seit August
letzten Jahres in der Kolonie, Lieutenant, aber er hat sich in diesem
einen Jahr schon mehr Feinde auf allen Seiten gemacht als
manch einer jener glücklosen Gouverneure in seiner gesamten
Amtszeit. Nein, nein, er steht auf verlorenem Posten, lassen Sie
sich das von mir gesagt sein. Es sind Männer Ihres Schlages, die
Offiziere des New South Wales Corps, die bei uns die wahre
Macht in den Händen halten, und ich bin zuversichtlich, dass
das auch noch lange der Fall sein wird. Seien Sie froh, dass Sie
den roten Rock des Königs tragen und ein Offizierspatent besitzen!
Damit stehen Ihnen alle Tore und Chancen offen.«
»Das klingt ja fast wie eine Verheißung«, gab sich Kenneth
belustigt, brannte jedoch darauf, mehr über diese Chancen zu
erfahren.
»Nun, so meinte ich es auch. Ich weiß natürlich nicht, welcher
Natur Ihre Beweggründe sind, die Sie veranlasst haben,
dem New South Wales Corps beizutreten und nach Australien
zu kommen ...«, sagte Edward Chambers und ließ eine fragende
Pause eintreten.
Kenneth hütete sich, seine Beweggründe zu nennen und zu
offenbaren, dass sein Vater ihm unter Androhung der Enterbung
verboten hatte, sich vor Ablauf von mindestens fünf Jahren
wieder in England blicken zu lassen. Und so beschränkte
er sich in Ermangelung einer plausiblen Antwort auf die wenig
überzeugende Behauptung: »Nun, es war vorwiegend wohl die
Abenteuerlust in mir, die mich dazu bewogen hat, dieses Wagnis
einzugehen.«
Edward Chambers nickte, als akzeptierte er dies als hinreichende
Erklärung. Dabei wusste wohl niemand besser als er,
dass fast jeder, der nicht als Sträfling nach New South Wales
kam, schwerwiegende Gründe hatte, über die er sich sogar neuen
Freunden gegenüber lieber ausschwieg. Doch das behielt er für
sich. Die Vergangenheit eines freien Siedlers, Kaufmannes oder
Soldaten war tabu in der Kolonie. Und wer seine Neugierde
nicht zu bezähmen wusste, konnte sich schneller Todfeinde
schaffen als auf irgendeine sonstige Art und Weise. »Wenn Sie
das Wagnis suchen, werden Sie ganz ohne Frage dort auf Ihre
Kosten kommen, Lieutenant«, versicherte er. »Für einen Mann,
der über genügend Tatkraft verfügt und seine Position zu sei-
nem Vorteil zu nutzen weiß, gibt es heute wohl keinen besseren
Ort als New South Wales, wo man mit wenig Einsatz schnell zu
einem ansehnlichen Vermögen kommen kann.«
»Sie scheinen aus eigener Erfahrung zu sprechen, wenn ich
mir diese hoffentlich nicht indiskrete Bemerkung erlauben
darf«, sagte Kenneth, in höchstem Maße interessiert, wie er
denn ausgerechnet an so einem gottverlassenen Ort sein Glück
machen könnte.
»Sie dürfen, Lieutenant. Ich spreche in der Tat aus eigener
Erfahrung. Als ich vor gut einem Jahrzehnt nach Sydney kam,
hatte ich einen ... nun, sagen wir mal geschäftlichen Tiefstand
erreicht«, gestand Edward Chambers offenherzig. »Ich hatte ein
nicht unbeträchtliches Vermögen verloren, als die verdammten
Kolonisten in Amerika, Gott möge sie für ihren schändlichen
Verrat ewig in der Hölle schmoren lassen, als dieses elende Verräterpack
sich gegen unseren König erhoben und ihre Unabhängigkeit
mit Hilfe der verfluchten Franzmänner erstritten hatte.«
»Ich weiß, der Verlust unserer amerikanischen Kolonie war
ja der Anlass für die Gründung einer neuen Kolonie, um unser
Land vom Abschaum der Verbrecher zu befreien, die unsere
Gefängnisse überfüllten«, erinnerte sich Kenneth.
»So ist es. Aber mir war sofort klar, dass sich die Besiedlung
von New South Wales ähnlich wie damals in unseren ehemaligen
amerikanischen Kolonien entwickeln würde und sich nach
einigen schweren Anfangsjahren Möglichkeiten bieten würden,
mit wie gesagt wenig Einsatz viel Profit zu machen. Und so ist es
auch geschehen. Ich habe in Kapstadt nicht nur Merinoschafe,
Vieh und ein paar Pferde sowie landwirtschaftliche Gerätschaften
eingekauft, die mir beim Verkauf in der Kolonie einen Gewinn
von mindestens vierhundert Prozent sichern«, offenbarte
Chambers ihm stolz, »sondern ich habe mich vor allem auch
mit jeder Menge Kapbrandy und Rum eingedeckt. Denn Rum,
mein lieber Freund, ist bei uns mehr wert als pures Gold!«
Kenneth hob fragend die Augenbrauen.
»Ohne Rum läuft in der Kolonie gar nichts«, erklärte Chambers.
»Kein Sträfling, der nicht sein Quantum verlangt und erhält.
Ob Männer oder Frauen, sie sind süchtig danach - und das
ist auch gut so. Mit Rum halten wir dieses Pack unter Kontrolle.
Haben die Deportierten ihre Strafe verbüßt oder sind sie begnadigt
worden, dann werden sie auch mit Rum bezahlt. Rum
ist die Währung für all diejenigen armen Tölpel, ob nun freie
Siedler oder Sträflinge, die irgendetwas kaufen oder verkaufen
wollen. Wenn man selbst Zugang zu den Rumquellen hat, ist
das ein spottbilliger Weg, Arbeitskräfte oder anderes zu kaufen.
Mich kostet die Gallone keine vier Shilling, doch wer bei mir
kauft, muss zwanzig Shilling und mehr bezahlen.«
»Ich denke, es gibt in der Kolonie keine Münzwährung?«
Chambers lachte. »Das trifft auch für die meisten armen
Schlucker zu. Wir achten darauf, dass sie kein Geld in die Finger
bekommen. So nehmen wir eben Vieh, Getreide und anderes in
Zahlung, wobei wir natürlich ein Schaf nicht zu dem Preis akzeptieren,
zu dem wir es verkaufen würden. Den Leuten bleibt keine
andere Wahl. Sie sehen also, wir haben alles bestens durchdacht.«
»Wer ist wir?«, wollte Kenneth wissen.
»Wir? Das ist das Rum-Monopol, und es wird vom New
South Wales Corps und einigen weitsichtigen Leuten meines
Schlages kontrolliert!«, prahlte Chambers. »Auch ein William
Bligh wird daran nichts ändern können.«
»Interessant ...«
Chambers beugte sich zu ihm. »Ich gebe Ihnen einen guten
Rat, Lieutenant. Wenn Sie in der Kolonie sind, überlassen Sie
das Farmen anderen oder kaufen Sie sich eine Farm, die Sie
bewirtschaften lassen. Als Offizier kommen Sie leicht an ein
Arbeitskommando aus Sträflingen. Vertrödeln Sie also selbst
keine Zeit mit solchem langwierigen Unfug, sondern verschaffen
Sie sich Zugang zum Kreis derjenigen, die das Heft fest in
der Hand halten.«
Kenneth lachte auf. »Ich habe nicht das Geringste dagegen
einzuwenden. Die Frage ist nur, ob man mich auch an dem
fetten Kuchen teilhaben lässt. Es gibt niemanden in New South
Wales, den ich auch nur im Entferntesten kennen würde.«
»Lassen Sie das mal meine Sorge sein. Ich werde Ihnen die
notwendigen Kontakte schon verschaffen«, versprach Chambers.
»Wir können Männer wie Sie in unserem Kreis immer
gebrauchen.«
»Ein großzügiges Angebot, das mich tief in Ihrer Schuld stehen
lässt«, bedankte sich Kenneth mit unverhohlener Begeisterung.
»Sollte ich einmal Ihre Unterstützung benötigen, werde ich
nicht zögern, Sie darum zu bitten«, versicherte der gerissene
Kaufmann.
Kenneth zweifelte nicht daran.
»Und nun kommen Sie. Der Erste und Mister Marwick werden
schon ungeduldig auf uns warten, damit wir uns zu unserer
abendlichen Spielrunde an den Tisch setzen können. Vielleicht
werden Sie auf meine Hilfe überhaupt nicht angewiesen sein,
wenn Sie auch weiterhin so viel Glück mit den Karten haben«,
scherzte Chambers.
»Ja, gern«, sagte Kenneth und starrte einen Augenblick versonnen
in die Dunkelheit. Es stimmte nicht ganz, was er gesagt
hatte. Es war möglich, dass er doch einen Menschen in der
Sträflingskolonie kannte - Jessica.
Ob sie überhaupt noch lebte?
3
Jessica Brading stand im warmen Licht der australischen Mittagssonne
neben ihrer Kutsche am Hafen und blickte zur
Southwind hinüber, die in der weiten Bucht von Sydney Cove
neben einem amerikanischen Segler vor Anker lag. Ein versonnenes
Lächeln lag auf ihrem zartgeschnittenen Gesicht, das eine
ganz besondere Art von Schönheit ausstrahlte, die mehr von
innen kam, als auf äußerlichen Vorzügen beruhte. Fast so seegrün
wie das Wasser der geschützten Bucht waren ihre Augen,
die nun die eleganten Linien des Dreimasters bewunderten. Sie
hatte für sich und ihre Kinder Edward und Victoria, die etwas
abseits der Kutsche spielten, eine Passage auf der Southwind
gebucht, von der es hieß, dass sie ein schnelles Schiff sei und
die Überfahrt nach England in weniger als fünf Monaten bewältigen
könne.
Jessica seufzte unwillkürlich. England! Wie lange war es her,
dass sie England als Deportierte an Bord eines Sträflingsschiffes
verlassen hatte? Fast sechs Jahre! Gerade achtzehn war sie damals
gewesen.
Sechs Jahre waren nicht viel in England. Doch hier in Australien,
unter dem Kreuz des Südens, war das wie ein ganzes
Leben. Wer hier als Deportierter von Bord eines Sträflingsschiffes
ging, hatte die Unbekümmertheit der Jugend auf der
Überfahrt längst verloren, wie jung an Jahren er auch sein
mochte. In dieser von Naturkatastrophen heimgesuchten Kolonie
starben in der alles versengenden Sonne des Sommers
nicht nur die Schwachen und Willenlosen wie die Fliegen.
Auch erfahrene Siedler, die ihren Mann standen und sich tagaus,
tagein den Rücken krumm schufteten, zählten immer
wieder zu den Opfern, die dieses wilde Land forderte. Nur
wer über eine eiserne Willenskraft und unbeugsame Härte
verfügte, wie das bei Jessica Brading der Fall war, hatte in dieser
Sträflingskolonie eine Chance, zu überleben und sich zu
behaupten.
Jessica wandte ihre Aufmerksamkeit nun dem kleinen Ruderboot
zu, das vor wenigen Minuten von der Southwind abgelegt
hatte und von einem Matrosen mit kräftigen, gleichmäßigen
Riemenschlägen über die stille Bucht ans Ufer gerudert
wurde. Ian McIntosh, der Verwalter ihrer Farm Seven Hills
am Hawkesbury River, saß vorn im Boot, steil und aufrecht, wie
es seine Art war. Doch an diesem Tag wirkte er besonders starr
und verschlossen, wie ein Granitblock.
»Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen«, dachte sie
und machte sich nun Vorwürfe. »Vor allem hätte ich Ian nicht
die Last der Verantwortung allein tragen lassen dürfen.«
Sicher, nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, der so sinnlos
gewesen war und sie mit der niederschmetternden Wucht
eines Axthiebes getroffen hatte, war sie verzweifelt gewesen
und hatte auf Seven Hills in nichts mehr einen Sinn gesehen.
Genug der Opfer und der Leiden!, hatte sie sich gesagt. Doch
der Schmerz über seinen Verlust war keine Entschuldigung,
bestenfalls eine Erklärung. Sie hätte sich nicht so lange treiben
lassen dürfen. Hätte Ian sich damals nicht um alles gekümmert,
stände es heute schlecht um die Farm.
Eine scharfe Stimme drang zu ihr herüber und riss sie aus ihren
Gedanken. Sie wandte den Kopf und blickte zur regierungseigenen
Anlegestelle hinüber, die den privaten Handelsfahrern
der Kolonie verwehrt war.
»Bewegt euch, verdammtes Gesindel! Ich werde euch gleich
Beine machen, wenn ihr weiter so trödelt!«, brüllte dort drüben
ein stämmiger Korporal. Er trug die rote Uniform des New
South Wales Corps, das in der Sträflingskolonie eigentlich nur
für Ruhe und Ordnung sorgen sollte, in Wirklichkeit aber
schon längst die Macht an sich gerissen und dem jeweils regierenden
Gouverneur seinen Willen aufgezwungen hatte. Der
Handel mit Rum, der in New South Wales noch immer die
einzig gültige Währung darstellte, war fest in seiner Hand. Und
weder das Kolonialamt in London noch der Gouverneur der
Kolonie hatten dieses Rum-Monopol der korrupten Offiziersclique
zerschlagen können.
Der Korporal ließ seine Reitgerte warnend durch die Luft zischen.
Es gab ein scharfes Klatschen, als der schmale, biegsame
Stock auf einen der aufgestapelten Säcke traf und eine sichtbare
Einkerbung hinterließ. Ein wenig mehr Wucht, und das Sackleinen
wäre aufgeplatzt - wie die Haut der Sträflinge, die sich
etwas hatten zuschulden kommen lassen und öffentlich auf dem
Exerzierplatz vor den Militärbaracken mit der Neunschwänzigen
ausgepeitscht wurden. Schon eine Klage über die kargen
Tagesrationen genügte, um sich einige Dutzend Peitschenhiebe
einzuhandeln.
»Hoch mit den Säcken, ihr versoffenen Pestbeulen!«, schrie
der Korporal.
Sechs ausgemergelte, in Lumpen gekleidete Sträflinge mühten
sich ab, einen Lastenkahn zu entladen. Sie schufteten schon
seit dem Morgengrauen, wuchteten schwere Fässer und Säcke
auf die Anlegestelle und karrten sie zu einem nahe gelegenen
Lagerhaus. Eine Tasse Eukalyptustee und ein Kanten Brot, der
schon vom Schimmel befallen war, das war ihre karge morgendliche
Ration gewesen. Genug zum Überleben, wenn man in
einer Zelle saß und von robuster Natur war. Doch lächerlich
wenig, wenn man als Sträfling einer sogenannten Street Gang,
einem Arbeitskommando unter freiem Himmel zugeteilt war
und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Schwerstarbeit
verrichten musste.
Erschöpfung zeichnete ihre Gesichter, die nur noch aus Haut
und Knochen zu bestehen schienen. Die Augen lagen in tiefen
Höhlen, und nur ab und zu wich ihr trüber, apathischer Blick
einem Aufflackern von Hass. Doch zur Auflehnung fehlte ihnen
die Kraft. Keuchend nach Atem ringend und schweißüberströmt,
so wankten sie über das schmale Brett vom Lastkahn auf
die Anlegestelle hinüber, einen schweren Sack auf dem schmerzenden
Rücken.
Einer der Sträflinge, ein schmächtiger Bursche von kaum
achtzehn Jahren, tat sich besonders schwer. Ihm war anzusehen,
dass ihm schwere körperliche Arbeit vor seiner Verbannung in
die Sträflingskolonie Australien fremd gewesen war. Möglicherweise
hatte er Londons Straßen und Märkte als Taschendieb
unsicher gemacht, oder aber er zählte zu den irischen Rebellen,
die sich ebenso heldenhaft wie aussichtslos gegen die britische
Vorherrschaft auf ihrer Insel zur Wehr zu setzen versuchten.
Zu schwer war die Last auf seinem Rücken. Die Beine versagten
ihm den Dienst, und er stürzte auf der Anlegestelle in
den Dreck.
Mit einem Satz war der Korporal bei ihm. »Hoch mit dir,
du irischer Hund!«, schrie er und schlug zu. Der Stock sauste
auf den ausgelaugten jungen Mann nieder, der sich unter den
Hieben aufbäumte. »Wenn du erst dein eigenes Blut schmecken
willst, bevor du zu arbeiten bereit bist, kannst du das haben!«
Jessica zuckte zusammen, als sie das hässliche Klatschen der
Gerte hörte, die auf nackte Haut traf. Ihr Magen zog sich zusammen,
und ihr war, als spürte sie wieder die Peitsche, die
ihren Rücken damals in ein Stück rohes, aufgefetztes Fleisch
verwandelt hatte. Nur mit großer Willensanstrengung unter
drückte sie das Verlangen, gegen die unmenschliche Behandlung
der Sträflinge einzuschreiten. Es wäre nicht nur zwecklos,
sondern für sie auch in höchstem Maß gefährlich gewesen. Die
Macht und Willkür der Rumsoldaten kannte in diesen Monaten
des Jahres 1807 keine Grenzen. Wer sich mit ihnen anlegte,
konnte sich schnell in Ketten gelegt wiederfinden. Und da
machte es kaum einen Unterschied, ob er als freier Siedler nach
New South Wales gekommen oder mittlerweile ein sogenannter
Emanzipist war, ein Deportierter, der begnadigt worden war
oder seine Strafe abgebüßt hatte. So blieb nur ohnmächtiger
Zorn.
»Edward! Victoria!«, rief sie ihre Kinder, die erschrocken und
fasziniert zugleich die Züchtigung beobachteten. »Kommt sofort
her!«
Widerstrebend nahm der fünfjährige Junge seine zwei Jahre
jüngere Schwester an die Hand und kehrte zu seiner Mutter
zurück.
»Warum schlägt der Soldat den Mann, nur weil er müde und
gestürzt ist, Mami?«, fragte Edward verstört.
»Weil er kein Herz hat ... und ihm die Uniform mehr Macht
über andere Menschen verleiht, als es sein dürfte«, sagte Jessica
bitter.
»Dann will ich später auch eine Uniform tragen!«, verkündete
Edward. »Ich will viel Macht haben ...«
»Nein, das wirst du nicht! Und ich will nie wieder so etwas
Ungehöriges aus deinem Mund hören, hast du mich verstanden?
« In ihrer Erregung packte sie ihren Sohn fester an der
Schulter, als es ihre Absicht war.
»Du tust mir weh, Mami!« Erschrocken über ihre heftige
Reaktion blickte Edward zu ihr hoch.
Jessica löste ihren Griff und fuhr ihm entschuldigend über
sein dunkles Haar. »Tut mir leid. Das wollte ich nicht. Aber was
du da gesagt hast, hat mich ärgerlich gemacht. Die Männer in
den roten Röcken des Königs tun viel Unrecht! Wie also kannst
du einer von ihnen sein wollen?«
Edward senkte den Kopf und schwieg.
»Die Soldaten waren nie unsere Freunde und werden es auch
nie sein!«, sagte Jessica eindringlich. Wie alt sie auch werden
mochte, nie würde sie vergessen und verzeihen können, was
man ihr im Namen des Königs angetan hatte. Die Narben auf
ihrem Rücken würden bis zu ihrem Tod ein beredtes Zeugnis
von der Grausamkeit ablegen, die sie hatte erdulden müssen.
»Behalte es für dich und rede mit keinem darüber, mein Junge,
aber vergiss das nicht!«
»Nein, Mami«, versprach Edward kleinlaut.
»Ich mag keine Uniformen«, sagte Victoria und spielte mit
einer Locke ihres blonden Haares, das unter ihrem Strohbonnet
hervorquoll und einen herrlichen Kontrast zu ihrem blassrosanen
Musselinkleidchen bildete. »Und ich möchte auch nicht
nach England. Ich will nach Hause ... zu Anne und Lisa.«
»Schst«, machte Jessica, als sie das Ruderboot anlegen sah,
und öffnete den Schlag der Kutsche. »Rein mit euch. Ich bin
gleich wieder zurück.«
Ian McIntosh sprang aus dem Ruderboot an Land, bedeutete
dem Matrosen, dort zu warten, und kam Jessica entgegen. Er war
ein hochgewachsener, gewöhnlich wortkarger Mann mit blassblauen
Augen und einem dunkel gebräunten Gesicht. Von seinen
achtunddreißig Jahren hatte er ein gutes Drittel in Australien verbracht
und war beim Aufbau von Seven Hills in der Wildnis am
Hawkesbury River von Anfang an mit dabei gewesen. Die ersten
fünf Jahre als irischer Sträfling und Zwangsarbeiter, nach seiner
Begnadigung dann als Aufseher und später sogar als Verwalter.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Die Originalausgabe des Romans Das Ziel aller Sehnsucht von Ashley Carrington
erschien 1987 in der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur
Nachf. GmbH & Co. KG, München
Copyright der Originalausgabe © 1987 by Rainer M. Schröder,
vertreten durch AVA international GmbH, Germany.
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Umschlaggestaltung: Zeichenpool, München
Umschlagmotiv: Mauritius Images, Mittenwald (© Urbanlip);
Shutterstock (© kwest; © aquatic creature)
Druck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-430-4
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Ausgabe an.
nun immer fordernder über ihren Körper tasteten.
»Lass uns von was anderem reden«, sagte Kenneth mit belegter
Stimme. »Ich habe dich schon lange nicht mehr so gesehen,
Rose. Und fast hätte ich vergessen, wie du dich anfühlst.« Er
versuchte, sie an sich zu ziehen und seinen Mund in die Mulde
ihres Halses zu drücken.
Doch Rosetta stieß ihn zurück. »Rühr mich nicht an!«, zischte
sie, am Rande einer Panik. »Hast du keinen Anstand, mich so
zu bedrängen? Ich verabscheue es, wenn du dich so zügellos
benimmst wie ... wie ein Tier!«
Kenneth atmete heftig. »Du bist meine Frau, verdammt noch
mal!«, stieß er hervor und begann, seinen roten Uniformrock
aufzuknöpfen. »Und ich bin dein Mann! Der Teufel soll mich
holen, wenn ich mir von dir Vorschriften machen lasse, wann
ich zu dir ins Bett steigen darf! Du hast deine ehelichen Pflichten
zu erfüllen. Und wenn du es nicht freiwillig tust, werde ich
dich eben mit Gewalt nehmen!«
»Wage es ja nicht!«, flüsterte Rosetta und wich nicht einen
Schritt vor ihm zurück. Ihre schutzlose Nacktheit vergaß sie
einen Moment lang völlig. Trotzig reckte sie das Kinn mit dem
Grübchen in der Mitte. »Wage es ja nicht, mich gegen meinen
Willen zu berühren, Ken! Ich bringe dich um, das schwöre ich!«
»Du willst mich umbringen? Wie denn? Du bist ja kaum in
der Lage, den Suppenlöffel länger als fünf Minuten in der Hand
zu halten. Dann musst du dich ja schon wieder vor Erschöpfung
in die Kabine zurückziehen!«, höhnte er und lachte verächtlich,
blieb jedoch stehen, wo er war. »Komm, mach dich doch nicht
lächerlich!«
Rosetta schüttelte den Kopf. »Ich mag schwach und kränklich
sein, Ken. Aber ich werde niemals so schwach sein, um dich
nicht dafür bezahlen zu lassen, falls du versuchen solltest, mich
zu vergewaltigen!«, drohte sie.
»Du bist meine Frau!«, donnerte Ken wutentbrannt, senkte
aber sofort wieder seine Stimme, um nicht den Mitreisenden
Stoff für gehässigen Klatsch zu liefern. »Und du hast mir ewige
Liebe, Treue und Gehorsamkeit geschworen, verdammt noch
mal!«
»Ich hatte eine Fehlgeburt, das weißt du genau!«, antwortete
sie ausweichend.
»Das ist ja bei dir nichts Neues!«, stieß er mit bitterem Vorwurf
hervor. Es war schon die dritte Fehlgeburt in zwei Jahren
Ehe. Diesmal hatte sie die Krämpfe schon im vierten Monat
gehabt. Eine Woche nachdem sie aus dem Hafen von Kapstadt
ausgelaufen waren, wo die Andromeda neu verproviantiert
worden war und zwei weitere Passagiere an Bord gekommen
waren, hatte ihr Körper das Baby abgestoßen. Die Totgeburt
war auf See bestattet worden. Rosetta hatte ihm damals tränenreiche
Vorwürfe gemacht, dass er die Reise nach Australien
nicht in Kapstadt bis zur Geburt ihres Kindes unterbrochen
hatte, wie sie es mehrfach von ihm verlangt hatte. Denn die
mehr als sechsmonatige Seereise stellte für ihre sowieso schon
kränkliche Verfassung eine arge Strapaze dar, die dann nicht
ohne schwerwiegende Folgen geblieben war. Doch seine Befehle
hatten ihm keine Wahl gelassen. Sie hatten die Reise fortsetzen
müssen, obwohl auch er es im Nachhinein bedauerte.
Denn nichts wünschte er sich mehr als einen Sohn.
»Außerdem liegt das jetzt schon fast drei Monate zurück«,
fuhr Kenneth Forbes, Lieutenant des New South Wales Corps,
nun mit fast versöhnlichem Tonfall fort. »Du hast dich mittlerweile
von dem tragischen Verlust unseres Kindes recht gut
erholt, wie ich mich jetzt mit meinen eigenen Augen in natura
vergewissern kann.«
»Ich brauche mehr Zeit!«
Er verzog das Gesicht. Verraucht war der Zorn, der in ihm
das Verlangen nach Gewalt geweckt hatte. An seine Stelle war
eine kraftlose Verdrossenheit getreten. Verflüchtigt hatte sich
auch das Begehren, das in ihm bei ihrem Anblick aufgelodert
war.
»Was erwartest du überhaupt von mir? Dass ich dir ein ganzes
Jahr Schonung zubillige? Der Schiffsarzt ...«
»... ist ein alter Trottel!«, fiel Rosetta ihm selbstbewusst ins
Wort. Sie wusste, dass sie in dieser hässlichen Auseinandersetzung
die Oberhand gewonnen hatte. Ihre entschlossene Drohung
hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. »Ich werde dich wissen
lassen, wann ich bereit bin, meine ... ehelichen Pflichten wieder
aufzunehmen.«
Kenneth starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Manchmal habe ich den schrecklichen Verdacht, dass es dir
lieber wäre, ich würde dich überhaupt nicht begehren und niemals
mehr berühren.«
Hitze flutete durch ihr Gesicht. Sie wich seinem stechenden
Blick aus und fuhr schnell in ihr Nachtgewand. »Ich habe dir
nie etwas vorgemacht«, antwortete sie, »und so getan, als ob mir
an dieser Seite unserer Ehe besonders viel läge.«
»Nein, das hast du wahrlich nicht«, sagte er voller Groll.
»Vielleicht hättest du doch besser meine pummelige Schwester
heiraten sollen und nicht mich«, hielt sie ihm gereizt vor.
»Abigail wäre dir sicherlich willenlos wie eine dumme Kuh
überallhin gefolgt und hätte dir ein gesundes Kind nach dem
anderen geboren!«
Kenneth fuhr wieder in seinen Uniformrock. »Ja, dein Verhalten
hat diesen Gedanken in mir auch schon geweckt«, zischte
er und stürmte aus der Kabine. Er brauchte frische Luft, um
sich abzuregen, und stiefelte polternd den Niedergang zum
Achterdeck hoch.
2
Unter Vollzeug und auf Steuerbordbug durch die nur mäßig
bewegte See pflügend, segelte die Andromeda in den Sonnenuntergang.
Der feuerrote Glutball war am westlichen Horizont
schon tief gesunken und schien nun im Meer zu verglühen.
Während das Schiff schon im Dunkel der Nacht lag, loderte
über der Kimm noch ein letzter Streifen feuerroten Lichtes.
Lieutenant Kenneth Forbes stand an der Reling, eine schlanke
Gestalt von siebenundzwanzig Jahren und mehr als attraktivem
Aussehen. Er hatte die vollendeten Gesichtszüge einer klassischen
Marmorbüste. Unter schmalen, schwungvollen Brauen
lagen Augen, die von einem tiefen Braun waren und von langen
Wimpern überschattet wurden, um die ihn schon so manche
Frau beneidet hatte.
Er wusste aus Erfahrung, dass er zu jenen wenigen, von der
Natur reichhaltig bedachten Männern zählte, denen die Frauen
fast ohne Ausnahme zu Füßen lagen und die mit einem einzigen
Lächeln jeglichen weiblichen Widerstand dahinschmelzen
ließen wie Butter in der Sonne.
Genauso war es bei ihm bisher auch der Fall gewesen, seit er
die Macht seines Äußeren und die Unersättlichkeit seines Triebes
erkannt hatte - und das eine skrupellos eingesetzt hatte, um
die Befriedigung des anderen zu erreichen.
Alle waren sie ihm verfallen - ausgenommen Rosetta. Und
gerade sie hatte er, welch eine Ironie des Schicksals!, zur Frau
genommen! Wenn auch auf massiven Druck seiner Eltern, Sir
Wesley und Lady Catherine, hin, die seiner Skandale leid geworden
waren und ihm mit Enterbung gedroht hatten, nachdem
seine Affäre mit der Frau seines Rechtswissenschaftsprofessors
ein mittleres gesellschaftliches Erdbeben in Eton ausgelöst
hatte. Hätten seine Eltern ihn nicht quasi zur Ehe gezwungen,
wäre ihm das Missgeschick mit Rosetta sicherlich nicht passiert,
und er würde immer noch von einer sinnesfreudigen Schönheit
zur anderen flattern wie ein Schmetterling von einer duftenden
Blume zur anderen.
Doch die angedrohten Repressalien konnte er noch nicht
einmal vor sich selbst als Entschuldigung für seinen katastrophalen
Missgriff gelten lassen. Denn wenn sie ihn auch zur Ehe
gezwungen hatten, so hatten sie ihm doch immerhin noch so
viel Freiheit zugestanden, sich aus einer Anzahl möglicher Ehekandidatinnen
die ihm in Charakter und Äußerem gefälligste
auszuwählen.
Und ich musste mich ausgerechnet für Rosetta entscheiden!,
machte er sich im Stillen bittere Vorwürfe. Wie konnte ich nur
so von Blindheit geschlagen sein, dass ich nicht erkannt habe, was
sich hinter ihrem puppenhaften Äußeren verbarg? Wie konnte ich
nur so tölpelhaft sein, eine Frau in mein Ehebett zu nehmen, die
so anschmiegsam wie ein Reibeisen und so leidenschaftlich wie ein
Stück Holz ist! Sie hat recht: Da hätte ich mit ihrer einfältigen
Schwester Abigail sicherlich eine tausendmal bessere Wahl getroffen.
Sie hätte mir nicht zu widersprechen gewagt und mir zweifelsohne
einen kräftigen Sohn geschenkt, statt ständig zu kränkeln und eine
Fehlgeburt nach der anderen zu haben! Ein gefühlskaltes, aufsässiges
Weib. Und das mir! Ausgerechnet mir!
Wütend schlug er mit der flachen Hand auf die Reling, während
der Wachhabende die Seeleute in die Wanten schickte.
Geschmeidig enterten die Männer auf, um die Segel zu reffen.
Zu nahe war die fremde Küste, als dass Captain Browder es
gewagt hätte, auch bei Nacht mit prall geblähten Segeln seinen
Kurs beizubehalten. Nur bei sternenklarer Nacht würde er mit
einem zusätzlichen Mann im Ausguck weiter gen Nordwesten
segeln, statt bis zum Tagesanbruch beizudrehen.
Schritte wurden auf dem Deck hinter ihm laut, dann trat ein
kräftig gebauter Mann in dunklem Wollrock neben ihn an die
Reling und sog die milde Meeresbrise hörbar ein.
Es war Edward Chambers, einer der beiden Passagiere, die in
Kapstadt an Bord gekommen waren. Er war ein großer, breitschultriger
Mann in den Vierzigern mit einem schon ergrauten
Backenbart und einem Gesicht, das wie eine weite flache Landschaft
ohne besondere Merkmale war. Wenn man seinen eigenen
Worten Glauben schenken durfte, was Kenneth tat, war
er in der Sträflingskolonie New South Wales ein erfolgreicher
Geschäftsmann.
»Können Sie Land riechen, Lieutenant?«, begann Chambers
ein Gespräch in der ihm eigenen leutseligen Art. Er schnupperte
wie ein Hund, der eine Witterung aufnimmt. »Ich jedenfalls
kann Land riechen. Zwei Tage noch, mein Wort drauf, und wir
sehen die Einfahrt von Sydney Cove!«
Kenneth bedachte ihn mit einem flüchtigen Seitenblick und
war versucht zu erwidern, dass man nicht unbedingt in der Lage
zu sein brauchte, Land zu riechen, um solch eine Behauptung
aufzustellen. Denn dafür genügte ein kurzes Gespräch mit Cap-
tain Browder, aus dessen Quelle Chambers' Voraussage höchstwahrscheinlich
auch stammte. Doch Edward Chambers hatte
sich bisher als unterhaltsamer Mitreisender erwiesen. Und in
Anbetracht seines möglichen Einflusses in der jungen Kolonie
erschien es ihm höchst unklug, seine freundlich gemeinten
Worte mit einer sarkastischen Erwiderung zu vergelten.
»Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Ihre Vermutung
als zutreffend herausstellen sollte«, antwortete Kenneth
deshalb mit der gebotenen Höflichkeit und war plötzlich recht
froh, einen Gesprächspartner zu haben, der ihn auf andere Gedanken
brachte. »Die Faszination einer Seereise, von der andere
zu berichten wissen, ist mir und ganz bestimmt meiner Frau
verschlossen geblieben.«
Edward Chambers sah ihn mitfühlend an. »Ein zutiefst tragisches
und betrübliches Schicksal, das Sie und Ihre Gemahlin
zu ertragen hatten. Ich hoffe sehr, dass ihre Gesundung auch
weiterhin rasche Fortschritte macht.«
»Danke, ich will nicht klagen«, erwiderte Kenneth ausweichend
und lenkte das Gespräch auf ein ihm angenehmeres
Thema. »Ich kann es noch gar nicht glauben, dass diese grässlich
lange Reise in ein paar Tagen endlich hinter uns liegen soll.
Und ich versuche, mir vorzustellen, was mich dort erwartet.
Sagen Sie, wie sieht die Lage dort unten eigentlich aus?«
»Sie meinen politisch?«
»Ja. Mir ist so einiges zu Ohren gekommen, demnach es gewisse
Reibereien zwischen dem Corps, dem ich angehöre, und
dem Gouverneur geben soll.«
Edward Chambers lachte trocken auf. »Reibereien ist gut gesagt,
Lieutenant. Das ist ein offener Machtkampf, der schon
so lange dauert, wie diese Kolonie existiert - und das sind
jetzt, anno 1807, gut neunzehn Jahre. Doch er ist längst zu-
gunsten Ihrer Offiziere vom New South Wales Corps entschieden,
Lieutenant. Keinem Gouverneur ist es bis heute auch nur
ansatzweise gelungen, die Vormachtstellung des Corps in der
Kolonie ins Wanken zu bringen.«
»Man erzählt sich aber, dass Captain William Bligh, der neue
Gouverneur, vom Kolonialamt nach Sydney geschickt worden
ist, um gerade dies zu erreichen«, wandte Kenneth ein.
Chambers machte eine verächtliche Handbewegung. »Ach,
was! Wissen Sie, wie sie Bligh bei uns nennen? Brotfrucht-Bligh!
Oder auch Bounty-Bligh! Nein, von dem geht keine Gefahr aus.
Der Kerl ist ja noch nicht einmal mit den Meuterern seines
Schiffes damals, der Bounty, fertig geworden!«
»Aber ist er nicht von Lord Nelson höchstpersönlich für seine
Tapferkeit während der Seeschlacht auf der Reede von Kopenhagen
1801 geehrt worden?«, wandte Kenneth ein wenig skeptisch
ein. »Hat ihm das und sein Ruf, ein eisenharter Mann zu
sein, der keine Disziplinlosigkeit duldet, nicht einen starken
Rückhalt verschafft?«
»In London mag der Name Bligh vielleicht noch immer den
Klang eines Volkshelden haben«, räumte Chambers geringschätzig
ein. »Der Pöbel ist so leicht zu blenden. Aber in der
Kolonie, zwölftausend Meilen von England und der Admiralität
entfernt, gelten andere, viel rauere Gesetze, gegen die auch
ein Captain Bligh nicht anstinken kann. Er ist erst seit August
letzten Jahres in der Kolonie, Lieutenant, aber er hat sich in diesem
einen Jahr schon mehr Feinde auf allen Seiten gemacht als
manch einer jener glücklosen Gouverneure in seiner gesamten
Amtszeit. Nein, nein, er steht auf verlorenem Posten, lassen Sie
sich das von mir gesagt sein. Es sind Männer Ihres Schlages, die
Offiziere des New South Wales Corps, die bei uns die wahre
Macht in den Händen halten, und ich bin zuversichtlich, dass
das auch noch lange der Fall sein wird. Seien Sie froh, dass Sie
den roten Rock des Königs tragen und ein Offizierspatent besitzen!
Damit stehen Ihnen alle Tore und Chancen offen.«
»Das klingt ja fast wie eine Verheißung«, gab sich Kenneth
belustigt, brannte jedoch darauf, mehr über diese Chancen zu
erfahren.
»Nun, so meinte ich es auch. Ich weiß natürlich nicht, welcher
Natur Ihre Beweggründe sind, die Sie veranlasst haben,
dem New South Wales Corps beizutreten und nach Australien
zu kommen ...«, sagte Edward Chambers und ließ eine fragende
Pause eintreten.
Kenneth hütete sich, seine Beweggründe zu nennen und zu
offenbaren, dass sein Vater ihm unter Androhung der Enterbung
verboten hatte, sich vor Ablauf von mindestens fünf Jahren
wieder in England blicken zu lassen. Und so beschränkte
er sich in Ermangelung einer plausiblen Antwort auf die wenig
überzeugende Behauptung: »Nun, es war vorwiegend wohl die
Abenteuerlust in mir, die mich dazu bewogen hat, dieses Wagnis
einzugehen.«
Edward Chambers nickte, als akzeptierte er dies als hinreichende
Erklärung. Dabei wusste wohl niemand besser als er,
dass fast jeder, der nicht als Sträfling nach New South Wales
kam, schwerwiegende Gründe hatte, über die er sich sogar neuen
Freunden gegenüber lieber ausschwieg. Doch das behielt er für
sich. Die Vergangenheit eines freien Siedlers, Kaufmannes oder
Soldaten war tabu in der Kolonie. Und wer seine Neugierde
nicht zu bezähmen wusste, konnte sich schneller Todfeinde
schaffen als auf irgendeine sonstige Art und Weise. »Wenn Sie
das Wagnis suchen, werden Sie ganz ohne Frage dort auf Ihre
Kosten kommen, Lieutenant«, versicherte er. »Für einen Mann,
der über genügend Tatkraft verfügt und seine Position zu sei-
nem Vorteil zu nutzen weiß, gibt es heute wohl keinen besseren
Ort als New South Wales, wo man mit wenig Einsatz schnell zu
einem ansehnlichen Vermögen kommen kann.«
»Sie scheinen aus eigener Erfahrung zu sprechen, wenn ich
mir diese hoffentlich nicht indiskrete Bemerkung erlauben
darf«, sagte Kenneth, in höchstem Maße interessiert, wie er
denn ausgerechnet an so einem gottverlassenen Ort sein Glück
machen könnte.
»Sie dürfen, Lieutenant. Ich spreche in der Tat aus eigener
Erfahrung. Als ich vor gut einem Jahrzehnt nach Sydney kam,
hatte ich einen ... nun, sagen wir mal geschäftlichen Tiefstand
erreicht«, gestand Edward Chambers offenherzig. »Ich hatte ein
nicht unbeträchtliches Vermögen verloren, als die verdammten
Kolonisten in Amerika, Gott möge sie für ihren schändlichen
Verrat ewig in der Hölle schmoren lassen, als dieses elende Verräterpack
sich gegen unseren König erhoben und ihre Unabhängigkeit
mit Hilfe der verfluchten Franzmänner erstritten hatte.«
»Ich weiß, der Verlust unserer amerikanischen Kolonie war
ja der Anlass für die Gründung einer neuen Kolonie, um unser
Land vom Abschaum der Verbrecher zu befreien, die unsere
Gefängnisse überfüllten«, erinnerte sich Kenneth.
»So ist es. Aber mir war sofort klar, dass sich die Besiedlung
von New South Wales ähnlich wie damals in unseren ehemaligen
amerikanischen Kolonien entwickeln würde und sich nach
einigen schweren Anfangsjahren Möglichkeiten bieten würden,
mit wie gesagt wenig Einsatz viel Profit zu machen. Und so ist es
auch geschehen. Ich habe in Kapstadt nicht nur Merinoschafe,
Vieh und ein paar Pferde sowie landwirtschaftliche Gerätschaften
eingekauft, die mir beim Verkauf in der Kolonie einen Gewinn
von mindestens vierhundert Prozent sichern«, offenbarte
Chambers ihm stolz, »sondern ich habe mich vor allem auch
mit jeder Menge Kapbrandy und Rum eingedeckt. Denn Rum,
mein lieber Freund, ist bei uns mehr wert als pures Gold!«
Kenneth hob fragend die Augenbrauen.
»Ohne Rum läuft in der Kolonie gar nichts«, erklärte Chambers.
»Kein Sträfling, der nicht sein Quantum verlangt und erhält.
Ob Männer oder Frauen, sie sind süchtig danach - und das
ist auch gut so. Mit Rum halten wir dieses Pack unter Kontrolle.
Haben die Deportierten ihre Strafe verbüßt oder sind sie begnadigt
worden, dann werden sie auch mit Rum bezahlt. Rum
ist die Währung für all diejenigen armen Tölpel, ob nun freie
Siedler oder Sträflinge, die irgendetwas kaufen oder verkaufen
wollen. Wenn man selbst Zugang zu den Rumquellen hat, ist
das ein spottbilliger Weg, Arbeitskräfte oder anderes zu kaufen.
Mich kostet die Gallone keine vier Shilling, doch wer bei mir
kauft, muss zwanzig Shilling und mehr bezahlen.«
»Ich denke, es gibt in der Kolonie keine Münzwährung?«
Chambers lachte. »Das trifft auch für die meisten armen
Schlucker zu. Wir achten darauf, dass sie kein Geld in die Finger
bekommen. So nehmen wir eben Vieh, Getreide und anderes in
Zahlung, wobei wir natürlich ein Schaf nicht zu dem Preis akzeptieren,
zu dem wir es verkaufen würden. Den Leuten bleibt keine
andere Wahl. Sie sehen also, wir haben alles bestens durchdacht.«
»Wer ist wir?«, wollte Kenneth wissen.
»Wir? Das ist das Rum-Monopol, und es wird vom New
South Wales Corps und einigen weitsichtigen Leuten meines
Schlages kontrolliert!«, prahlte Chambers. »Auch ein William
Bligh wird daran nichts ändern können.«
»Interessant ...«
Chambers beugte sich zu ihm. »Ich gebe Ihnen einen guten
Rat, Lieutenant. Wenn Sie in der Kolonie sind, überlassen Sie
das Farmen anderen oder kaufen Sie sich eine Farm, die Sie
bewirtschaften lassen. Als Offizier kommen Sie leicht an ein
Arbeitskommando aus Sträflingen. Vertrödeln Sie also selbst
keine Zeit mit solchem langwierigen Unfug, sondern verschaffen
Sie sich Zugang zum Kreis derjenigen, die das Heft fest in
der Hand halten.«
Kenneth lachte auf. »Ich habe nicht das Geringste dagegen
einzuwenden. Die Frage ist nur, ob man mich auch an dem
fetten Kuchen teilhaben lässt. Es gibt niemanden in New South
Wales, den ich auch nur im Entferntesten kennen würde.«
»Lassen Sie das mal meine Sorge sein. Ich werde Ihnen die
notwendigen Kontakte schon verschaffen«, versprach Chambers.
»Wir können Männer wie Sie in unserem Kreis immer
gebrauchen.«
»Ein großzügiges Angebot, das mich tief in Ihrer Schuld stehen
lässt«, bedankte sich Kenneth mit unverhohlener Begeisterung.
»Sollte ich einmal Ihre Unterstützung benötigen, werde ich
nicht zögern, Sie darum zu bitten«, versicherte der gerissene
Kaufmann.
Kenneth zweifelte nicht daran.
»Und nun kommen Sie. Der Erste und Mister Marwick werden
schon ungeduldig auf uns warten, damit wir uns zu unserer
abendlichen Spielrunde an den Tisch setzen können. Vielleicht
werden Sie auf meine Hilfe überhaupt nicht angewiesen sein,
wenn Sie auch weiterhin so viel Glück mit den Karten haben«,
scherzte Chambers.
»Ja, gern«, sagte Kenneth und starrte einen Augenblick versonnen
in die Dunkelheit. Es stimmte nicht ganz, was er gesagt
hatte. Es war möglich, dass er doch einen Menschen in der
Sträflingskolonie kannte - Jessica.
Ob sie überhaupt noch lebte?
3
Jessica Brading stand im warmen Licht der australischen Mittagssonne
neben ihrer Kutsche am Hafen und blickte zur
Southwind hinüber, die in der weiten Bucht von Sydney Cove
neben einem amerikanischen Segler vor Anker lag. Ein versonnenes
Lächeln lag auf ihrem zartgeschnittenen Gesicht, das eine
ganz besondere Art von Schönheit ausstrahlte, die mehr von
innen kam, als auf äußerlichen Vorzügen beruhte. Fast so seegrün
wie das Wasser der geschützten Bucht waren ihre Augen,
die nun die eleganten Linien des Dreimasters bewunderten. Sie
hatte für sich und ihre Kinder Edward und Victoria, die etwas
abseits der Kutsche spielten, eine Passage auf der Southwind
gebucht, von der es hieß, dass sie ein schnelles Schiff sei und
die Überfahrt nach England in weniger als fünf Monaten bewältigen
könne.
Jessica seufzte unwillkürlich. England! Wie lange war es her,
dass sie England als Deportierte an Bord eines Sträflingsschiffes
verlassen hatte? Fast sechs Jahre! Gerade achtzehn war sie damals
gewesen.
Sechs Jahre waren nicht viel in England. Doch hier in Australien,
unter dem Kreuz des Südens, war das wie ein ganzes
Leben. Wer hier als Deportierter von Bord eines Sträflingsschiffes
ging, hatte die Unbekümmertheit der Jugend auf der
Überfahrt längst verloren, wie jung an Jahren er auch sein
mochte. In dieser von Naturkatastrophen heimgesuchten Kolonie
starben in der alles versengenden Sonne des Sommers
nicht nur die Schwachen und Willenlosen wie die Fliegen.
Auch erfahrene Siedler, die ihren Mann standen und sich tagaus,
tagein den Rücken krumm schufteten, zählten immer
wieder zu den Opfern, die dieses wilde Land forderte. Nur
wer über eine eiserne Willenskraft und unbeugsame Härte
verfügte, wie das bei Jessica Brading der Fall war, hatte in dieser
Sträflingskolonie eine Chance, zu überleben und sich zu
behaupten.
Jessica wandte ihre Aufmerksamkeit nun dem kleinen Ruderboot
zu, das vor wenigen Minuten von der Southwind abgelegt
hatte und von einem Matrosen mit kräftigen, gleichmäßigen
Riemenschlägen über die stille Bucht ans Ufer gerudert
wurde. Ian McIntosh, der Verwalter ihrer Farm Seven Hills
am Hawkesbury River, saß vorn im Boot, steil und aufrecht, wie
es seine Art war. Doch an diesem Tag wirkte er besonders starr
und verschlossen, wie ein Granitblock.
»Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen«, dachte sie
und machte sich nun Vorwürfe. »Vor allem hätte ich Ian nicht
die Last der Verantwortung allein tragen lassen dürfen.«
Sicher, nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, der so sinnlos
gewesen war und sie mit der niederschmetternden Wucht
eines Axthiebes getroffen hatte, war sie verzweifelt gewesen
und hatte auf Seven Hills in nichts mehr einen Sinn gesehen.
Genug der Opfer und der Leiden!, hatte sie sich gesagt. Doch
der Schmerz über seinen Verlust war keine Entschuldigung,
bestenfalls eine Erklärung. Sie hätte sich nicht so lange treiben
lassen dürfen. Hätte Ian sich damals nicht um alles gekümmert,
stände es heute schlecht um die Farm.
Eine scharfe Stimme drang zu ihr herüber und riss sie aus ihren
Gedanken. Sie wandte den Kopf und blickte zur regierungseigenen
Anlegestelle hinüber, die den privaten Handelsfahrern
der Kolonie verwehrt war.
»Bewegt euch, verdammtes Gesindel! Ich werde euch gleich
Beine machen, wenn ihr weiter so trödelt!«, brüllte dort drüben
ein stämmiger Korporal. Er trug die rote Uniform des New
South Wales Corps, das in der Sträflingskolonie eigentlich nur
für Ruhe und Ordnung sorgen sollte, in Wirklichkeit aber
schon längst die Macht an sich gerissen und dem jeweils regierenden
Gouverneur seinen Willen aufgezwungen hatte. Der
Handel mit Rum, der in New South Wales noch immer die
einzig gültige Währung darstellte, war fest in seiner Hand. Und
weder das Kolonialamt in London noch der Gouverneur der
Kolonie hatten dieses Rum-Monopol der korrupten Offiziersclique
zerschlagen können.
Der Korporal ließ seine Reitgerte warnend durch die Luft zischen.
Es gab ein scharfes Klatschen, als der schmale, biegsame
Stock auf einen der aufgestapelten Säcke traf und eine sichtbare
Einkerbung hinterließ. Ein wenig mehr Wucht, und das Sackleinen
wäre aufgeplatzt - wie die Haut der Sträflinge, die sich
etwas hatten zuschulden kommen lassen und öffentlich auf dem
Exerzierplatz vor den Militärbaracken mit der Neunschwänzigen
ausgepeitscht wurden. Schon eine Klage über die kargen
Tagesrationen genügte, um sich einige Dutzend Peitschenhiebe
einzuhandeln.
»Hoch mit den Säcken, ihr versoffenen Pestbeulen!«, schrie
der Korporal.
Sechs ausgemergelte, in Lumpen gekleidete Sträflinge mühten
sich ab, einen Lastenkahn zu entladen. Sie schufteten schon
seit dem Morgengrauen, wuchteten schwere Fässer und Säcke
auf die Anlegestelle und karrten sie zu einem nahe gelegenen
Lagerhaus. Eine Tasse Eukalyptustee und ein Kanten Brot, der
schon vom Schimmel befallen war, das war ihre karge morgendliche
Ration gewesen. Genug zum Überleben, wenn man in
einer Zelle saß und von robuster Natur war. Doch lächerlich
wenig, wenn man als Sträfling einer sogenannten Street Gang,
einem Arbeitskommando unter freiem Himmel zugeteilt war
und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Schwerstarbeit
verrichten musste.
Erschöpfung zeichnete ihre Gesichter, die nur noch aus Haut
und Knochen zu bestehen schienen. Die Augen lagen in tiefen
Höhlen, und nur ab und zu wich ihr trüber, apathischer Blick
einem Aufflackern von Hass. Doch zur Auflehnung fehlte ihnen
die Kraft. Keuchend nach Atem ringend und schweißüberströmt,
so wankten sie über das schmale Brett vom Lastkahn auf
die Anlegestelle hinüber, einen schweren Sack auf dem schmerzenden
Rücken.
Einer der Sträflinge, ein schmächtiger Bursche von kaum
achtzehn Jahren, tat sich besonders schwer. Ihm war anzusehen,
dass ihm schwere körperliche Arbeit vor seiner Verbannung in
die Sträflingskolonie Australien fremd gewesen war. Möglicherweise
hatte er Londons Straßen und Märkte als Taschendieb
unsicher gemacht, oder aber er zählte zu den irischen Rebellen,
die sich ebenso heldenhaft wie aussichtslos gegen die britische
Vorherrschaft auf ihrer Insel zur Wehr zu setzen versuchten.
Zu schwer war die Last auf seinem Rücken. Die Beine versagten
ihm den Dienst, und er stürzte auf der Anlegestelle in
den Dreck.
Mit einem Satz war der Korporal bei ihm. »Hoch mit dir,
du irischer Hund!«, schrie er und schlug zu. Der Stock sauste
auf den ausgelaugten jungen Mann nieder, der sich unter den
Hieben aufbäumte. »Wenn du erst dein eigenes Blut schmecken
willst, bevor du zu arbeiten bereit bist, kannst du das haben!«
Jessica zuckte zusammen, als sie das hässliche Klatschen der
Gerte hörte, die auf nackte Haut traf. Ihr Magen zog sich zusammen,
und ihr war, als spürte sie wieder die Peitsche, die
ihren Rücken damals in ein Stück rohes, aufgefetztes Fleisch
verwandelt hatte. Nur mit großer Willensanstrengung unter
drückte sie das Verlangen, gegen die unmenschliche Behandlung
der Sträflinge einzuschreiten. Es wäre nicht nur zwecklos,
sondern für sie auch in höchstem Maß gefährlich gewesen. Die
Macht und Willkür der Rumsoldaten kannte in diesen Monaten
des Jahres 1807 keine Grenzen. Wer sich mit ihnen anlegte,
konnte sich schnell in Ketten gelegt wiederfinden. Und da
machte es kaum einen Unterschied, ob er als freier Siedler nach
New South Wales gekommen oder mittlerweile ein sogenannter
Emanzipist war, ein Deportierter, der begnadigt worden war
oder seine Strafe abgebüßt hatte. So blieb nur ohnmächtiger
Zorn.
»Edward! Victoria!«, rief sie ihre Kinder, die erschrocken und
fasziniert zugleich die Züchtigung beobachteten. »Kommt sofort
her!«
Widerstrebend nahm der fünfjährige Junge seine zwei Jahre
jüngere Schwester an die Hand und kehrte zu seiner Mutter
zurück.
»Warum schlägt der Soldat den Mann, nur weil er müde und
gestürzt ist, Mami?«, fragte Edward verstört.
»Weil er kein Herz hat ... und ihm die Uniform mehr Macht
über andere Menschen verleiht, als es sein dürfte«, sagte Jessica
bitter.
»Dann will ich später auch eine Uniform tragen!«, verkündete
Edward. »Ich will viel Macht haben ...«
»Nein, das wirst du nicht! Und ich will nie wieder so etwas
Ungehöriges aus deinem Mund hören, hast du mich verstanden?
« In ihrer Erregung packte sie ihren Sohn fester an der
Schulter, als es ihre Absicht war.
»Du tust mir weh, Mami!« Erschrocken über ihre heftige
Reaktion blickte Edward zu ihr hoch.
Jessica löste ihren Griff und fuhr ihm entschuldigend über
sein dunkles Haar. »Tut mir leid. Das wollte ich nicht. Aber was
du da gesagt hast, hat mich ärgerlich gemacht. Die Männer in
den roten Röcken des Königs tun viel Unrecht! Wie also kannst
du einer von ihnen sein wollen?«
Edward senkte den Kopf und schwieg.
»Die Soldaten waren nie unsere Freunde und werden es auch
nie sein!«, sagte Jessica eindringlich. Wie alt sie auch werden
mochte, nie würde sie vergessen und verzeihen können, was
man ihr im Namen des Königs angetan hatte. Die Narben auf
ihrem Rücken würden bis zu ihrem Tod ein beredtes Zeugnis
von der Grausamkeit ablegen, die sie hatte erdulden müssen.
»Behalte es für dich und rede mit keinem darüber, mein Junge,
aber vergiss das nicht!«
»Nein, Mami«, versprach Edward kleinlaut.
»Ich mag keine Uniformen«, sagte Victoria und spielte mit
einer Locke ihres blonden Haares, das unter ihrem Strohbonnet
hervorquoll und einen herrlichen Kontrast zu ihrem blassrosanen
Musselinkleidchen bildete. »Und ich möchte auch nicht
nach England. Ich will nach Hause ... zu Anne und Lisa.«
»Schst«, machte Jessica, als sie das Ruderboot anlegen sah,
und öffnete den Schlag der Kutsche. »Rein mit euch. Ich bin
gleich wieder zurück.«
Ian McIntosh sprang aus dem Ruderboot an Land, bedeutete
dem Matrosen, dort zu warten, und kam Jessica entgegen. Er war
ein hochgewachsener, gewöhnlich wortkarger Mann mit blassblauen
Augen und einem dunkel gebräunten Gesicht. Von seinen
achtunddreißig Jahren hatte er ein gutes Drittel in Australien verbracht
und war beim Aufbau von Seven Hills in der Wildnis am
Hawkesbury River von Anfang an mit dabei gewesen. Die ersten
fünf Jahre als irischer Sträfling und Zwangsarbeiter, nach seiner
Begnadigung dann als Aufseher und später sogar als Verwalter.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Die Originalausgabe des Romans Das Ziel aller Sehnsucht von Ashley Carrington
erschien 1987 in der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur
Nachf. GmbH & Co. KG, München
Copyright der Originalausgabe © 1987 by Rainer M. Schröder,
vertreten durch AVA international GmbH, Germany.
www.ava-international.de
Umschlaggestaltung: Zeichenpool, München
Umschlagmotiv: Mauritius Images, Mittenwald (© Urbanlip);
Shutterstock (© kwest; © aquatic creature)
Druck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-430-4
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Ausgabe an.
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Autoren-Porträt von Ashley Carrington
Mit einer Gesamtauflage in Deutschland von fast 6 Millionen zählt Rainer M. Schröder, alias Ashley Carrington, zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellern von Jugendbüchern sowie historischen Gesellschaftsromanen für Erwachsene. Letztere erscheinen seit 1984 unter seinem zweiten, im Pass eingetragenen Namen Ashley Carrington.Rainer M. Schröder lebt Atlanta in den USA.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ashley Carrington
- 2011, 1, 335 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868004300
- ISBN-13: 9783868004304
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