Jessica - In der Ferne lockt das Glück
Band 3
Jessica kämpft in Australien um ihre Existenz. Doch die Vergangenheit holt sie wieder ein. Ihr Halbbruder Kenneth Forbes, mit dem sie eine verbotene Liebe verband, gibt nicht auf und will Jessica um jeden Preis zurückgewinnen. Doch Jessica ist bereit, sich zu wehren.
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
3.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Jessica - In der Ferne lockt das Glück “
Jessica kämpft in Australien um ihre Existenz. Doch die Vergangenheit holt sie wieder ein. Ihr Halbbruder Kenneth Forbes, mit dem sie eine verbotene Liebe verband, gibt nicht auf und will Jessica um jeden Preis zurückgewinnen. Doch Jessica ist bereit, sich zu wehren.
Lese-Probe zu „Jessica - In der Ferne lockt das Glück “
Jessica - In der Ferne lockt das Glück von Ashley Carrington1
... mehr
Tiefschwarze Nacht lag über der Sträflingskolonie New South Wales, als sich die beiden Todfeinde erneut Auge in Auge gegenüberstanden. Gouverneur William Bligh, von Feinden und Spöttern auch »Brotfrucht-Bligh« oder »Bounty-Bligh« genannt, empfing John MacArthur im Arbeitszimmer seiner Residenz, die am Ostufer der malerischen Bucht von Sydney lag. Er kochte innerlich vor nur mühsam unterdrücktem Zorn, dass es überhaupt notwendig geworden war, den Großgrundbesitzer zu einem Gespräch zu sich zu bitten. Jawohl, er hatte darum gebeten, zum Teufel noch mal! Dabei hätte er ihn am liebsten in Ketten legen und in ein finsteres Kerkerloch werfen lassen!
»Stehe ganz zu Ihren Diensten, Exzellenz«, machte sich John MacArthur bemerkbar, nachdem der Hausdiener ihn dem Gouverneur gemeldet hatte und nun hinter ihm die hohen Doppelflügel der Tür schloss. Seine Stimme hatte einen beiläufigen, spöttischen Unterton, als wüsste er, wie sehr es dem Gouverneur widerstrebte, ihn zu empfangen - gab er dadurch seiner Ansicht nach doch zu erkennen, dass er sich über die wahre Machtverteilung in New South Wales keine Illusionen mehr machte.
Die Arme auf dem Rücken verschränkt, stand Gouverneur Bligh am Fenster, eine kantige, beeindruckende Gestalt von dreiundfünfzig Jahren. Er hielt sich steif und aufrecht wie ein Ladestock. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens die Planken eines Schiffes unter seinen Füßen gehabt und auf den Schiffen, die unter seinem Kommando standen, mit der Strenge eines absoluten Herrschers regiert. Diplomatie war seine Stärke nicht, doch als Gouverneur dieser Kolonie wurde sie von ihm erwartet. Es war seine Pflicht - der Teufel mochte sie holen -, sich sogar mit diesem infamen Aufrührer John MacArthur abzugeben!
Mit einer abrupten Bewegung drehte er sich zu seinem späten Besucher um, das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht verschlossen.
Einen Augenblick musterten sich die Widersacher schweigend. John MacArthur stand lässig an der Tür, ein großer, elegant gekleideter Mann von vierzig Jahren, mit einer scharfgeschnittenen Nase und welligen schwarzen Haaren, die er nach vorn in die Stirn gekämmt trug, um lichte Stellen zu verbergen. Er erwiderte den stechenden Blick von Bligh mit der für ihn so bezeichnenden Selbstsicherheit, die er nicht selten bis an die Grenze der Unerträglichkeit herauskehrte.
Es war MacArthur, der schließlich das feindselige Schweigen brach. »Sie haben um diese Unterredung gebeten, Exzellenz. Ich gehe deshalb wohl nicht fehl in der Annahme, dass es sich um Dinge von nicht unwesentlicher Bedeutung handeln muss, die Sie zu dieser späten Stunde mit mir zu besprechen wünschen.« Seine Gesten, die er mit dem vergoldeten Gehstock machte, unterstrichen noch den Eindruck seiner Selbstgefälligkeit.
Blighs Gesicht nahm einen verdrossenen Ausdruck an. Das war es, was Bligh an diesem MacArthur noch mehr als dessen Intrigen hasste: diese aalglatte, arrogante Art, die er an den Tag legte - sogar ihm gegenüber, dem Gouverneur und Stellvertreter des Königs! Und er hatte Mühe, ihm nicht auf seine derbe, direkte Art zu antworten.
»Ich habe Sie nicht kommen lassen«, antwortete er, das Wort »gebeten« dabei bewusst vermeidend. MacArthur war schon aufgeblasen genug. Doch da er nicht länger den Offiziersrock trug, hatte er ihn schlecht zu sich befehlen können, »um mit Ihnen wichtige Angelegenheiten zu besprechen, Mister MacArthur, sondern um Ihnen einen guten Rat zu geben, ja, Sie zu warnen!«
Der Großgrundbesitzer, der wohl zu den reichsten Männern der jungen Kolonie zählte und die größte Farm mit Tausenden Acres bestem Weideland bei Parramatta sein Eigen nannte, gab sich überrascht und zog die Augenbrauen hoch. »Warnen, Sir? Ihre Wortwahl verwundert mich, gelinde ausgedrückt.«
»Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bald wirklich Grund haben, sich zu wundern!«, versicherte Bligh.
»Sie sprechen in Rätseln, und ich habe nicht die Absicht, meine Zeit mit dem Lösen von Rätseln zu vergeuden, ... Sir!«
»Sie wissen genau, wovon ich rede!«, stieß Gouverneur Bligh erregt hervor. Was das hitzige Temperament anging, standen sich die beiden Männer in nichts nach. Bligh war genauso aufbrausend und selbstgerecht wie sein ärgster Kontrahent in dieser Kolonie. Das wusste er auch, doch hielt er sich zugute, dass er niemals im Handeln ungerecht war. Das hatte auch das Kriegsgericht bestätigt, das die Vorgänge, die zur Meuterei auf seinem Schiff, der BOUNTY, führten, geprüft hatte. 1789 war das gewesen, vor über achtzehn Jahren.
»Bei allem Respekt, Sir, aber ich verstehe ganz und gar nicht, wovon Sie reden«, stellte sich John MacArthur ahnungslos und genoss insgeheim die Erregung des Gouverneurs. Vor fast anderthalb Jahren, im August 1806, hatte Bounty-Bligh Gouverneur King abgelöst. Und er war angetreten, das Rum-Monopol zu brechen, das MacArthur mit seinen Freunden vom Offizierscorps und ein paar geschäftstüchtigen Händlern aufgebaut hatte. Rum regierte die Kolonie, und da sie den Handel damit beherrschten, lag die tatsächliche Macht in ihren Händen - und nicht in denen des Gouverneurs, wie immer er auch heißen mochte. Das war schon zu Zeiten von Gouverneur Hunter und Gouverneur King so gewesen, und daran hatte auch der hartgesottene Bligh, den ihnen das Kolonialamt in London geschickt hatte, bisher nichts ändern können.
Bligh ballte die Hände zu Fäusten. »Sie und Ihre Offiziersfreunde vom New South Wales Corps sabotieren meine Befehle und Anordnungen ... wie Sie auch die meiner Vorgänger sabotiert haben!«
John MacArthur straffte sich. »Sie sind der Gouverneur der Kolonie, aber das gibt Ihnen noch längst nicht das Recht, einen freien Mann solcher Dinge zu beschuldigen! Ihre Bemerkungen verletzen meine Ehre, Sir, und ich könnte Sie dafür zum Duell fordern!«
Ein verächtliches Lächeln trat auf Blighs Gesicht. »So, wie Sie vor ein paar Jahren Ihren Vorgesetzten, den Truppenkommandeur, zum Duell gefordert haben, als Sie mit seinen Befehlen nicht einverstanden waren und noch den Rock des Königs trugen, ja? Dafür hätten Sie den Strick verdient!«
»Die Anklage erwies sich als gegenstandslos, und es wurde kein Kriegsgerichtsverfahren gegen mich eingeleitet, falls Sie das vergessen haben sollten«, gab MacArthur spöttisch zurück.
Bligh starrte ihn wütend an. Er hatte es nicht vergessen und erinnerte sich noch sehr wohl, warum man MacArthur in London nicht den Prozess gemacht hatte. Die sehr detaillierte Anklageschrift, die Gouverneur King zusammen mit dem unter Arrest stehenden John MacArthur nach England geschickt hatte, war trotz größter Sicherheitsvorkehrungen während der monatelangen Überfahrt verschwunden. Und in London hatte MacArthur es verstanden, seine zahlreichen Gönner und einflussreichen Freunde zu seinem Nutzen zu mobilisieren. Zwar hatte er die Offizierslaufbahn an den Nagel gehängt, doch er war nicht nur ungestraft, sondern geradezu als strahlender Sieger nach New South Wales zurückgekehrt - mit einer Landschenkungsurkunde, die seine Farm um mehrere Tausend Acres fruchtbares Land vergrößert hatte. Und dass er nicht länger die Uniform trug, hatte ihn nicht daran gehindert, bei seinen Offiziersfreunden weiterhin das große Wort zu führen - und die Fäden des Monopols in der Hand zu behalten.
»Ich weiß, dass Sie mit den Duellpistolen schnell bei der Hand sind«, gab Bligh kalt zurück. »Aber ich werde Ihnen diese Genugtuung nicht geben. Wir sind hier unter vier Augen, und ich sage Ihnen zum letzten Mal, dass ich nicht länger gewillt bin, Ihrem Verhalten tatenlos zuzusehen.«
»Ich bin Farmer und habe wie jeder andere freie Siedler das Recht, meine Interessen zu vertreten. Ihre Anschuldigungen sind grotesk!«, verwahrte sich MacArthur.
»So? Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Jedem in der Kolonie ist bekannt, dass Sie und Ihre Freunde einen schwunghaften Handel mit Rum betreiben, und dieses Rum-Monopol hat die Kolonie lange genug stranguliert.«
»Sir! Das werden Sie auf der Stelle ... «, setzte MacArthur zu einem heftigen Protest an.
Bligh fuhr ihm barsch in die Rede. »Lassen Sie mich ausreden! Ich weiß, dass Sie und Ihre ... Kameraden illegale Rum-Destillerien betreiben, seit ich die Einfuhr von Rum streng kontrollieren lasse, und diesen Fusel zusammen mit Ihren Komplizen mit einem ungeheuren Profit verkaufen. Doch das wird ein Ende haben!«
»Ich gedenke nicht, mir diese ... Ungeheuerlichkeiten noch länger anzuhören, Sir!«, erwiderte John MacArthur voller Empörung. »Ich dachte, wir hätten einen Kompromiss finden können, der zum Wohle der Allgemeinheit ... «
»Wie können Sie es wagen, vom Wohl der Allgemeinheit zu sprechen?«, schnitt Bligh ihm das Wort ab, und seine Stimme bebte vor Zorn. »Das Wohl der Allgemeinheit interessiert Sie doch einen Dreck! Ihnen geht es doch nur darum, Ihre Taschen zu füllen. Dass Sie dabei die Kolonie aussaugen, schert Sie doch genauso wenig wie das Schicksal der Sträflinge, die sich mit Ihrem verfluchten Fusel zu Tode saufen!«
John MacArthur stieg das Blut ins Gesicht. »Das reicht, Gouverneur Bligh!«
»O nein, das reicht noch längst nicht!«, donnerte Bligh, während MacArthur schon auf die Tür zuschritt. »Ich werde mir Ihre Intrigen, Ihr aufrührerisches Verhalten gegen den König nicht länger gefallen lassen. Dies war meine letzte Warnung, Mister MacArthur, haben Sie mich verstanden?!«
MacArthur riss die Tür auf und fuhr noch einmal zu Bligh herum. Sein Gesicht war hassverzerrt. »Ich habe sehr wohl verstanden, Gouverneur!« Er spuckte das Wort förmlich aus. »Aber offensichtlich haben Sie noch nicht verstanden, dass Sie sich hier nicht auf einem Kriegsschiff befinden, wo Ihr Wort Gesetz ist und Sie uneingeschränkt über Leben und Tod bestimmen können! Dies ist eine Kolonie, und da gelten andere Gesetze, die auch Sie zu beachten haben!« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich wieder um und knallte die Tür hinter sich zu.
»Dieser verdammte Dreckskerl!«, fluchte Bligh, griff nach seiner Tonpfeife und schleuderte sie gegen die Wand, wo sie in Scherben zerbrach.
Wütend auf MacArthur und auf sich selbst, weil er sich wieder zu einem derartigen Gefühlsausbruch hatte hinreißen lassen, ließ er sich in seinen ledergepolsterten Armsessel fallen. Er fühlte sich plötzlich sehr müde und sehr alt.
Welch merkwürdige Wendung hatte sein Leben doch genommen. Er war immer ein Mann der See gewesen. Mit James Cook war er als Steuermann um die Welt gesegelt, hatte sich als Captain unter Lord Nelson in blutigen Seeschlachten höchste Auszeichnungen erworben und war als Held in die Geschichte eingegangen. Wer konnte vorweisen, was er vorzuweisen hatte? Als ihn die verfluchten Meuterer mit neunzehn Getreuen in einem kleinen, offenen Boot mitten in der Südsee ausgesetzt hatten, hatten sie fest mit ihrem Tod gerechnet. Doch ihm war das Unvorstellbare gelungen: Fast ohne Wasser und ohne Nahrung und im Kampf gegen Stürme und kriegerische Eingeborene hatte er sie in dieser Nussschale nach Batavia gebracht - und dabei viertausend Seemeilen zurückgelegt. Eine seemännische Meisterleistung, die ihn in England zum Helden gemacht hatte.
Er seufzte. Wie hatte er sich doch geehrte gefühlt, als man dann ausgerechnet ihm den Posten des Gouverneurs der erst 1788 gegründeten Sträflingskolonie angeboten hatte. »Sie sind ein Mann von eisernem Willen, wie die Vergangenheit bewiesen hat, und verstehen es, für Recht und Ordnung zu sorgen«, hatte man ihm in London geschmeichelt. »Und so einen Mann, der sich durchzusetzen weiß, brauchen wir jetzt in New South Wales. Sehen Sie zu, dass Sie dort unten Ordnung in die Kolonie bringen und diese leidige Geschichte mit dem Rum-Monopol aus der Welt schaffen. Wenn wir nicht wieder mit Frankreich im Kriege lägen, würden wir das New South Wales Corps einfach durch reguläre Truppen ersetzen. Aber wir können jetzt nicht ein einziges Regiment entbehren. Napoleon setzt uns ganz schön zu. Aber Sie werden es schon machen!«
William Bligh lachte bitter auf. Er hatte auch geglaubt, dass er in kürzester Zeit Ruhe und Ordnung in die Kolonie bringen und das Rum-Monopol brechen würde. Doch er hatte die Rechnung ohne die Truppen gemacht. Statt den Gouverneur zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass seine Anordnungen befolgt wurden, hatte das Corps vom ersten Tag an fast geschlossen Front gegen ihn gemacht. Was immer er auch unternahm, es war jedes Mal so, als würde er gegen eine unsichtbare Wand laufen.
Was ihn am meisten verbitterte, war die Tatsache, dass das New South Wales Corps noch nie den Pulverdampf einer Schlacht gerochen hatte. Offiziere und gemeine Soldaten unterschieden sich kaum von den Sträflingen, die sie bewachen sollten. Sie waren korrupt und skrupellos in ihrem Vorgehen gegen die Deportierten, die ihnen ausgeliefert waren, wie auch gegen jeden anderen, der ihren Rum-Interessen im Wege stand.
Er erhob sich vom Sessel und trat ans Fenster, starrte hinaus in die Nacht. Es war wahr, was er MacArthur vorgeworfen hatte: Rum regierte die Kolonie. Ohne ihre Ration waren die Sträflinge nicht bereit zu arbeiten. Und wer als kleiner Siedler irgendetwas kaufen oder verkaufen wollte, musste Rum als Währung akzeptieren. Die korrupte Offiziersclique sorgte dafür, dass die einfachen Leute kaum Münzen in die Hand bekamen, und machte auf diese Art unglaubliche Gewinne.
»Und die Kolonie geht dabei langsam, aber sicher vor die Hunde!«, stieß Bligh zornig hervor. Statt Ausschweifungen jeglicher Art mit aller gebotenen Strenge entgegenzuwirken, unterstützten, ja förderten sie MacArthur und seine Komplizen. Er brauchte bloß zum Westufer hinüberzublicken, zum Lasterviertel von Sydney. Fackeln und Laternen machten in dem Gewirr schäbiger Lehmhütten, Bretterschuppen, Zelten und vereinzelter Ziegelhäuser die Nacht zum Tag, und fast glaubte er, das Grölen der Trunkenbolde, Glücksspieler und Huren hören zu können, die das Viertel bevölkerten. Wie ein schnell wuchernder Schimmelpilz hatte sich dieses Lasterviertel gleich hinter dem Fort und den Soldatenunterkünften auf der felsigen Landzunge ausgebreitet, das den bezeichnenden Namen The Rocks trug.
Bligh hob die geballte Rechte und schlug sie gegen das Fensterkreuz, dass das kostbare Glas klirrte. »Ich werde dich zur Rechenschaft ziehen, MacArthur, dich und deine Komplizen! Und ich werde diesen Ausschweifungen ein Ende machen. Das werde ich, bei Gott!«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Tiefschwarze Nacht lag über der Sträflingskolonie New South Wales, als sich die beiden Todfeinde erneut Auge in Auge gegenüberstanden. Gouverneur William Bligh, von Feinden und Spöttern auch »Brotfrucht-Bligh« oder »Bounty-Bligh« genannt, empfing John MacArthur im Arbeitszimmer seiner Residenz, die am Ostufer der malerischen Bucht von Sydney lag. Er kochte innerlich vor nur mühsam unterdrücktem Zorn, dass es überhaupt notwendig geworden war, den Großgrundbesitzer zu einem Gespräch zu sich zu bitten. Jawohl, er hatte darum gebeten, zum Teufel noch mal! Dabei hätte er ihn am liebsten in Ketten legen und in ein finsteres Kerkerloch werfen lassen!
»Stehe ganz zu Ihren Diensten, Exzellenz«, machte sich John MacArthur bemerkbar, nachdem der Hausdiener ihn dem Gouverneur gemeldet hatte und nun hinter ihm die hohen Doppelflügel der Tür schloss. Seine Stimme hatte einen beiläufigen, spöttischen Unterton, als wüsste er, wie sehr es dem Gouverneur widerstrebte, ihn zu empfangen - gab er dadurch seiner Ansicht nach doch zu erkennen, dass er sich über die wahre Machtverteilung in New South Wales keine Illusionen mehr machte.
Die Arme auf dem Rücken verschränkt, stand Gouverneur Bligh am Fenster, eine kantige, beeindruckende Gestalt von dreiundfünfzig Jahren. Er hielt sich steif und aufrecht wie ein Ladestock. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens die Planken eines Schiffes unter seinen Füßen gehabt und auf den Schiffen, die unter seinem Kommando standen, mit der Strenge eines absoluten Herrschers regiert. Diplomatie war seine Stärke nicht, doch als Gouverneur dieser Kolonie wurde sie von ihm erwartet. Es war seine Pflicht - der Teufel mochte sie holen -, sich sogar mit diesem infamen Aufrührer John MacArthur abzugeben!
Mit einer abrupten Bewegung drehte er sich zu seinem späten Besucher um, das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht verschlossen.
Einen Augenblick musterten sich die Widersacher schweigend. John MacArthur stand lässig an der Tür, ein großer, elegant gekleideter Mann von vierzig Jahren, mit einer scharfgeschnittenen Nase und welligen schwarzen Haaren, die er nach vorn in die Stirn gekämmt trug, um lichte Stellen zu verbergen. Er erwiderte den stechenden Blick von Bligh mit der für ihn so bezeichnenden Selbstsicherheit, die er nicht selten bis an die Grenze der Unerträglichkeit herauskehrte.
Es war MacArthur, der schließlich das feindselige Schweigen brach. »Sie haben um diese Unterredung gebeten, Exzellenz. Ich gehe deshalb wohl nicht fehl in der Annahme, dass es sich um Dinge von nicht unwesentlicher Bedeutung handeln muss, die Sie zu dieser späten Stunde mit mir zu besprechen wünschen.« Seine Gesten, die er mit dem vergoldeten Gehstock machte, unterstrichen noch den Eindruck seiner Selbstgefälligkeit.
Blighs Gesicht nahm einen verdrossenen Ausdruck an. Das war es, was Bligh an diesem MacArthur noch mehr als dessen Intrigen hasste: diese aalglatte, arrogante Art, die er an den Tag legte - sogar ihm gegenüber, dem Gouverneur und Stellvertreter des Königs! Und er hatte Mühe, ihm nicht auf seine derbe, direkte Art zu antworten.
»Ich habe Sie nicht kommen lassen«, antwortete er, das Wort »gebeten« dabei bewusst vermeidend. MacArthur war schon aufgeblasen genug. Doch da er nicht länger den Offiziersrock trug, hatte er ihn schlecht zu sich befehlen können, »um mit Ihnen wichtige Angelegenheiten zu besprechen, Mister MacArthur, sondern um Ihnen einen guten Rat zu geben, ja, Sie zu warnen!«
Der Großgrundbesitzer, der wohl zu den reichsten Männern der jungen Kolonie zählte und die größte Farm mit Tausenden Acres bestem Weideland bei Parramatta sein Eigen nannte, gab sich überrascht und zog die Augenbrauen hoch. »Warnen, Sir? Ihre Wortwahl verwundert mich, gelinde ausgedrückt.«
»Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bald wirklich Grund haben, sich zu wundern!«, versicherte Bligh.
»Sie sprechen in Rätseln, und ich habe nicht die Absicht, meine Zeit mit dem Lösen von Rätseln zu vergeuden, ... Sir!«
»Sie wissen genau, wovon ich rede!«, stieß Gouverneur Bligh erregt hervor. Was das hitzige Temperament anging, standen sich die beiden Männer in nichts nach. Bligh war genauso aufbrausend und selbstgerecht wie sein ärgster Kontrahent in dieser Kolonie. Das wusste er auch, doch hielt er sich zugute, dass er niemals im Handeln ungerecht war. Das hatte auch das Kriegsgericht bestätigt, das die Vorgänge, die zur Meuterei auf seinem Schiff, der BOUNTY, führten, geprüft hatte. 1789 war das gewesen, vor über achtzehn Jahren.
»Bei allem Respekt, Sir, aber ich verstehe ganz und gar nicht, wovon Sie reden«, stellte sich John MacArthur ahnungslos und genoss insgeheim die Erregung des Gouverneurs. Vor fast anderthalb Jahren, im August 1806, hatte Bounty-Bligh Gouverneur King abgelöst. Und er war angetreten, das Rum-Monopol zu brechen, das MacArthur mit seinen Freunden vom Offizierscorps und ein paar geschäftstüchtigen Händlern aufgebaut hatte. Rum regierte die Kolonie, und da sie den Handel damit beherrschten, lag die tatsächliche Macht in ihren Händen - und nicht in denen des Gouverneurs, wie immer er auch heißen mochte. Das war schon zu Zeiten von Gouverneur Hunter und Gouverneur King so gewesen, und daran hatte auch der hartgesottene Bligh, den ihnen das Kolonialamt in London geschickt hatte, bisher nichts ändern können.
Bligh ballte die Hände zu Fäusten. »Sie und Ihre Offiziersfreunde vom New South Wales Corps sabotieren meine Befehle und Anordnungen ... wie Sie auch die meiner Vorgänger sabotiert haben!«
John MacArthur straffte sich. »Sie sind der Gouverneur der Kolonie, aber das gibt Ihnen noch längst nicht das Recht, einen freien Mann solcher Dinge zu beschuldigen! Ihre Bemerkungen verletzen meine Ehre, Sir, und ich könnte Sie dafür zum Duell fordern!«
Ein verächtliches Lächeln trat auf Blighs Gesicht. »So, wie Sie vor ein paar Jahren Ihren Vorgesetzten, den Truppenkommandeur, zum Duell gefordert haben, als Sie mit seinen Befehlen nicht einverstanden waren und noch den Rock des Königs trugen, ja? Dafür hätten Sie den Strick verdient!«
»Die Anklage erwies sich als gegenstandslos, und es wurde kein Kriegsgerichtsverfahren gegen mich eingeleitet, falls Sie das vergessen haben sollten«, gab MacArthur spöttisch zurück.
Bligh starrte ihn wütend an. Er hatte es nicht vergessen und erinnerte sich noch sehr wohl, warum man MacArthur in London nicht den Prozess gemacht hatte. Die sehr detaillierte Anklageschrift, die Gouverneur King zusammen mit dem unter Arrest stehenden John MacArthur nach England geschickt hatte, war trotz größter Sicherheitsvorkehrungen während der monatelangen Überfahrt verschwunden. Und in London hatte MacArthur es verstanden, seine zahlreichen Gönner und einflussreichen Freunde zu seinem Nutzen zu mobilisieren. Zwar hatte er die Offizierslaufbahn an den Nagel gehängt, doch er war nicht nur ungestraft, sondern geradezu als strahlender Sieger nach New South Wales zurückgekehrt - mit einer Landschenkungsurkunde, die seine Farm um mehrere Tausend Acres fruchtbares Land vergrößert hatte. Und dass er nicht länger die Uniform trug, hatte ihn nicht daran gehindert, bei seinen Offiziersfreunden weiterhin das große Wort zu führen - und die Fäden des Monopols in der Hand zu behalten.
»Ich weiß, dass Sie mit den Duellpistolen schnell bei der Hand sind«, gab Bligh kalt zurück. »Aber ich werde Ihnen diese Genugtuung nicht geben. Wir sind hier unter vier Augen, und ich sage Ihnen zum letzten Mal, dass ich nicht länger gewillt bin, Ihrem Verhalten tatenlos zuzusehen.«
»Ich bin Farmer und habe wie jeder andere freie Siedler das Recht, meine Interessen zu vertreten. Ihre Anschuldigungen sind grotesk!«, verwahrte sich MacArthur.
»So? Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Jedem in der Kolonie ist bekannt, dass Sie und Ihre Freunde einen schwunghaften Handel mit Rum betreiben, und dieses Rum-Monopol hat die Kolonie lange genug stranguliert.«
»Sir! Das werden Sie auf der Stelle ... «, setzte MacArthur zu einem heftigen Protest an.
Bligh fuhr ihm barsch in die Rede. »Lassen Sie mich ausreden! Ich weiß, dass Sie und Ihre ... Kameraden illegale Rum-Destillerien betreiben, seit ich die Einfuhr von Rum streng kontrollieren lasse, und diesen Fusel zusammen mit Ihren Komplizen mit einem ungeheuren Profit verkaufen. Doch das wird ein Ende haben!«
»Ich gedenke nicht, mir diese ... Ungeheuerlichkeiten noch länger anzuhören, Sir!«, erwiderte John MacArthur voller Empörung. »Ich dachte, wir hätten einen Kompromiss finden können, der zum Wohle der Allgemeinheit ... «
»Wie können Sie es wagen, vom Wohl der Allgemeinheit zu sprechen?«, schnitt Bligh ihm das Wort ab, und seine Stimme bebte vor Zorn. »Das Wohl der Allgemeinheit interessiert Sie doch einen Dreck! Ihnen geht es doch nur darum, Ihre Taschen zu füllen. Dass Sie dabei die Kolonie aussaugen, schert Sie doch genauso wenig wie das Schicksal der Sträflinge, die sich mit Ihrem verfluchten Fusel zu Tode saufen!«
John MacArthur stieg das Blut ins Gesicht. »Das reicht, Gouverneur Bligh!«
»O nein, das reicht noch längst nicht!«, donnerte Bligh, während MacArthur schon auf die Tür zuschritt. »Ich werde mir Ihre Intrigen, Ihr aufrührerisches Verhalten gegen den König nicht länger gefallen lassen. Dies war meine letzte Warnung, Mister MacArthur, haben Sie mich verstanden?!«
MacArthur riss die Tür auf und fuhr noch einmal zu Bligh herum. Sein Gesicht war hassverzerrt. »Ich habe sehr wohl verstanden, Gouverneur!« Er spuckte das Wort förmlich aus. »Aber offensichtlich haben Sie noch nicht verstanden, dass Sie sich hier nicht auf einem Kriegsschiff befinden, wo Ihr Wort Gesetz ist und Sie uneingeschränkt über Leben und Tod bestimmen können! Dies ist eine Kolonie, und da gelten andere Gesetze, die auch Sie zu beachten haben!« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich wieder um und knallte die Tür hinter sich zu.
»Dieser verdammte Dreckskerl!«, fluchte Bligh, griff nach seiner Tonpfeife und schleuderte sie gegen die Wand, wo sie in Scherben zerbrach.
Wütend auf MacArthur und auf sich selbst, weil er sich wieder zu einem derartigen Gefühlsausbruch hatte hinreißen lassen, ließ er sich in seinen ledergepolsterten Armsessel fallen. Er fühlte sich plötzlich sehr müde und sehr alt.
Welch merkwürdige Wendung hatte sein Leben doch genommen. Er war immer ein Mann der See gewesen. Mit James Cook war er als Steuermann um die Welt gesegelt, hatte sich als Captain unter Lord Nelson in blutigen Seeschlachten höchste Auszeichnungen erworben und war als Held in die Geschichte eingegangen. Wer konnte vorweisen, was er vorzuweisen hatte? Als ihn die verfluchten Meuterer mit neunzehn Getreuen in einem kleinen, offenen Boot mitten in der Südsee ausgesetzt hatten, hatten sie fest mit ihrem Tod gerechnet. Doch ihm war das Unvorstellbare gelungen: Fast ohne Wasser und ohne Nahrung und im Kampf gegen Stürme und kriegerische Eingeborene hatte er sie in dieser Nussschale nach Batavia gebracht - und dabei viertausend Seemeilen zurückgelegt. Eine seemännische Meisterleistung, die ihn in England zum Helden gemacht hatte.
Er seufzte. Wie hatte er sich doch geehrte gefühlt, als man dann ausgerechnet ihm den Posten des Gouverneurs der erst 1788 gegründeten Sträflingskolonie angeboten hatte. »Sie sind ein Mann von eisernem Willen, wie die Vergangenheit bewiesen hat, und verstehen es, für Recht und Ordnung zu sorgen«, hatte man ihm in London geschmeichelt. »Und so einen Mann, der sich durchzusetzen weiß, brauchen wir jetzt in New South Wales. Sehen Sie zu, dass Sie dort unten Ordnung in die Kolonie bringen und diese leidige Geschichte mit dem Rum-Monopol aus der Welt schaffen. Wenn wir nicht wieder mit Frankreich im Kriege lägen, würden wir das New South Wales Corps einfach durch reguläre Truppen ersetzen. Aber wir können jetzt nicht ein einziges Regiment entbehren. Napoleon setzt uns ganz schön zu. Aber Sie werden es schon machen!«
William Bligh lachte bitter auf. Er hatte auch geglaubt, dass er in kürzester Zeit Ruhe und Ordnung in die Kolonie bringen und das Rum-Monopol brechen würde. Doch er hatte die Rechnung ohne die Truppen gemacht. Statt den Gouverneur zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass seine Anordnungen befolgt wurden, hatte das Corps vom ersten Tag an fast geschlossen Front gegen ihn gemacht. Was immer er auch unternahm, es war jedes Mal so, als würde er gegen eine unsichtbare Wand laufen.
Was ihn am meisten verbitterte, war die Tatsache, dass das New South Wales Corps noch nie den Pulverdampf einer Schlacht gerochen hatte. Offiziere und gemeine Soldaten unterschieden sich kaum von den Sträflingen, die sie bewachen sollten. Sie waren korrupt und skrupellos in ihrem Vorgehen gegen die Deportierten, die ihnen ausgeliefert waren, wie auch gegen jeden anderen, der ihren Rum-Interessen im Wege stand.
Er erhob sich vom Sessel und trat ans Fenster, starrte hinaus in die Nacht. Es war wahr, was er MacArthur vorgeworfen hatte: Rum regierte die Kolonie. Ohne ihre Ration waren die Sträflinge nicht bereit zu arbeiten. Und wer als kleiner Siedler irgendetwas kaufen oder verkaufen wollte, musste Rum als Währung akzeptieren. Die korrupte Offiziersclique sorgte dafür, dass die einfachen Leute kaum Münzen in die Hand bekamen, und machte auf diese Art unglaubliche Gewinne.
»Und die Kolonie geht dabei langsam, aber sicher vor die Hunde!«, stieß Bligh zornig hervor. Statt Ausschweifungen jeglicher Art mit aller gebotenen Strenge entgegenzuwirken, unterstützten, ja förderten sie MacArthur und seine Komplizen. Er brauchte bloß zum Westufer hinüberzublicken, zum Lasterviertel von Sydney. Fackeln und Laternen machten in dem Gewirr schäbiger Lehmhütten, Bretterschuppen, Zelten und vereinzelter Ziegelhäuser die Nacht zum Tag, und fast glaubte er, das Grölen der Trunkenbolde, Glücksspieler und Huren hören zu können, die das Viertel bevölkerten. Wie ein schnell wuchernder Schimmelpilz hatte sich dieses Lasterviertel gleich hinter dem Fort und den Soldatenunterkünften auf der felsigen Landzunge ausgebreitet, das den bezeichnenden Namen The Rocks trug.
Bligh hob die geballte Rechte und schlug sie gegen das Fensterkreuz, dass das kostbare Glas klirrte. »Ich werde dich zur Rechenschaft ziehen, MacArthur, dich und deine Komplizen! Und ich werde diesen Ausschweifungen ein Ende machen. Das werde ich, bei Gott!«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Ashley Carrington
- 2011, 1, 351 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868004319
- ISBN-13: 9783868004311
Kommentare zu "Jessica - In der Ferne lockt das Glück"
0 Gebrauchte Artikel zu „Jessica - In der Ferne lockt das Glück“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 11Schreiben Sie einen Kommentar zu "Jessica - In der Ferne lockt das Glück".
Kommentar verfassen