Jugendwahn und Altersstarrsinn
Das Älterwerden fiel Herbert Riehl-Heyse in den letzten Monaten seines Lebens zunehmend schwerer, auch bedingt durch die lebensbedrohende Krankheit. Und doch hat er sich in seiner unnachahmlichen Art der ironischen Bewertung eigener Befindlichkeiten mit dem...
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Produktinformationen zu „Jugendwahn und Altersstarrsinn “
Klappentext zu „Jugendwahn und Altersstarrsinn “
Das Älterwerden fiel Herbert Riehl-Heyse in den letzten Monaten seines Lebens zunehmend schwerer, auch bedingt durch die lebensbedrohende Krankheit. Und doch hat er sich in seiner unnachahmlichen Art der ironischen Bewertung eigener Befindlichkeiten mit dem Thema seines Buches beschäftigt."Manche üben sich im Grabenkrieg", so der Autor, "so verhärtet sind die Fronten zwischen Jung und Alt. Manche haben sich einfach nichts zu sagen oder reden bedeutungsschwer aneinander vorbei, sind starrsinnig und besserwisserisch (so der Vorwurf der Jungen), sind uneinsichtig und undankbar (so der Vorwurf an die Jungen)." Die Texte des Autors zeigen, dass es schwierig ist, in Würde älter zu werden und es nicht zu merken beziehungsweise dem Jugendkultigen zu verfallen und es auch nicht zu merken. Unbestreitbar ist, dass wir es hier mit einem Thema des beginnenden 3. Jahrtausends zu tun haben. Auch der Autor schien verunsichert, denn er schrieb: "Komisch - gerade war ich doch noch jung. Und jetzt lese ich nur noch Zeitungsartikel und Bücher, aus denen hervorgeht, dass ich den wirklich Jungen im Wege stehe. Schon habe ich ein schlechtes Gewissen, gleich darauf aber fühle ich einen gewissen Zorn in mir hochsteigen: Ist es in Wahrheit nicht so, dass die undankbare Generation Golf ein schlechtes Gewissen haben müsste? Wenn die in Jugendwahn ausbricht, dann reagiere ich jedenfalls schnell mit dem mir zustehenden Altersstarrsin. Führt aber auch nicht weiter."
Das hier vorliegende Fragment seines letzten Buches zeigt, was geschieht, wenn Welten aufeinander prallen. Es ist geschrieben in einem eleganten Stil, teils satirisch, oft selbstironisch, durchaus nachdenklich, auf keinen Fall wehleidig.
Lese-Probe zu „Jugendwahn und Altersstarrsinn “
... dass es ihn gegeben hat,den Riehl
Ich hatte mich vor diesem Buch ein bisschen gefürchtet. Denn ich wusste ja, dass es noch mal ein Abschied werden würde. Und ich ahnte, dass es nur ein trauriger Text sein konnte - wie auch anders, wenn einer gegen Krankheit und Todesangst anschreibt und Verzweiflung die Feder führt?
Aber dann begann ich, noch immer beklommen, zu lesen. Ich las den ersten Satz "Gerade war ich doch noch jung, oder?", fasste Mut, las weiter und hörte den jugendwahnsinnigen Riehl, wie er seinen Neffen mit der Bemerkung zu entmutigen versucht, wenn er, Riehl, einmal gegen ihn ein Tennismatch verlöre, dann möge er bitte vom Platz weg ins Altersheim eingeliefert werden. Und plötzlich wusste ich: Dies ist noch mal der witzige, der klassische, der von uns, seinen Freunden und Bewunderern, so geliebte O-Ton Riehl.
Er hatte ja immer die Gabe, mit Witz und Ironie Schweres leichter und Dunkles heller zu machen - und selbst hier gelingt ihm dies, da er sich unter dem Einfluss dunkler Ahnungen auf schweres Terrain wagt, wo die Alten mit der Erfahrung der eigenen Sterblichkeit keuchend der Generation Golf hinterherhecheln, sofern sie überhaupt noch durch den Graben kommen, der zwischen ihnen liegt.
Es ist ein Terrain, wo Mütter und Söhne aneinander vorbeireden, wo Biographien plötzlich und unerwartet in die andere Richtung kippen und wo sich der Vater auf einmal erschrocken fragt, ob er mit seinen Kindern vielleicht doch mehr hätte erörtern sollen als die Frage, ob sie noch daran dächten, irgendwann ihre Zimmer aufzuräumen.
Der Generationenkonflikt also ist es, der den Riehl zum Schluss bewegt hat, und er hat dabei, wie fast immer in seinen Texten, sehr viel Persönliches einfließen lassen. Das hat oft Witz, aber es gibt auch Stellen, die sich sehr traurig lesen, und andere, die trotz der Ironie beklemmend sind - etwa, wenn man ihn sieht, den Freund, wie er "mit festem Schritt" hineintritt in den "medizinisch-technischen Komplex" und sich "eine
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Art Dornenkrone" in den Kopf schrauben lässt, auf dass "die 7,5 Kubikzentimeter Feind" im Hirn "zuverlässig verschmurgelt" werden.
Es hätte sicher das eine oder andere Böse zu sagen gegeben über die Welt der Ärzte, aber so war er nicht, der Herbert Riehl. So war er nie. Er rechnet nicht ab, sondern er verwendet seine Erfahrungen, Erlebnisse, Begegnungen und Erinnerungen, seine Sorgen und seine Ängste, um etwas Allgemeingültiges herauszufiltern über die Kluft zwischen den ewig Jungen mit den David-Beckham-Frisuren und den Alten, die von nächtlichem Herzrasen heimgesucht werden und von Tumoren im Darm.
Klar, dass er sich dabei am liebsten als Brückenbauer betätigt hätte, so wie er ja immer lieber zusammenführen als polarisieren wollte - und gewiss wäre ihm das auch gelungen, wenn er die Zeit gehabt hätte, dieses Buch zu Ende zu schreiben. So ist es ein Fragment, unvollendet, abgebrochen - dem Gewinn, den der Leser hat, tut das aber keinen Abbruch.
Wenn denn etwas irritiert, dann höchstens, dass da einer, den wir doch als jung, jedenfalls jung im Kopf, in Erinnerung haben, so gnadenlos den Alten gibt. Aber wenn es tatsächlich stimmt, dass sich der Riehl zurzeit des Schreibens als "alter Mann-Mensch" gefühlt hat, dann muss man sich vor der Vergreisung vielleicht gar nicht so sehr fürchten - allenfalls davor, dass man eines Tages im Altersheim für Journalisten ein bisschen trübsinnig darüber nachdenken wird, wie viel schöner, wie viel witziger, wie viel unterhaltsamer es wäre, wenn man den Riehl dabeihätte.
Altersheim für Journalisten - nur eine Spinnerei, aber wir haben früher manchmal darüber geredet und uns dabei ausgemalt, wie wir uns in unserem Altersstarrsinn gegenseitig mit den immer gleichen Geschichten und den immer gleichen Pointen traktieren würden. Schön und schrecklich zugleich. Die Idee, dass einer von uns dann nicht mehr da sein könnte, kam uns nicht.
Werden wir also, wenn es mal so weit ist, Bücher mitnehmen. Bücher vom Autoren Herbert Riehl-Heyse. Es gibt eine ganze Menge davon, und nun gibt es auch noch dieses. Wir werden es lesen und wieder lesen, vielleicht mit Tränen in den Augen, gewiss aber auch mit Dankbarkeit dafür, dass es ihn gegeben hat, den Riehl.
Stefan Klein London, 15. Juni
Jugendwahn und Altersstarrsinn - ein Fragment
Eine überraschende Wendung
Gerade war ich doch noch jung, oder?
Mindestens ist mir nicht richtig aufgefallen, dass ich älter wurde, woran auch, wo man doch immer so jung ist, wie man sich fühlt. Oder hatte es wirklich etwas zu bedeuten, dass der präpotente Neffe J., mit dem ich mich 30 Jahre lang auf tausend Feldern um die körperliche wie intellektuelle Vorherrschaft in der Familie gerangelt hatte, mich neuerdings in immer dringlicheren Abständen zu einem ultimativen Tennismatch aufforderte, obwohl ich doch immer gesagt hatte, wenn ich einmal gegen ihn verlöre, bäte ich darum, vom Centercourt unmittelbar ins Altersheim eingeliefert zu werden.
Was man halt so redet, wenn man unsterblich ist oder mindestens auf lange Zeit unverwüstlich. Und jetzt? Jetzt liege ich plötzlich auf der Wachstation des Krankenhauses Gauting bei München, und neben mein Bett haben sie soeben Herrn Duderers Bett geschoben. Ich kenne seinen Namen, weil er nicht richtig atmen will, weshalb alle fünf Minuten die Nachtschwester und der Stationsarzt in unser Zimmer stürmen und ihn anbrüllen: Sie müssen schnaufen, Herr Duderer, Sie müssen schnaufen, was aber leider nichts fruchtet, weil der Herr Duderer schwerhörig ist und die Appelle an seinen Lebenserhaltungstrieb merkwürdigerweise immer für eine Nachfrage in Sachen Befindlichkeit hält. "Pfenniggut" gehe es ihm, schreit er deshalb jedesmal zurück, woraufhin ihn die Nachtschwester noch lauter anbrüllt, er müsse jetzt aber endlich richtig schnaufen. Um mich kümmert man sich eigentlich weniger, obwohl ich dauernd dringend aufs Klo müsste, welches in der Wachstation aber gar nicht vorgesehen ist.
Warum ich das erzähle? Weil ich ernsthaft krank bin und weil ernsthaft krank - obwohl die Situation längst absehbar war - in meiner Lebensplanung nie vorkam. Und weil mir eine befreundete Ärztin, als ich dann im Krankenhaus war, freundlich mitteilte, so eine Krankheit sei im Prinzip ganz normal, wenn man alt werde. Sie hätte das vielleicht nicht so brutal sagen müssen, andererseits hat gerade sie jedes Recht dazu, weil sie nämlich so etwas wie meine interimistische Lebensretterin ist. Kurz vor der Operation hatten meine Frau und ich sie und ihren Mann zum Abendessen eingeladen, währenddessen ich mehrfach trocken gehustet habe, woraufhin mich Frau Dr. L., statt auf meine gewiss witzigen Bemerkungen zur Weltlage angemessen zu reagieren, mittendrin - ebenfalls trocken - über den Gänsebraten hinweg gefragt hat, ob ich mich nicht einmal röntgen lassen wollte. Das habe ich dann getan, und deshalb liege ich jetzt auf der Wachstation und hoffe dringend, der Herr Duderer möge endlich ein Einsehen haben und einmal ganz ganz tief schnaufen.
Eine Woche später geht es mir und hoffentlich auch dem Mitpatienten Duderer dann schon wieder sehr viel besser, ich liege im Krankenbett und lese das Jugendmagazin "jetzt", das zu dieser Zeit seinerseits schon auf der Krankenstation beobachtet wird, was aber weder seine jungen Macher wissen noch ich, sein Leser. Die Redakteure präsentieren die von den jungen "jetzt"-Freunden zusammengestellten 25 Gründe, aus denen das Leben sich auch diese Woche zu leben lohnt, und sie sind auch alle sehr gut: "Wissen, warum er rot wird", heißt einer dieser Gründe, ein anderer handelt von der "Mitte der Rosinenschnecke", aber am schönsten finde ich doch Grund Nummer 5: "Wärmflasche ins Bett legen, bevor man weggeht."
Einerseits ist das ein sehr einleuchtender Grund, das Leben schön zu finden, ich ahnte gar nicht, wie generationenübergreifend er ist. Andererseits lädt er auch ein zum Gespräch hinweg über die Gräben zwischen den Generationen, weshalb ich der jungen Einsenderin aus dem Erfahrungsschatz des Älteren, wenn es nicht aufdringlich wirkt, auf diesem Weg doch gerne einen kleinen Hinweis mit auf den weiteren Lebensweg geben würde: Sogar die wärmste Wärmflasche wird kalt, wenn sie allzu viele Stunden zwischen den Decken einsam vor sich hinschlummert. Auch wegen solcher Hinweise, denke ich, muss dieses Buch geschrieben werden.
Eine nächtliche Lesefrucht
Ich weiß nicht, wie es sich gefügt hat, wahrscheinlich war es nur ein Engel des Himmels, der gerade einen freien Tag hatte und dem plötzlich siedend heiß einfiel, dass er mir ja noch einen Fingerzeig geben müsse, im göttlichen Auftrag. Jedenfalls liegt plötzlich dieses dicke blaue Buch auf meinem Nachttisch, in dem ich schon seit Wochen immer wieder blättere, um dann lieber doch zu sehen, ob es im Fernsehen nicht noch ein Champions-League-Spiel zu besichtigen gibt. Vielleicht beginnen mir ja gerade - eine Alterserscheinung? - die ständigen Fehlpässe im Mittelfeld des FC Bayern auf die Nerven zu gehen, und so kommt es dann, dass ich kurz vor Mitternacht fest zu lesen beginne in der ersten modernen Gesamtübersetzung der Essais von Michel de Montaigne. Als ich es mittendrin aufschlage, lande ich beim 37. Versuch im Zweiten Buch, das die Überschrift trägt: "Über die Ähnlichkeit der Kinder mit ihren Vätern." Es könnte sich da, denke ich mir, wirklich um einen Fingerzeig von oben gehandelt haben, schließlich bin ich auf diesem Wege jetzt völlig überraschend bei dem Thema gelandet, über das ein Buch zu schreiben ich mich seit mehr als einem Jahr bemühe.
So geht das eben manchmal im Leben mit den Zufällen und Vorherbestimmungen - auch wenn ich in diesem speziellen Fall und in diesem frühen Stadium meiner Bemühungen noch nicht völlig ausschließen kann, dass es vielleicht doch mehr ein Buch über die Unähnlichkeit der Kinder mit ihren Vätern werden könnte. Darüber, wie unsereiner, wenn er älter wird, mit keuchenden Lungen der Generation Golf hinterherhechelt und im Zweifel ja doch nur die Auspuffgase einatmet, was das Älterwerden aber nicht unbedingt begünstigt.
Womit ich doch schon wieder unmittelbar bei Montaigne wäre, obwohl der Mann, soviel bekannt ist, relativ wenig Auto gefahren ist und sein Lebensgefühl auch nicht mit Hilfe von Diesel-Jeans und David-Beckham-Frisuren auf ewige Jugend zu trimmen versucht hat. Es ist nur so, dass das zufällig aufgeschlagene Kapitel, wie ich jetzt mit zunehmender Faszination feststelle, im Wesentlichen vom Kranksein und von der Todesfurcht handelt und von der Frage, wie es dem Menschen gelingen soll, sich bei einigermaßen ausgeglichenem Gemütszustand mit dem allmählichen Verfall seines Körpers, ja sich sogar mit dem Gedanken an seinen ihn irgendwann antretenden Tod vertraut zu machen, wie der Philosoph das formuliert. Schon beim ersten Durchlesen zeigt sich, dass solche Kunst nicht einmal einem weisen Manne ununterbrochen zu Gebote steht, wenn er wieder einmal von einer seiner schrecklichen Koliken gepeinigt wird. Nur bin ich mir nicht sicher, ob ich das schon für einen Trost halten soll.
Montaigne ist 47 Jahre alt, als er diesen Traktat schreibt, "47 Jahre, die ich für meinen Teil gesund verbracht habe". Bei mir zum Beispiel, um jetzt doch ein wenig präziser von jener Person zu sprechen, die mir immer noch am wichtigsten zu sein scheint, bei mir also waren es sogar 57 Jahre in leidlicher Gesundheit, sodass ich noch viel weniger Grund haben dürfte zu jenem Hass auf die Ärzte, unter dem Kollege Michel die letzten Jahre seines Lebens offenbar noch mehr gelitten hat als unter seinen Nierensteinen.
Er hielt diesen Hass übrigens für ein erbliches Leiden, weil so gut wie seine ganze Verwandtschaft davon befallen war. Am schlimmsten betroffen sei übrigens der Onkel de Bussaguet gewesen, "der mit weitem Abstand jüngste Bruder meines Vaters". Der Mann sei der Einzige in der Familie gewesen, der sich der ärztlichen Kunst unterworfen habe: "Und das bekam ihm so übel, dass er, obwohl er der Kräftigste zu sein schien, lange vor den anderen starb."
Vielleicht hatte der Onkel aber auch nur das Pech, in der falschen Krankenkasse zu sein, in einer, die ihn nicht zu den besten Ärzten schicken konnte, weil das die Versicherung nicht abgedeckt hätte. So was kommt vor und zwar sehr viel öfter, als es sich der Mensch träumen lässt, solange er noch nicht vom nächtlichen Herzrasen heimgesucht wird oder von Tumoren im Darm, die sich gerne mal im weiteren Verlauf ihrer Karriere ihren Weg an viele andere schöne Plätze ihres Wirtstieres bahnen, von wo aus sie sich ganz prima vermehren können, wenn man sie lässt. (Manchmal leider auch dann, wenn man sie mit aller Macht daran hindern möchte.)
Es kommt nun, merke ich gerade, vielleicht ein wenig passender Ton gleich zu Beginn eines Buches auf, in dem sich der Autor eigentlich als eine Art Lebenskünstler oder Lebensberater präsentieren wollte; als jemand, der es nicht nur versteht, die eigenen Lebenskrisen immer wieder beherzt anzugehen, sondern sich darüber hinaus auch noch als Brückenbauer zu betätigen zwischen den Generationen Golf und, sagen wir mal: Audi A6, um beim selben Konzern zu bleiben, aus Wettbewerbsgründen. Das könnte also manchmal ein wenig melancholisch werden. Andererseits - ist denn nicht gerade diese Erfahrung der eigenen Sterblichkeit der tiefste Abgrund, der zwischen den Generationen klafft und mit Hilfe einigermaßen tragfähiger Brücken überwunden werden müsste? Die Erfahrung eben, dass die Jugend ein sehr vergänglicher Zustand ist, und dass einen diese Erkenntnis irgendwann umso heftiger packt, je länger man versucht hat, den Gedanken nicht an sich herankommen zu lassen. Bis man gemerkt hat, dass man auch selber nicht ewig leben und aller Voraussicht nach sogar den eigenen Tod nicht bei blühender Gesundheit erleben wird.
Werde also auch im weiteren Verlauf dieses Buchs immer wieder, in tagebuchartigen Notizen, Einschüben, Reminiszenzen, in Betrachtungen aller Art auch auf diesen besonderen Aspekt des Generationenkonflikts zurückkommen müssen, auf einen Aspekt, der vor allem damit zu tun hat, dass die Menschen durch ihre Erfahrungen, durch das Älterwerden manchmal mehr voneinander getrennt werden als durch die Tatsache, dass der eine von ihnen in der Provinz Szetschuan aufwächst und der andere im südöstlichen Oberbayern.
Abgesehen davon bin ich aber zuversichtlich, dass ein solches Buch nicht von vorneherein furchtbar traurig werden muss. Das wäre ja nun wirklich besonders traurig.
Copyright © in der Verlagsgruppe Random House
Es hätte sicher das eine oder andere Böse zu sagen gegeben über die Welt der Ärzte, aber so war er nicht, der Herbert Riehl. So war er nie. Er rechnet nicht ab, sondern er verwendet seine Erfahrungen, Erlebnisse, Begegnungen und Erinnerungen, seine Sorgen und seine Ängste, um etwas Allgemeingültiges herauszufiltern über die Kluft zwischen den ewig Jungen mit den David-Beckham-Frisuren und den Alten, die von nächtlichem Herzrasen heimgesucht werden und von Tumoren im Darm.
Klar, dass er sich dabei am liebsten als Brückenbauer betätigt hätte, so wie er ja immer lieber zusammenführen als polarisieren wollte - und gewiss wäre ihm das auch gelungen, wenn er die Zeit gehabt hätte, dieses Buch zu Ende zu schreiben. So ist es ein Fragment, unvollendet, abgebrochen - dem Gewinn, den der Leser hat, tut das aber keinen Abbruch.
Wenn denn etwas irritiert, dann höchstens, dass da einer, den wir doch als jung, jedenfalls jung im Kopf, in Erinnerung haben, so gnadenlos den Alten gibt. Aber wenn es tatsächlich stimmt, dass sich der Riehl zurzeit des Schreibens als "alter Mann-Mensch" gefühlt hat, dann muss man sich vor der Vergreisung vielleicht gar nicht so sehr fürchten - allenfalls davor, dass man eines Tages im Altersheim für Journalisten ein bisschen trübsinnig darüber nachdenken wird, wie viel schöner, wie viel witziger, wie viel unterhaltsamer es wäre, wenn man den Riehl dabeihätte.
Altersheim für Journalisten - nur eine Spinnerei, aber wir haben früher manchmal darüber geredet und uns dabei ausgemalt, wie wir uns in unserem Altersstarrsinn gegenseitig mit den immer gleichen Geschichten und den immer gleichen Pointen traktieren würden. Schön und schrecklich zugleich. Die Idee, dass einer von uns dann nicht mehr da sein könnte, kam uns nicht.
Werden wir also, wenn es mal so weit ist, Bücher mitnehmen. Bücher vom Autoren Herbert Riehl-Heyse. Es gibt eine ganze Menge davon, und nun gibt es auch noch dieses. Wir werden es lesen und wieder lesen, vielleicht mit Tränen in den Augen, gewiss aber auch mit Dankbarkeit dafür, dass es ihn gegeben hat, den Riehl.
Stefan Klein London, 15. Juni
Jugendwahn und Altersstarrsinn - ein Fragment
Eine überraschende Wendung
Gerade war ich doch noch jung, oder?
Mindestens ist mir nicht richtig aufgefallen, dass ich älter wurde, woran auch, wo man doch immer so jung ist, wie man sich fühlt. Oder hatte es wirklich etwas zu bedeuten, dass der präpotente Neffe J., mit dem ich mich 30 Jahre lang auf tausend Feldern um die körperliche wie intellektuelle Vorherrschaft in der Familie gerangelt hatte, mich neuerdings in immer dringlicheren Abständen zu einem ultimativen Tennismatch aufforderte, obwohl ich doch immer gesagt hatte, wenn ich einmal gegen ihn verlöre, bäte ich darum, vom Centercourt unmittelbar ins Altersheim eingeliefert zu werden.
Was man halt so redet, wenn man unsterblich ist oder mindestens auf lange Zeit unverwüstlich. Und jetzt? Jetzt liege ich plötzlich auf der Wachstation des Krankenhauses Gauting bei München, und neben mein Bett haben sie soeben Herrn Duderers Bett geschoben. Ich kenne seinen Namen, weil er nicht richtig atmen will, weshalb alle fünf Minuten die Nachtschwester und der Stationsarzt in unser Zimmer stürmen und ihn anbrüllen: Sie müssen schnaufen, Herr Duderer, Sie müssen schnaufen, was aber leider nichts fruchtet, weil der Herr Duderer schwerhörig ist und die Appelle an seinen Lebenserhaltungstrieb merkwürdigerweise immer für eine Nachfrage in Sachen Befindlichkeit hält. "Pfenniggut" gehe es ihm, schreit er deshalb jedesmal zurück, woraufhin ihn die Nachtschwester noch lauter anbrüllt, er müsse jetzt aber endlich richtig schnaufen. Um mich kümmert man sich eigentlich weniger, obwohl ich dauernd dringend aufs Klo müsste, welches in der Wachstation aber gar nicht vorgesehen ist.
Warum ich das erzähle? Weil ich ernsthaft krank bin und weil ernsthaft krank - obwohl die Situation längst absehbar war - in meiner Lebensplanung nie vorkam. Und weil mir eine befreundete Ärztin, als ich dann im Krankenhaus war, freundlich mitteilte, so eine Krankheit sei im Prinzip ganz normal, wenn man alt werde. Sie hätte das vielleicht nicht so brutal sagen müssen, andererseits hat gerade sie jedes Recht dazu, weil sie nämlich so etwas wie meine interimistische Lebensretterin ist. Kurz vor der Operation hatten meine Frau und ich sie und ihren Mann zum Abendessen eingeladen, währenddessen ich mehrfach trocken gehustet habe, woraufhin mich Frau Dr. L., statt auf meine gewiss witzigen Bemerkungen zur Weltlage angemessen zu reagieren, mittendrin - ebenfalls trocken - über den Gänsebraten hinweg gefragt hat, ob ich mich nicht einmal röntgen lassen wollte. Das habe ich dann getan, und deshalb liege ich jetzt auf der Wachstation und hoffe dringend, der Herr Duderer möge endlich ein Einsehen haben und einmal ganz ganz tief schnaufen.
Eine Woche später geht es mir und hoffentlich auch dem Mitpatienten Duderer dann schon wieder sehr viel besser, ich liege im Krankenbett und lese das Jugendmagazin "jetzt", das zu dieser Zeit seinerseits schon auf der Krankenstation beobachtet wird, was aber weder seine jungen Macher wissen noch ich, sein Leser. Die Redakteure präsentieren die von den jungen "jetzt"-Freunden zusammengestellten 25 Gründe, aus denen das Leben sich auch diese Woche zu leben lohnt, und sie sind auch alle sehr gut: "Wissen, warum er rot wird", heißt einer dieser Gründe, ein anderer handelt von der "Mitte der Rosinenschnecke", aber am schönsten finde ich doch Grund Nummer 5: "Wärmflasche ins Bett legen, bevor man weggeht."
Einerseits ist das ein sehr einleuchtender Grund, das Leben schön zu finden, ich ahnte gar nicht, wie generationenübergreifend er ist. Andererseits lädt er auch ein zum Gespräch hinweg über die Gräben zwischen den Generationen, weshalb ich der jungen Einsenderin aus dem Erfahrungsschatz des Älteren, wenn es nicht aufdringlich wirkt, auf diesem Weg doch gerne einen kleinen Hinweis mit auf den weiteren Lebensweg geben würde: Sogar die wärmste Wärmflasche wird kalt, wenn sie allzu viele Stunden zwischen den Decken einsam vor sich hinschlummert. Auch wegen solcher Hinweise, denke ich, muss dieses Buch geschrieben werden.
Eine nächtliche Lesefrucht
Ich weiß nicht, wie es sich gefügt hat, wahrscheinlich war es nur ein Engel des Himmels, der gerade einen freien Tag hatte und dem plötzlich siedend heiß einfiel, dass er mir ja noch einen Fingerzeig geben müsse, im göttlichen Auftrag. Jedenfalls liegt plötzlich dieses dicke blaue Buch auf meinem Nachttisch, in dem ich schon seit Wochen immer wieder blättere, um dann lieber doch zu sehen, ob es im Fernsehen nicht noch ein Champions-League-Spiel zu besichtigen gibt. Vielleicht beginnen mir ja gerade - eine Alterserscheinung? - die ständigen Fehlpässe im Mittelfeld des FC Bayern auf die Nerven zu gehen, und so kommt es dann, dass ich kurz vor Mitternacht fest zu lesen beginne in der ersten modernen Gesamtübersetzung der Essais von Michel de Montaigne. Als ich es mittendrin aufschlage, lande ich beim 37. Versuch im Zweiten Buch, das die Überschrift trägt: "Über die Ähnlichkeit der Kinder mit ihren Vätern." Es könnte sich da, denke ich mir, wirklich um einen Fingerzeig von oben gehandelt haben, schließlich bin ich auf diesem Wege jetzt völlig überraschend bei dem Thema gelandet, über das ein Buch zu schreiben ich mich seit mehr als einem Jahr bemühe.
So geht das eben manchmal im Leben mit den Zufällen und Vorherbestimmungen - auch wenn ich in diesem speziellen Fall und in diesem frühen Stadium meiner Bemühungen noch nicht völlig ausschließen kann, dass es vielleicht doch mehr ein Buch über die Unähnlichkeit der Kinder mit ihren Vätern werden könnte. Darüber, wie unsereiner, wenn er älter wird, mit keuchenden Lungen der Generation Golf hinterherhechelt und im Zweifel ja doch nur die Auspuffgase einatmet, was das Älterwerden aber nicht unbedingt begünstigt.
Womit ich doch schon wieder unmittelbar bei Montaigne wäre, obwohl der Mann, soviel bekannt ist, relativ wenig Auto gefahren ist und sein Lebensgefühl auch nicht mit Hilfe von Diesel-Jeans und David-Beckham-Frisuren auf ewige Jugend zu trimmen versucht hat. Es ist nur so, dass das zufällig aufgeschlagene Kapitel, wie ich jetzt mit zunehmender Faszination feststelle, im Wesentlichen vom Kranksein und von der Todesfurcht handelt und von der Frage, wie es dem Menschen gelingen soll, sich bei einigermaßen ausgeglichenem Gemütszustand mit dem allmählichen Verfall seines Körpers, ja sich sogar mit dem Gedanken an seinen ihn irgendwann antretenden Tod vertraut zu machen, wie der Philosoph das formuliert. Schon beim ersten Durchlesen zeigt sich, dass solche Kunst nicht einmal einem weisen Manne ununterbrochen zu Gebote steht, wenn er wieder einmal von einer seiner schrecklichen Koliken gepeinigt wird. Nur bin ich mir nicht sicher, ob ich das schon für einen Trost halten soll.
Montaigne ist 47 Jahre alt, als er diesen Traktat schreibt, "47 Jahre, die ich für meinen Teil gesund verbracht habe". Bei mir zum Beispiel, um jetzt doch ein wenig präziser von jener Person zu sprechen, die mir immer noch am wichtigsten zu sein scheint, bei mir also waren es sogar 57 Jahre in leidlicher Gesundheit, sodass ich noch viel weniger Grund haben dürfte zu jenem Hass auf die Ärzte, unter dem Kollege Michel die letzten Jahre seines Lebens offenbar noch mehr gelitten hat als unter seinen Nierensteinen.
Er hielt diesen Hass übrigens für ein erbliches Leiden, weil so gut wie seine ganze Verwandtschaft davon befallen war. Am schlimmsten betroffen sei übrigens der Onkel de Bussaguet gewesen, "der mit weitem Abstand jüngste Bruder meines Vaters". Der Mann sei der Einzige in der Familie gewesen, der sich der ärztlichen Kunst unterworfen habe: "Und das bekam ihm so übel, dass er, obwohl er der Kräftigste zu sein schien, lange vor den anderen starb."
Vielleicht hatte der Onkel aber auch nur das Pech, in der falschen Krankenkasse zu sein, in einer, die ihn nicht zu den besten Ärzten schicken konnte, weil das die Versicherung nicht abgedeckt hätte. So was kommt vor und zwar sehr viel öfter, als es sich der Mensch träumen lässt, solange er noch nicht vom nächtlichen Herzrasen heimgesucht wird oder von Tumoren im Darm, die sich gerne mal im weiteren Verlauf ihrer Karriere ihren Weg an viele andere schöne Plätze ihres Wirtstieres bahnen, von wo aus sie sich ganz prima vermehren können, wenn man sie lässt. (Manchmal leider auch dann, wenn man sie mit aller Macht daran hindern möchte.)
Es kommt nun, merke ich gerade, vielleicht ein wenig passender Ton gleich zu Beginn eines Buches auf, in dem sich der Autor eigentlich als eine Art Lebenskünstler oder Lebensberater präsentieren wollte; als jemand, der es nicht nur versteht, die eigenen Lebenskrisen immer wieder beherzt anzugehen, sondern sich darüber hinaus auch noch als Brückenbauer zu betätigen zwischen den Generationen Golf und, sagen wir mal: Audi A6, um beim selben Konzern zu bleiben, aus Wettbewerbsgründen. Das könnte also manchmal ein wenig melancholisch werden. Andererseits - ist denn nicht gerade diese Erfahrung der eigenen Sterblichkeit der tiefste Abgrund, der zwischen den Generationen klafft und mit Hilfe einigermaßen tragfähiger Brücken überwunden werden müsste? Die Erfahrung eben, dass die Jugend ein sehr vergänglicher Zustand ist, und dass einen diese Erkenntnis irgendwann umso heftiger packt, je länger man versucht hat, den Gedanken nicht an sich herankommen zu lassen. Bis man gemerkt hat, dass man auch selber nicht ewig leben und aller Voraussicht nach sogar den eigenen Tod nicht bei blühender Gesundheit erleben wird.
Werde also auch im weiteren Verlauf dieses Buchs immer wieder, in tagebuchartigen Notizen, Einschüben, Reminiszenzen, in Betrachtungen aller Art auch auf diesen besonderen Aspekt des Generationenkonflikts zurückkommen müssen, auf einen Aspekt, der vor allem damit zu tun hat, dass die Menschen durch ihre Erfahrungen, durch das Älterwerden manchmal mehr voneinander getrennt werden als durch die Tatsache, dass der eine von ihnen in der Provinz Szetschuan aufwächst und der andere im südöstlichen Oberbayern.
Abgesehen davon bin ich aber zuversichtlich, dass ein solches Buch nicht von vorneherein furchtbar traurig werden muss. Das wäre ja nun wirklich besonders traurig.
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Autoren-Porträt von Herbert Riehl-Heyse
Herbert Riehl-Heyse, 1940 in Oberbayern geboren, studierter Jurist, ist seit 1968 Journalist, zur Zeit Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung in München. Er hat diverse journalistische Auszeichnungen für seine Arbeiten erhalten, u. a. den Theodor-Wolff-Preis, den Kisch-Preis und den Medienpreis des Deutschen Bundestages. Riehl-Heyse hat mehrere Bücher geschrieben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Herbert Riehl-Heyse
- 2003, 5, 188 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Blessing
- ISBN-10: 3896671936
- ISBN-13: 9783896671936
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