Kampfabsage
geschaffen. Bestsellerautor Ilija Trojanow und der indische...
geschaffen. Bestsellerautor Ilija Trojanow und der indische Dichter Ranjit Hoskoté entlarven die Unsinnigkeit dieser These. Anschaulich zeigen sie, wie das Zusammenfließen von Kulturen seit Jahrtausenden ein fester Bestandteil aller Zivilisationen ist. Eine wortgewaltige Streitschrift gegen falsche Feindbilder und ein Aufruf an den Mut und die Vernunft.
Von allen Schlagworten, die seit dem Ende des Kalten Krieges die Welt zu erklären versuchen, ist das vom KAMPF DER KULTUREN das prägnanteste und zugleich verheerendste. Mit ihm wurden weltweit neue Feindbilder geschaffen und Konflikte geschürt. Bestsellerautor Ilija Trojanow und der indische Dichter und Kulturkritiker Ranjit Hoskote entlarven die Unsinnigkeit dieser These und rücken den Propheten eines kulturellen Weltkriegs die Köpfe zurecht.
Die Definition der eigenen kulturellen Identität und Zugehörigkeit durch Abgrenzung ist unsinnig, weil unmöglich. Der Versuch der Bewahrung einer kulturellen Scheinreinheit durch Unterdrückung von schädlichen Einflüssen muss scheitern. "Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen zusammen", so heißt es im Untertitel dieses Buches. Die Autoren zeigen darin, dass dieses Zusammenfließen von Kulturen ein Naturgesetz ist. Es ist der dynamische Prozess, der kulturelle Identität und Zivilisation überhaupt erst möglich macht. Was wir heute allzu bereitwillig als KAMPF DER KULTUREN zu akzeptieren bereit sind, ist nichts anderes als der verzweifelte und letztlich nutzlose Versuch, diesen fruchtbaren Prozess aufzuhalten. Trojanow und Hoskote behaupten nicht, dass das Zusammenfließen von Kulturen ein stets friedlicher Vereinigungsprozess ist, bei dem die eine Kultur die andere freudig umarmt. Aber sie werden zusammenfließen, ob uns das passt oder nicht. Anhand aktueller und historischer Beispiele entsteht so eine Kampfschrift gegen den Kulturkampf, die auf ermutigende Weise an die Vernunft appelliert und einen neuen Sinn für Gemeinsames stiftet.
Brandaktuell: eine aufklärerische und radikale Streitschrift gegen neue Feindbilder.
Kampfabsage von Ilija Trojanow und RanjitHoskoté
LESEPROBE
Einleitung
Ohne Zusammenfluß keine Kultur!
JedenSamstag und Sonntag kommen in ganz Europa Menschen aus allen Lebensbereichenzusammen und feiern ihre Idole. Angetan mit den Trikots ihrer Helden füllen siedie Stadien, um zwei Stunden lang zu schreien und ihre Mannschaft anzufeuern.Was singen sie in den Momenten der Freude und Ekstase? Welche Parole eint siealle, egal, ob sie nun bequem in München auf der Tribüne sitzen oder inManchester unruhig von einem Bein auf das andere hüpfen? Olé!Rhythmisch wiederholt in einer bestimmten, unverkennbaren Abfolge: Olé Olé Olé Olé. Die meisten Fansbringen den Schlachtgesang wahrscheinlich mit Spanien in Verbindung,assoziieren damit Toreros oder Don Juan. Welcher Hooligan weiß schon, daß der Schlachtruf, mit dem sich die Fans gegenseitig aufpeitschen,das arabische Wort für Gott ist? Die Fußballstadien Europas hallen wider von»Allah!«-Rufen.
Wahrlich,der Westen ist in Gefahr. Die Kräfte des Bösen sind mitten unter uns, sie habenunsere Verteidigungslinien durchbrochen, ihr Gift von Zwist und Zerstörung in unsererharmonischen Gesellschaft versprüht. »MEKKADEUTSCH- LAND. Die stilleIslamisierung« tönte es neulich vom Titel des Spiegel.Nach dem Mord an dem holländischen Filmemacher Theo van Gogh verkündeten dieExperten das Ende der multikulturellen Gesellschaft. In England und Frankreich werdenEinwanderer immer mehr als Bedrohung betrachtet. Und dieses Phänomen ist nichtauf Europa beschränkt.
In Indienhat die politische Bewegung der »Hindutva « einereine (und rein fiktive) Hindu-Identität konstruiert, die alle Minderheitenausschließt. In der arabischen Welt brandmarkt ein monochromes islamistisches Dogma alle abweichenden Interpretationen alsBlasphemie. Und weltweit hat der »Krieg gegen den Terror«, der sich auf vage Rechtfertigungenstützt, Metastasen gebildet und propagiert einen Kampf der Kanonen undKulturen. Wir stehen am Rande einer Katastrophe (oder »Edge of Disaster«, wie der reißerische Titel einer Sendung auf CNNlautet), zumindest behaupten das die Medien, wir müssen Seite an Seite unsere Werteund Traditionen verteidigen. Unser Gegner ist das Fremde, das abgewehrt werden muß. Unabhängig davon, wie ehrlich es die Schwarzsehermeinen (und Zweifel sind durchaus angebracht, denn »Sex sells«,aber Kriege verkaufen sich noch viel besser), treten sie allen Ernstes für einehomogene, einheimische Kultur ein, die sich aus dem Innern einer Nation, ihrerTradition und Religion heraus entwickelt hat? Der Unterschied zum anderen, zumFremden wird als unverrückbar und unüberbrückbar definiert, gemeinsame Wurzelnund lokale Variationen werden ignoriert. Doch diese Einstellung ist falsch; werihr anhängt, verschließt die Augen vor der Geschichte.
Nehmen wirzum Beispiel die Behauptung, das Abendland sei durch seine jüdisch-christlicheTradition geprägt. Allgemein ist man der Ansicht, daßdie Bedeutung des modernen Europa in der Renaissance begründet wurde, jener Zeitder kulturellen Blüte, die von der Rückbesinnung auf die Antike und derEntdeckung des Individuums inspiriert wurde. Die Renaissance ist die großeErrungenschaft des europäischen Genius und bildet die Grundlage dereuropäischen Identität. Die großen Denker dieser Epoche haben philosophische Umwälzungenangestoßen, die das Zeitalter der Vernunft und Aufklärung einläuteten, die unsdie Trennung von Kirche und Staat, die Menschenrechte und die Idee der Freiheitbrachten. Diese Darstellung ist an sich richtig, aber nicht vollständig.
Wir werdenzeigen, daß der Ursprung der wichtigsten westlichenWerte, Technologien und kulturellen Errungenschaften im Mittelmeerraum des 9.bis 15. Jahrhunderts zu finden ist, vor allem im muslimischen Herrschaftsgebietal-Andalus auf der iberischen Halbinsel, imarabisierten normannischen Königreich Sizilien sowie in den Handelszentren deritalienischen Stadtstaaten mit Venedig als kosmopolitischem Zentrum. Dortblühten unter islamischer und christlicher Schirmherrschaft Mathematik undKartographie, Philosophie und Medizin, Poesie und Logik. Es entstand eine lebendigeStreitkultur, die Gelehrte in Granada, Bagdad, Palermo, Damaskus, Bologna,Paris, Venedig und Kairo einbezog. So verteidigte etwa IbnSina (Avicenna) im 11. Jahrhundert die AristotelischeLogik und trat für unabhängige Nachforschung und wissenschaftliche Wahrheitein. Al-Ghazali (Algazel)widersprach ihm heftig und erklärte, der tolerante Gott der Philosophen könnenicht der Gott des Islam sein. Ibn Rushd (Averroes) konterte undzeigte in Al-Ghazalis Argumentation logischeSchwächen auf. Er plädierte für die Unabhängigkeit der kritischen, rationalenÜberlegung und lehnte die Behauptung ab, der Glaube besitze den alleinigen Anspruchauf die Wahrheit. Averroes wurde für viele Pariser Scholastikerzum Helden und zur Leitfigur, darunter solche Geistesgrößen wie Pierre Abaelard, Roger Bacon und AlbertusMagnus. Sie versahen seine Kommentare zu Aristoteles mit weiteren Anmerkungenund setzten seine Ideen gegen eine Kirche ein, die dem freien Denken mit Mißtrauen begegnete und rücksichtslos gegen Häresievorging.
ImRückblick wird deutlich, daß die arabischenmuslimischen Denker den Sieg des kritischen Rationalismus über die fundamentalistischeBigotterie vorbereiteten. Ibn Sina und Ibn Rushd versahen zusammen mitAristoteles und Platon die unabhängigen Denker der Christenheit mit demintellektuellen und moralischen Rüstzeug, sich gegen die erdrükkendeOrthodoxie der Kirche zu wenden; eine Befreiungsbewegung, die schließlich inder Renaissance mündete.
Wir werdenmehrere solcher Zusammenflüsse betrachten, die sich manchmal in einer Adaptionder Form, manchmal in einer Nacherzählung von Inhalten und manchmal in beidemäußerten, wie das Beispiel des Panchatantrazeigt, einer Geschichtensammlung in Sanskrit, die sich durch die Geschichtenaus tausendundeiner Nacht und Petrus Alfonsis Disciplina Clericalis biszu Chaucers Canterbury Tales und Boccaccios Decameronezieht. Ein weiteres musisches Beispiel ist die Verwendung der arabischen Muwashshaha in den Liedern der Troubadoure,dem Beginn der modernen westlichen Lyrik. Das sind nur zwei der vielenBeispiele, mit denen wir zeigen wollen, daß sowohldie Werte als auch die kulturellen Errungenschaften des Westens durch Quelleninspiriert wurden, die heute als »nichteuropäisch« gelten.
Je größerein Fluß, desto irreführender sein Name. Unser geographischesGrundverständnis schreibt vor, daß die Quelle, dievon der Mündung am weitesten entfernt ist, als Ursprung des Flußeszu gelten hat. Der gesamte Flußlauf trägt lediglicheinen einzigen Namen. Aber kein Strom kann zu majestätischer Größe wachsen undden Ozean erreichen, ohne von Neben- und Zuflüssen gespeist zu werden:Rinnsale, Bäche, Kanäle vereinigen sich mit dem Quellfluß,führen ihm mehr Wasser, Mineralien, Schlamm und Getier zu, als er ursprünglichhatte. Wenn der große Strom das Meer schließlich erreicht, hat er mit demursprünglichen Quellwasser nicht mehr gemeinsam als eine vage Erinnerung.Vermischung und Zusammenfluß haben seinen Charakterdefiniert, aber sein Name tut noch immer so, als hätte es diese Vermischung niegegeben, er verschweigt die wahre Herkunft. Um das Wesen des Flußes wirklich zu verstehen, müßteman jedoch vor allem die Stellen untersuchen, an denen Wasser zusammenfließen, müßte herausfinden, was sich ergänzt, verdrängt, erneuert.
UnsereGeschichte ist auch ein großer, fälschlich benannter Fluß.Über die Daten und Ereignisse der Geschichte definieren wir uns selbst undunsere Kultur. Dabei verwechseln wir meist eine Momentaufnahme des Flußes mit seinem gesamten Verlauf. Wenn kulturelleErrungenschaften erst einmal im öffentlichen Bewußtseinsoweit verankert sind, daß sie in der Schule gelehrtwerden, sind die Wirren ihrer Entstehung längst vergessen. Die Zusammenflüssejeder Kultur sind verborgen, an ihre Stelle werden vereinheitlichende Gründungsmythengesetzt. Anstatt die vielen Vergangenheiten zu betrachten, die unsere Gegenwarthervorgebracht haben, sehen wir nur eine einzige Vergangenheit. Die schein- bareStabilität unserer Kultur sichert unsere Identität. Daher müssen wir dieReinheit unserer Kultur bewahren und vor Verunreinigung durch das andereschützen. Derzeit wird Globalisierung auch als Vielfalt gefeiert, aber dieherrschenden Eliten jedes Stammes definieren ihre Kultur weiterhin inAbgrenzung zu anderen. Denn schließlich bedroht die Vermischung der Kulturendie Stabilität von Gesellschaft und Staat, untergräbt die allein selig machendeWahrheit von »einem Volk, einer Nation, einer Kultur«.
Seit dem19. Jahrhundert spukt die essentialistische Vision einer einheitlichen Kulturoder Nation, die sich um die Hegelianische Vorstellung von »Geist« entwickelte,durch unser Denken und bestimmt den politischen Diskurs. Der Nationalstaat, dersich über inneren Zusammenhalt und äußere Abgrenzung definiert, blendet mitseinem existentiellen Bedürfnis nach Helden und Schurken alle anderen,differenzierteren Darstellungen aus. Im Mausoleum des Nationalstaats sindKünstler, Philosophen und Wissenschaftler als Büsten um den Sarkophag desnationalen Erbes versammelt. Draußen tauschen sich einzelne und Gemeinschaftenintensiv aus, als Teile einer lebendigen Kultur, einem innovativen Vermischender Formen, bei dem alles zusammenfließt. So war Kultur schon immer und ist siebis heute.
© BlessingVerlag
Übersetzung:Heike Schlatterer
- Autoren: Ilija Trojanow , Ranjit Hoskoté
- 2007, 1, 239 Seiten, Maße: 14 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schlatterer, Heike
- Verlag: Blessing
- ISBN-10: 3896673637
- ISBN-13: 9783896673633
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