Komm näher
In ihren Entwürfen tauchen obszöne...
Als Mängel-Exemplar
nur
In ihren Entwürfen tauchen obszöne Schmierereien auf. In der Wohnung hört sie ein unerklärliches Pochen und Knarren. Und ihr Mann Ed entfernt sich immer mehr von ihr. Amandas Leben läuft auf unheimliche Weise aus dem Ruder - ein Schwindel erregender Albtraum beginnt. Jemand scheint von Amanda Besitz zu ergreifen. Jemand, der grausam ist - und stärker als sie ...
Komm näher von Sara Gran
LESEPROBE
JedenTag passieren Dinge, die wir eigentlich für unmöglich halten. Wie damals, als Ed die Wohnungstür aufschloss, irgendwo imHaus seine Schlüssel verlor und sie nie wiederfand. Wie an dem Halloween-Morgen, als ich einenordentlich aufgeräumtenGeschirrschrank aufmachte und ein Tellerstapel vom obersten Brett herunterkippte -ein Teller nach dem anderen prallte von meiner Schulter ab undzerschellte auf dem Fußboden. Oder alsmeine Freundin Marlene den Telefonhörer abhob, um ihre Großmutter anzurufen, und dann war schon jemand in der Leitung, nämlich einer ihrer Cousins, der gerade Bescheid sagenwollte, dass ihre Großmutter andiesem Morgen gestorben war. Wirkönnten unser Leben damit zubringen, einen Sinn in den seltsamen,unerklärlichen, scheinbar zufälligen Dingenzu finden, aber die meisten Leute tun das nicht. Und ich tat es auch nicht.
Baldnachdem das Klopfen angefangen hätte, begannen Ed und ich zu streiten. Nicht die ganze Zeit natürlich, wir veränderten uns ja nicht auf einenSchlag. Zuerst
wares nur ein bisschen Gezanke, und ich dachte, es wäre einfach so eine Phase. Ich wusste nicht, dass ein Muster dahintersteckte. Ich wusstenicht, dass die Auseinandersetzungen eskalieren würden. Wenn ich genau auf den Punkt bringen müsste, wanndiese Phase begann- die Phase, die, wie sich späterherausstellte, gar keine Phase war, sondern der Anfang eines unaufhaltsamen Verfalls -, würde ich sagen, es war am Valentinstag dieses Jahres.
Wirhatten geplant, die überfüllten Restaurants zu meiden und unszu Hause einen romantischen Abend zu machen. Da ich als Erste von der Arbeitheimkam, übernahm ich das Kochen. Ed, derimmer ungefähr um sieben zu Hauseeintrudelte, sollte Blumen und Weinmitbringen. Um sieben war das Essen fertig - Kalbfleisch in Marsala mit Brokkoli -, der Tisch war gedeckt, und imBackofen stand ein SchokoladenSouffle,das ich allerdings gekauft hatte. Aber dann rief Ed um Viertel nach sieben aus dem Büro an und sagte, er würde mindestens noch ein bis zwei Stunden brauchen. Irgendwelche Zahlen mussten nochmalüberprüft werden, und das konnte nichtbis morgen warten. Also sah ich mirim Fernsehen die Nachrichten und ein paar Sitcoms an. Dann verzehrte ichbei einer Krankenhausserie eine Tüte Salzbrezeln.Um elf gab es nochmal Nachrichten.Inzwischen hatte sich in der Welt allerdings nicht viel verändert.
Mittenin den Spätabend-Talkshows kam Ed hereingeschlendert, ohne Blumen, ohne Wein.
»Hallo,Schatz«, sagte er, kam zum Sofa und beugte
sich zu mir herab, ummich zu küssen. Ich drehte den Kopf weg. Wie kann eres wagen?, hörteich mich denken.
»Dukommst ziemlich spät«, sagte ich. Er kommt doch immer zuspät, dachteich. An diesem Abend war das Klopfen in der Wohnung besonders laut. Klopf-klopf.
»Ich weiß, und es tutmir auch wirklich Leid«, sagte er mit einemübertrieben treuherzigen Hundeblick. »Verzeihst du mir?«
Klopf-klopf.
»Nein«,antwortete ich. »Deine beschissene Entschuldigung reicht mir nicht.«
»AberSchatz, ich ...«
»Esist Valentinstag!«, schrie ich. »Scheiße, wo warst du denn?«
Klopf-klopf.Klopf-klopf.
»Ichhab doch angerufen!«, brüllte er zurück, marschierte ins Schlafzimmer, wo er seinen blauen Flanellpyjama überstreifte. Er rief zu mirherüber: »Du hast dochgewusst, dass es später werden würde!« »Es ist vier Stunden her, dass duangerufen hast!« Klopf-klopf.Klopf-klopf. Klopf-klopf. Jetzt war ich stinksauer. Nichts konnte das wieder gutmachen.
»Estut mir Leid wegen dem Essen«, rief Ed, immer nochvom Schlafzimmer. »ICHHAB DIR DOCH GE-
SAGT,DASS ES MIR LEID TUT!«
»Dirtut doch immer alles Leid!«, schrie ich. »Du mit deinen ewigen beschissenen Entschuldigungen!« Klopf-klopf-klopf-klopf-klopf - das Klopfen steiger-
tesich zu einer Art Crescendo, dann war den Rest der Nacht Ruhe.
Edkam aus dem Schlafzimmer, ich ging hinein und knalltedie Tür hinter mir zu. Dann lag ich im Bett und dachte an jeden Abend, an dem Ed zu spät heimgekommen war, an jedesgebrochene Versprechen in unserer Ehe.Eine Stunde später kroch Ed ins Bett, aber ich tat, als schliefe ich.
Indieser Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum, an den ich mich am nächsten Morgen ganz klar erinnerte. Ein roter Ozean, umrahmt von Sandin einem noch dunklerenRot. Eine Frau planschte in den roten Wellen. Sie war schön und hatte große dunkle Augen; ihr einziger Makel waren ihre wildenschwarzen Haare, verdreckte, schmutzige Locken. Ich beobachtete sie vom Ufer aus. Sie kam aus dem Ozean, unddie rote Flüssigkeitperlte wie Quecksilber von ihrer Haut ab. Dann lagen wir nebeneinander im Sand. IhreZähne waren spitz wie die eines Raubtiers. Ich fand ihre Zähne hübsch. »Dugefällst mir«, sagte sie. Dann streckte sie die Hand aus und wickelte eine meinerHaarsträhnen um ihren Finger. Mir stieg das Blut ins Gesicht, und ich senkte den Blick auf den roten Sand.
»Darf ich bei dirbleiben?«, fragte sie. Mit dem Zeigefingerschrieb ich JA in den roten Sand, und sie kritzelte ihren Namen daneben: NAAMAH.
Dannschlang sie die Arme um mich, und wir kuschelten uns aneinander wie zwei Schwestern. Ich liebte sie so sehr, und ich wünschte mir, dass wirfür immer zusammenbleiben würden.
Ichwar sicher, dass ich die Frau irgendwo schon einmal gesehen hatte. In den nächsten Tagenmusste ich immer wieder an sie denken, ein Gefühl, wie wenn man einenMelodiefetzen einfach nicht mehr aus dem Kopf kriegt, aber vergeblich versucht, sich an das ganze Lied zu erinnern. Vor allem ihre Lippen kannte ich. Einpaar Tage später fiel mir ihr Namewieder ein. Ed und ich saßen mitunserem Frühstückskaffee und unserem Toast am Küchentisch undunterhielten uns über seine Freunde Alexund Sophia. Wir hatten uns nach dem Streit am Valentinstag nicht wirklichausgesöhnt, sondern nur stillschweigend beschlossen, so zu tun, als wärenichts passiert, und so lauschte ich mithalbem Ohr einer Geschichte über Alex' Beförderung und überlegte dabei,was ich anziehen wollte, als mir plötzlichund unerwartet der Name wiedereinfiel. »Pansy!«, rief ich laut.»Ich wusste doch, dass ich die Frau kenne!«
©Krüger Verlag
Übersetzung:Christine Strüh
- Autor: Sara Gran
- 2005, 1, 203 Seiten, Maße: 13 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810508675
- ISBN-13: 9783810508676
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