Mein Amerika
Als der kleine Bill einen mottenzerfressenen Pullover mit aufgen htem Blitz im Keller findet, hat er daf r nur eine Erkl rung: Er ist gar kein Erdling, sondern ein Abgesandter des Planeten Elektro. Sein Verdacht erh rtet sich, als er in hellgr nen Caprihosen eingeschult wird, die nur seine Mutter geschmackvoll findet. Endg ltige Gewissheit erlangt der sechsj hrige Bill dann, als er aus genau dem Einweckglas, in das er immer pinkeln soll, wenn es schnell gehen muss, Dessertpfirsiche serviert bekommt.
Bill Bryson reist in seinen einzigartigen Erinnerungen zur ck in das Amerika der 1950er-Jahre, wo die ersten elektrischen Dosen ffner, die ersten Kugelschreiber und Mikrowellen - und der erste Sohn der Familie Bryson Begeisterung ausl sten. Wie DDT und Fertiggerichte, Zigaretten, Pressgem se und radioaktiver Niederschlag brigens auch.
"Wie Bill Bryson die Schw chen und Absurdit ten des Alltags einer ganzen Epoche wieder aufleben l sst, das sucht seinesgleichen." Sunday Telegraph (UK)
"Bitte lesen: Bill Bryson schreibt wie ein Engel." Frankfurter Allgemeine Zeitung
"[...] wahrscheinlich das witzigste Buch, das Sie dieses Jahr lesen werden. Nein, das witzigste Buch, das Sie jemals lesen werden!" Sydney Morning Herald
MeinAmerika von Bill Bryson
leseprobe
MeineHeimatstadt
Springfield,Ill. (AP) - Der Senat von Illinois löste gestern seinen Rationalisierungs- undEinsparungsausschuss auf - »aus Gründen der Rationalisierung und Einsparung«.
Des Moines Tribune, 6. Februar 1955
Ende der1950er Jahre gab die Königlich Kanadische Luftwaffe eine Broschüre über Isometrik heraus, eine Sparte der Leibesertüchtigung, diesich bei meinem Vater kurzer, aber äußerster Beliebtheit erfreute. Beiisometrischen Übungen benutzte man ein beliebiges hartes Hilfsmittel wie einenBaum oder eine Wand und stemmte sich in verschiedenen Stellungen dagegen, umdie einzelnen Muskelgruppen zu stärken und fit zu halten. Da jedermann Zugangzu Bäumen und Wänden hat, musste man nicht viel in eine kostspielige Ausrüstunginvestieren, was für meinen Vater wahrscheinlich den Reiz an der Sacheausmachte.
Wenigerglücklich war allerdings, dass er sein isometrisches Muskeltrainingnormalerweise in Flugzeugen absolvierte. Irgendwann während eines Flugesschlenderte er nach hinten in Richtung Bordküche oder in den Bereich vor demNotausgang, stellte sich in Positur, als wolle er schweres Gerät bewegen, unddrückte sich mit dem Rücken oder der Schulter gegen die Wand des Flugzeugs. Abund zu gönnte er sich eine Pause, atmete tief durch und machte sich dann mitleisem, entschlossenem Grunzen wieder ans Werk.
Da esbeängstigend so aussah, als wolle er ein Loch in die Flugzeugwand drücken,erregte es natürlich Aufmerksamkeit. Geschäftsleute auf den Plätzen in der Nähelugten über den Rand ihrer Brillen. Eine Stewardess streckte den Kopf aus der Bordkücheund lugte ebenfalls, doch mit einer gewissen erhöhten Wachsamkeit, als erinneresie sich an einen Teil ihrer Ausbildung, den sie bisher noch nicht in derPraxis hatte anwenden müssen.
Wenn meinVater sah, dass er Zuschauer hatte, warf er sich in die Brust, lächelteverbindlich und begann in kurzen Zügen die faszinierenden Grundsätze der Isometrik darzulegen. Anschließend gab er einem sichfreilich rasch abwendenden Publikum eine Vorführung. Er war merkwürdig unfähig,solche Situationen peinlich zu finden, doch das machte nichts, denn mir warensie für uns beide peinlich - ja, peinlich für uns beide nebst allen Fluggästen,der Fluggesellschaft und ihren Angestellten sowie dem gesamten Bundesstaat,über den wir gerade flogen.
Auszweierlei Gründen fand ich mich mit derlei Aktivitäten aber ab. Erstens warmein Vater, wenn er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, meist nicht halbso närrisch, zweitens war Ziel der Flüge immer eine große Stadt wie Detroit oderSt. Louis, wo wir in einem großen Hotel übernachten und Baseballspiele besuchenwürden. Und dafür nahm ich vieles in Kauf - na, eigentlich alles. Mein Vaterwar Sportreporter für den Des Moines Register,damals eine der besten Zeitungen des Landes, und oft durfte ich ihn auf Reisenim Mittleren Westen begleiten. Manchmal fuhren wir nur mit dem Auto in kleinereOrte wie Sioux City oder Burlington, doch mindestenseinmal im Sommer bestiegen wir ein silberglänzendesFlugzeug - damals eine Riesensache - und rumpelten durch die Schäfchenwolken hochoben an einem sommerlichen Firmament zu einer richtigen Metropole, um Major-League-Baseballspielen beizuwohnen, Topereignissen indem Sport.
Wie allesdamals war Baseball Teil einer simpleren Welt und vor den Spielen durfte ichmit ihm in die Umkleidekabinen, zu den überdachten Spielerbänken und aufsSpielfeld. Stan Musial hat mir durchs Haargewuschelt. Ich habe Willie Mays einen Ballzurückgegeben, den er nicht gefangen hatte. Ich habe Harvey Kuenn(vielleicht war es auch Billy Hoeft) mein Fernglasgeliehen, damit er eine vollbusige Blondine auf den oberen Rängen ins Visiernehmen konnte. Und einmal saß ich an einem heißen Julinachmittag in den fastluftlosen Clubräumen unterhalb der Tribüne am linken Spielfeld von Wrigley Field in Chicago nebenErnie Banks, dem großartigen Shortstop der Cubs, als er kistenweise neue weiße Basebälle signierte (dieübrigens den köstlichsten Duft der Erde verströmen und in deren Nähe Zeit zuverbringen sich immer lohnt).
Unaufgefordertübernahm ich es, neben Ernie Banks Platz zu nehmen und ihm die Bällezuzureichen. Was den Ablauf erheblich entschleunigte.Doch er schenkte mir jedes Mal ein kleines Lächeln und sagte Danke schön, alstäte ich ihm einen Riesengefallen. Er war das netteste menschliche Wesen, das mirje begegnet ist. Es war, als wäre man mit Gott befreundet. Ich kann mir keineerfreulichere Zeit und keinen glücklicheren Ort zum Leben vorstellen als dieVereinigten Staaten von Amerika in den 1950er Jahren. Noch nie hatte in einemLand ein solcher Wohlstand geherrscht. Als der Krieg zu Ende war, gab es in denUSA Fabriken im Wert von 26 Milliarden Dollar, die vor dem Krieg noch nichtexistiert hatten, 140 Milliarden Dollar in Ersparnissen und Kriegsanleihen, dienur darauf warte ten, ausgegeben zu werden, keine Bombenschäden und praktischkeine Konkurrenz. Die amerikanischen Unternehmen mussten nur aufhören, Panzerund Schlachtschiffe zu bauen, und stattdessen Buicks und Frigidairesproduzieren.
Und Mann,oh Mann, das taten sie! 1951, als ich auf die Welt gesegelt kam, besaßen fast90 Prozent der US-amerikanischen Familien einen Kühlschrank und fast 75 ProzentWaschmaschine, Telefon, Staubsauger und Gas- oder Elektroküchenherd - Dinge,von denen der Rest der Welt immer noch nur träumen konnte. Die US-Bürgernannten 80 Prozent der Elektrogeräte auf Erden ihr Eigen, verfügten über zweiDrittel der Produktionskapazitäten, erzeugten 40 Prozent des elektrischen Stroms,60 Prozent des Öls und 66 Prozent des Stahls. Die fünf Prozent der Menschheit,die US-Amerikaner waren, waren reicher als die restlichen 95 Prozent zusammen.
Ich wüsstenicht, was Hülle und Fülle dieser Jahre besser illus triert als das Foto (auf den vorderen und hinterenVorsatzblättern dieses Buches), das zwei Monate vor meiner Geburt in der Lifeabgedruckt war. Es zeigt die Familie Czekalinskiaus Cleveland, Ohio - Steve, Stephanie und die beiden Söhne Stephen und Henry-, inmitten der zweieinhalb Tonnen Nahrung, die eine typische Arbeiterfamiliedamals in einem Jahr vertilgte. Zu den Dingen, mit denen sie fotografiertwurden, gehörten 400 Pfund Mehl, 65 Pfund Backfett, 50 Pfund Butter, 31Hähnchen, 270 Pfund Rindfleisch, fast 25 Pfund Karpfen, 130 Pfund gekochterSchinken, 35 Pfund Kaffee, 620 Pfund Kartoffeln, 663 Liter Milch, 131 DutzendEier, 180 Brotlaibe und 32 Liter Speiseeis, alles mit einem wöchentlichen Budgetvon 25 Dollar erstanden. (Mr. Czekalinski arbeitete imVersand einer Fabrik von Du Pont und verdiente 1,96Dollar die Stunde.) 1951 aß der durchschnittliche USBürger50 Prozent mehr als der Europäer.
KeinWunder, dass die Leute zufrieden waren. Plötzlich bekamen sie Dinge, von denensie nicht einmal geträumt hatten, und konnten ihr Glück kaum fassen. Wunderbarauch, wie bescheiden die Wünsche waren. Zum letzten Mal sollten Menschen schieraus dem Häuschen geraten, wenn sie in den Besitz eines Toasters oderWaffeleisens kamen. Schafften sie ein größeres Gerät an, luden sie die Nachbarnzum Anschauen ein.
Als ichungefähr vier war, kauften meine Eltern einen Amana- Stor-Mor-Kühlschrank und mindestens sechs Monate lang warder wie ein Ehrengast in unserer Küche. Wenn er nicht so schwer gewesen wäre,hätten sie ihn beim Essen bestimmt an den Tisch gezogen. Kam unerwartet Besuch,sagte mein Vater zu meiner Mutter: »Ach, Mary, haben wir wohl Eistee im Amana?«und bedeutungsvoll zu den Gästen: »Haben wir eigentlich jetzt immer. Es ist einStor-Mor.«
»Ah, ein Stor-Mor«, sagte dann der männliche Gast und hob die Brauenwie jemand, der was von Qualitätskühlung versteht. »Wir haben auch überlegt, obwir uns einen Stor-Mor anschaffen, uns am Ende aberfür einen Philco Shur-Koolentschieden. Alice fand, dass das Easy-Glide-Gemüsefachwirklich leicht herauszuziehen ist, und man kriegt eine Familienpackung Eiskremins Gefrierfach. Und wie Sie sich sicher vorstellen können, war das für WendellJunior das Verkaufsargument!«
Worauf alleherzlich lachten, sich hinsetzten, Eistee tranken undeine Stunde oder so über Haushaltsgeräte parlierten. Nie waren Menschenglücklicher gewesen. ( )
© GoldmannVerlag
Übersetzung:Sigrid Ruschmeier
- Autor: Bill Bryson
- 2007, 1, 347 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Ruschmeier, Sigrid
- Übersetzer: Sigrid Ruschmeier
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442301165
- ISBN-13: 9783442301164
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