Mein leidenschaftlicher Ritter
Roman
Sir Stephan Carleton genießt die Bewunderung der Damenwelt in vollen Zügen - bis er Lady Isobel Hume begegnet.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Mein leidenschaftlicher Ritter “
Sir Stephan Carleton genießt die Bewunderung der Damenwelt in vollen Zügen - bis er Lady Isobel Hume begegnet.
Klappentext zu „Mein leidenschaftlicher Ritter “
Ein sinnliches LesevergnügenSir Stephen Carleton ist ein wahrer Verführer und genießt die Bewunderung der Damenwelt in vollen Zügen - bis er Lady Isobel Hume begegnet. Die junge Witwe ist einem französischen Aristokraten versprochen, und Stephen soll sie als Geleitschutz sicher nach Frankreich bringen. Stephen weiß, dass eine Tändelei mit der schönen Braut ihn den Kopf kosten kann, trotzdem setzt er alles daran, ihr Herz zu erobern. Als Isobel in tödliche Gefahr gerät, muss ihr Ritter beweisen, dass seine Leidenschaft nur noch einer einzigen Dame gilt. Der Dame seines Herzens!
Lese-Probe zu „Mein leidenschaftlicher Ritter “
Mein leidenschaftlicher Ritter von Margaret MalloryProlog
Northumberland, England
1409
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»Wer von Euch tapferen Rittern der Tafelrunde will gegen mich kämpfen?«, rief Isobel.
»Ich! Nimm mich, Isobel! Nimm mich!«
Isobel ignorierte die Rufe der Jungen, die um sie herum auf und ab hüpften, reckte sich auf die Zehenspitzen und suchte nach ihrem Bruder. Wo steckte Geoffrey? Als sie ihn endlich im hohen Gras entdeckte, ließ sie sich auf die Fersen nieder und seufzte. Ihr Bruder schaute in den Himmel und redete, glücklich strahlend, mit sich selbst.
Statt auf ihren Bruder zeigte sie dann auf einen zerbrechlich wirkenden Jungen am Rand der Gruppe. »Du sollst Gawain sein.«
Die anderen Jungen stöhnten, während Gawain vortrat und sein hölzernes Schwert dabei hinter sich herzog.
»Sir Gawain«, sagte Isobel und verneigte sich tief. »Ich bin der böse Schwarze Ritter, der Königin Guinevere gefangen genommen hat.«
Der kleine Junge verzog das Gesicht. »Warum spielst du nicht Königin Gui-, Gui-, Gui...
»Weil ich der Schwarze Ritter bin.« Mit ihren dreizehn Jahren war sie die Älteste hier und bestimmte die Regeln.
Sie starrte die grauen Steinmauern von Hume Castle an. Die Jungen ihres Alters waren drinnen und übten mit echten Schwertern im Hof hinter der Außenmauer. Das war so ungerecht! Vollkommen grundlos verbat ihr Vater ihr, bei diesem Treffen hier mit den Jungen herumzuziehen oder ein Schwert in die Hand zu nehmen. Sie sollte still dasitzen und ihr Kleid nicht schmutzig machen.
Sie wandte sich wieder an Gawain und hob ihr Schwert. »Willst du nicht kämpfen, um deine Königin zu retten?«
Gawain stand wie erstarrt, die Augen ängstlich weit aufgerissen.
Rasch beugte sie sich vor und flüsterte dem Jungen ins Ohr: »Der Ritter der Tafelrunde gewinnt immer! Versprochen! «
Sie tat ihr Möglichstes, damit seine schwerfälligen Schläge gekonnt aussahen. Als sich das als hoffnungslos erwies, hüpfte sie herum, schnitt Grimassen und spielte den Hofnarren. Bald lachte selbst Gawain. Sie beendete ihre Vorstellung mit einem äußerst angemessenen Tod, indem sie sich stöhnend die Brust hielt, bevor sie der Länge nach zu Boden stürzte.
Da lag sie, schwitzend und außer Atem, und lauschte dem Beifall der Jungen. Der seltene Sonnenschein fühlte sich auf ihrem Gesicht gut an. Als ein Schatten über sie fiel, öffnete sie die Augen. Sie blinzelte die hochgewachsene Gestalt über ihr an und stöhnte. Konnte Bartholomew Graham sie denn nie in Ruhe lassen? Er war eine echte Plage!
»Hau ab, Kalbshirn«, sagte sie und streckte ihm die Zunge raus.
Sie stützte sich auf die Ellenbogen. Sie hatte noch mehr Pech. Alle älteren Jungen waren herausgekommen, um zuzuschauen.
»Du hast dich seit dem letzten Sommer verändert«, sagte Bartholomew Graham. Absichtlich ließ er seinen Blick auf ihren Brustkorb wandern.
»Zu schade, dass du das nicht hast.« Sie schlug nach der ihr angebotenen Hand und rappelte sich auf. »Oder hast du damit aufgehört, bei den Spielen zu mogeln und die jüngeren Jungen zu schikanieren?«
»Ich habe ein echtes Schwert, schöne Isobel«, sagte er augenzwinkernd. »Wenn du mit mir in den Wald gehst, lass ich dich damit spielen.«
Die älteren Jungen lachten schallend über seine blöde Bemerkung. Gepriesen sei Gott, dass sie keinen von denen je heiraten würde! Ihr Vater würde einen jungen Mann für sie finden, der so edel und ihrer würdig wäre wie Galahad.
»Isobel!«
Das Gelächter der Jungen erstarb, als die Stimme ihres Vaters übers Feld dröhnte. Ihr Vater hütete Isobel wie seinen Augapfel, und wehe dem Jungen, der sie beleidigte. Groß wie klein, rannten sie über das Feld davon. Alle bis auf einen. Ihr Bruder schaute sich um, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht.
»Geoffrey, verschwinde!«, zischte sie ihm zu. »Es hat keinen Sinn, wenn du auch noch Schwierigkeiten bekommst. «
Isobel winkte ihrem Vater zu. Ah, sie hatte Glück. Der Mann, der neben ihm wie eine tragende Kuh daherkam, war ihr Gastgeber Lord Hume. Ihr Vater würde sich in Anwesenheit des alten Mannes zusammennehmen. Sicherheitshalber öffnete sie aber doch die Finger ihrer anderen Hand und ließ das Holzschwert unauffällig auf den Boden fallen.
Als die beiden Männer schließlich bei ihr ankamen, begrüßte sie Lord Hume mit ihrem besten Knicks. Sie wollte einen guten Eindruck machen, da ihr Vater behauptet hatte, Lord Hume könne ihnen helfen, ihre Ländereien zurückzubekommen.
»Ich bedaure zutiefst Euren Verlust«, sagte sie und war stolz darauf, dass sie sich an den kürzlichen Tod seiner Frau erinnert hatte.
Was für ein alter Mann er doch war! Es fiel ihr schwer, ihn anzusehen - diese ganze überflüssige Haut, die ihm in schweren Falten um den Hals fiel, und diese aufgedunsenen Tränensäcke, die halb auf seine Wangen herabhingen. Aber er musste reich sein. So reich, wie ihr Vater behauptet hatte, wenn er sich einen juwelenbesetzten Gürtel leisten konnte, der um seinen ausladenden Bauch reichte.
»Eure Tochter ist Eurer reizenden Frau wie aus dem Gesicht geschnitten«, sagte Hume. »Und sie hat genug Feuer, einen Mann jung zu halten.«
Wie oft behauptete ihr Vater, sie würde ihn vorzeitig altern lassen? Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, als sie ihm einen Blick zuwarf. Sah er sie an?
»Aye, sie ist ein lebhaftes Mädchen«, sagte ihr Vater.
Die Heiterkeit seiner Antwort ließ Isobel hoffen, dass sie um eine Schelte wegen ihres Schwertkampfs mit den Jungen herumkam. Während die Männer sich noch ewig über irgendein Ereignis unterhielten, das im kommenden Herbst stattfinden sollte, wurde ihr langweilig, und sie versuchte nicht herumzuzappeln.
»Dann ist es also abgemacht«, sagte Lord Hume und verabschiedete sich endlich. »Ihr werdet nun mit Eurer Tochter sprechen wollen.«
Lord Hume nahm ihre Hand, bevor sie sie hinter ihren Röcken verstecken konnte. Sie versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als er ihren Handrücken ansabberte. Doch sobald er ihr den Rücken zukehrte, wischte sie ihn an ihrem Kleid ab.
Sie stand neben ihrem Vater und wartete darauf, wegen des Schwertspiels und schmutziger Kleider ermahnt zu werden. Als Hume endlich durch das Burgtor gehumpelt war, wandte sie sich zu ihrem Vater um.
Zu ihrem Erstaunen hüpfte er von einem Fuß auf den anderen und vollführte einen kleinen Tanz!
»Vater, was ist geschehen?«
Er hob sie hoch und schwenkte sie im Kreis herum. Dann machte er wieder seinen kleinen Tanz. Ihn so überaus glücklich zu sehen machte auch sie froh.
»Sagt es mir, sagt es mir!«, lachte sie.
Er hob die Hände gen Himmel und rief: »Gott vergib mir, dass ich mir je gewünscht habe, du wärst ein Junge.«
Ihr Vater grinste mit strahlenden Augen zu ihr herunter, als hätte sie ihm gerade die Sterne vom Himmel geholt.
»Isobel, mein Mädchen, ich habe so gute Neuigkeiten für dich!«
1
Northumberland, England
September 1417
Die Kälte von dem Steinboden der Kapelle kroch durch Isobels Knie. Alle Knochen und Muskeln ihres Körpers schmerzten davon. Es war jedoch nicht die Kälte, die sie in ihren Gebeten innehalten ließ. Noch einmal ließ sie den Blick über den verhüllten Leichnam wandern, der von hohen, flackernden Kerzen umgeben war.
Als ihr Blick den Bauch des Leichnams erreichte, der sich massig unter dem Tuch abzeichnete, entrang sich ein leises Seufzen ihrer Kehle. Die Leiche war tatsächlich Lord Hume.
Es war kindisch, dass sie sich dessen immer wieder versichern musste. Sich selbst für ihren Lapsus scheltend, kehrte Isobel zu ihren Gebeten zurück. Sie würde diese letzte Pflicht ihrem Ehemann gegenüber erfüllen.
Und dann wäre sie endlich von ihm frei.
Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, sah sie das verkniffene Gesicht des Burgkaplans über sich.
»Ich muss mit Euch sprechen«, sagte er ohne vorherige Entschuldigung.
Sie nickte und hielt den Atem an, bis er sich wieder aufgerichtet hatte. Badete der Mann denn niemals? Er roch fast so schlimm wie Hume.
Was auch immer der Priester ihr zu sagen hatte, es musste wichtig sein. Als Beichtvater ihres Mannes hatte er jeden Grund zu der Annahme, dass Humes Seele jedes Gebet dringend nötig hatte. Dennoch zögerte sie, die Dienerschaft allein bei der Totenwache zurückzulassen. Trotz des zusätzlichen Lohns, den sie ihnen dafür zahlte, würden sie aufhören zu beten, sobald die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
Hume war kein beliebter Burgherr gewesen.
Bei ihrem Versuch aufzustehen gaben ihre Knie unter ihr nach, und der Priester musste ihren Arm nehmen, um zu verhindern, dass sie stürzte. Sie ließ sich von ihm aus dem Turm führen, in dem die kleine Burgkapelle untergebracht war. Als sie nach draußen in den Burghof trat, wehte ein eisiger Wind durch ihren Umhang und ihr Kleid. Sie wartete zitternd, während Vater Dunne gegen den Wind kämpfend die schwere Holztür zuzog.
Sobald er im Hof zu ihr trat, fragte sie ihn: »Was gibt es, Vater Dunne?«
Vater Dunne zog seine Kapuze tief ins Gesicht, nahm ihren Arm und ging mit ihr in Richtung Burgfried. »Bitte, lasst uns erst hineingehen, bevor wir sprechen.«
»Gewiss.«
Der gefrorene Boden knirschte unter ihren Füßen. Beim Gedanken an das flackernde Feuer im Kamin beschleunigte Isobel ihre Schritte. Etwas zu essen wäre nicht schlecht, hatte sie doch versäumt, zu Mittag zu essen.
Als sie die Treppe des Burgfrieds hinaufgingen, bemerkte sie, dass zwei Stufen gesprungen waren. Sie fügte die notwendige Reparatur der Liste in ihrem Kopf zu. Die Burg gehörte nun ihr. Nie mehr musste sie Hume um Erlaubnis anbetteln, sich um das, was getan werden musste, kümmern zu dürfen.
Beim Eintritt in die Halle sah sie, dass ihr nächster Nachbar sich am Feuer die Hände wärmte. Sie warf Vater Dunne einen scharfen Blick zu. Der Priester hatte sich gründlich getäuscht, wenn er glaubte, die Ankunft von Bartholomew Graham wäre ein triftiger Grund, sie von ihrer Totenwache abzuhalten.
»Isobel!«
Sie biss die Zähne aufeinander, als sie hörte, wie Graham sie mit ihrem Taufnamen ansprach, obwohl sie ihn wiederholt gebeten hatte, das nicht zu tun.
»Mein tief empfundenes Beileid zum Tode von Lord Hume«, sagte Graham, während er mit ausgestreckten Armen auf sie zueilte.
Sie bot ihm die Hand, um ihn daran zu hindern, ihr zu nah zu kommen. Sie mit seinen hellgrauen Augen musternd, presste er seine Lippen darauf. Er hielt sich unnötig lange damit auf. Wie immer.
Sie hätte nicht schockiert sein sollen, als Graham ihr während ihrer Ehe den Hof machte. Schließlich war er schon als Junge ein Lügner und Betrüger gewesen. Doch dass er immer noch nicht begriffen hatte, dass er mit seinem guten Aussehen und seinem Charme bei ihr nichts erreichte, blieb ihr ein Rätsel.
»Ich danke Euch für Euer Beileid, aber ich muss jetzt mit Vater Dunne sprechen«, sagte sie und entzog ihm ihre Hand. Sie biss die Zähne aufeinander, um ihn nicht anzuherrschen. Normalerweise erwehrte sie sich seinen Aufmerksamkeiten eleganter, aber sie war müde und mit ihrer Geduld nahezu am Ende. Die letzten Tage von Humes Krankheit waren nicht leicht gewesen.
»Wenn Ihr warten wollt«, zwang sie sich zu sagen, »lasse ich Euch Erfrischungen bringen.«
Vater Dunne räusperte sich. »Verzeiht mir, Lady Hume, aber ich muss darum bitten, dass er uns begleitet.« Ihre Miene musste ihre Verwirrung widergespiegelt haben, denn Vater Dunne beeilte sich hinzuzufügen: »Ich habe einen guten Grund für diese Bitte, wie Ihr sehen werdet.«
Sie konnte sich schlecht vor den Dienern im großen Saal mit dem Burgkaplan streiten. Ihre Verärgerung hinunterschluckend drehte sie sich um und führte die beiden Männer die Wendeltreppe zu den Privatgemächern der Familie im darüber liegenden Stockwerk hinauf.
Still fügte sie der Liste in ihrem Kopf den Austausch des Burgkaplans hinzu.
Als sie in den Privatgemächern angelangt waren, gab sie sich nicht mehr die Mühe, einen milden Ton anzuschlagen. »Nun, Vater Dunne, was gibt es so Wichtiges, dass Ihr Euch veranlasst saht, mich aus meinen Gebeten für die verstorbene Seele meines Gatten zu reißen?«
Der Kaplan reagierte gereizt. »Ich fühlte mich verpflichtet, Euch von einem Dokument in Kenntnis zu setzen, das Euer Gatte meinen Händen anvertraut hat.«
»Ein Dokument?« Sie verspürte einen Anflug von Unbehagen in ihrem Magen. »Was für eine Art Dokument?«
»Es geht um die Übertragung bestimmter Besitztümer.«
Wie groß mochte die Summe wohl sein, die Hume den Zisterziensermönchen von Melrose Abbey vermacht hatte, damit diese eine Messe für ihn sangen? Sie missgönnte den Mönchen nichts, doch hoffte sie, es würden genügend Mittel übrig bleiben, um die lange versäumten Reparaturarbeiten an der Burg anzugehen.
»Ihr sprecht von seinem Testament?«, fragte sie.
»Ein Testament könnte diesem Zwecke nicht dienen«, sagte Vater Dunne auf seine behäbige Art. »Ein Mann kann sein Gold, seine Rüstung oder sein Pferd einem jeden vermachen, den er in seinem Testament wählt - doch nicht sein Land. Bei seinem Tod fällt sein Land an seinen Erben.«
Vater Dunne hustete. Zum ersten Mal wirkte er beklommen. »Wenn er sein Land irgendeinem anderen vermachen möchte«, sagte er und zog ein Pergament aus seiner Kutte, »dann muss er dies vor seinem Tod tun.«
Isobel hatte seit Monaten versucht, ihren Mann davon zu überzeugen, Jamieson das bisschen Land, das er bearbeitete, kaufen zu lassen, damit er die Müllerstochter heiraten konnte. Mit dem Tod, der an seine Tür pochte, musste Hume es endlich getan haben. Wie Gebete, so konnten auch gute Taten seine Zeit im Fegefeuer verkürzen.
Das musste es sein, worüber der Kaplan solches Aufhebens machte. Sie lächelte und streckte die Hand aus. »Dann lasst es mich sehen.«
Vater Dunne wich zurück, das Pergament an die Brust gedrückt. »Ich schlage vor, Ihr setzt Euch zuerst, Lady Hume.«
Isobel verschränkte die Arme vor der Brust und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Ich ziehe es vor zu stehen.« Also wirklich, der Mann brachte ihre schlimmsten Seiten zum Vorschein.
Der Kaplan presste die Lippen zusammen und fing an, das Pergament aufzurollen. »Es ist ein einfaches Dokument «, sagte er, doch er gab es ihr immer noch nicht. »Im Wesentlichen werden damit sämtliche Ländereien von Lord Hume, einschließlich dieser Burg, an Bartholomew Graham übertragen.«
Der Kaplan musste sich irren. Oder lügen. Doch der selbstgefällige Ausdruck auf seinem Gesicht schickte eine Welle der Angst durch ihren Körper.
Sie riss ihm das Pergament aus den Händen und überflog die Wörter. Sie las sie ein zweites Mal. Langsamer. Und dann noch einmal. Ein drittes Mal. Sie schaute mit leerem Blick auf und versuchte, sich der Ungeheuerlichkeit bewusst zu werden, die ihr Ehemann ihr angetan hatte. Sicherlich würde er das doch nicht tun! Konnte es nicht tun! Nicht nach allem, was sie aufgegeben, was sie für ihn getan hatte.
Acht Jahre lang hatte sie nach der Pfeife dieses nörglerischen alten Mannes getanzt und hatte sich von seinem ständigen Gejammer und seinen Forderungen mürbe machen lassen. Tag auf Tag auf Tag. Hatte seinen ermüdenden Gesprächen zugehört und versucht nicht hinzusehen, wenn ihm das Essen und die Getränke aus dem Mund über das Kinn rannen und auf seine feine Kleidung tropften.
Und dann waren da vor allem die Nächte.
Sie legte die Hand auf ihre Brust und kämpfte gegen das Gefühl an, jeden Moment zu ersticken. Noch einmal sah sie ihn über ihr, keuchend und schnaufend, mit rotem Gesicht und schweißgebadet. Wie sehr hatte sie gefürchtet, er könnte tot auf sie fallen und sie mit seinem enormen Gewicht unter sich begraben. Nach Jahren, in denen sie nicht schwanger geworden war, hatte sie ihn schließlich davon überzeugt, dass die Gefahren für seine Gesundheit zu hoch waren.
Sie hasste jeden Tag, jede Stunde ihrer Ehe. Und doch hatte sie ihre Pflicht ihrem Ehemann gegenüber erfüllt.
»Das muss eine Fälschung sein«, murmelte sie und blickte noch einmal auf das Pergament. Sie erkannte die Schrift des Kaplans, aber das hieß nichts. Mit zitternden Fingern rollte sie die letzten Zentimeter des Dokumentes auf.
Mit tauben Fingerspitzen fuhr sie über das vertraute Siegel.
Sie sah zu, wie das Pergament aus ihren Händen glitt und zu Boden flatterte. Der Boden bewegte sich unter ihren Füßen. Als sie die Hand ausstreckte, um sich festzuhalten, wurde um sie herum alles schwarz.
Als Isobel erwachte, bot sich ihr ein albtraumhafter Anblick. Graham und dieses Wiesel von einem Priester beugten sich über sie. Bevor sie ihre Sinne beisammenhatte, hob Graham sie auf die Bank, wobei seine Hände sie an zu vielen Körperteilen berührten, als für diese Aufgabe notwendig gewesen wären.
Als sie an sich herabschaute, traf ein dunkelroter Tropfen das Mieder ihres Kleides. Verwirrt berührte sie ihn mit der Fingerspitze.
»Ihr habt Euch den Kopf an der Bank gestoßen, als Ihr gestürzt seid«, sagte Vater Dunne und reichte ihr ein Tuch. »Ich hatte Euch gewarnt, Euch zu setzen.«
»Lasst uns allein, Vater Dunne«, sagte Graham, als wäre er bereits Herr der Burg.
Die Blicke des Kaplans schossen zwischen ihnen hin und her, während er sich aus dem Raum zurückzog. Isobel nahm an, dass er nicht weiter ging als bis auf die andere Seite der Tür.
Sie tupfte an der Wunde an ihrer Stirn herum und starrte wütend zu Graham auf. »Wie habt Ihr Hume dazu gebracht, das zu tun?«
Graham ließ sich neben ihr auf der Bank nieder, und zwar so dicht, dass sein Oberschenkel ihren berührte. Isobel war zu schwindelig, um aufzustehen, deshalb rutschte sie ans Ende der Bank.
»Hume kam zu dem Schluss, dass ich sein Sohn bin«, sagte Graham und lächelte sie an. »Du weißt ja, wie sehr er sich einen wünschte.«
»Dann habt Ihr ihn also angelogen!«
»Nun, es könnte jedenfalls so sein«, sagte er achselzuckend. »Glücklicherweise ist die Übertragung der Ländereien nicht davon abhängig.«
Grahams Mutter war eine reiche Witwe und in diesem Teil der Grenzregion berüchtigt gewesen. Als sie schwanger wurde, trat mehr als ein Mann vor, behauptete, der Vater zu sein, und bot an, sie zu heiraten. Sie enttäuschte sie alle, indem sie ihren Besitz - und das Wissen über den Vater ihres Sohnes - für sich behielt.
»Ich habe meinem Gatten keinen Grund gegeben, mich zu bestrafen«, murmelte Isobel vor sich hin. Sie konnte nicht glauben, dass Hume sie mittellos zurücklassen würde.
»Tatsächlich war der alte Mann sehr um dein Wohlergehen besorgt.« Graham streckte die Beine aus und verschränkte die Hände im Nacken. »Es tröstete ihn sehr zu wissen, dass ich dich nach seinem Tod heiraten würde.«
»Was würdet Ihr tun?« Sie musste ihn missverstanden haben.
»Endlich wirst du einen Mann haben, der dich zufriedenstellt. « Sein heißer Atem war an ihrem Ohr, aber sie war zu fassungslos, um sich zu bewegen. »Ich will dich, seit du ein Mädchen warst und noch mit den Jungen Schwertkampf gespielt hast.«
Wieder bei Sinnen schlug sie auf die Hand, die an ihrem Oberschenkel hinaufkroch. »Was macht Euch so zuversichtlich, dass ich Euch heiraten würde?«
»Ziehst du es denn vor«, sagte er amüsiert, »ins Haus deines Vaters zurückzukehren?«
Das Blut wich ihr aus dem Kopf. Es war wahr. Wenn sie nicht hier in Hume Castle bleiben konnte, hatte sie keinen anderen Ort, an den sie gehen könnte. Sie ließ sich an die Mauer hinter ihr sinken und schloss die Augen.
»Quäl dich nicht - dein Vater würde dich nicht lange behalten «, sagte Graham und tätschelte ihr Knie. »Obwohl du nicht mehr unberührt bist, wird er sicher kein Problem damit haben, einen anderen alten Mann zu finden, der dafür bezahlt, eine solche Schönheit in sein Bett zu bekommen. «
Sie holte aus, um ihm eine Ohrfeige zu geben, doch er fing ihr Handgelenk ein.
»Es ist immer aufregend, mit dir zusammen zu sein, Isobel. « Den brennenden Blick fest auf sie gerichtet, löste er ihre Faust und fuhr mit der Zunge über ihren Handteller. Schauer des Abscheus rannen durch sie hindurch.
All die Jahre hatte sie ihn schrecklich falsch eingeschätzt. Sie hatte ihn für nichts weiter als ein Ärgernis gehalten. Was für eine dumme Gans sie doch gewesen war. Erst jetzt erkannte sie, dass er nicht einfach nur oberflächlich und egoistisch war, sondern skrupellos und hinterlistig. Das attraktive Gesicht und die guten Manieren verbargen einen Mann ohne Ehre.
Ein Mann, der sich nahm, was er wollte.
»Ich werde in einigen Tagen zurückkehren und meinen Platz hier einnehmen«, sagte er.
Isobels ganzer Körper erschlaffte vor Erleichterung, als er aufstand. An der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Schick mir einen Boten«, sagte er augenzwinkernd, »wenn du es nicht so lange aushältst.«
2
Sobald Graham durch die Tür war, rannte sie los und schob den Riegel vor. Wut brannte nun in ihr und raubte ihr den Verstand. Sie marschierte im Zimmer auf und ab und ballte die Fäuste, sodass sich ihre Fingernägel in ihr Fleisch bohrten. Was konnte sie tun? Es musste doch einen Weg geben, gegen diese Enteignung vorzugehen. Aber wie sollte sie es angehen? Und wer sollte ihr helfen?
Die einzige Person, der sie vertraute, war ihr Bruder. Doch Geoffrey war mit der Armee des Königs in der Normandie. Sie schlug die Hände vors Gesicht und wollte jetzt nicht daran denken, wie große Sorgen sie sich um ihn machte. Ihr süßer, verträumter Bruder war kein Soldat. Ihn in den Kampf zu schicken war eine weitere Tat, die sie ihrem Vater niemals verzeihen würde.
Ihr Vater. In dieser Angelegenheit wäre er ihr Verbündeter. Ihm würde es etwas ausmachen, wenn sie ihren Besitz verlöre.
Schließlich ließ sie nach ihm schicken, denn sie hatte sonst niemanden, den sie um Rat fragen konnte.
Eine Stunde später klopfte ihre Zofe an die Tür zu den Privatgemächern. »Mylady, Sir Edward erwartet Euch.«
Ihr Vater musste sich sofort auf den Weg gemacht haben, sobald ihn ihre Nachricht erreicht hatte.
Isobel eilte die Treppe zum Saal hinunter. Am Eingang blieb sie stehen. Das Gefühl des Verlustes beim Anblick seiner vertrauten bulligen Statur traf sie völlig unvorbereitet. Ihr Vater stand halb von ihr abgewandt und betrachtete den großen Saal mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht. Nach all den Jahren sollte es nicht so wehtun, ihn zu sehen.
Mit wachsender Enge in der Brust erinnerte sie sich daran, dass sie einst geglaubt hatte, er ließe die Sonne am Himmel scheinen. Sie war sein Lieblingskind, die bewunderte Tochter, die er überallhin mitnahm. Wenn es anders gewesen wäre, hätte sie sich nicht so betrogen gefühlt.
Was für eine dumme Gans sie doch gewesen war. Sie hatte geglaubt, ihr Vater würde es hinauszögern, sie zu verloben, weil er keinen Mann fand, der ihrer würdig war. Galahads wuchsen nicht auf den Bäumen.
Doch dann hatte er sie wie ein Stück Vieh verkauft. An einen Mann wie Hume.
Sie erinnerte sich daran, wie ihre Knie in jener ersten Nacht zitterten, wie ihr Atem in gekeuchtem Schluckauf ging, als sie aus Humes hohem Bett geklettert war, um sich zu waschen. Hinter dem Wandschirm hatte sie eine Kerze angezündet und Wasser in eine Schüssel gegeben. Als sie die Blutspuren von der Innenseite ihrer Oberschenkel wusch, ging es ihr auf: Ihr Vater hatte gewusst, was Hume mit ihr tun würde. Er hatte es gewusst und hatte sie trotzdem diesem Mann gegeben.
»Isobel, es tut so gut, dich zu sehen!« Die dröhnende Stimme ihres Vaters brachte sie mit einem Ruck in die Gegenwart zurück.
Als er auf sie zutrat, als wollte er sie umarmen, hob sie die Hand, um ihn daran zu hindern.
»Es ist eine Schande«, sagte er, »dass erst dein Mann sterben musste, bevor du mich in deinem Heim willkommen heißt.«
Isobel verübelte ihm sowohl den Schmerz als auch die Kritik in seiner Stimme. »Kommt, wir müssen unter vier Augen sprechen.«
Ohne weitere Begrüßung drehte sie sich um und ging ihm voran die Treppe zu den Privatgemächern hinauf. Auch dort schaute er sich mit besitzergreifendem Gehabe um, bewunderte die schweren Wandbehänge und kostbaren Glasfenster.
»Wer hätte gedacht, dass der alte Mann so lange lebt?«, sagte er. »Aber jetzt gehören diese feine Burg und all seine Ländereien dir! Ich habe dir ja gesagt, dass für eine Frau die Ehe der Weg zur Macht ist.«
Bevor Isobel ihm ausweichen konnte, packte er ihre Arme. »Mit Humes Vermächtnis«, sagte er und seine Augen leuchteten, »kannst du in der zweiten Ehe hoch hinaus. «
Isobel vermochte ihn bloß voller Entsetzen anzuschauen. Glaubte ihr Vater wirklich, sie ließe ihn eine zweite Ehe für sie arrangieren?
»Ich weiß, dass es nicht leicht war.« Sein Tonfall wurde sanfter. »Aber jetzt wirst du die Ernte für dein Opfer einfahren. «
»Mein ›Opfer‹, wie Ihr es nennt, war vollkommen umsonst - zumindest für mich!« Isobel erstickte schier an ihren Gefühlen, sodass sie die Worte kaum herausbrachte. »Am Tag, als die Ehe vollzogen wurde, hat Hume Euch gegeben, was Ihr wolltet, aber mir hat er nichts hinterlassen. «
»Was hat er?«
Als sie ihrem Vater ins Gesicht sah, kehrte ihr Zorn mit aller Macht zurück. »Mein Gatte hat alle Ländereien, die ich erben sollte, anderen geschenkt.« Sie wollte mit ihren Fäusten gegen die Brust ihres Vaters trommeln wie das eigensinnige Kind, das sie einst gewesen war. »Ihr habt versprochen, ich hätte meine Unabhängigkeit, wenn er tot wäre. Das habt Ihr mir versprochen!«
Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Arme. »Du irrst dich, Tochter. Hume hatte keine Kinder; seine Ländereien müssen dir zukommen.«
»Er hat alles Bartholomew Graham gegeben!«, schrie sie ihn an. »Mein Heim. Meine Ländereien. Bis auf die letzte Parzelle.«
»Der Teufel soll ihn holen!«, explodierte ihr Vater. »Welchen Grund könnte Hume dafür haben?«
Isobel schlug die Hände vors Gesicht. »Graham hat den alten Tölpel glauben lassen, er wäre sein Sohn.«
»Der Betrug wird keinen Bestand haben!« Mit hervortretenden Augen und wild gestikulierend stürmte ihr Vater im Zimmer auf und ab. »Wir bringen diese Sache vor Bischof Beaufort. Dann werden wir ja sehen! Sicherlich kann der Onkel des Königs diesen Betrug aufklären. Ich schwöre dir, Isobel, wir werden dafür sorgen, dass der junge Graham dafür in den Kerker geworfen wird.«
Bevor noch die letzte Schaufel Erde Humes Leiche bedeckte, brachen Isobel und ihr Vater nach Alnwick Castle auf. Bischof Beaufort hielt sich dort im Dienste des Königs auf.
Isobel zügelte ihr Pferd an der Brücke und ließ den Blick über die ausgedehnte steinerne Festung schweifen. Als Kind war sie oft hierhergekommen. Aber das war zu einer Zeit gewesen, als Alnwick noch das Heim des Earl of Northumberland gewesen war - bevor Northumberland versucht hatte, Heinrich IV. zu entthronen.
Northumberland hatte sich nach Schottland abgesetzt. Die wichtigeren seiner Mitverschwörer waren geköpft, die weniger wichtigen enteignet worden. Törichte Männer allesamt, sich mit den Lancasters anzulegen.
Ihr Vater, unbedacht wie immer, spornte sein Pferd an, den Fluss zu durchqueren, der als erste Verteidigungslinie von Alnwick Castle diente. Isobel folgte ihm ein wenig langsamer. Bischof Beaufort war der gerissenste aller Lancasters.
»Ich habe gehört, Beaufort sei der reichste Mann in ganz England«, sagte ihr Vater, als sie sich dem Torhaus näherten. »Bei Gott, er hat der Krone eine riesige Summe für den Feldzug des Königs in die Normandie geliehen.«
»Pst!«, flüsterte sie. »Vergesst nicht, dass er der Halbbruder unseres letzten Königs war.« Des Königs, gegen den du Verrat begangen hast.
»Ich wurde vom jungen König Heinrich V. begnadigt «, sagte er, aber er war nicht so selbstsicher, wie er tat. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, als sie durch das Torhaus ritten, diese schmale Passage, die dazu gedacht
war, den Feind innerhalb des Haupttores einzuschließen.
Sie wurden in den Burgfried geführt und in einem kleinen Vorzimmer eingeschlossen, wo sie warten sollten, bis der Bischof bereit war, ihnen seine Zeit zu widmen. Fast unmittelbar danach erschien ein tadellos gekleideter Diener, um ihren Vater für eine Audienz in den großen Saal zu bringen. Isobel blieb zurück, während die beiden Männer über ihr Schicksal berieten.
Sie war überrascht, als der Diener kurze Zeit später ohne ihren Vater zurückkehrte.
»Seine Exzellenz, der Bischof, wünscht Euch jetzt zu sehen, Mylady.« Sie musste zu langsam aufgestanden sein, denn der Diener zog eine Augenbraue hoch und sagte: »Seine Exzellenz ist ein viel beschäftigter Mann.«
Sie schritt durch die massive Holztür, die er ihr aufhielt, und betrat einen riesigen Saal mit einer hohen Decke, die wie in einer Kirche den Blick immer weiter nach oben lenkte.
Der Mann hinter dem schweren Holztisch am Herdfeuer war nicht zu verkennen. Sie hätte Bischof Beaufort an der Macht erkannt, die er ausstrahlte, selbst wenn er nicht den Ornat getragen hätte - ein Messgewand aus goldener Seide über einer schneeweißen leinenen Albe mit Verzierungen aus goldener Seide an den Ärmelbündchen.
Der Bischof schaute nicht von seinen Papieren auf, als sie den Saal durchquerte. Als sie ihren Platz vor dem Tisch neben ihrem Vater einnahm, sah sie, dass das Pergament in den Händen des Bischofs eine Kopie von Humes Vermögensübertragung war.
Ihr Vater stieß ihr den Ellenbogen in die Seite und zwinkerte ihr zu. Seine Unterredung mit dem Bischof musste erfolgreich gewesen sein. Gelobt sei der Herr!
»Ich glaube nicht«, sagte der Bischof, die Augen immer noch auf das Dokument gerichtet, »dass Humes Vermögensübertragung angefochten werden kann.«
Bestürzt von der raschen Zurückweisung ihres Anliegens durch den Bischof warf sie ihrem Vater einen Blick zu. Sein Nicken beruhigte sie nicht.
»Euer Vater schlägt eine vernünftige Lösung vor«, sagte der Bischof und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Unter diesen Umständen ist der einzig ehrbare Weg, der Graham offen steht, Euch zu heiraten. Ich werde dafür sorgen, dass er Euch einen Antrag macht.«
Der Bischof nahm ein anderes Dokument zur Hand und wies damit sie und ihr Problem ab.
»Aber ich habe seinen Antrag bereits abgelehnt.« Ihre Stimme schien in dem riesigen Saal widerzuhallen. »Ich möchte nicht undankbar für Eure gütige Hilfe erscheinen, Eure Exzellenz«, fügte sie eilig hinzu. »Aber ich würde keinen Mann heiraten, der mir mein Eigentum gestohlen hat. Er ist vollkommen ehrlos.«
Der Bischof legte seine Papiere beiseite und schaute sie zum ersten Mal richtig an. So mächtig, wie er auch war, konnte er sie nicht umstimmen; sie begegnete seinem Blick, damit er das wusste. Statt Verärgerung las sie ausgeprägtes Interesse in den scharfen Augen, mit denen er sie taxierte.
»Lasst mich allein mit Eurer Tochter sprechen«, sagte er, ohne den Blick von ihr zu wenden. Obwohl er höflich gesprochen hatte, war es doch alles andere als eine Bitte.
Nachdem sich die Tür hinter ihrem Vater geschlossen hatte, gab der Bischof ihr ein Zeichen, sich zu setzen. Sie ließ sich nieder, faltete die Hände im Schoß und zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, während der Bischof sie musterte.
»Lasst mich Euch noch einmal Eure Möglichkeiten vor Augen führen, Lady Hume.« Der Bischof legte die Fingerspitzen zusammen und stützte damit sein Kinn. »Erstens, Ihr könnt Grahams Antrag annehmen. Mit ihm behaltet Ihr Euer Heim und Eure Stellung.«
Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, schloss ihn jedoch gleich wieder.
»Zweitens, Ihr könnt unter die Obhut Eures Vaters zurückkehren. Bei der großzügigen Mitgift, die Euer Vater für Euch bereitstellen wird«, der bedeutungsvolle Blick, den er ihr zuwarf, ließ keinen Zweifel daran, dass er die erniedrigenden Bedingungen ihrer ersten Heirat kannte, »bin ich mir sicher, dass der nächste Ehemann, den er für Euch findet, genauso passend für Euch sein wird wie der letzte.«
Er hielt inne, als wollte er ihr Zeit zum Nachdenken geben. Zeit jedoch konnte weder die eine noch die andere Option verbessern.
Bitte, Gott, gibt es für mich denn keinen Ausweg? Gar keinen?
»Ich kann Euch eine dritte Möglichkeit eröffnen«, sagte der Bischof langsam und bedächtig. Er streckte die Hand aus und legte seine langen, schlanken Finger auf ein zusammengerolltes Pergament auf der Seite seines Tisches. »Ich habe gerade eine Nachricht von meinem Neffen erhalten. Er hat Caen eingenommen.«
»Gott möge ihn schützen«, murmelte sie. Verzweifelt versuchte sie zu ergründen, aus welchem Grund er ihr von König Heinrichs Erfolgen bei der Rückeroberung englischen Landes in der Normandie erzählte. Der Bischof kam ihr nicht wie ein Mann vor, der grundlos plauderte.
»Der König ist bemüht, die Verbindungen zwischen England und der Normandie zu stärken. Im kommenden Frühling wird das Parlament Anreize für englische Händler schaffen, sich dort niederzulassen.«
Händler? Was konnte das mit ihr zu tun haben?
»Verbindungen zwischen den Edelleuten sind noch wichtiger.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Pergament. »Der König bittet mich um Unterstützung bei den Vorbereitungen solcher ... Arrangements.«
Ihre Gedanken erschienen ihr langsam und träge, während sie darum kämpfte, den Sinn seiner Worte zu verstehen.
»Ich biete Euch die Möglichkeit, eine Ehe einzugehen, die von Vorteil für Euch sein wird. Und für England.«
Ihr stockte der Atem. »In der Normandie?« »Ihr müsst jemanden heiraten«, sagte der Bischof und legte die Hand offen auf den Tisch. Er beugte sich ein Stückchen vor und kniff die Augen zusammen. »Ich denke, Ihr könntet eine Frau sein, die den ihr unbekannten Teufel dem ihr bekannten Teufel vorzieht.«
Zu wissen, dass sie von einem Könner manipuliert wurde, half ihr kein bisschen.
Der Bischof trommelte wieder leicht mit den Fingerspitzen.
»Wäre es mir gestattet, den französischen ›Teufel‹ zuerst kennenzulernen, bevor ich mich verpflichte, ihn zu heiraten? «
Ein anerkennendes Lächeln umspielte für einen Moment die Mundwinkel des Bischofs, doch er schüttelte den Kopf. »Selbst wenn ihr abreist, bevor eine Verlobung arrangiert werden kann, seid ihr durch Euren Eid dem König gegenüber verpflichtet.« Er zog eine dünne Augenbraue in die Höhe. »Habt Ihr bestimmte ... Anforderungen ... die ich dem König übermitteln soll?«
Ein Ritter, tapfer und treu, gut und gütig. Die Beschreibung eines Ritters der Tafelrunde kamen ihr unerklärlicherweise in den Sinn. Errötend schüttelte sie den Kopf.
»Nach den ... Fehleinschätzungen ... Eures Vaters in der Vergangenheit«, sagte der Bischof, und seine Nasenflügel bebten dabei leicht, »würde eine solche Ehe viel dazu beitragen, Eurer Familie beim König wieder Ansehen zu verschaffen. «
»Darf ich es mir überlegen, Euer Exzellenz?«
»Natürlich.« Mit funkelnden Augen sagte er: »Bald wird eine Überfahrt bis zum Frühling unmöglich sein, aber ich bin mir sicher, Ihr werdet die langen Wintermonate hier mit Eurem Vater verbringen wollen.«
Oh, er war ein schlauer Mann.
Der Bischof erhob sich. »Ich breche in drei Tagen nach Westminster auf. Bis dahin könnt Ihr mir eine Nachricht zukommen lassen.«
Ohne ein weiteres Wort rauschte er aus dem Saal.
Übersetzung: Cora Munroe
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
»Wer von Euch tapferen Rittern der Tafelrunde will gegen mich kämpfen?«, rief Isobel.
»Ich! Nimm mich, Isobel! Nimm mich!«
Isobel ignorierte die Rufe der Jungen, die um sie herum auf und ab hüpften, reckte sich auf die Zehenspitzen und suchte nach ihrem Bruder. Wo steckte Geoffrey? Als sie ihn endlich im hohen Gras entdeckte, ließ sie sich auf die Fersen nieder und seufzte. Ihr Bruder schaute in den Himmel und redete, glücklich strahlend, mit sich selbst.
Statt auf ihren Bruder zeigte sie dann auf einen zerbrechlich wirkenden Jungen am Rand der Gruppe. »Du sollst Gawain sein.«
Die anderen Jungen stöhnten, während Gawain vortrat und sein hölzernes Schwert dabei hinter sich herzog.
»Sir Gawain«, sagte Isobel und verneigte sich tief. »Ich bin der böse Schwarze Ritter, der Königin Guinevere gefangen genommen hat.«
Der kleine Junge verzog das Gesicht. »Warum spielst du nicht Königin Gui-, Gui-, Gui...
»Weil ich der Schwarze Ritter bin.« Mit ihren dreizehn Jahren war sie die Älteste hier und bestimmte die Regeln.
Sie starrte die grauen Steinmauern von Hume Castle an. Die Jungen ihres Alters waren drinnen und übten mit echten Schwertern im Hof hinter der Außenmauer. Das war so ungerecht! Vollkommen grundlos verbat ihr Vater ihr, bei diesem Treffen hier mit den Jungen herumzuziehen oder ein Schwert in die Hand zu nehmen. Sie sollte still dasitzen und ihr Kleid nicht schmutzig machen.
Sie wandte sich wieder an Gawain und hob ihr Schwert. »Willst du nicht kämpfen, um deine Königin zu retten?«
Gawain stand wie erstarrt, die Augen ängstlich weit aufgerissen.
Rasch beugte sie sich vor und flüsterte dem Jungen ins Ohr: »Der Ritter der Tafelrunde gewinnt immer! Versprochen! «
Sie tat ihr Möglichstes, damit seine schwerfälligen Schläge gekonnt aussahen. Als sich das als hoffnungslos erwies, hüpfte sie herum, schnitt Grimassen und spielte den Hofnarren. Bald lachte selbst Gawain. Sie beendete ihre Vorstellung mit einem äußerst angemessenen Tod, indem sie sich stöhnend die Brust hielt, bevor sie der Länge nach zu Boden stürzte.
Da lag sie, schwitzend und außer Atem, und lauschte dem Beifall der Jungen. Der seltene Sonnenschein fühlte sich auf ihrem Gesicht gut an. Als ein Schatten über sie fiel, öffnete sie die Augen. Sie blinzelte die hochgewachsene Gestalt über ihr an und stöhnte. Konnte Bartholomew Graham sie denn nie in Ruhe lassen? Er war eine echte Plage!
»Hau ab, Kalbshirn«, sagte sie und streckte ihm die Zunge raus.
Sie stützte sich auf die Ellenbogen. Sie hatte noch mehr Pech. Alle älteren Jungen waren herausgekommen, um zuzuschauen.
»Du hast dich seit dem letzten Sommer verändert«, sagte Bartholomew Graham. Absichtlich ließ er seinen Blick auf ihren Brustkorb wandern.
»Zu schade, dass du das nicht hast.« Sie schlug nach der ihr angebotenen Hand und rappelte sich auf. »Oder hast du damit aufgehört, bei den Spielen zu mogeln und die jüngeren Jungen zu schikanieren?«
»Ich habe ein echtes Schwert, schöne Isobel«, sagte er augenzwinkernd. »Wenn du mit mir in den Wald gehst, lass ich dich damit spielen.«
Die älteren Jungen lachten schallend über seine blöde Bemerkung. Gepriesen sei Gott, dass sie keinen von denen je heiraten würde! Ihr Vater würde einen jungen Mann für sie finden, der so edel und ihrer würdig wäre wie Galahad.
»Isobel!«
Das Gelächter der Jungen erstarb, als die Stimme ihres Vaters übers Feld dröhnte. Ihr Vater hütete Isobel wie seinen Augapfel, und wehe dem Jungen, der sie beleidigte. Groß wie klein, rannten sie über das Feld davon. Alle bis auf einen. Ihr Bruder schaute sich um, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht.
»Geoffrey, verschwinde!«, zischte sie ihm zu. »Es hat keinen Sinn, wenn du auch noch Schwierigkeiten bekommst. «
Isobel winkte ihrem Vater zu. Ah, sie hatte Glück. Der Mann, der neben ihm wie eine tragende Kuh daherkam, war ihr Gastgeber Lord Hume. Ihr Vater würde sich in Anwesenheit des alten Mannes zusammennehmen. Sicherheitshalber öffnete sie aber doch die Finger ihrer anderen Hand und ließ das Holzschwert unauffällig auf den Boden fallen.
Als die beiden Männer schließlich bei ihr ankamen, begrüßte sie Lord Hume mit ihrem besten Knicks. Sie wollte einen guten Eindruck machen, da ihr Vater behauptet hatte, Lord Hume könne ihnen helfen, ihre Ländereien zurückzubekommen.
»Ich bedaure zutiefst Euren Verlust«, sagte sie und war stolz darauf, dass sie sich an den kürzlichen Tod seiner Frau erinnert hatte.
Was für ein alter Mann er doch war! Es fiel ihr schwer, ihn anzusehen - diese ganze überflüssige Haut, die ihm in schweren Falten um den Hals fiel, und diese aufgedunsenen Tränensäcke, die halb auf seine Wangen herabhingen. Aber er musste reich sein. So reich, wie ihr Vater behauptet hatte, wenn er sich einen juwelenbesetzten Gürtel leisten konnte, der um seinen ausladenden Bauch reichte.
»Eure Tochter ist Eurer reizenden Frau wie aus dem Gesicht geschnitten«, sagte Hume. »Und sie hat genug Feuer, einen Mann jung zu halten.«
Wie oft behauptete ihr Vater, sie würde ihn vorzeitig altern lassen? Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, als sie ihm einen Blick zuwarf. Sah er sie an?
»Aye, sie ist ein lebhaftes Mädchen«, sagte ihr Vater.
Die Heiterkeit seiner Antwort ließ Isobel hoffen, dass sie um eine Schelte wegen ihres Schwertkampfs mit den Jungen herumkam. Während die Männer sich noch ewig über irgendein Ereignis unterhielten, das im kommenden Herbst stattfinden sollte, wurde ihr langweilig, und sie versuchte nicht herumzuzappeln.
»Dann ist es also abgemacht«, sagte Lord Hume und verabschiedete sich endlich. »Ihr werdet nun mit Eurer Tochter sprechen wollen.«
Lord Hume nahm ihre Hand, bevor sie sie hinter ihren Röcken verstecken konnte. Sie versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als er ihren Handrücken ansabberte. Doch sobald er ihr den Rücken zukehrte, wischte sie ihn an ihrem Kleid ab.
Sie stand neben ihrem Vater und wartete darauf, wegen des Schwertspiels und schmutziger Kleider ermahnt zu werden. Als Hume endlich durch das Burgtor gehumpelt war, wandte sie sich zu ihrem Vater um.
Zu ihrem Erstaunen hüpfte er von einem Fuß auf den anderen und vollführte einen kleinen Tanz!
»Vater, was ist geschehen?«
Er hob sie hoch und schwenkte sie im Kreis herum. Dann machte er wieder seinen kleinen Tanz. Ihn so überaus glücklich zu sehen machte auch sie froh.
»Sagt es mir, sagt es mir!«, lachte sie.
Er hob die Hände gen Himmel und rief: »Gott vergib mir, dass ich mir je gewünscht habe, du wärst ein Junge.«
Ihr Vater grinste mit strahlenden Augen zu ihr herunter, als hätte sie ihm gerade die Sterne vom Himmel geholt.
»Isobel, mein Mädchen, ich habe so gute Neuigkeiten für dich!«
1
Northumberland, England
September 1417
Die Kälte von dem Steinboden der Kapelle kroch durch Isobels Knie. Alle Knochen und Muskeln ihres Körpers schmerzten davon. Es war jedoch nicht die Kälte, die sie in ihren Gebeten innehalten ließ. Noch einmal ließ sie den Blick über den verhüllten Leichnam wandern, der von hohen, flackernden Kerzen umgeben war.
Als ihr Blick den Bauch des Leichnams erreichte, der sich massig unter dem Tuch abzeichnete, entrang sich ein leises Seufzen ihrer Kehle. Die Leiche war tatsächlich Lord Hume.
Es war kindisch, dass sie sich dessen immer wieder versichern musste. Sich selbst für ihren Lapsus scheltend, kehrte Isobel zu ihren Gebeten zurück. Sie würde diese letzte Pflicht ihrem Ehemann gegenüber erfüllen.
Und dann wäre sie endlich von ihm frei.
Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, sah sie das verkniffene Gesicht des Burgkaplans über sich.
»Ich muss mit Euch sprechen«, sagte er ohne vorherige Entschuldigung.
Sie nickte und hielt den Atem an, bis er sich wieder aufgerichtet hatte. Badete der Mann denn niemals? Er roch fast so schlimm wie Hume.
Was auch immer der Priester ihr zu sagen hatte, es musste wichtig sein. Als Beichtvater ihres Mannes hatte er jeden Grund zu der Annahme, dass Humes Seele jedes Gebet dringend nötig hatte. Dennoch zögerte sie, die Dienerschaft allein bei der Totenwache zurückzulassen. Trotz des zusätzlichen Lohns, den sie ihnen dafür zahlte, würden sie aufhören zu beten, sobald die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
Hume war kein beliebter Burgherr gewesen.
Bei ihrem Versuch aufzustehen gaben ihre Knie unter ihr nach, und der Priester musste ihren Arm nehmen, um zu verhindern, dass sie stürzte. Sie ließ sich von ihm aus dem Turm führen, in dem die kleine Burgkapelle untergebracht war. Als sie nach draußen in den Burghof trat, wehte ein eisiger Wind durch ihren Umhang und ihr Kleid. Sie wartete zitternd, während Vater Dunne gegen den Wind kämpfend die schwere Holztür zuzog.
Sobald er im Hof zu ihr trat, fragte sie ihn: »Was gibt es, Vater Dunne?«
Vater Dunne zog seine Kapuze tief ins Gesicht, nahm ihren Arm und ging mit ihr in Richtung Burgfried. »Bitte, lasst uns erst hineingehen, bevor wir sprechen.«
»Gewiss.«
Der gefrorene Boden knirschte unter ihren Füßen. Beim Gedanken an das flackernde Feuer im Kamin beschleunigte Isobel ihre Schritte. Etwas zu essen wäre nicht schlecht, hatte sie doch versäumt, zu Mittag zu essen.
Als sie die Treppe des Burgfrieds hinaufgingen, bemerkte sie, dass zwei Stufen gesprungen waren. Sie fügte die notwendige Reparatur der Liste in ihrem Kopf zu. Die Burg gehörte nun ihr. Nie mehr musste sie Hume um Erlaubnis anbetteln, sich um das, was getan werden musste, kümmern zu dürfen.
Beim Eintritt in die Halle sah sie, dass ihr nächster Nachbar sich am Feuer die Hände wärmte. Sie warf Vater Dunne einen scharfen Blick zu. Der Priester hatte sich gründlich getäuscht, wenn er glaubte, die Ankunft von Bartholomew Graham wäre ein triftiger Grund, sie von ihrer Totenwache abzuhalten.
»Isobel!«
Sie biss die Zähne aufeinander, als sie hörte, wie Graham sie mit ihrem Taufnamen ansprach, obwohl sie ihn wiederholt gebeten hatte, das nicht zu tun.
»Mein tief empfundenes Beileid zum Tode von Lord Hume«, sagte Graham, während er mit ausgestreckten Armen auf sie zueilte.
Sie bot ihm die Hand, um ihn daran zu hindern, ihr zu nah zu kommen. Sie mit seinen hellgrauen Augen musternd, presste er seine Lippen darauf. Er hielt sich unnötig lange damit auf. Wie immer.
Sie hätte nicht schockiert sein sollen, als Graham ihr während ihrer Ehe den Hof machte. Schließlich war er schon als Junge ein Lügner und Betrüger gewesen. Doch dass er immer noch nicht begriffen hatte, dass er mit seinem guten Aussehen und seinem Charme bei ihr nichts erreichte, blieb ihr ein Rätsel.
»Ich danke Euch für Euer Beileid, aber ich muss jetzt mit Vater Dunne sprechen«, sagte sie und entzog ihm ihre Hand. Sie biss die Zähne aufeinander, um ihn nicht anzuherrschen. Normalerweise erwehrte sie sich seinen Aufmerksamkeiten eleganter, aber sie war müde und mit ihrer Geduld nahezu am Ende. Die letzten Tage von Humes Krankheit waren nicht leicht gewesen.
»Wenn Ihr warten wollt«, zwang sie sich zu sagen, »lasse ich Euch Erfrischungen bringen.«
Vater Dunne räusperte sich. »Verzeiht mir, Lady Hume, aber ich muss darum bitten, dass er uns begleitet.« Ihre Miene musste ihre Verwirrung widergespiegelt haben, denn Vater Dunne beeilte sich hinzuzufügen: »Ich habe einen guten Grund für diese Bitte, wie Ihr sehen werdet.«
Sie konnte sich schlecht vor den Dienern im großen Saal mit dem Burgkaplan streiten. Ihre Verärgerung hinunterschluckend drehte sie sich um und führte die beiden Männer die Wendeltreppe zu den Privatgemächern der Familie im darüber liegenden Stockwerk hinauf.
Still fügte sie der Liste in ihrem Kopf den Austausch des Burgkaplans hinzu.
Als sie in den Privatgemächern angelangt waren, gab sie sich nicht mehr die Mühe, einen milden Ton anzuschlagen. »Nun, Vater Dunne, was gibt es so Wichtiges, dass Ihr Euch veranlasst saht, mich aus meinen Gebeten für die verstorbene Seele meines Gatten zu reißen?«
Der Kaplan reagierte gereizt. »Ich fühlte mich verpflichtet, Euch von einem Dokument in Kenntnis zu setzen, das Euer Gatte meinen Händen anvertraut hat.«
»Ein Dokument?« Sie verspürte einen Anflug von Unbehagen in ihrem Magen. »Was für eine Art Dokument?«
»Es geht um die Übertragung bestimmter Besitztümer.«
Wie groß mochte die Summe wohl sein, die Hume den Zisterziensermönchen von Melrose Abbey vermacht hatte, damit diese eine Messe für ihn sangen? Sie missgönnte den Mönchen nichts, doch hoffte sie, es würden genügend Mittel übrig bleiben, um die lange versäumten Reparaturarbeiten an der Burg anzugehen.
»Ihr sprecht von seinem Testament?«, fragte sie.
»Ein Testament könnte diesem Zwecke nicht dienen«, sagte Vater Dunne auf seine behäbige Art. »Ein Mann kann sein Gold, seine Rüstung oder sein Pferd einem jeden vermachen, den er in seinem Testament wählt - doch nicht sein Land. Bei seinem Tod fällt sein Land an seinen Erben.«
Vater Dunne hustete. Zum ersten Mal wirkte er beklommen. »Wenn er sein Land irgendeinem anderen vermachen möchte«, sagte er und zog ein Pergament aus seiner Kutte, »dann muss er dies vor seinem Tod tun.«
Isobel hatte seit Monaten versucht, ihren Mann davon zu überzeugen, Jamieson das bisschen Land, das er bearbeitete, kaufen zu lassen, damit er die Müllerstochter heiraten konnte. Mit dem Tod, der an seine Tür pochte, musste Hume es endlich getan haben. Wie Gebete, so konnten auch gute Taten seine Zeit im Fegefeuer verkürzen.
Das musste es sein, worüber der Kaplan solches Aufhebens machte. Sie lächelte und streckte die Hand aus. »Dann lasst es mich sehen.«
Vater Dunne wich zurück, das Pergament an die Brust gedrückt. »Ich schlage vor, Ihr setzt Euch zuerst, Lady Hume.«
Isobel verschränkte die Arme vor der Brust und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Ich ziehe es vor zu stehen.« Also wirklich, der Mann brachte ihre schlimmsten Seiten zum Vorschein.
Der Kaplan presste die Lippen zusammen und fing an, das Pergament aufzurollen. »Es ist ein einfaches Dokument «, sagte er, doch er gab es ihr immer noch nicht. »Im Wesentlichen werden damit sämtliche Ländereien von Lord Hume, einschließlich dieser Burg, an Bartholomew Graham übertragen.«
Der Kaplan musste sich irren. Oder lügen. Doch der selbstgefällige Ausdruck auf seinem Gesicht schickte eine Welle der Angst durch ihren Körper.
Sie riss ihm das Pergament aus den Händen und überflog die Wörter. Sie las sie ein zweites Mal. Langsamer. Und dann noch einmal. Ein drittes Mal. Sie schaute mit leerem Blick auf und versuchte, sich der Ungeheuerlichkeit bewusst zu werden, die ihr Ehemann ihr angetan hatte. Sicherlich würde er das doch nicht tun! Konnte es nicht tun! Nicht nach allem, was sie aufgegeben, was sie für ihn getan hatte.
Acht Jahre lang hatte sie nach der Pfeife dieses nörglerischen alten Mannes getanzt und hatte sich von seinem ständigen Gejammer und seinen Forderungen mürbe machen lassen. Tag auf Tag auf Tag. Hatte seinen ermüdenden Gesprächen zugehört und versucht nicht hinzusehen, wenn ihm das Essen und die Getränke aus dem Mund über das Kinn rannen und auf seine feine Kleidung tropften.
Und dann waren da vor allem die Nächte.
Sie legte die Hand auf ihre Brust und kämpfte gegen das Gefühl an, jeden Moment zu ersticken. Noch einmal sah sie ihn über ihr, keuchend und schnaufend, mit rotem Gesicht und schweißgebadet. Wie sehr hatte sie gefürchtet, er könnte tot auf sie fallen und sie mit seinem enormen Gewicht unter sich begraben. Nach Jahren, in denen sie nicht schwanger geworden war, hatte sie ihn schließlich davon überzeugt, dass die Gefahren für seine Gesundheit zu hoch waren.
Sie hasste jeden Tag, jede Stunde ihrer Ehe. Und doch hatte sie ihre Pflicht ihrem Ehemann gegenüber erfüllt.
»Das muss eine Fälschung sein«, murmelte sie und blickte noch einmal auf das Pergament. Sie erkannte die Schrift des Kaplans, aber das hieß nichts. Mit zitternden Fingern rollte sie die letzten Zentimeter des Dokumentes auf.
Mit tauben Fingerspitzen fuhr sie über das vertraute Siegel.
Sie sah zu, wie das Pergament aus ihren Händen glitt und zu Boden flatterte. Der Boden bewegte sich unter ihren Füßen. Als sie die Hand ausstreckte, um sich festzuhalten, wurde um sie herum alles schwarz.
Als Isobel erwachte, bot sich ihr ein albtraumhafter Anblick. Graham und dieses Wiesel von einem Priester beugten sich über sie. Bevor sie ihre Sinne beisammenhatte, hob Graham sie auf die Bank, wobei seine Hände sie an zu vielen Körperteilen berührten, als für diese Aufgabe notwendig gewesen wären.
Als sie an sich herabschaute, traf ein dunkelroter Tropfen das Mieder ihres Kleides. Verwirrt berührte sie ihn mit der Fingerspitze.
»Ihr habt Euch den Kopf an der Bank gestoßen, als Ihr gestürzt seid«, sagte Vater Dunne und reichte ihr ein Tuch. »Ich hatte Euch gewarnt, Euch zu setzen.«
»Lasst uns allein, Vater Dunne«, sagte Graham, als wäre er bereits Herr der Burg.
Die Blicke des Kaplans schossen zwischen ihnen hin und her, während er sich aus dem Raum zurückzog. Isobel nahm an, dass er nicht weiter ging als bis auf die andere Seite der Tür.
Sie tupfte an der Wunde an ihrer Stirn herum und starrte wütend zu Graham auf. »Wie habt Ihr Hume dazu gebracht, das zu tun?«
Graham ließ sich neben ihr auf der Bank nieder, und zwar so dicht, dass sein Oberschenkel ihren berührte. Isobel war zu schwindelig, um aufzustehen, deshalb rutschte sie ans Ende der Bank.
»Hume kam zu dem Schluss, dass ich sein Sohn bin«, sagte Graham und lächelte sie an. »Du weißt ja, wie sehr er sich einen wünschte.«
»Dann habt Ihr ihn also angelogen!«
»Nun, es könnte jedenfalls so sein«, sagte er achselzuckend. »Glücklicherweise ist die Übertragung der Ländereien nicht davon abhängig.«
Grahams Mutter war eine reiche Witwe und in diesem Teil der Grenzregion berüchtigt gewesen. Als sie schwanger wurde, trat mehr als ein Mann vor, behauptete, der Vater zu sein, und bot an, sie zu heiraten. Sie enttäuschte sie alle, indem sie ihren Besitz - und das Wissen über den Vater ihres Sohnes - für sich behielt.
»Ich habe meinem Gatten keinen Grund gegeben, mich zu bestrafen«, murmelte Isobel vor sich hin. Sie konnte nicht glauben, dass Hume sie mittellos zurücklassen würde.
»Tatsächlich war der alte Mann sehr um dein Wohlergehen besorgt.« Graham streckte die Beine aus und verschränkte die Hände im Nacken. »Es tröstete ihn sehr zu wissen, dass ich dich nach seinem Tod heiraten würde.«
»Was würdet Ihr tun?« Sie musste ihn missverstanden haben.
»Endlich wirst du einen Mann haben, der dich zufriedenstellt. « Sein heißer Atem war an ihrem Ohr, aber sie war zu fassungslos, um sich zu bewegen. »Ich will dich, seit du ein Mädchen warst und noch mit den Jungen Schwertkampf gespielt hast.«
Wieder bei Sinnen schlug sie auf die Hand, die an ihrem Oberschenkel hinaufkroch. »Was macht Euch so zuversichtlich, dass ich Euch heiraten würde?«
»Ziehst du es denn vor«, sagte er amüsiert, »ins Haus deines Vaters zurückzukehren?«
Das Blut wich ihr aus dem Kopf. Es war wahr. Wenn sie nicht hier in Hume Castle bleiben konnte, hatte sie keinen anderen Ort, an den sie gehen könnte. Sie ließ sich an die Mauer hinter ihr sinken und schloss die Augen.
»Quäl dich nicht - dein Vater würde dich nicht lange behalten «, sagte Graham und tätschelte ihr Knie. »Obwohl du nicht mehr unberührt bist, wird er sicher kein Problem damit haben, einen anderen alten Mann zu finden, der dafür bezahlt, eine solche Schönheit in sein Bett zu bekommen. «
Sie holte aus, um ihm eine Ohrfeige zu geben, doch er fing ihr Handgelenk ein.
»Es ist immer aufregend, mit dir zusammen zu sein, Isobel. « Den brennenden Blick fest auf sie gerichtet, löste er ihre Faust und fuhr mit der Zunge über ihren Handteller. Schauer des Abscheus rannen durch sie hindurch.
All die Jahre hatte sie ihn schrecklich falsch eingeschätzt. Sie hatte ihn für nichts weiter als ein Ärgernis gehalten. Was für eine dumme Gans sie doch gewesen war. Erst jetzt erkannte sie, dass er nicht einfach nur oberflächlich und egoistisch war, sondern skrupellos und hinterlistig. Das attraktive Gesicht und die guten Manieren verbargen einen Mann ohne Ehre.
Ein Mann, der sich nahm, was er wollte.
»Ich werde in einigen Tagen zurückkehren und meinen Platz hier einnehmen«, sagte er.
Isobels ganzer Körper erschlaffte vor Erleichterung, als er aufstand. An der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Schick mir einen Boten«, sagte er augenzwinkernd, »wenn du es nicht so lange aushältst.«
2
Sobald Graham durch die Tür war, rannte sie los und schob den Riegel vor. Wut brannte nun in ihr und raubte ihr den Verstand. Sie marschierte im Zimmer auf und ab und ballte die Fäuste, sodass sich ihre Fingernägel in ihr Fleisch bohrten. Was konnte sie tun? Es musste doch einen Weg geben, gegen diese Enteignung vorzugehen. Aber wie sollte sie es angehen? Und wer sollte ihr helfen?
Die einzige Person, der sie vertraute, war ihr Bruder. Doch Geoffrey war mit der Armee des Königs in der Normandie. Sie schlug die Hände vors Gesicht und wollte jetzt nicht daran denken, wie große Sorgen sie sich um ihn machte. Ihr süßer, verträumter Bruder war kein Soldat. Ihn in den Kampf zu schicken war eine weitere Tat, die sie ihrem Vater niemals verzeihen würde.
Ihr Vater. In dieser Angelegenheit wäre er ihr Verbündeter. Ihm würde es etwas ausmachen, wenn sie ihren Besitz verlöre.
Schließlich ließ sie nach ihm schicken, denn sie hatte sonst niemanden, den sie um Rat fragen konnte.
Eine Stunde später klopfte ihre Zofe an die Tür zu den Privatgemächern. »Mylady, Sir Edward erwartet Euch.«
Ihr Vater musste sich sofort auf den Weg gemacht haben, sobald ihn ihre Nachricht erreicht hatte.
Isobel eilte die Treppe zum Saal hinunter. Am Eingang blieb sie stehen. Das Gefühl des Verlustes beim Anblick seiner vertrauten bulligen Statur traf sie völlig unvorbereitet. Ihr Vater stand halb von ihr abgewandt und betrachtete den großen Saal mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht. Nach all den Jahren sollte es nicht so wehtun, ihn zu sehen.
Mit wachsender Enge in der Brust erinnerte sie sich daran, dass sie einst geglaubt hatte, er ließe die Sonne am Himmel scheinen. Sie war sein Lieblingskind, die bewunderte Tochter, die er überallhin mitnahm. Wenn es anders gewesen wäre, hätte sie sich nicht so betrogen gefühlt.
Was für eine dumme Gans sie doch gewesen war. Sie hatte geglaubt, ihr Vater würde es hinauszögern, sie zu verloben, weil er keinen Mann fand, der ihrer würdig war. Galahads wuchsen nicht auf den Bäumen.
Doch dann hatte er sie wie ein Stück Vieh verkauft. An einen Mann wie Hume.
Sie erinnerte sich daran, wie ihre Knie in jener ersten Nacht zitterten, wie ihr Atem in gekeuchtem Schluckauf ging, als sie aus Humes hohem Bett geklettert war, um sich zu waschen. Hinter dem Wandschirm hatte sie eine Kerze angezündet und Wasser in eine Schüssel gegeben. Als sie die Blutspuren von der Innenseite ihrer Oberschenkel wusch, ging es ihr auf: Ihr Vater hatte gewusst, was Hume mit ihr tun würde. Er hatte es gewusst und hatte sie trotzdem diesem Mann gegeben.
»Isobel, es tut so gut, dich zu sehen!« Die dröhnende Stimme ihres Vaters brachte sie mit einem Ruck in die Gegenwart zurück.
Als er auf sie zutrat, als wollte er sie umarmen, hob sie die Hand, um ihn daran zu hindern.
»Es ist eine Schande«, sagte er, »dass erst dein Mann sterben musste, bevor du mich in deinem Heim willkommen heißt.«
Isobel verübelte ihm sowohl den Schmerz als auch die Kritik in seiner Stimme. »Kommt, wir müssen unter vier Augen sprechen.«
Ohne weitere Begrüßung drehte sie sich um und ging ihm voran die Treppe zu den Privatgemächern hinauf. Auch dort schaute er sich mit besitzergreifendem Gehabe um, bewunderte die schweren Wandbehänge und kostbaren Glasfenster.
»Wer hätte gedacht, dass der alte Mann so lange lebt?«, sagte er. »Aber jetzt gehören diese feine Burg und all seine Ländereien dir! Ich habe dir ja gesagt, dass für eine Frau die Ehe der Weg zur Macht ist.«
Bevor Isobel ihm ausweichen konnte, packte er ihre Arme. »Mit Humes Vermächtnis«, sagte er und seine Augen leuchteten, »kannst du in der zweiten Ehe hoch hinaus. «
Isobel vermochte ihn bloß voller Entsetzen anzuschauen. Glaubte ihr Vater wirklich, sie ließe ihn eine zweite Ehe für sie arrangieren?
»Ich weiß, dass es nicht leicht war.« Sein Tonfall wurde sanfter. »Aber jetzt wirst du die Ernte für dein Opfer einfahren. «
»Mein ›Opfer‹, wie Ihr es nennt, war vollkommen umsonst - zumindest für mich!« Isobel erstickte schier an ihren Gefühlen, sodass sie die Worte kaum herausbrachte. »Am Tag, als die Ehe vollzogen wurde, hat Hume Euch gegeben, was Ihr wolltet, aber mir hat er nichts hinterlassen. «
»Was hat er?«
Als sie ihrem Vater ins Gesicht sah, kehrte ihr Zorn mit aller Macht zurück. »Mein Gatte hat alle Ländereien, die ich erben sollte, anderen geschenkt.« Sie wollte mit ihren Fäusten gegen die Brust ihres Vaters trommeln wie das eigensinnige Kind, das sie einst gewesen war. »Ihr habt versprochen, ich hätte meine Unabhängigkeit, wenn er tot wäre. Das habt Ihr mir versprochen!«
Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Arme. »Du irrst dich, Tochter. Hume hatte keine Kinder; seine Ländereien müssen dir zukommen.«
»Er hat alles Bartholomew Graham gegeben!«, schrie sie ihn an. »Mein Heim. Meine Ländereien. Bis auf die letzte Parzelle.«
»Der Teufel soll ihn holen!«, explodierte ihr Vater. »Welchen Grund könnte Hume dafür haben?«
Isobel schlug die Hände vors Gesicht. »Graham hat den alten Tölpel glauben lassen, er wäre sein Sohn.«
»Der Betrug wird keinen Bestand haben!« Mit hervortretenden Augen und wild gestikulierend stürmte ihr Vater im Zimmer auf und ab. »Wir bringen diese Sache vor Bischof Beaufort. Dann werden wir ja sehen! Sicherlich kann der Onkel des Königs diesen Betrug aufklären. Ich schwöre dir, Isobel, wir werden dafür sorgen, dass der junge Graham dafür in den Kerker geworfen wird.«
Bevor noch die letzte Schaufel Erde Humes Leiche bedeckte, brachen Isobel und ihr Vater nach Alnwick Castle auf. Bischof Beaufort hielt sich dort im Dienste des Königs auf.
Isobel zügelte ihr Pferd an der Brücke und ließ den Blick über die ausgedehnte steinerne Festung schweifen. Als Kind war sie oft hierhergekommen. Aber das war zu einer Zeit gewesen, als Alnwick noch das Heim des Earl of Northumberland gewesen war - bevor Northumberland versucht hatte, Heinrich IV. zu entthronen.
Northumberland hatte sich nach Schottland abgesetzt. Die wichtigeren seiner Mitverschwörer waren geköpft, die weniger wichtigen enteignet worden. Törichte Männer allesamt, sich mit den Lancasters anzulegen.
Ihr Vater, unbedacht wie immer, spornte sein Pferd an, den Fluss zu durchqueren, der als erste Verteidigungslinie von Alnwick Castle diente. Isobel folgte ihm ein wenig langsamer. Bischof Beaufort war der gerissenste aller Lancasters.
»Ich habe gehört, Beaufort sei der reichste Mann in ganz England«, sagte ihr Vater, als sie sich dem Torhaus näherten. »Bei Gott, er hat der Krone eine riesige Summe für den Feldzug des Königs in die Normandie geliehen.«
»Pst!«, flüsterte sie. »Vergesst nicht, dass er der Halbbruder unseres letzten Königs war.« Des Königs, gegen den du Verrat begangen hast.
»Ich wurde vom jungen König Heinrich V. begnadigt «, sagte er, aber er war nicht so selbstsicher, wie er tat. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, als sie durch das Torhaus ritten, diese schmale Passage, die dazu gedacht
war, den Feind innerhalb des Haupttores einzuschließen.
Sie wurden in den Burgfried geführt und in einem kleinen Vorzimmer eingeschlossen, wo sie warten sollten, bis der Bischof bereit war, ihnen seine Zeit zu widmen. Fast unmittelbar danach erschien ein tadellos gekleideter Diener, um ihren Vater für eine Audienz in den großen Saal zu bringen. Isobel blieb zurück, während die beiden Männer über ihr Schicksal berieten.
Sie war überrascht, als der Diener kurze Zeit später ohne ihren Vater zurückkehrte.
»Seine Exzellenz, der Bischof, wünscht Euch jetzt zu sehen, Mylady.« Sie musste zu langsam aufgestanden sein, denn der Diener zog eine Augenbraue hoch und sagte: »Seine Exzellenz ist ein viel beschäftigter Mann.«
Sie schritt durch die massive Holztür, die er ihr aufhielt, und betrat einen riesigen Saal mit einer hohen Decke, die wie in einer Kirche den Blick immer weiter nach oben lenkte.
Der Mann hinter dem schweren Holztisch am Herdfeuer war nicht zu verkennen. Sie hätte Bischof Beaufort an der Macht erkannt, die er ausstrahlte, selbst wenn er nicht den Ornat getragen hätte - ein Messgewand aus goldener Seide über einer schneeweißen leinenen Albe mit Verzierungen aus goldener Seide an den Ärmelbündchen.
Der Bischof schaute nicht von seinen Papieren auf, als sie den Saal durchquerte. Als sie ihren Platz vor dem Tisch neben ihrem Vater einnahm, sah sie, dass das Pergament in den Händen des Bischofs eine Kopie von Humes Vermögensübertragung war.
Ihr Vater stieß ihr den Ellenbogen in die Seite und zwinkerte ihr zu. Seine Unterredung mit dem Bischof musste erfolgreich gewesen sein. Gelobt sei der Herr!
»Ich glaube nicht«, sagte der Bischof, die Augen immer noch auf das Dokument gerichtet, »dass Humes Vermögensübertragung angefochten werden kann.«
Bestürzt von der raschen Zurückweisung ihres Anliegens durch den Bischof warf sie ihrem Vater einen Blick zu. Sein Nicken beruhigte sie nicht.
»Euer Vater schlägt eine vernünftige Lösung vor«, sagte der Bischof und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Unter diesen Umständen ist der einzig ehrbare Weg, der Graham offen steht, Euch zu heiraten. Ich werde dafür sorgen, dass er Euch einen Antrag macht.«
Der Bischof nahm ein anderes Dokument zur Hand und wies damit sie und ihr Problem ab.
»Aber ich habe seinen Antrag bereits abgelehnt.« Ihre Stimme schien in dem riesigen Saal widerzuhallen. »Ich möchte nicht undankbar für Eure gütige Hilfe erscheinen, Eure Exzellenz«, fügte sie eilig hinzu. »Aber ich würde keinen Mann heiraten, der mir mein Eigentum gestohlen hat. Er ist vollkommen ehrlos.«
Der Bischof legte seine Papiere beiseite und schaute sie zum ersten Mal richtig an. So mächtig, wie er auch war, konnte er sie nicht umstimmen; sie begegnete seinem Blick, damit er das wusste. Statt Verärgerung las sie ausgeprägtes Interesse in den scharfen Augen, mit denen er sie taxierte.
»Lasst mich allein mit Eurer Tochter sprechen«, sagte er, ohne den Blick von ihr zu wenden. Obwohl er höflich gesprochen hatte, war es doch alles andere als eine Bitte.
Nachdem sich die Tür hinter ihrem Vater geschlossen hatte, gab der Bischof ihr ein Zeichen, sich zu setzen. Sie ließ sich nieder, faltete die Hände im Schoß und zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, während der Bischof sie musterte.
»Lasst mich Euch noch einmal Eure Möglichkeiten vor Augen führen, Lady Hume.« Der Bischof legte die Fingerspitzen zusammen und stützte damit sein Kinn. »Erstens, Ihr könnt Grahams Antrag annehmen. Mit ihm behaltet Ihr Euer Heim und Eure Stellung.«
Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, schloss ihn jedoch gleich wieder.
»Zweitens, Ihr könnt unter die Obhut Eures Vaters zurückkehren. Bei der großzügigen Mitgift, die Euer Vater für Euch bereitstellen wird«, der bedeutungsvolle Blick, den er ihr zuwarf, ließ keinen Zweifel daran, dass er die erniedrigenden Bedingungen ihrer ersten Heirat kannte, »bin ich mir sicher, dass der nächste Ehemann, den er für Euch findet, genauso passend für Euch sein wird wie der letzte.«
Er hielt inne, als wollte er ihr Zeit zum Nachdenken geben. Zeit jedoch konnte weder die eine noch die andere Option verbessern.
Bitte, Gott, gibt es für mich denn keinen Ausweg? Gar keinen?
»Ich kann Euch eine dritte Möglichkeit eröffnen«, sagte der Bischof langsam und bedächtig. Er streckte die Hand aus und legte seine langen, schlanken Finger auf ein zusammengerolltes Pergament auf der Seite seines Tisches. »Ich habe gerade eine Nachricht von meinem Neffen erhalten. Er hat Caen eingenommen.«
»Gott möge ihn schützen«, murmelte sie. Verzweifelt versuchte sie zu ergründen, aus welchem Grund er ihr von König Heinrichs Erfolgen bei der Rückeroberung englischen Landes in der Normandie erzählte. Der Bischof kam ihr nicht wie ein Mann vor, der grundlos plauderte.
»Der König ist bemüht, die Verbindungen zwischen England und der Normandie zu stärken. Im kommenden Frühling wird das Parlament Anreize für englische Händler schaffen, sich dort niederzulassen.«
Händler? Was konnte das mit ihr zu tun haben?
»Verbindungen zwischen den Edelleuten sind noch wichtiger.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Pergament. »Der König bittet mich um Unterstützung bei den Vorbereitungen solcher ... Arrangements.«
Ihre Gedanken erschienen ihr langsam und träge, während sie darum kämpfte, den Sinn seiner Worte zu verstehen.
»Ich biete Euch die Möglichkeit, eine Ehe einzugehen, die von Vorteil für Euch sein wird. Und für England.«
Ihr stockte der Atem. »In der Normandie?« »Ihr müsst jemanden heiraten«, sagte der Bischof und legte die Hand offen auf den Tisch. Er beugte sich ein Stückchen vor und kniff die Augen zusammen. »Ich denke, Ihr könntet eine Frau sein, die den ihr unbekannten Teufel dem ihr bekannten Teufel vorzieht.«
Zu wissen, dass sie von einem Könner manipuliert wurde, half ihr kein bisschen.
Der Bischof trommelte wieder leicht mit den Fingerspitzen.
»Wäre es mir gestattet, den französischen ›Teufel‹ zuerst kennenzulernen, bevor ich mich verpflichte, ihn zu heiraten? «
Ein anerkennendes Lächeln umspielte für einen Moment die Mundwinkel des Bischofs, doch er schüttelte den Kopf. »Selbst wenn ihr abreist, bevor eine Verlobung arrangiert werden kann, seid ihr durch Euren Eid dem König gegenüber verpflichtet.« Er zog eine dünne Augenbraue in die Höhe. »Habt Ihr bestimmte ... Anforderungen ... die ich dem König übermitteln soll?«
Ein Ritter, tapfer und treu, gut und gütig. Die Beschreibung eines Ritters der Tafelrunde kamen ihr unerklärlicherweise in den Sinn. Errötend schüttelte sie den Kopf.
»Nach den ... Fehleinschätzungen ... Eures Vaters in der Vergangenheit«, sagte der Bischof, und seine Nasenflügel bebten dabei leicht, »würde eine solche Ehe viel dazu beitragen, Eurer Familie beim König wieder Ansehen zu verschaffen. «
»Darf ich es mir überlegen, Euer Exzellenz?«
»Natürlich.« Mit funkelnden Augen sagte er: »Bald wird eine Überfahrt bis zum Frühling unmöglich sein, aber ich bin mir sicher, Ihr werdet die langen Wintermonate hier mit Eurem Vater verbringen wollen.«
Oh, er war ein schlauer Mann.
Der Bischof erhob sich. »Ich breche in drei Tagen nach Westminster auf. Bis dahin könnt Ihr mir eine Nachricht zukommen lassen.«
Ohne ein weiteres Wort rauschte er aus dem Saal.
Übersetzung: Cora Munroe
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Margaret Mallory
Margaret Mallory wuchs in einer Kleinstadt im US-Staat Michigan auf, verbrachte als Jugendliche aber auch zwei Jahre in Afrika. Sie studierte an der Michigan State University und der University of Michigan Law School, zog via Washington, DC, an die Pazifikküste, wo sie sich auf die Suche nach einem Parkranger mit einem Hund begab, doch stattdessen mit einem Gatten endete, der kein Parkranger war und mit dem sie doch eine Familie gründete. Seit die gemeinsamen zwei Kinder am College sind, widmet sich Margaret Mallory dem Schreiben historischer Liebesromane. Eine Rückkehr in ihr einstiges bürgerliches Leben in der Juristerei kommt für sie nicht mehr infrage.
Bibliographische Angaben
- Autor: Margaret Mallory
- 2013, 448 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Munroe, Cora
- Übersetzer: Cora Munroe
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 344237913X
- ISBN-13: 9783442379132
- Erscheinungsdatum: 20.05.2013
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