Meine Frau will einen Garten
Vom Abenteuer, ein Haus am Stadtrand zu bauen
Ein hinreißend humorvolles Buch über den Traum vom eigenen Haus
Frühmorgens um fünf liegt ein Mann schlaflos im Bett und wackelt unschlüssig mit den Zehen. Soll er, oder soll er nicht? Soll er seiner Frau Pia und seinen drei Kindern den größten Wunsch...
Frühmorgens um fünf liegt ein Mann schlaflos im Bett und wackelt unschlüssig mit den Zehen. Soll er, oder soll er nicht? Soll er seiner Frau Pia und seinen drei Kindern den größten Wunsch...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Meine Frau will einen Garten “
Ein hinreißend humorvolles Buch über den Traum vom eigenen Haus
Frühmorgens um fünf liegt ein Mann schlaflos im Bett und wackelt unschlüssig mit den Zehen. Soll er, oder soll er nicht? Soll er seiner Frau Pia und seinen drei Kindern den größten Wunsch erfüllen? Ein eigenes Haus im Grünen: Das ist der Traum seiner Familie. Leider ist das aber genau das, was er nicht will, denn er liebt das Leben in der Stadt, in einer Altbauwohnung in der Nähe von Kinos und Kneipen. Schließlich überwindet er seine Widerstände und trifft eine mutige Entscheidung: Er baut selbst ein Haus. Und eigentlich wäre das ein großartiges Abenteuer - wenn es nicht von haarsträubenden Widrigkeiten, absurden Begegnungen und dem heimlichen Wunsch begleitet wäre, sich aus dem Staub zu machen. Natürlich bleibt der Mann und stellt sich seiner zehenwackelnden Schlaflosigkeit und den Kernfragen des Lebens. Zum Beispiel nach den richtigen Fliesen im Bad.
Die herzerwärmende Geschichte einer wunderbaren Familie: charmant und liebenswert!
Frühmorgens um fünf liegt ein Mann schlaflos im Bett und wackelt unschlüssig mit den Zehen. Soll er, oder soll er nicht? Soll er seiner Frau Pia und seinen drei Kindern den größten Wunsch erfüllen? Ein eigenes Haus im Grünen: Das ist der Traum seiner Familie. Leider ist das aber genau das, was er nicht will, denn er liebt das Leben in der Stadt, in einer Altbauwohnung in der Nähe von Kinos und Kneipen. Schließlich überwindet er seine Widerstände und trifft eine mutige Entscheidung: Er baut selbst ein Haus. Und eigentlich wäre das ein großartiges Abenteuer - wenn es nicht von haarsträubenden Widrigkeiten, absurden Begegnungen und dem heimlichen Wunsch begleitet wäre, sich aus dem Staub zu machen. Natürlich bleibt der Mann und stellt sich seiner zehenwackelnden Schlaflosigkeit und den Kernfragen des Lebens. Zum Beispiel nach den richtigen Fliesen im Bad.
Die herzerwärmende Geschichte einer wunderbaren Familie: charmant und liebenswert!
Klappentext zu „Meine Frau will einen Garten “
Ein hinreißend humorvolles Buch über den Traum vom eigenen HausFrühmorgens um fünf liegt ein Mann schlaflos im Bett und wackelt unschlüssig mit den Zehen. Soll er, oder soll er nicht? Soll er seiner Frau Pia und seinen drei Kindern den größten Wunsch erfüllen? Ein eigenes Haus im Grünen: Das ist der Traum seiner Familie. Leider ist das aber genau das, was er nicht will, denn er liebt das Leben in der Stadt, in einer Altbauwohnung in der Nähe von Kinos und Kneipen. Schließlich überwindet er seine Widerstände und trifft eine mutige Entscheidung: Er baut selbst ein Haus. Und eigentlich wäre das ein großartiges Abenteuer - wenn es nicht von haarsträubenden Widrigkeiten, absurden Begegnungen und dem heimlichen Wunsch begleitet wäre, sich aus dem Staub zu machen. Natürlich bleibt der Mann und stellt sich seiner zehenwackelnden Schlaflosigkeit und den Kernfragen des Lebens. Zum Beispiel nach den richtigen Fliesen im Bad.
Die herzerwärmende Geschichte einer wunderbaren Familie: charmant und liebenswert!
Lese-Probe zu „Meine Frau will einen Garten “
Meine Frau will einen Garten von Gerhard Matzing1. Kapitel, in welchem eine Familie vorgestellt
wird, die sich morgens um halb sieben anhört
wie ein sinkender Flugzeugträger. Eine schlimme
Krankheit wird beim übermüdeten männlichen
Familienvorstand vermutet, aber dann doch
nicht bestätigt. Wenn man jedoch gesund ist,
denkt seine Frau, kann man dann nicht auch
ein Haus bauen?
Das Bett knarzt. Pia grummelt im Schlaf. Deshalb verharre
ich mitten in der Bewegung, was meine Bauchmuskeln
genau eine halbe Sekunde mitmachen. Dann
sacke ich ächzend zurück ins Kissen. Pia grummelt jetzt
nicht mehr im Schlaf, sondern im Ärger. Sie dreht den
Kopf zu mir rüber und sagt: »Fünf. Es ist fünf Uhr.
Fünf Uhr früh. Kannst du schon wieder nicht schlafen?
« Sie macht das kleine Licht an ihrer Seite an und
setzt sich auf. Meine Frau schaut mich jetzt zugleich
zärtlich, sorgenvoll und supersauer an. So einen Blick
hat nur Pia drauf. Sie hat grüne Augen. »Schlaf weiter,
Pia«, sage ich.
»Würde ich ja gerne«, antwortet sie, »aber da liegt
ein Mann neben mir, der immer zwischen drei und
sechs aufwacht und sich über mich beugt, um nachzuschauen,
wie spät es ist. Das hört sich nach anstrengenden
Sit-ups an, weil du dabei meistens röchelst, weshalb
ich aufwache. Immer zwischen drei und sechs.«
»'tschuldigung.«
»Schon gut. Warum nimmst du den Wecker nicht auf
deine Seite?«
... mehr
»Ich will keinen Wecker. Der Wecker tickt. Und beim
Ticken hört man, wie die Zeit vergeht. Mein Leben vertickt.
Ich bin 45 Jahre alt, und der Wecker sagt dazu:
tick, tick, tick. Und du willst, dass wir alle in ein Haus
an den Stadtrand ziehen, und der Wecker sagt dazu
tick, tick, tick ...«
»Blödsinn. Du tickst ja nicht richtig, Liebling.
Komm, schlaf weiter. Mach dir keine Sorgen. Wir finden
eh nie ein Haus.« Sie gähnt und kuschelt sich seufzend
wieder in ihr Kissen.
»Ich kann nicht schlafen.«
»Hmmm. Warum nicht?«
»Weil du einen Garten willst. Und so, wie du ein
Haus für uns suchst, wirst du auch eines finden. Meine
Tage hier in dieser Wohnung sind gezählt. Tick, tick,
tick.«
Pia hört das nicht mehr, sie ist schon wieder eingeschlafen.
Vermutlich träumt sie vom Garten. Ihr Traum
ist mein Alptraum. Seit Monaten kann ich nicht mehr
richtig schlafen und wache immer viel zu früh auf.
Garten, Haus, Vorort, S-Bahn, ein Leben in Verschuldung
und an der Peripherie. Und am Samstag immer
zum Gartencenter. Tick, tick, tick. Der Wecker klingt
hämisch. Und auch ein bisschen wie eine Bombe. Als
wollte mir der Wecker sagen, dass mein Leben, so wie
ich es kenne, bald vorbei sein wird. Da soll man schlafen
können.
Draußen vor dem Schlafzimmerfenster weiß der aufziehende
Münchner Herbstmorgen nicht genau, ob
er sich noch wie ein frisch gebügelter Spätsommertag
oder schon wie ein knittriger Frühwintertag anfühlen
soll. Ich bin, in der Mitte meines Lebens angekommen,
ebenso müde wie schlaflos.
Auf Pias Seite stapeln sich seit Monaten Zeitschriften
rund um den Nachttisch, die Traumhäuser präsentieren.
Perfekte Häuser mit perfekten Menschen darin.
Pia lässt mir Zeit, aber sie hört auch nicht auf, Hausbesichtigungstermine
zu vereinbaren. Oder gleich vom
Hausbau zu sprechen. Vom »großen Abenteuer«, wie
sie sagt. So habe ich mir Termine beim Küchenplaner
und Entscheidungen über Fliesenmuster auch immer
vorgestellt: als das große Abenteuer meines Lebens.
Fehlt nur noch, dass wir eine Musterhausausstellung
besuchen. So weit kommt's noch, denke ich und wälze
mich wieder herum. Die Laune ist nicht so besonders.
Die Ehe zurzeit auch nicht.
Ich würde gern weiterschlafen. Oder aufstehen. Die
Unentschlossenheit macht wach und müde zugleich.
Ein Dilemma. Ist das Problem eines Mitte-des-Lebens-
Lebens nicht vielleicht einfach diese Mitte? Ich bin
deshalb zurzeit für jedes Extrem zu haben. Knittriger
Wintertag, denke ich, genau, ich bin jetzt einfach mal
für Wintertag. Man muss die Ränder suchen in der
Mitte des Lebens. Aber nicht unbedingt die Ränder der
Stadt. Pia will ein Haus mit Garten am Stadtrand. Ich
nicht.
Einen Winterwolkentag wünsche ich mir. Winterwolkentag
hört sich nach Bettdecke an. Bettdecke heißt
Schlaf, und an Schlaf wäre mir gelegen. Noch eine
Stunde, höchstens anderthalb, dann stehen unsere Kinder
Julia, Anton und Max auf, erst eins, dann zwei,
dann drei - und dann auch meine Frau. Es wird noch
nicht halb sieben sein, und schon wird mein Leben
sein, als spiele es sich auf dem Deck eines Flugzeugträgers
ab, der in Kriegshandlungen verwickelt und soeben
von einem Torpedo gerammt wurde.
Erst brüllt der Kapitän: »Schadensmeldung! Ich
brauche einen vollständigen Schadensbericht!« Dann
brüllt der Erste Offizier: »Maschinenausfall. Wasser-
einbruch achtern. Wir schalten um auf Notstrom.
Schlagseite. Vierzehn Grad. Wir sinken.« Dann wieder
der Kapitän: »Okay Leute, raus, alle raus hier.« Und
mitten im Getümmel höre ich Anton heulen. Er heult,
weil ihm sein Bruder eine wichtige Indiana-Jones-Figur
aus dem Lego-Sortiment entwendet hat. Dann brüllt
Max, weil Anton ihn dafür geschubst hat. Dann brüllt
Julia, weil sie als Älteste findet, dass sich ihre jüngeren
Brüder nicht so aufführen sollen. Sie spielt gerne die
Ersatzmama und entwickelt wegen ihrer Brüder frühe
Merkmale eines spätsozialistischen Blockwarts. Dann
brüllt Pia. Sie findet, dass sich ihre Tochter nicht als Ersatzmama
und schon gar nicht wie ein Ersatzblockwart
aufführen soll.
Dann brülle ich. Weil ich finde, dass sich meine Familie
nicht so aufführen soll. Und dann auch einfach
so. Einfach, weil ich nicht weiß, ob ich ein Haus bauen
soll. Und weil ich müde bin.
Schlaf wäre gut. Und dazu eine dicke Decke, die man
über alles wie Pulverschnee breiten könnte: über die
Gedanken zu Immobilienkrediten, über Baukostensteigerungsnachrichten
und Gartencenterprospekte, über
neue Schulen für die Kinder und über eine Zukunft im
Vorort. Und dann schlafen, einfach nur schlafen. Nur
dass ich nicht schlafen kann.
Generell bin ich kein Frühaufstehertyp. Keiner, der
sich die Manschetten zupft und dabei in der Lage ist,
nach interessanten Insidergeschäften auszusehen. Ich
bin Zehenwackler.
Einfach der Typ, dem eine Frau, wenn er zermalmt
aus dem demütigenden Fitness-Training kommt, nicht
ohne weiteres sagen darf, dass sie so ein ganz kleines
Bäuchlein extrem süß findet. Ich weiß, was von solchen
Sätzen zu halten ist. Frauen, die sich als Bäuchleinliebhaberinnen
outen, sind die Allerersten, wenn irgendwo
25-Jährige Sixpack-Tennistrottel günstig im Angebot
sind.
Wahrscheinlich denke ich einfach nur zu viel über
Könnte, Wäre, Hätte, Würde & Sollte nach. Das sind
meine neuen Freunde, morgens ab drei Uhr.
Die Zehen wackeln wieder ein bisschen. Pia findet,
dass ich zu viel ins Kino gehe. Ich würde dann immer
Kinoszenen nachspielen und das Ergebnis mit dem
richtigen Leben verwechseln. Ich überlege, ob mir eine
berühmte Zehenwacklerszene einfällt. Nein, keine ein-
zige. Eastwood, denke ich, würde nie mit den Zehen
wackeln.
Ich könnte noch schlafen, aber ich kann nicht. Ich
könnte aufstehen, aber ich kann nicht. Ist das nicht
dumm? Dumm wie: Lehman-Papiere von der KfW-
Bank zu kaufen. Unklug wie: Chefverkäufer für Monstertrucks
werden zu wollen. Zukunftsfähig wie das
Amt des CDU-Vorsitzenden in Berlin.
Was kann schon aus einem Morgen werden, der
damit beginnt, dass man aufstehen soll? Das ist ein
grundsätzliches Problem. Ein Morgen aber, der damit
beginnt, dass man nicht schlafen kann bis zu dem Zeitpunkt,
da man aufstehen muss, hat noch einen Tick
weniger Potenzial.
Folglich probiere ich es mit einem Wiedereinschlafsatz,
den ich vor mich hin murmle, leise, ganz leise: »Ich
will einen Garten.« Dann schneller: »Ich will einen
Garten, einen Garten, einen Garten, Garten, Garten,
Garten, Ga, Ga...«
In »Manche mögen's heiß« gibt es eine Szene im
Zug. Joe und Jerry, zwei heruntergekommene Jazz-Musiker,
dargestellt von Tony Curtis und Jack Lemmon,
sind auf der Flucht aus Chicago und vor Gamaschen-
Colombo. Sie flüchten sich, verkleidet als Josephine
und Daphne, in den abfahrenden Zug einer Damenkapelle.
Nun wird es Nacht, und Jerry-Daphne kann
nicht schlafen in einem ganzen Abteil voller Mädchen,
die zum Beispiel Sugar heißen und die Instinkte eines
Mannes wachhalten. Er sagt sich deshalb zum Rhyth-
mus der Eisenbahnräder: »Ich bin ein Mädchen, ein
Mädchen, ein Mädchen, ein Mädchen ...«
Laut unterbreche ich meine Garten-Einschlaf-Formel
und sage: »Lüge. Ich bin kein Mädchen, und ich will
keinen Garten. Ein Garten ist was für Mädchen. Ich
bin Joe, nicht Daphne.«
Pia grummelt wieder, wacht aber zum Glück nicht auf.
Sie kann es nicht leiden, wenn ich Kino-Zitate auf mein
Leben anwende. Nur dann, wenn sie ausgesprochen
gute Laune hat, lässt sie sich auf mein Lieblingsspiel
ein: Zitate erkennen. Ich sage dann zu ihr beispielsweise:
»Da bin ich am wenigsten verletzlich.« Und sie
muss »Casablanca« sagen. Dann sagt sie: »Großartig,
was sagst du? Großartig sag ich, was sagst du?« Und
ich muss sagen »Vier Hochzeiten und ein Todesfall«.
Meistens fallen ihr aber die Filme nicht ein. Ich muss
es ihr dann leicht machen und zum Beispiel nach einem
Film fragen, in dem jemand sagt: »Also, ich finde es
bei Tiffany viel schöner.« Das schafft dann sogar Pia,
die gern ins Kino geht, aber ihr Leben nicht damit verwechselt.
Was ich schade finde. Abgesehen davon sollte
man immer in der Nähe eines Kinos wohnen. Gärten
sind das Gegenteil von Leinwänden, Häuser das Gegenteil
von Drehbüchern. Pia zuliebe flüstere ich jetzt:
»Garten! Lüge, alles Lüge!« Ich könnte sie wecken und
zu ihr sagen: »New York war seine Stadt und würde
es immer bleiben.« Aber sie käme eh nicht auf »Manhattan«.
Ich schlafe wieder ein. Als der Flugzeugträger donnernd
und wie immer pünktlich um halb sieben Uhr im
Ozean meiner Sorgen versinkt, stehe ich auf, zerknittert
wie ein Crashtest-Dummy nach dem Crash, und frühstücke
mit den Kindern und meiner Frau. Morgens kann
ich nie viel essen. Ein Espresso genügt. Mittags halte ich
mich mit Blick auf die Blutfettwerte und zum Staunen
der Kollegen deutlich zurück. Abends dann nur einen
kleinen Salat - und dann stehe ich ab Mitternacht unbeobachtet
in der dunklen Küche und werde nur von einer
ganz kleinen Glühbirne beleuchtet. Das Licht kommt
aus dem Kühlschrank, der in den nächsten dreißig Minuten
zu sehen bekommt, wie man es schafft, fast den
ganzen Tag über so erstaunlich wenig zu essen. Nachts
liege ich dann auf einer Kugel. Das ist der Bauch, der
mich nicht schlafen lässt, weil ich ständig nach links
oder rechts über die Kugel abrutsche. Und weil ich Pia
und den Kindern zuliebe an den Stadtrand ziehen soll,
um dort, falls die Erde im Gegensatz zum Bäuchlein
doch eine Scheibe sein sollte, herunterzufallen. Und weil
ich heute einen Termin in der Diagnoseklinik habe.
Wenn Pia wach wird, steht sie mit Schwung auf, geht
ins Bad und sitzt zehn Minuten später fröhlich und
energiegeladen am Frühstückstisch. Wenn ich wach
werde, wälze ich die Kugel, die Sorgen und die Frage
nach dem Haus herum und sitze eine Stunde später ungeduscht
und zerknittert am Frühstückstisch. Pia halte
ich in solchen Augenblicken für ein Alien. Das Alien
sieht mich lächelnd an.
Wir wohnen in der Münchner Innenstadt, in einer
Wohnung mit knarzendem Parkett. Vor unserer Wohnung
rattert die Straßenbahn die Ismaninger Straße
entlang. Unter unseren Fenstern im dritten Stock ist
eine Haltestelle. Alle zehn Minuten kommt eine neue
Tram der Linie 18. Wenn sie kommt, hört man für einen
Augenblick nicht mehr so gut. Ich frage also: »Was
hast du gesagt?« Das ist die Frage, die in unserer Wohnung
am häufigsten gestellt wird. Manchmal hört man
auch diese Frage nicht genau. Aber das »Was ...« reicht.
Es ist ein interner Code. Jeder in meiner Familie weiß,
dass er nach »was ...« laut werden muss. Falls die Tram
aber schon wieder abgefahren ist, falls es also plötzlich
ganz leise ist in der Wohnung, brüllt ein Familienmitglied
in diesem Augenblick scheinbar sinnlos herum.
Dann brüllen alle anderen: »Brüll doch nicht so rum.«
Unsere Wohnung hört sich folglich im Zehn-Minuten-
Takt an wie ein ostrumänischer Marktplatz, auf dem
sich ein paar Wassermelonenverkäufer raufen. Nichts
gegen Ostrumänien, ich liebe das.
»Was hast du gesagt?«
»Dass du nicht krank bist«, sagt Pia. Pia ist vernünftig
und praktisch. Nur ganz selten gerät sie in die ostru-
mänische Brüllfalle. Sie ist die Einzige hier, die sich
in unserer verwinkelten Vier-Zimmer-Wohnung auch
mit leiser Stimme Gehör verschaffen kann. Pia steht an
der Espressomaschine. Unsere Küche ist knallrot gestrichen.
Die Sonne scheint über den winzigen Balkon in
den Raum und lässt ihn leuchten.
»Wenn man sich krank fühlt«, doziert sie, »sollte
man zum Arzt gehen. Wenn der nichts findet, ist man
gesund. Und wenn er was findet, repariert er es. Und
wenn man es nicht reparieren kann, ist das Pech. Aber
du bist nicht krank.«
Anton, im Schlafanzug, den er verkehrt herum anhat,
kommt dazu. Er ist sechs Jahre alt. Ein stilles, sanftes
Kind. In der Küche schüttet er sich Müsli in eine
Schale. Nicht in irgendeine Schale, sondern in seine
Schale. Die mit dem Löwenkopf. Stille und Sanftheit
hindern einen Sechsjährigen nicht am Territorialverhalten
an der Tränke. Die Hälfte vom Müsli geht daneben
und rieselt auf den Holzboden. Was wohl die Geologen
kommender Generationen von unserem Küchenfußboden
halten werden? Wahrscheinlich werden sie
unter dem Müsli-Sediment noch allerlei Wissenswertes
über die Ernährungsgewohnheiten unserer Zivilisation
entdecken.
Anton fragt: »Ist Papa krank?« Dann geht er, ohne
die Antwort abzuwarten, in sein Zimmer, das er mit
seinem drei Jahre jüngeren Bruder Max teilt. Julia, die
große Neunjährige, ist schon längst wach und angezogen.
Sie kramt im Zimmer nebenan in ihrem Schulranzen
herum, den sie am Abend vorher gepackt hat. Sie
will wissen, ob auch wirklich alles an Ort und Stelle ist.
Sie ist sehr genau. Anton verkündet im Kinderzimmer-
reich die neuesten Familiennachrichten: »Papa ist wieder
krank.« Das »Wieder« höre ich. Es ist, als würden
im Kinderzimmer die neuesten Bulletins über meinen
Gesundheitszustand kursieren. Schnell ziehe ich mich
an und gehe zurück in die Küche. Pia macht den Kindern
schon die Brotzeiten für Schule und Kindergarten
zurecht. Wie macht sie das nur? Sie ist kein Alien. Sie
ist eine Maschine.
Müde sage ich: »Gut, ich gehe in die Diagnoseklinik,
aber ich bin nicht krank.«
»Das weiß ich«, sagt Pia mit einer Zärtlichkeit, in die
sich etwas Ungeduldiges mischt, »du bist nicht krank,
keine Angst, du bist nicht krank. Und verschieb bitte
nicht wieder den Termin.«
»Mach ich nicht.«
»So wie letztes Mal«, mahnt Pia.
»Letztes Mal habe ich die Tram verpasst.«
»Oder wie vorletztes Mal.«
»Vorletztes Mal hat es geregnet.«
Pia sagt: »Heute gehst du endlich hin. Alles wird gut.
Keine Angst.«
Ich habe keine Angst, ich gehe nur nicht gern zu den
Ärzten. Das unterscheidet mich von professionellen Hypochondern,
die sich im Wartezimmer häuslich ausbreiten.
Ich gehe deshalb nicht gern zu den Ärzten, weil ich
grundsätzlich glaube, dass ich etwas habe, wovon ich
aber nicht will, dass die Ärzte es auch wissen, weil sie
mir dann sagen würden, dass ich etwas habe, was ich
nicht haben und nicht wissen will. Komplizierte Sache.
Pia sieht das so. »Du bist jetzt 45. Also ist ein Check-
up sinnvoll.« Pia ist das gesündeste Alien, das ich
kenne. Oder doch eine Maschine.
In der Diagnoseklinik in der Augustenstraße gibt es
einen Empfangstresen, der geschwungen ist wie die
Bar in einer Lounge. »Auskunft« ist dort zu lesen, auf
Deutsch, Englisch, Arabisch und Russisch. Die Mädchen
hinter der Bar sehen aus, als ob sie »Germany's
Next Health Care Topmodel« jederzeit für sich entscheiden
könnten. Ich fühle mich auf Anhieb krank,
schlecht ernährt und unsportlich. Dann werde ich untersucht.
Danach gibt es Gespräche mit Ärzten, die oft Sätze
sagen, die mit »Sie sollten« anfangen, mit »Sie müssen
«, »Sie dürfen nicht« oder mit »Sie haben«. Solche
Sätze finde ich nicht gut, vor allem nicht die Sie-haben-
Sätze.
Besser gefällt mir der »Body Control Analyzer«.
Man stellt sich drauf wie auf eine Waage. Dann spuckt
der Analyzer eine lange weiße Papierschleife mit Zahlen
aus. Das sind meine persönlichen Koordinaten:
Blutdruck, Gewicht, Fettwerte, Puls. Demnach bin ich
alles in allem noch im Normbereich. Das reicht eigentlich,
alles in Ordnung. »Na«, wendet der Arzt ein, »der
Bodymassindex geht gerade noch in Ordnung.« Ärzte
in einer Diagnoseklinik leben nicht davon, einen in Sicherheit
zu wiegen.
Meine Schuhe darf ich jetzt wieder anziehen. Es sind
die guten braunen Schuhe. Sie sollen mir helfen, möglichst
gesund auszusehen.
Auf dem Analyzer-Zettel steht, dass heute Dienstag
ist, Dienstag der 7. Oktober, 11 Uhr 37 und 34 Se-
kunden. Der Computer ist sehr penibel und erinnert
mich an meine Tochter, die auch sehr genau ist. Genau
wie Pia. Gegen zwölf Uhr bin ich wieder im Wartezimmer,
High Noon. Jetzt ist die Ultraschalluntersuchung
dran. Der Internist trägt einen weißen Kittel und starrt
auf einen Bildschirm, während er meinen Oberkörper
mit einer glitschigen Sonde in Handygröße traktiert.
Erst murmelt er noch beruhigend vor sich hin, sagt
zum Beispiel »völlig unauffällig« oder »hmm, gut, gut,
hmm«. Er erinnert mich, wie er so dasitzt und angespannt
den Monitor beobachtet, an eine Filmszene. An
den Diensthabenden in einem U-Boot, der am Sonar
sitzt, um Feindliches zu orten. Dinge, die nicht da sein
sollten, wo sie sind.
Nun passiert es. Der Mann am Sonar stockt, er begutachtet
den Schirm genauer, dreht an den Reglern
und sagt: »Da ist was.«
Für mich klingt das wie: »Feindliches U-Boot geortet.«
Deshalb halte ich den Atem an. Auf dem Sonar
müsste man das sehen können: ein Atemzug, der vor
Angst die Notbremse zieht und ruckartig zum Stehen
kommt wie ein beinahe entgleisender Eilzug. »Was«,
frage ich und hebe den Kopf, um einen Blick auf den
Monitor zu werfen, »was ist da? Etwas, was da nicht
hingehört?«
»Ein kleiner Knoten, ganz klein. Haben Sie den
schon mal gespürt?«
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck und Einband: Friedrich Pustet KG, Regensburg
Printed in Germany
ISBN 978-3-442-31201-6
www.goldmann-verlag.de
»Ich will keinen Wecker. Der Wecker tickt. Und beim
Ticken hört man, wie die Zeit vergeht. Mein Leben vertickt.
Ich bin 45 Jahre alt, und der Wecker sagt dazu:
tick, tick, tick. Und du willst, dass wir alle in ein Haus
an den Stadtrand ziehen, und der Wecker sagt dazu
tick, tick, tick ...«
»Blödsinn. Du tickst ja nicht richtig, Liebling.
Komm, schlaf weiter. Mach dir keine Sorgen. Wir finden
eh nie ein Haus.« Sie gähnt und kuschelt sich seufzend
wieder in ihr Kissen.
»Ich kann nicht schlafen.«
»Hmmm. Warum nicht?«
»Weil du einen Garten willst. Und so, wie du ein
Haus für uns suchst, wirst du auch eines finden. Meine
Tage hier in dieser Wohnung sind gezählt. Tick, tick,
tick.«
Pia hört das nicht mehr, sie ist schon wieder eingeschlafen.
Vermutlich träumt sie vom Garten. Ihr Traum
ist mein Alptraum. Seit Monaten kann ich nicht mehr
richtig schlafen und wache immer viel zu früh auf.
Garten, Haus, Vorort, S-Bahn, ein Leben in Verschuldung
und an der Peripherie. Und am Samstag immer
zum Gartencenter. Tick, tick, tick. Der Wecker klingt
hämisch. Und auch ein bisschen wie eine Bombe. Als
wollte mir der Wecker sagen, dass mein Leben, so wie
ich es kenne, bald vorbei sein wird. Da soll man schlafen
können.
Draußen vor dem Schlafzimmerfenster weiß der aufziehende
Münchner Herbstmorgen nicht genau, ob
er sich noch wie ein frisch gebügelter Spätsommertag
oder schon wie ein knittriger Frühwintertag anfühlen
soll. Ich bin, in der Mitte meines Lebens angekommen,
ebenso müde wie schlaflos.
Auf Pias Seite stapeln sich seit Monaten Zeitschriften
rund um den Nachttisch, die Traumhäuser präsentieren.
Perfekte Häuser mit perfekten Menschen darin.
Pia lässt mir Zeit, aber sie hört auch nicht auf, Hausbesichtigungstermine
zu vereinbaren. Oder gleich vom
Hausbau zu sprechen. Vom »großen Abenteuer«, wie
sie sagt. So habe ich mir Termine beim Küchenplaner
und Entscheidungen über Fliesenmuster auch immer
vorgestellt: als das große Abenteuer meines Lebens.
Fehlt nur noch, dass wir eine Musterhausausstellung
besuchen. So weit kommt's noch, denke ich und wälze
mich wieder herum. Die Laune ist nicht so besonders.
Die Ehe zurzeit auch nicht.
Ich würde gern weiterschlafen. Oder aufstehen. Die
Unentschlossenheit macht wach und müde zugleich.
Ein Dilemma. Ist das Problem eines Mitte-des-Lebens-
Lebens nicht vielleicht einfach diese Mitte? Ich bin
deshalb zurzeit für jedes Extrem zu haben. Knittriger
Wintertag, denke ich, genau, ich bin jetzt einfach mal
für Wintertag. Man muss die Ränder suchen in der
Mitte des Lebens. Aber nicht unbedingt die Ränder der
Stadt. Pia will ein Haus mit Garten am Stadtrand. Ich
nicht.
Einen Winterwolkentag wünsche ich mir. Winterwolkentag
hört sich nach Bettdecke an. Bettdecke heißt
Schlaf, und an Schlaf wäre mir gelegen. Noch eine
Stunde, höchstens anderthalb, dann stehen unsere Kinder
Julia, Anton und Max auf, erst eins, dann zwei,
dann drei - und dann auch meine Frau. Es wird noch
nicht halb sieben sein, und schon wird mein Leben
sein, als spiele es sich auf dem Deck eines Flugzeugträgers
ab, der in Kriegshandlungen verwickelt und soeben
von einem Torpedo gerammt wurde.
Erst brüllt der Kapitän: »Schadensmeldung! Ich
brauche einen vollständigen Schadensbericht!« Dann
brüllt der Erste Offizier: »Maschinenausfall. Wasser-
einbruch achtern. Wir schalten um auf Notstrom.
Schlagseite. Vierzehn Grad. Wir sinken.« Dann wieder
der Kapitän: »Okay Leute, raus, alle raus hier.« Und
mitten im Getümmel höre ich Anton heulen. Er heult,
weil ihm sein Bruder eine wichtige Indiana-Jones-Figur
aus dem Lego-Sortiment entwendet hat. Dann brüllt
Max, weil Anton ihn dafür geschubst hat. Dann brüllt
Julia, weil sie als Älteste findet, dass sich ihre jüngeren
Brüder nicht so aufführen sollen. Sie spielt gerne die
Ersatzmama und entwickelt wegen ihrer Brüder frühe
Merkmale eines spätsozialistischen Blockwarts. Dann
brüllt Pia. Sie findet, dass sich ihre Tochter nicht als Ersatzmama
und schon gar nicht wie ein Ersatzblockwart
aufführen soll.
Dann brülle ich. Weil ich finde, dass sich meine Familie
nicht so aufführen soll. Und dann auch einfach
so. Einfach, weil ich nicht weiß, ob ich ein Haus bauen
soll. Und weil ich müde bin.
Schlaf wäre gut. Und dazu eine dicke Decke, die man
über alles wie Pulverschnee breiten könnte: über die
Gedanken zu Immobilienkrediten, über Baukostensteigerungsnachrichten
und Gartencenterprospekte, über
neue Schulen für die Kinder und über eine Zukunft im
Vorort. Und dann schlafen, einfach nur schlafen. Nur
dass ich nicht schlafen kann.
Generell bin ich kein Frühaufstehertyp. Keiner, der
sich die Manschetten zupft und dabei in der Lage ist,
nach interessanten Insidergeschäften auszusehen. Ich
bin Zehenwackler.
Einfach der Typ, dem eine Frau, wenn er zermalmt
aus dem demütigenden Fitness-Training kommt, nicht
ohne weiteres sagen darf, dass sie so ein ganz kleines
Bäuchlein extrem süß findet. Ich weiß, was von solchen
Sätzen zu halten ist. Frauen, die sich als Bäuchleinliebhaberinnen
outen, sind die Allerersten, wenn irgendwo
25-Jährige Sixpack-Tennistrottel günstig im Angebot
sind.
Wahrscheinlich denke ich einfach nur zu viel über
Könnte, Wäre, Hätte, Würde & Sollte nach. Das sind
meine neuen Freunde, morgens ab drei Uhr.
Die Zehen wackeln wieder ein bisschen. Pia findet,
dass ich zu viel ins Kino gehe. Ich würde dann immer
Kinoszenen nachspielen und das Ergebnis mit dem
richtigen Leben verwechseln. Ich überlege, ob mir eine
berühmte Zehenwacklerszene einfällt. Nein, keine ein-
zige. Eastwood, denke ich, würde nie mit den Zehen
wackeln.
Ich könnte noch schlafen, aber ich kann nicht. Ich
könnte aufstehen, aber ich kann nicht. Ist das nicht
dumm? Dumm wie: Lehman-Papiere von der KfW-
Bank zu kaufen. Unklug wie: Chefverkäufer für Monstertrucks
werden zu wollen. Zukunftsfähig wie das
Amt des CDU-Vorsitzenden in Berlin.
Was kann schon aus einem Morgen werden, der
damit beginnt, dass man aufstehen soll? Das ist ein
grundsätzliches Problem. Ein Morgen aber, der damit
beginnt, dass man nicht schlafen kann bis zu dem Zeitpunkt,
da man aufstehen muss, hat noch einen Tick
weniger Potenzial.
Folglich probiere ich es mit einem Wiedereinschlafsatz,
den ich vor mich hin murmle, leise, ganz leise: »Ich
will einen Garten.« Dann schneller: »Ich will einen
Garten, einen Garten, einen Garten, Garten, Garten,
Garten, Ga, Ga...«
In »Manche mögen's heiß« gibt es eine Szene im
Zug. Joe und Jerry, zwei heruntergekommene Jazz-Musiker,
dargestellt von Tony Curtis und Jack Lemmon,
sind auf der Flucht aus Chicago und vor Gamaschen-
Colombo. Sie flüchten sich, verkleidet als Josephine
und Daphne, in den abfahrenden Zug einer Damenkapelle.
Nun wird es Nacht, und Jerry-Daphne kann
nicht schlafen in einem ganzen Abteil voller Mädchen,
die zum Beispiel Sugar heißen und die Instinkte eines
Mannes wachhalten. Er sagt sich deshalb zum Rhyth-
mus der Eisenbahnräder: »Ich bin ein Mädchen, ein
Mädchen, ein Mädchen, ein Mädchen ...«
Laut unterbreche ich meine Garten-Einschlaf-Formel
und sage: »Lüge. Ich bin kein Mädchen, und ich will
keinen Garten. Ein Garten ist was für Mädchen. Ich
bin Joe, nicht Daphne.«
Pia grummelt wieder, wacht aber zum Glück nicht auf.
Sie kann es nicht leiden, wenn ich Kino-Zitate auf mein
Leben anwende. Nur dann, wenn sie ausgesprochen
gute Laune hat, lässt sie sich auf mein Lieblingsspiel
ein: Zitate erkennen. Ich sage dann zu ihr beispielsweise:
»Da bin ich am wenigsten verletzlich.« Und sie
muss »Casablanca« sagen. Dann sagt sie: »Großartig,
was sagst du? Großartig sag ich, was sagst du?« Und
ich muss sagen »Vier Hochzeiten und ein Todesfall«.
Meistens fallen ihr aber die Filme nicht ein. Ich muss
es ihr dann leicht machen und zum Beispiel nach einem
Film fragen, in dem jemand sagt: »Also, ich finde es
bei Tiffany viel schöner.« Das schafft dann sogar Pia,
die gern ins Kino geht, aber ihr Leben nicht damit verwechselt.
Was ich schade finde. Abgesehen davon sollte
man immer in der Nähe eines Kinos wohnen. Gärten
sind das Gegenteil von Leinwänden, Häuser das Gegenteil
von Drehbüchern. Pia zuliebe flüstere ich jetzt:
»Garten! Lüge, alles Lüge!« Ich könnte sie wecken und
zu ihr sagen: »New York war seine Stadt und würde
es immer bleiben.« Aber sie käme eh nicht auf »Manhattan«.
Ich schlafe wieder ein. Als der Flugzeugträger donnernd
und wie immer pünktlich um halb sieben Uhr im
Ozean meiner Sorgen versinkt, stehe ich auf, zerknittert
wie ein Crashtest-Dummy nach dem Crash, und frühstücke
mit den Kindern und meiner Frau. Morgens kann
ich nie viel essen. Ein Espresso genügt. Mittags halte ich
mich mit Blick auf die Blutfettwerte und zum Staunen
der Kollegen deutlich zurück. Abends dann nur einen
kleinen Salat - und dann stehe ich ab Mitternacht unbeobachtet
in der dunklen Küche und werde nur von einer
ganz kleinen Glühbirne beleuchtet. Das Licht kommt
aus dem Kühlschrank, der in den nächsten dreißig Minuten
zu sehen bekommt, wie man es schafft, fast den
ganzen Tag über so erstaunlich wenig zu essen. Nachts
liege ich dann auf einer Kugel. Das ist der Bauch, der
mich nicht schlafen lässt, weil ich ständig nach links
oder rechts über die Kugel abrutsche. Und weil ich Pia
und den Kindern zuliebe an den Stadtrand ziehen soll,
um dort, falls die Erde im Gegensatz zum Bäuchlein
doch eine Scheibe sein sollte, herunterzufallen. Und weil
ich heute einen Termin in der Diagnoseklinik habe.
Wenn Pia wach wird, steht sie mit Schwung auf, geht
ins Bad und sitzt zehn Minuten später fröhlich und
energiegeladen am Frühstückstisch. Wenn ich wach
werde, wälze ich die Kugel, die Sorgen und die Frage
nach dem Haus herum und sitze eine Stunde später ungeduscht
und zerknittert am Frühstückstisch. Pia halte
ich in solchen Augenblicken für ein Alien. Das Alien
sieht mich lächelnd an.
Wir wohnen in der Münchner Innenstadt, in einer
Wohnung mit knarzendem Parkett. Vor unserer Wohnung
rattert die Straßenbahn die Ismaninger Straße
entlang. Unter unseren Fenstern im dritten Stock ist
eine Haltestelle. Alle zehn Minuten kommt eine neue
Tram der Linie 18. Wenn sie kommt, hört man für einen
Augenblick nicht mehr so gut. Ich frage also: »Was
hast du gesagt?« Das ist die Frage, die in unserer Wohnung
am häufigsten gestellt wird. Manchmal hört man
auch diese Frage nicht genau. Aber das »Was ...« reicht.
Es ist ein interner Code. Jeder in meiner Familie weiß,
dass er nach »was ...« laut werden muss. Falls die Tram
aber schon wieder abgefahren ist, falls es also plötzlich
ganz leise ist in der Wohnung, brüllt ein Familienmitglied
in diesem Augenblick scheinbar sinnlos herum.
Dann brüllen alle anderen: »Brüll doch nicht so rum.«
Unsere Wohnung hört sich folglich im Zehn-Minuten-
Takt an wie ein ostrumänischer Marktplatz, auf dem
sich ein paar Wassermelonenverkäufer raufen. Nichts
gegen Ostrumänien, ich liebe das.
»Was hast du gesagt?«
»Dass du nicht krank bist«, sagt Pia. Pia ist vernünftig
und praktisch. Nur ganz selten gerät sie in die ostru-
mänische Brüllfalle. Sie ist die Einzige hier, die sich
in unserer verwinkelten Vier-Zimmer-Wohnung auch
mit leiser Stimme Gehör verschaffen kann. Pia steht an
der Espressomaschine. Unsere Küche ist knallrot gestrichen.
Die Sonne scheint über den winzigen Balkon in
den Raum und lässt ihn leuchten.
»Wenn man sich krank fühlt«, doziert sie, »sollte
man zum Arzt gehen. Wenn der nichts findet, ist man
gesund. Und wenn er was findet, repariert er es. Und
wenn man es nicht reparieren kann, ist das Pech. Aber
du bist nicht krank.«
Anton, im Schlafanzug, den er verkehrt herum anhat,
kommt dazu. Er ist sechs Jahre alt. Ein stilles, sanftes
Kind. In der Küche schüttet er sich Müsli in eine
Schale. Nicht in irgendeine Schale, sondern in seine
Schale. Die mit dem Löwenkopf. Stille und Sanftheit
hindern einen Sechsjährigen nicht am Territorialverhalten
an der Tränke. Die Hälfte vom Müsli geht daneben
und rieselt auf den Holzboden. Was wohl die Geologen
kommender Generationen von unserem Küchenfußboden
halten werden? Wahrscheinlich werden sie
unter dem Müsli-Sediment noch allerlei Wissenswertes
über die Ernährungsgewohnheiten unserer Zivilisation
entdecken.
Anton fragt: »Ist Papa krank?« Dann geht er, ohne
die Antwort abzuwarten, in sein Zimmer, das er mit
seinem drei Jahre jüngeren Bruder Max teilt. Julia, die
große Neunjährige, ist schon längst wach und angezogen.
Sie kramt im Zimmer nebenan in ihrem Schulranzen
herum, den sie am Abend vorher gepackt hat. Sie
will wissen, ob auch wirklich alles an Ort und Stelle ist.
Sie ist sehr genau. Anton verkündet im Kinderzimmer-
reich die neuesten Familiennachrichten: »Papa ist wieder
krank.« Das »Wieder« höre ich. Es ist, als würden
im Kinderzimmer die neuesten Bulletins über meinen
Gesundheitszustand kursieren. Schnell ziehe ich mich
an und gehe zurück in die Küche. Pia macht den Kindern
schon die Brotzeiten für Schule und Kindergarten
zurecht. Wie macht sie das nur? Sie ist kein Alien. Sie
ist eine Maschine.
Müde sage ich: »Gut, ich gehe in die Diagnoseklinik,
aber ich bin nicht krank.«
»Das weiß ich«, sagt Pia mit einer Zärtlichkeit, in die
sich etwas Ungeduldiges mischt, »du bist nicht krank,
keine Angst, du bist nicht krank. Und verschieb bitte
nicht wieder den Termin.«
»Mach ich nicht.«
»So wie letztes Mal«, mahnt Pia.
»Letztes Mal habe ich die Tram verpasst.«
»Oder wie vorletztes Mal.«
»Vorletztes Mal hat es geregnet.«
Pia sagt: »Heute gehst du endlich hin. Alles wird gut.
Keine Angst.«
Ich habe keine Angst, ich gehe nur nicht gern zu den
Ärzten. Das unterscheidet mich von professionellen Hypochondern,
die sich im Wartezimmer häuslich ausbreiten.
Ich gehe deshalb nicht gern zu den Ärzten, weil ich
grundsätzlich glaube, dass ich etwas habe, wovon ich
aber nicht will, dass die Ärzte es auch wissen, weil sie
mir dann sagen würden, dass ich etwas habe, was ich
nicht haben und nicht wissen will. Komplizierte Sache.
Pia sieht das so. »Du bist jetzt 45. Also ist ein Check-
up sinnvoll.« Pia ist das gesündeste Alien, das ich
kenne. Oder doch eine Maschine.
In der Diagnoseklinik in der Augustenstraße gibt es
einen Empfangstresen, der geschwungen ist wie die
Bar in einer Lounge. »Auskunft« ist dort zu lesen, auf
Deutsch, Englisch, Arabisch und Russisch. Die Mädchen
hinter der Bar sehen aus, als ob sie »Germany's
Next Health Care Topmodel« jederzeit für sich entscheiden
könnten. Ich fühle mich auf Anhieb krank,
schlecht ernährt und unsportlich. Dann werde ich untersucht.
Danach gibt es Gespräche mit Ärzten, die oft Sätze
sagen, die mit »Sie sollten« anfangen, mit »Sie müssen
«, »Sie dürfen nicht« oder mit »Sie haben«. Solche
Sätze finde ich nicht gut, vor allem nicht die Sie-haben-
Sätze.
Besser gefällt mir der »Body Control Analyzer«.
Man stellt sich drauf wie auf eine Waage. Dann spuckt
der Analyzer eine lange weiße Papierschleife mit Zahlen
aus. Das sind meine persönlichen Koordinaten:
Blutdruck, Gewicht, Fettwerte, Puls. Demnach bin ich
alles in allem noch im Normbereich. Das reicht eigentlich,
alles in Ordnung. »Na«, wendet der Arzt ein, »der
Bodymassindex geht gerade noch in Ordnung.« Ärzte
in einer Diagnoseklinik leben nicht davon, einen in Sicherheit
zu wiegen.
Meine Schuhe darf ich jetzt wieder anziehen. Es sind
die guten braunen Schuhe. Sie sollen mir helfen, möglichst
gesund auszusehen.
Auf dem Analyzer-Zettel steht, dass heute Dienstag
ist, Dienstag der 7. Oktober, 11 Uhr 37 und 34 Se-
kunden. Der Computer ist sehr penibel und erinnert
mich an meine Tochter, die auch sehr genau ist. Genau
wie Pia. Gegen zwölf Uhr bin ich wieder im Wartezimmer,
High Noon. Jetzt ist die Ultraschalluntersuchung
dran. Der Internist trägt einen weißen Kittel und starrt
auf einen Bildschirm, während er meinen Oberkörper
mit einer glitschigen Sonde in Handygröße traktiert.
Erst murmelt er noch beruhigend vor sich hin, sagt
zum Beispiel »völlig unauffällig« oder »hmm, gut, gut,
hmm«. Er erinnert mich, wie er so dasitzt und angespannt
den Monitor beobachtet, an eine Filmszene. An
den Diensthabenden in einem U-Boot, der am Sonar
sitzt, um Feindliches zu orten. Dinge, die nicht da sein
sollten, wo sie sind.
Nun passiert es. Der Mann am Sonar stockt, er begutachtet
den Schirm genauer, dreht an den Reglern
und sagt: »Da ist was.«
Für mich klingt das wie: »Feindliches U-Boot geortet.«
Deshalb halte ich den Atem an. Auf dem Sonar
müsste man das sehen können: ein Atemzug, der vor
Angst die Notbremse zieht und ruckartig zum Stehen
kommt wie ein beinahe entgleisender Eilzug. »Was«,
frage ich und hebe den Kopf, um einen Blick auf den
Monitor zu werfen, »was ist da? Etwas, was da nicht
hingehört?«
»Ein kleiner Knoten, ganz klein. Haben Sie den
schon mal gespürt?«
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck und Einband: Friedrich Pustet KG, Regensburg
Printed in Germany
ISBN 978-3-442-31201-6
www.goldmann-verlag.de
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Autoren-Porträt von Gerhard Matzig
Gerhard Matzig, geboren 1963, hat Politische Wissenschaften und Architektur in Passau und München studiert. Nach einer Tätigkeit als freier Autor wurde er 1997 Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, seit 2009 leitet er das Ressort SZ Wochenende . Für seine journalistische Tätigkeit in den Bereichen Architektur und Design wurde er mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Gerhard Matzig ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt am Rand von München. 2013 wurde ihm der "DAI Literaturpreis" verliehen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Gerhard Matzig
- 2010, 254 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442312019
- ISBN-13: 9783442312016
Rezension zu „Meine Frau will einen Garten “
"Hausbau ist ein Abenteuer und kann sogar ein Drama sein. Mitunter ist es aber auch sehr heiter und beglückend."
Kommentar zu "Meine Frau will einen Garten"
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