Meines Helden Platz
Natürlich ist es lästig, wenn plötzlich eine von den Täubinnen, die kürzlich in dein Haus eingezogen sind, vor deiner Tür steht und sich deine Mikrowelle zum Brüten ausleihen will, aber man will ja die gute Nachbarschaft...
Natürlich ist es lästig, wenn plötzlich eine von den Täubinnen, die kürzlich in dein Haus eingezogen sind, vor deiner Tür steht und sich deine Mikrowelle zum Brüten ausleihen will, aber man will ja die gute Nachbarschaft nicht gefährden. Natürlich ist es ein bißchen unheimlich, wenn plötzlich marodierende Taubenschlägertrupps die Straßen unsicher machen. Aber muß man sich denn in alles einmischen? Doch was, wenn plötzlich der Obertäuberich in deiner Wohnung steht, und dir zu deinem künftigen Beitrag zur Taubenweltherrschaft gratuliert? Was, wenn du eines Morgens aufwachst und bemerken mußt, daß übelriechende Hilfstauben an dir herumdoktern: Man hat dir Flügel eingepflanzt, weil du der Prototyp auf dem Weg zur Menschentaube oder zum Taubenmenschen werden sollst. Die Schmerzen sind schlimm, aber noch viel grausamer sind der Obertäuberich und seine Gattin in ihrer Dummdreistigkeit, in ihrem ideologischen Wahn, in ihrer ständigen sexuellen Aufgekratzheit, kurz: in ihrem politischen Knallchargentum. Doch mit der Zeit findest du immer mehr Geschmack daran, im Inneren der Macht zu residieren und an den Formationsübungsflügen teilzunehmen: war Fliegenzukönnen nicht immer schon ein Menschheitstraum? Und ist der Geschmack der Macht am Ende nicht doch ein süßer?
Lajos Parti Nagy erfindet in seiner satirischen Parabel dem politischen Irrsinn eine eigene Sprache: mit dem unerhörten, abgrundtief komischen Gelaber der Welteroberungsfanatiker, das Terézia Mora kongenial ins Deutsche übertragen hat, gibt der Roman ein bestechendes Psychogramm terroristischer Politik.
MeinesHelden Platz von Lajos Parti Nagy
LESEPROBE
Vor wenigen Minuten sind tausend weiße Vorschüler vom Heldenplatzin die Luft geschossen worden. Ihr entzücktes Gekreisch ist selbst durch dasStimmengewirr zu hören, von meinem Fenster aus sind sie schön zu sehen, wie siefluoreszierend zwischen den beleuchteten, bauchigen Wolken verschwinden, umeine Minute oder eine halbe später wieder herunterzufallen, der eine schneller,der andere langsamer, je nachdem, ob sich sein Engelsfallschirm geöffnet hatoder nicht.
Der Stromausfall ist gerade zu Ende gegangen, ich schreibehastig, wer diese Sendung öffnet, wird verstehen, wieso. Es ist acht Uhr durch,abends, die Zeit läuft mir allmählich davon, morgen früh um acht wird michaller Wahrscheinlichkeit nach eine gewisse Person besuchen, um mich mitsamt desComputers mitzunehmen und ausstopfen zu lassen, eventuell sogar zu häuten:einen ehemaligen Mitmenschen, ja Verbündeten, über den die Sprache des Bluteshinweggegangen ist. Ich habe also sehr wenig Zeit, eine einzige, angebrocheneNacht, spätestens Viertel vor acht morgen früh muß ich dieses verhinderteSkript-Konvolut zusammengestellt und per E-Mail versendet haben.
Was ich in den restlichen Minuten, die mir dann noch bleiben,tue, entscheide ich dann. Ich hätte große Lust, diese ganze traurige Sammlung biszum allerletzten Zeichen zu löschen, sobald ich sie verschickt habe: Soll sich doch Gewisse Personein Leben lang in Zweifeln martern, ob nicht vielleicht doch, trotz allerVorsicht und Manipulation, eine »Originalfassung« irgendwo, bei irgendwemauftaucht; andererseits soll sie sich auch in der unstillbaren, von bodenloserEitelkeit und Selbstliebe gespeisten Sehnsucht nach ebendieser gefürchtetenVersion verzehren. Und sie wird sich nicht ohne Grund winden, denn es gibtimmer eine Kopie, ein zum Original zerfetztes Exemplar, das wir niemalsaufhören zu fürchten, ebensowenig, wie uns danach zu sehnen.
Für dieZukunft also: Falls Sie, lieber Leser, diese Zeilen, zum Beispiel diesen Satz,sowie meine späteren Beobachtungen bezüglich Gewisser Person unter meinem Namenfinden, ist jenes Buch identisch mit diesem Skript, welches ich heute nachtzusammenstelle. Falls nicht ... hier höre ich auf, denn falls Sie das hiernicht lesen, dann lesen Sie das hier nicht, und können demzufolge auch nicht wissen,daß es so etwas gab oder geben hätte können.
Anderthalb, zwei Jahre sind keine lange Zeit, dennoch scheintes mir, als würde sich die Vorgeschichte im Nichts oder wenigstens in einemerstarrten, milchigen Zwielicht verlieren. Es ist seltsam, aber jedesmal, wennich sie heraufbeschwöre, werde ich unsicher, mehr noch, mißtrauisch, so sehr,daß ich, im Interesse meiner Glaubwürdigkeit, nicht ausschließen darf, daß miralles, was ich hier darlege beziehungsweise in unveränderter Form oderFormlosigkeit hierher kopiere, in einer Art langem Traum oder zumindestwährend eines Traums widerfahren ist. Diese etwas effekthascherische Lösungwäre vor der Kulisse des wiederholten Knallens der Sektkorken und derEngelsraketen nicht gerade verwunderlich, nur eben eine Lüge. Gleichzeitigwürde sie meine allerehrlichste, meine fast kindliche Sehnsucht ausdrücken,diese ganze Ereignisreihe, deren Ende ich mich mit tödlicher Geschwindigkeitnähere, möge nur ein »böser Traum« gewesen sein.
Zweifelloswar es das Haus, in dem ich damals eine Wohnung mietete, das die Kurhotelsmeiner wiederkehrenden Träume heraufbeschwor, jene nach Schreien und Engelsfedernriechenden Sanatorien, aus denen ich immer und immer wieder ohne Hoffnung, inTodesschweiß gebadet, floh. Zum Glück gelang es mir aber jedesmal, »im letztenMoment« aufzuwachen - als welkes, halbnacktes Fleisch um ein lange undgrämlich schlagendes Herz herum.
(...)
© deutsche Ausgabe: 2005 Luchterhand Literaturverlag,München
Übersetzung: Terézia Mora
- Autor: Lajos Parti Nagy
- 2005, 1, 300 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Ungar. v. Terezia Mora
- Verlag: Luchterhand Literaturverlag
- ISBN-10: 3630871585
- ISBN-13: 9783630871585
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