Mord im September
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Mord im September von Patricia MacDonald
LESEPROBE
Seit drei Tagen schonwarnten die Meteorologen der Fernsehgesellschaften in Nashville vor einemherannahenden Sturm in Tennessee. Und jeder im Cress County wußte, daßsie nicht von einer Regenfront sprachen, sondern von einem drohenden Tornado.Die Landbevölkerung ließ sich von dem beschwichtigenden Gerede nicht bluffen,obwohl in den Nachrichten nie das Wort Tornado fiel, damit es zu keiner Panikkäme - bis er wirklich gesichtet wurde. Doch ein Tornado bewegt sich so schnellvorwärts, daß es dann ohnehin zu spät wäre.
LillieBurdette stand auf der Veranda ihres Hauses undsuchte forschend den Nachmittagshimmel nach verräterischen Anzeichen ab.Normalerweise kamen die Tornados früher, Ende August. An diesem letztenWochenende im September war das Wetter wechselhaft, doch die Zeichen warenunverkennbar. Die Luft war feucht, kein Lüftchen regte sich. Es herrschte einseltsam helles Licht, obwohl der Himmel von dunklen Wolken verhangen war. Eswar drükkend heiß, aber dann und wann erhob sich einekalte Brise, die einen frösteln ließ.
Gegenüber von Lillies Vorgarten, auf der anderen Seite der Straße, gab eseine eingezäunte Weide, auf der ein alter Gaul graste. Normalerweise hob dasdunkeläugige Tier kaum den Kopf, doch heute lief es unablässig den Zaunentlang, den Kopf erhoben., mit angstvollen Augen, alswürde es ebenfalls den Himmel beobachten.
Tiere spüren es immer,dachte Lillie. Es macht sie unruhig. Sie selbst hattenoch nie einen Tornado erlebt, nur das Rauschen gehört und den schwarzen Himmelgesehen. Und als Kind hatte sie sich immer gewünscht, es würde endlich einerkommen, allein wegen der Erregung. Wie alle anderen Kinder kannte sie natürlichdie Geschichten von denen, die einen überlebt hatten. Bessie Hill, die jetztalt war, pflegte zu erzählen, wie sie allein in dem Haus gewesen war, das einTornado verwüstet hatte. Es war Abend, und das Licht war ausgegangen, wie esoft im Cress Countypassierte, wenn es stürmte oder regnete. Sie beschloßins Bett zu gehen, da es keine Elektrizität gab, doch dann kam ein Windstoß unddrückte ihre Haustür auf. Sie versuchte die Tür wieder zu schließen, doch alssie durchs Wohnzimmer eilte, entwurzelte der Orkan einen Baum in ihrem Gartenund schleuderte ihn aufs Dach, wo er die Decke ihres Schlafzimmers durchbrach.Ich werde alt, dachte Lillie und erschauerte. Mirwäre es lieber, wir würden davon verschont bleiben. Ein Auto fuhr langsamvorbei, und die Insassen winkten. Lillie legte eineHand schützend über ihre Augen und winkte zurück, obwohl sie die Leute nichterkannte. In Felton, Tennessee, war es Brauch, einander zu grüßen, auch Fremde.Heute fuhren mehr Autos auf der Straße vorbei. Aber das war normal an diesemTag - dem Gründungstag der Stadt. Wieder ein Gründungstag. Sie konnte sich nochan diese Festtage im Frühherbst während der vergangenen dreißig Jahre erinnern,seit sie vier gewesen war. Schon wieder ist ein Jahr vergangen, dachte sie.Wahrscheinlich deswegen und wegen des schwülen Wetters bin ich heute somelancholisch. Schon morgens, seit dem Erwachen, hatte sie sich bedrücktgefühlt. Und irgendwie war dieser Tag nie mehr so aufregend und vergnüglich wiewährend ihrerJugend.
»Mom,deine Uhr hat geläutet.«
»Danke, mein Schatz«,sagte Lillie. Sie nahm ihre Gießkanne und goß mit dem Rest des Wassers das Springkraut, das in einemKorb unter den Balken der Veranda hing. »Tust du mir einen Gefallen und zupfstdas Unkraut aus den Blumenkübeln?«
»Ja, gleich. Zuerst mußt du mir sagen, wie ich aussehe.«
Lilliestellte ihre Gießkanne ab und richtete den Blick auf die Haustür. Hinter demFliegengitter erschien das Gesicht ihrer Tochter Michele, leuchtend, wie derMond. Michele stieß die Tür auf und zwängte ihren Reifrock mühsam hindurch.
Dann tanzte sieausgelassen über die Veranda. Ihr langes, glänzendes braunes Haar fiel ihr überdie Schultern bis auf die Puffärmel des altmodischen Kleides. Sie war noch zujung für die altrosa Farbe und hatte auch noch nicht genug Busen, um dasspitzenbesetzte Dekolleté auszufüllen, aber ihre Augen strahlten vor Vergnügen,als sie sich ihrer Mutter präsentierte.
»Du siehst wunderschönaus«, sagte Lillie fröhlich. »Du hast es alsogefunden.«
»Das war wohl gar nichtanders möglich. Schließlich hing es an meiner Schranktür«, entgegnete Michele.
»Es paßtdir ausgezeichnet«, sagte Lillie. Sie beugte sichnieder und zupfte den Saum des Reifrocks zurecht. »Dusiehst traumhaft aus.«
»Irgendwie komme ichmir albern darin vor. Und es ist so heiß. Ich kann gar nicht glauben, daß die Frauen früher immer in solchen Kleidern herumliefen.«
»Normalerweise ist esam Gründungstag nicht so heiß«, sagte Lillie. »Ichwünschte, das Wetter würde sich ändern. Es macht jeden nervös. Du weißt doch, daß dieser Reifrock einmal meiner Urgroßmutter gehört hat...<<
© KnaurVerlag
Übersetzung:Ingeborg Ebel und Traudl Weiser
Autoren-Porträt von Patricia MacDonald
Patricia MacDonald hat 1997 den ersten Preis beim DeauvillFilmfestival gewonnen und war mit einigen ihrer Romane für den Edgar Awardnominiert.
- Autor: Patricia J. MacDonald
- 2003, 336 Seiten, Maße: 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Ingeborg Ebel u. Traudl Weiser
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426622769
- ISBN-13: 9783426622766
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