Nagaya heißt Frieden
Das Buch zum Jubiläum!...
Das Buch zum Jubiläum!
Vor 25 Jahren gründete Karlheinz Böhm seine Hilfsorganisation "Menschen für Menschen" und ging nach Äthiopien. Die Journalistin Beate Wedekind reiste mit ihm durch das Land und zeichnet 25 eindringliche Porträts von Menschen, die sich mit Böhms Hilfe ein neues Leben aufbauen konnten.
Mit Saatgut, Pflügen, Ochsen und dem Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur konnten aktive Hilfe geleistet, sowie Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten, Brunnen, Handwerks- und Ausbildungszentren errichtet werden.
Beate Wedekind, die selbst in den siebziger Jahren in Äthiopien arbeitete, reiste für dieses Buch gemeinsam mit Karlheinz Böhm durch das Land und traf noch einmal jene Menschen,die sich mit seiner Hilfe ein neues Leben aufbauen konnten. In 25 eindringlichen Porträts schildert sie unter anderem das Leben eines alten Mannes, dessen Volk vor dem sicheren Hungertod gerettet wurde, einer jungen Frau, die dank einer Antibeschneidungskampagne ein menschenwürdiges Leben führen kann, oder eines Jugendlichen, der in einem der Ausbildungszentren für seine Zukunft lernt - ein Buch, das zeigt, dass jeder von uns Verantwortung für seine Mitmenschen übernehmen kann.
Nagaya heißtFrieden von Beate Wedekind
LESEPROBE
KARLHEINZ UND ALMAZ BÖHM, MENSCHEN FÜR MENSCHEN
ImSchatten einer Schirmakazie am Rande eines Dorfes in Merhabete
sitztKarlheinz Böhm in lebhaftem Palaver mit Stammesältesten und Mitarbeitern. Esgeht um den Standort für eine neue Schule und ob die bisher geplanten dreiKlassenräume tatsächlich ausreichen.
Im Bürovon Menschen für Menschen in Addis Abeba erledigt Almaz Böhm ihre E-Mails. Einekommt aus dem Büro in München. Ein Handwerksbetrieb in Thüringen hat anläßlichseines Jubiläums für Menschen für Menschen gesammelt und einenSpendenscheck über 25000 Euro geschickt. Eine andere von ihrem Bruder in denUSA, der sie über eine geplante Familienfeier auf dem laufenden hält.
Bei derWiener Ballnacht im Berliner Ritz Carlton Hotel tanzt Almaz Böhm mitBundespräsident Horst Köhler Walzer und zwinkert ihrem Mann, dem Tanzmuffel,zu, der sich mit Frau Köhler formvollendet im Dreivierteltakt dreht. Mit demErlös des Abends, 150000 Euro, kann in Äthiopien eine Schule finanziert werden.
Vor 25Jahren hat der Schauspieler Karlheinz Böhm, Jahrgang 1928 , der mit Filmen wieder Sissi-Trilogie und Peeping Tom weltberühmt wurde, seine Äthiopienhilfe Menschenfür Menschen gegründet. Seit 17 Jahren ist er mit Almaz, einer Äthiopierin,verheiratet, die auch seine Stellvertreterin und Nachfolgerin ist. Und das istihre Geschichte.
Gegensätzlicher als Almaz und Karlheinz Böhm kann ein Paarkaum sein. Sie, die temperamentvolle Afrikanerin, eine von Optimismusdurchdrungene Persönlichkeit, die mit ihrer aufrichtigen Heiterkeit selbsthartnäckigste Zweifler zu gewinnen in der Lage ist. Ein Energiebündel, dennochMeisterin des Zuhörens, der Analyse, auch des leisen Kompromisses. Diestudierte Landwirtschaftsexpertin -- Rinderzucht ist ihr Fachgebiet -- ist einekleine, rundliche, kapriziöse Frau, 36 Jahre jünger als ihr Mann. Gemeinsamziehen sie die Kinder Aida, mit 13 schon eine Schönheit wie ihre Mutter, undNicolas, den vor Kraft strotzenden 15jährigen, groß.
Er,Karlheinz Böhm, ist der gedankenschwere, zornige Mahner, der, getrieben voneiner unbändigen Wut auf soziale Ungerechtigkeit, nicht anders kann, als mitsich und anderen immerzu um eine bessere Welt zu ringen. Der große Motivator,dem niemand entrinnen kann. Aber auch der charmante Grandseigneur, Sohn einesder bedeutendsten Dirigenten des vergangenen Jahrhunderts, ein Mann, in dieWiege der Hochkultur geboren, zudem dank Sissi-Trilogie, Peeping Tom und RainerWerner Fassbinders Martha und Effi Briest ein Weltstar.
Vor 25Jahren hat er die Seite gewechselt, hat Abschied vom Starrummel genommen, lebtseitdem für die Ärmsten der Armen, ein Star, der zum Helfer wurde. Unsinn, sagtBöhm, ein Mann, der den Sinn seines Lebens gefunden hat.
Wenn esein Beispiel gibt, wie es gelingen kann, Kulturen, Gesellschaften,Generationen, ja Welten zu verbinden, wenn es ein Beispiel gibt, wie sehr eingemeinsames Werk, ein gemeinsames Ziel zu Außerordentlichem beflügeln kann,dann ist es wohl diese glückliche Allianz von Almaz und Karlheinz Böhm.
Nacheinigen Jahren, in denen sie sich vorrangig der Erziehung ihrer beiden Kinderin Österreich widmete, ist Almaz Böhm, ohne viel Aufhebens davon zu machen, indie Rolle der Stellvertreterin und designierten Nachfolgerin ihres Manneshineingewachsen. Und selbst enge Mitarbeiter stellen in letzter Zeit erstauntfest, daß er sich wirklich Mühe gibt, Verantwortung zu übertragen undzuzulassen, daß andere sich seine Sorgen um das kleinste Detail machen.Rückzug? Immerhin wird Karlheinz Böhm bald 80. Ganz wird ihm das nie gelingen,das kann nicht nur er, das kann sich niemand vorstellen. Daß die beiden zu alldem, was es zu diskutieren und entscheiden gibt, wenn ein Generationswechselansteht, einander in tiefer Liebe verbunden sind, wird ihm und ihr die Aufgabeerleichtern.
Wenn mansie bei ihren gemeinsamen Auftritten beobachtet, so wie ich im Laufe der Jahredie Gelegenheit hatte, bei einem Treffen mit ehrenamtlichen Mitarbeitern inFrankfurt zum Beispiel, bei einer Pressekonferenz in Berlin oder derAufzeichnung einer Fernsehsendung im Europapark Rust, bei einem Meeting inAddis Abeba, dann fällt vor allem eines auf: Karlheinz und Almaz Böhm sind einperfektes Team mit klarer Rollenverteilung. Er ist der Mann für die großeEmotion, sie bricht seine grandiose Vorlage in den Alltag herunter.
Nur dieweitgehende Veränderung unserer selbst und der kreative Kampf gegenUngerechtigkeit kann zu gesellschaftlichen Veränderungen führen -- denGrundstein für sein Credo entdeckte Karlheinz Böhm in der Zusammenarbeit mit dem großen Kulturrebellen, demFilmregisseur, Theatermann und Schauspieler Rainer Maria Fassbinder, der ihnAnfang der siebziger Jahre ein für alle Mal politisch sensibilisierte.
Daß seinWeg nicht der eines theoretischen Protestlers ist, bestätigte sich fürKarlheinz Böhm Ende der siebziger Jahre als Pauschaltourist in Kenia , in einemLuxushotel in Mombasa, wohin ihn sein Münchner Theaterarzt wegen des Klimasgeschickt hatte, um eine Bronchitis auszukurieren.
Dortwollte Böhm in Erfahrung bringen -- Müßiggang ist seine Sache bis heute nicht-- wie der freundliche Kellner lebte, der ihm das üppige Frühstück servierte.Zuerst lachte der Kenianer, hielt das Interesse des Gastes für Smalltalk, kamam nächsten Morgen, seinem freien Tag, aber doch mit zwei Fahrrädern vor die Hotelanlage,um Karlheinz Böhm abzuholen.
Gemeinsamradelten der Weltstar und der Einheimische eine gute Stunde in den Buschhinein. Böhm fand sich in einem afrikanischen Dorf wieder, lernte eineunvorstellbare Gastfreundschaft kennen - und schockierende, bittere Armut. DasBild prägte sich ihm für immer ein: dieser riesige Fischkopf, der auf einemzerbeulten Blechteller in roter Sauce lag. Für seine naive Vermutung, eshandele sich um eine afrikanische Spezialität, erntete er schallendesGelächter. Seine Gastgeber waren schlicht zu arm, um sich einen ganzen Fischleisten zu können. In den Hotels landen dagegen Mahlzeit für MahlzeitLebensmittel gleich kiloweise auf dem Müll, die Buffets sind überladen,Verschwendung gehört zum Standardprogramm für Touristen, die in der sogenannten Dritten Welt Urlaub machen.
Wut überdie ungerechte und menschenverachtende Diskrepanz zwischen Arm und Reich istfür Böhm von da an der Motor seines Handelns. Er spürt, daß er sein altes Lebenvor sich selbst nicht mehr rechtfertigen konnte, und beginnt, imFassbinderschen Sinne, seine Haltung zu verändern. Und seine Wut wächst, findetimmer neue Nahrung, je mehr er sich informiert, je häufiger er mit Politikernspricht, mit Kollegen diskutiert.
1981 stander als König Lear in Düsseldorf auf der Bühne, während in der SahelzoneHunderttausende vom Hungertod bedroht waren und im Deutschen BundestagAbermillionen für Rüstungsprojekte bewilligt wurden.
In dieserZeit erreichte ihn eine Einladung zu Frank Elstners ZDF-Show "Wetten, dass ?".Zunächst wollte er absagen, bis er quasi in letzter Sekunde einen Geistesblitzhatte: War dies nicht die perfekte Plattform, um das, was ihn seit langemumtrieb, an ein Millionenpublikum zu bringen?
Und sowettete er vor laufender Kamera, daß nicht einmal jeder dritte Zuschauer eineMark, einen Franken oder sieben Schillinge für die hungernden Menschen in derSahelzone spenden würde. Sein Wetteinsatz: Sollte er verlieren, würde erpersönlich und ohne Einschaltung internationaler Organisationen in dieSahelzone fahren, um zu helfen, die Not zu lindern.
Ich kannmich genau an diese Sendung erinnern und daß ich damals dachte: Was ist denn inden gefahren? Das ist doch nicht der Karlheinz Böhm, der Kaiser Franz-Josef ausden Sissi-Filmen - die damals noch nicht den Kultstatus von heute hatten,sondern als Kitschfilme abqualifiziert waren - der Beau aus der Yellowpress,der eine Frau nach der anderen, eine schöner als die andere, an seiner Seitezeigte. Mich hat sein Appell jedenfalls beeindruckt. Mehr vielleicht noch dieTatsache, daß da offensichtlich ein Star stand, der mit einem Klischeeaufräumte, sich angreifbar machte. Ich steckte einen Zehnmarkschein in einenUmschlag, klebte eine Briefmarke drauf und schickte ihn, wie Böhm es erbat, anden damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens.
Böhmgewann die Wette zwar, weil es nicht jeder Dritte war, der seine Spendeschickte, Böhm hielt sein Wettversprechen trotzdem ein und flog mit 1,7Millionen Mark nach Äthiopien. Er hatte sich für dieses Land entschieden, weiles das einzige in der Sahelzone war, dessen Regierung keine Bedingungenstellte. Am 30. Oktober landete Karlheinz Böhm in Addis Abeba, am 13. Novembergründete er Menschen für Menschen. Mit 53 Jahren hatte der Homopoliticus in der Sinnkrise eine neue Lebensaufgabe gefunden.
"Bis dahintat ich alles, was ich tat, ausschließlich für mich", reflektiert er heute."Seit 25 Jahren tue ich alles für die Menschen in Äthiopien."
Almaz Böhmist seine vierte und - davon ist er überzeugt - letzte Ehefrau. Sie war diejunge Viehzuchtexpertin, die Arbeit bei Menschen für Menschen ihre ersteStelle, er der Chef. Und als Mitmensch für sie eine Offenbarung, lange bevorsie sich ineinander verliebten.
"Er warder erste Mann, der mich ernst nahm, der mein Wissen schätzte, meinenfachlichen Rat suchte, der mir etwas zutraute", kann sie sich noch heutebegeistern. "Erst durch ihn, durch seine ständige Herausforderung, mich mit denkleinen und den großen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, habe ichherausgefunden, was tatsächlich in mir steckt."
Man mußwissen, daß die äthiopische Gesellschaft bis in die kleinste Struktur hineinzutiefst männerdominiert ist. Frauen gelten nichts, selbst in den gebildetenSchichten nicht.
Almazwuchs in Jijiga auf, einem vibrierenden Handelsplatz nahe der somalischenGrenze, nicht in Armut, sondern in einem großbürgerlichen Milieu. Ihre Familiewar bis zur Enteignung durch das kommunistische Regime ein Clan vonGroßgrundbesitzern, ihr Vater ein einflußreicher Lokalpolitiker. Sie hatte einebehütete Kindheit, überstand die Wirren des Krieges zwischen Somalia undÄthiopien, ohne Schaden zu nehmen, auch wenn es ihre Familie von Jijiga nachAddis Abeba verschlug und ein Bruder sich wegen seiner politischen Überzeugungenin den Untergrund absetzen mußte.
Es war fürdie Familie keine Frage, daß Almaz in Addis Abeba Abitur macht, keine Frage,daß sie studiert. Keine Frage, als sie entschied, ihren Beruf auch auszuüben,und sich den Avancen von Heiratskandidaten entzog. Jenseits ihrerVorstellungskraft waren die Erfahrungen, die sie, als sie zum ersten Mal nichtunter der Obhut der Familie stand, machen mußte. Das in Äthiopien üblicheLosverfahren verschlug sie für ein Berufspraktikum in einen Staatsbetrieb aneinen fernen, düsteren Ort in den Bergen. Die Kollegen betrachteten sie alsFreiwild. Sie mußte sich gegen brutale Übergriffe wehren, schloß sich nachts inihr Zimmer ein, im ganzen Dorf gab es kein Licht, sie hatte Angst um ihr Leben.Aber sie hielt durch, fügte sich nicht, duckte sich nicht, entdeckte an sicheine ungeahnte Stärke, zeigte ihren Feinden die Stirn, rebellierte und gewann.
Erst bei Menschenfür Menschen sollte sie den Nährboden für ihre berufliche und persönlicheEntwicklung finden. Der Einblick in das Ausmaß der Armut, in den Schaden, dendas Land durch die feudalen und die kommunistischen Systeme gleichermaßengenommen hatte, in die völlig untergeordnete gesellschaftliche undwirtschaftliche Stellung der Frau, vergleichbar mit der Situation vor 200 Jahrenin Europa, hat sich ihr, der Äthiopierin, erst durch ihre Arbeit für Menschenfür Menschen erschlossen.
So kannsie den Instinkt ihres Mannes nicht genug preisen, der sich von Anfang anentschied, Armut und Elend bei der Wurzel zu packen, dort wo sie entsteht, inden ländlichen Gebieten. Wo die Menschen ohne Bildung, ohne Infrastruktur, ohnemedizinische Versorgung, ohne Ressourcen sind, ohne Chancen auf Entwicklung,permanent bedroht von Dürre, Hunger, und immer wieder von Krieg um Ideologienund Territorien.
"Ich gingals absoluter Nichtwissender nach Äthiopien", dazu bekennt sich Karlheinz Böhmohne Wenn und Aber. "Aber ich versuchte von Anfang an zu begreifen, warumdieses Land eines der ärmsten Länder der Erde ist, und herauszufinden, wo dieNöte dieser Menschen liegen. Das ist damals wie heute unsere Vorgehensweise.Wir gehen nicht hin und erklären, wie der Laden zu laufen hat. Unserewichtigste Aufgabe ist es, auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen, uns mitden Bauern und ihren Familien zusammenzusetzen und zu fragen: Was braucht ihr?Darauf basieren unsere Projekte."
So sitztKarlheinz Böhm, der prinzipiell nicht als Meister des Zuhörens gilt, als AboKarl - Vater Karl, wie ihn die Menschen hier liebevoll nennen; in Äthiopienwird in der direkten Anrede generell der Nachname weg gelassen - stundenlangmit den Stammesältesten zusammen, um zu verstehen. Und er besteht darauf, daßimmer mindestens zwei Frauen mit dabei sind, anfangs war das eine Revolution,nach und nach wurde es zur Selbstverständlichkeit. Diese Palaver sind einwahres Meisterstück der Kommunikation, oft prallen drei, vier Sprachen undDialekte aufeinander, und dennoch gibt es nie Verständnisschwierigkeiten.Karlheinz Böhm und sein Mitarbeiter der ersten Stunde, Berhanu Negussie, dernicht nur bis heute sein exzellenter, unverzichtbarer Übersetzer, sondern seiteinigen Jahren auch Landesbeauftragter von Menschen für Menschen inÄthiopien ist, sind perfekt aufeinander abgestimmt.
Berhanugehörte auch zu dem Stammteam, mit dem Böhm - der sich selbst im Laufe derJahre ein so fundiertes Fachwissen angeeignet hat, daß er heute auchinternational einen exzellenten Ruf als Entwicklungsexperte genießt - dasPrinzip der integrierten ländlichen Projekte entwickelte.
Gemeinsammit der Bevölkerung und immer mit einem hohen Anteil an Selbstengagement undArbeitseinsatz, werden die verschiedenen für eine nachhaltige Entwicklungnotwendigen Maßnahmen angegangen, in zeitlich möglichst naher Verzahnung. JedesRädchen muß in ein anderes greifen können, um die Uhr der Zukunft in Gang zusetzen. Straßen und Brücken zur Erschließung von entlegenen Gegenden.Verbesserung von Landwirtschaft und Viehzucht, um die Nahrungsversorgung auchin Zeiten der Dürre sicherzustellen. Schulen gegen den Bildungsnotstand.Krankenhäuser und -stationen gegen die medizinische Unterversorgung.Terrassierung und Aufforstung gegen die Bodenerosion. Bau von Brunnen undErschließen von Quellen in der Nähe der Siedlungen. Soziale Betreuung, um dieBenachteiligten, Frauen, Kinder, Kranke in die Gesellschaft zu integrieren. Unddas alles immer mit dem Ziel, die Bevölkerung in einem überschaubarenZeitrahmen, in maximal 15 Jahren, Schritt für Schritt unabhängig von fremderHilfe zu machen.
Geht dasdenn? Können solche vielschichtigen Projekte funktionieren? "Aber was nützteine Schule, wenn die Kinder sterben, bevor sie eingeschult werden? Was bessereAnbaumethoden, wenn die Felder beim nächsten Regen weggeschwemmt werden?"stellt Almaz Böhm die Gegenfrage. Und sagt: "Ja, es geht, wenn auch nicht vonheute auf morgen und nicht ohne Rückschläge. Ein Rückschlag ist immer ein guterLehrmeister. Unser Feind heißt Ignoranz, unser Freund heißt Konsequenz."
MitProjektkoordinator Dr. Martin Grunder ist Almaz Böhm von einerEvaluierungsreise nach Addis Abeba zurückgekommen. Eine Bauerngemeinschaft ausder Gegend bei Jijiga, ihrem Heimatort, ist vor einigen Monaten bei KarlheinzBöhm vorstellig geworden. Beider Analyse ist eindeutig: Das Engagement derAntragsteller scheint vordergründig, unglaubwürdig. Die weiten Khat-Felder, diedie Landschaft dominieren, der - legale - Anbau der äthiopischen Volksdroge -jener bitteren grünen Blätter, die die Männer hier kauen, um sich in Stimmungoder Lethargie zu versetzen - zeugen davon, daß genug Geld, aber wohl zu wenigEnergie in der Gegend vorhanden ist. Almaz Böhm möchte, daß dieverantwortlichen Projektmitarbeiter erneut mit den Bauern sprechen, kritischerals bisher hinterfragen, wie ihr eigener Beitrag zur Selbstentwicklung aussehenkönnte. Erst dann will sie entscheiden.
Siediskutiert den Fall per Telefon mit ihrem Mann, der sich mit einemösterreichischen Fernsehteam im Erer-Tal aufhält. Regelmäßige Medien-Berichteüber die Arbeit von Menschen für Menschen in Äthiopien, über Schicksalevon Betroffenen, über die Situation im Lande, sind unverzichtbares Werkzeug fürdie Arbeit der vielen, meist langjährigen, ehrenamtlichen Mitarbeiter inÄthiopien und der hoch motivierten Mitarbeiter in den Landesbüros inDeutschland, Österreich und der Schweiz. Nur mit einem konsequenten,qualifizierten, offenen Informationsfluß können Jahr für Jahr die Spenderüberzeugt werden, daß sie in ihrem Engagement nicht nachlassen dürfen, und neueSpender gewonnen werden.
Es istleicht, Rekordsummen zu verkünden: Über 275 Millionen Euro haben die SpenderKarlheinz Böhm im Laufe von 25 Jahren für die Arbeit von Menschen fürMenschen in Äthiopien anvertraut. Daß sich dieser in der Tat beeindruckendeBetrag aus Millionen Einzelspenden zusammensetzt, daß er ein einziger großer Vertrauensbeweisist, das ist die eigentliche Sensation. Daß aus der Wut einer Einzelperson überdie Ungerechtigkeit der Welt tatsächlich eine Bewegung wird, die auf beidenKontinenten Millionen Menschen miteinander verbindet, das ist die großeLeistung von Karlheinz Böhm.
Er lächeltzufrieden, als ich ihm das, noch ganz unter dem Eindruck meiner neunwöchigenÄthiopienreise, sage, auch wenn eine Handbewegung so etwas wie: Ist dochselbstverständlich, andeuten soll. Wir sitzen auf dem Sofa in seinem Haus in Grödigbei Salzburg, draußen im Garten Aida, die schöne Tochter, auf dem Rasen,Schulbücher vor sich ausgebreitet, Niki, der Junge, ist mit Freunden unterwegs,eine äthiopische Cousine bereitet in der Küche ein Mittagessen für die Kinderzu.
Ich möchtemit ihm über den Spagat sprechen, den er zwischen seiner Arbeit vor Ort inÄthiopien und der in Deutschland, Österreich und der Schweiz, vollführt. Hierschärft er mit jedem seiner öffentlichen Auftritte, jedem seiner Interviews,jeder Diskussion mit Bürgern sein Profil als radikal politisch denkender undhandelnder Mensch. In Äthiopien dagegen läßt er sich von dem internationalumstrittenen Staatspräsidenten Meles Zanawi zum ersten Ehrenbürger Äthiopiensernennen, von einem Politiker, der aus fadenscheinigen Gründen Oppositionelleverhaften läßt. Bevor Zanawi an die Macht kam, hatte Karlheinz Böhm auch mitdem kommunistischen Despoten Haile Mengistu verkehrt. Wie kann er das mitseiner politischen Überzeugung vereinbaren?
Allein dieFrage bringt Karlheinz Böhm in Rage, und sein Statement ist ebenso klar wiegescheit: "Ich habe mit der äthiopischen Regierung seit 25 Jahren ein Abkommen,daß sie sich nicht in die Projektarbeit von Menschen für Menscheneinmischt, wir haben die absolute Entscheidungsgewalt.Und ich mische mich nicht in die Politik des Landes ein. Die Regierung stelltkeine Bedingungen an uns und wir keine an sie. Es geht in unserer Arbeit einzigund allein darum, die Menschen in ihrer Selbstentwicklung zu unterstützen, nichtdie jeweiligen Machthaber."
Aberselbstverständlich nutzt Böhm seine persönlichen Kontakte, um auf Problemeaufmerksam zu machen. In privaten Gesprächen erreicht er mehr als inöffentlichen Manifesten.
Eine klugeTaktik, die immerhin dazu geführt hat, daß Menschen für Menschen ohneUnterbrechung seit einem Vierteljahrhundert in Äthiopien arbeiten kann. BöhmsKritik an den herrschenden Verhältnissen auf dieser Seite der Welt dagegen istkompromißlos: "Nachdem die UNO den Kolonialismus 1948 offiziell abgeschaffthatte, hielt mit dem Kalten Krieg der sogenannte Neokolonialismus der USA undder Sowjetunion Einzug auf dem afrikanischen Kontinent. Die heutigenBeziehungen zwischen Europa und Afrika sind meines Erachtensneokolonialistisch. Kein Land pflegt wirtschaftliche oder kulturelleBeziehungen zu Afrika, wie sie eigentlich sein müßten. Wann begreifen wirendlich, die Afrikaner als Partner zu behandeln? Mittelfristig können wir aufden Absatzmarkt Afrika mit seinen über 1,1 Milliarden Menschen nicht verzichten.Es ist in unserem eigenen Interesse, auf dem afrikanischen Kontinentfunktionierende Sozial- und Wirtschaftssysteme aufzubauen. Allerdings dürfenwir nicht mit schnellem Profit rechnen. Nachdem in den Aufbau investiert wordenist, wird es zwei, drei Generationen dauern, bis Gewinne erzielt werden können.
Häufiggeraten Korruption und Mißwirtschaft in den Mittelpunkt der Diskussion um dieMisere in den so genannten Entwicklungsländern Afrikas. Einige Medienvertretergehen gar so weit, den Sinn von Entwicklungshilfegeldern und Schuldenerlaßüberhaupt anzuzweifeln. Wir sollten doch am besten wissen, wie lange es dauert,bis eine demokratische Gesellschaft heranwächst - das ist in Afrika nichtanders als bei uns. Wir können die Entwicklung in Afrika jedoch aktivunterstützen.
Menschenund Einstellungen ändern sich langsam - aber wenn sie es tun, dann nachhaltig."
Sofanatisch Böhm über die großen Zusammenhänge spricht, so sentimental wird er,als ich ihn frage, ob es eigentlich immer noch die Wut ist, die ihn treibt."Ja, aber sie hat eine schöne Schwester bekommen", sagt er, "die Liebe. Dieseunendliche Liebe, die mir die Menschen in Äthiopien entgegenbringen."
KarlheinzBöhm schaut auf seine Uhr: Sehnsüchtig wartet er auf einen Anruf von Almaz, dieer zwei Wochen lang nicht hat sprechen können. Sie ist in Äthiopien in denabgelegenen Projektgebieten von Merhabete unterwegs, wo nicht mal dasMobiltelefon funktioniert. Er kennt ihren Reiseplan genau, weiß, daß sieirgendwann am Nachmittag aus dem riesigen Funkloch wieder auftauchen muß.
Tatsächlichklingelt wenig später das Telefon in Grödig bei Salzburg. Und ich höre, wieKarlheinz Böhm mit geradezu jungenhafter Zärtlichkeit mit seiner Frau spricht.
Wenn ereinen Wunsch frei hätte, frage ich ihn, was wäre das dann? "Daß Menschen fürMenschen der Leitspruch der nächsten Generation wird, hier und dort",antwortet er und geht hinaus in den Garten, schaut seiner Tochter Aida über dieSchulter. Seine Frau hat ihn am Telefon wohl gefragt, was die Schularbeiten derKinder machen.
© Rütten & Loening
Autoren-Porträtvon Karlheinz Böhm
Karlheinz Böhm wurde am 16.3.1928 in Darmstadt geboren. Erist der einzige Sohn des Dirigenten Karl Böhm und der Sopranistin Thea Linhard.Der Beruf des Vaters brachte es mit sich, dass die Familie öfter den Wohnortwechselte, seine Schulausbildung beendete der Sohn 1946 in Graz mit der Matura(dem Abitur).
Nach einem erfolglosen Versuch, Pianist zu werden, arbeiteteBöhm als Regieassistent in Wien und besuchte die Schauspielschule desBurgtheaters. Er wurde Film- und Bühnenschauspieler und erlangte ersteBerühmtheit durch die "Sissi"-Trilogie, in der er den jungen Kaiser FranzJoseph verkörperte. Insgesamt war er in 45 Filmen sowie zahlreichenBühnenrollen zu sehen. Trotz vieler Erfolge, auch unter der Regie Rainer WernerFassbinders, beendete Karlheinz Böhm 1975 seine Filmlaufbahn und hörteschließlich 1983 ganz mit der Schauspielerei auf, um sich ganz seinem Hilfsprojekt"Menschen für Menschen" widmen zu können.
Aufgewachsen in einem eher unpolitischen Elternhaus, wurdeder junge Schauspieler durch die Studentendemonstrationen 1968 in Frankfurtdazu veranlasst, "Fragen zu stellen und zu begreifen, dass eine moralische undethische Auseinandersetzung mit unserem Tun notwendig ist." Er wollte mehrerfahren über die Folgen des Kolonialismus und begann, globale Probleme zuhinterfragen. Als er 1976 in Kenia mit eigenen Augen das Elend vieler Afrikanersah, stand sein Entschluss fest, diesen Menschen zu helfen.
In der Fernsehsendung "Wetten, dass..?" startete er 1981einen erfolgreichen Spendenaufruf, gründete einige Monate später dieHilfsorganisation "Menschen für Menschen" und konzentrierte seine Aktivitätenauf Äthiopien.
In den letzten 25 Jahren wurden dort u.a. Krankenhäuser,Schulen, Getreidemühlen und Brunnen gebaut, weiterhin wurden zur Bekämpfung derBodenerosion unzählige Bäume gepflanzt. Auch Aufklärungsarbeit wurde geleistet,vor allem die Rechte und die Würde der Frauen betreffend. Hierbei unterstütztihn die Äthiopierin Almaz Teshome, mit der er seit 1991 in vierter Eheverheiratet ist.
Durch Hilfe zur Selbsthilfe konnte die Verantwortung für dieProjekte nach und nach auf einheimische Mitarbeiter übertragen werden.Mittlerweile verbringt Böhm einige Monate im Jahr in Äthiopien, in der übrigenZeit bereist er europäische Länder, um in Vorträgen für seine Projekte zuwerben. Was mit den Spendengeldern erreicht wurde, dokumentiert das Buch"Nagaya heißt Frieden", das die Journalistin Beate Wedekind zusammen mitKarlheinz Böhm verfasst hat.
Autoren-Porträtvon Beate Wedekind
In der Medienwelt ist Beate Wedekind bekannt alsStarjournalistin, Powerfrau und Organisationstalent. Geboren wurde sie alsTochter eines Ingenieurs am 13.4.1951 in Duisburg und machte dort auch ihrenSchulabschluss mit der Mittleren Reife. Ihre Berufsausbildung begann mit einerBanklehre, bis 1972 arbeitete Wedekind als Bankkauffrau. Von ihrerExperimentierfreude zeugen die weiteren Stationen ihres Lebenswegs: Stewardess,Kontakterin bei einer Werbeagentur, Entwicklungshelferin in Äthiopien,Übersetzerin an der Freien Universität in Berlin. 1979 begann schließlich diejournalistische Laufbahn der Beate Wedekind mit einem Volontariat bei derBerliner Zeitung "Der Abend". Es folgte ein Jahr in der Lokalredaktion der"Bild" in Berlin. 1982 zog es sie zu der Illustrierten "Die Bunte", wo sie alsReporterin im Ressort Unterhaltung anfing, dann zügig die Karriereleiter Stufefür Stufe emporkletterte. Nebenbei war sie Gesellschaftsreporterin in derZDF-Sendung "Mein Rendezvous" und später Moderatorin in "Zeil um Zehn", derwöchentlichen Talkshow in HR 3. Sie stieg zur Chefredakteurin von "Bunte","Elle" und "Ambiente" auf, verließ aber 1993 aus gesundheitlichen Gründen denBurda-Verlag. Zum Schluss hatte sie zeitweilig sechs Magazine gleichzeitiggeleitet. Auf Ibiza kaufte sich die Journalistin 1994 eine Finca. Sie schriebmehrere Bücher und konzipierte eine Sendereihe fürs ZDF. Zur Zeit arbeitet sie an einem Sachbuch, "Notizen aus dem Leben einer 55-Jährigen". Sielebt in Berlin, New York und auf Ibiza.
Das soziale Engagement von Beate Wedekind ist eng mit demNamen Karlheinz Böhm verknüpft. Seit sie ihn 1988 bei einem Interview kennenlernte, unterstützt sie dessen Hilfsaktion "Menschen für Menschen". Im Herbst2005 reiste sie mit Böhm nach Äthiopien, um über seine erfolgreiche Arbeit inAfrika zu schreiben. Über ihr Werk "Nagaya heißt Frieden" sagt die Autorin:"Mit meinem Buch möchte ich berichten, wie wichtig langfristig angelegteUnterstützung ist und dass auch kleinste Spenden sinnvoll eingesetzt werdenkönnen."
Interview mit Beate Wedekind und Karlheinz Böhm
KarlheinzBöhm
Die Gründung Ihrer Hilfsorganisation "Menschen fürMenschen" erfolgte 1981. Wie und mit welchen Mitteln haben Sie Ihre Hilfe fürÄthiopien organisiert?
Die Gründung der Organisation "Menschen für Menschen e.V."erfolgte am 13. November 1981. Das war aber nur die legale Form. Nach der "Wetten,dass..."-Sendung am 16. Mai 1981, bei der am selben Abend 1,2 Millionen DMhereingekommen waren, begann ich, mich über die Vereinten Nationen und andereOrganisationen zu informieren, welches das ärmste Land der sogenannten Sahel-Zonein Afrika ist. Nachdem das Land Äthiopien mein Hilfsangebot angenommen hatte,bin ich am 30. Oktober 1981 das erste Mal dorthin geflogen und habe von da an begonnen,Schritt für Schritt sowohl unser erstes Projekt in Äthiopien als auch Büros inDeutschland, der Schweiz und Österreich aufzubauen.
Nebenlebensrettenden Soforthilfen, beispielsweise bei Dürrekatastrophen, setzen Sievor allem auf Hilfe zur Selbsthilfe. War diese Zielrichtung von vornherein sogeplant?
Die Basis der Entwicklung unserer Organisation beruht aufdem Lehrsatz des griechischen Philosophen Sokrates: "Ich weiß, dass ich nichtsweiß." Mit anderen Worten: Ich habe durch meinen permanenten Einsatz inÄthiopien Schritt für Schritt nicht nur das erste Projekt, sondern überhauptdie Basis geschaffen, auf der "Menschen für Menschen" heute beruht.
Ihre Hilfe umfasst Sozialeinrichtungen, Projekte in denBereichen Bildung und Medizin, landwirtschaftliche Projekte sowie die gezielteFörderung von Frauen. Könnten Sie an einem Beispiel erläutern, wie dieseUnterstützung funktioniert?
Als Beispiel für die "Hilfe zur Selbstentwicklung" möchteich den Bau von verschiedenen Schulen erwähnen. Denn ohne eine Grundausbildungist das, was man Entwicklung nennt, überhaupt nicht möglich. Wir haben bisjetzt 140 Schulen fertig gestellt und werden auf diesem Gebiet in den nächstenJahren besonders intensiv weiterarbeiten.
Ihre Organisation leistet Hilfe für 2,6 MillionenMenschen, was natürlich nicht geheim und ohne Zustimmung der Behördenfunktionieren kann. Werden Sie kontrolliert, behindert, geduldet oderunterstützt?
In den Gebieten, in denen "Menschen für Menschen" innerhalb vonÄthiopien arbeitet, leben etwa drei Millionen Menschen. Es war mein Grundsatz,vom ersten Tag an klarzustellen, dass "Menschen für Menschen" politisch,wirtschaftlich und religiös unabhängig ist und wir keinerlei Bedingungen fürunsere Hilfe stellen - bis auf die Bedingung, dass die jeweilige Regierungkeine Bedingungen an uns stellt. Das hat dazu geführt, dass wir sowohl in denZeiten der Militärdiktatur als auch unter der heutigen Regierung nurunterstützt und nie behindert werden.
Die Journalistin Beate Wedekind schrieb mit IhrerUnterstützung das Buch "Nagaya heißt Frieden". Sie berichtet eindrucksvoll vonIhrer Arbeit in Äthiopien. Kann man ihre Berichte als Bilanz ansehen nach 25Jahren "Menschen für Menschen"? Welche Projekte sind für die nähere und fernereZukunft geplant?
Das Buch von Beate Wedekind ist durchaus als eine Bilanz dergesamten 25 Jahre anzusehen, wenn auch nicht im bürokratischen Sinne. DieProjekte, die wir in der näheren und ferneren Zukunft planen, haben alle eineZielsetzung. Nämlich die, dass das Land Äthiopien eines Tages keine Hilfe vonaußen mehr braucht, sondern dass man dort mithilfe der eigenen Ressourcen dasLand weiterentwickelt.
BeateWedekind
In Ihrer Vita werden Sie als Karrierefrau,Top-Journalistin, Powerfrau und Organisationstalent beschrieben. Da verwundertdann schon der Eintrag: "Von 1975 bis 1977 arbeitete sie alsEntwicklungshelferin in Äthiopien." Wie kam es dazu?
Da gibt es nichtszu beschönigen - es war eine unglückliche Liebe, die mich nach Äthiopien trieb.Ich war 25 und wollte so viele Kilometer wie möglich zwischen meinem damaligenFreund und mich bringen. Ich las eine Anzeige vom Deutschen Entwicklungsdienst(DED) in der "Zeit": "Dickbrettbohrer gesucht." Man suchte Fachleute für dieDritte Welt. Ich war Bankkauffrau und arbeitete ein Jahr lang im Büro desLandesbeauftragten, betreute 75 Entwicklungshelfer organisatorisch. Es war einesehr interessante Zeit, kurz nach dem Sturz von Kaiser Haile Selassie I. Abermein soziales Engagement kam erst später. Lange nachdem ich zurück in Deutschlandwar, erkannte ich, dass jeder Einzelne - also auch ich - etwas gegen die Armuttun kann. Im Übrigen hat mich meine Zeit in Äthiopien persönlich sehr geprägt:Dort habe ich gelernt, auf mich selbst gestellt zu sein.
Sie sind nun mit Karlheinz Böhm, dem Gründer derHilfsorganisation "Menschen für Menschen", noch einmal nach Äthiopien gereist,um für Ihr Buch "Nagaya heißt Frieden" zu recherchieren. Wie ist es zu dieserZusammenarbeit gekommen?
Karlheinz Böhm habe ich kennen gelernt durch ein Interview,das ich in den späten 80er Jahren mit ihm führte. Es wurde in "Bunte" und"Elle" abgedruckt - ich war damals Chefredakteurin beider Zeitschriften. Indiesem Interview erkannte ich, dass Karlheinz weit über seine Rolle alsFilmschauspieler ("Sissi", "Peeping Tom", "Martha") hinausgewachsen war unddurch sein Engagement für Äthiopien zu seiner ureigenen Persönlichkeit gefundenhatte. Seitdem unterstütze ich ihn, soweit es in meiner Macht steht. Ichmoderiere zum Beispiel seine Pressekonferenzen, auch schon mal Podiumsdiskussionen.Im Laufe der Jahre sind mein Respekt und meine Bewunderung stetig gewachsen.
Sie besuchten gemeinsam Menschen, die dank derHilfsorganisation ein neues, menschenwürdiges Leben führen konnten, undschrieben darüber 25 eindringliche Porträts. War bei diesen Begegnungen eherdie Journalistin oder eher die ehemalige Entwicklungshelferin gefordert?
Es war eine sehr interessante Reise auf den Spuren vonKarlheinz Böhm. Er ist überall, wo er in den vergangenen 25 Jahren helfenkonnte, ein Held, ein Vorbild. Um in meiner journalistischen Herangehensweisefreier sein zu können, bin ich übrigens nicht mit Karlheinz Böhm zusammengereist, sondern nur in Begleitung des Fotografen Marcus Zumbansen und einesProjektmitarbeiters von "Menschen für Menschen". Wäre Karlheinz Böhm dabeigewesen, hätte ich keinen Alltag erleben können - so sehr verehren ihn dieMenschen dort. Wir sind überall sehr offen empfangen worden, die Sprachbarrierehaben wir versucht, mit Hilfe von Übersetzungen zu überwinden, allein durch dasBeobachten konnte ich so viel erfahren und lernen. Es war eine großejournalistische Herausforderung. Durch die Brille der ehemaligenEntwicklungshelferin habe ich natürlich auch geschaut und gespürt, dass sich ander Situation der Menschen auf dem Lande in den letzten 30 Jahren dochErhebliches geändert hat - zumindest in den Projektgebieten von "Menschen fürMenschen". Die Lethargie der Armut und des Leids ist dort aufgebrochen, Bildungist wichtig geworden, die Gesundheitsversorgung, die Wassersituation und dielandwirtschaftlichen Möglichkeiten haben sich verbessert. Ich habe das Gefühlgewonnen, dass die Menschen verstehen, dass sie eine Zukunft haben. Das warfrüher sehr viel anders.
Die Hilfsorganisation "Menschen für Menschen" entstand, weilKarlheinz Böhm von Verantwortung für die Mitmenschen nicht nur redete, sondernin diesem Sinne handelte. Was haben Sie empfunden, als Sie die Ergebnissedieser tätigen Hilfe dokumentieren durften?
Vor allem habe ich die Wut von Karlheinz Böhm nachempfindenkönnen, seine Wut über die Ignoranz der Politik und der Wirtschaft und über dieUngerechtigkeit in der Verteilung der Chancen und auch der Güter. DieBeharrlichkeit, mit der er - und seine fast 700 Mitarbeiter - sich auch denschwierigsten Situationen stellen, und die Konsequenz, mit der sie Hilfe zurSelbstentwicklung nicht nur anbieten, sondern nun schon in der drittenGeneration umsetzen, sind entscheidend für den Erfolg. Ein Satz von KarlheinzBöhm hat sich mir ganz besonders eingeprägt. In einem langen Gespräch sagte ermir, dass seine Wut im Laufe der Jahre eine schöne Schwester bekommen hat: dieLiebe der Menschen, die ihm so offen entgegengebracht wird. Das habe ich auchpersönlich zu spüren bekommen.
Durch meine Arbeit vor Ort habeich einen ganz neuen Zugang zu den Menschen in Äthiopien gefunden, die Leuteund das Land haben mich neu in ihren Bann gezogen.
Mit derBeschreibung ganz konkreter Beispiele leistet Ihr Buch wichtigeAufklärungsarbeit bei möglichen Spendern, die über Verbleib und Verwendung desGeldes informiert werden wollen.
Wie siehtdie Zukunft von "Menschen für Menschen" nach Ihrer Meinung aus? Wie sind Sie ingeplante Spendenaktionen eingebunden?
Mit meinem Buchhabe ich die Absicht verfolgt, den einzelnen Menschen und sein Schicksalindividuell aus der Anonymität der Begriffe "Notleidende Bevölkerung" oder"Hilfsbedürftige" herauszuholen. Wenn es mir so gelingen kann, interessierteMenschen hier bei uns auch zu einem Engagement zu bewegen - jeder gespendeteEuro ist ja eine wirkliche Hilfe -, dann würde mich das sehr glücklich machen.In konkrete Spendenaktionen bin ich nicht eingebunden, aber aus jeder Leserinund jedem Leser, die ich mit meinem Buch erreiche, könnte ein Spender werden.
Die Zukunft von "Menschen für"Menschen sehe ich positiv, weil ich von der Sinnhaftigkeit und derProfessionalität der Arbeit dieser Organisation zutiefst überzeugt bin. Leiderist es nicht so, dass man sagen kann, nach 25 Jahren ist das Ziel erreicht. DieArbeit von "Menschen für Menschen" wird auch in den nächsten 25 Jahren nötigund sinnvoll sein.
Die Fragenstellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Beate Wedekind
- 2006, 302 Seiten, 50 farbige Abbildungen, Maße: 17,1 x 23,8 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: RÜTTEN & LOENING
- ISBN-10: 3352006598
- ISBN-13: 9783352006593
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