New Yorker Geschichten
New Yorker Geschichten von Dorothy Parker
LESEPROBE
Eine starke Blondine
(Big Blonde)
Hazel Morse war eine stattliche, strahlende Frau von derSorte, die manche Männer, wenn sie das Wort »blond« in den Mund nehmen, dazuverleitet, mit der Zunge zu schnalzen und den Kopf neckisch schräg zu legen.Sie war sehr stolz auf ihre kleinen Füße und ertrug manches Leid für ihreEitelkeit, indem sie sie in die kleinstmöglichen Schuhe mit sehr hohenAbsätzen und sehr kurzen, abgerundeten Spitzen quetschte. Eigenartig waren ihreHände, komische Endstücke von schlaffen, weißen, mit bleichen Sonnenfleckengesprenkelten Armen - lange, aufgeregte Hände mit fast bis um die Fingerspitzenherum gezüchteten, gebogenen Nägeln. Sie hätte sie nicht mit Juwelenverunzieren sollen.
Sie gehörte nicht zu den Frauen, die in Erinnerungenschwelgen. Mit Mitte dreißig sah sie ihre alten Tage als verschwommene,flackernde Sequenz, als einen unvollendeten Film über das Treiben fremderLeute.
In ihren Zwanzigern, nach dem lange hinausgezögerten Todihrer schleierhaft verwitweten Mutter, war Hazel in einem Kleidergroßhandel alsMannequin angestellt gewesen - damals war noch die starke Frau in Mode gewesenund sie hatte noch eine blühende Farbe und eine aufrechte Haltung gehabt und stolzgereckte Brüste. Die Stelle war nicht sehr anstrengend, und sie lernte eineMenge Männer kennen und verbrachte mit ihnen eine Menge Abende, lachte überihre Witze und lobte ihre todschicken Schlipse. Die Männer fanden siefabelhaft, und für sie war es selbstverständlich wünschenswert, von Männernfabelhaft gefunden zu werden. Beliebtsein schien ihr all die Mühe wert, diedazu aufgewendet werden mußte. Männer fanden einen fabelhaft, weil sie miteinem Spaß haben konnten, und wenn sie einen fabelhaft fanden, dann führtensie einen aus, und darauf kam's an. Und so war sie, und zwar mit Erfolg, für jedenSpaß zu haben. Sie war kein Spielverderber. Männer mochten keineSpielverderber.
Andere Formen des Zeitvertreibs, ob schlichtere oderanspruchsvollere, konnten ihre Aufmerksamkeit nicht erringen. Sie hatte niedarüber nachgedacht, ob sie sich nicht vielleicht mit anderem beschäftigensollte. Ihre Vorstellung oder besser das, was sie gut fand, entsprach genau demder anderen großzügig gebauten Blondinen, unter denen sie ihre Freundinnenfand.
Als sie in der Kleiderfirma ein paar Jahre gearbeitet hatte,lernte sie Herbie Morse kennen. Er war dünn, flink, attraktiv, hatte Faltenüber den glänzenden braunen Augen, die hin- und herzuckten, und dieAngewohnheit, verbissen an der Haut um die Fingernägel herum zu kauen. Er trankim großen Stil; sie fand das unterhaltsam. Sie begrüßte ihn üblicherweise miteiner Bemerkung über seinen Zustand am vergangenen Abend.
»Na, du hattest vielleicht einen sitzen«, sagte sie meistensund lachte fröhlich wie immer. »Ich dachte, ich sterbe, wie du den Kellnerdauernd gefragt hast, ob er mit dir tanzt.«
Sie fand ihn sofort fabelhaft, als sie ihn traf. Sie amüsiertesich köstlich über seine schnellen, genuschelten Sätze, die intelligenteingeschobenen Zitate aus Vaudeville-Stücken und Witzblattserien; sie bebte,wenn sie spürte, wie er seinen mageren Arm entschlossen unter ihren Jackenärmelschob; sie hatte Lust, die nasse Spiegelfläche seiner Haare anzufassen. Erfühlte sich ebenso prompt zu ihr hingezogen. Sie heirateten sechs Wochen nachihrer ersten Begegnung.
Sie war hocherfreut über die Idee, eine Braut zu sein;kokettierte damit, profitierte davon. Sie hatte bereits früher Heiratsanträgebekommen, und nicht zu knapp, aber die waren zufällig immer von klobigen,bierernsten Männern, die als Einkäufer in die Kleiderfirma kamen; Männer ausDes Moines und Houston und Chicago und, wie sie es ausdrückte, noch vielkomischeren Orten. Sie fand den Gedanken, irgendwo anders als in New York zuleben, schon immer enorm grotesk. Sie konnte doch Heiratsangebote mit Wohnsitzirgendwo im Westen nicht ernst nehmen.
Sie hatte Lust, verheiratet zu sein. Sie war jetzt fastdreißig, und sie steckte die Jahre nicht leicht weg. Sie ging auseinander undwurde weicher, und die nachdunkelnden Haare nötigten sie zum ungeschicktenHantieren mit Wasserstoffsuperoxyd. Es gab Zeiten, da bekam sie kleineAngstschauder wegen ihrer Stellen. Und sie hatte inzwischen ein paar tausendAbende mit ihren männlichen Bekannten verbracht und war kein Spielverderbergewesen. Allmählich war sie darin immer mehr beflissen und weniger spontangeworden.
© Brigitte Edition
Übersetzung: aus dem Amerikanischen von Pieke Biermann undUrsula-Maria Mössner
- Autor: Dorothy Parker
- 2005, 422 Seiten, Maße: 11,7 x 19,5 cm, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Pieke Biermann u. Ursula-Maria Mössner
- Verlag: Gruner + Jahr
- ISBN-10: 3570195260
- ISBN-13: 9783570195260
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