Noch einmal lieben
Es war kurz vor Weihnachten, als Andrea Sixt glaubte, am Anfang eines Alptraums zu stehen. Diagnose Brustkrebs. Ihr Partner konnte damit nicht umgehen, die Beziehung zerbrach. Mit eindrucksvoller Offenheit beschreibt die Autorin die verschiedenen Stufen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Noch einmal lieben “
Es war kurz vor Weihnachten, als Andrea Sixt glaubte, am Anfang eines Alptraums zu stehen. Diagnose Brustkrebs. Ihr Partner konnte damit nicht umgehen, die Beziehung zerbrach. Mit eindrucksvoller Offenheit beschreibt die Autorin die verschiedenen Stufen ihres Lebens nach der Brustamputation: Ihre grenzenlose Freude, überlebt zu haben, aber auch ihre anfängliche diffuse Angst, für Männer nicht mehr schön und begehrenswert zu sein. Heute, fünf Jahre "danach", kommt sie zu dem beeindruckenden Schluss, dass der Krebs die Chance in ihrem Leben für eine positive Veränderung war. Denn durch die Krankheit musste sie sich mit sich selbst, ihren Träumen und ihrer großen Sehnsucht, zu lieben und geliebt zu werden, auseinander setzen. Nur so ist sie zu dem geworden, was sie heute ist - eine selbstbewusste, positive Frau, die ihre eigenen Bedürfnisse lebt und so erwachsen liebt, wie nie zuvor.
Andrea Sixts Buch geht sehr offen mit dem Tabuthema Brustkrebs um. Es ist auch ein autobiografischer Roman, der einfühlsam und fesselnd bis zur letzten Seite ihre Lebensphilosophie beschreibt, jedes Schicksal als Chance anzunehmen.
Andrea Sixts Buch geht sehr offen mit dem Tabuthema Brustkrebs um. Es ist auch ein autobiografischer Roman, der einfühlsam und fesselnd bis zur letzten Seite ihre Lebensphilosophie beschreibt, jedes Schicksal als Chance anzunehmen.
Klappentext zu „Noch einmal lieben “
Es war kurz vor Weihnachten, als Andrea Sixt glaubte,am Anfang eines Alptraums zu stehen. Diagnose Brustkrebs. Ihr Partner konnte damit nicht umgehen, die Beziehung zerbrach. Mit eindrucksvoller Offenheit beschreibt die Autorin die verschiedenen Stufen ihres Lebens nach der Brustamputation: Ihre grenzenlose Freude, überlebt zu haben, aber auch ihre anfängliche diffuse Angst, für Männer nicht mehr schön und begehrenswert zu sein. Heute, fünf Jahre »danach«, kommt sie zu dem beeindruckenden Schluss, dass der Krebs die Chance in ihrem Leben für eine positive Veränderung war. Denn durch die Krankheit musste sie sich mit sich selbst, ihren Träumen und ihrer großen Sehnsucht, zu lieben und geliebt zu werden, auseinander setzen. Nur so ist sie zu dem geworden, was sie heute ist eine selbstbewusste, positive Frau, die ihre eigenen Bedürfnisse lebt und so erwachsen liebt, wie nie zuvor. Andrea Sixts Buch geht sehr offen mit dem Tabuthema Brustkrebs um. Es ist auch ein autobiografischer Roman, der einfühlsam und fesselnd bis zur letzten Seite ihre Lebensphilosophie beschreibt, jedes Schicksal als Chance anzunehmen.
Lese-Probe zu „Noch einmal lieben “
1"Was auf dich zukommen wird - nimm es an und betrachte es als Geschenk Gottes!", hörte ich Carlos mit seiner ruhigen, ernsten Stimme durch das Telefon sagen, und ein seltsames Gefühl stieg in mir auf. Ich konnte nicht sagen, was es war, doch ich spürte, dass etwas Entscheidendes passieren würde.
Carlos war mein Lehrer. Ich hatte ihn zwei Jahre zuvor kennen gelernt, als ich als Ingenieurin noch die meiste Zeit des Tages auf Baustellen verbrachte und gerade meine ersten, heimlichen Versuche startete, ein Drehbuch zu schreiben. Schon lange wollte ich raus aus dieser nüchternen Welt, die mir so gar nicht entsprach, doch ich wagte nicht, etwas zu ändern, denn ich betrachtete meinen Beruf als Sicherheit für mein Leben. Von meinen stillen Ambitionen wusste kaum jemand, denn mir war wichtig, dem Bild, das andere von mir hatten, zu entsprechen, und lächerlich machen wollte ich mich auf keinen Fall.
Damals war Carlos in mein Leben getreten und hatte mir angeboten, mich das Handwerk des Drehbuchschreibens zu lehren. Carlos war sehr speziell und ihn umgab etwas Geheimnisvolles. Er gab fast nie etwas von sich preis, lebte zurückgezogen und meditierte viel. Aus einigen wenigen Bemerkungen und aus Geschichten, die über ihn kursierten, konnte man ableiten, dass er als Storyboarder mit großen, weltbekannten Regisseuren gearbeitet hatte. Er zeichnete den ganzen Film, jede Kameraeinstellung vorab, so wie später gedreht werden sollte, und es war faszinierend zu sehen, wie schnell und mit wenigen Strichen er eine Szene auf dem Papier darstellte.
Als er mir in seiner zurückhaltenden Art dieses Angebot machte, hatte ich zwar gespürt, dass dies meine Chance war, doch wie groß diese Chance dann tatsächlich sein würde, konnte ich zu der Zeit nicht erahnen. Ich war einfach nur beseelt von dem Gedanken, endlich etwas Neues, Spannendes erfahren zu können.
Fachlich lernte ich eine Menge von Carlos. Wie viel, merkte ich erst, als ich ein paar Jahre später in Los Angeles war - im
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Mekka der Filmwelt - und an Seminaren von verschiedenen Drehbuchprofessoren der UCLA, der Universität von Los Angeles, teilnahm. Carlos' Methode war es, meine Arbeit niemals zu kritisieren, sondern immer nur alles zu hinterfragen. Allerdings war er darin wahnsinnig hartnäckig. Manchmal brachten mich seine vielen Fragen schier zur Verzweiflung, und wenn ich, um es mir einfacher zu machen, wissen wollte, was er bereits wusste, antwortete er nur: "Ich bin nicht dein Guru. Du wirst es selbst herausfinden."
So war ich ständig auf der Suche nach Antworten. Dass sich die Zusammenarbeit mit Carlos nicht nur darauf beschränkte, ein Drehbuch zu schreiben, sondern dass es dabei um sehr viel mehr ging - nämlich um eine Vorbereitung auf mein Schicksal -, war mir nicht bewusst. Langsam, fast unmerklich, änderte sich meine Wahrnehmung, ich begann, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen und auf Zeichen zu achten, die mir das Schicksal gab.
Es gab viele kleine Hinweise, die mir zeigten, dass ich den richtigen Weg ansteuerte. So traf ich auf Menschen, die mich in dem, was ich tat, bestärkten und motivierten, trotzdem war ich noch nicht bereit, meinen Weg ganz einzuschlagen. Nach wie vor arbeitete ich für meinen Vater, stiefelte tagsüber über die Baustellen und saß nachts vor meinem Laptop und schrieb Drehbücher.
Die Initialzündung, auf die ich gewartet hatte, war meine Begegnung mit Fred Heller, einem Mann, dessen Präsenz man sich nicht entziehen kann. Während eines Abendessens mit mehreren Leuten fragte er mich lautstark und ziemlich indiskret über die ganze Tafel hinweg nach meinem Geburtsdatum. Dass dieser energiegeladene Mann Astrologe war, beeindruckte mich nicht, und es muss wohl an der ausgelassenen Stimmung gelegen haben, dass ich ihm überhaupt meine Daten nannte. Während er nun überlegte, bewegte er fast lautlos seine Lippen, so dass ich nur für mich unverständliche Wortfetzen wie "Sonne Quadrat Uranus" auffing. Es schien, als würden in seinem Kopf die Sternenkonstellationen meines Geburtsbildes ablaufen.
"Großartig!", meinte er auf einmal. "In diesem Jahr kannst du dein Leben verändern. Und so eine Chance bekommst du erst wieder in zwölf Jahren."
Das saß. Ich, die mit Astrologie nie was zu tun und meine Freundinnen immer belächelt hatte, wenn sie zu irgendwelchen Astrologen, Wahrsagern oder Kartenlegern liefen, wurde auf einmal hellhörig. Wir vereinbarten einen Termin, der sich als entscheidend herausstellen sollte.
Durch Fred Heller erhielt ich den ersten Impuls und schließlich fand ich den Mut, meine Stellung in der Firma meines Vaters zu kündigen und mich zu dem zu bekennen, was ich von nun an tun wollte. Ohne finanziellen Rückhalt, ohne Gewissheit auf künftiges Einkommen und nur mit der Sicherheit, meinem Vater die größte Enttäuschung seines Lebens zu bereiten. Doch tief in mir wusste ich, dass es die einzig richtige Entscheidung für mich war. Und ich erlebte Wunderbares: Immer dann, wenn mein Glaube erschüttert wurde und den Willen lähmte, war ein neues Zeichen da, das mich weiter trieb, genau wie es Hermann Hesse ausdrückte: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben." Ich fühlte mich immer sicherer, und so trat auch in kürzester Zeit der Erfolg ein, der mir bestätigte, dass ich auf dem richtigen Weg war: Mein Erstlingswerk wurde verfilmt.
Die Dreharbeiten waren seit ein paar Wochen beendet, und der Film befand sich in der Postproduktion, das heißt, er wurde gerade geschnitten. Ahnungslos auf der Erfolgswelle dahintreibend, führte ich also dieses entscheidende Telefonat mit Carlos. Ich hatte ihn zuvor angerufen, um unsere Verabredung zu verschieben, da ich noch am selben Tag für kurze Zeit ins Krankenhaus musste. Nichts Ernstes. Mein Frauenarzt hatte nur eine kleine Zyste in der linken Brust festgestellt. Da ich die Dinge grundsätzlich gleich und direkt anpacke, wollte ich diesen harmlosen Eingriff auch so schnell wie möglich hinter mich bringen. In einer Woche war Weihnachten, und ich ging davon aus, dass ich die Stadt verlassen würde, um das Fest wie üblich mit meiner Familie zu feiern und anschließend mit meinem Freund in den Skiurlaub zu fahren. Ich freute mich riesig darauf, denn Elias arbeitete als Investment-Banker in London, so dass wir uns nur unregelmäßig sahen. Außerdem war unsere Beziehung ein ziemliches Hin und Her. Gerade hatten wir uns nach einer halbjährigen Beziehungspause versöhnt, so dass dieser gemeinsame Urlaub für mich ein aufregender Neubeginn war, in den ich meine ganze Hoffnung setzte.
"Wir sehen uns auf jeden Fall noch vor Weihnachten", versprach ich Carlos gut gelaunt, überzeugt, mein Versprechen auch halten zu können.
Und da waren sie, diese Worte: "Was auf dich zukommen wird - nimm es an und betrachte es als Geschenk Gottes!"
Für einen Moment fühlte ich, dass mein bisheriges Leben essenziell bedroht war, doch dann überging ich Carlos' seltsame Andeutung, denn ich wollte mir meinen Optimismus nicht schmälern lassen.
"Es ist nichts Schlimmes", betonte ich beharrlich. "Dauert höchstens zwei Tage."
Carlos aber ließ nicht locker, im Gegenteil, er verstärkte das vorher Gesagte noch: "Du wirst jetzt das Leid vieler Frauen auf dich nehmen, um einmal vielen Frauen helfen zu können."
Dumpf tönte seine Stimme in meinem Kopf, und ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was er mir gerade gesagt hatte. Er hatte mir diese gewichtige Prophezeiung neutral und emotionslos, mit derselben klaren Selbstverständlichkeit mitgeteilt, mit der er mir sonst erklärte, dass nach dem ersten Akt ein Wendepunkt kommen muss, der die Geschichte in eine neue Richtung treiben wird. Doch dies war kein Drehbuch. Dies war mein Leben. Ich war verärgert, unterdrückte diese Angst, die mich plötzlich überfiel, und betrachtete es als ungeheure Anmaßung, mir so etwas zu sagen.
Diesmal nimmt er sich wirklich zu wichtig, regte ich mich innerlich auf und beendete kühl das Gespräch, obwohl ich vor Empörung bebte.
Indem ich Weihnachtsgeschenke einpackte, versuchte ich seine Worte zu verdrängen, doch ganz gelang mir diese Ablenkung nicht, denn immer wieder überkam mich ein vages Unwohlsein, das mich nervös machte. Mir fiel der Name eines Gynäkologen ein, den ich Jahre zuvor einmal aufgesucht hatte. Dr. Gerold - er war Arzt in einem großen Klinikum, das als Inbegriff für modernste Medizin galt, und genoss einen hervorragenden Ruf. Ich mochte ihn sehr, und nur die unpersönliche Atmosphäre des Krankenhauses hatte mich letztlich davon abgehalten, ihn weiterhin aufzusuchen. Dr. Gerold rief ich nun an, um eine zweite Meinung zu bekommen. Und er konnte mich schnell beruhigen. Zysten an der Stelle, die ich ihm geschildert hatte, kämen häufig vor und wären in den meisten Fällen völlig harmlos.
Mit dieser Information war meine gute Laune schnell wiederhergestellt, und ich hatte keinerlei Bedenken, als ich in der Klinik eintraf, in der mich mein Arzt Dr. Reinhard operieren würde. Da Dr. Reinhard nicht nur fachlich kompetent war, sondern auch liebte, was er tat, und sich mit unglaublicher Hingabe und Sorgfalt seinen Patientinnen widmete, wusste ich, dass ich in besten Händen war. Die Freundlichkeit der Schwestern und das Gespräch mit der Narkoseärztin, das aus einer Mischung aus Herzlichkeit und Kompetenz bestand, gaben mir außerdem das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Und da zudem noch das Zimmer, das ich allein bewohnte, mehr einem Hotel- als einem Krankenzimmer glich, fand ich mich ruhig und gelassen in meinem Bett liegen. Meine Mutter, die mich begleitet hatte, trank noch eine Tasse Tee bei mir, die man im Klinikrestaurant, sozusagen als "Room-Service", bestellen konnte, und rückte ein weihnachtliches Gesteck zurecht, bevor sie mich mit einem zuversichtlichen Lächeln verließ. Da sie in einer anderen Stadt wohnte, übernachtete sie während dieser Zeit in meiner Wohnung.
Ich kuschelte mich gemütlich in mein Bett und telefonierte mit Elias, der vom fernen London aus mit mir fühlte. Nachdem er mich während unseres letzten Treffens gefragt hatte, ob ich mir vorstellen könnte, in London zu leben, glaubte ich fest an eine gemeinsame Zukunft. Dieser Gedanke machte mich glücklich und füllte mich aus, und Elias musste nicht da sein, um mir nahe zu sein. In wenigen Tagen würden wir in Urlaub fahren, und da ich wusste, dass er viel Arbeit hatte, fand ich es auch nicht nötig, dass er mich hier besuchte. Ich war nicht der Typ, der aus so einem kleinen Eingriff ein Drama machte. Im Gegenteil, ich hätte sogar ein schlechtes Gewissen gehabt, würde er meinetwegen in München herumsitzen müssen.
Da lag ich nun entspannt in meinem Zimmer und lauschte in die Stille, in die sich ab und zu die Schritte der Nachtschwester mischten. Ich betrachtete die brennende Kerze, die auf meinem Nachttisch stand und ein warmes Licht auf meine Bettdecke warf, und sah durch das große Fenster den Schnee, der über die Dunkelheit der Nacht hinwegtäuschte.
Nach dem Eingriff am nächsten Morgen wurde ich wach und konnte mich nur noch daran erinnern, dass die Schwestern das Bett aus meinem Zimmer geschoben hatten. Langsam klärten sich die verzerrten Umrisse, die ich wie durch einen dichten Nebel sah, zu dem Gesicht meiner Mutter, auf dem sich liebevolle Besorgnis und Erleichterung widerspiegelten. Ich genoss diesen kurzen Moment, der noch frei von Gedanken war, frei von Wünschen und Träumen - es war ein Moment des bloßen Seins.
Die Lebensgeister kamen mit dem heißen Kräutertee, den die Schwester brachte, rasch zurück. Alles war überstanden, die Schwäche, die mir von der Narkose noch etwas in den Gliedern steckte, würde morgen vorbei sein, und in zwei Tagen würde ich diesen Ort verlassen können. Dass es noch einen Befund geben würde, beunruhigte mich in keiner Weise. Abgelenkt durch einige Besuche ging der Tag schnell vorbei, und ich fand den Zustand zwischen Dämmerschlaf, freundschaftlicher Fürsorge und mehreren liebevollen Telefonaten mit Elias sehr angenehm.
Auch der nächste Tag setzte sich so fort. Das Zimmer füllte sich langsam mit Blumen und weihnachtlicher Dekoration, und ich genoss es, mit meinen Freunden zu plaudern. Nur der Anblick meiner Mutter, die am späten Nachmittag ins Krankenhaus kam, irritierte mich. Sie sah mitgenommen aus. Wahrscheinlich hatte sie wieder einmal einen Spätfilm im Fernsehen bei ein paar Gläschen Wein hartnäckig bis zum Ende verfolgt.
Sie sollte wirklich besser auf ihre Gesundheit achten, dachte ich besorgt und nahm mir vor, ihr, sobald wir alleine im Zimmer waren, ins Gewissen zu reden.
Es war früher Abend und zusammen mit meiner Mutter war noch eine Freundin bei mir, als Dr. Reinhard ins Zimmer kam. Da ich alles so gut überstanden hatte, fühlte ich mich wohl und freute mich, ihn zu sehen. Ich erwartete, dass er an mein Bett treten, mir mit einem festen, herzlichen Händedruck "Frohe Weihnachten" wünschen und mich so verabschieden würde. Doch er ging nicht weiter, blieb einfach ein paar Schritte von der Tür entfernt stehen und sagte nichts. Schweigend blickte er mich an. Unsere Augen trafen sich, und auf einmal überfiel mich eine Angst, die so deutlich, so drückend war, dass ich sie nicht ohne weiteres wegschieben konnte. In diesem Moment wusste ich Bescheid: Etwas lief jetzt in meinem Leben verdammt schief.
Verwirrt über die plötzliche Einsicht hielt ich den Atem an und starrte ihn mit großen Augen an. Obwohl ich bereits wusste, dass das, was er mir mitteilen musste, viel ernster war als vermutet, hoffte ich ein Lächeln zu finden, das mir den Schrecken nehmen würde, der sich in meinem Körper ausgebreitet hatte. Aber es gab keine Entwarnung, kein verschmitztes Zwinkern in den Augen, keinen lockeren Spruch, er schüttelte nur langsam den Kopf. Dann sprach er, und ich hörte seine Stimme wie von weit her: "Wir müssen morgen noch einmal operieren."
Die Worte trafen mich wie ein Schwert. Sie bohrten sich in meinen Körper und zerschnitten mein Inneres.
Meine Gedanken wirbelten um diesen Satz, und ich spürte, dass nichts mehr so war wie vorher. Ich konnte nicht sprechen, hilflos hing ich an seinen Augen, die mir die Zeit gaben, die ich brauchte. Dann brachte ich schließlich ein einziges Wort heraus: "Ab?"
Leicht bewegte er den Kopf, als schämte er sich, meine Frage zu bejahen. Ich sah ihn an, wollte es nicht glauben. Nein, schrie es in mir, das konnte nicht sein! Und als bräuchte ich noch eine Bestätigung, wiederholte ich meine Frage. Diesmal präziser: "Ganz ab?"
Zu mehr war ich nicht in der Lage. Das Entsetzen schnürte mir die Kehle zu. Wieder nickte er.
Langsam begriff ich, und als er sich zu mir setzte, meine Hand hielt und mir nun ganz vorsichtig erklärte, was der Befund aussagte, hörte ich ihm einfach nur zu. Die Zyste war harmlos. Er sprach von Tumoren, die sich bereits in der ganzen Brust ausgebreitet hätten, und dass es ein Glück wäre, dass "wir" das so schnell erkannt hatten. Das Wort Krebs nahm er nicht ein einziges Mal in den Mund.
Ich bin ihm noch heute für die mitfühlende und einfühlsame Art, wie er mir diese Nachricht überbracht hatte, sehr dankbar. Denn das ermöglichte mir einen anderen Umgang mit diesem Thema. Damit begann ich, über mich hinaus zu wachsen.
Als Dr. Reinhard ging, blieb ich mit meiner Mutter allein im Zimmer zurück. Ohne dass ich es bemerkt hatte, hatte sich meine Freundin schon längst diskret zurückgezogen. Nun schauten wir uns an, und jetzt verstand ich, dass meine Mutter nur deshalb so schrecklich mitgenommen aussah, weil sie das Ergebnis des Befundes schon kannte. Sie hatte am Vorabend Dr. Reinhard aufgesucht und ihn dann gebeten, mir den Befund erst im letzten Moment mitzuteilen, damit ich mich von der ersten Operation noch erholen konnte - dafür liebte ich sie. Danach war sie zu meinem Vater gefahren, von dem sie seit einigen Jahren geschieden war, und hatte ihn informiert. Während des folgenden Tages hatten meine Eltern dann noch verschiedene Ärzte befragt, die ihnen jedoch nur die unabänderliche Dringlichkeit einer Operation bestätigten.
Meinen Vater hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon längere Zeit nicht mehr gesprochen, da er mein Ausscheiden aus der Firma als Verrat ihm gegenüber betrachtet hatte. Zudem hatte ich einen Streit mit seiner zweiten Frau.
"Und? Wie hat er reagiert?", wollte ich von meiner Mutter wissen.
"Er sagte nichts, er ging nur wortlos aus dem Zimmer und schloss sich im Bad ein", sagte sie und zögerte.
Dann blickte sie mich an. "Durch die Tür konnte ich sein Schluchzen hören. Er weinte ganz laut."
Mein Magen zog sich zusammen, und ich biss auf meine Lippen, um diesen dumpfen Schmerz, der plötzlich meinen Brustkorb einschnürte, zu unterdrücken.Ich spürte auch ihre Verzweiflung, sah, wie sie versuchte, gegen ihre aufsteigenden Tränen anzukämpfen, und ich begann zu weinen. Es war kein Weinen, wie ich es bisher kannte. Es war weder verzweifelt, noch fordernd, noch enttäuscht. Es war ein stilles, demütiges Weinen. Ein Annehmen des Schicksals unter Tränen.
So war ich ständig auf der Suche nach Antworten. Dass sich die Zusammenarbeit mit Carlos nicht nur darauf beschränkte, ein Drehbuch zu schreiben, sondern dass es dabei um sehr viel mehr ging - nämlich um eine Vorbereitung auf mein Schicksal -, war mir nicht bewusst. Langsam, fast unmerklich, änderte sich meine Wahrnehmung, ich begann, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen und auf Zeichen zu achten, die mir das Schicksal gab.
Es gab viele kleine Hinweise, die mir zeigten, dass ich den richtigen Weg ansteuerte. So traf ich auf Menschen, die mich in dem, was ich tat, bestärkten und motivierten, trotzdem war ich noch nicht bereit, meinen Weg ganz einzuschlagen. Nach wie vor arbeitete ich für meinen Vater, stiefelte tagsüber über die Baustellen und saß nachts vor meinem Laptop und schrieb Drehbücher.
Die Initialzündung, auf die ich gewartet hatte, war meine Begegnung mit Fred Heller, einem Mann, dessen Präsenz man sich nicht entziehen kann. Während eines Abendessens mit mehreren Leuten fragte er mich lautstark und ziemlich indiskret über die ganze Tafel hinweg nach meinem Geburtsdatum. Dass dieser energiegeladene Mann Astrologe war, beeindruckte mich nicht, und es muss wohl an der ausgelassenen Stimmung gelegen haben, dass ich ihm überhaupt meine Daten nannte. Während er nun überlegte, bewegte er fast lautlos seine Lippen, so dass ich nur für mich unverständliche Wortfetzen wie "Sonne Quadrat Uranus" auffing. Es schien, als würden in seinem Kopf die Sternenkonstellationen meines Geburtsbildes ablaufen.
"Großartig!", meinte er auf einmal. "In diesem Jahr kannst du dein Leben verändern. Und so eine Chance bekommst du erst wieder in zwölf Jahren."
Das saß. Ich, die mit Astrologie nie was zu tun und meine Freundinnen immer belächelt hatte, wenn sie zu irgendwelchen Astrologen, Wahrsagern oder Kartenlegern liefen, wurde auf einmal hellhörig. Wir vereinbarten einen Termin, der sich als entscheidend herausstellen sollte.
Durch Fred Heller erhielt ich den ersten Impuls und schließlich fand ich den Mut, meine Stellung in der Firma meines Vaters zu kündigen und mich zu dem zu bekennen, was ich von nun an tun wollte. Ohne finanziellen Rückhalt, ohne Gewissheit auf künftiges Einkommen und nur mit der Sicherheit, meinem Vater die größte Enttäuschung seines Lebens zu bereiten. Doch tief in mir wusste ich, dass es die einzig richtige Entscheidung für mich war. Und ich erlebte Wunderbares: Immer dann, wenn mein Glaube erschüttert wurde und den Willen lähmte, war ein neues Zeichen da, das mich weiter trieb, genau wie es Hermann Hesse ausdrückte: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben." Ich fühlte mich immer sicherer, und so trat auch in kürzester Zeit der Erfolg ein, der mir bestätigte, dass ich auf dem richtigen Weg war: Mein Erstlingswerk wurde verfilmt.
Die Dreharbeiten waren seit ein paar Wochen beendet, und der Film befand sich in der Postproduktion, das heißt, er wurde gerade geschnitten. Ahnungslos auf der Erfolgswelle dahintreibend, führte ich also dieses entscheidende Telefonat mit Carlos. Ich hatte ihn zuvor angerufen, um unsere Verabredung zu verschieben, da ich noch am selben Tag für kurze Zeit ins Krankenhaus musste. Nichts Ernstes. Mein Frauenarzt hatte nur eine kleine Zyste in der linken Brust festgestellt. Da ich die Dinge grundsätzlich gleich und direkt anpacke, wollte ich diesen harmlosen Eingriff auch so schnell wie möglich hinter mich bringen. In einer Woche war Weihnachten, und ich ging davon aus, dass ich die Stadt verlassen würde, um das Fest wie üblich mit meiner Familie zu feiern und anschließend mit meinem Freund in den Skiurlaub zu fahren. Ich freute mich riesig darauf, denn Elias arbeitete als Investment-Banker in London, so dass wir uns nur unregelmäßig sahen. Außerdem war unsere Beziehung ein ziemliches Hin und Her. Gerade hatten wir uns nach einer halbjährigen Beziehungspause versöhnt, so dass dieser gemeinsame Urlaub für mich ein aufregender Neubeginn war, in den ich meine ganze Hoffnung setzte.
"Wir sehen uns auf jeden Fall noch vor Weihnachten", versprach ich Carlos gut gelaunt, überzeugt, mein Versprechen auch halten zu können.
Und da waren sie, diese Worte: "Was auf dich zukommen wird - nimm es an und betrachte es als Geschenk Gottes!"
Für einen Moment fühlte ich, dass mein bisheriges Leben essenziell bedroht war, doch dann überging ich Carlos' seltsame Andeutung, denn ich wollte mir meinen Optimismus nicht schmälern lassen.
"Es ist nichts Schlimmes", betonte ich beharrlich. "Dauert höchstens zwei Tage."
Carlos aber ließ nicht locker, im Gegenteil, er verstärkte das vorher Gesagte noch: "Du wirst jetzt das Leid vieler Frauen auf dich nehmen, um einmal vielen Frauen helfen zu können."
Dumpf tönte seine Stimme in meinem Kopf, und ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was er mir gerade gesagt hatte. Er hatte mir diese gewichtige Prophezeiung neutral und emotionslos, mit derselben klaren Selbstverständlichkeit mitgeteilt, mit der er mir sonst erklärte, dass nach dem ersten Akt ein Wendepunkt kommen muss, der die Geschichte in eine neue Richtung treiben wird. Doch dies war kein Drehbuch. Dies war mein Leben. Ich war verärgert, unterdrückte diese Angst, die mich plötzlich überfiel, und betrachtete es als ungeheure Anmaßung, mir so etwas zu sagen.
Diesmal nimmt er sich wirklich zu wichtig, regte ich mich innerlich auf und beendete kühl das Gespräch, obwohl ich vor Empörung bebte.
Indem ich Weihnachtsgeschenke einpackte, versuchte ich seine Worte zu verdrängen, doch ganz gelang mir diese Ablenkung nicht, denn immer wieder überkam mich ein vages Unwohlsein, das mich nervös machte. Mir fiel der Name eines Gynäkologen ein, den ich Jahre zuvor einmal aufgesucht hatte. Dr. Gerold - er war Arzt in einem großen Klinikum, das als Inbegriff für modernste Medizin galt, und genoss einen hervorragenden Ruf. Ich mochte ihn sehr, und nur die unpersönliche Atmosphäre des Krankenhauses hatte mich letztlich davon abgehalten, ihn weiterhin aufzusuchen. Dr. Gerold rief ich nun an, um eine zweite Meinung zu bekommen. Und er konnte mich schnell beruhigen. Zysten an der Stelle, die ich ihm geschildert hatte, kämen häufig vor und wären in den meisten Fällen völlig harmlos.
Mit dieser Information war meine gute Laune schnell wiederhergestellt, und ich hatte keinerlei Bedenken, als ich in der Klinik eintraf, in der mich mein Arzt Dr. Reinhard operieren würde. Da Dr. Reinhard nicht nur fachlich kompetent war, sondern auch liebte, was er tat, und sich mit unglaublicher Hingabe und Sorgfalt seinen Patientinnen widmete, wusste ich, dass ich in besten Händen war. Die Freundlichkeit der Schwestern und das Gespräch mit der Narkoseärztin, das aus einer Mischung aus Herzlichkeit und Kompetenz bestand, gaben mir außerdem das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Und da zudem noch das Zimmer, das ich allein bewohnte, mehr einem Hotel- als einem Krankenzimmer glich, fand ich mich ruhig und gelassen in meinem Bett liegen. Meine Mutter, die mich begleitet hatte, trank noch eine Tasse Tee bei mir, die man im Klinikrestaurant, sozusagen als "Room-Service", bestellen konnte, und rückte ein weihnachtliches Gesteck zurecht, bevor sie mich mit einem zuversichtlichen Lächeln verließ. Da sie in einer anderen Stadt wohnte, übernachtete sie während dieser Zeit in meiner Wohnung.
Ich kuschelte mich gemütlich in mein Bett und telefonierte mit Elias, der vom fernen London aus mit mir fühlte. Nachdem er mich während unseres letzten Treffens gefragt hatte, ob ich mir vorstellen könnte, in London zu leben, glaubte ich fest an eine gemeinsame Zukunft. Dieser Gedanke machte mich glücklich und füllte mich aus, und Elias musste nicht da sein, um mir nahe zu sein. In wenigen Tagen würden wir in Urlaub fahren, und da ich wusste, dass er viel Arbeit hatte, fand ich es auch nicht nötig, dass er mich hier besuchte. Ich war nicht der Typ, der aus so einem kleinen Eingriff ein Drama machte. Im Gegenteil, ich hätte sogar ein schlechtes Gewissen gehabt, würde er meinetwegen in München herumsitzen müssen.
Da lag ich nun entspannt in meinem Zimmer und lauschte in die Stille, in die sich ab und zu die Schritte der Nachtschwester mischten. Ich betrachtete die brennende Kerze, die auf meinem Nachttisch stand und ein warmes Licht auf meine Bettdecke warf, und sah durch das große Fenster den Schnee, der über die Dunkelheit der Nacht hinwegtäuschte.
Nach dem Eingriff am nächsten Morgen wurde ich wach und konnte mich nur noch daran erinnern, dass die Schwestern das Bett aus meinem Zimmer geschoben hatten. Langsam klärten sich die verzerrten Umrisse, die ich wie durch einen dichten Nebel sah, zu dem Gesicht meiner Mutter, auf dem sich liebevolle Besorgnis und Erleichterung widerspiegelten. Ich genoss diesen kurzen Moment, der noch frei von Gedanken war, frei von Wünschen und Träumen - es war ein Moment des bloßen Seins.
Die Lebensgeister kamen mit dem heißen Kräutertee, den die Schwester brachte, rasch zurück. Alles war überstanden, die Schwäche, die mir von der Narkose noch etwas in den Gliedern steckte, würde morgen vorbei sein, und in zwei Tagen würde ich diesen Ort verlassen können. Dass es noch einen Befund geben würde, beunruhigte mich in keiner Weise. Abgelenkt durch einige Besuche ging der Tag schnell vorbei, und ich fand den Zustand zwischen Dämmerschlaf, freundschaftlicher Fürsorge und mehreren liebevollen Telefonaten mit Elias sehr angenehm.
Auch der nächste Tag setzte sich so fort. Das Zimmer füllte sich langsam mit Blumen und weihnachtlicher Dekoration, und ich genoss es, mit meinen Freunden zu plaudern. Nur der Anblick meiner Mutter, die am späten Nachmittag ins Krankenhaus kam, irritierte mich. Sie sah mitgenommen aus. Wahrscheinlich hatte sie wieder einmal einen Spätfilm im Fernsehen bei ein paar Gläschen Wein hartnäckig bis zum Ende verfolgt.
Sie sollte wirklich besser auf ihre Gesundheit achten, dachte ich besorgt und nahm mir vor, ihr, sobald wir alleine im Zimmer waren, ins Gewissen zu reden.
Es war früher Abend und zusammen mit meiner Mutter war noch eine Freundin bei mir, als Dr. Reinhard ins Zimmer kam. Da ich alles so gut überstanden hatte, fühlte ich mich wohl und freute mich, ihn zu sehen. Ich erwartete, dass er an mein Bett treten, mir mit einem festen, herzlichen Händedruck "Frohe Weihnachten" wünschen und mich so verabschieden würde. Doch er ging nicht weiter, blieb einfach ein paar Schritte von der Tür entfernt stehen und sagte nichts. Schweigend blickte er mich an. Unsere Augen trafen sich, und auf einmal überfiel mich eine Angst, die so deutlich, so drückend war, dass ich sie nicht ohne weiteres wegschieben konnte. In diesem Moment wusste ich Bescheid: Etwas lief jetzt in meinem Leben verdammt schief.
Verwirrt über die plötzliche Einsicht hielt ich den Atem an und starrte ihn mit großen Augen an. Obwohl ich bereits wusste, dass das, was er mir mitteilen musste, viel ernster war als vermutet, hoffte ich ein Lächeln zu finden, das mir den Schrecken nehmen würde, der sich in meinem Körper ausgebreitet hatte. Aber es gab keine Entwarnung, kein verschmitztes Zwinkern in den Augen, keinen lockeren Spruch, er schüttelte nur langsam den Kopf. Dann sprach er, und ich hörte seine Stimme wie von weit her: "Wir müssen morgen noch einmal operieren."
Die Worte trafen mich wie ein Schwert. Sie bohrten sich in meinen Körper und zerschnitten mein Inneres.
Meine Gedanken wirbelten um diesen Satz, und ich spürte, dass nichts mehr so war wie vorher. Ich konnte nicht sprechen, hilflos hing ich an seinen Augen, die mir die Zeit gaben, die ich brauchte. Dann brachte ich schließlich ein einziges Wort heraus: "Ab?"
Leicht bewegte er den Kopf, als schämte er sich, meine Frage zu bejahen. Ich sah ihn an, wollte es nicht glauben. Nein, schrie es in mir, das konnte nicht sein! Und als bräuchte ich noch eine Bestätigung, wiederholte ich meine Frage. Diesmal präziser: "Ganz ab?"
Zu mehr war ich nicht in der Lage. Das Entsetzen schnürte mir die Kehle zu. Wieder nickte er.
Langsam begriff ich, und als er sich zu mir setzte, meine Hand hielt und mir nun ganz vorsichtig erklärte, was der Befund aussagte, hörte ich ihm einfach nur zu. Die Zyste war harmlos. Er sprach von Tumoren, die sich bereits in der ganzen Brust ausgebreitet hätten, und dass es ein Glück wäre, dass "wir" das so schnell erkannt hatten. Das Wort Krebs nahm er nicht ein einziges Mal in den Mund.
Ich bin ihm noch heute für die mitfühlende und einfühlsame Art, wie er mir diese Nachricht überbracht hatte, sehr dankbar. Denn das ermöglichte mir einen anderen Umgang mit diesem Thema. Damit begann ich, über mich hinaus zu wachsen.
Als Dr. Reinhard ging, blieb ich mit meiner Mutter allein im Zimmer zurück. Ohne dass ich es bemerkt hatte, hatte sich meine Freundin schon längst diskret zurückgezogen. Nun schauten wir uns an, und jetzt verstand ich, dass meine Mutter nur deshalb so schrecklich mitgenommen aussah, weil sie das Ergebnis des Befundes schon kannte. Sie hatte am Vorabend Dr. Reinhard aufgesucht und ihn dann gebeten, mir den Befund erst im letzten Moment mitzuteilen, damit ich mich von der ersten Operation noch erholen konnte - dafür liebte ich sie. Danach war sie zu meinem Vater gefahren, von dem sie seit einigen Jahren geschieden war, und hatte ihn informiert. Während des folgenden Tages hatten meine Eltern dann noch verschiedene Ärzte befragt, die ihnen jedoch nur die unabänderliche Dringlichkeit einer Operation bestätigten.
Meinen Vater hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon längere Zeit nicht mehr gesprochen, da er mein Ausscheiden aus der Firma als Verrat ihm gegenüber betrachtet hatte. Zudem hatte ich einen Streit mit seiner zweiten Frau.
"Und? Wie hat er reagiert?", wollte ich von meiner Mutter wissen.
"Er sagte nichts, er ging nur wortlos aus dem Zimmer und schloss sich im Bad ein", sagte sie und zögerte.
Dann blickte sie mich an. "Durch die Tür konnte ich sein Schluchzen hören. Er weinte ganz laut."
Mein Magen zog sich zusammen, und ich biss auf meine Lippen, um diesen dumpfen Schmerz, der plötzlich meinen Brustkorb einschnürte, zu unterdrücken.Ich spürte auch ihre Verzweiflung, sah, wie sie versuchte, gegen ihre aufsteigenden Tränen anzukämpfen, und ich begann zu weinen. Es war kein Weinen, wie ich es bisher kannte. Es war weder verzweifelt, noch fordernd, noch enttäuscht. Es war ein stilles, demütiges Weinen. Ein Annehmen des Schicksals unter Tränen.
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Autoren-Porträt von Andrea Sixt
Andrea Sixt arbeitete nach dem Studium einige Jahre als geschäftsführende Ingenieurin in einem Unternehmen für Haustechnik. 1995 verwirklichte sie ihren großen Traum und machte sich als Drehbuchautorin selbstständig, mit großem Erfolg. Sie ist Gründungsmitglied von Brustkrebs Deutschland e.V.
Bibliographische Angaben
- Autor: Andrea Sixt
- 2001, 224 Seiten, Maße: 12,6 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442142148
- ISBN-13: 9783442142149
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