Pfote aufs Herz
Was gibt es Schöneres, als ausgesetzte Hunde zu retten, sie aufzupäppeln und an genau den richtigen Hundebesitzer zu vermitteln? Lara Madigan kann sich keinen schöneren Job vorstellen! Als ihre große Liebe Evan sie plötzlich vor...
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Produktinformationen zu „Pfote aufs Herz “
Was gibt es Schöneres, als ausgesetzte Hunde zu retten, sie aufzupäppeln und an genau den richtigen Hundebesitzer zu vermitteln? Lara Madigan kann sich keinen schöneren Job vorstellen! Als ihre große Liebe Evan sie plötzlich vor die Wahl stellt - entweder er oder die Hunde - muss sie nicht lange überlegen: Gemeinsam mit ihrem Vierbeiner-Rudel zieht sie vorübergehend bei ihrer Mutter ein. In der Nachbarschaft, einem vornehmen Villenviertel, spricht sich Laras Talent schnell herum und so wird sie von der einfachen Hundetrainerin mit besonderem Gespür für Vermittlungen zur gefragtesten Hundespezialistin. Lara rettet nicht nur so manche Hunde-Frauchen-Beziehung, sie erhält ganz nebenbei auch noch selbst tierische Nachhilfe in Sachen Liebesglück.
Lese-Probe zu „Pfote aufs Herz “
Pfote aufs Herz von Beth KendrickAus dem Englischen von Andrea Brandl
1
»Ich bin klein, kriege eine Glatze und habe zehn Kilo zugelegt, seit meine Verlobte mit dem Fitnesstrainer durchgebrannt ist. Sie sind meine letzte Hoffnung, doch noch die große Liebe zu finden.«
Lara Madigan hatte bereits eine Hand am Türgriff ihres Oldsmobile-Kombis, als sie vor Schreck innehielt. Sie hatte die leicht keuchende Männerstimme noch nie zuvor gehört, deshalb hoffte sie für den Bruchteil einer Sekunde, dass er vielleicht jemand anders meinte.
Doch der Mann räusperte sich rasselnd und fuhr fort: »Sie sind doch die Partnervermittlerin, oder?«
Im Zeitlupentempo drehte Lara sich um und schlug ihren Mantelkragen gegen den eisigen Wind auf dem Drugstore-Parkplatz hoch. »Ja, das stimmt. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Sie streckte ihm die rechte Hand entgegen, die der Mann sogleich mit beiden Händen umklammerte, als wäre sie eine Rettungsboje auf hoher See. Lara registrierte seine feuchten Handflächen.
»Ich bin Peter Hoffstead. Sie müssen mir helfen.« Er verstärkte seinen Griff. »Ich bin völlig verzweifelt.«
Lara schaltete automatisch in den Geschäftsmodus um. Als Erstes fiel ihr die Diskrepanz zwischen seinem Outfit und seiner Persönlichkeit auf - ein blasses, leicht teigiges Gesicht und schütter werdendes Haar einerseits, teures Designeroutfit andererseits: Cartier-Uhr, Jeans von Rock & Republic, Burberry-Gürtel. Vom Hals aufwärts war er Bill Gates, südlich davon P. Diddy. Es lag auf der Hand, dass jemand anders seine Garderobe zusammengestellt hatte; jemand, der ihm die Aura eines charmanten Playboys anstelle des ergrauenden Stubenhockers verleihen wollte.
... mehr
Sanft, aber entschlossen entzog sie ihm ihre Hand und kramte eine Visitenkarte aus ihrer Tasche. »Ich bin zwar immer auf der Suche nach aussichtsreichen Kunden, aber Ihnen muss klar sein, dass ich nicht für jeden einen passenden Partner finde. All meine potenziellen Klienten werden einem strengen Auswahlverfahren unterzogen, und meine Anforderungen sind sehr hoch. Schließlich sollen alle Beteiligten langfristig glücklich miteinander werden.«
»Einer Ihrer früheren Kunden kann für mich bürgen.« Peter putzte sich mit einem zerknüllten, aber sauberen Taschentuch die Nase ab. »Mark Heston, mein Nachbar. Sie haben ihn mit Amelia zusammengebracht.«
»Amelia!« Laras Stimme wurde weich. »Ein wunderbares Geschöpf. Wie geht es ihr?«
Peter zuckte mit den Achseln. »Gut, vermute ich. Mark schwärmt unentwegt von ihr. So etwas müssen Sie unbedingt für mich finden.« Seine Hand verschwand in der Tasche seiner schwarzen Lederjacke und hielt ihr ein Bündel Banknoten hin. »Egal, was Sie verlangen, ich bezahle. Sogar das Doppelte Ihres üblichen Honorars.«
Lara machte keine Anstalten, das Geld entgegenzunehmen. »Bei meiner Tätigkeit steht nicht das Geld im Vordergrund, sondern der Wunsch, zwei Seelenverwandte zusammenzubringen. Meine Paare sollen ein Leben lang zusammenbleiben, deshalb muss ich Ihre Bedürfnisse ganz genau kennen und herausfinden, wer sie am besten befriedigen kann.«
Mit einem resignierten Seufzer steckte Peter das Geld wieder ein. Nun, da er sich nicht länger ins Zeug legte, erhaschte sie einen Blick auf die tiefe Einsamkeit, die sich hinter seinem Designeroutfit verbarg. »Miss Madigan.« Er spreizte die Hände. »Ich weiß, dass ich rein äußerlich nicht gerade ein Traumtyp bin. Das hat mir meine Verlobte mehr als klargemacht, bevor sie mich verlassen hat. Trotzdem habe ich eine Menge zu bieten: Liebe, Stabilität, all diese Eigenschaften ...«
Lara musterte ihn. Seine Körpersprache war aufschlussreich. Jahrelange Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es im Grunde völlig unwichtig war, was potenzielle Kunden sagten. Worte dienten dazu, sein Gegenüber zu manipulieren, auszuweichen, Fehler und Vorurteile zu rechtfertigen. Die Wahrheit lag in ihrer Stimme und diesem Leuchten in ihren Augen.
»Wenn ich einmal eine Bindung eingegangen bin, bleibe ich treu«, fuhr Peter fort. »Ich bin selbstständig und arbeite von zu Hause aus ...«
»Ach ja?« Lara hob die Brauen. »Und haben Sie auch einen Garten?«
»Rund zweitausend Quadratmeter«, antwortete Peter mit stolzgeschwellter Brust. »Eingezäunt. Und er grenzt an ein Naturschutzgebiet.« Er bedeutete ihr, sich vorzubeugen. »Mit Wanderwegen. Ich habe angefangen zu joggen. Viermal pro Woche. Na ja, im Moment laufe ich rund sechseinhalb Kilometer pro Stunde, was man wohl kaum als Joggen bezeichnen kann. Aber ich versuche es zumindest. Und mit einem Partner kann man sich besser motivieren.« Er sah sie mit einer Mischung aus Hoffnung und Betrübnis an. Offenbar wappnete er sich bereits für eine Absage.
Lara erstellte im Geiste ein Profil von Peter: aufmerksam, hält sich gern im Freien auf, lernwillig ...
»Ich tue alles, was Sie von mir verlangen. Sie werden es nicht bereuen. Ich brauche nur ein bisschen Hilfe, um Frauen kennenzulernen. Ich habe es in Bars und bei verschiedenen Partneragenturen im Internet versucht, aber es will einfach nicht klappen. Ich brauche jemanden, der mir hilft ... jemanden, der das Eis bricht. Helfen Sie mir? Bitte.«
Sie sah die Verzweiflung hinter seinen verschmierten Brillengläsern und lächelte. Peter Hoffstead war ein anständiger Mann mit einem großen Herzen, dem es lediglich ein wenig an Selbstvertrauen fehlte. Ein sorgfältig ausgewählter Gefährte würde ihm helfen, sich auch ohne Nobelmarken und ohne ein dickes Portemonnaie als wertvoller Mensch zu fühlen.
»Ich glaube, ich habe genau den richtigen Partner für Sie.«
Sein ganzer Körper spannte sich an. »Ehrlich?«
Lara nickte. »Süß, charismatisch und absolut unwiderstehlich. Und ein Garant, dass sich die Leute auf der Straße nach Ihnen beiden umdrehen werden.« Sie zog ihr Handy heraus, rief ein Foto auf und hielt Peter den Schnappschuss eines Terriers mit struppig hellbraunem Fell vor die Nase. »Darf ich vorstellen? Das ist Murphy.«
2
Kaum hatte Lara einen Fuß über die Schwelle gesetzt, stieg ihr bereits der Duft nach Vanille und Zitrone in die Nase. Zwei Stufen später roch sie auch den drohenden Ärger, der in der Luft hing.
Sie wappnete sich innerlich gegen den Angriff eines ausgelassenen vierbeinigen Begrüßungskomitees, doch die Diele war verwaist. Ihr Freund Evan hatte das Haus im vergangenen Jahr gekauft, doch Lara war erst vor wenigen Wochen eingezogen, so dass es mit seinen kahlen Wänden und der spärlichen Möblierung immer noch den Charme einer Junggesellenbude verströmte. Und auch Lara war es nicht gelungen, ihrem neuen Heim jenen typischen »weiblichen Touch« zu verleihen. Stattdessen hatte sich ihr Beitrag zur Umgestaltung darauf beschränkt, im Garten hinter dem Haus ein Planschbecken aufzustellen und einige potenziell giftige Strauchpflanzen zu entfernen.
Ansonsten trugen die aufgestapelten Kartons mit ihren Habseligkeiten lediglich dazu bei, den Mangel an Möbelstücken zu kompensieren.
»Hallo?« Das Geräusch ihrer Flipflops auf dem Fliesenboden hallte von den kahlen Wänden wider, als sie in die Küche ging. »Wo seid ihr denn alle?«
»Hinter Schloss und Riegel.« Evan stand in einem offenen hellblauen Hemd und mit nassen Haaren im Essbereich und schrubbte mit einem feuchten Geschirrtuch die Arbeitsplatte. Er war groß und schlaksig, hatte rötlich braunes Haar und besaß einen bemerkenswerten Geschäftssinn. Lara hatte sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen gefühlt. Er verdiente sein Geld als Dozent für Wirtschaft an einem elitären MBA-Institut, in seiner Freizeit hingegen lief er am liebsten mit Dreitagebart herum und sah aus, als wollte er gerade in seine Converse-Turnschuhe schlüpfen und eine Runde Frisbee spielen. Statussymbole waren ihm egal, trotzdem war ihm nichts in den Schoß gefallen. Er hatte hart dafür gearbeitet, was er besaß, und ging stets pfleglich damit um - auch mit seinem Haus.
»Oje.« Lara stellte ihre Tasche auf dem schmiedeeisernen Stuhl ab und trat mit einem beschwichtigenden Lächeln auf ihn zu. »Soll ich überhaupt fragen, was sie diesmal verbrochen haben?«
Evan kreuzte die Arme vor der Brust. »Mein Nachmittagstermin wurde abgesagt, deshalb war ich früher hier als geplant und wollte dir einen Kuchen für deinen Geburtstag morgen backen. Während er abkühlte, bin ich kurz nach oben gegangen, um unter die Dusche zu springen, und deine Hunde ...«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. »Unsere Hunde, Schatz, schon vergessen?«
»... haben ihn komplett aufgefressen.«
Laras Augen weiteten sich. »Es war aber kein Schokoladenkuchen, oder?«
»Nein, Banane-Sauerrahm, aber diese elenden Biester haben ihn bis auf den letzten Krümel verputzt. Ich wollte noch einen Zitronenguss darübergeben. Jetzt werden wir den nehmen, eine Kerze reinstecken und ihn mit dem Löffel essen müssen.«
Erleichtert atmete sie auf. »Gut. Ich meine, natürlich ist es nicht gut, aber von Schokolade hätten sie schwere Herzbeschwerden bekommen können. Wegen des Theobromin im Kakao.«
»Es war ein Kuchen aus echten Zutaten. Keine Backmischung, sondern mit richtigem Mehl, Eiern und Butter. « Er blätterte im Backbuch.
»Und ich weiß jedes einzelne Gramm Zucker darin zu schätzen. Ich bin sicher, er war absolut köstlich.«
»Und die Blumen, die ich für dich gekauft hatte, haben sie auch aufgefressen.« Evan deutete auf einen Haufen Scherben neben der Terrassentür. »Pass auf, ich bin gerade dabei, die Schweinerei aufzuwischen.«
»Das muss Zsa Zsa gewesen sein. Seltsamerweise ist sie völlig verrückt nach Grünzeug.« Lara packte die Zipfel seines Hemds und zog ihn zu sich heran, um ihn ein weiteres Mal zu küssen. »Blumen und ein selbst gebackener Kuchen? Daran könnte ich mich glatt gewöhnen. «
Er runzelte die Stirn. »Und?«
»Und was?« Sie zog ihre Jacke aus und machte sich auf den Weg, um einen Besen und eine Kehrschaufel zu holen.
Er nickte in Richtung Tür zu dem Raum, der einst als Gästezimmer gedient hatte und seit Laras Einzug in ein »Hundezimmer« umfunktioniert worden war. »Willst du sie denn gar nicht bestrafen?«
»Nein.«
»Aber wieso nicht, verdammt noch mal? Diese elende Bande hinterhältiger Kuchendiebe.«
Lara schob ihn zur Seite und machte sich an die Arbeit. »Erstens müssen disziplinarische Maßnahmen immer in direktem Zusammenhang mit dem Anlass stehen. Wenn ich sie jetzt bestrafe, haben sie keine Ahnung, wofür.«
»Sie haben meinen Bananen-Sauerrahm-Kuchen gefressen. Dafür müssen sie doch eine Strafe bekommen.«
»Zweitens sind sie nicht hinterhältig. Du traust ihnen etwas zu, wozu sie von Natur aus nicht fähig sind. Sie haben bloß einen Kuchen in Reichweite stehen sehen und eben zugeschlagen. Bestimmt war Maverick der Anführer. Wir werden daran arbeiten, dass er nicht mehr ständig auf die Arbeitsplatte springt, aber wenn du einen Kuchen offen herumstehen lässt und ihn nicht in seine Box sperrst ...«
Evan schnappte sich einen Apfel und versenkte wütend die Zähne im knackigen Fleisch. »Also ist es auch noch meine Schuld, weil ich den Kuchen auf der Arbeitsplatte habe stehen lassen, statt ihn in einem Banksafe zu verstauen? Das ist doch kompletter Blödsinn. Es ist meine Arbeitsplatte in meinem Haus, und er sollte ...« Er hielt inne. »Ich meine, unsere Arbeitsplatte in unserem Haus«, korrigierte er sich beim Anblick ihrer Miene.
Lara unterzog Evan einer langen, eindringlichen Musterung. Normalerweise war er die Ruhe und Selbstbeherrschung in Person. »So aufgebracht habe ich dich noch nie erlebt. Auf wen bist du so wütend? Auf die Hunde oder auf mich?«
Er nahm einen weiteren Bissen, ehe er antwortete. »Du bist doch Hundetrainerin, oder nicht? Sollten deine Hunde folglich nicht ... keine Ahnung ... anständig erzogen sein?«
Ihre Finger schlossen sich fester um den Besenstiel. »Ich trainiere Hunde, nachdem ihnen andere Leute ganze Wagenladungen schlechter Angewohnheiten beigebracht haben. Ich kann keine Wunder vollbringen, sondern meine Arbeit erfordert viel Zeit und Geduld. Und noch etwas: Wenn du ein Haus voller gut erzogener Hunde haben willst, wirst du dich notgedrungen an der Erziehung beteiligen müssen. Auch sie gewöhnen sich gerade an neue Lebensumstände und brauchen klare Strukturen und Beständigkeit, und zwar von uns beiden.«
Er murmelte etwas, was verdächtig nach »und ein Elektrohalsband« klang.
Laras Brauen schossen in die Höhe. »Wie war das gerade?«
Evan presste die Lippen aufeinander und starrte sie finster an.
»Was genau soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte sie. »Wieder ausziehen?«
Augenblicklich schlug seine Verärgerung in Verblüffung und blankes Entsetzen um. »Wer hat denn etwas von Ausziehen gesagt?«
Lara wandte den Blick ab.
»Wieso ist abhauen immer gleich die erste Lösung, die dir einfällt?«, fragte er mit einem Nicken auf den Berg Umzugskartons im Wohnzimmer. »Ich habe dich ja noch nicht mal so weit, dass du überhaupt richtig einziehst. Du bist seit über einem Monat hier, trotzdem hast du noch nicht mal deine Kartons ausgepackt.«
»Ich will mich erst häuslich niederlassen, wenn ich sicher bin, dass du damit klarkommst, mich und die Hunde ständig um dich zu haben. Wenn dich ein Hund, der die Arbeitsplatte plündert, schon so auf die Palme bringt ...«
»Ich werde mich doch wohl darüber ärgern dürfen, dass sie deinen Geburtstagskuchen verputzt haben«, sagte er. »Das heißt doch nicht, dass ich nicht mehr mit dir zusammen sein möchte. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Laras Züge erhellten sich. Sie hoffte, dass der Streit damit beendet war.
Doch dann stellte Evan die Frage, die jedes Mal an dieser Stelle kam. Unweigerlich. »Aber liebst du mich mehr als die Hunde?«
Lara nahm ein Weinglas aus dem Schrank, schenkte sich von dem Shiraz ein und trank einen langen, bedächtigen Schluck. »Muss ich dich an unseren Vertrag erinnern? An die Vereinbarung, die du selbst aufgesetzt und an dem Abend unterschrieben hast, als du mich gebeten hast, bei dir einzuziehen?« Sie blickte zu der Cocktailserviette hinüber, die mit einem Magneten an der Kühlschranktür befestigt war und auf die Evan seinen feierlichen Schwur gekritzelt hatte. »Ich, Evan Walker, gelobe hiermit, zum Hundeliebhaber zu werden und mich weder über vollgeschlabberte noch umgekippte Gegenstände zu beschweren, so wahr mir Gott helfe.«
Lautes Gebell und das Scharren von Hundekrallen auf Holz drangen aus dem Hundezimmer.
»Sie haben schon die gesamte Rigipswand auseinandergenommen «, bemerkte Evan und massierte sich die Stirn.
»Ich werde einen Handwerker kommen lassen, der den Schaden repariert«, erbot sich Lara. »Das ist mein Geburtstagswunsch - eine neue Rigipswand.«
»Nein, nein, ich kümmere mich schon darum.« Er ließ den Atem entweichen. »Es ist mein Haus, außerdem hast du diesen Monat schon so viel Geld für den Tierarzt ausgegeben.«
»Rund zweitausenddreihundert Dollar.« Lara hielt inne. »Und es ist unser Haus. Verstanden?«
Er breitete die Arme aus. Als er sie an sich zog, spürte sie, wie sie sich beide entspannten. »Unser Haus.« Er legte das Kinn auf ihren Kopf. »Es tut mir leid. Aber all diese Hunde ... Ich verstehe einfach nicht, wieso du dir unbedingt die Probleme anderer Leute aufhalsen musst.«
Lara legte ihre Wange an seine Brust und genoss die Wärme, die von ihm ausging. Könnte er sie doch nur verstehen. »Sie sind keine ›Probleme‹, Evan. Jeder dieser Hunde hat eine Bestimmung auf der Welt. Sie sind nicht nur Haustiere, sondern Rettungsanker. Das habe ich am eigenen Leib erfahren, Evan.«
Lara war sechzehn und auf der Highschool, als sie sich zum ersten Mal in einen Findelhund verliebt hatte. Sie war am Freitag vor den Frühjahrsferien nach Hause gekommen, bis auf die Knochen durchnässt von dem heftigen Regenguss und völlig geschafft von einer Woche Prüfungsstress und dem Versuch, möglichst unauffällig ihren Platz inmitten ihrer Klassenkameraden zu finden. Das Ziel war nicht, sich einzugewöhnen - sie wusste, dass sie sich an der exklusiven Privatschule, auf die ihre Mutter sie gegen ihren Willen geschickt hatte, nie wirklich wohlfühlen würde. Vielmehr ging es darum, sich unsichtbar zu machen und möglichst nicht aufzufallen, damit niemandem die Wagenladung Makel und Unzulänglichkeiten auffiel, die sie mit sich herumschleppte.
Doch gegen den wachsamen Blick ihrer Mutter war sie machtlos.
»Also wirklich, Lara, sieh dir bloß deine Nägel an«, sagte sie zur Begrüßung, als Lara zur Tür hereinkam. Als Besitzerin mehrerer Schönheitssalons kam Justine sonst sehr spät nach Hause, aber offenbar hielt sie es für ihre mütterliche Pflicht, sich von Lara zu verabschieden, bevor sie in die Ferien aufbrach. »So schlampig und ungepflegt. «
Lara öffnete den Mund, um sie daran zu erinnern, dass sie sich wohl kaum mit abgesplittertem Nagellack herumschlagen müsste, hätte Justine ihr nicht am vorhergehenden Wochenende regelrecht eine Maniküre aufgezwungen. »Offenbar habe ich ihn beim Lernen für die Matheprüfung abgeknibbelt. Ehrlich gesagt, habe ich es nicht einmal mitbekommen.«
Seufzend zog Justine ihren hellbraunen Burberry- Regenmantel aus und hängte ihn in den Garderobenschrank. »Was soll ich nur mit dir anstellen?«
Lara biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, zählte stumm bis zehn und sah auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde, dann würde ihr Vater kommen und sie mit zum Zelten in die Berge von Nord-Arizona nehmen. Noch eine Viertelstunde, in der sie sich Justines Kritik anhören musste, dann konnte sie eine ganze Woche Freiheit genießen, weit weg von Justines endlosen Forderungen und Erwartungen. Sie konnte in Jogginghosen herumlaufen mit ungewaschenen Haaren und einem dicken Trauerrand unter den Nägeln. Die meisten Mädchen aus ihrer Klasse jetteten zu irgendwelchen exotischen Zielen - zum Surfen nach Hawaii oder zum Skifahren nach Aspen -, aber Lara beneidete sie nicht darum. Jeder Tag ohne Schulstress und Justines unerfüllbare Ansprüche war der reinste Traum auf Erden.
Sie kehrte ihrer Mutter den Rücken zu und schaltete den Fernseher ein. »Ich habe schon alles gepackt.«
Justine streifte ihre hochhackigen Schuhe ab und wischte sorgfältig die Regentropfen von dem feinen italienischen Leder. »Gut. Ich erwarte dich am Sonntag um sechs zurück. Hast du noch Hausaufgaben für nächste Woche auf?«
Lara ignorierte sie und drehte den Fernseher lauter. Dreizehn Minuten, zwölf ...
Das Telefon in der Küche klingelte. Justine nahm beim zweiten Läuten ab und senkte die Stimme, kaum dass sie sich gemeldet hatte. Lara griff nach der Fernbedienung und drehte den Ton leiser, um zu lauschen.
»Das kannst du nicht machen, Gil. Sie rechnet fest mit dir. Mir ist klar, dass sie kein Kind mehr ist. Sie ist sechzehn, und das ist ein schwieriges Alter ... nein, absolut nicht ...«
Sorgsam darauf bedacht, die Kissen nicht zu zerknautschen, stand Lara vom Sofa auf, pirschte auf Zehenspitzen zur Küchentür und lauschte mit angehaltenem Atem.
Justines Stimme wurde eisig. »Tja, du musst wohl tun, was du nicht lassen kannst, aber das wirst du ihr schön selbst sagen ... Ich bin es leid, ständig als Überbringerin der schlechten Nachrichten herzuhalten ... Nein, du wirst es ihr sagen.«
Abrupt wich Lara zurück und setzte eine unschuldige Miene auf, als Justine mit dem schnurlosen Telefon in der Hand ins Fernsehzimmer gestürzt kam.
»Dein Vater möchte dir gern etwas sagen«, erklärte sie und hielt das Telefon auf Armeslänge von sich, als wäre es eine Bombe, die jederzeit losgehen konnte.
Lara wusste bereits, was kommen würde, zwang sich aber trotzdem zu einem Lächeln. »Hi, Daddy, was gibt's denn?«, fragte sie und bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall.
Doch das Einzige, was durch die Leitung drang, war das Freizeichen.
Lara ließ das Telefon sinken. »Er kommt also nicht.«
Justine setzte sich resigniert aufs Sofa. »Es tut mir leid.«
»Muss es nicht. Ist schon gut.« Lara rang sich ein Lächeln ab. »Er hat ... Bestimmt ist etwas Wichtiges dazwischengekommen. «
»Zumindest behauptet er das.« Justine klopfte einladend auf das Kissen neben sich, doch Lara wollte sich nicht hinsetzen. Sie lauschte dem Geräusch der Autos auf der Straße, die durch die tiefen Pfützen fuhren, sorgsam darauf bedacht, dem mitleidigen Blick ihrer Mutter nicht zu begegnen.
»Du hattest doch sowieso keine Lust zum Zelten«, sagte Justine schließlich in die Stille hinein. »Es soll die ganze Woche über regnen. Es hätte dir ohnehin keinen Spaß gemacht.«
Endlich löste Lara sich aus ihrer Erstarrung. »Falsch. Dir hätte es keinen Spaß gemacht. Du bist diejenige, die Camping hasst. Du bist diejenige, die ... keine Ahnung ... körperlich unfähig ist, sich zu amüsieren.«
Justine reckte trotzig das Kinn. »Da hätten wir es ja wieder mal. Dein Vater ist der tolle Hecht, der alles richtig macht, und ich bin wieder die Böse, die nur schimpft und motzt. Das Miststück, das für deine Nachhilfestunden bezahlt, dir Klamotten kauft und ein Dach über dem Kopf bietet.«
»Oh, jetzt bin ich also der Grund dafür, dass du die beschissene Eiskönigin persönlich bist, ja? Ich habe nicht darum gebeten, zur Welt zu kommen.«
»Lara Madigan, du sprichst auf der Stelle in einem anderen Ton mit mir. Wenn du wütend auf deinen Vater bist, dann schrei gefälligst ihn an und nicht mich.«
Doch Lara konnte ihren Vater nicht anschreien, denn er blieb ja nicht einmal lange genug am Telefon, um ihr zu sagen, dass er ihre gemeinsamen Ferien platzen ließ. Also musste ihre Mutter weiterhin ihre tödlichen Blicke ertragen - Justine, wie immer strahlend und unerreichbar mit ihren schicken Klamotten und ihrem sorgfältig glatt geföhnten Haar. Seit Lara denken konnte, versuchte sie vergeblich, das kichernde Mädchen mit dem windzerzausten Haar auf dem Hochzeitsfoto ihrer Eltern mit der Frau in Einklang zu bringen, die vor ihr auf dem Sofa saß. Mit jedem Jahr war Justine argwöhnischer und verkniffener geworden. »Du und Dad, ihr habt euch doch früher auch amüsiert, oder?«
Justine gab keine Antwort, doch Lara sah etwas in ihren Augen aufflackern.
»Du warst doch nicht immer so wie heute«, bohrte sie weiter.
Justines Lippen waren zu einer schmalen weißen Linie zusammengepresst. »Wie denn?«
»Als wäre dir nie etwas gut genug.« Lara blutete das Herz, und ihre Mutter sollte ruhig einen Teil ihres Schmerzes abbekommen. »Früher warst du ein anderer Mensch. Du hättest Dad wohl kaum geheiratet, wenn du dir nicht sicher gewesen wärst, dass er dein Seelenverwandter ist.«
Justine stieß ein freudloses Lachen aus. »Sei doch nicht so naiv. So etwas wie Seelenverwandte gibt es nicht.«
»Aber wieso hast du ihn dann geheiratet?«
»Ich war neunzehn und dachte, ich hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen.« Justines Stimme troff vor Verachtung für ihre Dummheit von damals. »Ich war eben ›verliebt‹.« Sie unterstrich das Wort, indem sie Anführungszeichen in der Luft beschrieb. »Inzwischen bin ich älter und klüger, und eines kann ich dir mit Sicherheit sagen: Die Liebe löst keines deiner Probleme. Jeder ist auf sich allein gestellt. Du sollst niemals von einem Mann abhängig sein, Lara. Deshalb reiße ich mir den Hintern auf. Um dir die bestmögliche Ausbildung und Chancen für eine anständige Zukunft mit auf den Weg zu geben.«
Lara pulte an ihrem Nagellack herum.
»Hör auf damit.« Justine sammelte sich, holte tief Luft und stand auf. »Komm, fahren wir in den Salon. Wir verpassen dir eine frische Maniküre, dann fühlst du dich bestimmt gleich besser.«
Lara schob sich an ihrer Mutter vorbei und riss den makellos sauberen Burberry-Regenmantel aus dem Garderobenschrank. »Nein. Ich gehe lieber ein bisschen spazieren.«
»Wage es nicht, einen Fleck auf den Mantel zu machen «, schrie Justine. »Komm sofort wieder her, junge Dame!«
Doch Lara war bereits hinausgestürmt und hatte die Tür hinter sich zugeknallt. Auf dem Weg die Auffahrt hinunter hob sie den Kopf und hielt ihr Gesicht in den Regen, bis ihr langes dunkles Haar an ihren Wangen klebte.
Sie wollte nur allein sein, sagte sie sich, als sie den Weg zum Park einschlug. Unsichtbar sein.
Erst als ihre Nase zu laufen begann, merkte sie, dass sie weinte. Bebend vor Wut und Trotz, wischte sie sich die Nase am Ärmel von Justines teurem Regenmantel ab.
Justine wäre außer sich vor Wut, wenn sie das sehen könnte.
Sehr gut.
Fast eine Stunde wanderte Lara ziellos durch den Regen, bis sie vor dem kleinen Einkaufszentrum im äußersten Teil ihres Nobelwohnviertels stand. Es war Freitag, deshalb hatten die Bank, das Juweliergeschäft und die Tierarztpraxis bereits geschlossen. Auf der Türschwelle der Praxis stand ein großer Karton, der sich im strömenden Regen bereits aufzulösen begann. Auf einer Seite stand in großen schwarzen Buchstaben nur ein einziges Wort: FREI.
Noch bevor Lara in den Karton spähte, wusste sie, was sie finden würde. Und siehe da - ein winziger schwarzer Hundewelpe kauerte schlotternd in einer Ecke, als sie den Deckel aufschlug.
Wie erstarrt blickte sie auf das kleine Bündel, während ihr tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf gingen, allen voran jedoch dieser eine: MEINES. Als das Hündchen sie mit seinen dunklen Augen flehend ansah, wusste sie, was sie zu tun hatte.
»Alles wird gut«, murmelte sie, als ihre Stimme ihr wieder gehorchte, und streckte die Hände aus. Taumelnd krabbelte der Welpe heran und ließ sich hochnehmen.
Dieser einsame kleine Hund brauchte sie.
Fast genauso sehr wie sie ihn.
Sie hob das zitternde Tier aus dem Karton, schob es unter ihren Mantel und drückte es an ihre Brust.
»Ganz ruhig«, murmelte sie. »Jetzt bist du in Sicherheit. Ich hab dich.«
Der Welpe winselte leise. Und dann pinkelte er auf das Revers von Justines Burberry-Mantel.
Lara rannte den ganzen Weg zurück nach Hause. »Los, zieh dir sofort etwas Trockenes an. Du holst dir noch eine Lungenentzündung«, befahl ihre Mutter, als sie hereinkam.
»Gleich. Zuerst muss ich mich um den Hund kümmern. « Lara knöpfte den Mantel auf und förderte den mageren, schlotternden Welpen zu Tage. »Mom, das ist Beacon.«
»O nein. Nein, nein, nein, nein. Du wirst dieses Vieh nicht behalten. Wir werden dieses Vieh auf keinen Fall behalten.«
»O doch, das werden wir. Und du irrst dich, denn es gibt sehr wohl Seelenverwandte, Mom.«
Lara betrachtete Evan mit derselben unerschütterlichen Überzeugung, mit der sie vor all den Jahren ihrer Mutter gegenübergestanden hatte. »Mein Hund Beacon hat mir auf der Highschool das Leben gerettet. Ohne ihn hätte ich in dieser verrückten Zeit den Verstand verloren. Er war immer an meiner Seite, auf dem College, während meiner ersten Jobs, in Phasen, in denen ich in den heruntergekommensten Apartments gehaust habe, und während einer sehr schlimmen Trennung. Meine Mutter konnte nie nachvollziehen, weshalb ich ihn so geliebt habe, denn er war weder schön, noch hatte er einen beeindruckenden Stammbaum, aber er hatte etwas an sich, was kein anderer Hund hatte.« Bei der Erinnerung an den winzigen schlappohrigen Chihua- hua-Mix lächelte sie wehmütig. »Er ist vor zwei Jahren gestorben, und wahrscheinlich werde ich nie wieder eine so enge Bindung zu einem Hund haben. Aber ich weiß, dass sie existiert, und meine Aufgabe besteht darin, die richtigen Menschen mit dem richtigen Hund zusammenzubringen, damit er seinen Besitzer rettet, genauso wie Beacon mich damals gerettet hat. Das ist meine Berufung. Und wenn du mich liebst, musst du auch meine Hunde lieben.«
»Ich liebe dich«, sagte Evan und legte seine Hand auf ihre Wange. »Und ich bin sicher, ich werde auch die Hunde lieben können. Außerdem sind sie ein Ansporn für mich zu lernen, wie man Rigipswände zieht.«
»Das ist der richtige Ansatz. Und jetzt gib mir fünf Minuten zum Umziehen, damit wir essen gehen können, irgendwo ganz weit weg vom Tatort. Und wenn wir nach Hause kommen ...«, mit einem verführerischen Lächeln ließ sie ihre Hand über seinen Bizeps wandern, »... habe ich da ein paar interessante Ideen, wie wir den Abend ausklingen lassen - nackte Haut und eine Schüssel mit Zitronenguss kommen darin vor.«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg.
Sanft, aber entschlossen entzog sie ihm ihre Hand und kramte eine Visitenkarte aus ihrer Tasche. »Ich bin zwar immer auf der Suche nach aussichtsreichen Kunden, aber Ihnen muss klar sein, dass ich nicht für jeden einen passenden Partner finde. All meine potenziellen Klienten werden einem strengen Auswahlverfahren unterzogen, und meine Anforderungen sind sehr hoch. Schließlich sollen alle Beteiligten langfristig glücklich miteinander werden.«
»Einer Ihrer früheren Kunden kann für mich bürgen.« Peter putzte sich mit einem zerknüllten, aber sauberen Taschentuch die Nase ab. »Mark Heston, mein Nachbar. Sie haben ihn mit Amelia zusammengebracht.«
»Amelia!« Laras Stimme wurde weich. »Ein wunderbares Geschöpf. Wie geht es ihr?«
Peter zuckte mit den Achseln. »Gut, vermute ich. Mark schwärmt unentwegt von ihr. So etwas müssen Sie unbedingt für mich finden.« Seine Hand verschwand in der Tasche seiner schwarzen Lederjacke und hielt ihr ein Bündel Banknoten hin. »Egal, was Sie verlangen, ich bezahle. Sogar das Doppelte Ihres üblichen Honorars.«
Lara machte keine Anstalten, das Geld entgegenzunehmen. »Bei meiner Tätigkeit steht nicht das Geld im Vordergrund, sondern der Wunsch, zwei Seelenverwandte zusammenzubringen. Meine Paare sollen ein Leben lang zusammenbleiben, deshalb muss ich Ihre Bedürfnisse ganz genau kennen und herausfinden, wer sie am besten befriedigen kann.«
Mit einem resignierten Seufzer steckte Peter das Geld wieder ein. Nun, da er sich nicht länger ins Zeug legte, erhaschte sie einen Blick auf die tiefe Einsamkeit, die sich hinter seinem Designeroutfit verbarg. »Miss Madigan.« Er spreizte die Hände. »Ich weiß, dass ich rein äußerlich nicht gerade ein Traumtyp bin. Das hat mir meine Verlobte mehr als klargemacht, bevor sie mich verlassen hat. Trotzdem habe ich eine Menge zu bieten: Liebe, Stabilität, all diese Eigenschaften ...«
Lara musterte ihn. Seine Körpersprache war aufschlussreich. Jahrelange Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es im Grunde völlig unwichtig war, was potenzielle Kunden sagten. Worte dienten dazu, sein Gegenüber zu manipulieren, auszuweichen, Fehler und Vorurteile zu rechtfertigen. Die Wahrheit lag in ihrer Stimme und diesem Leuchten in ihren Augen.
»Wenn ich einmal eine Bindung eingegangen bin, bleibe ich treu«, fuhr Peter fort. »Ich bin selbstständig und arbeite von zu Hause aus ...«
»Ach ja?« Lara hob die Brauen. »Und haben Sie auch einen Garten?«
»Rund zweitausend Quadratmeter«, antwortete Peter mit stolzgeschwellter Brust. »Eingezäunt. Und er grenzt an ein Naturschutzgebiet.« Er bedeutete ihr, sich vorzubeugen. »Mit Wanderwegen. Ich habe angefangen zu joggen. Viermal pro Woche. Na ja, im Moment laufe ich rund sechseinhalb Kilometer pro Stunde, was man wohl kaum als Joggen bezeichnen kann. Aber ich versuche es zumindest. Und mit einem Partner kann man sich besser motivieren.« Er sah sie mit einer Mischung aus Hoffnung und Betrübnis an. Offenbar wappnete er sich bereits für eine Absage.
Lara erstellte im Geiste ein Profil von Peter: aufmerksam, hält sich gern im Freien auf, lernwillig ...
»Ich tue alles, was Sie von mir verlangen. Sie werden es nicht bereuen. Ich brauche nur ein bisschen Hilfe, um Frauen kennenzulernen. Ich habe es in Bars und bei verschiedenen Partneragenturen im Internet versucht, aber es will einfach nicht klappen. Ich brauche jemanden, der mir hilft ... jemanden, der das Eis bricht. Helfen Sie mir? Bitte.«
Sie sah die Verzweiflung hinter seinen verschmierten Brillengläsern und lächelte. Peter Hoffstead war ein anständiger Mann mit einem großen Herzen, dem es lediglich ein wenig an Selbstvertrauen fehlte. Ein sorgfältig ausgewählter Gefährte würde ihm helfen, sich auch ohne Nobelmarken und ohne ein dickes Portemonnaie als wertvoller Mensch zu fühlen.
»Ich glaube, ich habe genau den richtigen Partner für Sie.«
Sein ganzer Körper spannte sich an. »Ehrlich?«
Lara nickte. »Süß, charismatisch und absolut unwiderstehlich. Und ein Garant, dass sich die Leute auf der Straße nach Ihnen beiden umdrehen werden.« Sie zog ihr Handy heraus, rief ein Foto auf und hielt Peter den Schnappschuss eines Terriers mit struppig hellbraunem Fell vor die Nase. »Darf ich vorstellen? Das ist Murphy.«
2
Kaum hatte Lara einen Fuß über die Schwelle gesetzt, stieg ihr bereits der Duft nach Vanille und Zitrone in die Nase. Zwei Stufen später roch sie auch den drohenden Ärger, der in der Luft hing.
Sie wappnete sich innerlich gegen den Angriff eines ausgelassenen vierbeinigen Begrüßungskomitees, doch die Diele war verwaist. Ihr Freund Evan hatte das Haus im vergangenen Jahr gekauft, doch Lara war erst vor wenigen Wochen eingezogen, so dass es mit seinen kahlen Wänden und der spärlichen Möblierung immer noch den Charme einer Junggesellenbude verströmte. Und auch Lara war es nicht gelungen, ihrem neuen Heim jenen typischen »weiblichen Touch« zu verleihen. Stattdessen hatte sich ihr Beitrag zur Umgestaltung darauf beschränkt, im Garten hinter dem Haus ein Planschbecken aufzustellen und einige potenziell giftige Strauchpflanzen zu entfernen.
Ansonsten trugen die aufgestapelten Kartons mit ihren Habseligkeiten lediglich dazu bei, den Mangel an Möbelstücken zu kompensieren.
»Hallo?« Das Geräusch ihrer Flipflops auf dem Fliesenboden hallte von den kahlen Wänden wider, als sie in die Küche ging. »Wo seid ihr denn alle?«
»Hinter Schloss und Riegel.« Evan stand in einem offenen hellblauen Hemd und mit nassen Haaren im Essbereich und schrubbte mit einem feuchten Geschirrtuch die Arbeitsplatte. Er war groß und schlaksig, hatte rötlich braunes Haar und besaß einen bemerkenswerten Geschäftssinn. Lara hatte sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen gefühlt. Er verdiente sein Geld als Dozent für Wirtschaft an einem elitären MBA-Institut, in seiner Freizeit hingegen lief er am liebsten mit Dreitagebart herum und sah aus, als wollte er gerade in seine Converse-Turnschuhe schlüpfen und eine Runde Frisbee spielen. Statussymbole waren ihm egal, trotzdem war ihm nichts in den Schoß gefallen. Er hatte hart dafür gearbeitet, was er besaß, und ging stets pfleglich damit um - auch mit seinem Haus.
»Oje.« Lara stellte ihre Tasche auf dem schmiedeeisernen Stuhl ab und trat mit einem beschwichtigenden Lächeln auf ihn zu. »Soll ich überhaupt fragen, was sie diesmal verbrochen haben?«
Evan kreuzte die Arme vor der Brust. »Mein Nachmittagstermin wurde abgesagt, deshalb war ich früher hier als geplant und wollte dir einen Kuchen für deinen Geburtstag morgen backen. Während er abkühlte, bin ich kurz nach oben gegangen, um unter die Dusche zu springen, und deine Hunde ...«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. »Unsere Hunde, Schatz, schon vergessen?«
»... haben ihn komplett aufgefressen.«
Laras Augen weiteten sich. »Es war aber kein Schokoladenkuchen, oder?«
»Nein, Banane-Sauerrahm, aber diese elenden Biester haben ihn bis auf den letzten Krümel verputzt. Ich wollte noch einen Zitronenguss darübergeben. Jetzt werden wir den nehmen, eine Kerze reinstecken und ihn mit dem Löffel essen müssen.«
Erleichtert atmete sie auf. »Gut. Ich meine, natürlich ist es nicht gut, aber von Schokolade hätten sie schwere Herzbeschwerden bekommen können. Wegen des Theobromin im Kakao.«
»Es war ein Kuchen aus echten Zutaten. Keine Backmischung, sondern mit richtigem Mehl, Eiern und Butter. « Er blätterte im Backbuch.
»Und ich weiß jedes einzelne Gramm Zucker darin zu schätzen. Ich bin sicher, er war absolut köstlich.«
»Und die Blumen, die ich für dich gekauft hatte, haben sie auch aufgefressen.« Evan deutete auf einen Haufen Scherben neben der Terrassentür. »Pass auf, ich bin gerade dabei, die Schweinerei aufzuwischen.«
»Das muss Zsa Zsa gewesen sein. Seltsamerweise ist sie völlig verrückt nach Grünzeug.« Lara packte die Zipfel seines Hemds und zog ihn zu sich heran, um ihn ein weiteres Mal zu küssen. »Blumen und ein selbst gebackener Kuchen? Daran könnte ich mich glatt gewöhnen. «
Er runzelte die Stirn. »Und?«
»Und was?« Sie zog ihre Jacke aus und machte sich auf den Weg, um einen Besen und eine Kehrschaufel zu holen.
Er nickte in Richtung Tür zu dem Raum, der einst als Gästezimmer gedient hatte und seit Laras Einzug in ein »Hundezimmer« umfunktioniert worden war. »Willst du sie denn gar nicht bestrafen?«
»Nein.«
»Aber wieso nicht, verdammt noch mal? Diese elende Bande hinterhältiger Kuchendiebe.«
Lara schob ihn zur Seite und machte sich an die Arbeit. »Erstens müssen disziplinarische Maßnahmen immer in direktem Zusammenhang mit dem Anlass stehen. Wenn ich sie jetzt bestrafe, haben sie keine Ahnung, wofür.«
»Sie haben meinen Bananen-Sauerrahm-Kuchen gefressen. Dafür müssen sie doch eine Strafe bekommen.«
»Zweitens sind sie nicht hinterhältig. Du traust ihnen etwas zu, wozu sie von Natur aus nicht fähig sind. Sie haben bloß einen Kuchen in Reichweite stehen sehen und eben zugeschlagen. Bestimmt war Maverick der Anführer. Wir werden daran arbeiten, dass er nicht mehr ständig auf die Arbeitsplatte springt, aber wenn du einen Kuchen offen herumstehen lässt und ihn nicht in seine Box sperrst ...«
Evan schnappte sich einen Apfel und versenkte wütend die Zähne im knackigen Fleisch. »Also ist es auch noch meine Schuld, weil ich den Kuchen auf der Arbeitsplatte habe stehen lassen, statt ihn in einem Banksafe zu verstauen? Das ist doch kompletter Blödsinn. Es ist meine Arbeitsplatte in meinem Haus, und er sollte ...« Er hielt inne. »Ich meine, unsere Arbeitsplatte in unserem Haus«, korrigierte er sich beim Anblick ihrer Miene.
Lara unterzog Evan einer langen, eindringlichen Musterung. Normalerweise war er die Ruhe und Selbstbeherrschung in Person. »So aufgebracht habe ich dich noch nie erlebt. Auf wen bist du so wütend? Auf die Hunde oder auf mich?«
Er nahm einen weiteren Bissen, ehe er antwortete. »Du bist doch Hundetrainerin, oder nicht? Sollten deine Hunde folglich nicht ... keine Ahnung ... anständig erzogen sein?«
Ihre Finger schlossen sich fester um den Besenstiel. »Ich trainiere Hunde, nachdem ihnen andere Leute ganze Wagenladungen schlechter Angewohnheiten beigebracht haben. Ich kann keine Wunder vollbringen, sondern meine Arbeit erfordert viel Zeit und Geduld. Und noch etwas: Wenn du ein Haus voller gut erzogener Hunde haben willst, wirst du dich notgedrungen an der Erziehung beteiligen müssen. Auch sie gewöhnen sich gerade an neue Lebensumstände und brauchen klare Strukturen und Beständigkeit, und zwar von uns beiden.«
Er murmelte etwas, was verdächtig nach »und ein Elektrohalsband« klang.
Laras Brauen schossen in die Höhe. »Wie war das gerade?«
Evan presste die Lippen aufeinander und starrte sie finster an.
»Was genau soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte sie. »Wieder ausziehen?«
Augenblicklich schlug seine Verärgerung in Verblüffung und blankes Entsetzen um. »Wer hat denn etwas von Ausziehen gesagt?«
Lara wandte den Blick ab.
»Wieso ist abhauen immer gleich die erste Lösung, die dir einfällt?«, fragte er mit einem Nicken auf den Berg Umzugskartons im Wohnzimmer. »Ich habe dich ja noch nicht mal so weit, dass du überhaupt richtig einziehst. Du bist seit über einem Monat hier, trotzdem hast du noch nicht mal deine Kartons ausgepackt.«
»Ich will mich erst häuslich niederlassen, wenn ich sicher bin, dass du damit klarkommst, mich und die Hunde ständig um dich zu haben. Wenn dich ein Hund, der die Arbeitsplatte plündert, schon so auf die Palme bringt ...«
»Ich werde mich doch wohl darüber ärgern dürfen, dass sie deinen Geburtstagskuchen verputzt haben«, sagte er. »Das heißt doch nicht, dass ich nicht mehr mit dir zusammen sein möchte. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Laras Züge erhellten sich. Sie hoffte, dass der Streit damit beendet war.
Doch dann stellte Evan die Frage, die jedes Mal an dieser Stelle kam. Unweigerlich. »Aber liebst du mich mehr als die Hunde?«
Lara nahm ein Weinglas aus dem Schrank, schenkte sich von dem Shiraz ein und trank einen langen, bedächtigen Schluck. »Muss ich dich an unseren Vertrag erinnern? An die Vereinbarung, die du selbst aufgesetzt und an dem Abend unterschrieben hast, als du mich gebeten hast, bei dir einzuziehen?« Sie blickte zu der Cocktailserviette hinüber, die mit einem Magneten an der Kühlschranktür befestigt war und auf die Evan seinen feierlichen Schwur gekritzelt hatte. »Ich, Evan Walker, gelobe hiermit, zum Hundeliebhaber zu werden und mich weder über vollgeschlabberte noch umgekippte Gegenstände zu beschweren, so wahr mir Gott helfe.«
Lautes Gebell und das Scharren von Hundekrallen auf Holz drangen aus dem Hundezimmer.
»Sie haben schon die gesamte Rigipswand auseinandergenommen «, bemerkte Evan und massierte sich die Stirn.
»Ich werde einen Handwerker kommen lassen, der den Schaden repariert«, erbot sich Lara. »Das ist mein Geburtstagswunsch - eine neue Rigipswand.«
»Nein, nein, ich kümmere mich schon darum.« Er ließ den Atem entweichen. »Es ist mein Haus, außerdem hast du diesen Monat schon so viel Geld für den Tierarzt ausgegeben.«
»Rund zweitausenddreihundert Dollar.« Lara hielt inne. »Und es ist unser Haus. Verstanden?«
Er breitete die Arme aus. Als er sie an sich zog, spürte sie, wie sie sich beide entspannten. »Unser Haus.« Er legte das Kinn auf ihren Kopf. »Es tut mir leid. Aber all diese Hunde ... Ich verstehe einfach nicht, wieso du dir unbedingt die Probleme anderer Leute aufhalsen musst.«
Lara legte ihre Wange an seine Brust und genoss die Wärme, die von ihm ausging. Könnte er sie doch nur verstehen. »Sie sind keine ›Probleme‹, Evan. Jeder dieser Hunde hat eine Bestimmung auf der Welt. Sie sind nicht nur Haustiere, sondern Rettungsanker. Das habe ich am eigenen Leib erfahren, Evan.«
Lara war sechzehn und auf der Highschool, als sie sich zum ersten Mal in einen Findelhund verliebt hatte. Sie war am Freitag vor den Frühjahrsferien nach Hause gekommen, bis auf die Knochen durchnässt von dem heftigen Regenguss und völlig geschafft von einer Woche Prüfungsstress und dem Versuch, möglichst unauffällig ihren Platz inmitten ihrer Klassenkameraden zu finden. Das Ziel war nicht, sich einzugewöhnen - sie wusste, dass sie sich an der exklusiven Privatschule, auf die ihre Mutter sie gegen ihren Willen geschickt hatte, nie wirklich wohlfühlen würde. Vielmehr ging es darum, sich unsichtbar zu machen und möglichst nicht aufzufallen, damit niemandem die Wagenladung Makel und Unzulänglichkeiten auffiel, die sie mit sich herumschleppte.
Doch gegen den wachsamen Blick ihrer Mutter war sie machtlos.
»Also wirklich, Lara, sieh dir bloß deine Nägel an«, sagte sie zur Begrüßung, als Lara zur Tür hereinkam. Als Besitzerin mehrerer Schönheitssalons kam Justine sonst sehr spät nach Hause, aber offenbar hielt sie es für ihre mütterliche Pflicht, sich von Lara zu verabschieden, bevor sie in die Ferien aufbrach. »So schlampig und ungepflegt. «
Lara öffnete den Mund, um sie daran zu erinnern, dass sie sich wohl kaum mit abgesplittertem Nagellack herumschlagen müsste, hätte Justine ihr nicht am vorhergehenden Wochenende regelrecht eine Maniküre aufgezwungen. »Offenbar habe ich ihn beim Lernen für die Matheprüfung abgeknibbelt. Ehrlich gesagt, habe ich es nicht einmal mitbekommen.«
Seufzend zog Justine ihren hellbraunen Burberry- Regenmantel aus und hängte ihn in den Garderobenschrank. »Was soll ich nur mit dir anstellen?«
Lara biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, zählte stumm bis zehn und sah auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde, dann würde ihr Vater kommen und sie mit zum Zelten in die Berge von Nord-Arizona nehmen. Noch eine Viertelstunde, in der sie sich Justines Kritik anhören musste, dann konnte sie eine ganze Woche Freiheit genießen, weit weg von Justines endlosen Forderungen und Erwartungen. Sie konnte in Jogginghosen herumlaufen mit ungewaschenen Haaren und einem dicken Trauerrand unter den Nägeln. Die meisten Mädchen aus ihrer Klasse jetteten zu irgendwelchen exotischen Zielen - zum Surfen nach Hawaii oder zum Skifahren nach Aspen -, aber Lara beneidete sie nicht darum. Jeder Tag ohne Schulstress und Justines unerfüllbare Ansprüche war der reinste Traum auf Erden.
Sie kehrte ihrer Mutter den Rücken zu und schaltete den Fernseher ein. »Ich habe schon alles gepackt.«
Justine streifte ihre hochhackigen Schuhe ab und wischte sorgfältig die Regentropfen von dem feinen italienischen Leder. »Gut. Ich erwarte dich am Sonntag um sechs zurück. Hast du noch Hausaufgaben für nächste Woche auf?«
Lara ignorierte sie und drehte den Fernseher lauter. Dreizehn Minuten, zwölf ...
Das Telefon in der Küche klingelte. Justine nahm beim zweiten Läuten ab und senkte die Stimme, kaum dass sie sich gemeldet hatte. Lara griff nach der Fernbedienung und drehte den Ton leiser, um zu lauschen.
»Das kannst du nicht machen, Gil. Sie rechnet fest mit dir. Mir ist klar, dass sie kein Kind mehr ist. Sie ist sechzehn, und das ist ein schwieriges Alter ... nein, absolut nicht ...«
Sorgsam darauf bedacht, die Kissen nicht zu zerknautschen, stand Lara vom Sofa auf, pirschte auf Zehenspitzen zur Küchentür und lauschte mit angehaltenem Atem.
Justines Stimme wurde eisig. »Tja, du musst wohl tun, was du nicht lassen kannst, aber das wirst du ihr schön selbst sagen ... Ich bin es leid, ständig als Überbringerin der schlechten Nachrichten herzuhalten ... Nein, du wirst es ihr sagen.«
Abrupt wich Lara zurück und setzte eine unschuldige Miene auf, als Justine mit dem schnurlosen Telefon in der Hand ins Fernsehzimmer gestürzt kam.
»Dein Vater möchte dir gern etwas sagen«, erklärte sie und hielt das Telefon auf Armeslänge von sich, als wäre es eine Bombe, die jederzeit losgehen konnte.
Lara wusste bereits, was kommen würde, zwang sich aber trotzdem zu einem Lächeln. »Hi, Daddy, was gibt's denn?«, fragte sie und bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall.
Doch das Einzige, was durch die Leitung drang, war das Freizeichen.
Lara ließ das Telefon sinken. »Er kommt also nicht.«
Justine setzte sich resigniert aufs Sofa. »Es tut mir leid.«
»Muss es nicht. Ist schon gut.« Lara rang sich ein Lächeln ab. »Er hat ... Bestimmt ist etwas Wichtiges dazwischengekommen. «
»Zumindest behauptet er das.« Justine klopfte einladend auf das Kissen neben sich, doch Lara wollte sich nicht hinsetzen. Sie lauschte dem Geräusch der Autos auf der Straße, die durch die tiefen Pfützen fuhren, sorgsam darauf bedacht, dem mitleidigen Blick ihrer Mutter nicht zu begegnen.
»Du hattest doch sowieso keine Lust zum Zelten«, sagte Justine schließlich in die Stille hinein. »Es soll die ganze Woche über regnen. Es hätte dir ohnehin keinen Spaß gemacht.«
Endlich löste Lara sich aus ihrer Erstarrung. »Falsch. Dir hätte es keinen Spaß gemacht. Du bist diejenige, die Camping hasst. Du bist diejenige, die ... keine Ahnung ... körperlich unfähig ist, sich zu amüsieren.«
Justine reckte trotzig das Kinn. »Da hätten wir es ja wieder mal. Dein Vater ist der tolle Hecht, der alles richtig macht, und ich bin wieder die Böse, die nur schimpft und motzt. Das Miststück, das für deine Nachhilfestunden bezahlt, dir Klamotten kauft und ein Dach über dem Kopf bietet.«
»Oh, jetzt bin ich also der Grund dafür, dass du die beschissene Eiskönigin persönlich bist, ja? Ich habe nicht darum gebeten, zur Welt zu kommen.«
»Lara Madigan, du sprichst auf der Stelle in einem anderen Ton mit mir. Wenn du wütend auf deinen Vater bist, dann schrei gefälligst ihn an und nicht mich.«
Doch Lara konnte ihren Vater nicht anschreien, denn er blieb ja nicht einmal lange genug am Telefon, um ihr zu sagen, dass er ihre gemeinsamen Ferien platzen ließ. Also musste ihre Mutter weiterhin ihre tödlichen Blicke ertragen - Justine, wie immer strahlend und unerreichbar mit ihren schicken Klamotten und ihrem sorgfältig glatt geföhnten Haar. Seit Lara denken konnte, versuchte sie vergeblich, das kichernde Mädchen mit dem windzerzausten Haar auf dem Hochzeitsfoto ihrer Eltern mit der Frau in Einklang zu bringen, die vor ihr auf dem Sofa saß. Mit jedem Jahr war Justine argwöhnischer und verkniffener geworden. »Du und Dad, ihr habt euch doch früher auch amüsiert, oder?«
Justine gab keine Antwort, doch Lara sah etwas in ihren Augen aufflackern.
»Du warst doch nicht immer so wie heute«, bohrte sie weiter.
Justines Lippen waren zu einer schmalen weißen Linie zusammengepresst. »Wie denn?«
»Als wäre dir nie etwas gut genug.« Lara blutete das Herz, und ihre Mutter sollte ruhig einen Teil ihres Schmerzes abbekommen. »Früher warst du ein anderer Mensch. Du hättest Dad wohl kaum geheiratet, wenn du dir nicht sicher gewesen wärst, dass er dein Seelenverwandter ist.«
Justine stieß ein freudloses Lachen aus. »Sei doch nicht so naiv. So etwas wie Seelenverwandte gibt es nicht.«
»Aber wieso hast du ihn dann geheiratet?«
»Ich war neunzehn und dachte, ich hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen.« Justines Stimme troff vor Verachtung für ihre Dummheit von damals. »Ich war eben ›verliebt‹.« Sie unterstrich das Wort, indem sie Anführungszeichen in der Luft beschrieb. »Inzwischen bin ich älter und klüger, und eines kann ich dir mit Sicherheit sagen: Die Liebe löst keines deiner Probleme. Jeder ist auf sich allein gestellt. Du sollst niemals von einem Mann abhängig sein, Lara. Deshalb reiße ich mir den Hintern auf. Um dir die bestmögliche Ausbildung und Chancen für eine anständige Zukunft mit auf den Weg zu geben.«
Lara pulte an ihrem Nagellack herum.
»Hör auf damit.« Justine sammelte sich, holte tief Luft und stand auf. »Komm, fahren wir in den Salon. Wir verpassen dir eine frische Maniküre, dann fühlst du dich bestimmt gleich besser.«
Lara schob sich an ihrer Mutter vorbei und riss den makellos sauberen Burberry-Regenmantel aus dem Garderobenschrank. »Nein. Ich gehe lieber ein bisschen spazieren.«
»Wage es nicht, einen Fleck auf den Mantel zu machen «, schrie Justine. »Komm sofort wieder her, junge Dame!«
Doch Lara war bereits hinausgestürmt und hatte die Tür hinter sich zugeknallt. Auf dem Weg die Auffahrt hinunter hob sie den Kopf und hielt ihr Gesicht in den Regen, bis ihr langes dunkles Haar an ihren Wangen klebte.
Sie wollte nur allein sein, sagte sie sich, als sie den Weg zum Park einschlug. Unsichtbar sein.
Erst als ihre Nase zu laufen begann, merkte sie, dass sie weinte. Bebend vor Wut und Trotz, wischte sie sich die Nase am Ärmel von Justines teurem Regenmantel ab.
Justine wäre außer sich vor Wut, wenn sie das sehen könnte.
Sehr gut.
Fast eine Stunde wanderte Lara ziellos durch den Regen, bis sie vor dem kleinen Einkaufszentrum im äußersten Teil ihres Nobelwohnviertels stand. Es war Freitag, deshalb hatten die Bank, das Juweliergeschäft und die Tierarztpraxis bereits geschlossen. Auf der Türschwelle der Praxis stand ein großer Karton, der sich im strömenden Regen bereits aufzulösen begann. Auf einer Seite stand in großen schwarzen Buchstaben nur ein einziges Wort: FREI.
Noch bevor Lara in den Karton spähte, wusste sie, was sie finden würde. Und siehe da - ein winziger schwarzer Hundewelpe kauerte schlotternd in einer Ecke, als sie den Deckel aufschlug.
Wie erstarrt blickte sie auf das kleine Bündel, während ihr tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf gingen, allen voran jedoch dieser eine: MEINES. Als das Hündchen sie mit seinen dunklen Augen flehend ansah, wusste sie, was sie zu tun hatte.
»Alles wird gut«, murmelte sie, als ihre Stimme ihr wieder gehorchte, und streckte die Hände aus. Taumelnd krabbelte der Welpe heran und ließ sich hochnehmen.
Dieser einsame kleine Hund brauchte sie.
Fast genauso sehr wie sie ihn.
Sie hob das zitternde Tier aus dem Karton, schob es unter ihren Mantel und drückte es an ihre Brust.
»Ganz ruhig«, murmelte sie. »Jetzt bist du in Sicherheit. Ich hab dich.«
Der Welpe winselte leise. Und dann pinkelte er auf das Revers von Justines Burberry-Mantel.
Lara rannte den ganzen Weg zurück nach Hause. »Los, zieh dir sofort etwas Trockenes an. Du holst dir noch eine Lungenentzündung«, befahl ihre Mutter, als sie hereinkam.
»Gleich. Zuerst muss ich mich um den Hund kümmern. « Lara knöpfte den Mantel auf und förderte den mageren, schlotternden Welpen zu Tage. »Mom, das ist Beacon.«
»O nein. Nein, nein, nein, nein. Du wirst dieses Vieh nicht behalten. Wir werden dieses Vieh auf keinen Fall behalten.«
»O doch, das werden wir. Und du irrst dich, denn es gibt sehr wohl Seelenverwandte, Mom.«
Lara betrachtete Evan mit derselben unerschütterlichen Überzeugung, mit der sie vor all den Jahren ihrer Mutter gegenübergestanden hatte. »Mein Hund Beacon hat mir auf der Highschool das Leben gerettet. Ohne ihn hätte ich in dieser verrückten Zeit den Verstand verloren. Er war immer an meiner Seite, auf dem College, während meiner ersten Jobs, in Phasen, in denen ich in den heruntergekommensten Apartments gehaust habe, und während einer sehr schlimmen Trennung. Meine Mutter konnte nie nachvollziehen, weshalb ich ihn so geliebt habe, denn er war weder schön, noch hatte er einen beeindruckenden Stammbaum, aber er hatte etwas an sich, was kein anderer Hund hatte.« Bei der Erinnerung an den winzigen schlappohrigen Chihua- hua-Mix lächelte sie wehmütig. »Er ist vor zwei Jahren gestorben, und wahrscheinlich werde ich nie wieder eine so enge Bindung zu einem Hund haben. Aber ich weiß, dass sie existiert, und meine Aufgabe besteht darin, die richtigen Menschen mit dem richtigen Hund zusammenzubringen, damit er seinen Besitzer rettet, genauso wie Beacon mich damals gerettet hat. Das ist meine Berufung. Und wenn du mich liebst, musst du auch meine Hunde lieben.«
»Ich liebe dich«, sagte Evan und legte seine Hand auf ihre Wange. »Und ich bin sicher, ich werde auch die Hunde lieben können. Außerdem sind sie ein Ansporn für mich zu lernen, wie man Rigipswände zieht.«
»Das ist der richtige Ansatz. Und jetzt gib mir fünf Minuten zum Umziehen, damit wir essen gehen können, irgendwo ganz weit weg vom Tatort. Und wenn wir nach Hause kommen ...«, mit einem verführerischen Lächeln ließ sie ihre Hand über seinen Bizeps wandern, »... habe ich da ein paar interessante Ideen, wie wir den Abend ausklingen lassen - nackte Haut und eine Schüssel mit Zitronenguss kommen darin vor.«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg.
... weniger
Autoren-Porträt von Beth Kendrick
Nachdem Beth Kendrick mit Berner Sennenhunden aufgewachsen war, verliebte sie sich in einen verwahrlosten Streuner, einen Terrier namens Murphy, und hat seitdem ein großes Herz für Fundhunde. Sie lebt mit ihrer Familie und zwei ausgelassenen Promenadenmischungen mit rotem Fell in Arizona. Obwohl sie drei Staubsauger besitzt, läuft sie ständig mit Hundehaaren an den Kleidern herum.
Bibliographische Angaben
- Autor: Beth Kendrick
- 2013, 384 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb., Deutsch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 395569013X
- ISBN-13: 9783955690137
- Erscheinungsdatum: 30.04.2013
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