Poppy braucht dich
Seit Amber denken kann, machen ihr Mutter und Schwester Poppy das Leben zur Hölle. Als sie das neurotische Verhalten der beiden nicht mehr aushält, zieht sie in eine WG nach Cornwall. In einem Strandrestaurant findet Amber einen Job und verliebt sich in...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
7.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Poppy braucht dich “
Seit Amber denken kann, machen ihr Mutter und Schwester Poppy das Leben zur Hölle. Als sie das neurotische Verhalten der beiden nicht mehr aushält, zieht sie in eine WG nach Cornwall. In einem Strandrestaurant findet Amber einen Job und verliebt sich in ihren Kollegen Marty. Alles scheint in bester Ordnung, wären da nachts nicht die seltsamen Geräusche in dem düsteren Haus, die ihr Angst einjagen. Dann taucht Poppy wieder auf. Honigsüß wickelt sie sämtliche WG-Bewohner um ihren Finger. Keiner ahnt, wie besessen sie wirklich von Amber ist.
"Poppy braucht dich. Sie hat dich immer gebraucht. Sie wird dich nie gehen lassen."
Seit Amber denken kann, machen ihr Mutter und Schwester Poppy das Leben zur Hle. Als sie das neurotische Verhalten der beiden nicht mehr ausht, zieht sie in eine WG nach Cornwall. In einem Strandrestaurant findet Amber einen Job und verliebt sich in ihren Kollegen Marty. Alles scheint in bester Ordnung, wen da nachts nicht die seltsamen Gersche in dem dteren Haus, die ihr Angst einjagen. Dann taucht Poppy wieder auf. Honigs wickelt sie stliche WG-Bewohner um ihren Finger. Keiner ahnt, wie besessen sie wirklich von Amber ist ...
Psychothriller - Grusel & Spannung garantiert.
Seit Amber denken kann, machen ihr Mutter und Schwester Poppy das Leben zur Hle. Als sie das neurotische Verhalten der beiden nicht mehr ausht, zieht sie in eine WG nach Cornwall. In einem Strandrestaurant findet Amber einen Job und verliebt sich in ihren Kollegen Marty. Alles scheint in bester Ordnung, wen da nachts nicht die seltsamen Gersche in dem dteren Haus, die ihr Angst einjagen. Dann taucht Poppy wieder auf. Honigs wickelt sie stliche WG-Bewohner um ihren Finger. Keiner ahnt, wie besessen sie wirklich von Amber ist ...
Psychothriller - Grusel & Spannung garantiert.
Lese-Probe zu „Poppy braucht dich “
Teil 1Der Weg zur Haustür verschwand fast unter dem dichten Laub, das von der Platane beim Gartentor gefallen war. Amber stellte den Riesenkoffer ab und durchwühlte ihre Handtasche nach dem Schlüssel, während sie dem Taxifahrer pantomimisch zu verstehen gab, dass mit ihr alles in Ordnung sei, dass überhaupt alles in Ordnung sei.
Aber er fuhr nicht weiter. "Kommen Sie auch wirklich klar?", rief er. "Alles bestens!", schrie sie zurück. "Soll ich warten, bis Sie wissen, ob es das richtige Haus ist?"
Amber rang sich ein Lächeln ab. "Alles okay! Das ist es ganz bestimmt!"
Der Fahrer zuckte die Achseln, als wollte er sagen: "Manche Leute wollen sich einfach nicht helfen lassen", dann ließ er den Motor an und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
Amber war allein.
Falls es das falsche Haus ist, verstecke ich meinen Koffer im Gebüsch und suche nach einer Telefonzelle ... Nur: Wen soll ich anrufen? Es ist ganz bestimmt das richtige Haus. Garantiert.
Sie zitterte - einerseits vor Angst und zum anderen vor Erleichterung über die Abfahrt des Taxifahrers. Während der Fahrt hatte er es geschafft, dass sie sich verdächtig fühlte, unfähig und zum Scheitern verurteilt. Es war ein Albtraum gewesen, genauso wie die lange Zugfahrt davor. Sie hatte sich in ihren Sitz gekauert, voller Entsetzen über das, was sie getan hatte und was sie tat, und mit jedem Kilometer, den sie sich rasend schnell weiter entfernte, war dieses Entsetzen gewachsen. Sie war ohne Proviant losgefahren und hatte nicht die Energie aufgebracht, zum Bistroabteil des Zuges zu gehen. Vor Hunger und Durst war ihr mittlerweile ganz schwindelig.
Als der Zug an dem Cornwall-Bahnhof hielt, war sie von einer Welle aus Panik und verzweifelter Entschlossenheit überrollt worden. So schnell sie konnte, hatte sie ihren Koffer zum Taxistand gezerrt und beim ersten Wagen eine alte Dame beiseite gedrängelt, die gleichzeitig mit ihr dort angekommen war. Der Taxifahrer war deswegen äußerst kurz angebunden
... mehr
gewesen und hatte behauptet, er hätte die von ihr genannte Adresse noch nie gehört: Merral Road siebzehn. Er telefonierte mit der Taxizentrale, aber auch da kannte niemand die Adresse; er solle es mal mit der Merral Park Avenue am Stadtrand versuchen. Dort waren sie überall umhergeirrt, was den Fahrer noch ärgerlicher gemacht hatte, und Amber war vor lauter Hunger und Aufregung fast ohnmächtig geworden. Als er sie ausfragte, was sie hier wolle und ob sie vielleicht verspätet Ferien mache, hatte sie die Antwort so undeutlich genuschelt, dass sie sich wie eine geistig Zurückgebliebene anhörte.
Schließlich hatte er in einer schmalen Sackgasse ohne Straßenschild angehalten. Sie endete in einem bewaldeten Brachland, die Mehrfamilienhäuser links und rechts waren hoch und schmalbrüstig, die meisten von ihnen sahen heruntergekommen aus. Der Taxifahrer hatte Amber gesagt, sie solle aussteigen und an einer der Haustüren klingeln und fragen, aber sie hatte sich nicht gerührt und so getan, als habe sie ihn nicht gehört. Als der Fahrer schließlich fluchend ausstieg, kam gerade ein Mann mit einem Hund aus dem Wald und der Taxifahrer rief ihm die Frage zu. Der Mann meinte, er sei sich ziemlich sicher, dass das die Merral Road oder möglicherweise auch der Merral Way wäre, jedenfalls irgendwas mit Merral. Dann hatte der Fahrer die Hausnummer siebzehn gefunden und jetzt war Amber allein.
Sie schleppte ihren tonnenschweren Koffer bis zur Haustür. In den Ziegelstein über der Tür war ein Datum eingemeißelt: "1887". Kapuzinerkresse schlängelte sich über den Boden, unter den großen runden Blättern verbargen sich gelbe und orangerote Blüten. Abgestorbene Äste und Zweige lagen in den moosbewachsenen Ecken der Veranda. Das ganze Anwesen wirkte, als habe es seit langer Zeit niemand mehr betreten. Das war seltsam, denn eigentlich sollte hier eine Studenten-WG wohnen. Amber hob den Türklopfer hoch, und obwohl sie ahnte, dass niemand kommen würde, ließ sie ihn herabfallen.
Stille, nur das Echo des Klopfers.
Sie ließ ihn noch einmal bummern. Dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Amber war mit Schlüsseln noch nie gut klargekommen. Sie geriet immer schnell in
Panik und versuchte sie dann mit Gewalt herumzudrehen, sie hatte einfach kein Gefühl dafür.
Aber dieser Schlüssel war anders.
Es war nur ein Schlüssel, der in einem Schloss steckte und sich langsam, widerwillig drehen ließ, aber er drehte sich. Es war nur eine Tür, die knarrend weit aufschwang und in eine staubige Diele führte. Aber Amber wurde ganz schwindlig davon. Ihr war, als würden sich die alten rot-schwarzen Bodenfliesen zu ihr emporschwingen und sie begrüßen.
Sie wuchtete den Koffer über die Schwelle. Durch eine halb geöffnete Tür am Ende der großen Diele drang Sonnenlicht.
Sie stellte den Koffer ab und ging darauf zu.
2
Hi, Amber! stand auf dem Zettel, der an einem Becher mit Dinosauriermotiv lehnte.
Willkommen in unserem Dreckloch - leider sind wir nicht da. Mama Kaz hat für dich ein Sandwich in den Kühlschrank gestellt. Dein Zimmer ist das erste rechts im ersten Stock. Hoffentlich ist es okay! Wir sind so gegen sechs, sieben zurück. Ich bin mit Kochen dran - dein Glück!! Ben
Amber nahm den Zettel in die Hand und betrachtete ihn noch mal kurz, dann legte sie ihn wieder auf den kleinen Tisch aus Kiefernholz und sah sich um. Sie stand in einer mittelgroßen, freundlichen Küche mit ramponierten Einbauschränken. Vor dem Fenster war eine altmodische tiefe Spüle, eine breite Glastür führte in einen Garten mit Bäumen und Sträuchern und ließ die Sonne herein.
Amber ging zur Spüle, ließ Wasser in den Elektrokocher laufen und schaltete ihn an. Sie öffnete die Kühlschranktür (die von Magneten übersät war - unter
anderem von einer Comic-Katze, einem Delphin, Obst und roten und grünen Buchstaben, die den Satz ABWASCHEN RORY DU ARSCH bildeten) und nahm eine Flasche Milch und ein großes Weißbrot-Sandwich heraus, das unter Klarsichtfolie auf einem Teller lag. Dann ging sie zum Kocher und brühte sich in dem Dinosaurierbecher Tee auf.
Plötzlich fühlte sie sich euphorisch. Sie war zwar fertig mit den Nerven und mordshungrig, aber euphorisch.
Ich bin abgehauen. Ich hab's getan. Ich bin hier!
Sie setzte sich an den Tisch und schlürfte den heißen süßen Tee, der ihr wie eine Droge in die Adern schoss. Dann wickelte sie das Sandwich aus und biss hinein, kaute und schluckte, und während ihr Magen sich füllte, kam wieder Leben in sie.
Danke, Mama Kaz, dachte sie inbrünstig. Das Schinken-Käse-Salat-Sandwich schmeckte wunderbar.
Nachdem sie es gegessen hatte, ging sie einem Impuls folgend mit dem Becher in der Hand zur Gartentür. Auf der Arbeitsfläche daneben lag ein Schlüssel. Sie nahm ihn, schloss die Tür auf und trat nach draußen.
In der tief stehenden, frühherbstlichen Sonne war es angenehm warm. Amber stand einfach nur da, schlürfte ihren Tee und schaute sich um. Der Garten war völlig verwildert und von Bäumen eingeschlossen, deren gelbes Laub schwer herabhing. Hier blühte noch mehr Kapuzinerkresse und kroch mit ihren hübschen Blüten überallhin.
Wenn ich hier ein bisschen jäte, wird das nächsten Sommer bestimmt toll aussehen...
"Amber, du bist hier!", flüsterte sie und lief den rissigen Betonweg entlang. "Hier!"
Sie dachte an ihre albtraumhafte Reise und an alles, was zuvor passiert war.
Der Sommer war grässlich gewesen. Er hätte super sein sollen, denn sie hatte den Schulabschluss geschafft und wollte feiern, aber dann war alles schiefgelaufen. Eigentlich hatte sie mit drei Mädchen, die sie erst seit der Oberstufe kannte, auf die Seychellen fliegen wollen, wo sie für zwei Wochen eine Ferienwohnung gemietet hatten. Zum ersten Mal hatte sie etwas ganz allein unternehmen wollen - es wäre sicherlich toll geworden. Aber zehn Tage vor dem Abflug war Poppy wieder krank geworden.
Poppy war ihre zwei Jahre jüngere Halbschwester. Sie war "äußerst sensibel" und litt unter Panikattacken und Depressionsschüben. Ihre Mutter wurde damit nicht allein fertig, nicht ohne den Schulalltag, nicht wenn Poppy sich weigerte, sich anzuziehen oder vernünftig zu essen, und wenn sie weinte, ständig weinte ...
Amber konnte sie nicht im Stich lassen. Sie durfte nicht so egoistisch sein.
Nun stand sie auf dem rissigen Gartenweg und trank noch einen Schluck Tee. Sie erinnerte sich an das makellos reine, gute, leere Gefühl, nachdem sie ihre Reise storniert hatte. Es hatte sie eine Menge Geld gekostet, ihre Freundinnen waren ziemlich sauer auf sie gewesen und jetzt wahrscheinlich nicht mehr ihre Freundinnen, aber ihre Mutter hatte vor Dankbarkeit geweint, und Amber wusste, dass sie das Richtige getan hatte.
Dann hatte Poppy sich wieder erholt, und zwar erstaunlich schnell. Amber hätte sich darüber freuen sollen, aber irgendwie konnte sie das nicht. Stattdessen stieg Wut in ihr auf, vorwurfsvolle, verwirrte Wut, die wuchs und wuchs. Sie hatte sich nicht einmal darüber freuen können, dass sie ihre Abschlussprüfungen super bestanden hatte.
"Es tut mir ja so leid wegen deinen Ferien, Schätzchen", hatte ihre Mutter gesagt. "Aber es wird bestimmt noch andere Gelegenheiten geben, meinst du nicht? Du hast doch so viel Glück. Nicht wie die arme Poppy. Sie wird vielleicht nie Urlaub machen können."
Amber hatte sich stundenlang in ihrem Zimmer eingeschlossen und im Internet gesurft. Sie hatte sich alle Reiserouten nach Mexiko, Indien und Kambodscha angesehen, alle beängstigend exotisch und höchst verlockend und ganz und gar ausgeschlossen, weil sie bald mit dem Studium beginnen würde. Zur Uni in der Nachbarstadt brauchte sie nur fünfundvierzig Minuten mit dem Bus, was bedeutete, dass sie sicher und wohlbehalten zu Hause wohnen bleiben und wie immer unterstützen und helfen konnte.
Dann war sie eines Nachmittags auf eine Internetseite mit WG-Zimmern gestoßen. Die Auswahl war riesig gewesen: Überall im Land konnte man Zimmer mieten. Amber begann mit einigen Wohngemeinschaften einen Briefwechsel, in Schottland, Cornwall, Leicester. In ihren Briefen erfand sie sich neu und fand es toll, so ihrem eigentlichen Leben entfliehen zu können. Sie erzählte den WG-Bewohnern, sie hätte ursprünglich zwischen der Schule und der Uni eine Auszeit geplant, aber ihr Plan wäre ins Wasser gefallen (sie deutete eine gescheiterte Beziehung an) und jetzt wollte sie einfach eine Zeit lang weg von zu Hause, ein bisschen jobben und sich neu sortieren ...
Als sie das tippte, klang das ganz normal, so eine Geschichte hätte jedem passieren können. Die Leute aus den WGs fanden das ebenfalls ganz normal. Das Haus in Cornwall war ganz besonders an ihr als Mitbewohnerin interessiert. Die WG-Bewohner begannen dort an der Uni gerade ihr zweites Studienjahr und irgendjemand war kurzfristig ausgezogen, sie konnten sich aber kein leer stehendes Zimmer leisten. Amber würde bestimmt alles toll finden, die Landschaft wäre wunderschön, und es gäbe auch Jobs, weil viele Leute nach der Sommersaison kündigen und fortziehen würden .
Plötzlich nahm die Idee, wegzugehen, durch das Schreiben und die Anteilnahme anderer Menschen Gestalt an, wurde real. Auf einmal konnte sie es sich wirklich vorstellen.
Sie erzählte ihrer Mutter und ihrer Halbschwester nicht, dass sie die Uni angeschrieben hatte und dass ihr problemlos ein Aufschub von einem Jahr gewährt worden war. Dann einigte sie sich mit der WG in Cornwall über die Miete und das Datum ihres Einzugs.
Erst als sie die Fahrkarte bezahlt hatte, war ihr klar geworden, dass es nun kein Spiel mehr war, dass sie wirklich wegging. Sie stellte eine Liste der Dinge zusammen, die sie mitnehmen wollte. Sie kaufte ein paar neue Klamotten, einen Bett- und einen Kopfkissenbezug (man hatte ihr gemailt, es sei zwar ein Einzelbett, aber sehr breit) und Handtücher und versteckte alles unter ihrem Bett.
Sie fühlte sich ganz gespalten. Die eine Hälfte erledigte die geheime Planung und die andere Hälfte funktionierte wie immer in ihrer beengten, isolierten Familie. Sie half ihrer Mutter bei der Hausarbeit und verbrachte viel Zeit mit Poppy, damit die nicht wieder Depressionen bekam.
Die zweite Hälfte war starr vor Schuldgefühlen wegen dem, was die erste Hälfte vorhatte. Drei Tage vor ihrer Abreise nahm Amber allen Mut zusammen und sagte ihrer Mutter und Poppy, dass sie von einer Freundin in Cornwall eingeladen worden sei, vor Semesterbeginn zwei Wochen dort zu verbringen. Ihre Mutter hatte sie entsetzt angesehen, denn das hieß, dass sie allein mit Poppy fertig werden musste, die zur Oberstufe auf eine andere Schule wechselte. Aber weil sie wegen Ambers Verzicht auf den Seychellenurlaub immer noch ein schlechtes Gewissen hatte, versuchte sie, großzügig zu sein. Sie ermahnte sogar Poppy, als die losjammerte, dass sie gern mitfahren würde und dass das ungerecht sei und dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie richtige Ferien gemacht habe und dass Amber jetzt ganz allein wegfahren würde.
Niemand hatte Amber angeboten, ihr bei den Reisevorbereitungen zu helfen, auf diesen Gedanken waren ihre Mutter und Poppy gar nicht gekommen, denn Amber war ja die starke Tochter und Schwester. Es war schon sehr großzügig, dass sie sie überhaupt wegließen.
Amber fuhr schwach vor Angst um sechs Uhr morgens zum Bahnhof, sie hatte die beiden wie verabredet nicht geweckt, weil sie ihr "Tschüss" und verlogenes "Bis bald!" schon am Abend zuvor gesagt hatte.
Und jetzt war sie hier, stand in diesem verwilderten Garten und wollte ins Haus gehen und sich ihr neues Zimmer ansehen. Sie wusste, dass sie ihrer Mutter irgendwann sagen musste, dass sie nicht zurückkam, um mit dem Studium zu beginnen, sondern dass sie noch Monate, vielleicht sogar ein ganzes Jahr in Cornwall bleiben würde, und das lastete zentnerschwer auf ihrer Seele.
3
"Wer zum Teufel bist du?"
Der Junge, der neben dem Kühlschrank stand, war ganz anders als alle Jungs, die Amber kannte, und sie konnte es kaum fassen, dass er überhaupt mit ihr redete. Seine Frage schien sehr berechtigt. Wer, zum Teufel, war sie?
Dann grinste er breit und sagte: "Scheiße - 'tschuldige! Unsere neue Mitbewohnerin, ja? Das Gepäck im Flur hätte mich draufbringen können - aber ich hatte nicht erwartet, dass du aus dem Garten kommst."
"Tut mir leid", murmelte Amber und sah auf den Boden. Dann zwang sie sich, ihn wieder anzuschauen. Er war groß, schlank und lässig, hatte lange dunkle Haare und strahlte sie an.
"Schon gut. Also - ich bin Rory. Und du bist ...?"
"Amber."
"Amber, Amber, na klar, Kaz hat's mir gesagt. Also -willkommen in der Merral Road! Gefällt dir dein Zimmer?"
"Ich ... äh, ich wollte gerade hochgehen und es mir ansehen."
"Du hast es noch nicht gesehen? Dann mal los. Ich helf dir mit dem Koffer."
Er schlenderte in den Flur, Amber folgte ihm.
"Wann bist du angekommen?", wollte er wissen.
"Och, gerade erst", antwortete sie hastig. "Ich war am Verhungern, deshalb ..."
"... gingst du in den Garten, um nach Beeren zu suchen." Er drehte sich um, sein Grinsen reichte von einem Ohrläppchen zum anderen. "Das war ein Witz! Komm." Er hob ihren Koffer hoch und schleppte ihn zur Treppe. "Mann, was hast du denn da drin? Steine?"
Sie lachte aufgeregt und hob den hinteren Teil des Koffers mit den nutzlosen Rädchen an. Zusammen wuchteten sie ihn die breite, steile Treppe hoch, an deren Ende ein prächtiger Spiegel in einem vergoldeten Rahmen hing. Rory stieg rückwärts Stufe für Stufe die Treppe hinauf, doch sie konnte ihm nicht ins Gesicht schauen, obwohl es ihr zugewandt war. Sie roch aber Zigarettenatem und irgendein Männerdeo und hörte ihn keuchen .
"Ich muss mit dem Rauchen aufhören", sagte er. "Das schafft mich total. Hey - hör auf, meinen Arsch im Spiegel anzuglotzen."
Amber quiekte: "Hab ich gar nicht!" und zwang sich zu lachen, während sie sich fragte, wie man sich wohl fühlte, wenn man so selbstsicher war und solche Bemerkungen machen konnte.
Verzweifelt versuchte sie, das Thema zu wechseln. "Er muss ein Vermögen wert sein."
"Mein Arsch?"
"Der Spiegel! Er ist wunderschön." "Ja, aber er ist irgendwie in die Wand gemauert. Sonst würde ich ihn verhökern. Komm, schieb mal...!"
Beide stemmten den Koffer hoch, bis er auf dem Treppenabsatz stand. Rory richtete sich auf und grinste sie an. Amber lächelte verkrampft zurück.
"Der Spiegel ist nicht das einzige wertvolle Stück hier", sagte er im Plauderton. "Es gibt Schränke, Stühle, Tische - lauter Antiquitäten. Der Vermieter sagt, manches würde noch von den Leuten stammen, die früher hier gewohnt haben."
"Wow. Warum verkauft er sie nicht?"
"Keine Ahnung. Manche Sachen sind ziemlich marode . Wahrscheinlich hat er sich nie dazu aufraffen können." Rory hob den Koffer wieder hoch, stapfte den Flur entlang und sagte: "Das ist dein Zimmer."
Er öffnete die Tür, und Ambers erster Gedanke war: Wie praktisch.
Sie wollte sich nicht in das Zimmer verlieben, wie sie es mit ihrem Zimmer zu Hause gemacht hatte, das ihre Höhle, ihre Zuflucht war. Nein, dieses Zimmer sollte der Ausgangspunkt sein für ein neues Leben. Es war geräumig, quadratisch, das Fenster ging hinaus auf den Garten. Es gab, wie versprochen, das breite Einzelbett, eine Kommode, auf der ein alter Spiegel stand, und einen großen Kleiderschrank aus Eiche. Alles, was man als Lebensgrundlage brauchte.
"Ziemlich trostlos, oder?", sagte Rory. "Scheußliche Gardinen."
"Ja." Amber fand sie eigentlich ganz nett - sie waren aus den Siebzigern, sandfarben mit einem Palmwedelmuster. Sie überlegte, was sie in dem Zimmer verändern würde, um es zu ihrem zu machen.
"Häng einfach ein paar Poster an die Wand, dann ist es gar nicht so schlecht", sagte Rory. Er gähnte und ging rückwärts auf den Flur. "Das ist das Bad", er zeigte auf eine Tür, "das ist Bens Zimmer, das ist der Wäscheschrank und dahinten ist Chrissies Zimmer - Kaz und ich schlafen unten. Nicht zusammen, möchte ich betonen."
Neben Bens Tür hinter dem Wäscheschrank, der neben dem Riesenspiegel eingebaut war, gab es noch eine Treppe in einem seltsamen, irgendwie düsteren Licht, die viel schmaler und steiler als die Haupttreppe war.
"Ist hier drüber noch ein Stockwerk?", fragte Amber. "Klar, der Dachboden." "Wofür wird er benutzt?" "Als Müllhalde."
"Kann man den nicht auch vermieten?"
Rory zuckte mit den Schultern. "Es gibt für das ganze Haus nur ein Badezimmer - abgesehen von der Möchtegern-Dusche im Erdgeschoss -, deshalb geht das nicht."
"Schon, aber wenn der Vermieter aus einer der Dachkammern ein Bad macht ...""Die Dachzimmer sind ziemlich mickrig. Niedrige, winzige Kämmerchen. Außerdem glaub ich kaum, dass der Vermieter sich den Arsch aufreißt, um in dem Haus was zu verbessern - hier wollen nicht viele Leute wohnen, bloß Studenten und Deppen wie du."
Schließlich hatte er in einer schmalen Sackgasse ohne Straßenschild angehalten. Sie endete in einem bewaldeten Brachland, die Mehrfamilienhäuser links und rechts waren hoch und schmalbrüstig, die meisten von ihnen sahen heruntergekommen aus. Der Taxifahrer hatte Amber gesagt, sie solle aussteigen und an einer der Haustüren klingeln und fragen, aber sie hatte sich nicht gerührt und so getan, als habe sie ihn nicht gehört. Als der Fahrer schließlich fluchend ausstieg, kam gerade ein Mann mit einem Hund aus dem Wald und der Taxifahrer rief ihm die Frage zu. Der Mann meinte, er sei sich ziemlich sicher, dass das die Merral Road oder möglicherweise auch der Merral Way wäre, jedenfalls irgendwas mit Merral. Dann hatte der Fahrer die Hausnummer siebzehn gefunden und jetzt war Amber allein.
Sie schleppte ihren tonnenschweren Koffer bis zur Haustür. In den Ziegelstein über der Tür war ein Datum eingemeißelt: "1887". Kapuzinerkresse schlängelte sich über den Boden, unter den großen runden Blättern verbargen sich gelbe und orangerote Blüten. Abgestorbene Äste und Zweige lagen in den moosbewachsenen Ecken der Veranda. Das ganze Anwesen wirkte, als habe es seit langer Zeit niemand mehr betreten. Das war seltsam, denn eigentlich sollte hier eine Studenten-WG wohnen. Amber hob den Türklopfer hoch, und obwohl sie ahnte, dass niemand kommen würde, ließ sie ihn herabfallen.
Stille, nur das Echo des Klopfers.
Sie ließ ihn noch einmal bummern. Dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Amber war mit Schlüsseln noch nie gut klargekommen. Sie geriet immer schnell in
Panik und versuchte sie dann mit Gewalt herumzudrehen, sie hatte einfach kein Gefühl dafür.
Aber dieser Schlüssel war anders.
Es war nur ein Schlüssel, der in einem Schloss steckte und sich langsam, widerwillig drehen ließ, aber er drehte sich. Es war nur eine Tür, die knarrend weit aufschwang und in eine staubige Diele führte. Aber Amber wurde ganz schwindlig davon. Ihr war, als würden sich die alten rot-schwarzen Bodenfliesen zu ihr emporschwingen und sie begrüßen.
Sie wuchtete den Koffer über die Schwelle. Durch eine halb geöffnete Tür am Ende der großen Diele drang Sonnenlicht.
Sie stellte den Koffer ab und ging darauf zu.
2
Hi, Amber! stand auf dem Zettel, der an einem Becher mit Dinosauriermotiv lehnte.
Willkommen in unserem Dreckloch - leider sind wir nicht da. Mama Kaz hat für dich ein Sandwich in den Kühlschrank gestellt. Dein Zimmer ist das erste rechts im ersten Stock. Hoffentlich ist es okay! Wir sind so gegen sechs, sieben zurück. Ich bin mit Kochen dran - dein Glück!! Ben
Amber nahm den Zettel in die Hand und betrachtete ihn noch mal kurz, dann legte sie ihn wieder auf den kleinen Tisch aus Kiefernholz und sah sich um. Sie stand in einer mittelgroßen, freundlichen Küche mit ramponierten Einbauschränken. Vor dem Fenster war eine altmodische tiefe Spüle, eine breite Glastür führte in einen Garten mit Bäumen und Sträuchern und ließ die Sonne herein.
Amber ging zur Spüle, ließ Wasser in den Elektrokocher laufen und schaltete ihn an. Sie öffnete die Kühlschranktür (die von Magneten übersät war - unter
anderem von einer Comic-Katze, einem Delphin, Obst und roten und grünen Buchstaben, die den Satz ABWASCHEN RORY DU ARSCH bildeten) und nahm eine Flasche Milch und ein großes Weißbrot-Sandwich heraus, das unter Klarsichtfolie auf einem Teller lag. Dann ging sie zum Kocher und brühte sich in dem Dinosaurierbecher Tee auf.
Plötzlich fühlte sie sich euphorisch. Sie war zwar fertig mit den Nerven und mordshungrig, aber euphorisch.
Ich bin abgehauen. Ich hab's getan. Ich bin hier!
Sie setzte sich an den Tisch und schlürfte den heißen süßen Tee, der ihr wie eine Droge in die Adern schoss. Dann wickelte sie das Sandwich aus und biss hinein, kaute und schluckte, und während ihr Magen sich füllte, kam wieder Leben in sie.
Danke, Mama Kaz, dachte sie inbrünstig. Das Schinken-Käse-Salat-Sandwich schmeckte wunderbar.
Nachdem sie es gegessen hatte, ging sie einem Impuls folgend mit dem Becher in der Hand zur Gartentür. Auf der Arbeitsfläche daneben lag ein Schlüssel. Sie nahm ihn, schloss die Tür auf und trat nach draußen.
In der tief stehenden, frühherbstlichen Sonne war es angenehm warm. Amber stand einfach nur da, schlürfte ihren Tee und schaute sich um. Der Garten war völlig verwildert und von Bäumen eingeschlossen, deren gelbes Laub schwer herabhing. Hier blühte noch mehr Kapuzinerkresse und kroch mit ihren hübschen Blüten überallhin.
Wenn ich hier ein bisschen jäte, wird das nächsten Sommer bestimmt toll aussehen...
"Amber, du bist hier!", flüsterte sie und lief den rissigen Betonweg entlang. "Hier!"
Sie dachte an ihre albtraumhafte Reise und an alles, was zuvor passiert war.
Der Sommer war grässlich gewesen. Er hätte super sein sollen, denn sie hatte den Schulabschluss geschafft und wollte feiern, aber dann war alles schiefgelaufen. Eigentlich hatte sie mit drei Mädchen, die sie erst seit der Oberstufe kannte, auf die Seychellen fliegen wollen, wo sie für zwei Wochen eine Ferienwohnung gemietet hatten. Zum ersten Mal hatte sie etwas ganz allein unternehmen wollen - es wäre sicherlich toll geworden. Aber zehn Tage vor dem Abflug war Poppy wieder krank geworden.
Poppy war ihre zwei Jahre jüngere Halbschwester. Sie war "äußerst sensibel" und litt unter Panikattacken und Depressionsschüben. Ihre Mutter wurde damit nicht allein fertig, nicht ohne den Schulalltag, nicht wenn Poppy sich weigerte, sich anzuziehen oder vernünftig zu essen, und wenn sie weinte, ständig weinte ...
Amber konnte sie nicht im Stich lassen. Sie durfte nicht so egoistisch sein.
Nun stand sie auf dem rissigen Gartenweg und trank noch einen Schluck Tee. Sie erinnerte sich an das makellos reine, gute, leere Gefühl, nachdem sie ihre Reise storniert hatte. Es hatte sie eine Menge Geld gekostet, ihre Freundinnen waren ziemlich sauer auf sie gewesen und jetzt wahrscheinlich nicht mehr ihre Freundinnen, aber ihre Mutter hatte vor Dankbarkeit geweint, und Amber wusste, dass sie das Richtige getan hatte.
Dann hatte Poppy sich wieder erholt, und zwar erstaunlich schnell. Amber hätte sich darüber freuen sollen, aber irgendwie konnte sie das nicht. Stattdessen stieg Wut in ihr auf, vorwurfsvolle, verwirrte Wut, die wuchs und wuchs. Sie hatte sich nicht einmal darüber freuen können, dass sie ihre Abschlussprüfungen super bestanden hatte.
"Es tut mir ja so leid wegen deinen Ferien, Schätzchen", hatte ihre Mutter gesagt. "Aber es wird bestimmt noch andere Gelegenheiten geben, meinst du nicht? Du hast doch so viel Glück. Nicht wie die arme Poppy. Sie wird vielleicht nie Urlaub machen können."
Amber hatte sich stundenlang in ihrem Zimmer eingeschlossen und im Internet gesurft. Sie hatte sich alle Reiserouten nach Mexiko, Indien und Kambodscha angesehen, alle beängstigend exotisch und höchst verlockend und ganz und gar ausgeschlossen, weil sie bald mit dem Studium beginnen würde. Zur Uni in der Nachbarstadt brauchte sie nur fünfundvierzig Minuten mit dem Bus, was bedeutete, dass sie sicher und wohlbehalten zu Hause wohnen bleiben und wie immer unterstützen und helfen konnte.
Dann war sie eines Nachmittags auf eine Internetseite mit WG-Zimmern gestoßen. Die Auswahl war riesig gewesen: Überall im Land konnte man Zimmer mieten. Amber begann mit einigen Wohngemeinschaften einen Briefwechsel, in Schottland, Cornwall, Leicester. In ihren Briefen erfand sie sich neu und fand es toll, so ihrem eigentlichen Leben entfliehen zu können. Sie erzählte den WG-Bewohnern, sie hätte ursprünglich zwischen der Schule und der Uni eine Auszeit geplant, aber ihr Plan wäre ins Wasser gefallen (sie deutete eine gescheiterte Beziehung an) und jetzt wollte sie einfach eine Zeit lang weg von zu Hause, ein bisschen jobben und sich neu sortieren ...
Als sie das tippte, klang das ganz normal, so eine Geschichte hätte jedem passieren können. Die Leute aus den WGs fanden das ebenfalls ganz normal. Das Haus in Cornwall war ganz besonders an ihr als Mitbewohnerin interessiert. Die WG-Bewohner begannen dort an der Uni gerade ihr zweites Studienjahr und irgendjemand war kurzfristig ausgezogen, sie konnten sich aber kein leer stehendes Zimmer leisten. Amber würde bestimmt alles toll finden, die Landschaft wäre wunderschön, und es gäbe auch Jobs, weil viele Leute nach der Sommersaison kündigen und fortziehen würden .
Plötzlich nahm die Idee, wegzugehen, durch das Schreiben und die Anteilnahme anderer Menschen Gestalt an, wurde real. Auf einmal konnte sie es sich wirklich vorstellen.
Sie erzählte ihrer Mutter und ihrer Halbschwester nicht, dass sie die Uni angeschrieben hatte und dass ihr problemlos ein Aufschub von einem Jahr gewährt worden war. Dann einigte sie sich mit der WG in Cornwall über die Miete und das Datum ihres Einzugs.
Erst als sie die Fahrkarte bezahlt hatte, war ihr klar geworden, dass es nun kein Spiel mehr war, dass sie wirklich wegging. Sie stellte eine Liste der Dinge zusammen, die sie mitnehmen wollte. Sie kaufte ein paar neue Klamotten, einen Bett- und einen Kopfkissenbezug (man hatte ihr gemailt, es sei zwar ein Einzelbett, aber sehr breit) und Handtücher und versteckte alles unter ihrem Bett.
Sie fühlte sich ganz gespalten. Die eine Hälfte erledigte die geheime Planung und die andere Hälfte funktionierte wie immer in ihrer beengten, isolierten Familie. Sie half ihrer Mutter bei der Hausarbeit und verbrachte viel Zeit mit Poppy, damit die nicht wieder Depressionen bekam.
Die zweite Hälfte war starr vor Schuldgefühlen wegen dem, was die erste Hälfte vorhatte. Drei Tage vor ihrer Abreise nahm Amber allen Mut zusammen und sagte ihrer Mutter und Poppy, dass sie von einer Freundin in Cornwall eingeladen worden sei, vor Semesterbeginn zwei Wochen dort zu verbringen. Ihre Mutter hatte sie entsetzt angesehen, denn das hieß, dass sie allein mit Poppy fertig werden musste, die zur Oberstufe auf eine andere Schule wechselte. Aber weil sie wegen Ambers Verzicht auf den Seychellenurlaub immer noch ein schlechtes Gewissen hatte, versuchte sie, großzügig zu sein. Sie ermahnte sogar Poppy, als die losjammerte, dass sie gern mitfahren würde und dass das ungerecht sei und dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie richtige Ferien gemacht habe und dass Amber jetzt ganz allein wegfahren würde.
Niemand hatte Amber angeboten, ihr bei den Reisevorbereitungen zu helfen, auf diesen Gedanken waren ihre Mutter und Poppy gar nicht gekommen, denn Amber war ja die starke Tochter und Schwester. Es war schon sehr großzügig, dass sie sie überhaupt wegließen.
Amber fuhr schwach vor Angst um sechs Uhr morgens zum Bahnhof, sie hatte die beiden wie verabredet nicht geweckt, weil sie ihr "Tschüss" und verlogenes "Bis bald!" schon am Abend zuvor gesagt hatte.
Und jetzt war sie hier, stand in diesem verwilderten Garten und wollte ins Haus gehen und sich ihr neues Zimmer ansehen. Sie wusste, dass sie ihrer Mutter irgendwann sagen musste, dass sie nicht zurückkam, um mit dem Studium zu beginnen, sondern dass sie noch Monate, vielleicht sogar ein ganzes Jahr in Cornwall bleiben würde, und das lastete zentnerschwer auf ihrer Seele.
3
"Wer zum Teufel bist du?"
Der Junge, der neben dem Kühlschrank stand, war ganz anders als alle Jungs, die Amber kannte, und sie konnte es kaum fassen, dass er überhaupt mit ihr redete. Seine Frage schien sehr berechtigt. Wer, zum Teufel, war sie?
Dann grinste er breit und sagte: "Scheiße - 'tschuldige! Unsere neue Mitbewohnerin, ja? Das Gepäck im Flur hätte mich draufbringen können - aber ich hatte nicht erwartet, dass du aus dem Garten kommst."
"Tut mir leid", murmelte Amber und sah auf den Boden. Dann zwang sie sich, ihn wieder anzuschauen. Er war groß, schlank und lässig, hatte lange dunkle Haare und strahlte sie an.
"Schon gut. Also - ich bin Rory. Und du bist ...?"
"Amber."
"Amber, Amber, na klar, Kaz hat's mir gesagt. Also -willkommen in der Merral Road! Gefällt dir dein Zimmer?"
"Ich ... äh, ich wollte gerade hochgehen und es mir ansehen."
"Du hast es noch nicht gesehen? Dann mal los. Ich helf dir mit dem Koffer."
Er schlenderte in den Flur, Amber folgte ihm.
"Wann bist du angekommen?", wollte er wissen.
"Och, gerade erst", antwortete sie hastig. "Ich war am Verhungern, deshalb ..."
"... gingst du in den Garten, um nach Beeren zu suchen." Er drehte sich um, sein Grinsen reichte von einem Ohrläppchen zum anderen. "Das war ein Witz! Komm." Er hob ihren Koffer hoch und schleppte ihn zur Treppe. "Mann, was hast du denn da drin? Steine?"
Sie lachte aufgeregt und hob den hinteren Teil des Koffers mit den nutzlosen Rädchen an. Zusammen wuchteten sie ihn die breite, steile Treppe hoch, an deren Ende ein prächtiger Spiegel in einem vergoldeten Rahmen hing. Rory stieg rückwärts Stufe für Stufe die Treppe hinauf, doch sie konnte ihm nicht ins Gesicht schauen, obwohl es ihr zugewandt war. Sie roch aber Zigarettenatem und irgendein Männerdeo und hörte ihn keuchen .
"Ich muss mit dem Rauchen aufhören", sagte er. "Das schafft mich total. Hey - hör auf, meinen Arsch im Spiegel anzuglotzen."
Amber quiekte: "Hab ich gar nicht!" und zwang sich zu lachen, während sie sich fragte, wie man sich wohl fühlte, wenn man so selbstsicher war und solche Bemerkungen machen konnte.
Verzweifelt versuchte sie, das Thema zu wechseln. "Er muss ein Vermögen wert sein."
"Mein Arsch?"
"Der Spiegel! Er ist wunderschön." "Ja, aber er ist irgendwie in die Wand gemauert. Sonst würde ich ihn verhökern. Komm, schieb mal...!"
Beide stemmten den Koffer hoch, bis er auf dem Treppenabsatz stand. Rory richtete sich auf und grinste sie an. Amber lächelte verkrampft zurück.
"Der Spiegel ist nicht das einzige wertvolle Stück hier", sagte er im Plauderton. "Es gibt Schränke, Stühle, Tische - lauter Antiquitäten. Der Vermieter sagt, manches würde noch von den Leuten stammen, die früher hier gewohnt haben."
"Wow. Warum verkauft er sie nicht?"
"Keine Ahnung. Manche Sachen sind ziemlich marode . Wahrscheinlich hat er sich nie dazu aufraffen können." Rory hob den Koffer wieder hoch, stapfte den Flur entlang und sagte: "Das ist dein Zimmer."
Er öffnete die Tür, und Ambers erster Gedanke war: Wie praktisch.
Sie wollte sich nicht in das Zimmer verlieben, wie sie es mit ihrem Zimmer zu Hause gemacht hatte, das ihre Höhle, ihre Zuflucht war. Nein, dieses Zimmer sollte der Ausgangspunkt sein für ein neues Leben. Es war geräumig, quadratisch, das Fenster ging hinaus auf den Garten. Es gab, wie versprochen, das breite Einzelbett, eine Kommode, auf der ein alter Spiegel stand, und einen großen Kleiderschrank aus Eiche. Alles, was man als Lebensgrundlage brauchte.
"Ziemlich trostlos, oder?", sagte Rory. "Scheußliche Gardinen."
"Ja." Amber fand sie eigentlich ganz nett - sie waren aus den Siebzigern, sandfarben mit einem Palmwedelmuster. Sie überlegte, was sie in dem Zimmer verändern würde, um es zu ihrem zu machen.
"Häng einfach ein paar Poster an die Wand, dann ist es gar nicht so schlecht", sagte Rory. Er gähnte und ging rückwärts auf den Flur. "Das ist das Bad", er zeigte auf eine Tür, "das ist Bens Zimmer, das ist der Wäscheschrank und dahinten ist Chrissies Zimmer - Kaz und ich schlafen unten. Nicht zusammen, möchte ich betonen."
Neben Bens Tür hinter dem Wäscheschrank, der neben dem Riesenspiegel eingebaut war, gab es noch eine Treppe in einem seltsamen, irgendwie düsteren Licht, die viel schmaler und steiler als die Haupttreppe war.
"Ist hier drüber noch ein Stockwerk?", fragte Amber. "Klar, der Dachboden." "Wofür wird er benutzt?" "Als Müllhalde."
"Kann man den nicht auch vermieten?"
Rory zuckte mit den Schultern. "Es gibt für das ganze Haus nur ein Badezimmer - abgesehen von der Möchtegern-Dusche im Erdgeschoss -, deshalb geht das nicht."
"Schon, aber wenn der Vermieter aus einer der Dachkammern ein Bad macht ...""Die Dachzimmer sind ziemlich mickrig. Niedrige, winzige Kämmerchen. Außerdem glaub ich kaum, dass der Vermieter sich den Arsch aufreißt, um in dem Haus was zu verbessern - hier wollen nicht viele Leute wohnen, bloß Studenten und Deppen wie du."
... weniger
Autoren-Porträt von Kate Cann
Kate Cann, 1954 in London geboren, arbeitete als Lektorin, bevor sie sich selbst dem Schreiben zuwandte. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kate Cann
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2008, 400 Seiten, Maße: 12,5 x 18,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Nina Schindler
- Verlag: cbt
- ISBN-10: 3570304299
- ISBN-13: 9783570304297
Rezension zu „Poppy braucht dich “
»Gruseliger Psychothriller mit richtig beängstigenden Passagen.«
Kommentare zu "Poppy braucht dich"
0 Gebrauchte Artikel zu „Poppy braucht dich“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Poppy braucht dich".
Kommentar verfassen