Ravel
Alles ist von ihm da: seine 60 Hemden, 20 Paar Schuhe und 75 Krawatten in der Luxuskabine der "France", die ihn nach Amerika bringt, auf dem...
Alles ist von ihm da: seine 60 Hemden, 20 Paar Schuhe und 75 Krawatten in der Luxuskabine der "France", die ihn nach Amerika bringt, auf dem Gipel des Ruhms seine viermonatige triumphale Tournee 1928, Carnegie Hall, Boston, Detroit, Milwaukee, Seattle, die 53. Geburtstagsfeier mit Gershwin, Hollywood mit Douglas Fairbanks und Chaplin, in Wien der kriegsversehrte Paul Wittgenstein, für den er das Konzert "Für die linke Hand" komponiert, der gefeierte, aber introvertierte Dandy an den mondänen Orten der Welt, seine Schlaflosigkeit, die ohne Ende gerauchten Gauloises, seine Manie, nicht ohne Lackschuhe auftreten zu können, der griesgrämige, allein lebende Sonderling, der geniale Musiker, seine notorische Vergesslichkeit, die ihm von König von Rumänien noch verziehen wird, aber an seinem tragischen Ende muss er nach dem Namen des Komponisten seines "Streichquartetts" fragen, und die Welt kommt ihm abhanden, bis er 1937 an einer Gehirnkrankheit stirbt - all dies sind biographische Elemente, recherchierte Zeugnisse, aber alles zusammen ist alles andere als eine Biographie. Sondern ein funkelnder "Echenoz", dessen fiktiver Held den Namen eines der berühmtesten französischen Komponisten des 20. Jahrhunderts trägt: Maurice Ravel.
Alles ist von ihm da: seine 60 Hemden, 20 Paar Schuhe und 75 Krawatten in der Luxuskabine der "France", die ihn nach Amerika bringt, auf dem Gipel des Ruhms seine viermonatige triumphale Tournee 1928, Carnegie Hall, Boston, Detroit, Milwaukee, Seattle, die 53. Geburtstagsfeier mit Gershwin, Hollywood mit Douglas Fairbanks und Chaplin, in Wien der kriegsversehrte Paul Wittgenstein, für den er das Konzert "Für die linke Hand" komponiert, der gefeierte, aber introvertierte Dandy an den mondänen Orten der Welt, seine Schlaflosigkeit, die ohne Ende gerauchten Gauloises, seine Manie, nicht ohne Lackschuhe auftreten zu können, der griesgrämige, allein lebende Sonderling, der geniale Musiker, seine notorische Vergesslichkeit, die ihm von König von Rumänien noch verziehen wird, aber an seinem tragischen Ende muss er nach dem Namen des Komponisten seines "Streichquartetts" fragen , und die Welt kommt ihm abhanden, bis er 1937 an einer Gehirnkrankheit stirbt - all dies sind biographische Elemente, recherchierte Zeugnisse, aber alles zusammen ist alles andere als eine Biographie. Sondern ein funkelnder "Echenoz", dessen fiktiver Held den Namen eines der berühmtesten französischen Komponisten des 20. Jahrhunderts trägt: Maurice Ravel.
Ravel vonJeanEchenoz
LESEPROBE
1
Bisweilenringt man mit sich, ob man wirklich aus der Badewanne steigen soll. Erstens istes bedauerlich, das warme Wasser zu verlassen, in dem ausgefallene Haare sich zwischenabgerubbelten Hautpartikelnum Seifenblasen ringeln, und sich der brutalen Lufteines ungenügend beheizten Hauses auszusetzen. Sodann ist es stets eineumständliche Unternehmung, zumal, wenn der Rand dieser auf Greifenfüßenstehenden Wanne recht hoch ist und man selbst von geringem Wuchs, über ihn hinwegzusteigen,um mit suchendem Zeh nach den rutschigen Badezimmerfliesen zu tasten. Da heißtes Umsicht walten lassen, um sich weder am Wannenrand den Schritt zu prellennoch auszurutschen und böse hinzuschlagen. Dies Ärgernis ließe sich natürlichdurch eine maßgefertigte Badewanne lösen, doch das würde eine Ausgabe bedeuten,eine vielleicht noch größere als gerade kürzlich die Installation derZentralheizung, die immer noch nicht den Ansprüchen genügt. Besser, man bleibtim Wasser sitzen, bis zum Hals, stundenlang, wenn nicht gleich endlos, unddreht immer mal wieder mit dem rechten Fuß den Warmwasserhahn auf, um einbisschen nachlaufen zu lassen und durch diese Thermostatstellung dieFruchtwassertemperatur angenehm zu regeln.
Aber esmuss ein Ende haben, wie immer drängt vielleicht schon die Zeit, keine Stundemehr, und Hélène Jourdan-Morhange ist da. Folglich entsteigt Ravel seinerWanne, wonach er sich, abgetrocknet, in einen kostbar perlgrauen Morgenmantelhüllt und sich die Zähne putzt, mit seiner Zahnbürste mit abgewinkeltem Kopf,sich dann rasiert, ohne ein Härchen zu übersehen, sich kämmt, ohne eine Strähnezu vernachlässigen, und sich ein lästiges Augenbrauenhaar auszupft, das überNacht antennengleich gesprossen ist. Dann nimmt er vom Frisiertisch einLuxus-Nagelpflege-Etui in erstklassigem Lammnappa mit Eidechsleder-Struktur undSatinfutter, das griffbereit zwischen den Haarbürsten, Elfenbeinkämmen undParfümflacons liegt, und nutzt den Umstand, dass das warme Wasser dieFingernägel angeweicht hat, um sie schmerzlos auf die gewünschte Länge zukürzen. Durch das kunstreich angebrachte Badezimmerfenster wirft er einen Blickin den unter den kahlen Bäumen schwarz-weiß daliegenden Garten, der kurzgemähteRasen ist wie tot, der Springbrunnen von der Kälte gelähmt. Es ist einer derletzten Tage des Jahres 1927, es ist früh am Tage. Nachdem er wie jede Nachtschlecht und zu wenig geschlafen hat, ist Ravel wie jeden Morgen mürrisch undweiß nicht mal, was er anziehen soll, ein Umstand, der diese Gestimmtheit weiterverschlimmert.
Er steigtdie Treppe seines kleinen, kompliziert gebauten Hauses hoch: zum Garten hin hates drei Stockwerke, von der anderen Seite sieht man nur eins. In der oberstenEtage, die mithin ebenerdig zur Straße hinaus liegt, überblickt er dieseprüfend durch das Flurfenster, um zu schätzen, in wie viele Kleidungsschichtendie Passanten gehüllt sind, und sich so ein Bild zu verschaffen, was eranziehen muss. Aber es ist noch zu früh für Montfort-l Amaury, draußen istniemand und nichts außer einem kleinen, ganz und gar grauen und nicht mehr sehrneuen Peugeot 201, der bereits vor dem Haus steht, darin Hélène. Sonst ist vonder Welt nichts zu sehen, am bedeckten Himmel befindet sich eine blasse Sonne.
...
Übersetzung: Hinrich Schmidt-Henkel
© Berlin Verlag
- Autor: Jean Echenoz
- 2007, 109 Seiten, Maße: 12,8 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt-Henkel, Hinrich
- Übersetzer: Hinrich Schmidt-Henkel
- Verlag: BERLIN VERLAG
- ISBN-10: 3827006937
- ISBN-13: 9783827006936
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