Rhett
Unvergesslich, die temperamentvolle, selbstbewusste Südstaatenschönheit und der abenteuerlustige Lebemann. Aber was weiß man eigentlich über Rhett Butler? Donald McCaig verrät, wie die Hauptfigur aus Margaret Mitchells legendären Epos denkt, fühlt und wie...
Unvergesslich, die temperamentvolle, selbstbewusste Südstaatenschönheit und der abenteuerlustige Lebemann. Aber was weiß man eigentlich über Rhett Butler? Donald McCaig verrät, wie die Hauptfigur aus Margaret Mitchells legendären Epos denkt, fühlt und wie seine Vergangenheit aussah. Er erzählt von Rhetts prägender Kindheit und Jugend auf einer Reisplantage bei Charleston und davon, wie der rebellische Junge zu dem Mann wird, den jeder aus"Vom Winde verweht" kennt.
In diesem einzigartigem Panorama der Südstaaten erfährt man nicht nur alles über Plantagenbesitzer, Sklaven, die besseren Kreise von Charleston und Atlanta und den vernichtenden Bürgerkrieg, der zwischen 1861 und 1865 tobte. McCaig erzählt vor allem von Rhett Butlers Welt: von Belle Watling, der Prostituierten, die zu seiner engen Vertrauten wird, Langston Butler, seinem unnachgiebigen, verbitterten Vater, Rosemary, der geliebten Schwester, und von seinem besten Freund, dem Farbigen Tunis Bonneau. Und dann ist da natürlich Scarlett, Katie Scarlett O'Hara, die eigensinnige und leidenschaftliche Frau, die für Rhett mehr empfindet, als sie wahrhaben will.
Rhettvon Donald McCaig
lLESEPROBE
Ehrenhändel
Eine Stundevor Sonnenaufgang, zwölf Jahre vor dem Krieg, fuhr eine Kutsche eilig durch dasTiefland von Carolina. Auf der Straße entlang des Ashley River war es bis aufdie Seitenlampen des Gespanns stockfinster, und durch die offenen Fensterwirbelte Nebel herein, der sich feucht auf Wangen und Handrücken der Passagierelegte.
»Rhett Butler, du bist ein verfluchter Querkopf!« John Haynes sackte auf seinem Sitz in sich zusammen.
»Ganz wiedu meinst, John.« Butler öffnete die Klappe zum Kutscherund fragte: »Sind wir bald da? Ich möchte die Herren nicht gern warten lassen.«
»Wir sindgleich am Hauptdeich, Master Rhett.«Obwohl Hercules der Rennpferdetrainer von Rhetts Vater und Broughtons höchstrangigerDiener war, hatte er darauf bestanden, die jungen Männer selbst zu fahren.
Rhetthatte ihn gewarnt: »Langston wird zornig werden, wenner herausfindet, dass du mir geholfen hast.«
Herculeswar steif und förmlich geworden. »Master Rhett, ich habSie schon gekannt, wo Sie noch n kleiner Junge warn.Ich, Hercules, hab Sie auf Ihr erstes Pferd gesetzt.Binden Sie Ihre Pferde hinten an, Sie und Mr Haynes.Heut Nacht kutschiere ich.« John Haynes Apfelbäckchenstanden im Widerspruch zu seiner ungewöhnlich resolut wirkenden Kinnpartie. Erhatte den Mund bekümmert zusammengekniffen.
Rhettsagte: »Ich liebe dieses Marschland. Herrgott, ich wollte noch nie Reispflanzerwerden. Wenn Langston sich über Reissorten oder dieFührung der Neger verbreitete, habe ich immer vom Fluss geträumt und kein Wortmitbekommen.« Mit funkelnden Augen beugte er sich zuseinem Freund hinüber. »Ich ließ mich durch den Nebel treiben, steuerte mit demRuder. Eines Morgens überraschte ich eine Wasserschildkröte dabei, wie sie eineOtterrutsche herunterrutschte - einfach so, aus Spaß an der Freude. Hast du jeeine Wasserschildkröte lächeln sehen, John?
Ich weiß nicht,wie oft ich versucht habe, an einem schlafenden Schlangenhalsvogelvorbeizufahren, ohne ihn zu wecken. Aber jedes Mal schnellte dieserSchlangenkopf unter dem Flügel hervor, scharfäugig und kein bisschen benommen,und schwupp«, Rhett schnalzte mit den Fingern, »schonwar er untergetaucht. Die Sumpfrallen waren langenicht so wachsam. Wie viele Male kam ich langsam um eine Flussbiegunggetrieben, und dann stoben Hunderte von ihnen auf. Kannst du dir vorstellen,durch solchen Nebel wie jetzt zu fliegen?«
»Du hasteine zu lebhafte Fantasie«, sagte Rhetts Freund. »Undich habe mich schon oft gefragt: Warum nur bist du so vorsichtig, John? Fürwelche hehren Ziele sparst du dich auf ?«
John Hayneswischte sich mit einem feuchten Taschentuch die Brillengläser ab, verschmiertesie jedoch nur. »An jedem beliebigen anderen Tag würde mir deine Sorgeschmeicheln.«
»Achherrje, John, es tut mir leid. Meine Nerven. Ist unser Pulver trocken?«
Haynesberührte den glänzenden Mahagonikasten auf seinem Schoß. »Ich habe diePulverflasche selbst verschlossen.«
»Hörst dudie Nachtschwalbe?«
DasGetrommel der Pferdehufe, das Quietschen des ledernen Zaumzeugs, Hercules Rufe: »Na los, ihr Halunken, los!«, der dreitönige Ruf derNachtschwalbe - hatte John nicht mal eine Geschichte über ShadWatling und eine Nachtschwalbe gehört? »Ich habe eingutes Leben gehabt«, sagte Rhett Butler.
Da JohnHaynes fand, dass das Leben seines Freundes ein einziges Tohuwabohu gewesenwar, biss er sich auf die Zunge.
»Ein paarschöne Erlebnisse, ein paar gute Freunde, meine geliebte kleine SchwesterRosemary «
»Denk dochan Rosemary, Rhett! Was soll aus ihr werden, wenn dunicht mehr bist?«
»Das darfstdu mich nicht fragen!« Rhettdrehte sich zu dem leeren, schwarzen Fenster. »Herrgott, John. Was würdest dudenn in meiner Lage tun?«
DieAntwort, die dem stämmigen John Haynes durch den Kopf ging, lautete: »Ich würdegar nicht erst in deine Lage geraten«, doch er brachte sie nicht über dieLippen, obwohl seine Worte nicht zutreffender hätten sein können.
Rhetttrug sein dichtes schwarzes Haar zurückgekämmt, sein Gehrock war mit rotemSeidenjacquard gefüttert, und sein Hut, der neben ihm lag, war aus Biberfell.Johns Freund war so vital wie nur irgendein Mann, den er kannte, so lebendigwie ein wildes Tier.
»Entehrtbin ich bereits, John«, sagte Rhett. »Was soll miralso noch Schlimmeres passieren?« Sein plötzlichesGrinsen glitzerte im Dunkeln. »Da werden sich die alten Klatschweiber aberwieder die Mäuler zerreißen.«
»Dafür hastdu ja schon so manches Mal gesorgt.«
»Fürwahr.Ich habe den ehrbaren Leuten ausreichend Gelegenheit gegeben, sich zu empören.Wer hat Charlestons Moralaposteln bessere Dienste geleistet als ich? Wirklich,John - ich bin doch längst zum Schreckgespenst geworden.«Er gab seiner Stimme einen mahnenden Ton: »Kind, wenn du dich nicht endlich besserst,wirst du noch wie Rhett Butler enden!«
»Ichwünschte, du würdest mit deinen Scherzen aufhören«, sagte John leise.
»John,John, John «
»Darf ichganz offen sein?«
Rhett hobeine dunkle Augenbraue. »Ich kann dich nicht davon abhalten.«
»Du musstdas nicht zu Ende führen. Sag Hercules, dass erumdrehen soll - wir machen eine gemütliche Morgenpartie in die Stadt und gönnenuns ein gutes Frühstück. Shad Watlingist kein Ehrenmann, und du musst dich nicht mit ihm schlagen. Watling konnte keinen von Charlestons Ehrenmännern alsSekundanten gewinnen. Er hat irgendeinen unglückseligen Yankeetouristen in seinenDienst gepresst.«
»Belle Watlings Bruder hat ein Recht auf Satisfaktion.«
»Herrgott, Rhett - Shad ist der Sohn desAufsehers deines Vaters. Sein Angestellter!« John Haynes machte eine abfälligeHandbewegung. »Biete ihm eine finanzielle Entschädigung an « Er hielt bestürztinne. »Du machst diese diese ganze Geschichte ja wohl nicht für das Mädchen?«
»Belle Watling ist ein besserer Mensch als viele, die sieverurteilen. Nichts für ungut, John, aber meine Motive darfst du nicht in Zweifelziehen. Der Ehre muss Genüge getan werden: Shad Watling hat Lügen über mich erzählt, und ich habe ihngefordert.«
John wollteso viel sagen, dass er kaum ein Wort hervorbrachte. »Rhett,wenn das mit West Point nicht gewesen wäre «
»MeineAusweisung, meinst du? Das ist doch nur meine jüngste, extravaganteste Schande.« Rhett packte seinen Freund amArm. »Muss ich dir aufzählen, wie oft ich Schande über mich gebracht habe? MehrSchande und Versagen als « Er schüttelte müde den Kopf. »Ich bin die Schandewahrlich leid. John - hätte ich vielleicht einen anderen bitten sollen, mir zusekundieren?«
»Verdammt!«, rief John Haynes. »Gottverdammt!«
John Haynesund Rhett Butler hatten sich in CathecartePuryears Schule in Charleston kennengelernt.Als Rhett nach West Point ging, war John Haynesbereits in der Reederei seines Vaters tätig. Nach RhettsAusweisung von der Militärakademie und seiner Rückkehr in die Stadt sah Haynesseinen alten Freund dann und wann auf der Straße. Manchmal war Rhett nüchtern, häufiger jedoch nicht. Es bekümmerte John,einen Mann von Rhetts natürlichem Charme in solchliederlichem, übel riechendem Zustand zu erleben.
John Hayneswar einer jener jungen Südstaatler aus guter Familie, die sich das Geschirr derbürgerlichen Tugenden anlegen, als wären sie dafür geboren. John war Kirchenältestervon St. Michael und der jüngste Ballmeister der St. Cecilia Society. Obwohl er Rhett um seinen Esprit beneidete, begleitete er ihn undseine Freunde - »Colonel RavanelsKorona« - nie auf deren nächtlichen Zügen durch die Freudenhäuser, Spielhöllenund Saloons von Charleston.
Dementsprechenderstaunt war John gewesen, als Butler in das Hafenbüro von Haynes & Son gekommen war, um Johns Unterstützung bei einemEhrenhandel zu erbitten.
»Aber Rhett, was ist mit deinen Freunden? Andrew Ravanel? Henry Kershaw? Edgar Puryear?«
»Ach, John- du wirst wenigstens nüchtern sein.«
Nur wenigeMänner und Frauen konnten Rhetts unbekümmertem Grinsenwiderstehen, und John Haynes zählte nicht zu ihnen.
Vielleichtwar John etwas langsam. Von amüsanten Skandalen erfuhr er immer erst dann, wenndie Gesellschaft von Charleston ihrer bereits überdrüssig wurde. Wenn John diewitzige Bemerkung eines geistreichen Mannes wiedergeben wollte, verhedderte ersich unweigerlich. Mochten Charlestons Mütter ihn für einen »guten Fang«halten, die Mädchen hinter ihren Fächern kicherten über ihn. Doch John Hayneshatte zweimal bei Ehrenhändeln sekundiert. Wenn die Pflicht an seine Türklopfte, war John Haynes immer zu Hause.
DerHauptdeich der Plantage Broughton war ein breiter, ausErde aufgeschütteter Damm, der die Reisfelder vom Ashley River trennte. DieKutsche schlingerte, als sie vom Deich ins Inland abbog. ( )
© VerlagHoffmann und Campe
Übersetzung:Kathrin Razum
Für seine weiteren Romane über den amerikanischen Bürgerkrieg hat er mehrere Preise erhalten, darunter den John Esten Cooke Award für die beste Südstaatenliteratur.Kathrin Razum übersetzte u. a. T. C. Boyle, John le Carré, Agatha Christie, Vikram Chandra, V. S. Naipaul, Edna O'Brien und Susan Sontag. Sie lebt in Heidelberg.
- Autor: Donald Mccaig
- 2007, 1, 638 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 14,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Razum, Kathrin
- Übersetzer: Kathrin Razum
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455401007
- ISBN-13: 9783455401004
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