Robinsons blaues Haus
Roman
Ernst Augustin, erblindeter Autor und Psychiater, erzählt eine poetische Robinsonade von nie gesehener Farbigkeit. Es gibt einen hochpolierten Freitag, eine Dame mit Schritt, ein Imperium von Besenkammern. Es gibt Luxus und vor allem eine Unmenge virtuellen...
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Produktinformationen zu „Robinsons blaues Haus “
Ernst Augustin, erblindeter Autor und Psychiater, erzählt eine poetische Robinsonade von nie gesehener Farbigkeit. Es gibt einen hochpolierten Freitag, eine Dame mit Schritt, ein Imperium von Besenkammern. Es gibt Luxus und vor allem eine Unmenge virtuellen Geldes, das sich auf Knopfdruck »löscht«...
Klappentext zu „Robinsons blaues Haus “
Es ist die Fabel vom letzten Robinson in einer Welt nicht mehr vorhandener Freiräume. In Grevesmühlen, in blauer Südsee, im Londoner Kerker, im Spiegelhaus auf dem Wyman Tower. Es gibt einen hochpolierten Freitag, eine Dame mit Schritt, es gibt eine abgesoffene Kirche, ein Imperium von Besenkammern und es gibt Luxus, illuminierte Zahnbürsten, Tangomusik, bernsteinfarbenes Licht. Vor allem gibt es eine Unmenge virtuellen Geldes, mit dem man das alles kaufen kann und das sich auf Knopfdruck "löscht". Und der beste Freund erweist sich dann als der tödlichste. Eine letzte Robinsonade, ja, aber eine poetische von nie gesehener Farbigkeit, genau so - der Autor ist seit drei Jahren erblindet.
Daniel Defoe sagt, er habe eines der unglaublichsten und abenteuerlichsten Leben gelebt. Ich sage: Ich auch.
Mein Vater hatte mich eines Tages beiseite genommen: Du wirst es einmal schwer haben, mein Sohn, du wirst entdecken, dass du allein bist, dass du dich auf einer Insel befindest - inmitten eines Ozeans von Menschen, die alle laut reden und alle etwas anderes meinen. Die ihre Seele daran setzen werden, dich von deiner Insel zu vertreiben, es sind sechs Milliarden, alle miteinander, kannst du das verstehen? Ja, Vater. Nein, sagte er.
Es ist die Fabel vom letzten Robinson in einer Welt nicht mehr vorhandener Freiräume. In Grevesmühlen, in blauer Südsee, im Londoner Kerker, im Spiegelhaus auf dem Wyman Tower. Es gibt einen hochpolierten Freitag, eine Dame mit Schritt, es gibt eine abgesoffene Kirche, ein Imperium von Besenkammern und es gibt Luxus, illuminierte Zahnbürsten, Tangomusik, bernsteinfarbenes Licht. Vor allem gibt es eine Unmenge virtuellen Geldes, mit dem man das alles kaufen kann und das sich auf Knopfdruck 'löscht'. Und der beste Freund erweist sich dann als der tödlichste. Eine letzte Robinsonade, ja, aber eine poetische von nie gesehener Farbigkeit, genau so - der Autor ist seit drei Jahren erblindet.du allein bist, dass du dich auf einer Insel befindest - inmitten eines Ozeans von Menschen, die alle laut reden und alle etwas anderes meinen. Die ihre Seele daran setzen werden, dich von deiner Insel zu vertreiben, es sind sechs Milliarden, alle miteinander, kannst du das verstehen? Ja, Vater. Nein, sagte er.
Es ist die Fabel vom letzten Robinson in einer Welt nicht mehr vorhandener Freiräume. In Grevesmühlen, in blauer Südsee, im Londoner Kerker, im Spiegelhaus auf dem Wyman Tower. Es gibt einen hochpolierten Freitag, eine Dame mit Schritt, es gibt eine abgesoffene Kirche, ein Imperium von Besenkammern und es gibt Luxus, illuminierte Zahnbürsten, Tangomusik, bernsteinfarbenes Licht. Vor allem gibt es eine Unmenge virtuellen Geldes, mit dem man da
Mein Vater hatte mich eines Tages beiseite genommen: Du wirst es einmal schwer haben, mein Sohn, du wirst entdecken, dass du allein bist, dass du dich auf einer Insel befindest - inmitten eines Ozeans von Menschen, die alle laut reden und alle etwas anderes meinen. Die ihre Seele daran setzen werden, dich von deiner Insel zu vertreiben, es sind sechs Milliarden, alle miteinander, kannst du das verstehen? Ja, Vater. Nein, sagte er.
Es ist die Fabel vom letzten Robinson in einer Welt nicht mehr vorhandener Freiräume. In Grevesmühlen, in blauer Südsee, im Londoner Kerker, im Spiegelhaus auf dem Wyman Tower. Es gibt einen hochpolierten Freitag, eine Dame mit Schritt, es gibt eine abgesoffene Kirche, ein Imperium von Besenkammern und es gibt Luxus, illuminierte Zahnbürsten, Tangomusik, bernsteinfarbenes Licht. Vor allem gibt es eine Unmenge virtuellen Geldes, mit dem man das alles kaufen kann und das sich auf Knopfdruck 'löscht'. Und der beste Freund erweist sich dann als der tödlichste. Eine letzte Robinsonade, ja, aber eine poetische von nie gesehener Farbigkeit, genau so - der Autor ist seit drei Jahren erblindet.du allein bist, dass du dich auf einer Insel befindest - inmitten eines Ozeans von Menschen, die alle laut reden und alle etwas anderes meinen. Die ihre Seele daran setzen werden, dich von deiner Insel zu vertreiben, es sind sechs Milliarden, alle miteinander, kannst du das verstehen? Ja, Vater. Nein, sagte er.
Es ist die Fabel vom letzten Robinson in einer Welt nicht mehr vorhandener Freiräume. In Grevesmühlen, in blauer Südsee, im Londoner Kerker, im Spiegelhaus auf dem Wyman Tower. Es gibt einen hochpolierten Freitag, eine Dame mit Schritt, es gibt eine abgesoffene Kirche, ein Imperium von Besenkammern und es gibt Luxus, illuminierte Zahnbürsten, Tangomusik, bernsteinfarbenes Licht. Vor allem gibt es eine Unmenge virtuellen Geldes, mit dem man da
Lese-Probe zu „Robinsons blaues Haus “
Robinsons blaues Haus von Ernst AugustinI
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In einer früheren, ferneren Version dieser Geschichte sagt Daniel Defoe, er habe eines der unglaublichsten und abenteuerlichsten Leben gelebt.
Ich sage: Ich auch.
Der Tod kommt in Gestalt eines freundlichen kleinen Herrn, der mir im Zug nach Grevesmühlen gegenüber sitzt, und er kommt auch nicht sofort, vielmehr läßt er mir Zeit, meine Angelegenheiten zu regeln. Insbesondere dir, lieber Freund, ein beträchtliches Erbe zu hinterlassen. Ein in Ausmaßen und im Umfang geradezu obszönes Erbe, das ich dir vermache, vor allem eine Moral, mit der du, fürchte ich, am Ende ziemlich allein dastehen wirst. Lieber Freund.
Als ich elf oder zwölf war, hatte mich mein Vater eines Tages beiseite genommen und gesagt: Du wirst es einmal schwer haben, mein Sohn, du wirst keine Freunde haben, du wirst entdecken, daß du allein bist, daß du dich auf einer Insel befindest - merke dir, mein Sohn -
inmitten eines Ozeans von Menschen über Menschen, die alle laut reden und alle etwas anderes meinen. Die ihre Seele daransetzen werden, dich von dieser Insel - so selig sie immer sein mag - zu vertreiben. Es sind sechs Milliarden, alle miteinander, kannst du das verstehen?
Ja. Vater.
Nein, sagte er.
Ich erinnere mich an dieses Gespräch, das ich nicht verstand, das in dem mahagonifarbenen halbdunklen Arbeitszimmer meines Vaters stattfand. Es ist immer halbdunkel dort gewesen, auf dem Schreibtisch brannte immer eine Bernsteinlampe, draußen fuhr die Straßenbahn. Es sind die Schatten, die mir im Gedächtnis geblieben sind, die tätowierten Köpfe der Maori an den Wänden, die Ledersessel von Mandel, der große Elefant aus dunklem Holz - sehr schwer, wenn ich mich gegen ihn lehnte. Selten durfte ich hier eintreten, denn Vater arbeitete sehr viel, er kam mit großen Packen Papier nach Hause, die Reichtum bedeuteten, ich hatte immer geglaubt, Vater sei reich. Die Ledergarnitur aus dem Kaufhaus Mandel in der Schweidnitzer Straße roch neu, so oft ich hier eintreten durfte. Sie ist immer neu gewesen.
Also erzählte er von den Täuschern, den ,,Deceivern», wie man sie nenne, die ihren Namen aber zu Unrecht trügen, nicht wert, so genannt zu werden. Eine Geschichte aus dem alten Indien, eine Geschichte von Hitze und Dunkel und einer schrecklichen Gottheit mit ihren vielen Armen und Beinen. Und von bösen Männern, die ihr zu Ehren ihre Opfer mit dem Seidenschal erwürgten. Dazu rauchte er, in seiner Ledergarnitur hinter dem Mahagonitisch sitzend, eine sehr lange hellbraune Zigarre, die Reichtum bedeutete. Zigarre und hellbrauner Anzug, den er trug. Wie sie es anstellten, die Täuscher, wie sie sich drehten und wendeten und ihre Kunst «Kunst» nannten. Zu Unrecht.
Die wahren Täuscher nämlich - und hier hob mein Vater die Stimme -, die wahren Deceiver im alten Indien seien Schatzträger gewesen. Gute Männer, redliche Männer, die das ihnen Anvertraute sicher an seinen Platz brachten. Durch unendliche Tigersümpfe, durch Schlangenwüsten, durch reißende, beißende Wasser und mörderische Schluchten. Mutige, vor allem aber ehrenwerte Männer, die ehrenwertesten - halte dir das immer vor Augen, mein Sohn -, eine Gilde untadeligen Ruf es.
Rief er aus.
Während vor meinen Augen in dem halbdunklen Arbeitszimmer ein fernes Land heraufdämmerte, wo Säcke voll Geld, Kisten voll Gold herumgetragen wurden, die nie ihr Ziel erreichten. Immer bedroht - er hob die Stimme - immer belauert von niedrigem Raubgesindel, ja, aber auch lüsternen großen Herren, die da in ihren Raubpalästen am Wege saßen und die zu täuschen viel Todesmut bedurfte. Todesmutige Männer seien es gewesen, ausgestattet mit nichts als ihrer Redlichkeit und der Kunst der Verstellung, verschlagen, kühn, undurchsichtig, sogar durchsichtig: Bettler darstellend, mittellose Verwandte auf dem Weg in die Fremde, flüchtige Schuldner, Straffällige, Ausgestoßene. Sogar Tote.
Hier hob der Vater den Finger.
Immer eingedenk der Redlichkeit, der treuen Hand, hörst du, lieber Sohn, treue Hand bis in den Tod. Solche Geschichten hörte ich am liebsten, wenn Vater sie hoch und heilig erzählte, denn wie hoch sei ein solcherweise in Jahrhunderten treuen Tragens erworbenes Kapital wohl einzuschätzen! Und wem sonst hätte man sein Gut anvertrauen können!
Es folgte eine Liste des zu befördernden Gutes: Ringe, Ketten, Armbänder als Zahlungsmittel, Geschenke und Gegengeschenke, Hochzeitsgeschmeide, große und kleine Kronen, vor allem Geld, Geld und Gold in jeder Form in Ledersäkken, in verschweißten Kästen, runde, viereckige, bandförmige Prägungen, Gold aus der Mahrathenzeit, Gold aus der Bennarenzeit, Stangengold, Zeremoniengold, goldene Prunkelefanten, die an Stangen getragen wurden - letzteres erforderte dann besondere Verstellungskunst. Ich sah, wie sie durch die nur von dem Bernsteinlämpchen erhellten Dämmerung schwankten, zwischen den Mahagonimöbeln und der Ledergarnitur aus dem Kaufhaus Mandel in der Schweidnitzer Straße.
So war es, so ist es gewesen, und so geht es voran. Eines aber, führte der Vater aus, der immer eine Moral mit seinen Geschichten verband, eines solltest du lernen, lieber Sohn, daß nämlich Redlichkeit sich auszahlt. Sie hatte überhaupt erst erfunden werden müssen. Ohne sie wäre ein funktionierendes Bankwesen mit Vertrauen und Gegenvertrauen, wie wir es heutzutage kennen, gar nicht möglich. Dokumentiert und monumentiert in Marmor und Granit für jedermann an jeder Ecke sichtbar. Lieber Sohn.
Er hätte es wissen müssen, ging er doch jeden Morgen pünktlich in die Filiale der Lübschen Kredit- und Depositenbank am Roßmarkt. Dabei hatte er gar nicht indisch ausgesehen, gar nicht todesmutig mit dem geraden Haarschnitt und den blassen Gesichtszügen. Damals hatte er noch einen Scheitel getragen und ein Schnurrbärtchen, die später beide fehlten - überhaupt hatte er sein Aussehen von Zeit zu Zeit verändert. So daß, von hier aus betrachtet, das Bild meines Vaters immer angepaßt erscheint, immer im gleichen Abstand, immer zeitgemäß. Heute ist er tot.
2
Lieber Freund.
Das Leben ist ein Säbelzahntiger. - Nicht daß ich mich auf der Flucht befinde, so kann man es nicht nennen, aber da sitzt mir im Zug dieser freundliche, kleine, ältere Herr gegenüber und hat soeben einen Fehler begangen, der meine Befürchtungen nur bestätigt. Er hat sich nach dem Zug nach Grevesmühlen erkundigt, in dem er doch sitzt.
Schon seit Hagenow ist er mir aufgefallen, eigentlich schon seit Güstrow, und wenn ich es mir recht überlege, schon seit Schwerin. Und es sind auch keine großen Dinge, nur kleine Unebenheiten, die nicht ganz ins Bild passen, eigentlich gar nichts, und dann wiederum zuviel. Zum Beispiel trägt der Mann einen Hut, und zwar deutlich, als ob er sich etwas davon verspräche. In einer allgemein hutlosen Zeit.
Im Wartesaal zum Beispiel.
Wenn ich den Wartesaal in Hagenow betrete, um vor der Abfahrt noch schnell ein Bier zu trinken, sehe ich ihn über der Ebene von Köpfen, diesen Herrenhut, und dann werde ich doch mißtrauisch.
Um eines klarzustellen: Ich bin nicht geisteskrank, und ich leide auch nicht unter Einbildungen. Mein Mißtrauen hat eine ganz solide Grundlage, es ist der Instinkt, ohne den ich es niemals bis hierher, bis zu diesem Ort, geschafft hätte. Nicht lebend jedenfalls.
In Hagenow hatte es mich bereits angeweht, gleich als ich die Tür öffnete, diese Mischung aus Bierdunst und feuchten Habseligkeiten, die sie alle mit sich führen. Ich kann nie den Finger darauflegen, was es eigentlich ist, das mich anweht, der Hut jedenfalls ist nur Staffage, und die bierfarbene Täfelung, der Tresen, das Schild «Zu den Bahnsteigen» sind auch nur bedrückend, nicht wirklich tödlich. Vielleicht eine Geste, die der Mann vollführt, vielleicht seinen Nachbarn betreffend, aber irgendwie sieht es aus, als ob er zeigt! Ein kleiner Mann, es ist immer ein kleiner dunkel gekleideter Mann, der etwas anzeigt.
Ich führe nie Gepäck mit mir, keine Tasche, keinen Schirm, vielleicht einen Mantel, den ich mir gerade über die Schulter geworfen habe. Jedenfalls kann ich jederzeit vom Tisch aufstehen und verreisen oder mich aus einer Unterhaltung mit dem Zeitungshändler lösen, um, mir nichts dir nichts, in den nächsten Express nach Kopenhagen zu steigen. Dazu brauche ich nur Geld, lockere Tausend in der Brusttasche, nein, auf keinen Fall Kreditkarten, denn die sind lebensgefährlich, wenn ich das einmal vorausschicken darf. Oder ich reise plötzlich nach Lüttich, um auch das vorauszuschicken.
Jedenfalls scheue ich instinktiv wie eine Trakehner-Stute, die auch nicht weiß, warum sie scheut (das schwarze Auge einer Straßenwalze?), meine Sicherheit jedoch heißt: Regionalzug nach Lübbe um zwölf Uhr zweiunddreißig - also in acht Minuten - über Bärlang, Schwante, Grevesmühlen, wo immer es mich hinführt.
Wobei ich mir nicht sicher sein kann, ob er dann nicht doch im Zug sitzt, im ersten Wagen oder im zweiten. Also stehe ich auf und gehe in den dritten und dann beim Einfahren in den Grevesmühlener Bahnhof in den vierten Wagen, nein, ich steige aus.
Steige kurzerhand aus.
Winke einer Mama, die sehr erstaunt ist, unter den im Wind schaukelnden Blumenkästen zu. Grüße ein paar erstaunte Bekannte auf dem Bahnsteig, gewissermaßen von Ferne. Biege dann plötzlich ab, um auf die Toilette zu gehen. Vorne hinein und hinten hinaus, indem ich zwei, drei
Spülungen betätige, manchmal imitiere ich auch Benutzer, Benutzer einer Damentoilette zum Beispiel. Hört sich merkwürdig an, ist aber nur eine meiner Tugenden, nämlich mich einzufügen, zehn Minuten unter besonders erschwerten Umständen sitzend. Die Angst - habe ich einmal gelesen - ist die Tugend der Fluchttiere, und sie ist ihre edelste, bewahrt sie ihnen doch das Leben. Meines hat sie bis hierher bewahrt, bis nach Grevesmühlen.
Draußen erwartet mich eine regennasse Otto-Grotewohl-Straße, soweit ich auf dem Schild erkennen kann, anscheinend heißt sie immer noch so. Der Bockwurststand ist geschlossen, kein Mensch auf der Straße. Doch, drüben geht einsam die Käthe, die mich nicht sieht (ich sie auch nicht), aber wie sollte sie auch, bei diesem Wind, der ihr den Schirm aufstülpt, so daß sie blaß und dünn aussieht, mit ihren hellen Augen. Ich weiß natürlich nicht, wie sie heißt, aber es ist eine Käthe. Und wenn sie mich gesehen hat, auf dieser regennassen Otto-Grotewohl-Straße, auf der niemand geht, dann hat sie mich wahrscheinlich für einen Butte Beerbohm gehalten. Denn so geht das.
Mir ist kalt, ich friere, mir ist auch nicht besonders wohl, meinen Abgang betreffend. Vielleicht hätte ich doch nicht aussteigen sollen, oder eher verdeckt auf der Gegenseite des Bahnsteigs. Es sind die Unwägbarkeiten, die tiefhängenden Wolken, die Pfützen auf der Straße, der in der Ferne bellende Hund.
Und dann das Wunder.
Am Ende der Straße, dort wo sie auf die Augustenstraße trifft, zweigt eine Fußgängerunterführung nach rechts ab, eigentlich schon zur Augustenstraße gehörig. Es ist eine grünlich gekachelte Röhre unter dem Bahngelände hindurch, wie sie heutzutage nicht mehr gebaut würde, mit steilen steinernen Treppen an beiden Enden. Drüben steht die Bahnmeisterei, ein langgestrecktes Ziegelgebäude, das bei diesem Wetter wie ein großer roter Schwamm aussieht, und dort steigt die jenseitige Treppe direkt an der Seitenwand auf, das kann man von hier aus sehen. Und als ich mich in dem Tunnel befinde, so funzelig beleuchtet, daß ich nicht genau ausmachen kann, ob mir möglicherweise jemand entgegenkommt - ein Selbstmord wäre hier verständlich -, muß zu alledem über mir ein Zug donnern, gerade über meinen Kopf, ich glaube, es hätte geringere Anlässe gegeben.
Aber dann gibt es dort, etwas zurücktretend, eine Nische in der Kachelwand, an der man vor
beiläuft, und dort in der Nische gibt es eine Tür: Bhn W4, unbeleuchtet und kaum sichtbar, wenn man vorbeiläuft. Und wenn man es sähe, was heißt Bhn W4.
Als ich aufschließe, donnert der Gegenzug über meinen Kopf hinweg. Donnert auch noch eine Weile den Korridor entlang, der sich hinter der Tür auftut. Es geht ein paar Stufen hinauf, dann ca. dreißig Meter geradeaus, man ahnt, es ist die «Bahnmeisterei», die ich hier durch einen Kellereingang betrete, jenes langgestreckte Gebäude, immer noch so benannt, obwohl es inzwischen nur noch Bahnschuppen oder Lagerhaus ist. Neuerdings hatte man an der den Bahngleisen abgewandten Seite sogar ein paar Wohneinheiten fertiggestellt. Woher ich das weiß? Abwarten. Es geht jetzt durch die ganze Länge, die Korridore tragen noch immer diesen graugrünen Behördenanstrich bis zur Schulterhöhe, allerdings hat man an den am Ende befindlichen Fenstern große Topfpflanzen aufgestellt. Ein Versuch, möchte man sagen, aber eben den neuen Verhältnissen angemessen.
Wenn ich hier über den hallenden Korridor gehe, falle ich gar nicht auf, jemand, der mich sähe, würde mich wahrscheinlich für Butte Beerbohm halten. Also gut.
Die Gerätekammer liegt im dritten Stock gleich neben dem Treppenaufgang, kenntlich an dem rautenförmigen Fensterchen der relativ schmalen Tür, die ich nun mit meinem Schlüssel, den ich bei mir trage, aufschließe, und dann: Wärme, Wärme, Ruhe, Ruhe, teefarbenes Licht.
Willkommen im Besenschrank.
Ich bin zu Hause.
Spreche ich von einem Wunder? Es ist eines! Zur Begrüßung habe ich mir einen sanften Glenfiddich in Glaskaraffe hingestellt. Zum Wohlig-sein. Die Holztäfelung, die ich aus einem ganz erlesenen Holz habe anfertigen lassen, atmet einen leisen zimtartigen Geruch. Es ist Abend. Und, ja, die leise einsetzende Musik aus «Hotel Costes», die darf ich nicht unerwähnt lassen, es handelt sich um einen schwer zu beschreibenden braunsamtenen Tango, broch, broch, broch.
Die Abstellkammer, die auf mich gewartet hat. Die immer wartet, jederzeit und überall mit automatisch einsetzendem Tango.
...
In einer früheren, ferneren Version dieser Geschichte sagt Daniel Defoe, er habe eines der unglaublichsten und abenteuerlichsten Leben gelebt.
Ich sage: Ich auch.
Der Tod kommt in Gestalt eines freundlichen kleinen Herrn, der mir im Zug nach Grevesmühlen gegenüber sitzt, und er kommt auch nicht sofort, vielmehr läßt er mir Zeit, meine Angelegenheiten zu regeln. Insbesondere dir, lieber Freund, ein beträchtliches Erbe zu hinterlassen. Ein in Ausmaßen und im Umfang geradezu obszönes Erbe, das ich dir vermache, vor allem eine Moral, mit der du, fürchte ich, am Ende ziemlich allein dastehen wirst. Lieber Freund.
Als ich elf oder zwölf war, hatte mich mein Vater eines Tages beiseite genommen und gesagt: Du wirst es einmal schwer haben, mein Sohn, du wirst keine Freunde haben, du wirst entdecken, daß du allein bist, daß du dich auf einer Insel befindest - merke dir, mein Sohn -
inmitten eines Ozeans von Menschen über Menschen, die alle laut reden und alle etwas anderes meinen. Die ihre Seele daransetzen werden, dich von dieser Insel - so selig sie immer sein mag - zu vertreiben. Es sind sechs Milliarden, alle miteinander, kannst du das verstehen?
Ja. Vater.
Nein, sagte er.
Ich erinnere mich an dieses Gespräch, das ich nicht verstand, das in dem mahagonifarbenen halbdunklen Arbeitszimmer meines Vaters stattfand. Es ist immer halbdunkel dort gewesen, auf dem Schreibtisch brannte immer eine Bernsteinlampe, draußen fuhr die Straßenbahn. Es sind die Schatten, die mir im Gedächtnis geblieben sind, die tätowierten Köpfe der Maori an den Wänden, die Ledersessel von Mandel, der große Elefant aus dunklem Holz - sehr schwer, wenn ich mich gegen ihn lehnte. Selten durfte ich hier eintreten, denn Vater arbeitete sehr viel, er kam mit großen Packen Papier nach Hause, die Reichtum bedeuteten, ich hatte immer geglaubt, Vater sei reich. Die Ledergarnitur aus dem Kaufhaus Mandel in der Schweidnitzer Straße roch neu, so oft ich hier eintreten durfte. Sie ist immer neu gewesen.
Also erzählte er von den Täuschern, den ,,Deceivern», wie man sie nenne, die ihren Namen aber zu Unrecht trügen, nicht wert, so genannt zu werden. Eine Geschichte aus dem alten Indien, eine Geschichte von Hitze und Dunkel und einer schrecklichen Gottheit mit ihren vielen Armen und Beinen. Und von bösen Männern, die ihr zu Ehren ihre Opfer mit dem Seidenschal erwürgten. Dazu rauchte er, in seiner Ledergarnitur hinter dem Mahagonitisch sitzend, eine sehr lange hellbraune Zigarre, die Reichtum bedeutete. Zigarre und hellbrauner Anzug, den er trug. Wie sie es anstellten, die Täuscher, wie sie sich drehten und wendeten und ihre Kunst «Kunst» nannten. Zu Unrecht.
Die wahren Täuscher nämlich - und hier hob mein Vater die Stimme -, die wahren Deceiver im alten Indien seien Schatzträger gewesen. Gute Männer, redliche Männer, die das ihnen Anvertraute sicher an seinen Platz brachten. Durch unendliche Tigersümpfe, durch Schlangenwüsten, durch reißende, beißende Wasser und mörderische Schluchten. Mutige, vor allem aber ehrenwerte Männer, die ehrenwertesten - halte dir das immer vor Augen, mein Sohn -, eine Gilde untadeligen Ruf es.
Rief er aus.
Während vor meinen Augen in dem halbdunklen Arbeitszimmer ein fernes Land heraufdämmerte, wo Säcke voll Geld, Kisten voll Gold herumgetragen wurden, die nie ihr Ziel erreichten. Immer bedroht - er hob die Stimme - immer belauert von niedrigem Raubgesindel, ja, aber auch lüsternen großen Herren, die da in ihren Raubpalästen am Wege saßen und die zu täuschen viel Todesmut bedurfte. Todesmutige Männer seien es gewesen, ausgestattet mit nichts als ihrer Redlichkeit und der Kunst der Verstellung, verschlagen, kühn, undurchsichtig, sogar durchsichtig: Bettler darstellend, mittellose Verwandte auf dem Weg in die Fremde, flüchtige Schuldner, Straffällige, Ausgestoßene. Sogar Tote.
Hier hob der Vater den Finger.
Immer eingedenk der Redlichkeit, der treuen Hand, hörst du, lieber Sohn, treue Hand bis in den Tod. Solche Geschichten hörte ich am liebsten, wenn Vater sie hoch und heilig erzählte, denn wie hoch sei ein solcherweise in Jahrhunderten treuen Tragens erworbenes Kapital wohl einzuschätzen! Und wem sonst hätte man sein Gut anvertrauen können!
Es folgte eine Liste des zu befördernden Gutes: Ringe, Ketten, Armbänder als Zahlungsmittel, Geschenke und Gegengeschenke, Hochzeitsgeschmeide, große und kleine Kronen, vor allem Geld, Geld und Gold in jeder Form in Ledersäkken, in verschweißten Kästen, runde, viereckige, bandförmige Prägungen, Gold aus der Mahrathenzeit, Gold aus der Bennarenzeit, Stangengold, Zeremoniengold, goldene Prunkelefanten, die an Stangen getragen wurden - letzteres erforderte dann besondere Verstellungskunst. Ich sah, wie sie durch die nur von dem Bernsteinlämpchen erhellten Dämmerung schwankten, zwischen den Mahagonimöbeln und der Ledergarnitur aus dem Kaufhaus Mandel in der Schweidnitzer Straße.
So war es, so ist es gewesen, und so geht es voran. Eines aber, führte der Vater aus, der immer eine Moral mit seinen Geschichten verband, eines solltest du lernen, lieber Sohn, daß nämlich Redlichkeit sich auszahlt. Sie hatte überhaupt erst erfunden werden müssen. Ohne sie wäre ein funktionierendes Bankwesen mit Vertrauen und Gegenvertrauen, wie wir es heutzutage kennen, gar nicht möglich. Dokumentiert und monumentiert in Marmor und Granit für jedermann an jeder Ecke sichtbar. Lieber Sohn.
Er hätte es wissen müssen, ging er doch jeden Morgen pünktlich in die Filiale der Lübschen Kredit- und Depositenbank am Roßmarkt. Dabei hatte er gar nicht indisch ausgesehen, gar nicht todesmutig mit dem geraden Haarschnitt und den blassen Gesichtszügen. Damals hatte er noch einen Scheitel getragen und ein Schnurrbärtchen, die später beide fehlten - überhaupt hatte er sein Aussehen von Zeit zu Zeit verändert. So daß, von hier aus betrachtet, das Bild meines Vaters immer angepaßt erscheint, immer im gleichen Abstand, immer zeitgemäß. Heute ist er tot.
2
Lieber Freund.
Das Leben ist ein Säbelzahntiger. - Nicht daß ich mich auf der Flucht befinde, so kann man es nicht nennen, aber da sitzt mir im Zug dieser freundliche, kleine, ältere Herr gegenüber und hat soeben einen Fehler begangen, der meine Befürchtungen nur bestätigt. Er hat sich nach dem Zug nach Grevesmühlen erkundigt, in dem er doch sitzt.
Schon seit Hagenow ist er mir aufgefallen, eigentlich schon seit Güstrow, und wenn ich es mir recht überlege, schon seit Schwerin. Und es sind auch keine großen Dinge, nur kleine Unebenheiten, die nicht ganz ins Bild passen, eigentlich gar nichts, und dann wiederum zuviel. Zum Beispiel trägt der Mann einen Hut, und zwar deutlich, als ob er sich etwas davon verspräche. In einer allgemein hutlosen Zeit.
Im Wartesaal zum Beispiel.
Wenn ich den Wartesaal in Hagenow betrete, um vor der Abfahrt noch schnell ein Bier zu trinken, sehe ich ihn über der Ebene von Köpfen, diesen Herrenhut, und dann werde ich doch mißtrauisch.
Um eines klarzustellen: Ich bin nicht geisteskrank, und ich leide auch nicht unter Einbildungen. Mein Mißtrauen hat eine ganz solide Grundlage, es ist der Instinkt, ohne den ich es niemals bis hierher, bis zu diesem Ort, geschafft hätte. Nicht lebend jedenfalls.
In Hagenow hatte es mich bereits angeweht, gleich als ich die Tür öffnete, diese Mischung aus Bierdunst und feuchten Habseligkeiten, die sie alle mit sich führen. Ich kann nie den Finger darauflegen, was es eigentlich ist, das mich anweht, der Hut jedenfalls ist nur Staffage, und die bierfarbene Täfelung, der Tresen, das Schild «Zu den Bahnsteigen» sind auch nur bedrückend, nicht wirklich tödlich. Vielleicht eine Geste, die der Mann vollführt, vielleicht seinen Nachbarn betreffend, aber irgendwie sieht es aus, als ob er zeigt! Ein kleiner Mann, es ist immer ein kleiner dunkel gekleideter Mann, der etwas anzeigt.
Ich führe nie Gepäck mit mir, keine Tasche, keinen Schirm, vielleicht einen Mantel, den ich mir gerade über die Schulter geworfen habe. Jedenfalls kann ich jederzeit vom Tisch aufstehen und verreisen oder mich aus einer Unterhaltung mit dem Zeitungshändler lösen, um, mir nichts dir nichts, in den nächsten Express nach Kopenhagen zu steigen. Dazu brauche ich nur Geld, lockere Tausend in der Brusttasche, nein, auf keinen Fall Kreditkarten, denn die sind lebensgefährlich, wenn ich das einmal vorausschicken darf. Oder ich reise plötzlich nach Lüttich, um auch das vorauszuschicken.
Jedenfalls scheue ich instinktiv wie eine Trakehner-Stute, die auch nicht weiß, warum sie scheut (das schwarze Auge einer Straßenwalze?), meine Sicherheit jedoch heißt: Regionalzug nach Lübbe um zwölf Uhr zweiunddreißig - also in acht Minuten - über Bärlang, Schwante, Grevesmühlen, wo immer es mich hinführt.
Wobei ich mir nicht sicher sein kann, ob er dann nicht doch im Zug sitzt, im ersten Wagen oder im zweiten. Also stehe ich auf und gehe in den dritten und dann beim Einfahren in den Grevesmühlener Bahnhof in den vierten Wagen, nein, ich steige aus.
Steige kurzerhand aus.
Winke einer Mama, die sehr erstaunt ist, unter den im Wind schaukelnden Blumenkästen zu. Grüße ein paar erstaunte Bekannte auf dem Bahnsteig, gewissermaßen von Ferne. Biege dann plötzlich ab, um auf die Toilette zu gehen. Vorne hinein und hinten hinaus, indem ich zwei, drei
Spülungen betätige, manchmal imitiere ich auch Benutzer, Benutzer einer Damentoilette zum Beispiel. Hört sich merkwürdig an, ist aber nur eine meiner Tugenden, nämlich mich einzufügen, zehn Minuten unter besonders erschwerten Umständen sitzend. Die Angst - habe ich einmal gelesen - ist die Tugend der Fluchttiere, und sie ist ihre edelste, bewahrt sie ihnen doch das Leben. Meines hat sie bis hierher bewahrt, bis nach Grevesmühlen.
Draußen erwartet mich eine regennasse Otto-Grotewohl-Straße, soweit ich auf dem Schild erkennen kann, anscheinend heißt sie immer noch so. Der Bockwurststand ist geschlossen, kein Mensch auf der Straße. Doch, drüben geht einsam die Käthe, die mich nicht sieht (ich sie auch nicht), aber wie sollte sie auch, bei diesem Wind, der ihr den Schirm aufstülpt, so daß sie blaß und dünn aussieht, mit ihren hellen Augen. Ich weiß natürlich nicht, wie sie heißt, aber es ist eine Käthe. Und wenn sie mich gesehen hat, auf dieser regennassen Otto-Grotewohl-Straße, auf der niemand geht, dann hat sie mich wahrscheinlich für einen Butte Beerbohm gehalten. Denn so geht das.
Mir ist kalt, ich friere, mir ist auch nicht besonders wohl, meinen Abgang betreffend. Vielleicht hätte ich doch nicht aussteigen sollen, oder eher verdeckt auf der Gegenseite des Bahnsteigs. Es sind die Unwägbarkeiten, die tiefhängenden Wolken, die Pfützen auf der Straße, der in der Ferne bellende Hund.
Und dann das Wunder.
Am Ende der Straße, dort wo sie auf die Augustenstraße trifft, zweigt eine Fußgängerunterführung nach rechts ab, eigentlich schon zur Augustenstraße gehörig. Es ist eine grünlich gekachelte Röhre unter dem Bahngelände hindurch, wie sie heutzutage nicht mehr gebaut würde, mit steilen steinernen Treppen an beiden Enden. Drüben steht die Bahnmeisterei, ein langgestrecktes Ziegelgebäude, das bei diesem Wetter wie ein großer roter Schwamm aussieht, und dort steigt die jenseitige Treppe direkt an der Seitenwand auf, das kann man von hier aus sehen. Und als ich mich in dem Tunnel befinde, so funzelig beleuchtet, daß ich nicht genau ausmachen kann, ob mir möglicherweise jemand entgegenkommt - ein Selbstmord wäre hier verständlich -, muß zu alledem über mir ein Zug donnern, gerade über meinen Kopf, ich glaube, es hätte geringere Anlässe gegeben.
Aber dann gibt es dort, etwas zurücktretend, eine Nische in der Kachelwand, an der man vor
beiläuft, und dort in der Nische gibt es eine Tür: Bhn W4, unbeleuchtet und kaum sichtbar, wenn man vorbeiläuft. Und wenn man es sähe, was heißt Bhn W4.
Als ich aufschließe, donnert der Gegenzug über meinen Kopf hinweg. Donnert auch noch eine Weile den Korridor entlang, der sich hinter der Tür auftut. Es geht ein paar Stufen hinauf, dann ca. dreißig Meter geradeaus, man ahnt, es ist die «Bahnmeisterei», die ich hier durch einen Kellereingang betrete, jenes langgestreckte Gebäude, immer noch so benannt, obwohl es inzwischen nur noch Bahnschuppen oder Lagerhaus ist. Neuerdings hatte man an der den Bahngleisen abgewandten Seite sogar ein paar Wohneinheiten fertiggestellt. Woher ich das weiß? Abwarten. Es geht jetzt durch die ganze Länge, die Korridore tragen noch immer diesen graugrünen Behördenanstrich bis zur Schulterhöhe, allerdings hat man an den am Ende befindlichen Fenstern große Topfpflanzen aufgestellt. Ein Versuch, möchte man sagen, aber eben den neuen Verhältnissen angemessen.
Wenn ich hier über den hallenden Korridor gehe, falle ich gar nicht auf, jemand, der mich sähe, würde mich wahrscheinlich für Butte Beerbohm halten. Also gut.
Die Gerätekammer liegt im dritten Stock gleich neben dem Treppenaufgang, kenntlich an dem rautenförmigen Fensterchen der relativ schmalen Tür, die ich nun mit meinem Schlüssel, den ich bei mir trage, aufschließe, und dann: Wärme, Wärme, Ruhe, Ruhe, teefarbenes Licht.
Willkommen im Besenschrank.
Ich bin zu Hause.
Spreche ich von einem Wunder? Es ist eines! Zur Begrüßung habe ich mir einen sanften Glenfiddich in Glaskaraffe hingestellt. Zum Wohlig-sein. Die Holztäfelung, die ich aus einem ganz erlesenen Holz habe anfertigen lassen, atmet einen leisen zimtartigen Geruch. Es ist Abend. Und, ja, die leise einsetzende Musik aus «Hotel Costes», die darf ich nicht unerwähnt lassen, es handelt sich um einen schwer zu beschreibenden braunsamtenen Tango, broch, broch, broch.
Die Abstellkammer, die auf mich gewartet hat. Die immer wartet, jederzeit und überall mit automatisch einsetzendem Tango.
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Autoren-Porträt von Ernst Augustin
Ernst Augustin, geboren 1927, Arzt, Neurologe und Psychiater, jahrelang in Entwicklungsländern tätig, später als psychiatrischer Gutachter in München. Autor einer Reihe von Romanen. Literaturpreise: Hermann-Hesse-Preis, Kleist-Preis, Tukan-Preis, Literaturpreis der Stadt München, Mörike-Preis 2009 und Literaturpreis "Von Autoren für Autoren", 2012. Ernst Augustin ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ernst Augustin
- 2012, 2. Aufl., 319 Seiten, Maße: 12,5 x 20,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Beck
- ISBN-10: 3406629962
- ISBN-13: 9783406629969
- Erscheinungsdatum: 20.01.2012
Kommentar zu "Robinsons blaues Haus"
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