Romeo für immer / Romeo & Julia Bd.2
In der spannenden Fortsetzung von "Julia für immer" ist Romeo die Hauptfigur. Nun bekommt er eine Chance, sein Glück zu finden. Es ist seine einzige ... Ein Roman voller Dramatik und Romantik, der einen nicht mehr loslässt. Als Söldner der Apokalyse hatte...
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Produktinformationen zu „Romeo für immer / Romeo & Julia Bd.2 “
Klappentext zu „Romeo für immer / Romeo & Julia Bd.2 “
In der spannenden Fortsetzung von "Julia für immer" ist Romeo die Hauptfigur. Nun bekommt er eine Chance, sein Glück zu finden. Es ist seine einzige ... Ein Roman voller Dramatik und Romantik, der einen nicht mehr loslässt. Als Söldner der Apokalyse hatte Romeo nur ein Ziel: die Liebe zwischen zwei Menschen zu zerstören. Doch die Mächte des Bösen haben ihn verstoßen, und er hat nur eine einzige Möglichkeit, sich selbst und seinen dem Niedergang geweihten Körper zu erlösen: Er muss auf die Seite der Botschafter des Lichts, der einstigen Feinde, wechseln und eine Reise in die Vergangenheit antreten. Dort wird er Ariel Dragland wiederbegegnen, die Julias Seele beherbergt und die er getötet hat. Romeo ergreift die Chance auf einen Neuanfang und setzt nun alles daran, ihr Herz zu erobern. Was er jedoch noch nicht weiß: Ariel hält das Schicksal der ganzen Welt in den Händen, denn in ihr kämpfen die Mächte des Bösen und des Guten einen erbitterten Kampf. Wird er Ariel und ihre gemeinsame Liebe retten können?
Lese-Probe zu „Romeo für immer / Romeo & Julia Bd.2 “
Romeo für immer von Stacey Jay2
SOLVANG, KALIFORNIEN, GEGENWART
Romeo
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Ich kauere in einer dunklen Ecke des stillgelegten Bahnhofs, beobachte, wie das Morgenlicht langsam die Vogelnester unter dem Dach erreicht, und halte die Decke fest umklammert, die ich einem der Obdachlosen geklaut habe, die dieses abbruchreife Gebäude ihr Zuhause nennen.
Sie waren zu fünft, einer von ihnen war, nach seiner schwarzen Aura zu urteilen, ein Söldner. Sie liefen laut schreiend davon, als ich zur Tür hereinkroch: Meine knochigen Hände schrammten über den mit Vogeldreck bedeckten Holzboden, und die von mir abfallenden verfaulten Fleischfetzen hinterließen eine Spur des Grauens.
Selbst der Söldner rannte vor mir davon. Er wusste, was ich war, sah, was aus mir geworden war, und befürchtete wohl, dass der Fluch, mit dem ich geschlagen bin, ansteckend sein könnte.
Ich bin verflucht und verdammt.
Es stimmt, und ich habe in den Wochen, seit Julia zum zweiten Mal verschieden ist, sehr gelitten. Ich habe meine Sinne zurückbekommen, damit ich merke, dass ich stinke wie eine Pestgrube und aussehe wie ein Monster. Damit mir jeder Schritt als höllischer Schmerz durch die Brust fährt und dröhnend in meinem Kopf widerhallt. Nun bin ich wahrhaftig eine Kreatur der Finsternis, ein derart schreckliches Wesen, dass ich nichts anderes tun kann, als mich in dunklen Winkeln zu verstecken und zu versuchen, mich zu wärmen, während der Wind durch meine Knochen pfeift.
Das Einzige, was mich davon abhält, diesem erbärmlichen Dasein ein Ende zu setzen, ist die Warnung des Mönchs, dass mich diese Tat zu einem Phantom machen würde, unhörbar, unsichtbar und formlos.
»Was meinst du, wie unangenehm dir erst ein paar Millionen Jahre als ein unsichtbares Nichts sein werden, dessen Schreie niemand hören kann?«
Die größten Lügner sagen immer die Wahrheit, wenn sie können. Alles, was er sonst noch gesagt hatte, war bereits eingetreten: Ich wurde von den Söldnern verstoßen und in dieses grausame Zerrbild meines ursprünglichen Körpers gezwungen. Er ist ein Abbild meiner Seele, an dem die Gräueltaten, die ich begangen habe, verheerende Schäden angerichtet haben.
Was ist, wenn auch der Rest seiner Prophezeiung stimmt? Wenn meine Seele nach dem Tod dieses Körpers weiterlebt? Dann ist das hier schon besser. Alles ist besser als die Qual, ein unsichtbares Nichts zu sein, von dessen Existenz niemand weiß und dessen Stimme niemand hört.
Sogar die Schreie der Menschen, die vor mir davonlaufen, sind besser als nichts, denn immerhin bestätigen sie meine Existenz.
Heiseres Schluchzen durchbricht die Stille. Es hört sich an wie ein verwundetes Tier, das verzweifelt die Sonnenstrahlen anwinselt, die auf eine Wand fallen. In den vergangenen Wochen habe ich mehr geheult als in meinem ganzen Leben und dem Leben nach meinem Tod zusammen. Die quälenden Erinnerungen, die mich verfolgten, als ich ein Söldner war, erfüllen mich nun mit Reue, mit Hass, Angst, Liebe ...
Ich habe sie die ganze Zeit geliebt. Wie sehr, ist mir erst bewusst geworden, als ich an den Ort zurückgekrochen bin, an dem sie ein zweites Mal starb; als ich ihre leblose Hand berührt und angesichts ihrer großen, leblosen Augen zu weinen angefangen habe. Julia. Ihre Seele ist für immer gegangen. Ich kann den Unterschied spüren; die Welt ist dunkler geworden, sie hat nun ein Licht weniger. Ich habe versucht, sie zu retten. Ich hoffe, dass es mir in gewisser Weise gelungen ist und sie nun in Frieden im Nebel ruht, oder wo auch immer die Guten hingehen.
Ich hoffe, der Junge, den sie geliebt hat, ist bei ihr. Um ihn habe ich zwar nicht geweint, aber ich habe seinen Verlust bedauert. Zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren habe ich mir gewünscht, ich hätte eine andere Wahl gehabt und beide verschonen können. Doch ich konnte den Mönch nicht bezwingen, und ihre Liebe hätte seine Quälereien nicht überstanden. Das Beste, was ich tun konnte, war, sie zu töten und mich an ihrer Stelle anzubieten.
Vielleicht bereue ich meine Entscheidung eines Tages, wenn aus den Wochen unerträglichen Leidens Jahre und Jahrzehnte und Jahrhunderte geworden sind und ich schließlich nur noch Staub bin und mir auch der Luxus des Weinens versagt ist.
Am besten weine ich, solange ich noch Augen habe.
Mein Schluchzen durchbricht die Stille und scheucht die Vögel aus ihren Nestern auf. Sie schwingen sich in die Luft, und ihre Flügel hören sich an wie Laken, die man zum Trocknen in den Wind gehängt hat. Das Geräusch ist so laut, dass ich mich tiefer in meine Decke verkrieche, um meine Ohren zu schützen. Es sind Hunderte, so viele, dass der Boden mit ihrem von Fliegen umschwärmten Unrat bedeckt ist.
Dieses Dreckloch hier ist kein Ort für einen Menschen, aber für mich ist es perfekt.
»Da bist du ja! Ich habe dich gesucht.« Die Stimme kommt aus Richtung der Tür. Sie klingt so heiter, dass mir die Ohren davon wehtun. Es ist eine Frau, eine hübsche Rothaarige mit so heller Haut, dass ihre blauen Adern an den Schläfen und unter ihren dunkelbraunen Augen durchschimmern.
»Du hast ja eine ganz schöne Spur hinterlassen.« Sie lächelt mich mit grimmiger Entschlossenheit an.
Sie ist also gekommen, um sich an meinem Unglück zu weiden. Ich dachte, die Botschafter wären über solch billige Freuden erhaben, aber sie ist eindeutig eine von ihnen. Eine von den Goldenen. Ihre Aura strahlt heller als die Morgensonne, und ich muss blinzeln, als sie durch den Raum geht und neben mir in die Hocke geht.
»Nun, Romeo, wie gefällt dir der Ruhestand?«
Ich kneife die Augen zusammen und fauche sie böse an, indem ich meine schwarze Zunge gegen die wenigen verbliebenen Zahnstummel presse.
Sie lacht nur leise und gibt mir damit zu verstehen, was für ein kleines, dummes Scheusal ich doch bin. »So gut also?« Sie nickt. »Das habe ich mir gedacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das im Sinn hattest, als du meine Julia zu ewigem Leben auf der Erde verführen wolltest.«
Sie ist es, Julias Amme. Eigentlich müsste ich mich vor ihr fürchten, doch was kann sie mir jetzt noch antun? Ich bin bereits so tief gesunken, dass sogar die Fliegen verweigern, ihre Eier in meinem Fleisch abzulegen.
»Ich bin gekommen, um dir einen Ausweg anzubieten.«
Einen Ausweg! Ich habe mir nicht gestattet, überhaupt daran zu denken. Es gibt keinen Ausweg. Das hier ist mein Ende. Es ist die unvermeidliche Grube am Ende des letzten Weges.
Aber vielleicht ...
»Warum?«, frage ich mit rauer Stimme. Ich traue den Botschaftern ebenso wenig wie ihren dunklen Entsprechungen, den Söldnern. Botschafter und Söldner sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Beide versuchen, Menschen für ihre Sache zu gewinnen, indem sie ihre Schwäche ausnutzen. Beide Kreaturen nutzen die Lebensenergie der Bekehrten, die diese durch ihre Taten - gut oder böse - gewinnen, um sich ewiges Leben in ihren Gefilden zu sichern. Söldner und Botschafter gehörten einst demselben Zirkel an, bevor sie sich auf verschiedene Seiten schlugen und durch den Zauber getrennt wurden.
Dieser vermeintliche »Ausweg« könnte sich also durchaus als ein »Zugang« zu wesentlich größeren Unannehmlichkeiten entpuppen.
»Die Söldner stehlen uns seit Jahrhunderten unsere Bekehrten.« Julias Amme zieht mir die Decke weg. »Einige meiner Freunde sind anderer Meinung, aber ich sehe nicht ein, warum wir nicht das Gleiche tun sollten. Ein Frontenwechsel erzeugt große Macht, und die brauchen wir jetzt, nachdem so viele von unseren Hohen gefallen sind.«
Sie sind nicht gefallen, sie wurden ermordet. Sie wurden von den Söldnern abgeschlachtet. Söldner kämpfen mit unsauberen Mitteln. Sie töten, um das zu bekommen, was sie haben wollen, und sie werden erst damit aufhören, wenn ihr Feuer das allerletzte Licht ist, das am Ende der Welt brennt.
»Könntest du dir vorstellen, einer von uns zu werden?«, fragt sie.
Ich weiß relativ wenig über das Innenleben der Botschafter, aber ich kenne die Söldner. Und ich weiß, sie werden gewinnen. Die Botschafter sind schwach, ihnen sind die Hände gebunden, weil sie mit ihrer Magie nichts Böses tun dürfen. Zu den Botschaftern überzuwechseln wäre reiner Selbstmord.
Ich lächle sie an und nicke eifrig. Ja, ich werde auf die andere Seite wechseln. Ja, ich werde den Botschaftern dienen. Ich werde dieses Elend eintauschen gegen Jahre der Bewusstlosigkeit im Nebel und lange Tage in Körpern, die fühlen können. Ich werde ihnen so lange dienen, wie sie es wünschen, und dann werde ich frei sein. Dann kann ich sterben, wie sie gestorben ist.
Die Botschafter haben Julias Seele gehen lassen, statt sie ihrem Seelengeist auszuliefern. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte und ihren Schwur nicht ein weiteres Mal ablegen wollte, haben sie Julia eines natürlichen Todes sterben lassen. Das ist mehr, als ich mir erhoffen konnte.
»Ausgezeichnet.« Sie legt eine Hand unter mein Kinn, als wäre ich keine abscheuliche Kreatur, sondern etwas Kostbares, das sie gerade noch aus dem Wasser gefischt hat, bevor die Strömung es davontragen konnte. »Aber du musst beweisen, dass es dir ernst ist, Romeo, und dass du dich unserer Sache voll und ganz widmest, sie über alles andere stellst. Wenn du das tust, komme ich und nehme dir den Schwur ab und mache dich zum Friedenswächter. Das ist ein sehr wichtiger Dienerposten bei uns. Wenn nicht, wird die Magie, die ich dir zuteilwerden lasse, versiegen, und du landest wieder hier in diesem Körper, ohne jegliche Hoffnung.«
Ich nicke wieder, streife dabei mit dem Kinn ihre Hand und besudle ihre sauberen Finger mit den Spuren meiner Verwesung. Ich werde ihr treu ergeben sein. Ich werde ihr dienen, wie nie ein Botschafter gedient hat, weil keiner von ihnen erlebt hat, wie es ist, so ein abscheuliches Wesen zu sein wie ich.
»Gut. Pass auf, du musst Folgendes tun.« Sie beugt sich vor und flüstert mir unmögliche Dinge zu, schildert ein ganz und gar unwahrscheinliches Szenario und beendet ihre Ausführungen mit dem Versprechen, mich am Ende abzuholen, wenn ich jemandem das Leben gerettet habe und vielleicht sogar die ganze Welt.
Ich, Romeo, werde die Welt retten. Oder zumindest eine Welt.
Meiner Kehle entspringen auf einmal merkwürdige Laute. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass es Gelächter ist. Als es mir bewusst wird, lache ich gleich noch einmal, nur um zu sehen, ob sie erkennt, was für ein gebrochenes Wesen ich bin, und vor mir zurückweicht.
Aber sie klopft mir auf den geschundenen Rücken und beugt sich noch etwas tiefer zu mir herunter, um mir in die Augen zu sehen. »Wirst du tun, was ich sage? Wirst du für mich kämpfen? Und für mich lieben?«
Ich lächle. »Wenn ich fertig bin, wird das Mädchen glauben, es sei Sonne, Mond und Sterne für mich. Sie wird sich vor Sehnsucht nach mir verzehren und denken, wie wunderbar es ist zu lieben, geliebt zu werden und solch einen Schatz in den Händen zu halten.«
Julias Amme lacht. »Gut. Für Ariel wirst du deinen ganzen außergewöhnlichen Charme brauchen.«
Ariel. Aber sie ist doch tot! Ich habe doch den Körper getötet, der Julias Seele beherbergt hat. Ich habe ihr eine Kugel in den Kopf gejagt, um sie unerreichbar zu machen für den Zugriff des Mönchs.
Die Amme betrachtet mein Gesicht und liest meine Fragen offenbar von den Hautfetzen an Wangen und Kinn ab. »Ich weiß, was du getan hast. Deshalb kannst nur du es rückgängig machen. Unsere Entscheidungen lassen viele verschiedene Realitäten entstehen. Ich kann dich zurückschicken und dir die Chance geben, eine andere Entscheidung zu treffen und damit für Ariel einen neuen Platz in der Welt zu schaffen.«
Ich werfe die Decke zur Seite. »Ich bin bereit. Schick mich zurück!«
»Nur Geduld«, sagt sie, bildet mit den Händen eine Schale und beschwört gleißendes, blendendes Licht. »Ich muss dich in den Körper zurückschicken, in dem du warst, als du sie getötet hast; zurück zu dem Moment, bevor sich Dylan Strouds Schicksalspfad in zwei sehr unterschiedliche Richtungen gabelt.«
»Na schön, er wird seinen Zweck erfüllen.« Dylans Körper hat mir bei meinem letzten Einsatz gute Dienste geleistet. Der Junge sieht gut aus; er ist draufgängerisch und kaputt. Er hat alles, was junge Mädchen lieben, bevor sie eines Tages erkennen, dass es nicht klug ist, mit dem Feuer zu spielen. Aber Ariel ist noch jung. Sie wird sich von der Glut verführen lassen und sich zu ihm hingezogen fühlen. Lächelnd denke ich an ihre großen blauen Augen und ihr silberblondes Haar.
Vielleicht ist diese Aufgabe ja gar nicht so unerquicklich.
»Vergiss nicht, dass du sie dazu bringen musst, an die Liebe zu glauben«, ermahnt mich die Amme und breitet die Hände aus. Der Lichtball wird immer größer, und die Luft knistert vor Magie. »Es ist völlig egal, was du empfindest. Du musst sie dazu bringen, dich zu lieben.
Flöße ihr ein unerschütterliches Vertrauen ein. Sie muss glauben, dass das Herz eines Menschen es wert ist, darum zu kämpfen. Verbanne die Finsternis aus ihrem Inneren und führe sie auf den rechten Weg.«
Ich winke mit meiner knochigen Hand verächtlich ab. »Kein Problem.«
Sie schenkt mir noch ein Lächeln, aber diesmal hat es etwas Heimtückisches. »Dann wünsche ich dir viel Erfolg, Romeo. Geh und mach das Beste aus deiner einzigen Chance.« Sie lässt die Hände sinken, und der goldene Ball rast auf mich zu, er trifft mich mitten ins Gesicht. Die Welt explodiert mit einem Funkenregen. Es fühlt sich an, als sei ich in eine Feuergrube geworfen, in der es keine Luft zum Atmen und kein Erbarmen gibt. Es kommt mir so vor, als brenne ich lichterloh, stundenlang.
Und dann ist es auf einmal vorbei. Genauso unerwartet, wie es angefangen hat. Ich bin in einem anderen Körper und fahre an einem Frühjahrsabend eine dunkle Straße entlang.
Frische, kühle Abendluft strömt durch die offenen Wagenfenster und trägt mir den herrlichen Duft von frisch gemähtem Gras zu, der sich mit wildem Rosmarin und Kuhdung vermischt hat. Es ist einfach wunderbar! Meine Hände liegen auf dem Lenkrad, der Wind zerzaust meine Haare, und ich spüre all das, von dem ich geglaubt habe, es nie wieder fühlen zu können. Das Leben! Das wahre Leben, nicht die Schattenwelt, in der ich so lange gefangen war. Ich atme tief ein und halte die Luft an, bis mir die Lunge schmerzt, dann lasse ich sie mit einem zufriedenen Seufzen entweichen.
Neben mir, auf dem Beifahrersitz, gibt jemand ein Geräusch von sich, das einem Knurren gleicht.
Ich bin nicht allein. Ich drehe den Kopf und sehe in die unglaublich großen blauen Augen von Ariel Dragland. Sie kauert mit verschränkten Armen in ihrem Sitz, sieht mich mit unverhohlenem Hass an und nestelt mit ihren langen, dünnen Fingern an ihrem Kragen. Ich spüre, wie Dylans Erinnerungen an sie in mich hineinströmen. Es ist ein ganz neues, sonderbares Gefühl, nach so vielen Jahren in den leeren Körpern der Toten. Als Söldner habe ich in unzähligen toten Körpern gelebt, und doch war es immer das Gleiche. Jeder dieser Körper war ein Gefängnis, das mich von der Welt abschirmte. Aber jetzt spüre ich nicht nur all meine Sinne und meine Menschlichkeit, sondern ich habe auch Zugang zu den Gedanken und Gefühlen des Menschen, in dessen Körper ich mich befinde. Mein letzter Aufenthalt in diesem Körper endete mit dem Tod, doch jetzt und hier lebt Dylan noch, und er wird wieder in seinen Körper zurückkehren, wenn ich meine Arbeit beendet habe. Solange wird er durch die Nebel des Vergessens wandern, wo auch ich mich in Zukunft zwischen meinen Einsätzen für die Mächte des Guten und des Lichts aufhalten werde.
Vorausgesetzt, ich stelle die Amme und die Botschafter zufrieden. Und das werde ich. Ich muss! Denn ich kann nicht wieder dieses
abscheuliche Wesen sein. Ich kann auf keinen Fall zurückgehen. Ich konzentrierte mich auf Dylans Erinnerungen.
Er verachtete Ariel für ihre Schwäche. Dafür, dass sie eine so leichte Beute war, ein williges Opfer. Das Shirt, das sie trug, machte sie hübscher, dachte er. Das machte es ihm leichter, die Wette zu erfüllen und den Schulfreak zu verführen. Er hätte es auch fast geschafft und beinahe fünfhundert Dollar gewonnen. Wenn Jason ihm keine SMS geschickt hätte. Und vor allem: wenn Ariel sie nicht gelesen hätte.
Aber sie hatte sie gelesen. Und war ziemlich sauer geworden. Das zornige, beinahe irre Funkeln in ihren Augen hatte sogar einem jungen Schurken wie Dylan Stroud Angst gemacht. Vielleicht war Ariel ja wirklich verrückt.
Ich werfe ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu. Verrückt ist relativ. Aus meiner Sicht ist Ariel ziemlich normal. Aber sehr wütend. Und schneller, als man denkt.
Ehe ich mich versehe, greift sie mir ins Steuer und reißt es nach rechts. Ich fluche in mich hinein und verstehe plötzlich, wieso die Amme so heimtückisch gelächelt hat. Der Wagen schießt auf die Schlucht zu, in der Dylan starb, als ich zum ersten Mal in seinen Körper geschlüpft bin.
Man hat mich in die Vergangenheit zurückgeschickt, um einem Mädchen den Hof zu machen, das den Körper hasst, in dem ich stecke. Selbst wenn wir diesen Unfall überleben, bin ich geliefert. Sie wird mich niemals lieben.
Falsch! Sie wird Dylan niemals lieben. Aber ich bin nicht er. Ich bin ein anderes Scheusal, eines mit liebevollen Worten und sanften Händen.
Mit mehr oder weniger sanften Händen. Ich reiße Ariel das Steuer aus der Hand und lenke mit gerade so viel Widerstand gegen, dass der Wagen langsamer wird. Wir knallen gegen die Leitplanke, prallen ab und landen wieder auf der Straße. Das Heck des Wagens bricht aus und rutscht über die Mittellinie, bevor er schließlich zum Stehen kommt.
Zuerst sind nur unsere keuchenden Atemzüge zu hören. Es hat uns beiden die Sprache verschlagen, wie knapp wir dem Tod entronnen sind.
Ariel findet sie als Erste wieder. »Ich hasse dich! Ich werde dich fertigmachen, Dylan Stroud. Du wirst schon sehen!« Und dann springt sie auch schon aus dem Auto und läuft die Straße Richtung Los Olivos hinunter. Ihr blondes Haar glänzt silbrig im Mondschein.
Ich schaue in den Rückspiegel und sehe ihr nach. In meinem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. Sie ist einfach herrlich in ihrem brennenden Hass. Eigentlich ist es schade, dass ich dieses Feuer löschen und mit einem sanften Kuss in wahrer Liebe ersticken muss.
»In wahrer Liebe!«, singe ich beschwingt und schalte das Radio ein, bevor ich den Wagen wende und hinter dem Mädchen herfahre, das nicht ahnt, dass es mich lieben wird.
...
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Ich kauere in einer dunklen Ecke des stillgelegten Bahnhofs, beobachte, wie das Morgenlicht langsam die Vogelnester unter dem Dach erreicht, und halte die Decke fest umklammert, die ich einem der Obdachlosen geklaut habe, die dieses abbruchreife Gebäude ihr Zuhause nennen.
Sie waren zu fünft, einer von ihnen war, nach seiner schwarzen Aura zu urteilen, ein Söldner. Sie liefen laut schreiend davon, als ich zur Tür hereinkroch: Meine knochigen Hände schrammten über den mit Vogeldreck bedeckten Holzboden, und die von mir abfallenden verfaulten Fleischfetzen hinterließen eine Spur des Grauens.
Selbst der Söldner rannte vor mir davon. Er wusste, was ich war, sah, was aus mir geworden war, und befürchtete wohl, dass der Fluch, mit dem ich geschlagen bin, ansteckend sein könnte.
Ich bin verflucht und verdammt.
Es stimmt, und ich habe in den Wochen, seit Julia zum zweiten Mal verschieden ist, sehr gelitten. Ich habe meine Sinne zurückbekommen, damit ich merke, dass ich stinke wie eine Pestgrube und aussehe wie ein Monster. Damit mir jeder Schritt als höllischer Schmerz durch die Brust fährt und dröhnend in meinem Kopf widerhallt. Nun bin ich wahrhaftig eine Kreatur der Finsternis, ein derart schreckliches Wesen, dass ich nichts anderes tun kann, als mich in dunklen Winkeln zu verstecken und zu versuchen, mich zu wärmen, während der Wind durch meine Knochen pfeift.
Das Einzige, was mich davon abhält, diesem erbärmlichen Dasein ein Ende zu setzen, ist die Warnung des Mönchs, dass mich diese Tat zu einem Phantom machen würde, unhörbar, unsichtbar und formlos.
»Was meinst du, wie unangenehm dir erst ein paar Millionen Jahre als ein unsichtbares Nichts sein werden, dessen Schreie niemand hören kann?«
Die größten Lügner sagen immer die Wahrheit, wenn sie können. Alles, was er sonst noch gesagt hatte, war bereits eingetreten: Ich wurde von den Söldnern verstoßen und in dieses grausame Zerrbild meines ursprünglichen Körpers gezwungen. Er ist ein Abbild meiner Seele, an dem die Gräueltaten, die ich begangen habe, verheerende Schäden angerichtet haben.
Was ist, wenn auch der Rest seiner Prophezeiung stimmt? Wenn meine Seele nach dem Tod dieses Körpers weiterlebt? Dann ist das hier schon besser. Alles ist besser als die Qual, ein unsichtbares Nichts zu sein, von dessen Existenz niemand weiß und dessen Stimme niemand hört.
Sogar die Schreie der Menschen, die vor mir davonlaufen, sind besser als nichts, denn immerhin bestätigen sie meine Existenz.
Heiseres Schluchzen durchbricht die Stille. Es hört sich an wie ein verwundetes Tier, das verzweifelt die Sonnenstrahlen anwinselt, die auf eine Wand fallen. In den vergangenen Wochen habe ich mehr geheult als in meinem ganzen Leben und dem Leben nach meinem Tod zusammen. Die quälenden Erinnerungen, die mich verfolgten, als ich ein Söldner war, erfüllen mich nun mit Reue, mit Hass, Angst, Liebe ...
Ich habe sie die ganze Zeit geliebt. Wie sehr, ist mir erst bewusst geworden, als ich an den Ort zurückgekrochen bin, an dem sie ein zweites Mal starb; als ich ihre leblose Hand berührt und angesichts ihrer großen, leblosen Augen zu weinen angefangen habe. Julia. Ihre Seele ist für immer gegangen. Ich kann den Unterschied spüren; die Welt ist dunkler geworden, sie hat nun ein Licht weniger. Ich habe versucht, sie zu retten. Ich hoffe, dass es mir in gewisser Weise gelungen ist und sie nun in Frieden im Nebel ruht, oder wo auch immer die Guten hingehen.
Ich hoffe, der Junge, den sie geliebt hat, ist bei ihr. Um ihn habe ich zwar nicht geweint, aber ich habe seinen Verlust bedauert. Zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren habe ich mir gewünscht, ich hätte eine andere Wahl gehabt und beide verschonen können. Doch ich konnte den Mönch nicht bezwingen, und ihre Liebe hätte seine Quälereien nicht überstanden. Das Beste, was ich tun konnte, war, sie zu töten und mich an ihrer Stelle anzubieten.
Vielleicht bereue ich meine Entscheidung eines Tages, wenn aus den Wochen unerträglichen Leidens Jahre und Jahrzehnte und Jahrhunderte geworden sind und ich schließlich nur noch Staub bin und mir auch der Luxus des Weinens versagt ist.
Am besten weine ich, solange ich noch Augen habe.
Mein Schluchzen durchbricht die Stille und scheucht die Vögel aus ihren Nestern auf. Sie schwingen sich in die Luft, und ihre Flügel hören sich an wie Laken, die man zum Trocknen in den Wind gehängt hat. Das Geräusch ist so laut, dass ich mich tiefer in meine Decke verkrieche, um meine Ohren zu schützen. Es sind Hunderte, so viele, dass der Boden mit ihrem von Fliegen umschwärmten Unrat bedeckt ist.
Dieses Dreckloch hier ist kein Ort für einen Menschen, aber für mich ist es perfekt.
»Da bist du ja! Ich habe dich gesucht.« Die Stimme kommt aus Richtung der Tür. Sie klingt so heiter, dass mir die Ohren davon wehtun. Es ist eine Frau, eine hübsche Rothaarige mit so heller Haut, dass ihre blauen Adern an den Schläfen und unter ihren dunkelbraunen Augen durchschimmern.
»Du hast ja eine ganz schöne Spur hinterlassen.« Sie lächelt mich mit grimmiger Entschlossenheit an.
Sie ist also gekommen, um sich an meinem Unglück zu weiden. Ich dachte, die Botschafter wären über solch billige Freuden erhaben, aber sie ist eindeutig eine von ihnen. Eine von den Goldenen. Ihre Aura strahlt heller als die Morgensonne, und ich muss blinzeln, als sie durch den Raum geht und neben mir in die Hocke geht.
»Nun, Romeo, wie gefällt dir der Ruhestand?«
Ich kneife die Augen zusammen und fauche sie böse an, indem ich meine schwarze Zunge gegen die wenigen verbliebenen Zahnstummel presse.
Sie lacht nur leise und gibt mir damit zu verstehen, was für ein kleines, dummes Scheusal ich doch bin. »So gut also?« Sie nickt. »Das habe ich mir gedacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das im Sinn hattest, als du meine Julia zu ewigem Leben auf der Erde verführen wolltest.«
Sie ist es, Julias Amme. Eigentlich müsste ich mich vor ihr fürchten, doch was kann sie mir jetzt noch antun? Ich bin bereits so tief gesunken, dass sogar die Fliegen verweigern, ihre Eier in meinem Fleisch abzulegen.
»Ich bin gekommen, um dir einen Ausweg anzubieten.«
Einen Ausweg! Ich habe mir nicht gestattet, überhaupt daran zu denken. Es gibt keinen Ausweg. Das hier ist mein Ende. Es ist die unvermeidliche Grube am Ende des letzten Weges.
Aber vielleicht ...
»Warum?«, frage ich mit rauer Stimme. Ich traue den Botschaftern ebenso wenig wie ihren dunklen Entsprechungen, den Söldnern. Botschafter und Söldner sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Beide versuchen, Menschen für ihre Sache zu gewinnen, indem sie ihre Schwäche ausnutzen. Beide Kreaturen nutzen die Lebensenergie der Bekehrten, die diese durch ihre Taten - gut oder böse - gewinnen, um sich ewiges Leben in ihren Gefilden zu sichern. Söldner und Botschafter gehörten einst demselben Zirkel an, bevor sie sich auf verschiedene Seiten schlugen und durch den Zauber getrennt wurden.
Dieser vermeintliche »Ausweg« könnte sich also durchaus als ein »Zugang« zu wesentlich größeren Unannehmlichkeiten entpuppen.
»Die Söldner stehlen uns seit Jahrhunderten unsere Bekehrten.« Julias Amme zieht mir die Decke weg. »Einige meiner Freunde sind anderer Meinung, aber ich sehe nicht ein, warum wir nicht das Gleiche tun sollten. Ein Frontenwechsel erzeugt große Macht, und die brauchen wir jetzt, nachdem so viele von unseren Hohen gefallen sind.«
Sie sind nicht gefallen, sie wurden ermordet. Sie wurden von den Söldnern abgeschlachtet. Söldner kämpfen mit unsauberen Mitteln. Sie töten, um das zu bekommen, was sie haben wollen, und sie werden erst damit aufhören, wenn ihr Feuer das allerletzte Licht ist, das am Ende der Welt brennt.
»Könntest du dir vorstellen, einer von uns zu werden?«, fragt sie.
Ich weiß relativ wenig über das Innenleben der Botschafter, aber ich kenne die Söldner. Und ich weiß, sie werden gewinnen. Die Botschafter sind schwach, ihnen sind die Hände gebunden, weil sie mit ihrer Magie nichts Böses tun dürfen. Zu den Botschaftern überzuwechseln wäre reiner Selbstmord.
Ich lächle sie an und nicke eifrig. Ja, ich werde auf die andere Seite wechseln. Ja, ich werde den Botschaftern dienen. Ich werde dieses Elend eintauschen gegen Jahre der Bewusstlosigkeit im Nebel und lange Tage in Körpern, die fühlen können. Ich werde ihnen so lange dienen, wie sie es wünschen, und dann werde ich frei sein. Dann kann ich sterben, wie sie gestorben ist.
Die Botschafter haben Julias Seele gehen lassen, statt sie ihrem Seelengeist auszuliefern. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte und ihren Schwur nicht ein weiteres Mal ablegen wollte, haben sie Julia eines natürlichen Todes sterben lassen. Das ist mehr, als ich mir erhoffen konnte.
»Ausgezeichnet.« Sie legt eine Hand unter mein Kinn, als wäre ich keine abscheuliche Kreatur, sondern etwas Kostbares, das sie gerade noch aus dem Wasser gefischt hat, bevor die Strömung es davontragen konnte. »Aber du musst beweisen, dass es dir ernst ist, Romeo, und dass du dich unserer Sache voll und ganz widmest, sie über alles andere stellst. Wenn du das tust, komme ich und nehme dir den Schwur ab und mache dich zum Friedenswächter. Das ist ein sehr wichtiger Dienerposten bei uns. Wenn nicht, wird die Magie, die ich dir zuteilwerden lasse, versiegen, und du landest wieder hier in diesem Körper, ohne jegliche Hoffnung.«
Ich nicke wieder, streife dabei mit dem Kinn ihre Hand und besudle ihre sauberen Finger mit den Spuren meiner Verwesung. Ich werde ihr treu ergeben sein. Ich werde ihr dienen, wie nie ein Botschafter gedient hat, weil keiner von ihnen erlebt hat, wie es ist, so ein abscheuliches Wesen zu sein wie ich.
»Gut. Pass auf, du musst Folgendes tun.« Sie beugt sich vor und flüstert mir unmögliche Dinge zu, schildert ein ganz und gar unwahrscheinliches Szenario und beendet ihre Ausführungen mit dem Versprechen, mich am Ende abzuholen, wenn ich jemandem das Leben gerettet habe und vielleicht sogar die ganze Welt.
Ich, Romeo, werde die Welt retten. Oder zumindest eine Welt.
Meiner Kehle entspringen auf einmal merkwürdige Laute. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass es Gelächter ist. Als es mir bewusst wird, lache ich gleich noch einmal, nur um zu sehen, ob sie erkennt, was für ein gebrochenes Wesen ich bin, und vor mir zurückweicht.
Aber sie klopft mir auf den geschundenen Rücken und beugt sich noch etwas tiefer zu mir herunter, um mir in die Augen zu sehen. »Wirst du tun, was ich sage? Wirst du für mich kämpfen? Und für mich lieben?«
Ich lächle. »Wenn ich fertig bin, wird das Mädchen glauben, es sei Sonne, Mond und Sterne für mich. Sie wird sich vor Sehnsucht nach mir verzehren und denken, wie wunderbar es ist zu lieben, geliebt zu werden und solch einen Schatz in den Händen zu halten.«
Julias Amme lacht. »Gut. Für Ariel wirst du deinen ganzen außergewöhnlichen Charme brauchen.«
Ariel. Aber sie ist doch tot! Ich habe doch den Körper getötet, der Julias Seele beherbergt hat. Ich habe ihr eine Kugel in den Kopf gejagt, um sie unerreichbar zu machen für den Zugriff des Mönchs.
Die Amme betrachtet mein Gesicht und liest meine Fragen offenbar von den Hautfetzen an Wangen und Kinn ab. »Ich weiß, was du getan hast. Deshalb kannst nur du es rückgängig machen. Unsere Entscheidungen lassen viele verschiedene Realitäten entstehen. Ich kann dich zurückschicken und dir die Chance geben, eine andere Entscheidung zu treffen und damit für Ariel einen neuen Platz in der Welt zu schaffen.«
Ich werfe die Decke zur Seite. »Ich bin bereit. Schick mich zurück!«
»Nur Geduld«, sagt sie, bildet mit den Händen eine Schale und beschwört gleißendes, blendendes Licht. »Ich muss dich in den Körper zurückschicken, in dem du warst, als du sie getötet hast; zurück zu dem Moment, bevor sich Dylan Strouds Schicksalspfad in zwei sehr unterschiedliche Richtungen gabelt.«
»Na schön, er wird seinen Zweck erfüllen.« Dylans Körper hat mir bei meinem letzten Einsatz gute Dienste geleistet. Der Junge sieht gut aus; er ist draufgängerisch und kaputt. Er hat alles, was junge Mädchen lieben, bevor sie eines Tages erkennen, dass es nicht klug ist, mit dem Feuer zu spielen. Aber Ariel ist noch jung. Sie wird sich von der Glut verführen lassen und sich zu ihm hingezogen fühlen. Lächelnd denke ich an ihre großen blauen Augen und ihr silberblondes Haar.
Vielleicht ist diese Aufgabe ja gar nicht so unerquicklich.
»Vergiss nicht, dass du sie dazu bringen musst, an die Liebe zu glauben«, ermahnt mich die Amme und breitet die Hände aus. Der Lichtball wird immer größer, und die Luft knistert vor Magie. »Es ist völlig egal, was du empfindest. Du musst sie dazu bringen, dich zu lieben.
Flöße ihr ein unerschütterliches Vertrauen ein. Sie muss glauben, dass das Herz eines Menschen es wert ist, darum zu kämpfen. Verbanne die Finsternis aus ihrem Inneren und führe sie auf den rechten Weg.«
Ich winke mit meiner knochigen Hand verächtlich ab. »Kein Problem.«
Sie schenkt mir noch ein Lächeln, aber diesmal hat es etwas Heimtückisches. »Dann wünsche ich dir viel Erfolg, Romeo. Geh und mach das Beste aus deiner einzigen Chance.« Sie lässt die Hände sinken, und der goldene Ball rast auf mich zu, er trifft mich mitten ins Gesicht. Die Welt explodiert mit einem Funkenregen. Es fühlt sich an, als sei ich in eine Feuergrube geworfen, in der es keine Luft zum Atmen und kein Erbarmen gibt. Es kommt mir so vor, als brenne ich lichterloh, stundenlang.
Und dann ist es auf einmal vorbei. Genauso unerwartet, wie es angefangen hat. Ich bin in einem anderen Körper und fahre an einem Frühjahrsabend eine dunkle Straße entlang.
Frische, kühle Abendluft strömt durch die offenen Wagenfenster und trägt mir den herrlichen Duft von frisch gemähtem Gras zu, der sich mit wildem Rosmarin und Kuhdung vermischt hat. Es ist einfach wunderbar! Meine Hände liegen auf dem Lenkrad, der Wind zerzaust meine Haare, und ich spüre all das, von dem ich geglaubt habe, es nie wieder fühlen zu können. Das Leben! Das wahre Leben, nicht die Schattenwelt, in der ich so lange gefangen war. Ich atme tief ein und halte die Luft an, bis mir die Lunge schmerzt, dann lasse ich sie mit einem zufriedenen Seufzen entweichen.
Neben mir, auf dem Beifahrersitz, gibt jemand ein Geräusch von sich, das einem Knurren gleicht.
Ich bin nicht allein. Ich drehe den Kopf und sehe in die unglaublich großen blauen Augen von Ariel Dragland. Sie kauert mit verschränkten Armen in ihrem Sitz, sieht mich mit unverhohlenem Hass an und nestelt mit ihren langen, dünnen Fingern an ihrem Kragen. Ich spüre, wie Dylans Erinnerungen an sie in mich hineinströmen. Es ist ein ganz neues, sonderbares Gefühl, nach so vielen Jahren in den leeren Körpern der Toten. Als Söldner habe ich in unzähligen toten Körpern gelebt, und doch war es immer das Gleiche. Jeder dieser Körper war ein Gefängnis, das mich von der Welt abschirmte. Aber jetzt spüre ich nicht nur all meine Sinne und meine Menschlichkeit, sondern ich habe auch Zugang zu den Gedanken und Gefühlen des Menschen, in dessen Körper ich mich befinde. Mein letzter Aufenthalt in diesem Körper endete mit dem Tod, doch jetzt und hier lebt Dylan noch, und er wird wieder in seinen Körper zurückkehren, wenn ich meine Arbeit beendet habe. Solange wird er durch die Nebel des Vergessens wandern, wo auch ich mich in Zukunft zwischen meinen Einsätzen für die Mächte des Guten und des Lichts aufhalten werde.
Vorausgesetzt, ich stelle die Amme und die Botschafter zufrieden. Und das werde ich. Ich muss! Denn ich kann nicht wieder dieses
abscheuliche Wesen sein. Ich kann auf keinen Fall zurückgehen. Ich konzentrierte mich auf Dylans Erinnerungen.
Er verachtete Ariel für ihre Schwäche. Dafür, dass sie eine so leichte Beute war, ein williges Opfer. Das Shirt, das sie trug, machte sie hübscher, dachte er. Das machte es ihm leichter, die Wette zu erfüllen und den Schulfreak zu verführen. Er hätte es auch fast geschafft und beinahe fünfhundert Dollar gewonnen. Wenn Jason ihm keine SMS geschickt hätte. Und vor allem: wenn Ariel sie nicht gelesen hätte.
Aber sie hatte sie gelesen. Und war ziemlich sauer geworden. Das zornige, beinahe irre Funkeln in ihren Augen hatte sogar einem jungen Schurken wie Dylan Stroud Angst gemacht. Vielleicht war Ariel ja wirklich verrückt.
Ich werfe ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu. Verrückt ist relativ. Aus meiner Sicht ist Ariel ziemlich normal. Aber sehr wütend. Und schneller, als man denkt.
Ehe ich mich versehe, greift sie mir ins Steuer und reißt es nach rechts. Ich fluche in mich hinein und verstehe plötzlich, wieso die Amme so heimtückisch gelächelt hat. Der Wagen schießt auf die Schlucht zu, in der Dylan starb, als ich zum ersten Mal in seinen Körper geschlüpft bin.
Man hat mich in die Vergangenheit zurückgeschickt, um einem Mädchen den Hof zu machen, das den Körper hasst, in dem ich stecke. Selbst wenn wir diesen Unfall überleben, bin ich geliefert. Sie wird mich niemals lieben.
Falsch! Sie wird Dylan niemals lieben. Aber ich bin nicht er. Ich bin ein anderes Scheusal, eines mit liebevollen Worten und sanften Händen.
Mit mehr oder weniger sanften Händen. Ich reiße Ariel das Steuer aus der Hand und lenke mit gerade so viel Widerstand gegen, dass der Wagen langsamer wird. Wir knallen gegen die Leitplanke, prallen ab und landen wieder auf der Straße. Das Heck des Wagens bricht aus und rutscht über die Mittellinie, bevor er schließlich zum Stehen kommt.
Zuerst sind nur unsere keuchenden Atemzüge zu hören. Es hat uns beiden die Sprache verschlagen, wie knapp wir dem Tod entronnen sind.
Ariel findet sie als Erste wieder. »Ich hasse dich! Ich werde dich fertigmachen, Dylan Stroud. Du wirst schon sehen!« Und dann springt sie auch schon aus dem Auto und läuft die Straße Richtung Los Olivos hinunter. Ihr blondes Haar glänzt silbrig im Mondschein.
Ich schaue in den Rückspiegel und sehe ihr nach. In meinem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. Sie ist einfach herrlich in ihrem brennenden Hass. Eigentlich ist es schade, dass ich dieses Feuer löschen und mit einem sanften Kuss in wahrer Liebe ersticken muss.
»In wahrer Liebe!«, singe ich beschwingt und schalte das Radio ein, bevor ich den Wagen wende und hinter dem Mädchen herfahre, das nicht ahnt, dass es mich lieben wird.
...
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Stacey Jay
Die amerikanische Autorin Stacey Jay hat unter verschiedenen Pseudonymen diverse Paranormal-Romance-, Urban-Fantasy- sowie Science-Fiction-Romane veröffentlicht. Sie lebt mit ihrer Familie in Maumelle/Arkansas.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stacey Jay
- Altersempfehlung: 14 - 17 Jahre
- 2012, 1. Aufl., 352 Seiten, Maße: 16,1 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmitz, Dagmar
- Übersetzer: Dagmar Schmitz
- Verlag: Ink
- ISBN-10: 386396022X
- ISBN-13: 9783863960223
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