Ruhe nirgends
Roman
"William Gay wurde mit Faulkner und Cormac McCarthy verglichen. Zu Recht." Der Falter
"Knorrig, wuchernd, phantastisch: Beelzebub bei den Waltons." Der Stern über "Nächtliche Vorkommnisse"
1933. In einer regengepeitschten Nacht kommt es in Ackerman's...
"Knorrig, wuchernd, phantastisch: Beelzebub bei den Waltons." Der Stern über "Nächtliche Vorkommnisse"
1933. In einer regengepeitschten Nacht kommt es in Ackerman's...
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Produktinformationen zu „Ruhe nirgends “
"William Gay wurde mit Faulkner und Cormac McCarthy verglichen. Zu Recht." Der Falter
"Knorrig, wuchernd, phantastisch: Beelzebub bei den Waltons." Der Stern über "Nächtliche Vorkommnisse"
1933. In einer regengepeitschten Nacht kommt es in Ackerman's Field tief in den Wäldern von Tennessee zu einem tödlichen Streit: Der aufrechte Nathan Whiner stellt den zwielichtigen Dallas Hardin zur Rede, der auf Whiners Grund und Boden illegal Schnaps brennt. Woraufhin Hardin ihn brutal ermordet.
1943. Ein junger Mann tritt in die Dienste Dallas Hardins ein. Dieser junge Mann ist Nathan Whiners Sohn. Er ahnt nicht, dass sein Arbeitgeber zugleich der Mörder seines Vaters ist. Doch es gibt einen Zeugen des Mordes, der ein äußerst makaberes Beweisstück aufbewahrt. Dieser Zeuge hat sich geschworen, sich nicht zu erkennen zu geben. Aber vor dem Bösen, das sich in Ackerman's Field eingenistet hat, kann sich niemand verstecken.
Wie schon in "Nächtliche Vorkommnisse" entführt William Gay seine Leser erneut in das Dickicht der Wälder, um die dunkleren Gefilden der menschlichen Seele auszuloten. In "Ruhe nirgends" erzählt er mit biblischer Wucht eine Geschichte von Mord und Vergeltung, wie sie so noch nicht zu lesen war: "Niemand gibt so unbestechlich Auskunft über die Schönheit und die Gewalt, die das menschliche Herz beherbergt, wie William Gay." (The New York Times)
"Knorrig, wuchernd, phantastisch: Beelzebub bei den Waltons." Der Stern über "Nächtliche Vorkommnisse"
1933. In einer regengepeitschten Nacht kommt es in Ackerman's Field tief in den Wäldern von Tennessee zu einem tödlichen Streit: Der aufrechte Nathan Whiner stellt den zwielichtigen Dallas Hardin zur Rede, der auf Whiners Grund und Boden illegal Schnaps brennt. Woraufhin Hardin ihn brutal ermordet.
1943. Ein junger Mann tritt in die Dienste Dallas Hardins ein. Dieser junge Mann ist Nathan Whiners Sohn. Er ahnt nicht, dass sein Arbeitgeber zugleich der Mörder seines Vaters ist. Doch es gibt einen Zeugen des Mordes, der ein äußerst makaberes Beweisstück aufbewahrt. Dieser Zeuge hat sich geschworen, sich nicht zu erkennen zu geben. Aber vor dem Bösen, das sich in Ackerman's Field eingenistet hat, kann sich niemand verstecken.
Wie schon in "Nächtliche Vorkommnisse" entführt William Gay seine Leser erneut in das Dickicht der Wälder, um die dunkleren Gefilden der menschlichen Seele auszuloten. In "Ruhe nirgends" erzählt er mit biblischer Wucht eine Geschichte von Mord und Vergeltung, wie sie so noch nicht zu lesen war: "Niemand gibt so unbestechlich Auskunft über die Schönheit und die Gewalt, die das menschliche Herz beherbergt, wie William Gay." (The New York Times)
Klappentext zu „Ruhe nirgends “
"William Gay wurde mit Faulkner und Cormac McCarthy verglichen. Zu Recht." Der Falter"Knorrig, wuchernd, phantastisch: Beelzebub bei den Waltons." Der Stern über "Nächtliche Vorkommnisse"1933. In einer regengepeitschten Nacht kommt es in Ackerman's Field tief in den Wäldern von Tennessee zu einem tödlichen Streit: Der aufrechte Nathan Whiner stellt den zwielichtigen Dallas Hardin zur Rede, der auf Whiners Grund und Boden illegal Schnaps brennt. Woraufhin Hardin ihn brutal ermordet. 1943. Ein junger Mann tritt in die Dienste Dallas Hardins ein. Dieser junge Mann ist Nathan Whiners Sohn. Er ahnt nicht, dass sein Arbeitgeber zugleich der Mörder seines Vaters ist. Doch es gibt einen Zeugen des Mordes, der ein äußerst makaberes Beweisstück aufbewahrt. Dieser Zeuge hat sich geschworen, sich nicht zu erkennen zu geben. Aber vor dem Bösen, das sich in Ackerman's Field eingenistet hat, kann sich niemand verstecken.Wie schon in "Nächtliche Vorkommnisse" entführt William Gay seine Leser erneut in das Dickicht der Wälder, um die dunkleren Gefilden der menschlichen Seele auszuloten. In "Ruhe nirgends" erzählt er mit biblischer Wucht eine Geschichte von Mord und Vergeltung, wie sie so noch nicht zu lesen war: "Niemand gibt so unbestechlich Auskunft über die Schönheit und die Gewalt, die das menschliche Herz beherbergt, wie William Gay." (The New York Times)
Lese-Probe zu „Ruhe nirgends “
Ruhe Nirgends von William GayProlog: 1933
Thomas Hovington ging durch seinen Garten, als er eines Ge räusches wegen den Sack Futter fallen ließ, den er trug, und wie gebannt verharrte. Es war ein eigentümlicher Laut, der aus den Eingeweiden der Erde zu kommen schien, von irgendwo unter seinen Füßen, ein dumpfes Wummern, das ihm bis in die Zäh ne ging und das Glas in den trüben Fenstern hinter ihm zum Klirren brachte. Ehe er eine Bewegung machen konnte, ertönte es wieder, irgendwo unter dem Bachlauf, als würden gewaltige Steine durch unterirdische Gewölbe rollen oder ein heftiger Sturm in den Hohlräumen der Welt toben, wo Blitze unsicht bar in dunklen und feuchten Grüften zuckten und Donnerhall die Erde erbeben ließ. Er ging zur Veranda zurück, setzte sich unsicher auf die Kante und betrachtete den festen Boden, der ihm so selbst verständlich schien. Hovington war damals Mitte zwanzig, sein Rücken noch nicht ganz so krumm. Jüngst hatte er mit der Schwarzbrennerei angefangen, und jetzt plagten ihn vage religiöse Kindheitserinnerungen, wodurch er ständig nach Zeichen göttlicher Strafe Ausschau hielt. Dies konnte so ein Zeichen sein. Eine Warnung. Falls das stimmte, durfte er sie keinesfalls fehlinterpretieren. Dann krachte es, als wäre eine ganze Wagenladung Dyna mit explodiert; unmittelbar darauf wölbte sich das Erdreich des Bachlaufs in die Höhe, wirbelten Steine durch die Luft. »Gott verdammich«, rief Hovington aus.
Er hielt die Arme über den Kopf und fuhr panisch in die Höhe, während Gesteinstrümmer in einer anschwellenden Kakofonie auf das Dach regneten und unter der Quelle die Erde wie eine solide Wand in Form von fast automobilsgroßen Quadern emporstieg und wieder in sich zusammenfiel. Eine Wasserfontäne schoss in die Höhe. Hovington kauerte auf der Veranda
... mehr
und betete und fluchte im Wechsel ein verzweifelter Versuch, sich möglichst alle Optionen offenzuhalten. Eine Wolke aus Sand und Staub trübte das Wasser und löste sich allmählich auf; der Bach sah jetzt deutlich tiefer aus. Nach einer Weile sank der Wasserpegel wie der, und es wurde sehr still. Er nahm allen Mut zusammen und wagte sich zwischen den Steinen hindurch zur Quelle. Fünfzig Meter von seinem Haus entfernt hatte sich die Erde aufgetan, klaffte ein Schacht mit zweieinhalb bis drei Metern Durchmesser. Noch immer hing eine Staubwolke zermalmten Felsgesteins darüber. Er roch so etwas wie Dynamit. Schwefel stieg ihm in die Nase. Er sah in den Schacht. Glatter Stein verlief schwindelerregend und senkrecht in die Tiefe, wo er in der Schwärze verschwand. Er warf einen Stein hinunter und hörte ihn an den Wänden des Schlunds hinabrutschen, doch einen Aufschlag in der undurchdringlichen Dunkelheit hörte er nicht. Hovington fertigte Pflöcke aus Kastanienholz an und er richtete einen anderthalb Meter hohen Zaun um das Loch he rum. Zunächst herrschte Stille, doch nach wenigen Tagen hörte er ein Murmeln aus den Tiefen der Erde: Man musste die Ohren spitzen, aber an dem fernen Geräusch bestand kein Zweifel.
Manche glaubten einen Bienenschwarm zu hören, andere hielten es für ein unterirdisches Gewässer. Für Hovington waren es Stimmen. Sie erzählten ihm gleichgültig von kommendem Unheil, und wenn er lange genug zuhörte, gelang es ihm, das Geräusch in einzelne Stimmen zu zerlegen, Punkt und Kontra punkt, Frage und Antwort. Er fragte sich, was ein derart seltsames Volk zu bereden haben mochte und in welcher Sprache es sich artikulierte. Nathan Winer, im County geboren und aufgewachsen, war Zimmermann von Beruf und betrieb nebenher ein wenig Landwirtschaft. Er hatte eine Frau und einen siebenjährigen Sohn, der ebenfalls Nathan hieß und schon jetzt ganz nach ihm kam. »Lass im Leben alle anderen in Ruhe, dann lassen auch alle anderen dich in Ruhe«, pflegte er dem Jungen zu sagen. Doch so sehr er alle anderen auch in Ruhe ließ, im Frühjahr 1932 blieb ihm doch nichts anderes übrig, er musste zu Hovington und nach Dallas Hardin suchen, einem Mann, der einfach bei Hovington eingezogen war und seine Schwarzbrennerei übernommen hatte, und dazu obendrein, munkelte man, Hovingtons Frau Pearl. Im vergangenen Jahr hatte sich Hovingtons Gesundheitszustand so dramatisch verschlechtert, dass er das Bett hüten musste. Seine Wirbelsäule war so krumm, als hätte Gott der Allmächtige persönlich Metall aufgeheizt, bis man es biegen konnte, und es ganz nach seinem Gutdünken neu geformt. Die Krankheit, die ihn am Ende töten würde, schwärte schon in ihm. Er lag zusammengekauert am Fenster, wo er tagsüber über den Hof hinweg den wenigen Verkehr auf der Straße sehen konnte und nachts, im Licht einer Lampe, das blasse Spiegel bild seines Gesichts vor einem trostlosen Hintergrund. Das Haus hatte vier Zimmer. Das längliche vordere, wo neben Hovington der mehr oder weniger dort lebte auch seine Tochter auf einem Klappbett der Armee schlief, das am Tag als Sofa diente. Eine Küche. Ein Schlafzimmer, wo Hardin und Hovingtons Frau Pearl schliefen.
Ein Zimmer, das als Stauraum für allen möglichen Plunder und als Vorratskammer für Bier und Weinkisten diente, die Hardin angeschafft hatte. Hardin kam mit einer Petroleumlampe zur Tür herein, als es gerade klopfte. Er stellte die Lampe auf dem Schränkchen der Nähmaschine ab und öffnete die Tür einen Spalt. Im Wind der regnerischen Nacht flackerte die Flamme, die in der Kugel tanzte und sich wand, ehe sie sich wieder beruhigte. »Ich muss mit Ihnen reden, Hardin«, sagte Winer. Das Licht der Lampe spiegelte sich auf zwei Goldkronen. »Dann stehen Sie nicht im Regen rum und kommen Sie rein.« »Ich will hier draußen mit Ihnen reden.« Hardin nahm den Hut von einem Nagel neben der Tür, trat auf den schlammigen Hof und schloss die Tür hinter sich. Er trotzte dem Regen ohne Mantel. »Was muss denn unbedingt im strömenden Regen gesagt werden?«, fragte er. »Ich will Ihnen was sagen«, sagte Winer. Er stand breitbeinig da, die Hände tief in den Manteltaschen, den Kopf ein wenig schief gelegt, das Gesicht versteinert und arrogant unter dem ruinierten Hut. »Ich habe Ihren Whiskey auf meinem Grund und Boden gefunden und will dazu nur eins sagen: Von mir aus können Sie Whiskey brennen, bis Ihnen der Arsch darin absäuft, aber nicht auf meinem Land. Wenn der Sheriff die Destille findet, muss ich dafür geradestehen, nicht Sie.«
»Seh ich auch so«, sagte Hardin. »Haben Sie sie zerstört?« »Darauf können Sie Gift nehmen. Und der Whiskey ist auch weg.« »Also das hätt's jetzt wirklich nicht gebraucht.« »Lecken Sie mich doch. Wenn das Scheißzeug nicht so hundsgemein schwer gewesen wäre, hätte ich es Ihnen in den Vorgarten gekippt. Ich weiß nicht, wer Sie sind oder woher Sie kommen. Und auch nicht, was Sie hier mit Hovington abziehen. Aber eines sage ich Ihnen. Legen Sie sich nicht mit mir an. Wenn ich so was noch mal auf meinem Grundstück sehen sollte, dann ist der Teufel los.« Hardins Gesicht sah aus, als wäre die Haut plötzlich straffgezogen worden. »In meinem ganzen Leben hab ich mir noch nie von 'nem dreckbuddelnden Landei was vorschreiben lassen und will in meinem Alter auch nicht mehr damit an fangen.« Winer packte Hardin am Kragen, zog ihn brutal zu sich, verpasste ihm eine Ohrfeige und stieß ihn rückwärts in den Dreck. Hardin lag da wie ein betrunkener Vogel und hatte die Beine gespreizt, als wären sie zu gebrechlich, sein Gewicht zu tragen; während er sich in eine sitzende Haltung aufrappelte, brachte er eine Pistole zum Vorschein. Winer sah, was er vor hatte, lief zu ihm, hielt das Messer in der linken Hand und ließ gerade die Klinge aufschnappen, als Hardin ihm ins linke Auge schoss. Winer kippte unvermittelt vornüber, als hätte man die Schnur, die ihn festhielt, plötzlich durchgeschnitten, und landete auf Hardin, eine bleischwere Last. Hardin stieß ihn fluchend weg und spürte, wie Winers Blut über ihn strömte. Als er sich von dem Leichnam befreit hatte, stand er auf und riss sich das blutgetränkte Hemd vom Leib.
Mit auf die Knie gestützten Händen beugte er sich in den Regen und atmete schwer. Die Tür ging einen Spalt auf, gelbes Licht, in dessen Schein die Regentropfen wie Silber aussahen, fiel auf den Hof. »Dallas?«, fragte Pearl. Er hörte den Regen auf das Blechdach trommeln. Das Messer lag halb aufgeklappt und glänzend im Schlamm zu seinen Füßen. »Mach die Scheißtür zu«, sagte er. Das Licht erlosch. Er hob das Messer auf und wischte es an der Hose ab. Klappte es zu, steckte es ein, richtete sich auf und überlegte. Fahles Licht vom weinenden Himmel. In diesem Licht Winers emporgerecktes Gesicht, das rechte Auge starr, das linke ein schwarzes Loch, die langen Haare wie ein Fächer im Schlamm; der Kopf hatte in der Erde einen Abdruck hinter lassen, der einer Schwiele glich. Licht spiegelte sich trübe auf einem Goldzahn in dem offenen Mund. Hardin packte ihn an den Füßen, ein Bein unter jeder Ach sel, und stapfte rückwärts durch den Hof zur Quelle. Winer war ein großer Mann, daher musste Hardin alle paar Minuten eine Verschnaufpause einlegen. Er verharrte zusammengekauert über den Füßen des Toten und hielt nach Autoscheinwerfern auf der Straße Ausschau. Dann richtete er sich auf, hob die Beine wieder an und sputete sich, bis er im Schutz der Büsche einen Stoßseufzer der Erleichterung von sich geben konnte. Bis zum Kalksteinrand der Grube kam er nur mühsam voran, von da an ging es jedoch schneller; es sah aus, als würde Winer auf dem unebenen Felsterrain mit dem Kopf nicken. Er schleifte ihn durch Geißblatt bis zum Rand der Grube, dort bückte er sich, durchsuchte die Taschen des Toten und steckte dessen kümmerliche Habseligkeiten ein.
Eine Handvoll Kleingeld, eine billige Taschenuhr, die nicht tickte. Wenig für jemanden, der so lange gelebt hatte wie Winer. »Verabschiede dich von dieser Welt«, sagte er zu Winer. »In der nächsten sieht's finster aus.« Der Abgrund wirkte schwärzer als schwarz. Er glich einer stygischen Pforte zu einem Reich, aus dem Dunkelheit empor quoll, um auch diese Welt zu verschlingen. Er stieß den Leichnam mit dem Stiefel an, bis die Beine über den Rand ragten, der Oberkörper aus dem Gleichgewicht geriet und die Illusion auf rechter Haltung vermittelte; das verblüffte Gesicht betrachtete Hardin mit einem stechenden und einem blinden Auge und verschwand.
Manche glaubten einen Bienenschwarm zu hören, andere hielten es für ein unterirdisches Gewässer. Für Hovington waren es Stimmen. Sie erzählten ihm gleichgültig von kommendem Unheil, und wenn er lange genug zuhörte, gelang es ihm, das Geräusch in einzelne Stimmen zu zerlegen, Punkt und Kontra punkt, Frage und Antwort. Er fragte sich, was ein derart seltsames Volk zu bereden haben mochte und in welcher Sprache es sich artikulierte. Nathan Winer, im County geboren und aufgewachsen, war Zimmermann von Beruf und betrieb nebenher ein wenig Landwirtschaft. Er hatte eine Frau und einen siebenjährigen Sohn, der ebenfalls Nathan hieß und schon jetzt ganz nach ihm kam. »Lass im Leben alle anderen in Ruhe, dann lassen auch alle anderen dich in Ruhe«, pflegte er dem Jungen zu sagen. Doch so sehr er alle anderen auch in Ruhe ließ, im Frühjahr 1932 blieb ihm doch nichts anderes übrig, er musste zu Hovington und nach Dallas Hardin suchen, einem Mann, der einfach bei Hovington eingezogen war und seine Schwarzbrennerei übernommen hatte, und dazu obendrein, munkelte man, Hovingtons Frau Pearl. Im vergangenen Jahr hatte sich Hovingtons Gesundheitszustand so dramatisch verschlechtert, dass er das Bett hüten musste. Seine Wirbelsäule war so krumm, als hätte Gott der Allmächtige persönlich Metall aufgeheizt, bis man es biegen konnte, und es ganz nach seinem Gutdünken neu geformt. Die Krankheit, die ihn am Ende töten würde, schwärte schon in ihm. Er lag zusammengekauert am Fenster, wo er tagsüber über den Hof hinweg den wenigen Verkehr auf der Straße sehen konnte und nachts, im Licht einer Lampe, das blasse Spiegel bild seines Gesichts vor einem trostlosen Hintergrund. Das Haus hatte vier Zimmer. Das längliche vordere, wo neben Hovington der mehr oder weniger dort lebte auch seine Tochter auf einem Klappbett der Armee schlief, das am Tag als Sofa diente. Eine Küche. Ein Schlafzimmer, wo Hardin und Hovingtons Frau Pearl schliefen.
Ein Zimmer, das als Stauraum für allen möglichen Plunder und als Vorratskammer für Bier und Weinkisten diente, die Hardin angeschafft hatte. Hardin kam mit einer Petroleumlampe zur Tür herein, als es gerade klopfte. Er stellte die Lampe auf dem Schränkchen der Nähmaschine ab und öffnete die Tür einen Spalt. Im Wind der regnerischen Nacht flackerte die Flamme, die in der Kugel tanzte und sich wand, ehe sie sich wieder beruhigte. »Ich muss mit Ihnen reden, Hardin«, sagte Winer. Das Licht der Lampe spiegelte sich auf zwei Goldkronen. »Dann stehen Sie nicht im Regen rum und kommen Sie rein.« »Ich will hier draußen mit Ihnen reden.« Hardin nahm den Hut von einem Nagel neben der Tür, trat auf den schlammigen Hof und schloss die Tür hinter sich. Er trotzte dem Regen ohne Mantel. »Was muss denn unbedingt im strömenden Regen gesagt werden?«, fragte er. »Ich will Ihnen was sagen«, sagte Winer. Er stand breitbeinig da, die Hände tief in den Manteltaschen, den Kopf ein wenig schief gelegt, das Gesicht versteinert und arrogant unter dem ruinierten Hut. »Ich habe Ihren Whiskey auf meinem Grund und Boden gefunden und will dazu nur eins sagen: Von mir aus können Sie Whiskey brennen, bis Ihnen der Arsch darin absäuft, aber nicht auf meinem Land. Wenn der Sheriff die Destille findet, muss ich dafür geradestehen, nicht Sie.«
»Seh ich auch so«, sagte Hardin. »Haben Sie sie zerstört?« »Darauf können Sie Gift nehmen. Und der Whiskey ist auch weg.« »Also das hätt's jetzt wirklich nicht gebraucht.« »Lecken Sie mich doch. Wenn das Scheißzeug nicht so hundsgemein schwer gewesen wäre, hätte ich es Ihnen in den Vorgarten gekippt. Ich weiß nicht, wer Sie sind oder woher Sie kommen. Und auch nicht, was Sie hier mit Hovington abziehen. Aber eines sage ich Ihnen. Legen Sie sich nicht mit mir an. Wenn ich so was noch mal auf meinem Grundstück sehen sollte, dann ist der Teufel los.« Hardins Gesicht sah aus, als wäre die Haut plötzlich straffgezogen worden. »In meinem ganzen Leben hab ich mir noch nie von 'nem dreckbuddelnden Landei was vorschreiben lassen und will in meinem Alter auch nicht mehr damit an fangen.« Winer packte Hardin am Kragen, zog ihn brutal zu sich, verpasste ihm eine Ohrfeige und stieß ihn rückwärts in den Dreck. Hardin lag da wie ein betrunkener Vogel und hatte die Beine gespreizt, als wären sie zu gebrechlich, sein Gewicht zu tragen; während er sich in eine sitzende Haltung aufrappelte, brachte er eine Pistole zum Vorschein. Winer sah, was er vor hatte, lief zu ihm, hielt das Messer in der linken Hand und ließ gerade die Klinge aufschnappen, als Hardin ihm ins linke Auge schoss. Winer kippte unvermittelt vornüber, als hätte man die Schnur, die ihn festhielt, plötzlich durchgeschnitten, und landete auf Hardin, eine bleischwere Last. Hardin stieß ihn fluchend weg und spürte, wie Winers Blut über ihn strömte. Als er sich von dem Leichnam befreit hatte, stand er auf und riss sich das blutgetränkte Hemd vom Leib.
Mit auf die Knie gestützten Händen beugte er sich in den Regen und atmete schwer. Die Tür ging einen Spalt auf, gelbes Licht, in dessen Schein die Regentropfen wie Silber aussahen, fiel auf den Hof. »Dallas?«, fragte Pearl. Er hörte den Regen auf das Blechdach trommeln. Das Messer lag halb aufgeklappt und glänzend im Schlamm zu seinen Füßen. »Mach die Scheißtür zu«, sagte er. Das Licht erlosch. Er hob das Messer auf und wischte es an der Hose ab. Klappte es zu, steckte es ein, richtete sich auf und überlegte. Fahles Licht vom weinenden Himmel. In diesem Licht Winers emporgerecktes Gesicht, das rechte Auge starr, das linke ein schwarzes Loch, die langen Haare wie ein Fächer im Schlamm; der Kopf hatte in der Erde einen Abdruck hinter lassen, der einer Schwiele glich. Licht spiegelte sich trübe auf einem Goldzahn in dem offenen Mund. Hardin packte ihn an den Füßen, ein Bein unter jeder Ach sel, und stapfte rückwärts durch den Hof zur Quelle. Winer war ein großer Mann, daher musste Hardin alle paar Minuten eine Verschnaufpause einlegen. Er verharrte zusammengekauert über den Füßen des Toten und hielt nach Autoscheinwerfern auf der Straße Ausschau. Dann richtete er sich auf, hob die Beine wieder an und sputete sich, bis er im Schutz der Büsche einen Stoßseufzer der Erleichterung von sich geben konnte. Bis zum Kalksteinrand der Grube kam er nur mühsam voran, von da an ging es jedoch schneller; es sah aus, als würde Winer auf dem unebenen Felsterrain mit dem Kopf nicken. Er schleifte ihn durch Geißblatt bis zum Rand der Grube, dort bückte er sich, durchsuchte die Taschen des Toten und steckte dessen kümmerliche Habseligkeiten ein.
Eine Handvoll Kleingeld, eine billige Taschenuhr, die nicht tickte. Wenig für jemanden, der so lange gelebt hatte wie Winer. »Verabschiede dich von dieser Welt«, sagte er zu Winer. »In der nächsten sieht's finster aus.« Der Abgrund wirkte schwärzer als schwarz. Er glich einer stygischen Pforte zu einem Reich, aus dem Dunkelheit empor quoll, um auch diese Welt zu verschlingen. Er stieß den Leichnam mit dem Stiefel an, bis die Beine über den Rand ragten, der Oberkörper aus dem Gleichgewicht geriet und die Illusion auf rechter Haltung vermittelte; das verblüffte Gesicht betrachtete Hardin mit einem stechenden und einem blinden Auge und verschwand.
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Autoren-Porträt von William Gay
William Gay, geboren 1943, lebt in Tennessee und gilt in den USA schon lange als einer der herausragenden Vertreter der Southern-Gothic-Literatur.Joachim Körber, geb. 1958 in Karlsruhe, machte sich 1978/79 als freier Übersetzer selbstständig. 1984 gründete Körber nach amerikanischem Vorbild zusammen mit Thomas Bürk (der 1993 ausschied) und Uli Kohnle den Verlag Edition Phantasia, um Science Fiction, Horror und Fantasy in gediegenen, nummerierten, häufig illustrierten und von den Autoren und Illustratoren handsignierten Ausgaben auf den Markt zu bringen. 1998 erschien sein erster Roman. Daneben war Körber mehrfach in der Rubrik 'Bester Übersetzer' für den Kurd Laßwitz Preis nominiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: William Gay
- 2010, 1, 344 Seiten, Maße: 13,4 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Körber, Joachim
- Übersetzer: Joachim Körber
- Verlag: ARCHE VERLAG
- ISBN-10: 3716026352
- ISBN-13: 9783716026359
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