Sanft sollst du brennen
Was ist nur los in Kates Leben? Zwei Anschläge passieren in ihrer Umgebung. Ihre beste Freundin Jordan bittet ihren Bruder um Hilfe. Der charmante Dylan ist ein erfolgreicher Polizist und ein noch erfolgreicherer Frauenheld.
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Produktinformationen zu „Sanft sollst du brennen “
Was ist nur los in Kates Leben? Zwei Anschläge passieren in ihrer Umgebung. Ihre beste Freundin Jordan bittet ihren Bruder um Hilfe. Der charmante Dylan ist ein erfolgreicher Polizist und ein noch erfolgreicherer Frauenheld.
Lese-Probe zu „Sanft sollst du brennen “
Sanft sollst du brennen von Julie Garwood1
Es würde einen Aufruhr geben, und der alte Mann bedauerte
nur, dass er nicht dabei sein konnte, um ihn mitzuerleben.
Seinen nutzlosen Verwandten sollte es ruhig den Boden unter
den Füßen wegziehen. Na, die würden vielleicht übereinander
herfallen. Aber es war höchste Zeit, dass in dieser elenden Familie
endlich einmal Ordnung einkehrte, wirklich, höchste Zeit.
Während er darauf wartete, dass die Ausrüstung aufgebaut
wurde, räumte er seinen Schreibtisch auf. Seine gichtigen Finger
strichen so zärtlich und liebevoll über das glatte Holz wie
früher über die Haut seiner Geliebten. Der Schreibtisch war
alt, verschrammt und abgenutzt wie er. Hier in diesem Zimmer
hatte er sein Vermögen gemacht. Mit dem Telefonhörer
am Ohr hatte er einen lukrativen Deal nach dem anderen ausgearbeitet.
Wie viele Unternehmen hatte er in den vergangenen
dreißig Jahren gekauft? Wie viele hatte er zerstört?
... mehr
Entschlossen riss er sich aus den Tagträumen über seine
zahlreichen Siege. Dazu war jetzt keine Zeit. Er trat an seine
Bar und schenkte sich ein Glas Wasser aus der Kristallkaraffe
ein, die einer seiner Geschäftspartner ihm vor Jahren geschenkt
hatte. Noch im Stehen trank er einen Schluck, dann trug er das
Glas zum Schreibtisch und stellte es auf einen Untersetzer an
der Ecke. Er blickte sich in der holzvertäfelten Bibliothek um
und stellte fest, dass es viel zu dunkel für die Kameras war.
Rasch schaltete er sämtliche Tischlampen ein.
»Bist du bereit?«, fragte er ungeduldig. Er setzte sich hinter
den Schreibtisch, fuhr sich glättend über die Haare und zupfte
an den Aufschlägen seines Jacketts. Nervös zerrte er am Knoten
seiner Krawatte, damit sie ihm die Kehle nicht so abschnürte.
»Ich sammle meine Gedanken«, sagte er mit einer Stimme, die
rau war von einem Leben, in dem er Befehle gebrüllt und seine
geliebten kubanischen Zigarren geraucht hatte.
Jetzt hätte er auch gerne eine Zigarre gehabt. Aber er hatte
keine im Haus. Er hatte das Rauchen vor zehn Jahren aufgegeben,
aber wenn ihn etwas nervös machte, verspürte er immer
noch den plötzlichen Drang nach einer Zigarre.
Im Moment war er nicht nur nervös, sondern hatte auch ein
bisschen Angst, ein Gefühl, das er normalerweise nicht kannte.
Bevor er starb - und das würde bald sein, sehr bald -, wollte er
unbedingt das Richtige tun. Das war er dem Namen Mac-
Kenna schuldig.
Die altmodische Videokamera mit VHS-Kassette stand auf
einem Stativ gegenüber dem alten Mann. Die Digitalkamera
wurde direkt hinter der Videokamera hochgehalten, und auch
ihr Objektiv war auf ihn gerichtet.
Er blickte über die Kameras hinweg. »Ich weiß, du findest,
digital reicht, und wahrscheinlich hast du sogar recht, aber mir
gefällt es auf die alte Art mit der Videokassette. Ich vertraue
diesen flachen DVD-Scheiben nicht und will die Videokassette
als Sicherung. Nick einfach mit dem Kopf, wenn alles bereit
ist, und dann fange ich an.«
Er ergriff sein Glas, trank einen Schluck und stellte es wieder
hin. Die Tabletten, die diese lästigen Ärzte ihm verschrieben,
machten seinen Mund trocken.
Ein paar Sekunden später war alles bereit, und er begann.
»Mein Name ist Compton Thomas MacKenna. Dies ist nicht
mein Letzter Wille und Testament, weil ich das bereits verfügt
habe. Ich habe mein Testament vor einiger Zeit geändert. Das
Original liegt in meinem Bankschließfach; eine Kopie befindet
sich bei meinen Unterlagen in der Anwaltskanzlei, die mich vertritt,
und es gibt noch eine weitere Kopie, die mit absoluter
Sicherheit ihr hässliches Haupt erheben wird, wenn das Original
und die Kopie des Anwalts aus irgendeinem Grund verloren
gehen sollten.
Ich habe niemandem von euch von dem neuen Testament
und den Änderungen erzählt, weil ich in meinen letzten Lebensmonaten
nicht bedrängt werden wollte. Aber da die Ärzte
mir versichert haben, mein Ende sei nahe und sie könnten
nichts mehr für mich tun, möchte ich, nein, muss ich«, korrigierte
er sich, »erklären, warum ich das so gemacht habe. Auch
wenn ich sicher bin, dass ihr es weder verstehen noch gutheißen
werdet.
Ich will meine Erklärung mit einer kurzen Geschichte der
Familie MacKenna beginnen. Meine Eltern sind in den schottischen
Highlands geboren, aufgewachsen und beerdigt worden.
Mein Vater besaß ziemlich viel Land, ziemlich viel«, wiederholte
er. Er räusperte sich und trank wieder einen Schluck Wasser, bevor
er fortfuhr. »Als er starb, ging das Land zu gleichen Teilen an
meinen älteren Bruder, Robert Duncan den Zweiten, und an
mich. Robert und ich gingen in die Vereinigten Staaten, um
unsere Ausbildung zu beenden, und beide entschlossen wir uns
zu bleiben. Jahre später verkaufte mir Robert seinen Anteil an
dem Land. Das Geld machte ihn zu einem sehr reichen Mann,
und ich wurde der einzige Erbe von Glen MacKenna.
Ich habe nie geheiratet. Dazu hatte ich weder die Zeit noch
die Neigung. Robert heiratete eine Frau, die ich nicht mochte,
aber im Gegensatz zu meinem Bruder stieß ich keine Drohungen
aus, nur weil er jemanden wählte, der mir nicht gefiel. Ihr
Name war Caroline. Sie kam aus kleinen Verhältnissen und
heiratete Robert offensichtlich wegen seines Vermögens. Geliebt
hat sie ihn nie. Aber sie tat ihre Pflicht und schenkte ihm
zwei Söhne, Robert Duncan den Dritten und Conal Thomas.
Damit kommen wir zum Kern dieser Geschichtslektion. Als
mein Neffe Conal eine Frau ohne gesellschaftlichen Status heiratete,
enterbte ihn sein Vater. Robert hatte für ihn eine andere
Frau - aus einer einflussreichen Familie - ausgesucht, und er
war außer sich vor Wut, dass sein Sohn seine Wünsche ignorierte.
Conals Frau, Leah, war nicht besser als eine Bettlerin auf
der Straße, aber Conal schien egal zu sein, dass er ihretwegen
sein gesamtes Vermögen verlor.« Er schnaufte verächtlich und
fügte hinzu: »Robert blieb nur noch sein Erstgeborener, ein
richtiger Jasager, der alles tat, was man ihm auftrug.
Mit den Jahren verlor ich Conal aus den Augen«, fuhr er
fort. »Ich hatte einfach zu viel zu tun. Ich wusste nur, dass er
nach Silver Springs in der Nähe von Charleston umzog. Aber
dann erfuhr ich, dass er bei einem Autounfall ums Leben gekommen
war. Ich wusste, dass mein Bruder nicht zur Beerdigung
fahren würde ... Also fuhr ich hin. Allerdings wohl nicht
so sehr aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus, sondern
eher, weil ich neugierig war und sehen wollte, was Conal zustande
gebracht hatte. Ich sagte keinem, wer ich war, auch
Leah nicht, und hielt mich im Hintergrund. Die Kirche war
voll mit Trauergästen. Und auf dem Friedhof sah ich Leah mit
ihren drei kleinen Mädchen, das kleinste noch ein Baby.« Er
schwieg, als ob er die Szene noch einmal vor sich sähe. Da er
sich jedoch nichts anmerken lassen wollte, wandte er einen
Moment lang den Blick ab. Dann richtete er sich auf und fuhr
fort: »Ich sah, was ich sehen wollte. Die MacKennas würden in
Conals Kindern weiterleben - wenn es auch schade war, dass
kein einziger Junge dabei war.
Was den anderen Sohn meines Bruders angeht, Robert den
Dritten - er hat ihn verwöhnt, und er ist ein Nichtsnutz. Er
durfte keinen Ehrgeiz zeigen, und mein Bruder musste miterleben,
wie sich sein Erstgeborener in ein frühes Grab trank.
Die Sünde der Maßlosigkeit ist auf die nächste Generation
übergegangen. Ich habe gesehen, wie Roberts Enkel ihr Erbe
verprassten und, was noch schlimmer ist, den Namen Mac-
Kenna in den Schmutz gezogen haben. Bryce, der Älteste, ist
in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er hat eine anständige
Frau geheiratet, Vanessa, aber sie konnte ihn nicht von seinen
Lastern heilen. Wie sein Vater ist auch er ein Trinker. Er hat all
seine Aktien und Anlagen zu Geld gemacht und den größten
Teil für Alkohol und Frauen ausgegeben. Gott alleine weiß,
was mit dem Rest geschehen ist.
Und dann ist da noch Roger. Er verschwindet manchmal
wochenlang, aber meine Leute sind ihm auf die Spur gekommen
und haben herausgefunden, was er so treibt. Offenbar
spielt er für sein Leben gerne. Den Berichten zufolge hat er alleine
letztes Jahr über vierhunderttausend verloren. Vierhunderttausend.
« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Und er
umgibt sich mit Gesindel wie Johnny Jackman. Wenn ich nur
daran denke, dass der Name MacKenna mit einem Schurken
wie Jackman in Verbindung gebracht wird, dreht sich mir der
Magen um.
Ewan, der Jüngste, kann oder will seine aggressiven Neigungen
nicht beherrschen. Wenn er nicht so teure und gerissene
Anwälte hätte, säße er mittlerweile sicher im Gefängnis. Vor
zwei Jahren hat er einen Mann beinahe zu Tode geprügelt.
Ich verabscheue sie alle zutiefst. Es sind nutzlose Männer,
die nichts zum Fortbestand dieser Welt beigetragen haben.«
Der alte Mann zog ein Taschentuch aus der Tasche und tupfte
sich die Stirn ab.
»Als diese wertlosen Ärzte mir erklärten, ich würde nur noch
ein paar Monate leben, habe ich beschlossen, eine Bestandsaufnahme
zu machen.« Er drehte sich um, öffnete eine Schublade
und holte einen dicken schwarzen Aktenordner heraus. Er
schlug ihn auf und legte die Hände darauf. »Ich habe einen
Detektiv engagiert, damit er für mich herausfindet, wie sich
Conals Kinder gemacht haben. Ich muss zugeben, dass ich
keine hohen Erwartungen hatte, weil Leah und die Mädchen
nach Conals Tod sicher von der Hand in den Mund leben
mussten. Außerdem nahm ich an, dass keine von ihnen über
die Highschool hinausgekommen sei. Ich habe mich geirrt.
Nach Conals Unfall hat Leah so viel Geld von der Versicherung
bekommen, dass sie das Haus behalten konnten. Sie
nahm eine Stelle als Sekretärin in einer privaten Mädchenschule
an. Zwar verdiente sie nicht viel, aber sie konnte ihre drei
Töchter kostenlos dort zur Schule gehen lassen.« Er nickte zustimmend
und fügte hinzu: »Offensichtlich hat Conal ihr beigebracht,
was eine anständige Erziehung wert ist.«
Er blickte auf den Bericht im Aktenordner. »Anscheinend
sind alle drei Mädchen sehr tüchtig. Die Älteste, Kiera, hat ein
Stipendium an einer guten Universität erhalten und ihr Examen
mit Auszeichnung gemacht. Mit einem weiteren Stipendium
hat sie ein Medizinstudium begonnen, das sie außergewöhnlich
gut meistert. Das mittlere Mädchen, Kate, ist die
Unternehmerin in der Familie. Auch sie hat ein Stipendium
für eine der besten Universitäten im Osten erhalten und ihr
Examen mit Auszeichnung bestanden. Schon während des
Studiums baute sie ein Unternehmen auf, das sich äußerst erfolgreich
entwickelt.« Er blickte direkt in die Kamera. »Es
scheint, sie kommt am meisten nach mir.
Isabel, die Jüngste, ist sicher ebenso intelligent wie ihre
Schwestern, aber ihre wahre Begabung ist ihre Stimme.« Er
tippte mit dem Zeigefinger auf den Bericht. »Isabel möchte
Musik und Geschichte studieren, und ihr größter Wunsch ist,
eines Tages nach Schottland zu fahren, um ihre entfernten Verwandten
kennenzulernen.« Er nickte. »Das freut mich sehr.
Und nun zu den Änderungen in meinem Testament.«
Seine Mundwinkel hoben sich ganz leicht zu einem fast
unmerklichen Lächeln, bevor er fortfuhr: »Bryce, Roger und
Ewan erhalten jeder hunderttausend Dollar in bar. Ich hoffe
zwar, dass sie dieses Geld für Rehabilitationsmaßnahmen verwenden,
bezweifle aber, dass dies jemals geschehen wird. Auch
Vanessa erhält hunderttausend, und sie bekommt außerdem
dieses Haus. Das hat sie verdient, weil sie es all die Jahre mit
Bryce ausgehalten hat. Durch ihre Arbeit in der Gemeinde und
verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen hat sie dem Namen
MacKenna Ehre erwiesen, und ich sehe keinen Sinn darin,
sie für die Wahl ihres Ehemanns zu bestrafen.
Jetzt zu den anderen MacKennas. Ich habe meine gesamten
Staatsanleihen Kiera überschrieben. Im Testament steht, wann
sie fällig werden. Isabel, die genauso wie ich an Geschichte interessiert
ist, wird Glen MacKenna erhalten. Natürlich sind
Bedingungen damit verknüpft, von denen sie zu gegebener
Zeit erfahren wird. Das ist alles, was sie von mir zu erwarten
haben, aber ich glaube, ich bin mehr als großzügig.«
Er atmete schwer und hielt inne, um noch einen Schluck
Wasser zu trinken. Nachdem er das Glas geleert hatte, redete er
weiter.
»Mein Vermögen wird auf etwa achtzig Millionen Dollar geschätzt.
Das habe ich mir im Laufe meines Lebens erarbeitet,
und meine Erben sind meine Blutsverwandten. Aber ich werde
den Teufel tun und es meinen lasterhaften Neffen überlassen.
Und deshalb vererbe ich es Kate MacKenna. Sie ist die ehrgeizigste
und geschäftstüchtigste von allen und kennt, wie ich,
den Wert des Geldes. Wenn sie das Erbe annimmt, gehört es
ihr.
Ich vertraue darauf, dass sie es nicht verschleudern wird.«
2
Dieses Formwunder von einem Büstenhalter rettete Kate
MacKenna das Leben.
Fünf Minuten nachdem sie das Ding angezogen hatte, wollte
sie es am liebsten wieder loswerden. Sie hätte sich nie von
ihrer Schwester Kiera überreden lassen sollen, so etwas zu tragen.
Ja, sie sah damit üppiger und supersexy aus, aber war das
wirklich die Botschaft, die sie heute Abend aussenden wollte?
Sie war schließlich eine Geschäftsfrau, kein Pornostar. Außerdem
war sie ohnedies schon üppig genug ausgestattet.
Und warum war Kiera so wild entschlossen, aus ihr eine
»sexy Hexy« zu machen - wie sie es nannte? War es um Kates
Beziehungsleben so schlimm bestellt? Das fanden ihre Schwestern
anscheinend.
Von den drei Schwestern war Kiera die älteste und sehr bestimmend.
Sie hatte sich geschworen, Kate in das kleine
schwarze, viel zu enge Cocktailkleid zu zwängen. Isabel, die
jüngste, unterstützte sie bei diesem Vorhaben, aber das tat sie
immer. Schließlich hatte Kate um des lieben Friedens willen
nachgegeben und das Seidenkleid angezogen. Wenn die zwei
nämlich richtig in Fahrt gerieten, legte man sich besser nicht
mit ihnen an.
Kate stand vor dem Spiegel in der Diele und zupfte am Büstenhalter,
damit er ihr nicht so auf die Rippen drückte, aber
ihre Mühen waren vergebens. Sie warf einen Blick auf die Uhr
und beschloss, dass sie noch Zeit hatte, sich umzuziehen, aber
gerade, als sie wieder in ihr Zimmer gehen wollte, kam Kiera
die Treppe herunter.
»Du siehst großartig aus«, sagte ihre Schwester und musterte
sie anerkennend von Kopf bis Fuß.
»Und du siehst müde aus«, stellte Kate fest. Kiera hatte dunkle
Ringe unter den Augen. Sie hatte gerade geduscht, und ihre
blonden Haare waren tropfnass. Sie hat sie wahrscheinlich noch
nicht einmal abgetrocknet, dachte Kate. Selbst ungeschminkt
war Kiera wunderschön. Sie war eine natürliche Schönheit, wie
einst ihre Mutter.
»Ich studiere Medizin und muss so aussehen, als ob ich nicht
genug Schlaf bekäme. Wenn mir das nicht gelingt, werfen Sie
mich hinaus.«
Trotz der Neckereien war Kate froh, wieder mit ihren beiden
Schwestern zusammen zu sein, auch wenn es nur für zwei
Wochen war. Sie hatten sich nach dem Tod ihrer Mutter nicht
oft gesehen. Kate war nach Boston zurückgekehrt, um zu promovieren,
und Kiera hatte ihr Medizinstudium in Duke wieder
aufgenommen, während Isabel bei ihrer Tante Nora geblieben
war.
Mittlerweile lebte Kate wieder permanent zu Hause, aber
Kiera würde in zwei Wochen nach Duke zurückkehren, und
Isabel würde aufs College gehen. Aber Veränderungen waren
wohl unvermeidlich. Das Leben musste weitergehen.
»Du solltest dir mal einen Tag freinehmen und an den
Strand gehen, damit du dich mal ein bisschen entspannst«,
schlug Kate vor. »Nimm doch Isabel mit.«
Kiera lachte. »Netter Versuch. Du schaffst es nicht, sie mir
aufzuhalsen, und wenn es nur für einen Tag ist. Ich wäre die
ganze Zeit über damit beschäftigt, die Jungs abzuwehren, die
hinter ihr her sind. Nein, vielen Dank. Ich finde schon die
Anrufe schlimm genug. Vor allem diesen Reece. Er scheint
sich für Isabels Freund zu halten. Isabel hat gesagt, sie hätten
ein paar Konzerte zusammen gesungen und seien auch ein
paarmal miteinander ausgegangen, aber das sei nichts Ernstes.
Als er mehr von ihr wollte, hat sie sich zurückgezogen. Und
jetzt ruft er ständig an und will sie sprechen, aber Isabel weigert
sich, ans Telefon zu gehen. Ich liebe Isabel wirklich, aber
manchmal kann sie einem echt das Leben schwer machen.
Also, du hast es bestimmt lieb gemeint, aber nein, vielen
Dank.«
Kate zupfte erneut an ihrem Büstenhalter.
»Dieses Ding bringt mich um. Ich kriege keine Luft.«
»Du siehst aber toll aus, und das ist viel wichtiger, als zu
atmen«, entgegnete Kiera. »Komm, gib dir Mühe. Es ist für
eine gute Sache.«
»Was für eine Sache?«
»Für dich. Isabel und ich sind finster entschlossen, dich aufzuheitern.
Du bist viel zu ernst. Ich glaube ja, du leidest am
Sandwichkind-Syndrom. Du weißt schon, du steckst voller
Unsicherheiten und Ängste und musst dich ständig beweisen.«
Kate hörte gar nicht hin. Sie ergriff ihre kleine henkellose
Handtasche und trat an den Schrank.
»Über dieses Thema sind zahlreiche medizinische Fachbücher
geschrieben worden«, fuhr Kiera fort.
»Wie schön.«
»Du hörst mir gar nicht zu, was?«
Die Antwort blieb Kate erspart, weil in diesem Moment das
Telefon klingelte. Während Kiera in den Wohnraum lief, um
dranzugehen, holte sie ihren Regenmantel aus dem Garderobenschrank.
In der Küche lief der Fernseher, und sie hörte,
wie dieser unverschämt fröhliche Wettermensch die Zuschauer
daran erinnerte, dass Charleston von einer Hitzewelle heimgesucht
wurde, wie die Stadt sie seit dreißig Jahren nicht mehr
erlebt hatte. Wenn die Temperatur noch zwei Tage lang so
hoch blieb, dann wäre das ein neuer Rekord. Bei der Aussicht
überschlug sich die Stimme des Reporters beinahe vor Aufregung.
Am schlimmsten war allerdings die Feuchtigkeit. Die Luft
fühlte sich schwer und drückend an, zäh wie Leim. Der Asphalt
dampfte, und die ganze Stadt lag unter einer Dunstglocke aus
Abgasen. Ein starker Windstoß würde helfen, aber weder Regen
noch Wind waren vorausgesagt. Schon das Atmen bereitete
Mühe, und die stickige Luft belastete Jung und Alt. Alle waren
lethargisch, und die meisten brachten nicht einmal mehr die
Energie auf, eine Mücke wegzuschlagen.
Aber obwohl es so schrecklich heiß war, fand die Party, für
die Kate zugesagt hatte, auf dem Gelände einer Kunstgalerie
statt. Das Ereignis war schon seit Wochen geplant und das
weiße Zelt aufgestellt worden, bevor das Wetter so schwül wurde.
Erst ein Flügel der neu errichteten Galerie war fertiggestellt,
und Kate wusste, dass es nicht genug Platz für die erwartete
Menge an Gästen gab.
Sie musste jedoch auf jeden Fall hingehen. Der Inhaber,
Carl Bertolli, war ein Freund von ihr, und er wäre gekränkt,
wenn sie nicht käme. Wegen des Verkehrs würde die Fahrt von
Silver Springs, wo sie wohnten, bis zur anderen Seite von
Charleston bestimmt über eine Stunde dauern, aber sie hatte
sowieso nicht vor, allzu lange zu bleiben. Sie würde bei den
letzten Vorbereitungen mithelfen, und wenn die Party in
vollem Gange war, könnte sie sich davonschleichen. Carl
würde sowieso viel zu beschäftigt sein, um ihr Verschwinden zu
bemerken.
Eine umstrittene Künstlerin aus Houston zeigte ihre Werke,
und es hatte bereits Proteste und Drohanrufe gegeben. Carl
freute sich darüber, weil er der Meinung war, dass jede Art von
öffentlichem Aufsehen, ob nun gut oder schlecht, seiner Galerie
nützte. Die Künstlerin, die sich Cinnamon nannte, hatte
viele Bewunderer - allerdings verstand Kate beim besten Willen
nicht, warum. Als Künstlerin war sie bestenfalls durchschnittlich,
sie verstand es jedoch hervorragend, Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen. Ständig war sie in den Nachrichten und
tat alles, um von sich reden zu machen. In der letzten Zeit
wandte sie sich gegen planvolles Handeln in jeder Hinsicht.
Wenn sie nicht gerade Farbe auf Leinwänden verteilte, versuchte
sie sich ein bisschen in Systemkritik. Sie glaubte an freie
Liebe, uneingeschränkte Meinungsäußerung und das Recht
auf Grundsicherung. Ihre Gemälde allerdings waren seltsamerweise
unglaublich teuer.
Kiera kam zurück in die Diele. »Das war schon wieder
Reece. Er wird mir langsam unheimlich.« Sie hielt inne, als sie
Kate sah. »Es soll heute Abend aber nicht regnen. Warum hast
du deinen Regenmantel an? Draußen herrschen gefühlte fünfzig
Grad.«
»Man kann nicht vorsichtig genug sein. Ich möchte nicht,
dass das Kleid nass wird.«
Kiera lachte. »Ich durchschaue dich! Du willst bloß nicht,
dass Tante Nora dich in dem Kleid sieht. Gib es zu, Katie! Du
hast Angst vor ihr.«
»Ich habe keine Angst vor ihr. Ich will mir bloß keinen Vortrag
anhören.«
»Das Kleid ist nicht unanständig.«
»Da ist sie aber bestimmt anderer Meinung«, erwiderte
Kate.
»Es wird komisch sein, wenn sie nicht mehr da ist, um uns
herumzuscheuchen. Sie wird mir fehlen.«
»Mir auch«, flüsterte Kate.
Nora zog wieder nach St. Louis. Sie war nach Silver Springs
gekommen, als ihre Schwester erkrankte, und sie war dageblieben,
bis Isabel die Highschool beendet hatte. Jetzt, wo Kate
wieder zu Hause war und Isabel aufs College ging, wollte sie
endlich wieder zu ihrer Familie zurück. Ihre Tochter und ihre
Enkelkinder fehlten ihr.
Nora war ein Geschenk des Himmels gewesen, und sie hatte
sich wundervoll um sie gekümmert, als sie sie am meisten gebraucht
hatten. Allerdings besaß sie ihre eigenen Ansichten
über Sex, und Kiera bezeichnete sie immer als »eiserne Jungfrau
«. Nach dem Tod ihrer Mutter schwang sie sich zur moralischen
Hüterin der Mädchen auf. Laut Nora war jeder Mann
nur auf »Du-weißt-schon-was« aus, und sie betrachtete es als
ihre Aufgabe, die Schwestern vor einem grässlichen Schicksal
zu bewahren. Kate spähte vorsichtig um die Ecke. Zum Glück
stand Nora nicht in der Küche, deshalb stellte Kate den Fernseher
aus, zog ihren Regenmantel aus und hängte ihn über
einen Stuhl. Rasch ergriff sie ihre Schlüssel und eilte zur Garage.
Vielleicht war sie ja schon weg, bis Nora wiederkam. Sie
hatte wirklich keine Angst vor ihrer Tante, aber wenn Nora
sich erst einmal warmgeredet hatte, konnten ihre Vorträge sehr
lange dauern, manchmal sogar bis zu einer Stunde.
Kiera folgte Kate durch die Küche. »Sei bloß vorsichtig heute
Abend. Es gibt jede Menge Verrückte da draußen, die mit
Cinnamons Ansichten über die Regierung oder Religion nicht
einverstanden sind. Predigt sie nicht sogar Anarchie?«
»Ja, ich glaube, diesen Monat schon. Aber ich bin nicht so
auf dem Laufenden, weil sie ihre Ansichten ständig wechselt.
Wegen heute Abend mache ich mir keine Gedanken. Es
werden schon genügend Sicherheitsbeamte da sein.«
»Dann muss Carl sich aber Sorgen machen.«
»Nein, es ist alles nur Show. Ich denke nicht, dass Cinnamon
irgendwas von dem Unsinn glaubt, den sie so verzapft.
Sie ist einfach nur scharf auf öffentliche Aufmerksamkeit.«
»Die Gruppierungen, die sie beleidigt, wissen das aber nicht,
und manche sind echt radikal.«
»Mach dir keine Sorgen. Mir passiert schon nichts.« Kate
trat in die Garage. Die Hitze verschlug ihr den Atem.
»Warum musst du eigentlich schon so früh fahren? Auf der
Einladung stand doch von acht bis Mitternacht.«
»Carls Assistentin hat mich angerufen und mir auf der
Mailbox hinterlassen, ich solle um sechs schon da sein.«
Sie stieg ins Auto, in dem eine Gluthitze wie in einem Backofen
herrschte, und drückte auf die Fernbedienung, um das
Garagentor zu öffnen.
Kiera rief: »Gibt es dort auch Kate-MacKenna-Präsentkörbe?
«
»Ja, klar. Carl hat darauf bestanden. Ich glaube, ich bin mittlerweile
eins seiner Projekte. Er hat gemeint, er wolle später einmal
sagen können, er habe mich damals schon gekannt«, erwiderte
Kate. »Und jetzt mach die Tür zu. Die Klimaanlage
dreht durch.«
»Du wirst langsam richtig berühmt. Das hat doch was,
oder?«
Eine Antwort erwartete Kiera darauf offensichtlich nicht,
denn sie schloss die Tür.
Es hatte tatsächlich was, dachte Kate, während sie durch den
dichten Verkehr zur Galerie fuhr. Zwar hatte sie den endgültigen
Durchbruch noch nicht geschafft, aber es lief in die
richtige Richtung. Komisch, wie aus einem kleinen Hobby ein
zufriedenstellender Beruf werden konnte.
Ihr Unternehmen war bereits im Wachsen begriffen, als sie
sich noch überlegte, was sie eigentlich werden wollte. In ihrem
letzten Jahr auf der Highschool hatte sie nach Möglichkeiten
gesucht, sich etwas dazuzuverdienen, um für ihre Familie und
ihre Freunde Geburtstagsgeschenke kaufen zu können. Im
Büro ihrer Chemielehrerin hatte eine Duftkerze auf dem
Schreibtisch gestanden, deren Geruch Kate ganz furchtbar
fand. Dadurch kam sie auf die Idee, ihre eigenen Kerzen herzustellen.
Aber sie wollte etwas Neues machen, ihre Kerzen
sollten einzigartig sein.
Zuerst benutzte sie die Küche als Labor. Am Ende der
Winterferien hatte sie ihren ersten Satz Kerzen hergestellt. Die
reinste Katastrophe. Sie hatte verschiedene Gewürze und
Kräuter gemischt, und die Küche stank wie eine Kloake.
Ihre Mutter verbannte sie in den Keller, aber sie gab ihre Experimente
nicht auf. In jenem Sommer arbeitete sie jede freie
Minute an ihrem Projekt. Unermüdlich recherchierte sie, und
am Ende ihres ersten Jahres auf dem College gelangen ihr wundervolle
Kerzen, die nach Basilikum und Grapefruit dufteten.
Kate wollte sie eigentlich verschenken, aber ihre Zimmergenossin
und beste Freundin auf dem College, Jordan Buchanan,
erkannte das große Potenzial der Idee. Jordan nahm zehn
Kerzen, klebte Preisschildchen dran und verkaufte sie alle an
einem Abend. Sie überredete Kate, alle ihre Produkte mit
ihrem vollen Namen zu kennzeichnen, und half ihr dabei, ein
Logo und ein paar hübsche Verpackungen zu entwerfen.
Der saubere, frische Duft in Verbindung mit den achteckigen
Glasbehältern, die Kate schließlich fand, machten die Kerzen
zu einem Verkaufsschlager. Immer mehr Aufträge gingen
ein. Kate stellte zwei Aushilfskräfte ein und versuchte, während
der Sommerferien so viele Kerzen wie möglich auf Vorrat zu
produzieren. Der Keller war längst zu klein geworden für ihr
Unternehmen, und so bezog sie Büroräume am anderen Ende
der Stadt. Sie lagen in einer schrecklichen Gegend, waren aber
natürlich gerade deshalb so billig.
Als sie ihren Abschluss machte, kamen die Bestellungen
schon aus allen Teilen des Landes. Kate war klar, dass ihre
Schwäche im Management lag, deshalb beschloss sie, in Boston
ihren Master zu machen. Damit das Geschäft während ihrer Abwesenheit
weiterlief, machte sie ihre Mutter zur Partnerin, damit
sie Kontovollmacht hatte und Schecks ausstellen konnte.
Weil Kate ihren gesamten Gewinn ins Unternehmen steckte,
war Geld knapp. Sie wohnte bei Jordan in Boston und verbrachte
ihre Wochenenden oft mit Jordans großer Familie in
Nathan's Bay.
Es war ein Kampf, aber es gelang Kate, das Unternehmen in
dieser Zeit sogar noch auszubauen. Als dann jedoch ihre
Mutter krank wurde, unterbrach sie ihr Studium, um nach
Hause zurückzukehren und bei ihr zu sein. Seit dem Tod ihrer
Mutter war ein langes, trauriges Jahr vergangen, aber in diesem
Jahr hatte Kate ihren Master gemacht und neue Pläne zur Expansion
entwickelt.
Da sie jetzt wieder ständig in Silver Springs war, konnte sie
sich ganz auf die Arbeit konzentrieren. Sie stellte mittlerweile
auch Körperlotion her und hatte drei Parfüms kreiert, die sie
nach ihrer Mutter und ihren Schwestern Leah, Kiera und Isabel
genannt hatte. Ihre Büroräume waren schon wieder so vollgestopft,
dass sie neue Räume in einem Lagerhaus anmietete,
die wesentlich größer und auch näher an ihrem Zuhause waren.
Sie dachte über weitere Angestellte nach. Anton's, eine gehobene
Kaufhauskette, wollte ihre Produkte vertreiben, und
schon bald würde sie einen äußerst lukrativen Exklusivvertrag
mit ihnen unterzeichnen.
Und alle Geldsorgen würden sich in Luft auflösen.
Sie lächelte, als sie daran dachte. Sobald sie ein bisschen
Geld hatte, würde sie sich als Erstes ein Auto mit einer funktionierenden
Klimaanlage zulegen. Sie drehte an der Lüftungsschraube,
aber es nützte nichts. Die Luft, die durch die Schlitze
drang, war trotzdem lauwarm.
Als sie auf Carls prächtigem Anwesen ankam, war sie durchgeschwitzt.
Er hatte Liongate von seinem Vater geerbt und
baute die Galerie im Park. Zwei massive Löwenköpfe zierten
die elektronisch gesteuerten Eisentore.
Ein Wachmann kontrollierte, ob ihr Name auf der Liste
stand, und ließ sie durch. Carls zweistöckiges Haus lag am
Ende einer gewundenen Auffahrt, aber die Galerie, in der Cinnamons
Werke ausgestellt wurden, befand sich am Hügel auf
der Südseite. Neben dem halb fertigen Gebäude war ein mächtiges
weißes Zelt aufgebaut.
Ein weiterer Sicherheitsbeamter zeigte ihr, wo sie parken
sollte. Carl erwartete wohl ziemlich viele Gäste, nach der Zahl
der Wachleute und Kellner, die überall herumliefen, zu schließen.
Kate ging über den gepflegten Rasen, wobei sie mit ihren
hohen Absätzen bei jedem Schritt im feuchten Boden einsank.
Sie hatte beinahe den gepflasterten Weg erreicht, als ihr Handy
klingelte.
»Hallo, Kate, mein Liebling. Wo bleibst du?«, flötete Carl
ihr ins Ohr.
»Ich stehe auf deinem Rasen, Carl.«
»Ah, das ist wunderbar.«
»Und wo bist du?«
»In meinem Ankleidezimmer. Ich versuche mich gerade zu
entscheiden, ob ich lieber den weißen Leinenanzug oder den
Nadelstreifenblazer mit der hellen Hose anziehen soll. Ich
werde so oder so fürchterlich schwitzen, aber ich muss schließ-
lich für all die Kritiker gut aussehen, die heute Abend kommen
werden, oder?«
»Du siehst doch immer gut aus.«
»Ich wollte dir auf jeden Fall nur Bescheid sagen, dass ich
noch eine Weile brauche, zumal ich Cinnamon im Hotel abholen
muss. Die Limousine wartet schon auf mich. Ich wollte
dich um einen Gefallen bitten. Kannst du bitte überprüfen, ob
mit dem Zeltaufbau alles in Ordnung ist? Ich habe keine Zeit
mehr, mich darum zu kümmern, bevor die Gäste kommen,
und ich möchte sichergehen, dass alles perfekt ist. Du hast
einen so unfehlbaren Geschmack und wirst schon dafür sorgen,
dass alles toll ist.«
»Ja, das mache ich gerne«, erwiderte Kate lächelnd. Carl
hatte schon immer einen Hang zur Dramatik gehabt.
»Du bist ein Schatz. Ich revanchiere mich«, sagte Carl und
legte auf.
Kate fand den Eingang und betrat das Zelt. Die Klimaanlage
lief zwar auf Hochtouren, aber das nützte wenig, da ein
ständiges Kommen und Gehen herrschte. An einem Ende
standen riesige Tische für das Büfett mit bunten Blumenarrangements
in Kristallschalen und Silbervasen. Im Raum
waren kleine, mit weißem Leinen eingedeckte Tische mit weißen
Klappstühlen verteilt. Alles schien gut zu funktionieren.
Ihre Präsentkörbe standen auf einem Tisch in der Ecke. Die
weiße Tischdecke reichte bis zum Boden, und ihr Logo hing
vorne herunter. Sie rückte es gerade und arrangierte die Körbe
im Halbkreis. Anschließend trat sie einen Schritt zurück, um
ihr Werk zu bewundern.
Dieses Ding bringt mich um, dachte sie. Der Büstenhalter
schnürte ihr den Oberkörper zusammen. Es tat richtig weh,
und am liebsten hätte sie ihn sich vom Leib gerissen, als sie in
die Kunstgalerie zur Damentoilette eilte. Sie würde ihn ablegen
und in den Abfalleimer werfen.
Leider waren die Toiletten abgesperrt, weil dort sauber gemacht
wurde. Kate hätte die Schilder ja ignoriert und wäre ein-
fach hineingegangen, aber an den Türen waren Wachleute postiert,
und sie würden sie bestimmt nicht hineinlassen.
Was sollte sie nur tun? Kate blickte sich nach einem leeren
Zimmer um, dessen Tür man verschließen konnte, aber es gab
keines. Es ging ihr gar nicht gut, als sie wieder ins Zelt zurücklief,
aber ihre Laune besserte sich, als sie sah, dass jemand unter
ihr Logo einen großen Korb voller Blumen auf den Boden gestellt
hatte, um darauf aufmerksam zu machen. Sie durfte nicht
vergessen, sich bei Carl dafür zu bedanken.
Die Hitze war drückend. Sie ergriff ein Programmheft und
fächelte sich Luft zu. Kellner liefen herum und stellten weitere
tragbare Klimaanlagen auf, damit alles bereit war, wenn in
knapp zwei Stunden die Gäste eintrafen.
Als Kate vor das Zelt trat, um ein bisschen frische Luft zu
schnappen, erblickte sie in ein paar Metern Entfernung eine
Baumgruppe, die von Sträuchern umgeben war. Bingo. Dort
konnte sie vor neugierigen Blicken geschützt den trägerlosen
Büstenhalter ausziehen. Rasch blickte sie sich um, um sich zu
vergewissern, dass niemand ihr folgte, und lief zu den Bäumen.
Eine Minute später hatte sie sich von dem Folterinstrument
befreit.
»Endlich!« Sie seufzte erleichtert. Jetzt konnte sie wieder frei
atmen.
Es war ihr letzter Gedanke vor der Explosion.
3
Die Polizei fand sie zusammengerollt am Fuß eines hundertjährigen
Walnussbaumes. Ihr Büstenhalter baumelte von einer
Magnolie, die fünf Meter entfernt stand. Niemand konnte sich
so recht vorstellen, wie die Kraft der Explosion ihr das Wäschestück
aus schwarzer Spitze vom Leib gezogen, ihr Kleid aber
heil gelassen hatte.
Die Explosion hatte ein riesiges Stück aus dem Hügel gerissen
und einen kleinen Krater hinterlassen, wo das Zelt gestanden
war. Eine Feuerwalze hatte sich wie Lava den Hügel
hinunter ergossen, und der prachtvolle Walnussbaum war senkrecht
in der Mitte gespalten worden. Ein dicker Ast war abgebrochen
und in einem Bogen über Kate gelandet, sodass sie von
Laub und Zweigen völlig bedeckt war. Er schützte sie vor den
Glas- und Metallstücken, die mit der Wucht von Geschossen
durch die Luft flogen.
Die Häuser erzitterten bis in einem Kilometer Entfernung,
jedenfalls behaupteten die Anwohner das. Manche hielten die
Erschütterungen für ein Erdbeben und rannten schutzsuchend
in Hauseingänge.
Es grenzte an ein Wunder, dass niemand getötet oder ernsthaft
verletzt worden war. Hätte sich jemand vom Personal oder
von den Gästen zum Zeitpunkt der Explosion im Zelt aufgehalten,
wären sie wahrscheinlich kaum noch zu identifizieren
gewesen.
Kate wäre auf jeden Fall tot gewesen, und wenn sie nicht
diesen schlecht sitzenden BH getragen hätte, hätte sie im Zentrum
der Explosion gestanden. Aber auch so schien es unglaublich,
dass sich alle ihre Körperteile noch dort befanden,
wo sie hingehörten. Eine der Zeltstangen aus Metall war wie
ein ferngesteuertes Geschoss mitten in den Baum eingeschlagen
und hatte ihn direkt über Kate gespalten. Die Spitze zeigte
genau auf ihr Herz.
Nate Hallinger, ein Kriminalbeamter, der erst seit Kurzem
bei der Polizei in Charleston war, fand sie. Er ging gerade den
Hügel hinauf, um der Spurensicherung nicht im Weg zu sein,
als er ein Handy klingeln hörte. Der Klingelton erinnerte ihn
an den Harry-Potter-Film, den er sich gerade mit seinen Neffen
angeschaut hatte. Als er zu dem gespaltenen Walnussbaum
kam, hörte es auf. Da er annahm, das Gerät müsse irgendwo
auf dem Boden liegen, bückte er sich und entdeckte ein Paar
wohlgeformter Beine.
Er versuchte, näher an sie heranzukommen, aber der Stamm
des Baumes neigte sich, und sie würde zerquetscht werden,
wenn er umfiel. Als Nate die Frau stöhnen hörte, wich er zurück.
Zwei Sanitäter kamen auf ihn zu. »Ach du lieber Himmel,
George«, sagte der eine. »Sieh dir das mal an!«
»Was?«, fragte sein Partner und robbte auf dem Bauch an
Kate heran.
»Die Stange, Mann. Sieh dir die Stange an. Sie zielt genau
auf ihr Herz. Na, die Frau hat ja vielleicht Glück gehabt.«
»Ja, wenn sie keine inneren Verletzungen hat, stimme ich dir
zu, Riley. Sie hat wirklich Glück gehabt.«
George war fünfzehn Jahre älter als sein Partner. Er bildete
Riley aus, und obwohl er eigentlich gerne mit dem jüngeren
Mann zusammenarbeitete, ging ihm das ständige Geplapper
manchmal auf die Nerven. Aber manchmal kam eben auch
etwas Sinnvolles aus seinem Mund.
Vorsichtig hob Riley einen der Äste an und rutschte näher
an die Frau heran. »Hast du gehört?«, flüsterte er. »Die Polizei
glaubt, dass eigentlich die Künstlerin gemeint war und die
Bombe nur zu früh hochgegangen ist. Ich habe gehört, wie
einer der Feuerwehrleute gesagt hat, es wäre der reinste Overkill
gewesen. Aber ich bin nicht sicher, was das bedeutet, und
ich habe mich nicht getraut zu fragen, weil sie dann gemerkt
hätten, dass ich sie belausche.«
Die beiden Sanitäter kamen nicht an Kate heran, deshalb
riefen sie Hilfe. Vier starke Feuerwehrleute waren nötig, um
den gespaltenen, entwurzelten Stamm und die Äste beiseitezuräumen,
damit die Sanitäter sie endlich untersuchen konnten.
Staunend stellten sie fest, dass alle Knochen heil geblieben
waren. Sie legten sie auf eine Trage und brachten sie den Hügel
herunter.
Kate kam nur langsam zu sich. Als sie die Augen aufschlug,
sah sie die verschwommenen Umrisse von drei Männern, die
sich über sie beugten.
Sie kam sich vor wie in einer Hängematte, die hin- und herschaukelte.
Übelkeit stieg in ihr auf, und sie schloss die Augen
wieder. Die Luft roch verbrannt.
Nate ging neben der Trage her.
»Kommt sie wieder in Ordnung?«, fragte er.
»Ich denke schon«, sagte Riley.
»Das müssen die Ärzte entscheiden«, erwiderte George.
»Ist sie ansprechbar?«
»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte George.
»Detective Nate Hallinger. Ist sie ansprechbar?«, wiederholte
er.
»Sie hat einen mächtigen Schlag auf den Hinterkopf bekommen«,
erwiderte Riley.
Der andere Sanitäter nickte, aber Nate merkte, dass seine
Aufmerksamkeit seiner Patientin galt.
»Sie hat wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung«, sagte er.
»Oh, oh«, meinte Nate. »Aber ist sie ansprechbar?«, fragte er
noch einmal. Vielleicht bekam er ja beim dritten Mal eine Antwort
auf seine Frage. »Hat sie etwas gesagt?«
»Nein, sie ist noch bewusstlos«, sagte Riley.
Der Nebel in Kates Kopf begann sich zu lichten. »Nein, sie
ist nicht mehr bewusstlos«, flüsterte sie. »Und sie kann auch
laufen.«
Nate lächelte sie an. Die Frau war hart im Nehmen. Das
gefiel ihm. »Können Sie mir Ihren Namen sagen?«
Kate traute sich nicht zu nicken, weil sich bei jeder Bewegung
ihre Kopfschmerzen verschlimmerten. Tablette, dachte
sie. Ich brauche dringend eine Kopfschmerztablette.
»Kate MacKenna«, sagte sie. »Was ist passiert?«
»Es hat eine Explosion gegeben.«
Kate runzelte die Stirn. »Ich kann mich nicht an eine Explosion
erinnern. Ist jemand verletzt worden?«
»Sie«, erwiderte Riley.
»Mir geht es gut. Bitte, lassen Sie mich aufstehen.«
Ihre Bitte wurde ignoriert. Sie fragte noch einmal, ob jemand
verletzt worden sei, und George antwortete: »Ein paar
Leute haben ein paar Kratzer und Prellungen abbekommen.«
»Kann ich eine Schmerztablette haben?«
»Sie haben starke Kopfschmerzen, oder?«, sagte George.
»Wir können Ihnen jetzt nichts geben. Wenn Sie im Krankenhaus
sind ...«
»Ich brauche nicht ins Krankenhaus.«
»Sie haben bestimmt einen Schutzengel gehabt«, warf Riley
ein.
Verwirrt blinzelte sie ihn an. »Wie bitte?«
»Wenn Sie im Zelt gewesen wären, wären Sie jetzt tot.«
Mittlerweile waren sie unten am Hügel angekommen, wo
der Krankenwagen schon bereitstand.
»Ich fahre mit ihr ins Krankenhaus«, erklärte Nate.
»Ja, das ist wahrscheinlich in Ordnung. Sie ist ja bei Bewusstsein.«
»Mich muss niemand ins Krankenhaus fahren. Es geht mir
wieder gut«, sagte Kate. »Mein Auto steht irgendwo auf dem
Gelände.«
»Sie können jetzt nicht Auto fahren«, erwiderte George.
»Aber mein Führerschein ist im Auto und meine Handtasche
und ...« Sie brach ab, weil ihr auf einmal klar wurde,
wie unerheblich diese Information jetzt war.
»Meinen Sie, Sie könnten mir ein paar Fragen beantworten?
«, fragte Nate.
Seine Stimme gefiel ihr. Sie war weich - und nicht zu laut.
»Natürlich.«
»Können Sie mir erzählen, was passiert ist?«
Kate seufzte. »Das weiß ich nicht.« Warum konnte sie sich
nicht erinnern? Was war bloß los mit ihr? Vielleicht würde ja
ihre Erinnerung zurückkommen, wenn erst einmal die Kopfschmerzen
weg waren.
»Ist Ihnen jemand aufgefallen? Sie wissen schon, jemand,
der dort nicht hingehörte?«
Sie schloss die Augen. »Ich weiß nicht, tut mir leid. Vielleicht
fällt es mir ja später wieder ein. Und es wurde wirklich
niemand verletzt?«, fügte sie hinzu.
»Nein. Alle Angestellten waren gerade im Haus, um die
Platten fürs Büfett vorzubereiten. Und der Inhaber der Galerie
war unterwegs, um die Künstlerin abzuholen.«
»Gott sei Dank«, flüsterte sie.
»Ein bisschen später, und es hätte ein Massaker gegeben«,
warf George ein.
Der Kriminalbeamte saß ihr gegenüber, die Ellbogen auf die
Knie gestützt, und blickte sie aufmerksam an. »Versuchen Sie
nachzudenken, Kate. Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches
aufgefallen?«
Trotz ihrer Benommenheit entging ihr der drängende Unterton
in seiner Stimme nicht. »Sie halten also die Explosion
nicht für einen Unfall?«
»Wir schließen keine Möglichkeit aus.«
»Eine der transportablen Klimaanlagen?«, fragte sie. »Überall
lagen Kabel herum. Vielleicht ...« Sie hielt inne, als er den
Kopf schüttelte. »Ist es nicht möglich, dass eine der Klimaanlagen
in die Luft geflogen ist?«
»Nicht einmal Hunderte dieser Geräte hätten so einen Schaden
anrichten könnten. Die Explosion hat den halben Hügel
weggesprengt.«
Riley beugte sich über Kate und prüfte noch einmal ihren
Blutdruck. Er lächelte, als er die Manschette wieder abnahm.
»Und, wie geht es ihr?«
»Ihre Werte sind gut.«
»Mein Kopf tut auch nicht mehr so weh«, sagte Kate. Es war
eine Lüge, aber sie wollte nach Hause.
»Sie müssen trotzdem im Krankenhaus untersucht werden«,
sagte George.
Hallinger klappte sein Notizbuch zu und betrachtete sie
eingehend. So attraktiv wie diese Frau waren nicht viele Opfer,
dachte er. Aber dann merkte er, dass er sie anstarrte, und blickte
rasch weg. »Dieser alte Baum hat Ihnen das Leben gerettet.
Wenn Sie nicht dahinter gestanden hätten, hätten Sie nicht
überlebt. Was haben Sie überhaupt dort gemacht? Sie waren
ziemlich weit vom Anbau und dem Zelt entfernt.«
Sie wandte ihm den Kopf zu, zuckte aber sofort vor Schmerz
zusammen. Sie brauchte wirklich unbedingt eine Tablette. »Ich
bin spazieren gegangen«, antwortete sie. Das war nicht gelogen.
Und den Grund dafür brauchte sie doch nicht zu erklären.
»In dieser Hitze? Wäre es da nicht sinnvoller gewesen, ins
Haus zu gehen oder im Zelt zu bleiben, in der Nähe der Klimaanlagen?
«
»Das sollte man meinen«, stimmte sie ihm zu. »Aber ich
wollte eben an die frische Luft. Die Hitze macht mir nichts aus.«
Okay, das war gelogen, aber nur ein bisschen, damit konnte sie
leben.
»Waren Sie alleine bei Ihrem Spaziergang?«
»Ja.«
»Hm.« Er verzog skeptisch das Gesicht.
»Detective, ein vorgeblicher Begleiter wäre doch von der
Druckwelle auch ohnmächtig geworden?«
»Wenn er oder sie sich noch in der Nähe befunden hätte.«
Bevor sie antworten konnte, fuhr er fort: »Wie lange waren
Sie dort draußen?«
»Wo draußen?«
»Hinter den Bäumen.«
»Ich weiß nicht. Nicht lange.«
»Ach ja?« Seine Stimme klang ungläubig.
»Gibt es ein Problem?«, fragte sie.
»Die Spurensicherung hat etwa sieben Meter entfernt etwas
gefunden.«
»Was denn?«, fragte sie. Aber dann merkte sie auf einmal,
worauf er hinauswollte. Oh Mann, der Schlag auf den Kopf
hatte sie anscheinend begriffsstutzig gemacht.
»Ein Kleidungsstück«, sagte er. »Unterwäsche, die meiner
Meinung nach von Ihnen getragen worden ist.«
Sie wurde rot. »Niemand war bei mir. Sie meinen den
schwarzen Büstenhalter, nicht wahr? Ja, er gehört mir. Die
Damentoilette war noch zugesperrt, und ich habe einen Ort
gesucht, an dem ich ihn ungestört ablegen konnte. Und die
Baumgruppe erschien mir geeignet dafür.«
»Warum?«
»Warum was?«
»Warum wollten Sie ihn ablegen?«
Er stellte wirklich zudringliche Fragen, dachte sie. Sie hätte
ihm durchaus antworten können, dass ihn das nichts anginge,
aber sie beschloss, lieber aufrichtig zu sein. »Er hat mich fast
umgebracht.«
»Wie bitte?«
Alle im Krankenwagen interessierten sich anscheinend auf
einmal für das Thema. Auch Riley und George warteten gespannt
auf ihre Erklärung.
»Die Bügel ...«
»Ja?«
Du liebe Güte. »Eine Frau würde das sofort verstehen.«
»Aber ein Mann nicht?«
Er ließ einfach nicht locker. Sie fragte sich langsam, ob er sie
absichtlich in Verlegenheit bringen wollte.
»Versuchen Sie einmal nur eine Stunde lang, so ein Ding zu
tragen. Ich versichere Ihnen, dann wollen Sie es auch loswerden.«
Er lachte. »Nein danke. Ich muss mich wahrscheinlich mit
Ihrer Auskunft begnügen.«
Er hatte ein nettes Lächeln.
»Sind Sie verheiratet?«, fragte er. »Müssen wir Ihren Ehemann
verständigen?«
»Nein, ich bin nicht verheiratet. Ich wohne mit meinen
Schwestern zusammen.« Sie versuchte sich aufzusetzen, aber
dann fiel ihr ein, dass sie festgeschnallt war. »Ich muss sie anrufen.
Sie machen sich bestimmt Sorgen.«
»Wenn wir im Krankenhaus sind, erledige ich das für Sie.«
Er blickte aus dem Rückfenster. »Wir sind gleich da.«
»Ich muss nicht ins Krankenhaus. Meine Kopfschmerzen
sind fast weg.«
Sein Blick sagte ihr, dass er ihr kein Wort glaubte.
»Sie wohnen nicht direkt in Charleston?«, fragte er.
»Nein«, antwortete sie. Er wusste bestimmt schon ihre
Adresse, ihre Telefonnummer und wahrscheinlich auch jedes
andere Detail über ihr Leben. Der Computer hatte mittlerweile
sicher schon alles über sie ausgespuckt, was es zu wissen
gab.
»Wir wohnen in Silver Springs, aber es ist nicht weit von der
Stadt entfernt. Sind Sie neu in der Gegend?«
»Ja«, erwiderte er. »Ich bin gerade aus Savannah zugezogen.
Das Leben hier ist ziemlich entspannt.« Lächelnd fügte er
hinzu: »Für gewöhnlich jedenfalls. Das ist wahrscheinlich das
Aufregendste, was Ihnen dieses Jahr passieren wird.«
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Copyright der Originalausgabe © 2005 by Julie Garwood
Published by Arrangement with Julie Garwood
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Übersetzung: Margarethe van Pée
Projektleitung: Librisco Consult
Redaktion: Claudia Krader
Umschlaggestaltung: zeichenpool
Umschlagmotiv: Shutterstock (© Konrad Bak; © Gregory Gerber;
© Gordon Logue; © Andrejs Pidjass; © Potapov Alexander)
Satz: Dirk Risch
Druck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-434-2
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Ausgabe an.
Entschlossen riss er sich aus den Tagträumen über seine
zahlreichen Siege. Dazu war jetzt keine Zeit. Er trat an seine
Bar und schenkte sich ein Glas Wasser aus der Kristallkaraffe
ein, die einer seiner Geschäftspartner ihm vor Jahren geschenkt
hatte. Noch im Stehen trank er einen Schluck, dann trug er das
Glas zum Schreibtisch und stellte es auf einen Untersetzer an
der Ecke. Er blickte sich in der holzvertäfelten Bibliothek um
und stellte fest, dass es viel zu dunkel für die Kameras war.
Rasch schaltete er sämtliche Tischlampen ein.
»Bist du bereit?«, fragte er ungeduldig. Er setzte sich hinter
den Schreibtisch, fuhr sich glättend über die Haare und zupfte
an den Aufschlägen seines Jacketts. Nervös zerrte er am Knoten
seiner Krawatte, damit sie ihm die Kehle nicht so abschnürte.
»Ich sammle meine Gedanken«, sagte er mit einer Stimme, die
rau war von einem Leben, in dem er Befehle gebrüllt und seine
geliebten kubanischen Zigarren geraucht hatte.
Jetzt hätte er auch gerne eine Zigarre gehabt. Aber er hatte
keine im Haus. Er hatte das Rauchen vor zehn Jahren aufgegeben,
aber wenn ihn etwas nervös machte, verspürte er immer
noch den plötzlichen Drang nach einer Zigarre.
Im Moment war er nicht nur nervös, sondern hatte auch ein
bisschen Angst, ein Gefühl, das er normalerweise nicht kannte.
Bevor er starb - und das würde bald sein, sehr bald -, wollte er
unbedingt das Richtige tun. Das war er dem Namen Mac-
Kenna schuldig.
Die altmodische Videokamera mit VHS-Kassette stand auf
einem Stativ gegenüber dem alten Mann. Die Digitalkamera
wurde direkt hinter der Videokamera hochgehalten, und auch
ihr Objektiv war auf ihn gerichtet.
Er blickte über die Kameras hinweg. »Ich weiß, du findest,
digital reicht, und wahrscheinlich hast du sogar recht, aber mir
gefällt es auf die alte Art mit der Videokassette. Ich vertraue
diesen flachen DVD-Scheiben nicht und will die Videokassette
als Sicherung. Nick einfach mit dem Kopf, wenn alles bereit
ist, und dann fange ich an.«
Er ergriff sein Glas, trank einen Schluck und stellte es wieder
hin. Die Tabletten, die diese lästigen Ärzte ihm verschrieben,
machten seinen Mund trocken.
Ein paar Sekunden später war alles bereit, und er begann.
»Mein Name ist Compton Thomas MacKenna. Dies ist nicht
mein Letzter Wille und Testament, weil ich das bereits verfügt
habe. Ich habe mein Testament vor einiger Zeit geändert. Das
Original liegt in meinem Bankschließfach; eine Kopie befindet
sich bei meinen Unterlagen in der Anwaltskanzlei, die mich vertritt,
und es gibt noch eine weitere Kopie, die mit absoluter
Sicherheit ihr hässliches Haupt erheben wird, wenn das Original
und die Kopie des Anwalts aus irgendeinem Grund verloren
gehen sollten.
Ich habe niemandem von euch von dem neuen Testament
und den Änderungen erzählt, weil ich in meinen letzten Lebensmonaten
nicht bedrängt werden wollte. Aber da die Ärzte
mir versichert haben, mein Ende sei nahe und sie könnten
nichts mehr für mich tun, möchte ich, nein, muss ich«, korrigierte
er sich, »erklären, warum ich das so gemacht habe. Auch
wenn ich sicher bin, dass ihr es weder verstehen noch gutheißen
werdet.
Ich will meine Erklärung mit einer kurzen Geschichte der
Familie MacKenna beginnen. Meine Eltern sind in den schottischen
Highlands geboren, aufgewachsen und beerdigt worden.
Mein Vater besaß ziemlich viel Land, ziemlich viel«, wiederholte
er. Er räusperte sich und trank wieder einen Schluck Wasser, bevor
er fortfuhr. »Als er starb, ging das Land zu gleichen Teilen an
meinen älteren Bruder, Robert Duncan den Zweiten, und an
mich. Robert und ich gingen in die Vereinigten Staaten, um
unsere Ausbildung zu beenden, und beide entschlossen wir uns
zu bleiben. Jahre später verkaufte mir Robert seinen Anteil an
dem Land. Das Geld machte ihn zu einem sehr reichen Mann,
und ich wurde der einzige Erbe von Glen MacKenna.
Ich habe nie geheiratet. Dazu hatte ich weder die Zeit noch
die Neigung. Robert heiratete eine Frau, die ich nicht mochte,
aber im Gegensatz zu meinem Bruder stieß ich keine Drohungen
aus, nur weil er jemanden wählte, der mir nicht gefiel. Ihr
Name war Caroline. Sie kam aus kleinen Verhältnissen und
heiratete Robert offensichtlich wegen seines Vermögens. Geliebt
hat sie ihn nie. Aber sie tat ihre Pflicht und schenkte ihm
zwei Söhne, Robert Duncan den Dritten und Conal Thomas.
Damit kommen wir zum Kern dieser Geschichtslektion. Als
mein Neffe Conal eine Frau ohne gesellschaftlichen Status heiratete,
enterbte ihn sein Vater. Robert hatte für ihn eine andere
Frau - aus einer einflussreichen Familie - ausgesucht, und er
war außer sich vor Wut, dass sein Sohn seine Wünsche ignorierte.
Conals Frau, Leah, war nicht besser als eine Bettlerin auf
der Straße, aber Conal schien egal zu sein, dass er ihretwegen
sein gesamtes Vermögen verlor.« Er schnaufte verächtlich und
fügte hinzu: »Robert blieb nur noch sein Erstgeborener, ein
richtiger Jasager, der alles tat, was man ihm auftrug.
Mit den Jahren verlor ich Conal aus den Augen«, fuhr er
fort. »Ich hatte einfach zu viel zu tun. Ich wusste nur, dass er
nach Silver Springs in der Nähe von Charleston umzog. Aber
dann erfuhr ich, dass er bei einem Autounfall ums Leben gekommen
war. Ich wusste, dass mein Bruder nicht zur Beerdigung
fahren würde ... Also fuhr ich hin. Allerdings wohl nicht
so sehr aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus, sondern
eher, weil ich neugierig war und sehen wollte, was Conal zustande
gebracht hatte. Ich sagte keinem, wer ich war, auch
Leah nicht, und hielt mich im Hintergrund. Die Kirche war
voll mit Trauergästen. Und auf dem Friedhof sah ich Leah mit
ihren drei kleinen Mädchen, das kleinste noch ein Baby.« Er
schwieg, als ob er die Szene noch einmal vor sich sähe. Da er
sich jedoch nichts anmerken lassen wollte, wandte er einen
Moment lang den Blick ab. Dann richtete er sich auf und fuhr
fort: »Ich sah, was ich sehen wollte. Die MacKennas würden in
Conals Kindern weiterleben - wenn es auch schade war, dass
kein einziger Junge dabei war.
Was den anderen Sohn meines Bruders angeht, Robert den
Dritten - er hat ihn verwöhnt, und er ist ein Nichtsnutz. Er
durfte keinen Ehrgeiz zeigen, und mein Bruder musste miterleben,
wie sich sein Erstgeborener in ein frühes Grab trank.
Die Sünde der Maßlosigkeit ist auf die nächste Generation
übergegangen. Ich habe gesehen, wie Roberts Enkel ihr Erbe
verprassten und, was noch schlimmer ist, den Namen Mac-
Kenna in den Schmutz gezogen haben. Bryce, der Älteste, ist
in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er hat eine anständige
Frau geheiratet, Vanessa, aber sie konnte ihn nicht von seinen
Lastern heilen. Wie sein Vater ist auch er ein Trinker. Er hat all
seine Aktien und Anlagen zu Geld gemacht und den größten
Teil für Alkohol und Frauen ausgegeben. Gott alleine weiß,
was mit dem Rest geschehen ist.
Und dann ist da noch Roger. Er verschwindet manchmal
wochenlang, aber meine Leute sind ihm auf die Spur gekommen
und haben herausgefunden, was er so treibt. Offenbar
spielt er für sein Leben gerne. Den Berichten zufolge hat er alleine
letztes Jahr über vierhunderttausend verloren. Vierhunderttausend.
« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Und er
umgibt sich mit Gesindel wie Johnny Jackman. Wenn ich nur
daran denke, dass der Name MacKenna mit einem Schurken
wie Jackman in Verbindung gebracht wird, dreht sich mir der
Magen um.
Ewan, der Jüngste, kann oder will seine aggressiven Neigungen
nicht beherrschen. Wenn er nicht so teure und gerissene
Anwälte hätte, säße er mittlerweile sicher im Gefängnis. Vor
zwei Jahren hat er einen Mann beinahe zu Tode geprügelt.
Ich verabscheue sie alle zutiefst. Es sind nutzlose Männer,
die nichts zum Fortbestand dieser Welt beigetragen haben.«
Der alte Mann zog ein Taschentuch aus der Tasche und tupfte
sich die Stirn ab.
»Als diese wertlosen Ärzte mir erklärten, ich würde nur noch
ein paar Monate leben, habe ich beschlossen, eine Bestandsaufnahme
zu machen.« Er drehte sich um, öffnete eine Schublade
und holte einen dicken schwarzen Aktenordner heraus. Er
schlug ihn auf und legte die Hände darauf. »Ich habe einen
Detektiv engagiert, damit er für mich herausfindet, wie sich
Conals Kinder gemacht haben. Ich muss zugeben, dass ich
keine hohen Erwartungen hatte, weil Leah und die Mädchen
nach Conals Tod sicher von der Hand in den Mund leben
mussten. Außerdem nahm ich an, dass keine von ihnen über
die Highschool hinausgekommen sei. Ich habe mich geirrt.
Nach Conals Unfall hat Leah so viel Geld von der Versicherung
bekommen, dass sie das Haus behalten konnten. Sie
nahm eine Stelle als Sekretärin in einer privaten Mädchenschule
an. Zwar verdiente sie nicht viel, aber sie konnte ihre drei
Töchter kostenlos dort zur Schule gehen lassen.« Er nickte zustimmend
und fügte hinzu: »Offensichtlich hat Conal ihr beigebracht,
was eine anständige Erziehung wert ist.«
Er blickte auf den Bericht im Aktenordner. »Anscheinend
sind alle drei Mädchen sehr tüchtig. Die Älteste, Kiera, hat ein
Stipendium an einer guten Universität erhalten und ihr Examen
mit Auszeichnung gemacht. Mit einem weiteren Stipendium
hat sie ein Medizinstudium begonnen, das sie außergewöhnlich
gut meistert. Das mittlere Mädchen, Kate, ist die
Unternehmerin in der Familie. Auch sie hat ein Stipendium
für eine der besten Universitäten im Osten erhalten und ihr
Examen mit Auszeichnung bestanden. Schon während des
Studiums baute sie ein Unternehmen auf, das sich äußerst erfolgreich
entwickelt.« Er blickte direkt in die Kamera. »Es
scheint, sie kommt am meisten nach mir.
Isabel, die Jüngste, ist sicher ebenso intelligent wie ihre
Schwestern, aber ihre wahre Begabung ist ihre Stimme.« Er
tippte mit dem Zeigefinger auf den Bericht. »Isabel möchte
Musik und Geschichte studieren, und ihr größter Wunsch ist,
eines Tages nach Schottland zu fahren, um ihre entfernten Verwandten
kennenzulernen.« Er nickte. »Das freut mich sehr.
Und nun zu den Änderungen in meinem Testament.«
Seine Mundwinkel hoben sich ganz leicht zu einem fast
unmerklichen Lächeln, bevor er fortfuhr: »Bryce, Roger und
Ewan erhalten jeder hunderttausend Dollar in bar. Ich hoffe
zwar, dass sie dieses Geld für Rehabilitationsmaßnahmen verwenden,
bezweifle aber, dass dies jemals geschehen wird. Auch
Vanessa erhält hunderttausend, und sie bekommt außerdem
dieses Haus. Das hat sie verdient, weil sie es all die Jahre mit
Bryce ausgehalten hat. Durch ihre Arbeit in der Gemeinde und
verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen hat sie dem Namen
MacKenna Ehre erwiesen, und ich sehe keinen Sinn darin,
sie für die Wahl ihres Ehemanns zu bestrafen.
Jetzt zu den anderen MacKennas. Ich habe meine gesamten
Staatsanleihen Kiera überschrieben. Im Testament steht, wann
sie fällig werden. Isabel, die genauso wie ich an Geschichte interessiert
ist, wird Glen MacKenna erhalten. Natürlich sind
Bedingungen damit verknüpft, von denen sie zu gegebener
Zeit erfahren wird. Das ist alles, was sie von mir zu erwarten
haben, aber ich glaube, ich bin mehr als großzügig.«
Er atmete schwer und hielt inne, um noch einen Schluck
Wasser zu trinken. Nachdem er das Glas geleert hatte, redete er
weiter.
»Mein Vermögen wird auf etwa achtzig Millionen Dollar geschätzt.
Das habe ich mir im Laufe meines Lebens erarbeitet,
und meine Erben sind meine Blutsverwandten. Aber ich werde
den Teufel tun und es meinen lasterhaften Neffen überlassen.
Und deshalb vererbe ich es Kate MacKenna. Sie ist die ehrgeizigste
und geschäftstüchtigste von allen und kennt, wie ich,
den Wert des Geldes. Wenn sie das Erbe annimmt, gehört es
ihr.
Ich vertraue darauf, dass sie es nicht verschleudern wird.«
2
Dieses Formwunder von einem Büstenhalter rettete Kate
MacKenna das Leben.
Fünf Minuten nachdem sie das Ding angezogen hatte, wollte
sie es am liebsten wieder loswerden. Sie hätte sich nie von
ihrer Schwester Kiera überreden lassen sollen, so etwas zu tragen.
Ja, sie sah damit üppiger und supersexy aus, aber war das
wirklich die Botschaft, die sie heute Abend aussenden wollte?
Sie war schließlich eine Geschäftsfrau, kein Pornostar. Außerdem
war sie ohnedies schon üppig genug ausgestattet.
Und warum war Kiera so wild entschlossen, aus ihr eine
»sexy Hexy« zu machen - wie sie es nannte? War es um Kates
Beziehungsleben so schlimm bestellt? Das fanden ihre Schwestern
anscheinend.
Von den drei Schwestern war Kiera die älteste und sehr bestimmend.
Sie hatte sich geschworen, Kate in das kleine
schwarze, viel zu enge Cocktailkleid zu zwängen. Isabel, die
jüngste, unterstützte sie bei diesem Vorhaben, aber das tat sie
immer. Schließlich hatte Kate um des lieben Friedens willen
nachgegeben und das Seidenkleid angezogen. Wenn die zwei
nämlich richtig in Fahrt gerieten, legte man sich besser nicht
mit ihnen an.
Kate stand vor dem Spiegel in der Diele und zupfte am Büstenhalter,
damit er ihr nicht so auf die Rippen drückte, aber
ihre Mühen waren vergebens. Sie warf einen Blick auf die Uhr
und beschloss, dass sie noch Zeit hatte, sich umzuziehen, aber
gerade, als sie wieder in ihr Zimmer gehen wollte, kam Kiera
die Treppe herunter.
»Du siehst großartig aus«, sagte ihre Schwester und musterte
sie anerkennend von Kopf bis Fuß.
»Und du siehst müde aus«, stellte Kate fest. Kiera hatte dunkle
Ringe unter den Augen. Sie hatte gerade geduscht, und ihre
blonden Haare waren tropfnass. Sie hat sie wahrscheinlich noch
nicht einmal abgetrocknet, dachte Kate. Selbst ungeschminkt
war Kiera wunderschön. Sie war eine natürliche Schönheit, wie
einst ihre Mutter.
»Ich studiere Medizin und muss so aussehen, als ob ich nicht
genug Schlaf bekäme. Wenn mir das nicht gelingt, werfen Sie
mich hinaus.«
Trotz der Neckereien war Kate froh, wieder mit ihren beiden
Schwestern zusammen zu sein, auch wenn es nur für zwei
Wochen war. Sie hatten sich nach dem Tod ihrer Mutter nicht
oft gesehen. Kate war nach Boston zurückgekehrt, um zu promovieren,
und Kiera hatte ihr Medizinstudium in Duke wieder
aufgenommen, während Isabel bei ihrer Tante Nora geblieben
war.
Mittlerweile lebte Kate wieder permanent zu Hause, aber
Kiera würde in zwei Wochen nach Duke zurückkehren, und
Isabel würde aufs College gehen. Aber Veränderungen waren
wohl unvermeidlich. Das Leben musste weitergehen.
»Du solltest dir mal einen Tag freinehmen und an den
Strand gehen, damit du dich mal ein bisschen entspannst«,
schlug Kate vor. »Nimm doch Isabel mit.«
Kiera lachte. »Netter Versuch. Du schaffst es nicht, sie mir
aufzuhalsen, und wenn es nur für einen Tag ist. Ich wäre die
ganze Zeit über damit beschäftigt, die Jungs abzuwehren, die
hinter ihr her sind. Nein, vielen Dank. Ich finde schon die
Anrufe schlimm genug. Vor allem diesen Reece. Er scheint
sich für Isabels Freund zu halten. Isabel hat gesagt, sie hätten
ein paar Konzerte zusammen gesungen und seien auch ein
paarmal miteinander ausgegangen, aber das sei nichts Ernstes.
Als er mehr von ihr wollte, hat sie sich zurückgezogen. Und
jetzt ruft er ständig an und will sie sprechen, aber Isabel weigert
sich, ans Telefon zu gehen. Ich liebe Isabel wirklich, aber
manchmal kann sie einem echt das Leben schwer machen.
Also, du hast es bestimmt lieb gemeint, aber nein, vielen
Dank.«
Kate zupfte erneut an ihrem Büstenhalter.
»Dieses Ding bringt mich um. Ich kriege keine Luft.«
»Du siehst aber toll aus, und das ist viel wichtiger, als zu
atmen«, entgegnete Kiera. »Komm, gib dir Mühe. Es ist für
eine gute Sache.«
»Was für eine Sache?«
»Für dich. Isabel und ich sind finster entschlossen, dich aufzuheitern.
Du bist viel zu ernst. Ich glaube ja, du leidest am
Sandwichkind-Syndrom. Du weißt schon, du steckst voller
Unsicherheiten und Ängste und musst dich ständig beweisen.«
Kate hörte gar nicht hin. Sie ergriff ihre kleine henkellose
Handtasche und trat an den Schrank.
»Über dieses Thema sind zahlreiche medizinische Fachbücher
geschrieben worden«, fuhr Kiera fort.
»Wie schön.«
»Du hörst mir gar nicht zu, was?«
Die Antwort blieb Kate erspart, weil in diesem Moment das
Telefon klingelte. Während Kiera in den Wohnraum lief, um
dranzugehen, holte sie ihren Regenmantel aus dem Garderobenschrank.
In der Küche lief der Fernseher, und sie hörte,
wie dieser unverschämt fröhliche Wettermensch die Zuschauer
daran erinnerte, dass Charleston von einer Hitzewelle heimgesucht
wurde, wie die Stadt sie seit dreißig Jahren nicht mehr
erlebt hatte. Wenn die Temperatur noch zwei Tage lang so
hoch blieb, dann wäre das ein neuer Rekord. Bei der Aussicht
überschlug sich die Stimme des Reporters beinahe vor Aufregung.
Am schlimmsten war allerdings die Feuchtigkeit. Die Luft
fühlte sich schwer und drückend an, zäh wie Leim. Der Asphalt
dampfte, und die ganze Stadt lag unter einer Dunstglocke aus
Abgasen. Ein starker Windstoß würde helfen, aber weder Regen
noch Wind waren vorausgesagt. Schon das Atmen bereitete
Mühe, und die stickige Luft belastete Jung und Alt. Alle waren
lethargisch, und die meisten brachten nicht einmal mehr die
Energie auf, eine Mücke wegzuschlagen.
Aber obwohl es so schrecklich heiß war, fand die Party, für
die Kate zugesagt hatte, auf dem Gelände einer Kunstgalerie
statt. Das Ereignis war schon seit Wochen geplant und das
weiße Zelt aufgestellt worden, bevor das Wetter so schwül wurde.
Erst ein Flügel der neu errichteten Galerie war fertiggestellt,
und Kate wusste, dass es nicht genug Platz für die erwartete
Menge an Gästen gab.
Sie musste jedoch auf jeden Fall hingehen. Der Inhaber,
Carl Bertolli, war ein Freund von ihr, und er wäre gekränkt,
wenn sie nicht käme. Wegen des Verkehrs würde die Fahrt von
Silver Springs, wo sie wohnten, bis zur anderen Seite von
Charleston bestimmt über eine Stunde dauern, aber sie hatte
sowieso nicht vor, allzu lange zu bleiben. Sie würde bei den
letzten Vorbereitungen mithelfen, und wenn die Party in
vollem Gange war, könnte sie sich davonschleichen. Carl
würde sowieso viel zu beschäftigt sein, um ihr Verschwinden zu
bemerken.
Eine umstrittene Künstlerin aus Houston zeigte ihre Werke,
und es hatte bereits Proteste und Drohanrufe gegeben. Carl
freute sich darüber, weil er der Meinung war, dass jede Art von
öffentlichem Aufsehen, ob nun gut oder schlecht, seiner Galerie
nützte. Die Künstlerin, die sich Cinnamon nannte, hatte
viele Bewunderer - allerdings verstand Kate beim besten Willen
nicht, warum. Als Künstlerin war sie bestenfalls durchschnittlich,
sie verstand es jedoch hervorragend, Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen. Ständig war sie in den Nachrichten und
tat alles, um von sich reden zu machen. In der letzten Zeit
wandte sie sich gegen planvolles Handeln in jeder Hinsicht.
Wenn sie nicht gerade Farbe auf Leinwänden verteilte, versuchte
sie sich ein bisschen in Systemkritik. Sie glaubte an freie
Liebe, uneingeschränkte Meinungsäußerung und das Recht
auf Grundsicherung. Ihre Gemälde allerdings waren seltsamerweise
unglaublich teuer.
Kiera kam zurück in die Diele. »Das war schon wieder
Reece. Er wird mir langsam unheimlich.« Sie hielt inne, als sie
Kate sah. »Es soll heute Abend aber nicht regnen. Warum hast
du deinen Regenmantel an? Draußen herrschen gefühlte fünfzig
Grad.«
»Man kann nicht vorsichtig genug sein. Ich möchte nicht,
dass das Kleid nass wird.«
Kiera lachte. »Ich durchschaue dich! Du willst bloß nicht,
dass Tante Nora dich in dem Kleid sieht. Gib es zu, Katie! Du
hast Angst vor ihr.«
»Ich habe keine Angst vor ihr. Ich will mir bloß keinen Vortrag
anhören.«
»Das Kleid ist nicht unanständig.«
»Da ist sie aber bestimmt anderer Meinung«, erwiderte
Kate.
»Es wird komisch sein, wenn sie nicht mehr da ist, um uns
herumzuscheuchen. Sie wird mir fehlen.«
»Mir auch«, flüsterte Kate.
Nora zog wieder nach St. Louis. Sie war nach Silver Springs
gekommen, als ihre Schwester erkrankte, und sie war dageblieben,
bis Isabel die Highschool beendet hatte. Jetzt, wo Kate
wieder zu Hause war und Isabel aufs College ging, wollte sie
endlich wieder zu ihrer Familie zurück. Ihre Tochter und ihre
Enkelkinder fehlten ihr.
Nora war ein Geschenk des Himmels gewesen, und sie hatte
sich wundervoll um sie gekümmert, als sie sie am meisten gebraucht
hatten. Allerdings besaß sie ihre eigenen Ansichten
über Sex, und Kiera bezeichnete sie immer als »eiserne Jungfrau
«. Nach dem Tod ihrer Mutter schwang sie sich zur moralischen
Hüterin der Mädchen auf. Laut Nora war jeder Mann
nur auf »Du-weißt-schon-was« aus, und sie betrachtete es als
ihre Aufgabe, die Schwestern vor einem grässlichen Schicksal
zu bewahren. Kate spähte vorsichtig um die Ecke. Zum Glück
stand Nora nicht in der Küche, deshalb stellte Kate den Fernseher
aus, zog ihren Regenmantel aus und hängte ihn über
einen Stuhl. Rasch ergriff sie ihre Schlüssel und eilte zur Garage.
Vielleicht war sie ja schon weg, bis Nora wiederkam. Sie
hatte wirklich keine Angst vor ihrer Tante, aber wenn Nora
sich erst einmal warmgeredet hatte, konnten ihre Vorträge sehr
lange dauern, manchmal sogar bis zu einer Stunde.
Kiera folgte Kate durch die Küche. »Sei bloß vorsichtig heute
Abend. Es gibt jede Menge Verrückte da draußen, die mit
Cinnamons Ansichten über die Regierung oder Religion nicht
einverstanden sind. Predigt sie nicht sogar Anarchie?«
»Ja, ich glaube, diesen Monat schon. Aber ich bin nicht so
auf dem Laufenden, weil sie ihre Ansichten ständig wechselt.
Wegen heute Abend mache ich mir keine Gedanken. Es
werden schon genügend Sicherheitsbeamte da sein.«
»Dann muss Carl sich aber Sorgen machen.«
»Nein, es ist alles nur Show. Ich denke nicht, dass Cinnamon
irgendwas von dem Unsinn glaubt, den sie so verzapft.
Sie ist einfach nur scharf auf öffentliche Aufmerksamkeit.«
»Die Gruppierungen, die sie beleidigt, wissen das aber nicht,
und manche sind echt radikal.«
»Mach dir keine Sorgen. Mir passiert schon nichts.« Kate
trat in die Garage. Die Hitze verschlug ihr den Atem.
»Warum musst du eigentlich schon so früh fahren? Auf der
Einladung stand doch von acht bis Mitternacht.«
»Carls Assistentin hat mich angerufen und mir auf der
Mailbox hinterlassen, ich solle um sechs schon da sein.«
Sie stieg ins Auto, in dem eine Gluthitze wie in einem Backofen
herrschte, und drückte auf die Fernbedienung, um das
Garagentor zu öffnen.
Kiera rief: »Gibt es dort auch Kate-MacKenna-Präsentkörbe?
«
»Ja, klar. Carl hat darauf bestanden. Ich glaube, ich bin mittlerweile
eins seiner Projekte. Er hat gemeint, er wolle später einmal
sagen können, er habe mich damals schon gekannt«, erwiderte
Kate. »Und jetzt mach die Tür zu. Die Klimaanlage
dreht durch.«
»Du wirst langsam richtig berühmt. Das hat doch was,
oder?«
Eine Antwort erwartete Kiera darauf offensichtlich nicht,
denn sie schloss die Tür.
Es hatte tatsächlich was, dachte Kate, während sie durch den
dichten Verkehr zur Galerie fuhr. Zwar hatte sie den endgültigen
Durchbruch noch nicht geschafft, aber es lief in die
richtige Richtung. Komisch, wie aus einem kleinen Hobby ein
zufriedenstellender Beruf werden konnte.
Ihr Unternehmen war bereits im Wachsen begriffen, als sie
sich noch überlegte, was sie eigentlich werden wollte. In ihrem
letzten Jahr auf der Highschool hatte sie nach Möglichkeiten
gesucht, sich etwas dazuzuverdienen, um für ihre Familie und
ihre Freunde Geburtstagsgeschenke kaufen zu können. Im
Büro ihrer Chemielehrerin hatte eine Duftkerze auf dem
Schreibtisch gestanden, deren Geruch Kate ganz furchtbar
fand. Dadurch kam sie auf die Idee, ihre eigenen Kerzen herzustellen.
Aber sie wollte etwas Neues machen, ihre Kerzen
sollten einzigartig sein.
Zuerst benutzte sie die Küche als Labor. Am Ende der
Winterferien hatte sie ihren ersten Satz Kerzen hergestellt. Die
reinste Katastrophe. Sie hatte verschiedene Gewürze und
Kräuter gemischt, und die Küche stank wie eine Kloake.
Ihre Mutter verbannte sie in den Keller, aber sie gab ihre Experimente
nicht auf. In jenem Sommer arbeitete sie jede freie
Minute an ihrem Projekt. Unermüdlich recherchierte sie, und
am Ende ihres ersten Jahres auf dem College gelangen ihr wundervolle
Kerzen, die nach Basilikum und Grapefruit dufteten.
Kate wollte sie eigentlich verschenken, aber ihre Zimmergenossin
und beste Freundin auf dem College, Jordan Buchanan,
erkannte das große Potenzial der Idee. Jordan nahm zehn
Kerzen, klebte Preisschildchen dran und verkaufte sie alle an
einem Abend. Sie überredete Kate, alle ihre Produkte mit
ihrem vollen Namen zu kennzeichnen, und half ihr dabei, ein
Logo und ein paar hübsche Verpackungen zu entwerfen.
Der saubere, frische Duft in Verbindung mit den achteckigen
Glasbehältern, die Kate schließlich fand, machten die Kerzen
zu einem Verkaufsschlager. Immer mehr Aufträge gingen
ein. Kate stellte zwei Aushilfskräfte ein und versuchte, während
der Sommerferien so viele Kerzen wie möglich auf Vorrat zu
produzieren. Der Keller war längst zu klein geworden für ihr
Unternehmen, und so bezog sie Büroräume am anderen Ende
der Stadt. Sie lagen in einer schrecklichen Gegend, waren aber
natürlich gerade deshalb so billig.
Als sie ihren Abschluss machte, kamen die Bestellungen
schon aus allen Teilen des Landes. Kate war klar, dass ihre
Schwäche im Management lag, deshalb beschloss sie, in Boston
ihren Master zu machen. Damit das Geschäft während ihrer Abwesenheit
weiterlief, machte sie ihre Mutter zur Partnerin, damit
sie Kontovollmacht hatte und Schecks ausstellen konnte.
Weil Kate ihren gesamten Gewinn ins Unternehmen steckte,
war Geld knapp. Sie wohnte bei Jordan in Boston und verbrachte
ihre Wochenenden oft mit Jordans großer Familie in
Nathan's Bay.
Es war ein Kampf, aber es gelang Kate, das Unternehmen in
dieser Zeit sogar noch auszubauen. Als dann jedoch ihre
Mutter krank wurde, unterbrach sie ihr Studium, um nach
Hause zurückzukehren und bei ihr zu sein. Seit dem Tod ihrer
Mutter war ein langes, trauriges Jahr vergangen, aber in diesem
Jahr hatte Kate ihren Master gemacht und neue Pläne zur Expansion
entwickelt.
Da sie jetzt wieder ständig in Silver Springs war, konnte sie
sich ganz auf die Arbeit konzentrieren. Sie stellte mittlerweile
auch Körperlotion her und hatte drei Parfüms kreiert, die sie
nach ihrer Mutter und ihren Schwestern Leah, Kiera und Isabel
genannt hatte. Ihre Büroräume waren schon wieder so vollgestopft,
dass sie neue Räume in einem Lagerhaus anmietete,
die wesentlich größer und auch näher an ihrem Zuhause waren.
Sie dachte über weitere Angestellte nach. Anton's, eine gehobene
Kaufhauskette, wollte ihre Produkte vertreiben, und
schon bald würde sie einen äußerst lukrativen Exklusivvertrag
mit ihnen unterzeichnen.
Und alle Geldsorgen würden sich in Luft auflösen.
Sie lächelte, als sie daran dachte. Sobald sie ein bisschen
Geld hatte, würde sie sich als Erstes ein Auto mit einer funktionierenden
Klimaanlage zulegen. Sie drehte an der Lüftungsschraube,
aber es nützte nichts. Die Luft, die durch die Schlitze
drang, war trotzdem lauwarm.
Als sie auf Carls prächtigem Anwesen ankam, war sie durchgeschwitzt.
Er hatte Liongate von seinem Vater geerbt und
baute die Galerie im Park. Zwei massive Löwenköpfe zierten
die elektronisch gesteuerten Eisentore.
Ein Wachmann kontrollierte, ob ihr Name auf der Liste
stand, und ließ sie durch. Carls zweistöckiges Haus lag am
Ende einer gewundenen Auffahrt, aber die Galerie, in der Cinnamons
Werke ausgestellt wurden, befand sich am Hügel auf
der Südseite. Neben dem halb fertigen Gebäude war ein mächtiges
weißes Zelt aufgebaut.
Ein weiterer Sicherheitsbeamter zeigte ihr, wo sie parken
sollte. Carl erwartete wohl ziemlich viele Gäste, nach der Zahl
der Wachleute und Kellner, die überall herumliefen, zu schließen.
Kate ging über den gepflegten Rasen, wobei sie mit ihren
hohen Absätzen bei jedem Schritt im feuchten Boden einsank.
Sie hatte beinahe den gepflasterten Weg erreicht, als ihr Handy
klingelte.
»Hallo, Kate, mein Liebling. Wo bleibst du?«, flötete Carl
ihr ins Ohr.
»Ich stehe auf deinem Rasen, Carl.«
»Ah, das ist wunderbar.«
»Und wo bist du?«
»In meinem Ankleidezimmer. Ich versuche mich gerade zu
entscheiden, ob ich lieber den weißen Leinenanzug oder den
Nadelstreifenblazer mit der hellen Hose anziehen soll. Ich
werde so oder so fürchterlich schwitzen, aber ich muss schließ-
lich für all die Kritiker gut aussehen, die heute Abend kommen
werden, oder?«
»Du siehst doch immer gut aus.«
»Ich wollte dir auf jeden Fall nur Bescheid sagen, dass ich
noch eine Weile brauche, zumal ich Cinnamon im Hotel abholen
muss. Die Limousine wartet schon auf mich. Ich wollte
dich um einen Gefallen bitten. Kannst du bitte überprüfen, ob
mit dem Zeltaufbau alles in Ordnung ist? Ich habe keine Zeit
mehr, mich darum zu kümmern, bevor die Gäste kommen,
und ich möchte sichergehen, dass alles perfekt ist. Du hast
einen so unfehlbaren Geschmack und wirst schon dafür sorgen,
dass alles toll ist.«
»Ja, das mache ich gerne«, erwiderte Kate lächelnd. Carl
hatte schon immer einen Hang zur Dramatik gehabt.
»Du bist ein Schatz. Ich revanchiere mich«, sagte Carl und
legte auf.
Kate fand den Eingang und betrat das Zelt. Die Klimaanlage
lief zwar auf Hochtouren, aber das nützte wenig, da ein
ständiges Kommen und Gehen herrschte. An einem Ende
standen riesige Tische für das Büfett mit bunten Blumenarrangements
in Kristallschalen und Silbervasen. Im Raum
waren kleine, mit weißem Leinen eingedeckte Tische mit weißen
Klappstühlen verteilt. Alles schien gut zu funktionieren.
Ihre Präsentkörbe standen auf einem Tisch in der Ecke. Die
weiße Tischdecke reichte bis zum Boden, und ihr Logo hing
vorne herunter. Sie rückte es gerade und arrangierte die Körbe
im Halbkreis. Anschließend trat sie einen Schritt zurück, um
ihr Werk zu bewundern.
Dieses Ding bringt mich um, dachte sie. Der Büstenhalter
schnürte ihr den Oberkörper zusammen. Es tat richtig weh,
und am liebsten hätte sie ihn sich vom Leib gerissen, als sie in
die Kunstgalerie zur Damentoilette eilte. Sie würde ihn ablegen
und in den Abfalleimer werfen.
Leider waren die Toiletten abgesperrt, weil dort sauber gemacht
wurde. Kate hätte die Schilder ja ignoriert und wäre ein-
fach hineingegangen, aber an den Türen waren Wachleute postiert,
und sie würden sie bestimmt nicht hineinlassen.
Was sollte sie nur tun? Kate blickte sich nach einem leeren
Zimmer um, dessen Tür man verschließen konnte, aber es gab
keines. Es ging ihr gar nicht gut, als sie wieder ins Zelt zurücklief,
aber ihre Laune besserte sich, als sie sah, dass jemand unter
ihr Logo einen großen Korb voller Blumen auf den Boden gestellt
hatte, um darauf aufmerksam zu machen. Sie durfte nicht
vergessen, sich bei Carl dafür zu bedanken.
Die Hitze war drückend. Sie ergriff ein Programmheft und
fächelte sich Luft zu. Kellner liefen herum und stellten weitere
tragbare Klimaanlagen auf, damit alles bereit war, wenn in
knapp zwei Stunden die Gäste eintrafen.
Als Kate vor das Zelt trat, um ein bisschen frische Luft zu
schnappen, erblickte sie in ein paar Metern Entfernung eine
Baumgruppe, die von Sträuchern umgeben war. Bingo. Dort
konnte sie vor neugierigen Blicken geschützt den trägerlosen
Büstenhalter ausziehen. Rasch blickte sie sich um, um sich zu
vergewissern, dass niemand ihr folgte, und lief zu den Bäumen.
Eine Minute später hatte sie sich von dem Folterinstrument
befreit.
»Endlich!« Sie seufzte erleichtert. Jetzt konnte sie wieder frei
atmen.
Es war ihr letzter Gedanke vor der Explosion.
3
Die Polizei fand sie zusammengerollt am Fuß eines hundertjährigen
Walnussbaumes. Ihr Büstenhalter baumelte von einer
Magnolie, die fünf Meter entfernt stand. Niemand konnte sich
so recht vorstellen, wie die Kraft der Explosion ihr das Wäschestück
aus schwarzer Spitze vom Leib gezogen, ihr Kleid aber
heil gelassen hatte.
Die Explosion hatte ein riesiges Stück aus dem Hügel gerissen
und einen kleinen Krater hinterlassen, wo das Zelt gestanden
war. Eine Feuerwalze hatte sich wie Lava den Hügel
hinunter ergossen, und der prachtvolle Walnussbaum war senkrecht
in der Mitte gespalten worden. Ein dicker Ast war abgebrochen
und in einem Bogen über Kate gelandet, sodass sie von
Laub und Zweigen völlig bedeckt war. Er schützte sie vor den
Glas- und Metallstücken, die mit der Wucht von Geschossen
durch die Luft flogen.
Die Häuser erzitterten bis in einem Kilometer Entfernung,
jedenfalls behaupteten die Anwohner das. Manche hielten die
Erschütterungen für ein Erdbeben und rannten schutzsuchend
in Hauseingänge.
Es grenzte an ein Wunder, dass niemand getötet oder ernsthaft
verletzt worden war. Hätte sich jemand vom Personal oder
von den Gästen zum Zeitpunkt der Explosion im Zelt aufgehalten,
wären sie wahrscheinlich kaum noch zu identifizieren
gewesen.
Kate wäre auf jeden Fall tot gewesen, und wenn sie nicht
diesen schlecht sitzenden BH getragen hätte, hätte sie im Zentrum
der Explosion gestanden. Aber auch so schien es unglaublich,
dass sich alle ihre Körperteile noch dort befanden,
wo sie hingehörten. Eine der Zeltstangen aus Metall war wie
ein ferngesteuertes Geschoss mitten in den Baum eingeschlagen
und hatte ihn direkt über Kate gespalten. Die Spitze zeigte
genau auf ihr Herz.
Nate Hallinger, ein Kriminalbeamter, der erst seit Kurzem
bei der Polizei in Charleston war, fand sie. Er ging gerade den
Hügel hinauf, um der Spurensicherung nicht im Weg zu sein,
als er ein Handy klingeln hörte. Der Klingelton erinnerte ihn
an den Harry-Potter-Film, den er sich gerade mit seinen Neffen
angeschaut hatte. Als er zu dem gespaltenen Walnussbaum
kam, hörte es auf. Da er annahm, das Gerät müsse irgendwo
auf dem Boden liegen, bückte er sich und entdeckte ein Paar
wohlgeformter Beine.
Er versuchte, näher an sie heranzukommen, aber der Stamm
des Baumes neigte sich, und sie würde zerquetscht werden,
wenn er umfiel. Als Nate die Frau stöhnen hörte, wich er zurück.
Zwei Sanitäter kamen auf ihn zu. »Ach du lieber Himmel,
George«, sagte der eine. »Sieh dir das mal an!«
»Was?«, fragte sein Partner und robbte auf dem Bauch an
Kate heran.
»Die Stange, Mann. Sieh dir die Stange an. Sie zielt genau
auf ihr Herz. Na, die Frau hat ja vielleicht Glück gehabt.«
»Ja, wenn sie keine inneren Verletzungen hat, stimme ich dir
zu, Riley. Sie hat wirklich Glück gehabt.«
George war fünfzehn Jahre älter als sein Partner. Er bildete
Riley aus, und obwohl er eigentlich gerne mit dem jüngeren
Mann zusammenarbeitete, ging ihm das ständige Geplapper
manchmal auf die Nerven. Aber manchmal kam eben auch
etwas Sinnvolles aus seinem Mund.
Vorsichtig hob Riley einen der Äste an und rutschte näher
an die Frau heran. »Hast du gehört?«, flüsterte er. »Die Polizei
glaubt, dass eigentlich die Künstlerin gemeint war und die
Bombe nur zu früh hochgegangen ist. Ich habe gehört, wie
einer der Feuerwehrleute gesagt hat, es wäre der reinste Overkill
gewesen. Aber ich bin nicht sicher, was das bedeutet, und
ich habe mich nicht getraut zu fragen, weil sie dann gemerkt
hätten, dass ich sie belausche.«
Die beiden Sanitäter kamen nicht an Kate heran, deshalb
riefen sie Hilfe. Vier starke Feuerwehrleute waren nötig, um
den gespaltenen, entwurzelten Stamm und die Äste beiseitezuräumen,
damit die Sanitäter sie endlich untersuchen konnten.
Staunend stellten sie fest, dass alle Knochen heil geblieben
waren. Sie legten sie auf eine Trage und brachten sie den Hügel
herunter.
Kate kam nur langsam zu sich. Als sie die Augen aufschlug,
sah sie die verschwommenen Umrisse von drei Männern, die
sich über sie beugten.
Sie kam sich vor wie in einer Hängematte, die hin- und herschaukelte.
Übelkeit stieg in ihr auf, und sie schloss die Augen
wieder. Die Luft roch verbrannt.
Nate ging neben der Trage her.
»Kommt sie wieder in Ordnung?«, fragte er.
»Ich denke schon«, sagte Riley.
»Das müssen die Ärzte entscheiden«, erwiderte George.
»Ist sie ansprechbar?«
»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte George.
»Detective Nate Hallinger. Ist sie ansprechbar?«, wiederholte
er.
»Sie hat einen mächtigen Schlag auf den Hinterkopf bekommen«,
erwiderte Riley.
Der andere Sanitäter nickte, aber Nate merkte, dass seine
Aufmerksamkeit seiner Patientin galt.
»Sie hat wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung«, sagte er.
»Oh, oh«, meinte Nate. »Aber ist sie ansprechbar?«, fragte er
noch einmal. Vielleicht bekam er ja beim dritten Mal eine Antwort
auf seine Frage. »Hat sie etwas gesagt?«
»Nein, sie ist noch bewusstlos«, sagte Riley.
Der Nebel in Kates Kopf begann sich zu lichten. »Nein, sie
ist nicht mehr bewusstlos«, flüsterte sie. »Und sie kann auch
laufen.«
Nate lächelte sie an. Die Frau war hart im Nehmen. Das
gefiel ihm. »Können Sie mir Ihren Namen sagen?«
Kate traute sich nicht zu nicken, weil sich bei jeder Bewegung
ihre Kopfschmerzen verschlimmerten. Tablette, dachte
sie. Ich brauche dringend eine Kopfschmerztablette.
»Kate MacKenna«, sagte sie. »Was ist passiert?«
»Es hat eine Explosion gegeben.«
Kate runzelte die Stirn. »Ich kann mich nicht an eine Explosion
erinnern. Ist jemand verletzt worden?«
»Sie«, erwiderte Riley.
»Mir geht es gut. Bitte, lassen Sie mich aufstehen.«
Ihre Bitte wurde ignoriert. Sie fragte noch einmal, ob jemand
verletzt worden sei, und George antwortete: »Ein paar
Leute haben ein paar Kratzer und Prellungen abbekommen.«
»Kann ich eine Schmerztablette haben?«
»Sie haben starke Kopfschmerzen, oder?«, sagte George.
»Wir können Ihnen jetzt nichts geben. Wenn Sie im Krankenhaus
sind ...«
»Ich brauche nicht ins Krankenhaus.«
»Sie haben bestimmt einen Schutzengel gehabt«, warf Riley
ein.
Verwirrt blinzelte sie ihn an. »Wie bitte?«
»Wenn Sie im Zelt gewesen wären, wären Sie jetzt tot.«
Mittlerweile waren sie unten am Hügel angekommen, wo
der Krankenwagen schon bereitstand.
»Ich fahre mit ihr ins Krankenhaus«, erklärte Nate.
»Ja, das ist wahrscheinlich in Ordnung. Sie ist ja bei Bewusstsein.«
»Mich muss niemand ins Krankenhaus fahren. Es geht mir
wieder gut«, sagte Kate. »Mein Auto steht irgendwo auf dem
Gelände.«
»Sie können jetzt nicht Auto fahren«, erwiderte George.
»Aber mein Führerschein ist im Auto und meine Handtasche
und ...« Sie brach ab, weil ihr auf einmal klar wurde,
wie unerheblich diese Information jetzt war.
»Meinen Sie, Sie könnten mir ein paar Fragen beantworten?
«, fragte Nate.
Seine Stimme gefiel ihr. Sie war weich - und nicht zu laut.
»Natürlich.«
»Können Sie mir erzählen, was passiert ist?«
Kate seufzte. »Das weiß ich nicht.« Warum konnte sie sich
nicht erinnern? Was war bloß los mit ihr? Vielleicht würde ja
ihre Erinnerung zurückkommen, wenn erst einmal die Kopfschmerzen
weg waren.
»Ist Ihnen jemand aufgefallen? Sie wissen schon, jemand,
der dort nicht hingehörte?«
Sie schloss die Augen. »Ich weiß nicht, tut mir leid. Vielleicht
fällt es mir ja später wieder ein. Und es wurde wirklich
niemand verletzt?«, fügte sie hinzu.
»Nein. Alle Angestellten waren gerade im Haus, um die
Platten fürs Büfett vorzubereiten. Und der Inhaber der Galerie
war unterwegs, um die Künstlerin abzuholen.«
»Gott sei Dank«, flüsterte sie.
»Ein bisschen später, und es hätte ein Massaker gegeben«,
warf George ein.
Der Kriminalbeamte saß ihr gegenüber, die Ellbogen auf die
Knie gestützt, und blickte sie aufmerksam an. »Versuchen Sie
nachzudenken, Kate. Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches
aufgefallen?«
Trotz ihrer Benommenheit entging ihr der drängende Unterton
in seiner Stimme nicht. »Sie halten also die Explosion
nicht für einen Unfall?«
»Wir schließen keine Möglichkeit aus.«
»Eine der transportablen Klimaanlagen?«, fragte sie. »Überall
lagen Kabel herum. Vielleicht ...« Sie hielt inne, als er den
Kopf schüttelte. »Ist es nicht möglich, dass eine der Klimaanlagen
in die Luft geflogen ist?«
»Nicht einmal Hunderte dieser Geräte hätten so einen Schaden
anrichten könnten. Die Explosion hat den halben Hügel
weggesprengt.«
Riley beugte sich über Kate und prüfte noch einmal ihren
Blutdruck. Er lächelte, als er die Manschette wieder abnahm.
»Und, wie geht es ihr?«
»Ihre Werte sind gut.«
»Mein Kopf tut auch nicht mehr so weh«, sagte Kate. Es war
eine Lüge, aber sie wollte nach Hause.
»Sie müssen trotzdem im Krankenhaus untersucht werden«,
sagte George.
Hallinger klappte sein Notizbuch zu und betrachtete sie
eingehend. So attraktiv wie diese Frau waren nicht viele Opfer,
dachte er. Aber dann merkte er, dass er sie anstarrte, und blickte
rasch weg. »Dieser alte Baum hat Ihnen das Leben gerettet.
Wenn Sie nicht dahinter gestanden hätten, hätten Sie nicht
überlebt. Was haben Sie überhaupt dort gemacht? Sie waren
ziemlich weit vom Anbau und dem Zelt entfernt.«
Sie wandte ihm den Kopf zu, zuckte aber sofort vor Schmerz
zusammen. Sie brauchte wirklich unbedingt eine Tablette. »Ich
bin spazieren gegangen«, antwortete sie. Das war nicht gelogen.
Und den Grund dafür brauchte sie doch nicht zu erklären.
»In dieser Hitze? Wäre es da nicht sinnvoller gewesen, ins
Haus zu gehen oder im Zelt zu bleiben, in der Nähe der Klimaanlagen?
«
»Das sollte man meinen«, stimmte sie ihm zu. »Aber ich
wollte eben an die frische Luft. Die Hitze macht mir nichts aus.«
Okay, das war gelogen, aber nur ein bisschen, damit konnte sie
leben.
»Waren Sie alleine bei Ihrem Spaziergang?«
»Ja.«
»Hm.« Er verzog skeptisch das Gesicht.
»Detective, ein vorgeblicher Begleiter wäre doch von der
Druckwelle auch ohnmächtig geworden?«
»Wenn er oder sie sich noch in der Nähe befunden hätte.«
Bevor sie antworten konnte, fuhr er fort: »Wie lange waren
Sie dort draußen?«
»Wo draußen?«
»Hinter den Bäumen.«
»Ich weiß nicht. Nicht lange.«
»Ach ja?« Seine Stimme klang ungläubig.
»Gibt es ein Problem?«, fragte sie.
»Die Spurensicherung hat etwa sieben Meter entfernt etwas
gefunden.«
»Was denn?«, fragte sie. Aber dann merkte sie auf einmal,
worauf er hinauswollte. Oh Mann, der Schlag auf den Kopf
hatte sie anscheinend begriffsstutzig gemacht.
»Ein Kleidungsstück«, sagte er. »Unterwäsche, die meiner
Meinung nach von Ihnen getragen worden ist.«
Sie wurde rot. »Niemand war bei mir. Sie meinen den
schwarzen Büstenhalter, nicht wahr? Ja, er gehört mir. Die
Damentoilette war noch zugesperrt, und ich habe einen Ort
gesucht, an dem ich ihn ungestört ablegen konnte. Und die
Baumgruppe erschien mir geeignet dafür.«
»Warum?«
»Warum was?«
»Warum wollten Sie ihn ablegen?«
Er stellte wirklich zudringliche Fragen, dachte sie. Sie hätte
ihm durchaus antworten können, dass ihn das nichts anginge,
aber sie beschloss, lieber aufrichtig zu sein. »Er hat mich fast
umgebracht.«
»Wie bitte?«
Alle im Krankenwagen interessierten sich anscheinend auf
einmal für das Thema. Auch Riley und George warteten gespannt
auf ihre Erklärung.
»Die Bügel ...«
»Ja?«
Du liebe Güte. »Eine Frau würde das sofort verstehen.«
»Aber ein Mann nicht?«
Er ließ einfach nicht locker. Sie fragte sich langsam, ob er sie
absichtlich in Verlegenheit bringen wollte.
»Versuchen Sie einmal nur eine Stunde lang, so ein Ding zu
tragen. Ich versichere Ihnen, dann wollen Sie es auch loswerden.«
Er lachte. »Nein danke. Ich muss mich wahrscheinlich mit
Ihrer Auskunft begnügen.«
Er hatte ein nettes Lächeln.
»Sind Sie verheiratet?«, fragte er. »Müssen wir Ihren Ehemann
verständigen?«
»Nein, ich bin nicht verheiratet. Ich wohne mit meinen
Schwestern zusammen.« Sie versuchte sich aufzusetzen, aber
dann fiel ihr ein, dass sie festgeschnallt war. »Ich muss sie anrufen.
Sie machen sich bestimmt Sorgen.«
»Wenn wir im Krankenhaus sind, erledige ich das für Sie.«
Er blickte aus dem Rückfenster. »Wir sind gleich da.«
»Ich muss nicht ins Krankenhaus. Meine Kopfschmerzen
sind fast weg.«
Sein Blick sagte ihr, dass er ihr kein Wort glaubte.
»Sie wohnen nicht direkt in Charleston?«, fragte er.
»Nein«, antwortete sie. Er wusste bestimmt schon ihre
Adresse, ihre Telefonnummer und wahrscheinlich auch jedes
andere Detail über ihr Leben. Der Computer hatte mittlerweile
sicher schon alles über sie ausgespuckt, was es zu wissen
gab.
»Wir wohnen in Silver Springs, aber es ist nicht weit von der
Stadt entfernt. Sind Sie neu in der Gegend?«
»Ja«, erwiderte er. »Ich bin gerade aus Savannah zugezogen.
Das Leben hier ist ziemlich entspannt.« Lächelnd fügte er
hinzu: »Für gewöhnlich jedenfalls. Das ist wahrscheinlich das
Aufregendste, was Ihnen dieses Jahr passieren wird.«
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Copyright der Originalausgabe © 2005 by Julie Garwood
Published by Arrangement with Julie Garwood
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Übersetzung: Margarethe van Pée
Projektleitung: Librisco Consult
Redaktion: Claudia Krader
Umschlaggestaltung: zeichenpool
Umschlagmotiv: Shutterstock (© Konrad Bak; © Gregory Gerber;
© Gordon Logue; © Andrejs Pidjass; © Potapov Alexander)
Satz: Dirk Risch
Druck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-434-2
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Ausgabe an.
... weniger
Autoren-Porträt von Julie Garwood
Julie Garwoods erster Roman wurde 1985 veröffentlicht. Heute beträgt die Gesamtauflage ihrer Bücher schon mehr als 30 Millionen Exemplare, und Julie Garwood belegt regelmäßig die Spitzenplätze auf der New-York-Times-Bestsellerliste.
Bibliographische Angaben
- Autor: Julie Garwood
- 2011, 1, 299 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868004343
- ISBN-13: 9783868004342
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