Schwerter der Liebe
Nur um in den Besitz einer geheimnisvollen Truhe zu gelangen, heiratet Juliette den attraktiven Nicholas. Kann sie ihm widerstehen?
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Produktinformationen zu „Schwerter der Liebe “
Nur um in den Besitz einer geheimnisvollen Truhe zu gelangen, heiratet Juliette den attraktiven Nicholas. Kann sie ihm widerstehen?
Er wird von allen gefürchtet, doch bei ihr wird er schwachUm in den Besitz einer geheimnisvollen Truhe zu gelangen, nimmt Juliette den Heiratsantrag des attraktiven Fechtmeisters Nicholas Pasquale an. Doch schon bald verliebt sich der Verführer in die zarte junge Frau. Wird sie ihm widerstehen können?
Lese-Probe zu „Schwerter der Liebe “
Schwerter der Liebe von Jennifer Blake LESEPROBE ... mehr
New Orleans, Louisiana, Januar 1842
"Schick mir einen Ehemann, ich flehe dich an, Heilige Mutter Gottes. Wenn es dein Wille ist, dann vermittle in dieser Angelegenheit, denn ich brauche unbedingt einen Mann."
Juliette Armant presste die Finger ihrer gefalteten Hände fest zusammen, während sie in das gütig dreinblickende Gesicht der geschnitzten Muttergottes vor ihr blickte. Der Haltegriff an der Gebetsbank, der über die Jahre hinweg von unzähligen Händen so abgegriffen worden war, dass er nun glänzte, fühlte sich auf ihrer Haut kühl an, und durch ihren dicken grauen Cordsamtrock bahnte sich die Kälte der Kniebank unerbittlich ihren Weg. Ihr schlug der Geruch von Weihrauch, Staub und den Opferkerzen entgegen, die auf ihrem schmiedeeisernen Leuchter nahe der Tür brannten. In der leeren Kirche herrschte eine solche Stille, dass das Flackern der Kerzenflammen laut und deutlich zu vernehmen war. Bestimmt tausendmal hatte sie sich hier zum Beten hingekniet, und doch kam ihr an diesem Morgen alles so fremd vor.
"Ich bitte nicht meinetwegen um diese Gnade", fuhr sie fort, während sie kurz, aber entschieden den Kopf schüttelte. "Du weißt sehr gut, ich rechnete nie damit, einmal zu heiraten. Mein Schicksal war es von Geburt an, der Kirche zu dienen, und ich habe das in aller Demut akzeptiert. Doch nun ist alles anders. Mir fehlt es an der Schönheit genauso wie am Geschick zu kokettieren, um einen Mann auf mich aufmerksam zu machen, und es gibt niemanden, der für mich eine Ehe arrangieren könnte. Meine Mutter hat nicht den Willen dazu, aber du weißt ja auch, wie schwer sie geprüft ist. Ich muss umgehend heiraten, sonst ist alles verloren."
Juliette fragte sich, ob sie wohl wirklich richtig handelte. Sie hatte beharrlich versucht, einen anderen Ausweg aus ihrem Dilemma zu finden, doch ihr wollte nichts Brauchbares in den Sinn kommen. Wie hatte es nur dazu kommen können, wo doch alles so völlig anders hätte sein sollen?
"Oh, Heilige Mutter, lass es bitte einen freundlichen Ehemann sein, den du mir schicken wirst, aber auch keinen zu sanftmütigen. Er muss kräftig sein und einen starken Willen haben, denn beides wird er ganz bestimmt benötigen. Intelligenz wäre auch von Nutzen, ebenso diplomatisches Geschick. Ich bitte dich nicht darum, dass er attraktiv sein muss, doch es würde mir nichts ausmachen, wenn er um unserer zukünftigen Kinder willen hübsch anzusehen wäre." Leise aufstöhnend schloss sie die Augen und sprach weiter: "Nein, nein, vergiss bitte, dass ich das gesagt habe. Du, die alles weiß, wirst ganz bestimmt auch wissen, was nötig ist. Ich bitte dich nur, mir einen Mann zu schicken, und das so schnell, wie es nur möglich ist."
Juliette bekreuzigte sich, drückte die Faust in rascher Folge auf Lippen und Herz, dann erhob sie sich. Sie konnte nicht länger in der heiligen Ruhe verweilen. Zu Hause würde man bald ihr Verschwinden bemerken, und ihr lag nicht daran, erklären zu müssen, wo sie hingegangen war und wieso sie das Haus ohne Zofe als Anstandsdame verlassen hatte. Vermutlich würde sie ihrer Mutter und ihrer Zwillingsschwester irgendeine Geschichte auftischen können, doch Ausflüchte fielen ihr nach diesen vielen Jahren als Nonne nicht so leicht.
Um die Kirche verlassen zu können, musste sie an den Opferkerzen vorbeigehen, die nahe der schweren Vordertür aufgestellt waren. Der Luftzug, den sie beim Gehen verursachte, musste die Flammen zum Flackern gebracht haben. Denn aus dem Augenwinkel sah sie etwas hell aufleuchten. Sie wandte sich in die Richtung dieses intensiven Lichts und erkannte, dass ausgerechnet die Kerze am intensivsten brannte, die sie vor dem Gebet aufgestellt hatte. Eine große, kräftige Flamme, die um ein Mehrfaches heller war als bei jeder anderen Kerze. So hell, dass es sie blendete, entfaltete sich das Licht und tanzte vor ihr wie ein goldener Stern.
Juliette blieb abrupt stehen und hielt den Atem an. Sie war nicht so abergläubisch wie ihre Mutter, die ihr Leben von tausenden Überzeugungen, Verboten und Weisheiten bestimmen ließ, dennoch änderte das nichts an dem Schauer, der ihr vom Kopf bis zu den Zehenspitzen über den Körper fuhr.
War dies etwa ein Omen? Bedeutete es womöglich, dass ihr Gebet erhört worden war?
Sie kniff die Augen zusammen und bekreuzigte sich erneut, erst dann ging sie weiter. Als sie die Kirche verließ, waren ihre Schritte beschwingter, und Hoffnung ließ ihr Herz so strahlen wie die Flamme der Kerze, die sie zu ihrem Gebet aufgestellt hatte.
Vor dem Gotteshaus blieb Juliette stehen und zog die Handschuhe aus dem Ärmel, wohin sie sie gesteckt hatte, als sie nach einer Münze für ihre Kerze suchte. Fast hätte sie sie nun vergessen. Oh, wie entsetzt ihre Mutter und Paulette reagieren würden, sollte man sie auf der Straße mit bloßen Händen sehen. Bis vor zwei Wochen waren solche Dinge bedeutungslos gewesen. Im Kloster war es wichtiger, dass man mit seinen Händen zupacken konnte und wollte. Ob sie makellos gepflegt waren, zählte dort nicht. Ein ironisches Lächeln umspielte Juliettes Mundwinkel, dann aber seufzte sie leise und begann, die lavendelfarbenen Handschuhe überzustreifen, die sie sich von ihrer Schwester geborgt hatte.
Es versprach ein schöner Tag zu werden. Bereits jetzt drangen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durch den Nebel über dem Fluss jenseits des Deichs, und die Luft war mild und fast schon warm. Die Dampfpfeife eines ablegenden Postschiffs ertönte und ließ im nahe gelegenen Geschäft des Vogelhändlers die Affen schreien und die Papageien lautstark kreischen. Eine leichte Brise trug von den Docks den Geruch von Schlamm, Fisch, gärenden Melassen und überreifen Bananen zu ihr herber. Darunter mischte sich der Gestank von Abfällen aus dem Rinnstein, der mitten durch die Gasse zwischen der Kirche und dem Pfarrhaus verlief. Doch da war auch der Duft von geröstetem Kaffee wahrzunehmen. Der kam vom Markt, auf dem die Händler gerade ihre Stände aufbauten, um fr die frühmorgendliche Kundschaft bereit zu sein, wenn die mit einem Korb im Arm nach frischem Brot, Brioche und Croissants Ausschau hielt. Bei diesem Gedanken knurrte Juliettes Magen leise, und sie wünschte, sie könnte etwas von den Dingen kaufen, die sie von der nahe gelegenen Bäckerei mit ihrem Duft lockten. Aber das ging nicht, da sie dadurch ihren heimlichen Ausflug verraten hätte.
In diesem Augenblick zerriss hinter ihr ein gellender, verzweifelter Aufschrei die Morgenruhe. Er stammte von keinem Papagei oder Affen, sondern von einem Kind.
Juliette drehte sich so schnell um, wie es ihre schweren Röcke zuließen. Gerade noch konnte sie sehen, wie ein Junge hinter der Kirche um die Ecke gerannt kam. Er mochte kaum älter als drei Jahre sein, war von schmaler Statur, hatte einen schwarzen Lockenkopf und ebenso schwarze Augen, die vor Entsetzen weit aufgerissen waren. Er ruderte mit den Armen und rannte, was seine kurzen Beine hergaben. Sein Mund stand offen, und er schrie noch immer.
Schwere Schritte waren nun auf dem Pflaster zu hören, und dann kam ein Mann in Sicht, der den Jungen verfolgte. Er war groß und breitschultrig, und mit seinen langen Beinen machte er so große Schritte, dass er das Kind bald einholen musste. Auf seinem Gesicht lag eine finstere Entschlossenheit, als er seine Beute erreichte und einen Arm ausstreckte, um das zerlumpte, flatternde Hemd des Jungen zu fassen zu bekommen.
Der Kleine wich zur Seite aus und entkam der Hand des Mannes um Haaresbreite. Er rannte nun geradewegs auf Juliette zu, änderte nur ein wenig seine Richtung und klammerte sich an ihren Rücken fest, als er auf gleicher Höhe mit ihr war. Durch seinen Schwung machte sie ungewollt eine halbe Drehung, während er hinter ihrem ausladenden Reifrock Schutz suchte.
Der Gentleman kam kurz vor ihr zum Stehen, dann griff er auf der linken Seite um Juliette herum, als sie sich zu ihm umdrehte. Der Junge wich zur anderen Seite aus und riss Juliette erneut herum, diesmal so heftig, dass sie fast den Halt verloren hätte. Der Verfolger täuschte zur anderen Seite an, doch auch diesmal bekam er den Jungen nicht zu fassen.
"Stopp! Hören Sie sofort damit auf!", rief Juliette und packte ihre Röcke, um zu verhindern, dass man sie noch einmal in irgendeine Richtung drehte. "Stopp! Haben Sie nicht gehört?"
Es war der Tonfall, mit dem sie sonst die Kinder in der Klosterschule dazu brachte, den Mund zu halten. Die Wirkung war erfreulich. Der Junge blieb wie angewurzelt stehen und schnappte nach Luft. Der Gentleman hielt inne, dann richtete er sich zu voller Größe auf. Einen Moment lang schwiegen sie alle drei, während sie sich einander abschätzend betrachteten.
Der Verfolger des Jungen fand als Erster die Sprache wieder. Er zog seinen Seidenhut, den er zwischenzeitlich wieder aufgesetzt hatte, und beschrieb eine Verbeugung von vollendeter Eleganz.
"Verzeihen Sie, Mademoiselle. Ich möchte nur diesen kleinen Satan zu fassen kriegen, der sich hinter Ihnen versteckt."
Seine tiefe, volle Stimme mit ihrem fast melodischen Rhythmus hatte auf Juliette eine höchst sonderbare Wirkung. Es war fast so, als würde diese Stimme sich wie ein Mantel um sie legen, all ihre Sinne überwältigen und tief in ihrem Inneren widerhallen. Eine träge, irritierende Hitze flammte irgendwo in der Magengegend auf und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Es war ein sehr eigentümliches Gefühl, wie sie es noch nie gespürt hatte. Einen Moment lang stand sie einfach nur nachdenklich da, den Blick auf den Gentleman gerichtet.
Dass er die männliche Schönheit in Person war, stand außer Frage. Glänzendes schwarzes gewelltes Haar, auf kecke Art zerzaust von der Verfolgungsjagd. Eine Locke hatte sich auf seine Stirn verirrt. Seine Augen waren fast so dunkel wie sein Haar, dichte, geschwungene Wimpern rahmten sie ein. Die Brauen wiesen einen fast schon satanischen Zug auf, dazu eine gerade, rmisch anmutende Nase. Vervollkommnet wurde das Gesicht durch einen beinahe sündigen Mund mit vollen, makellosen Konturen. Juliette fühlte sich an Kupferstiche italienischer Meister erinnert, die in ihren Werken gefallene Engel verewigt hatten.
Ihr erschien es, als würde sie ihn kennen, auch wenn sie sich sicher war, dass sie einander nie vorgestellt wurden. Bei ihren seltenen Besuchen zu Hause ging sie so gut wie nie aus, abgesehen von den gesellschaftlichen Anlässen bei ihrer Familie oder bei Freunden, sodass ihr Bekanntenkreis recht klein war. Und doch war da irgendwo eine flüchtige Erinnerung ...
Der Gentleman erwiderte ihren Blick und musterte sie abschätzend, wobei er ihr zunächst ins Gesicht sah, dann aber den Schwung ihrer Schultern und ihres Busens unter dem blassen Stoff musterte. Es geschah so schnell, dass es ihr vielleicht gar nicht aufgefallen wäre, hätte sie ihn nicht so aufmerksam betrachtet. Ihr kam es vor wie eine flüchtige Liebkosung, die ihr auf der Haut kribbelte. Sie bemerkte, wie sich ihre Brustspitzen aufrichteten, als würde ihr ein Schauer über den Körper laufen. Sie war jedoch davon überzeugt, es war lediglich dieser ungewöhnliche Blick, der diese Wirkung bei ihr auslöste. Die meisten Männer, die sie kannte, wären sich dessen bewusst gewesen, wie unangemessen ein solches Verhalten gerade ihr gegenüber wirkte. Zumindest war das bis zu den jüngsten Ereignissen so gewesen, hielt sie sich vor Augen.
Vielleicht war es ihr plötzliches Erröten, das den Gentleman dazu brachte, sich wieder auf den Jungen zu konzentrieren, der sich immer noch an sie klammerte.
"Non, mais non", rief der Junge, als der Mann einen Schritt nach vorn machte, und riss sie mit seinem gelispelten Protest aus ihrem Tagtraum. "Ich geh nich mit dir mit!"
"Das wirst du sehr wohl, wenn du weißt, was gut für dich ist", sagte der Gentleman und setzte den Hut wieder auf.
"Non, non, non!"
"Ich gebe dir auch ein Bonbon ..."
"Du gibs mir 'n Bad! Will kein Bad!" Die Stimme des Jungen klang hysterisch.
Der Gentleman täuschte zur einen Seite an, dann griff er mit einer Drehung zur anderen Seite um Juliette herum. Er hätte den dünnen Arm des Jungen sicherlich zu fassen bekommen, wäre der nicht mit einem Aufschrei nach hinten zurückgewichen und dabei auf sein Hinterteil gefallen.
"Monsieur", sagte Juliette entschieden und stellte sich vor das Kind. "Es wäre viel besser, wenn Sie es mit vernünftigen Argumenten versuchen würden, anstatt Ihrem Sohn Angst zu machen."
"Noch besser wäre es, wenn Sie mir aus dem Weg gehen würden." Der Mann würdigte sie kaum eines Blickes, als er versuchte, ein Bein des Jungen zu fassen zu bekommen, der ihm aber erneut entwischte.
"Er darf mich nich kriegen! Nein, nein, nein ...", jammerte der Junge, während er über das raue Pflaster vor der Kirche außer Reichweite rutschte.
"Monsieur!" Juliette schoss auf den Gentleman zu, da die Schreie des erbärmlich dünnen Jungen sie zutiefst anrührten.
Mit finsterer Miene ignorierte der Vater sie und unternahm einen weiteren Versuch, den Jungen zu packen. Juliette hob eine Hand und fasste den Mann am gerollten Samtkragen seines tabakbraunen Gehrocks. Im nächsten Moment war das Geräusch von zerreißendem Stoff zu hören.
Der Gentleman verharrte einige Augenblicke lang in seiner vorgebeugten Haltung, dann richtete er sich langsam auf, bis er vor Juliette stand und sie deutlich überragte. Er zog die Augenbrauen zusammen und warf ihr einen Blick zu, der voller Wut war.
"Mademoiselle", setzte er mit unheilvollem Tonfall an.
Juliette ließ ihn los, während ihr noch heißer wurde. Den Blick auf die Stelle gerichtet, an der sie den Kragen vom Revers abgerissen hatte, sagte sie förmlich: "Dieses Missgeschick tut mir leid, aber es ist ganz allein Ihre Schuld. Ich kann nicht zulassen, dass Sie den Jungen grob behandeln. Das ist grausam und ..."
"Grausam?", wiederholte ihr Gegenüber entrüstet. "Sie sehen das Ganze völlig falsch, das versichere ich Ihnen. Dieser Bengel macht viel Lärm um nichts. Wenn Sie wüssten, wozu er in der Lage ist, dann ..."
Der Gentleman redete weiter, doch Juliette hörte ihm längst nicht mehr zu. Mit einem Mal überkam sie die erschreckende Gewissheit, wer dieser Gentleman war. Hätte sie nicht so viel Zeit ihres Lebens hinter Klostermauern verbracht, hätte sie ihn bestimmt sofort erkannt. Berichte über seine Eskapaden waren sogar bis ins Kloster vorgedrungen, wo junge Mädchen sie sich hinter vorgehaltener Hand erzählten, die über solche Dinge eigentlich gar nichts wissen sollten. Es war Paulette, die auf der Straße auf ihn hingewiesen hatte, als Juliette im Winter des Jahres zuvor bei ihrer Familie zu Besuch gewesen war. Jetzt hämmerte ihr Herz so wild in ihrer Brust, dass sie kaum atmen konnte.
La Roche.
Der Mann vor ihr war der berüchtigte Fechtmeister Nicholas Pasquale, genannt The Rock oder La Roche, da er auf der Fechtmatte eine schier reglose Kampfhaltung einnahm und sein Körper wie versteinert wirkte. Er war bei einem Duell noch nie touchiert worden, und selbst bei den Fechtstunden, die er gab, ließ er kaum einmal zu, dass man ihn touchierte. Von zärtlichen Gefühlen, so erzählte man sich, war er noch nie berührt worden. Er galt als der beste Fechter der Stadt, wenn man jenen glaubte, die es wissen sollten. Er kämpfte in der Position Sinister oder linkshändig, was ihn zu einem erschreckenden und recht bizarren Gegner machte. Junge Männer imitierten sein Verhalten und seinen perfekten Stil, was die Garderobe betraf. ältere Männer dagegen wurden blass, wenn sie seinen Namen hörten, und versuchten, sich bei ihm einzuschmeicheln. Man tuschelte, er habe ein halbes Dutzend Männer im Ehrenhandel getötet, in einem Fall auch den Ehemann einer Frau, die halb nackt in den Privaträumen seines Ateliers entdeckt worden war. Dazu kam, dass er auch noch vom Glück verfolgt wurde. Immerhin hatte er jüngst in der staatlichen Lotterie ein Vermögen gewonnen, das sich auf die bis dahin unvorstellbare Summe von mehr als zwei Millionen Dollar belief.
Er war der gefährlichste, meistgefürchtete Mann von ganz New Orleans, der zudem fr einen erlesenen Geschmack in Fragen seiner Garderobe bekannt war und gute Kleidung schützte. Und sie, Juliette Armant, hatte nicht nur die Hand gegen ihn erhoben, sondern auch noch seinen Mantel zerrissen.
Der kleine Junge schien in Juliette wohl eine Verbündete zu sehen, daher bezog er wieder hinter ihr Stellung. La Roche beugte sich abermals vor, um nach ihm zu greifen. Schnell wie eine Maus packte das Kind mit beiden Händen Juliettes aschgrauen Cordsamtrock und die Unterröcke, hob sie hoch und schlüpfte darunter. Der schwere Stoff legte sich über ihn und bedeckte ihn so vollständig, dass er ganz unter den großzügigen Falten verschwand.
Einen Moment lang war Juliette vor Wut wie gelähmt. Ihr stockte der Atem, und es hatte ihr die Sprache verschlagen. Eine Mischung aus Entsetzen und Bewunderung für den Mut des Jungen, aber auch aus Angst und Vorsicht, als sie in Nicholas Pasquales Augen schaute, überkam sie.
Der Fechtmeister fluchte leise, wich ein paar Schritte zurück und drehte ihr den Rücken zu. Er fuhr sich durchs Haar und legte dann eine Hand in den Nacken, gleichzeitig hob und senkte sich seine Brust bei jedem seiner Atemzüge. Es war deutlich, wie bemüht er war, sein Temperament zu zügeln. Juliette hielt es für das Beste, ihn dabei nicht zu stören.
Noch während sie den Fechtmeister ansah und dabei bemerkte, wie sehr sich sein Rücken von den breiten Schultern bis hin zur Taille seines Gehrocks verjüngte, spürte sie, wie der Junge sich enger an ihre Beine schmiegte. Sie fühlte dabei die Wärme seines kleinen knochigen Körpers Ihr wurde schwer ums Herz, und in ihr regte sich der sonderbare, aber dringende Wunsch, den Jungen um jeden Preis zu beschützen - ganz gleich wie gefährlich dessen Feinde auch sein mochten.
Sie presste die Lippen zusammen und atmete durch die Nase ein, dann sagte sie so energisch, wie sie nur konnte: "Monsieur, ich schlage vor ...""Was schlagen Sie vor, Mademoiselle?", fiel Nicholas Pasquale ihr ins Wort, während er sich zu ihr umdrehte. "Sie hatten kein Recht, sich einzumischen. Sehen Sie sich doch an, was es uns eingebracht hat.
© 2007 Heyne Verlag
Übersetzung: Ralph Sander
New Orleans, Louisiana, Januar 1842
"Schick mir einen Ehemann, ich flehe dich an, Heilige Mutter Gottes. Wenn es dein Wille ist, dann vermittle in dieser Angelegenheit, denn ich brauche unbedingt einen Mann."
Juliette Armant presste die Finger ihrer gefalteten Hände fest zusammen, während sie in das gütig dreinblickende Gesicht der geschnitzten Muttergottes vor ihr blickte. Der Haltegriff an der Gebetsbank, der über die Jahre hinweg von unzähligen Händen so abgegriffen worden war, dass er nun glänzte, fühlte sich auf ihrer Haut kühl an, und durch ihren dicken grauen Cordsamtrock bahnte sich die Kälte der Kniebank unerbittlich ihren Weg. Ihr schlug der Geruch von Weihrauch, Staub und den Opferkerzen entgegen, die auf ihrem schmiedeeisernen Leuchter nahe der Tür brannten. In der leeren Kirche herrschte eine solche Stille, dass das Flackern der Kerzenflammen laut und deutlich zu vernehmen war. Bestimmt tausendmal hatte sie sich hier zum Beten hingekniet, und doch kam ihr an diesem Morgen alles so fremd vor.
"Ich bitte nicht meinetwegen um diese Gnade", fuhr sie fort, während sie kurz, aber entschieden den Kopf schüttelte. "Du weißt sehr gut, ich rechnete nie damit, einmal zu heiraten. Mein Schicksal war es von Geburt an, der Kirche zu dienen, und ich habe das in aller Demut akzeptiert. Doch nun ist alles anders. Mir fehlt es an der Schönheit genauso wie am Geschick zu kokettieren, um einen Mann auf mich aufmerksam zu machen, und es gibt niemanden, der für mich eine Ehe arrangieren könnte. Meine Mutter hat nicht den Willen dazu, aber du weißt ja auch, wie schwer sie geprüft ist. Ich muss umgehend heiraten, sonst ist alles verloren."
Juliette fragte sich, ob sie wohl wirklich richtig handelte. Sie hatte beharrlich versucht, einen anderen Ausweg aus ihrem Dilemma zu finden, doch ihr wollte nichts Brauchbares in den Sinn kommen. Wie hatte es nur dazu kommen können, wo doch alles so völlig anders hätte sein sollen?
"Oh, Heilige Mutter, lass es bitte einen freundlichen Ehemann sein, den du mir schicken wirst, aber auch keinen zu sanftmütigen. Er muss kräftig sein und einen starken Willen haben, denn beides wird er ganz bestimmt benötigen. Intelligenz wäre auch von Nutzen, ebenso diplomatisches Geschick. Ich bitte dich nicht darum, dass er attraktiv sein muss, doch es würde mir nichts ausmachen, wenn er um unserer zukünftigen Kinder willen hübsch anzusehen wäre." Leise aufstöhnend schloss sie die Augen und sprach weiter: "Nein, nein, vergiss bitte, dass ich das gesagt habe. Du, die alles weiß, wirst ganz bestimmt auch wissen, was nötig ist. Ich bitte dich nur, mir einen Mann zu schicken, und das so schnell, wie es nur möglich ist."
Juliette bekreuzigte sich, drückte die Faust in rascher Folge auf Lippen und Herz, dann erhob sie sich. Sie konnte nicht länger in der heiligen Ruhe verweilen. Zu Hause würde man bald ihr Verschwinden bemerken, und ihr lag nicht daran, erklären zu müssen, wo sie hingegangen war und wieso sie das Haus ohne Zofe als Anstandsdame verlassen hatte. Vermutlich würde sie ihrer Mutter und ihrer Zwillingsschwester irgendeine Geschichte auftischen können, doch Ausflüchte fielen ihr nach diesen vielen Jahren als Nonne nicht so leicht.
Um die Kirche verlassen zu können, musste sie an den Opferkerzen vorbeigehen, die nahe der schweren Vordertür aufgestellt waren. Der Luftzug, den sie beim Gehen verursachte, musste die Flammen zum Flackern gebracht haben. Denn aus dem Augenwinkel sah sie etwas hell aufleuchten. Sie wandte sich in die Richtung dieses intensiven Lichts und erkannte, dass ausgerechnet die Kerze am intensivsten brannte, die sie vor dem Gebet aufgestellt hatte. Eine große, kräftige Flamme, die um ein Mehrfaches heller war als bei jeder anderen Kerze. So hell, dass es sie blendete, entfaltete sich das Licht und tanzte vor ihr wie ein goldener Stern.
Juliette blieb abrupt stehen und hielt den Atem an. Sie war nicht so abergläubisch wie ihre Mutter, die ihr Leben von tausenden Überzeugungen, Verboten und Weisheiten bestimmen ließ, dennoch änderte das nichts an dem Schauer, der ihr vom Kopf bis zu den Zehenspitzen über den Körper fuhr.
War dies etwa ein Omen? Bedeutete es womöglich, dass ihr Gebet erhört worden war?
Sie kniff die Augen zusammen und bekreuzigte sich erneut, erst dann ging sie weiter. Als sie die Kirche verließ, waren ihre Schritte beschwingter, und Hoffnung ließ ihr Herz so strahlen wie die Flamme der Kerze, die sie zu ihrem Gebet aufgestellt hatte.
Vor dem Gotteshaus blieb Juliette stehen und zog die Handschuhe aus dem Ärmel, wohin sie sie gesteckt hatte, als sie nach einer Münze für ihre Kerze suchte. Fast hätte sie sie nun vergessen. Oh, wie entsetzt ihre Mutter und Paulette reagieren würden, sollte man sie auf der Straße mit bloßen Händen sehen. Bis vor zwei Wochen waren solche Dinge bedeutungslos gewesen. Im Kloster war es wichtiger, dass man mit seinen Händen zupacken konnte und wollte. Ob sie makellos gepflegt waren, zählte dort nicht. Ein ironisches Lächeln umspielte Juliettes Mundwinkel, dann aber seufzte sie leise und begann, die lavendelfarbenen Handschuhe überzustreifen, die sie sich von ihrer Schwester geborgt hatte.
Es versprach ein schöner Tag zu werden. Bereits jetzt drangen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durch den Nebel über dem Fluss jenseits des Deichs, und die Luft war mild und fast schon warm. Die Dampfpfeife eines ablegenden Postschiffs ertönte und ließ im nahe gelegenen Geschäft des Vogelhändlers die Affen schreien und die Papageien lautstark kreischen. Eine leichte Brise trug von den Docks den Geruch von Schlamm, Fisch, gärenden Melassen und überreifen Bananen zu ihr herber. Darunter mischte sich der Gestank von Abfällen aus dem Rinnstein, der mitten durch die Gasse zwischen der Kirche und dem Pfarrhaus verlief. Doch da war auch der Duft von geröstetem Kaffee wahrzunehmen. Der kam vom Markt, auf dem die Händler gerade ihre Stände aufbauten, um fr die frühmorgendliche Kundschaft bereit zu sein, wenn die mit einem Korb im Arm nach frischem Brot, Brioche und Croissants Ausschau hielt. Bei diesem Gedanken knurrte Juliettes Magen leise, und sie wünschte, sie könnte etwas von den Dingen kaufen, die sie von der nahe gelegenen Bäckerei mit ihrem Duft lockten. Aber das ging nicht, da sie dadurch ihren heimlichen Ausflug verraten hätte.
In diesem Augenblick zerriss hinter ihr ein gellender, verzweifelter Aufschrei die Morgenruhe. Er stammte von keinem Papagei oder Affen, sondern von einem Kind.
Juliette drehte sich so schnell um, wie es ihre schweren Röcke zuließen. Gerade noch konnte sie sehen, wie ein Junge hinter der Kirche um die Ecke gerannt kam. Er mochte kaum älter als drei Jahre sein, war von schmaler Statur, hatte einen schwarzen Lockenkopf und ebenso schwarze Augen, die vor Entsetzen weit aufgerissen waren. Er ruderte mit den Armen und rannte, was seine kurzen Beine hergaben. Sein Mund stand offen, und er schrie noch immer.
Schwere Schritte waren nun auf dem Pflaster zu hören, und dann kam ein Mann in Sicht, der den Jungen verfolgte. Er war groß und breitschultrig, und mit seinen langen Beinen machte er so große Schritte, dass er das Kind bald einholen musste. Auf seinem Gesicht lag eine finstere Entschlossenheit, als er seine Beute erreichte und einen Arm ausstreckte, um das zerlumpte, flatternde Hemd des Jungen zu fassen zu bekommen.
Der Kleine wich zur Seite aus und entkam der Hand des Mannes um Haaresbreite. Er rannte nun geradewegs auf Juliette zu, änderte nur ein wenig seine Richtung und klammerte sich an ihren Rücken fest, als er auf gleicher Höhe mit ihr war. Durch seinen Schwung machte sie ungewollt eine halbe Drehung, während er hinter ihrem ausladenden Reifrock Schutz suchte.
Der Gentleman kam kurz vor ihr zum Stehen, dann griff er auf der linken Seite um Juliette herum, als sie sich zu ihm umdrehte. Der Junge wich zur anderen Seite aus und riss Juliette erneut herum, diesmal so heftig, dass sie fast den Halt verloren hätte. Der Verfolger täuschte zur anderen Seite an, doch auch diesmal bekam er den Jungen nicht zu fassen.
"Stopp! Hören Sie sofort damit auf!", rief Juliette und packte ihre Röcke, um zu verhindern, dass man sie noch einmal in irgendeine Richtung drehte. "Stopp! Haben Sie nicht gehört?"
Es war der Tonfall, mit dem sie sonst die Kinder in der Klosterschule dazu brachte, den Mund zu halten. Die Wirkung war erfreulich. Der Junge blieb wie angewurzelt stehen und schnappte nach Luft. Der Gentleman hielt inne, dann richtete er sich zu voller Größe auf. Einen Moment lang schwiegen sie alle drei, während sie sich einander abschätzend betrachteten.
Der Verfolger des Jungen fand als Erster die Sprache wieder. Er zog seinen Seidenhut, den er zwischenzeitlich wieder aufgesetzt hatte, und beschrieb eine Verbeugung von vollendeter Eleganz.
"Verzeihen Sie, Mademoiselle. Ich möchte nur diesen kleinen Satan zu fassen kriegen, der sich hinter Ihnen versteckt."
Seine tiefe, volle Stimme mit ihrem fast melodischen Rhythmus hatte auf Juliette eine höchst sonderbare Wirkung. Es war fast so, als würde diese Stimme sich wie ein Mantel um sie legen, all ihre Sinne überwältigen und tief in ihrem Inneren widerhallen. Eine träge, irritierende Hitze flammte irgendwo in der Magengegend auf und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Es war ein sehr eigentümliches Gefühl, wie sie es noch nie gespürt hatte. Einen Moment lang stand sie einfach nur nachdenklich da, den Blick auf den Gentleman gerichtet.
Dass er die männliche Schönheit in Person war, stand außer Frage. Glänzendes schwarzes gewelltes Haar, auf kecke Art zerzaust von der Verfolgungsjagd. Eine Locke hatte sich auf seine Stirn verirrt. Seine Augen waren fast so dunkel wie sein Haar, dichte, geschwungene Wimpern rahmten sie ein. Die Brauen wiesen einen fast schon satanischen Zug auf, dazu eine gerade, rmisch anmutende Nase. Vervollkommnet wurde das Gesicht durch einen beinahe sündigen Mund mit vollen, makellosen Konturen. Juliette fühlte sich an Kupferstiche italienischer Meister erinnert, die in ihren Werken gefallene Engel verewigt hatten.
Ihr erschien es, als würde sie ihn kennen, auch wenn sie sich sicher war, dass sie einander nie vorgestellt wurden. Bei ihren seltenen Besuchen zu Hause ging sie so gut wie nie aus, abgesehen von den gesellschaftlichen Anlässen bei ihrer Familie oder bei Freunden, sodass ihr Bekanntenkreis recht klein war. Und doch war da irgendwo eine flüchtige Erinnerung ...
Der Gentleman erwiderte ihren Blick und musterte sie abschätzend, wobei er ihr zunächst ins Gesicht sah, dann aber den Schwung ihrer Schultern und ihres Busens unter dem blassen Stoff musterte. Es geschah so schnell, dass es ihr vielleicht gar nicht aufgefallen wäre, hätte sie ihn nicht so aufmerksam betrachtet. Ihr kam es vor wie eine flüchtige Liebkosung, die ihr auf der Haut kribbelte. Sie bemerkte, wie sich ihre Brustspitzen aufrichteten, als würde ihr ein Schauer über den Körper laufen. Sie war jedoch davon überzeugt, es war lediglich dieser ungewöhnliche Blick, der diese Wirkung bei ihr auslöste. Die meisten Männer, die sie kannte, wären sich dessen bewusst gewesen, wie unangemessen ein solches Verhalten gerade ihr gegenüber wirkte. Zumindest war das bis zu den jüngsten Ereignissen so gewesen, hielt sie sich vor Augen.
Vielleicht war es ihr plötzliches Erröten, das den Gentleman dazu brachte, sich wieder auf den Jungen zu konzentrieren, der sich immer noch an sie klammerte.
"Non, mais non", rief der Junge, als der Mann einen Schritt nach vorn machte, und riss sie mit seinem gelispelten Protest aus ihrem Tagtraum. "Ich geh nich mit dir mit!"
"Das wirst du sehr wohl, wenn du weißt, was gut für dich ist", sagte der Gentleman und setzte den Hut wieder auf.
"Non, non, non!"
"Ich gebe dir auch ein Bonbon ..."
"Du gibs mir 'n Bad! Will kein Bad!" Die Stimme des Jungen klang hysterisch.
Der Gentleman täuschte zur einen Seite an, dann griff er mit einer Drehung zur anderen Seite um Juliette herum. Er hätte den dünnen Arm des Jungen sicherlich zu fassen bekommen, wäre der nicht mit einem Aufschrei nach hinten zurückgewichen und dabei auf sein Hinterteil gefallen.
"Monsieur", sagte Juliette entschieden und stellte sich vor das Kind. "Es wäre viel besser, wenn Sie es mit vernünftigen Argumenten versuchen würden, anstatt Ihrem Sohn Angst zu machen."
"Noch besser wäre es, wenn Sie mir aus dem Weg gehen würden." Der Mann würdigte sie kaum eines Blickes, als er versuchte, ein Bein des Jungen zu fassen zu bekommen, der ihm aber erneut entwischte.
"Er darf mich nich kriegen! Nein, nein, nein ...", jammerte der Junge, während er über das raue Pflaster vor der Kirche außer Reichweite rutschte.
"Monsieur!" Juliette schoss auf den Gentleman zu, da die Schreie des erbärmlich dünnen Jungen sie zutiefst anrührten.
Mit finsterer Miene ignorierte der Vater sie und unternahm einen weiteren Versuch, den Jungen zu packen. Juliette hob eine Hand und fasste den Mann am gerollten Samtkragen seines tabakbraunen Gehrocks. Im nächsten Moment war das Geräusch von zerreißendem Stoff zu hören.
Der Gentleman verharrte einige Augenblicke lang in seiner vorgebeugten Haltung, dann richtete er sich langsam auf, bis er vor Juliette stand und sie deutlich überragte. Er zog die Augenbrauen zusammen und warf ihr einen Blick zu, der voller Wut war.
"Mademoiselle", setzte er mit unheilvollem Tonfall an.
Juliette ließ ihn los, während ihr noch heißer wurde. Den Blick auf die Stelle gerichtet, an der sie den Kragen vom Revers abgerissen hatte, sagte sie förmlich: "Dieses Missgeschick tut mir leid, aber es ist ganz allein Ihre Schuld. Ich kann nicht zulassen, dass Sie den Jungen grob behandeln. Das ist grausam und ..."
"Grausam?", wiederholte ihr Gegenüber entrüstet. "Sie sehen das Ganze völlig falsch, das versichere ich Ihnen. Dieser Bengel macht viel Lärm um nichts. Wenn Sie wüssten, wozu er in der Lage ist, dann ..."
Der Gentleman redete weiter, doch Juliette hörte ihm längst nicht mehr zu. Mit einem Mal überkam sie die erschreckende Gewissheit, wer dieser Gentleman war. Hätte sie nicht so viel Zeit ihres Lebens hinter Klostermauern verbracht, hätte sie ihn bestimmt sofort erkannt. Berichte über seine Eskapaden waren sogar bis ins Kloster vorgedrungen, wo junge Mädchen sie sich hinter vorgehaltener Hand erzählten, die über solche Dinge eigentlich gar nichts wissen sollten. Es war Paulette, die auf der Straße auf ihn hingewiesen hatte, als Juliette im Winter des Jahres zuvor bei ihrer Familie zu Besuch gewesen war. Jetzt hämmerte ihr Herz so wild in ihrer Brust, dass sie kaum atmen konnte.
La Roche.
Der Mann vor ihr war der berüchtigte Fechtmeister Nicholas Pasquale, genannt The Rock oder La Roche, da er auf der Fechtmatte eine schier reglose Kampfhaltung einnahm und sein Körper wie versteinert wirkte. Er war bei einem Duell noch nie touchiert worden, und selbst bei den Fechtstunden, die er gab, ließ er kaum einmal zu, dass man ihn touchierte. Von zärtlichen Gefühlen, so erzählte man sich, war er noch nie berührt worden. Er galt als der beste Fechter der Stadt, wenn man jenen glaubte, die es wissen sollten. Er kämpfte in der Position Sinister oder linkshändig, was ihn zu einem erschreckenden und recht bizarren Gegner machte. Junge Männer imitierten sein Verhalten und seinen perfekten Stil, was die Garderobe betraf. ältere Männer dagegen wurden blass, wenn sie seinen Namen hörten, und versuchten, sich bei ihm einzuschmeicheln. Man tuschelte, er habe ein halbes Dutzend Männer im Ehrenhandel getötet, in einem Fall auch den Ehemann einer Frau, die halb nackt in den Privaträumen seines Ateliers entdeckt worden war. Dazu kam, dass er auch noch vom Glück verfolgt wurde. Immerhin hatte er jüngst in der staatlichen Lotterie ein Vermögen gewonnen, das sich auf die bis dahin unvorstellbare Summe von mehr als zwei Millionen Dollar belief.
Er war der gefährlichste, meistgefürchtete Mann von ganz New Orleans, der zudem fr einen erlesenen Geschmack in Fragen seiner Garderobe bekannt war und gute Kleidung schützte. Und sie, Juliette Armant, hatte nicht nur die Hand gegen ihn erhoben, sondern auch noch seinen Mantel zerrissen.
Der kleine Junge schien in Juliette wohl eine Verbündete zu sehen, daher bezog er wieder hinter ihr Stellung. La Roche beugte sich abermals vor, um nach ihm zu greifen. Schnell wie eine Maus packte das Kind mit beiden Händen Juliettes aschgrauen Cordsamtrock und die Unterröcke, hob sie hoch und schlüpfte darunter. Der schwere Stoff legte sich über ihn und bedeckte ihn so vollständig, dass er ganz unter den großzügigen Falten verschwand.
Einen Moment lang war Juliette vor Wut wie gelähmt. Ihr stockte der Atem, und es hatte ihr die Sprache verschlagen. Eine Mischung aus Entsetzen und Bewunderung für den Mut des Jungen, aber auch aus Angst und Vorsicht, als sie in Nicholas Pasquales Augen schaute, überkam sie.
Der Fechtmeister fluchte leise, wich ein paar Schritte zurück und drehte ihr den Rücken zu. Er fuhr sich durchs Haar und legte dann eine Hand in den Nacken, gleichzeitig hob und senkte sich seine Brust bei jedem seiner Atemzüge. Es war deutlich, wie bemüht er war, sein Temperament zu zügeln. Juliette hielt es für das Beste, ihn dabei nicht zu stören.
Noch während sie den Fechtmeister ansah und dabei bemerkte, wie sehr sich sein Rücken von den breiten Schultern bis hin zur Taille seines Gehrocks verjüngte, spürte sie, wie der Junge sich enger an ihre Beine schmiegte. Sie fühlte dabei die Wärme seines kleinen knochigen Körpers Ihr wurde schwer ums Herz, und in ihr regte sich der sonderbare, aber dringende Wunsch, den Jungen um jeden Preis zu beschützen - ganz gleich wie gefährlich dessen Feinde auch sein mochten.
Sie presste die Lippen zusammen und atmete durch die Nase ein, dann sagte sie so energisch, wie sie nur konnte: "Monsieur, ich schlage vor ...""Was schlagen Sie vor, Mademoiselle?", fiel Nicholas Pasquale ihr ins Wort, während er sich zu ihr umdrehte. "Sie hatten kein Recht, sich einzumischen. Sehen Sie sich doch an, was es uns eingebracht hat.
© 2007 Heyne Verlag
Übersetzung: Ralph Sander
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Autoren-Porträt von Jennifer Blake
Jennifer Blake gehört seit den 70er Jahren zu den bekanntesten und erfolgreichsten Liebesromanautorinnen. Sie hat bisher eine große Anzahl äußerst erfolgreicher Romane veröffentlicht, die ihr eine ständig wachsende Fangemeinde bescheren. Jennifer Blake ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt mit ihrer Familie in Louisiana.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jennifer Blake
- 2007, 444 Seiten, Maße: 11,4 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Dtsch. v. Ralph Sander
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453490088
- ISBN-13: 9783453490086
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