Sharon Holmes, Die gestrandete Zeitmaschine
Detektive auf Zeitreise Den 12-jährigen John H. Watson jr. nervt der Wunsch seines Vaters, unbedingt zu beweisen, dass Sherlock Holmes wirklich gelebt hat und er selbst der Urenkel des berühmten Dr. Watson aus den Detektivgeschichten ist. John...
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Produktinformationen zu „Sharon Holmes, Die gestrandete Zeitmaschine “
Detektive auf Zeitreise Den 12-jährigen John H. Watson jr. nervt der Wunsch seines Vaters, unbedingt zu beweisen, dass Sherlock Holmes wirklich gelebt hat und er selbst der Urenkel des berühmten Dr. Watson aus den Detektivgeschichten ist. John wünscht sich nichts sehnlicher als wie jeder normale Junge mit Playstation und MTV aufzuwachsen. Doch plötzlich verschwindet sein Vater und ein Mädchen in altmodischer Kleidung taucht auf: Sharon Holmes behauptet, aus dem Jahr 1891 ins heutige London gereist zu sein! Watson jr. und sein Freund Daniel glauben ihr kein Wort. Doch Sharon weiß eigenartigerweise über Dinge Bescheid, die sie eigentlich nicht wissen dürfte. Im ersten Fall müssen die vier Zeitreise-Detektive den verschwundenen Sherlock Holmes aufspüren und verhindern, dass sein Widersacher, Prof. Moriarty, mit Hilfe der Zeitmaschine weitere Verbrechen begeht. Gleichzeitig müssen Sharon und ihr Begleiter Rooney sich in einer Welt mit Cyberspace, Autobahnen und McDonalds zurechtfinden, Daniel und Watson jr. dagegen in einer Welt ohne Elektrizität, Telefon und Internet ...
Klappentext zu „Sharon Holmes, Die gestrandete Zeitmaschine “
Detektive auf Zeitreise! Der Vater von John H. Watson junior verschwindet spurlos. Dafür taucht ein Mädchen in altmodischer Kleidung auf und behauptet, aus dem Jahr 1891 ins heutige London gereist zu sein! John und sein Freund Daniel glauben ihr natürlich kein Wort. Doch Sharon Holmes weiß über Dinge Bescheid, die sie eigentlich nicht wissen dürfte. In ihrem ersten Fall müssen die die Zeitreise-Detektive den verschwundenen Sherlock Holmes und seinen Gegenspieler aufspüren. Gleichzeitig müssen Sharon und ihr Begleiter sich in einer Welt mit Autobahnen und Schnellimbissen zurechtfinden, Daniel und Watson jr. dagegen in einer Welt ohne Elektrizität, Telefon und Internet ... Eine aufregende Jagd im historischen London beginnt! Witzige Kriminalfälle in der Welt von Sherlock Holmes!
Lese-Probe zu „Sharon Holmes, Die gestrandete Zeitmaschine “
Sharon Holmes – Die gestrandete Zeitmaschine von Mike Maurus und Ulrich BaderUnheimliche Besucher
Am Abend des Tages, an dem sich mein ganzes Leben komplett änderte, sah ich jemanden, von dem ich eigentlich sicher war, dass er nie gelebt hat.
Ich dachte mir zunächst gar nichts dabei. Mein Vater ist der Direktor des Sherlock-Holmes-Museums in der Baker Street. Dort tauchen öfter mal Leute in Kostümen aus der Zeit um 1890 auf. Mal waren es bestellte Schauspieler, mal Fans in selbst geschneiderten Verkleidungen. Als ich den Mann sah, war ich sicher, dass er sich einfach nur verkleidet hatte. Er verließ das Museum in einem Pulk von Leuten, die ihn von allen Seiten fotografierten. Ich hielt den Besuchern die Tür auf, denn es war Zeit, das Museum zu schließen. An dem Tag war niemand außer mir da, und so war es meine Aufgabe, die Leute freundlich, aber bestimmt hinauszutreiben, noch einmal alle Räume zu kontrollieren und dann abzusperren.
Weil ein Gewitter tobte, dauerte es länger als üblich, bis die Leute draußen waren. Es regnete in Strömen, und die Touristen zogen sich billige Hotel-Plastikjacken an oder klappten Regenschirme auf. Der Mann in Schwarz, groß und dünn, traf keine Vorbereitungen gegen das Wetter.
Geduldig wartete er, bis sich der Souvenirladen geleert hatte. Er trug ein Ungetüm von einem altmodischen schwarzen Reisemantel, einen hohen, steifen Zylinder und Gamaschen über seitlich geknöpften Lackschuhen.
Zunächst waren seine Augen nicht zu sehen, weil er eine Nickelbrille mit Gläsern wie aus dunkelgrauem Blei trug. Aber als er an mir vorbei auf die Straße trat, sah er mich über den Brillenrand hinweg an. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Seine Augen waren gelb wie die einer Katze, mit winzig kleinen, stechenden Pupillen. Er grinste, als er mein Erschrecken sah, und ich lächelte
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schief zurück. Natürlich trug er Kontaktlinsen.
Der Mann in Schwarz klappte den Kragen seines Reisemantels hoch und verschwand mit langen Schritten im Regen.
Dann war ich allein in dem altmodischen Haus, das genauso wie zu Sherlock Holmes’ Zeiten eingerichtet war. Unter den schweren Gewitterwolken wurde es schnell finster, und eine düstere Stimmung kroch zwischen die schweren alten Möbel aus dunklem Holz. Ich war in Versuchung, in allen Räumen das Licht anzumachen, aber dann sagte ich zu mir selbst: „Sei nicht so ein Baby! Nur wegen eines Fans, der es mit dem Verkleiden ein bisschen zu weit getrieben hat … Kontaktlinsen, das ist alles.“
Aber als ich das erste Zimmer im dritten Stock betrat, knarrte hinter mir plötzlich die Treppe, und ich blieb wie angewurzelt stehen. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Beinahe hätte ich laut geschrien. Der Mann in Schwarz stand direkt vor mir. Aber er starrte mich nur an.
„Idiot!“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. „Du Idiot!“
Ich stand in dem Zimmer mit den Wachsfiguren. Direkt vor der von Professor Moriarty. Vor dem hatte ich mich schon als kleines Kind immer gegruselt. Der Professor war in den Detektivgeschichten der schlimmste Feind von Sherlock Holmes.
Wenn ich das Licht angemacht hätte, wäre mir das nicht passiert. Aber dann knarrte die Treppe wieder. Statt zum Lichtschalter zu rennen, machte ich instinktiv einen Schritt nach rechts und schob mich hinter die Gardine am Fenster.
Dann passierte … nichts.
Ich kam mir blöd vor und wollte das Versteckspiel schon aufgeben. Aber ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel, und da sah ich ihn. Der Mann in Schwarz stand im Hinterhof. Er drückte sich im Schatten des Durchgangs zur Siddons Lane herum und beobachtete das Museum.
Ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Alle Lichter anmachen?
Die Polizei rufen? Wegen eines verrückten Fans?
Warten, bis er weggeht? Das würde er sicher nicht tun.
Die Alarmanlage einschalten und einfach nach Hause gehen konnte ich auch nicht. Der Mann, der der Wachsfigur von Professor Moriarty so verdammt ähnlich sah, lehnte an der Wand des Hinterhauses, in dem unsere Wohnung lag.
Dann blieb mir fast das Herz stehen. Donner krachte, und jemand direkt vor mir sagte:
„Mr. Watson?“
Diesmal schrie ich wirklich, machte einen Satz seitwärts und fiel über einen Hocker.
„Oh, mein Gott!“, rief die Stimme eines Mädchens. „Das tut mir fürchterlich leid! Wie dumm von mir, plötzlich so vor Ihnen aufzutauchen. Bitte verzeihen Sie mir.“
Ich rappelte mich auf. Mein Rücken schmerzte. Im dunklen Zimmer konnte ich nur sehen, dass sie etwa genauso groß war wie ich. Vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt.
„Wer bist du?“, stöhnte ich. „Das Museum ist geschlossen.“
„Ich weiß“, gab das Mädchen zu. „Wir sollten kein Licht anmachen. Das Haus wird beobachtet.“
„Das habe ich auch gesehen. Wer ist der Kerl? Der hält sich wohl für Professor Moriarty.“
„Oh nein“, widersprach sie. „Das ist Professor Moriarty.“
Eine Weile fiel mir gar nichts mehr ein. Dann wusste ich, was los war.
„Das ist ein Streich“, rief ich. „Läuft irgendwo eine Kamera? Die Welby-Brüder haben dich geschickt, stimmt’s? Und morgen ist das Video, wie ich mir fast in die Hose mache, auf allen Handys der Schule zu sehen.“
„Es tut mir leid, Mr. Watson, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, sagte sie unbeirrt. „Aber es stimmt, einer der Welbys ist in die Sache verwickelt. Der Jüngere, nehme ich an.“
Die Brüder Johnny und Jimmy Welby, dreizehn und elf Jahre alt, waren der Schrecken unserer Schule. Gegen Leute, die sie nicht einfach verprügeln oder sonst wie terrorisieren konnten, heckten sie Streiche aus, die einen vor allen anderen blamieren sollten. Ich war zwölf und damit eigentlich auf ihrer Dringend-verdreschen-Liste. Aber mein Vater hatte mich in jeden verfügbaren Kampfsportkurs gesteckt, seit ich sechs war. Die konnten mich auch zu zweit nicht kleinkriegen. Also mussten mich die Welbys auf andere Weise fertigmachen.
„Jetzt hört mal zu, ihr zwei Stinktiere!“, rief ich laut.
„Ich weiß, dass ihr hier seid und diesen Mist filmt. Und ihr wisst, was passiert, wenn ich euch in die Finger kriege! Arrest und Schulverweis hin oder her, ich dreh euch durch die Mangel, an jedem einzelnen beschissenen Tag von heute an bis –“
„Bitte, Mr. Watson, hören Sie mir zu!“, unterbrach mich das Mädchen. „Dies ist kein Streich. Die Sache ist bitterernst. Es geht um Leben und Tod.“ Ein weiterer Blitz erhellte kurz das Zimmer, und ich sah, dass sie genau wie der Mann in Schwarz ganz altmodische Kleidung trug. Etwas, das man früher ,Reisekostüm‘ genannt hatte, mit einer taillierten Jacke und einem bodenlangen Rock. Ihr Haar war rundum in einer kunstvollen Welle nach oben gesteckt, und darauf war ein kleiner Hut mit einer Samtschleife befestigt.
„Ich denke, die Gebrüder Welby wissen nichts über die Vorliebe Ihres Vaters für das ausgehende neunzehnte Jahrhundert“, fuhr das Mädchen fort. „Sie wissen auch nichts von Professor Moriarty. Und selbst falls doch, würde es die Möglichkeiten der Welbys bei Weitem übersteigen, einen Schauspieler zu engagieren, der jetzt im Hinterhof dieses Hauses wartet. Mr. Watson, ich weiß, dass Sie gerade überlegen, ob Ihr Vater hinter dem steckt, was heute Abend passiert. Ich versichere Ihnen, auch das ist nicht der Fall.“
Genau das war mir gerade durch den Kopf gegangen. Ich hielt meinen Vater für absolut verrückt. Versteht mich nicht falsch. Als Vater war er schon okay. Aber er zwang mich, alles über die Zeit zwischen 1880 und 1900 zu lernen. Er hat mich in Kampfsportkurse und Fechtstunden geschickt, und ich habe Reiten, das Lenken von Pferdefuhrwerken und den Umgang mit Pistolen gelernt. Seit ich denken kann, hat er immer behauptet, dass wir eines Tages in diese Zeit reisen würden.
Mein Name ist John H. Watson junior. Mein Vater ist der größte Sherlock-Holmes-Fan aller Zeiten. Und er ist besessen von der fixen Idee, wir Watsons seien Nachfahren des Doktors, der die Fälle und Abenteuer des berühmtesten Detektivs der Welt aufgeschrieben hat.
Nur deswegen hat mein Vater Geschichte studiert. Deswegen hat er sich jahrelang um den Posten des Direktors für das Sherlock-Holmes-Museum in der Baker Street beworben, den er dann vor einigen Jahren tatsächlich bekommen hat. Und deswegen hat er mich John H. taufen lassen. Das H. ist nicht mal eine Abkürzung für irgendwas. Nein, mein zweiter Vorname ist tatsächlich H-Punkt!
Und das, weil mein Vater sein ganzes Leben diesem verdammten Detektiv-Unsinn gewidmet hat und das Gleiche am Liebsten auch mit meinem Leben tun würde. Nur aufgrund der Tatsache, dass unsere Familie den Allerweltsnachnamen Watson trägt. Und selbst, wenn’s so wäre. Das gibt ihm noch lange nicht das Recht, den eigenen Sohn H-Punkt zu nennen!
Das Mädchen tastete nach meiner Hand.
„Nehmen Sie das“, verlangte sie. „Sie werden es auch im Dunkeln erkennen.“ Da hatte sie recht. Es war ein Anhänger an einer ledernen Schnur. Mein Anhänger. Ein großes abgesplittertes Stück von meinem Schneidezahn in einer Silberfassung. Ein Trainingsgegner hatte ihn mir versehentlich ausgeschlagen. Der Anhänger war absolut unverwechselbar.
„Woher hast du –“, begann ich, aber sie unterbrach mich. „Sie haben Ihren immer noch um den Hals hängen“, behauptete das Mädchen. „Der, den ich Ihnen gegeben habe, stammt aus der Zukunft. Genauer gesagt, von morgen. Sie haben ihn mir gegeben. Oder werden es morgen tun.“
Ich tastete danach, und tatsächlich hing die Lederschnur mit dem Stück Schneidezahn um meinen Hals. Aber ich hielt ihn auch in der rechten Hand.
„Hää?“, war alles, was ich herausbrachte.
„Sie werden mir jetzt noch nicht glauben, aber ich sage die reine Wahrheit“, fuhr die seltsame Besucherin fort. „Ich bin mit einer Zeitmaschine hierher gelangt, ebenso wie Professor Moriarty und ein Junge namens Rooney Wallace. Aber Mr. Wallace und ich sind, im Gegensatz zum Professor, hier gestrandet. Unser Gefährt hat keine Antriebsenergie mehr. Deshalb bitte ich Sie inständig, mit mir eine Busfahrt zu Ihrem Schulhaus zu machen. Mr. Christie wird dort von einem der Welby-Brüder festgehalten. Er weiß, was zu tun ist, um unsere Maschine wieder funktionsfähig zu machen.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Welbys konnten sich so etwas unmöglich ausgedacht haben. Wenn es eine Falle war, mit der ich reingelegt werden sollte, konnte nur mein Vater dahinterstecken. Aber er war überhaupt nicht der Typ für so etwas. Er war, abgesehen von seinem Fimmel für die Sherlock-Holmes-Zeit, ein durch und durch ernsthafter, nüchtern denkender Mensch.
Es gab eine dritte Möglichkeit, und die war so aufregend, dass mir heiß wurde: Das Mädchen sagte die Wahrheit.
Mein Vater hatte immer recht gehabt. Der doppelte Anhänger war eine vollkommene Unmöglichkeit. Ihre anderen Beweise wollte ich gern sehen. Außerdem war da immer noch der Mann in Schwarz. Ich hatte nicht vor, in den dunklen Hinterhof zu gehen, um herauszufinden, ob er ein Schauspieler oder der echte Professor Moriarty war.
Also saßen wir fünf Minuten später im Bus.
Das Mädchen hatte sich umgezogen, und das war gut so, weil sie in der altmodischen Aufmachung überall aufgefallen wäre. Ein Bündel mit entsprechender Kleidung hatte sie mitgebracht.
„Sehen Sie nicht auf meine Beine!“, verlangte sie, als sie nach unten in den Souvenirladen kam. Natürlich schaute ich danach als Erstes auf ihre Beine. Mit denen schien alles in Ordnung zu sein. Sie waren lang, schlank und ohne Kratzer oder blaue Flecken. Das konnte ich sehen, weil sie die übliche Schuluniform trug: einen grauen Blazer, einen karierten Rock, dunkelblaue Strümpfe, die sie auf die Knöchel heruntergerollt hatte, und billige chinesische Turnschuhe, wie sie zurzeit Mode waren. Sie sah aus wie Tausende andere dreizehnjährige Mädchen, die in London zur Schule gingen. Nur dass ihr die Jacke zu klein war und der Rock nicht mal bis zu den Knien reichte. Von den Beinen, die ich nicht anschauen sollte, gab es also ziemlich viel zu sehen.
© 2009 Schneiderbuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Der Mann in Schwarz klappte den Kragen seines Reisemantels hoch und verschwand mit langen Schritten im Regen.
Dann war ich allein in dem altmodischen Haus, das genauso wie zu Sherlock Holmes’ Zeiten eingerichtet war. Unter den schweren Gewitterwolken wurde es schnell finster, und eine düstere Stimmung kroch zwischen die schweren alten Möbel aus dunklem Holz. Ich war in Versuchung, in allen Räumen das Licht anzumachen, aber dann sagte ich zu mir selbst: „Sei nicht so ein Baby! Nur wegen eines Fans, der es mit dem Verkleiden ein bisschen zu weit getrieben hat … Kontaktlinsen, das ist alles.“
Aber als ich das erste Zimmer im dritten Stock betrat, knarrte hinter mir plötzlich die Treppe, und ich blieb wie angewurzelt stehen. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Beinahe hätte ich laut geschrien. Der Mann in Schwarz stand direkt vor mir. Aber er starrte mich nur an.
„Idiot!“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. „Du Idiot!“
Ich stand in dem Zimmer mit den Wachsfiguren. Direkt vor der von Professor Moriarty. Vor dem hatte ich mich schon als kleines Kind immer gegruselt. Der Professor war in den Detektivgeschichten der schlimmste Feind von Sherlock Holmes.
Wenn ich das Licht angemacht hätte, wäre mir das nicht passiert. Aber dann knarrte die Treppe wieder. Statt zum Lichtschalter zu rennen, machte ich instinktiv einen Schritt nach rechts und schob mich hinter die Gardine am Fenster.
Dann passierte … nichts.
Ich kam mir blöd vor und wollte das Versteckspiel schon aufgeben. Aber ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel, und da sah ich ihn. Der Mann in Schwarz stand im Hinterhof. Er drückte sich im Schatten des Durchgangs zur Siddons Lane herum und beobachtete das Museum.
Ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Alle Lichter anmachen?
Die Polizei rufen? Wegen eines verrückten Fans?
Warten, bis er weggeht? Das würde er sicher nicht tun.
Die Alarmanlage einschalten und einfach nach Hause gehen konnte ich auch nicht. Der Mann, der der Wachsfigur von Professor Moriarty so verdammt ähnlich sah, lehnte an der Wand des Hinterhauses, in dem unsere Wohnung lag.
Dann blieb mir fast das Herz stehen. Donner krachte, und jemand direkt vor mir sagte:
„Mr. Watson?“
Diesmal schrie ich wirklich, machte einen Satz seitwärts und fiel über einen Hocker.
„Oh, mein Gott!“, rief die Stimme eines Mädchens. „Das tut mir fürchterlich leid! Wie dumm von mir, plötzlich so vor Ihnen aufzutauchen. Bitte verzeihen Sie mir.“
Ich rappelte mich auf. Mein Rücken schmerzte. Im dunklen Zimmer konnte ich nur sehen, dass sie etwa genauso groß war wie ich. Vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt.
„Wer bist du?“, stöhnte ich. „Das Museum ist geschlossen.“
„Ich weiß“, gab das Mädchen zu. „Wir sollten kein Licht anmachen. Das Haus wird beobachtet.“
„Das habe ich auch gesehen. Wer ist der Kerl? Der hält sich wohl für Professor Moriarty.“
„Oh nein“, widersprach sie. „Das ist Professor Moriarty.“
Eine Weile fiel mir gar nichts mehr ein. Dann wusste ich, was los war.
„Das ist ein Streich“, rief ich. „Läuft irgendwo eine Kamera? Die Welby-Brüder haben dich geschickt, stimmt’s? Und morgen ist das Video, wie ich mir fast in die Hose mache, auf allen Handys der Schule zu sehen.“
„Es tut mir leid, Mr. Watson, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, sagte sie unbeirrt. „Aber es stimmt, einer der Welbys ist in die Sache verwickelt. Der Jüngere, nehme ich an.“
Die Brüder Johnny und Jimmy Welby, dreizehn und elf Jahre alt, waren der Schrecken unserer Schule. Gegen Leute, die sie nicht einfach verprügeln oder sonst wie terrorisieren konnten, heckten sie Streiche aus, die einen vor allen anderen blamieren sollten. Ich war zwölf und damit eigentlich auf ihrer Dringend-verdreschen-Liste. Aber mein Vater hatte mich in jeden verfügbaren Kampfsportkurs gesteckt, seit ich sechs war. Die konnten mich auch zu zweit nicht kleinkriegen. Also mussten mich die Welbys auf andere Weise fertigmachen.
„Jetzt hört mal zu, ihr zwei Stinktiere!“, rief ich laut.
„Ich weiß, dass ihr hier seid und diesen Mist filmt. Und ihr wisst, was passiert, wenn ich euch in die Finger kriege! Arrest und Schulverweis hin oder her, ich dreh euch durch die Mangel, an jedem einzelnen beschissenen Tag von heute an bis –“
„Bitte, Mr. Watson, hören Sie mir zu!“, unterbrach mich das Mädchen. „Dies ist kein Streich. Die Sache ist bitterernst. Es geht um Leben und Tod.“ Ein weiterer Blitz erhellte kurz das Zimmer, und ich sah, dass sie genau wie der Mann in Schwarz ganz altmodische Kleidung trug. Etwas, das man früher ,Reisekostüm‘ genannt hatte, mit einer taillierten Jacke und einem bodenlangen Rock. Ihr Haar war rundum in einer kunstvollen Welle nach oben gesteckt, und darauf war ein kleiner Hut mit einer Samtschleife befestigt.
„Ich denke, die Gebrüder Welby wissen nichts über die Vorliebe Ihres Vaters für das ausgehende neunzehnte Jahrhundert“, fuhr das Mädchen fort. „Sie wissen auch nichts von Professor Moriarty. Und selbst falls doch, würde es die Möglichkeiten der Welbys bei Weitem übersteigen, einen Schauspieler zu engagieren, der jetzt im Hinterhof dieses Hauses wartet. Mr. Watson, ich weiß, dass Sie gerade überlegen, ob Ihr Vater hinter dem steckt, was heute Abend passiert. Ich versichere Ihnen, auch das ist nicht der Fall.“
Genau das war mir gerade durch den Kopf gegangen. Ich hielt meinen Vater für absolut verrückt. Versteht mich nicht falsch. Als Vater war er schon okay. Aber er zwang mich, alles über die Zeit zwischen 1880 und 1900 zu lernen. Er hat mich in Kampfsportkurse und Fechtstunden geschickt, und ich habe Reiten, das Lenken von Pferdefuhrwerken und den Umgang mit Pistolen gelernt. Seit ich denken kann, hat er immer behauptet, dass wir eines Tages in diese Zeit reisen würden.
Mein Name ist John H. Watson junior. Mein Vater ist der größte Sherlock-Holmes-Fan aller Zeiten. Und er ist besessen von der fixen Idee, wir Watsons seien Nachfahren des Doktors, der die Fälle und Abenteuer des berühmtesten Detektivs der Welt aufgeschrieben hat.
Nur deswegen hat mein Vater Geschichte studiert. Deswegen hat er sich jahrelang um den Posten des Direktors für das Sherlock-Holmes-Museum in der Baker Street beworben, den er dann vor einigen Jahren tatsächlich bekommen hat. Und deswegen hat er mich John H. taufen lassen. Das H. ist nicht mal eine Abkürzung für irgendwas. Nein, mein zweiter Vorname ist tatsächlich H-Punkt!
Und das, weil mein Vater sein ganzes Leben diesem verdammten Detektiv-Unsinn gewidmet hat und das Gleiche am Liebsten auch mit meinem Leben tun würde. Nur aufgrund der Tatsache, dass unsere Familie den Allerweltsnachnamen Watson trägt. Und selbst, wenn’s so wäre. Das gibt ihm noch lange nicht das Recht, den eigenen Sohn H-Punkt zu nennen!
Das Mädchen tastete nach meiner Hand.
„Nehmen Sie das“, verlangte sie. „Sie werden es auch im Dunkeln erkennen.“ Da hatte sie recht. Es war ein Anhänger an einer ledernen Schnur. Mein Anhänger. Ein großes abgesplittertes Stück von meinem Schneidezahn in einer Silberfassung. Ein Trainingsgegner hatte ihn mir versehentlich ausgeschlagen. Der Anhänger war absolut unverwechselbar.
„Woher hast du –“, begann ich, aber sie unterbrach mich. „Sie haben Ihren immer noch um den Hals hängen“, behauptete das Mädchen. „Der, den ich Ihnen gegeben habe, stammt aus der Zukunft. Genauer gesagt, von morgen. Sie haben ihn mir gegeben. Oder werden es morgen tun.“
Ich tastete danach, und tatsächlich hing die Lederschnur mit dem Stück Schneidezahn um meinen Hals. Aber ich hielt ihn auch in der rechten Hand.
„Hää?“, war alles, was ich herausbrachte.
„Sie werden mir jetzt noch nicht glauben, aber ich sage die reine Wahrheit“, fuhr die seltsame Besucherin fort. „Ich bin mit einer Zeitmaschine hierher gelangt, ebenso wie Professor Moriarty und ein Junge namens Rooney Wallace. Aber Mr. Wallace und ich sind, im Gegensatz zum Professor, hier gestrandet. Unser Gefährt hat keine Antriebsenergie mehr. Deshalb bitte ich Sie inständig, mit mir eine Busfahrt zu Ihrem Schulhaus zu machen. Mr. Christie wird dort von einem der Welby-Brüder festgehalten. Er weiß, was zu tun ist, um unsere Maschine wieder funktionsfähig zu machen.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Welbys konnten sich so etwas unmöglich ausgedacht haben. Wenn es eine Falle war, mit der ich reingelegt werden sollte, konnte nur mein Vater dahinterstecken. Aber er war überhaupt nicht der Typ für so etwas. Er war, abgesehen von seinem Fimmel für die Sherlock-Holmes-Zeit, ein durch und durch ernsthafter, nüchtern denkender Mensch.
Es gab eine dritte Möglichkeit, und die war so aufregend, dass mir heiß wurde: Das Mädchen sagte die Wahrheit.
Mein Vater hatte immer recht gehabt. Der doppelte Anhänger war eine vollkommene Unmöglichkeit. Ihre anderen Beweise wollte ich gern sehen. Außerdem war da immer noch der Mann in Schwarz. Ich hatte nicht vor, in den dunklen Hinterhof zu gehen, um herauszufinden, ob er ein Schauspieler oder der echte Professor Moriarty war.
Also saßen wir fünf Minuten später im Bus.
Das Mädchen hatte sich umgezogen, und das war gut so, weil sie in der altmodischen Aufmachung überall aufgefallen wäre. Ein Bündel mit entsprechender Kleidung hatte sie mitgebracht.
„Sehen Sie nicht auf meine Beine!“, verlangte sie, als sie nach unten in den Souvenirladen kam. Natürlich schaute ich danach als Erstes auf ihre Beine. Mit denen schien alles in Ordnung zu sein. Sie waren lang, schlank und ohne Kratzer oder blaue Flecken. Das konnte ich sehen, weil sie die übliche Schuluniform trug: einen grauen Blazer, einen karierten Rock, dunkelblaue Strümpfe, die sie auf die Knöchel heruntergerollt hatte, und billige chinesische Turnschuhe, wie sie zurzeit Mode waren. Sie sah aus wie Tausende andere dreizehnjährige Mädchen, die in London zur Schule gingen. Nur dass ihr die Jacke zu klein war und der Rock nicht mal bis zu den Knien reichte. Von den Beinen, die ich nicht anschauen sollte, gab es also ziemlich viel zu sehen.
© 2009 Schneiderbuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Mike Maurus , Ulrich Bader
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2009, 137 Seiten, Maße: 15,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Schneiderbuch
- ISBN-10: 350512592X
- ISBN-13: 9783505125928
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