Taco und Kaninchen
"'Taco und Kaninchen' ist die Geschichte zweier Geschwister, die wach und fantasievoll die Welt der Erwachsenen beobachten und kommentieren. Es ist eine Familiengeschichte, die vom manchmal schwierigen, aber meist sehr lebendigen Zusammenleben mit einer allein erziehenden Mutter handelt. Und es ist ein Krimi, der ganz aus der Perspektive der Kinder die Geschichte einer Bedrohung erzählt, vor der die Geschwister ihre Mutter retten wollen. Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, die Gewaltspirale, der Kinder heute in nahezu allen Medien ausgesetzt sind, weiter zu drehen. Wir haben uns stattdessen darauf konzentriert, die Gedankenwelt von Kindern ernst zu nehmen und ihren eigenwilligen, oft sehr klaren Blick auf die Welt, in den Mittelpunkt zu stellen." Amelie Fried und Peter Probst
Taco und Kaninchen von Amelie Fried und PeterProbst
LESEPROBE
1. Wir dachten Tag und Nacht an Elfi M. Wenn wir die Augenzumachten, konnten wir ihr Gesicht sehen. Die Erwachsenen reden ja ungern mitKindern über entführte Frauen, dafür schreiben sie es aber dick und fett inihre Zeitungen. Drei Tage lang war die Vermisste auf den Titelseiten. Unterihrem Foto stand: Das Opfer Elfi M., 22 Jahre.
Sie starrte uns vorwurfsvoll an, als wären wir schuld anihrer Entführung. Taco, das ist mein Bruder, zeigte jedes Mal auf eine dunklereStelle an ihrem Hals und sagte: »Da hat sie der Entführer gewürgt.« Mit so waskönnte er mich in den Wahnsinn treiben. Sonst ist er so schlau für sein Alter,und dann kommt er nicht drauf, dass das Foto aufgenommen sein muss, bevor dieFrau entführt wurde. Andernfalls würde da ja stehen, dass der Entführer es andie Zeitung geschickt hat. Meiner Meinung nach war die dunkle Stelle am Halsvon Elfi M. eindeutig ein Knutschfleck, aber das wäre noch weniger in TacosKopf reingegangen, und er hätte mich wahrscheinlich entsetzt gefragt: »Knutschtdie mit ihrem Entführer?«
Taco ist übrigens neun, ich bin zwölf, und wir sind Geschwister,obwohl wir überhaupt nicht so aussehen.Taco ist milchkaffeebraun, und ich bineher weißlich mit Sommersprossen. Taco sagt, ich wäre Albino, was echt gemeinist, weil ich überhaupt keine roten Augen habe. Außer wenn ich heule natürlich.Offiziell heiße ich Nina, aber Mami hat mich immer Ninchen genannt und Tacomich irgendwann dann Kaninchen. Der Name ist mir geblieben. Leider. Inzwischenhabe ich mich einigermaßen dran gewöhnt, und manchmal sage ich schon selbst,ich würde Kaninchen heißen. Taco heißt Taco, weil er dauernd diese Chips mampft.Ich weiß nicht genau, ob er gern Mexikaner wäre, weil er Tacos so liebt, oderob er dauernd Tacos isst, damit alle denken, er wäre Mexikaner. Oder aber, ober wirklich einen mexikanischen Vater hat. Unsere Mutter findet, dass Väter,die sich gleich wieder aus dem Staub machen, gar keine richtigen Väter sind.Von meinem weiß ich nur, dass er blass war. »Blass in jeder Hinsicht«, sagtMami und wechselt jedes Mal schnell das Thema. Wir wurden das Gefühl nicht los,Elfi M. schon mal gesehen zu haben. Das war ziemlich unheimlich. Aber wirredeten uns ein, unser Wiedererkennen käme nur daher, dass eine Menge Menschenmit genauso unauffälligem Gesicht wie Elfie M.durch die Gegend laufen. Vielevon denen gehen irgendwann bei unserer Mutter in die Schule und lernen, wie manein bisschen auffälliger wird. »Die Leute sind ja so was von gehemmt«, sagt Mamiimmer, »stocksteif, null Selbstbewusstsein, einfach eine Katastrophe.« UnsereMutter ist keine normale Lehrerin, die Schule gehört ihr, und außer ihr sind dakeine anderen Lehrer. Die Schüler sind saualt, nicht alle, aber manche sindüber vierzig. Über der Tür hängt ein großes Schild mit pinkfarbener Schrift.»Ankas Flirtschule« steht da in windschiefen Buchstaben drauf. Es ist kaum zuglauben, aber die ganzen Männer und Frauen kommen echt nur, um von unserer Mamiflirten zu lernen. Eigentlich haben wir bloß Vorteile davon, dass unsere MutterLeiterin einer Flirtschule ist. Sie hat kaum Zeit, auf uns aufzupassen oder anuns rumzunörgeln wie andere Eltern. Und wir verdienen eine Menge Geld. Daskommt daher, dass die Flirtschule im Keller von unserem Mietshaus ist und vierOberlichter zum Hinterhof hat. Wenn man sich ganz flach auf die Gitter legt,kann man alles sehen. Unsere Freunde sagen, was in Ankas Flirtschule abgeht,ist witziger als jede Comedy im Fernsehen. Die Preise haben wir gestaffelt, dieaus der dritten Klasse zahlen 30 Cent, die aus der vierten 40 und so weiter,alle zehn Minuten ist Wechsel. An guten Tagen machen wir echt Kasse. Es istaber auch ein verdammt harter Job, weil wir dauernd hin- und herflitzen müssen,um den Kindern einzuschärfen, dass alles vorbei ist, wenn sie zu laut kichern.Unsere Mami hat nämlich keine Ahnung von ihrem begeisterten Publikum.
© cbj, München 2006
- Autoren: Amelie Fried , Peter Probst
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2006, 1, 175 Seiten, Maße: 14,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570131270
- ISBN-13: 9783570131275
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